Zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch des Stalinismus: Die Bourgeoisie nimmt den Mund nicht mehr so voll

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Vor zwanzig Jahren ereignete sich eines derbedeutendsten Geschehnisse der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts: derZusammenbruch des imperialistischen Ostblocks und der stalinistischen Regime inEuropa, deren Anführer die UdSSR war.

Diese Ereignisse wurden von der herrschendenKlasse dazu verwendet, eine der massivsten und bösartigsten je gegen dieArbeiterklasse geführten ideologischen Kampagnen zu entfesseln. Noch einmalwurde lügnerisch der zusammenbrechende Stalinismus mit dem Kommunismusgleichgesetzt und der ökonomische Niedergang und die Barbarei derstalinistischen Regime als das Resultat der proletarischen Revolution dargestellt.Die herrschende Klasse wollte damit dem Proletariat jegliche revolutionärePerspektive rauben und den Kämpfen der Arbeiterklasse einen vernichtendenSchlag versetzen.

Gleichzeitig liess die Bourgeoisie eine zweitegrosse Lüge vom Stapel: Mit dem Untergang des Stalinismus trete derKapitalismus in eine Ära des Friedens und der Prosperität ein und könne nunendlich aufblühen. Sie versprach eine strahlende Zukunft.

Am 6. März 1991 verkündete der Präsident der USA George Bushsen. berauscht vom Sieg seiner Armee über Saddam Hussein das Anbrechen einer„neuen Weltordnung" und die Zukunft einer „Welt der Vereinten Nationen, die,befreit von der Sackgasse des Kalten Krieges, auf dem Weg sind, diehistorischen Visionen ihrer Gründer zu realisieren. Eine Welt, in der dieFreiheit und die Menschenrechte von allen Nationen respektiert werden."

Zwanzig Jahre danach könnte man darüber fast lachen, hättennicht das weltweite Chaos und die zunehmenden Konflikte in allen Teilen derErde, die sich seit jenem berühmten Ausspruch ereigneten, dermassen viel Todund Zerstörung mit sich gebracht. Diese Bilanz sieht 20 Jahre danach bitteraus.

Von einer Prosperität kann keine Rede sein. Seit Sommer 2007und verstärkt seit Sommer 2008 „blenden die Herrschenden Begriffe wie „Wohlstand",„Wachstum", „Triumph des Liberalismus" in ihren Reden diskret aus. Am Tisch desgrossen Banketts der kapitalistischen Wirtschaft hat sich nun ein Gastniedergelassen, den man für immer verbannt zu haben glaubte: die Krise, dasGespenst einer „neuen weltweiten Depression", ähnlich wie die der 1930erJahre."[1]Gestern bedeutete der Zusammenbruch des Stalinismus den Triumph des liberalenKapitalismus. Heute ist es derselbe Liberalismus, welcher sich von Seiten derSpezialisten und Politiker aller Übel beschuldigt sieht, selbst von denen, dieeinst seine bedingungslosesten Verteidiger waren wie der französische PräsidentSarkozy!

Man kann sich die Daten von Jahrestagen nicht auswählen, undklar ist, dass dieser hier für die herrschende Klasse kein guter ist. Wenn siebei der jetzigen Gelegenheit keine grosse Kampagne über den „Tod desKommunismus" und das „Ende des Klassenkampfes" vom Stapel lässt, dann nichtdeshalb, weil es ihr an Missgunst fehlen würde, sondern wegen der desolatenLage des Kapitalismus, die sie der Gefahr aussetzt, dass der letzte Schein umihre ideologischen Gebilde durchschaut wird. Aus diesem Grunde hat uns dieherrschende Klasse mit grossen Zeremonien über den Zusammenbruch der „letztenTyrannei" und den grossen Sieg der „Freiheit" verschont. Abgesehen von einigenernsten historischen Beschwörungen gibt es keine Euphorie und keineÜberschwänglichkeit.

Auch wenn der Frieden und die Prosperität, die uns derKapitalismus offenbar hätte bringen müssen, nicht Wirklichkeit wurden, soerscheint die heutige Barbarei und Misere in den Augen vieler Ausgebeuteternoch keinesweg als direkte Konsequenz der unüberwindbaren Widersprüche deskapitalistischen Systems. Die Propaganda der Bourgeoisie, die heute viel mehrauf die Notwendigkeit der „Humanisierung" und „Reformierung" des Kapitalismusausgerichtet ist, verfolgt die Absicht grösstmöglichste Barrieren gegen dieBewusstseinsentwicklung der Ausgebeuteten über die Realität zu errichten. DieWirklichkeit hat aber auch die andere Seite der Lüge, die Gleichsetzung desStalinismus mit dem Kommunismus, nicht wirklich aufgelöst und sie lastet nochimmer auf den Schultern der heutigen Generationen - auch wenn dies nicht imselben abstumpfenden Ausmass wie in den 1990er Jahren der Fall ist. Es istdaher wichtig, einige historische Tatsachen in Erinnerung zu rufen.

Einund dieselbe Krise des Kapitalismus ist Ursache des Zusammenbruchs desOstblocks und der heutigen Rezession

„Die weltweite Krise des Kapitalismus wirkt sich mit einerbesonderen Brutalität auf die Wirtschaft (der Staaten des Ostblocks) aus, dienicht nur rückständig, sondern auch unfähig ist, sich der Verschärfung derKonkurrenz innerhalb des Kapitals anzupassen. Der Versuch, „klassische" Normender kapitalistischen Zwangsverwaltung einzuführen anstelle der Steigerung derProduktivität, führt zu nichts anderem als einem noch grösseren Wirrwarr, fürdas in der UdSSR das Scheitern der „Perestroika" ein gutes Beispiel ist. (...)Die Perspektive aller stalinistischen Regime ist nicht die einer „friedlichenDemokratisierung" und auch nicht einer Straffung der Wirtschaft. Mit derVerschärfung der weltweiten Krise des Kapitalismus sind diese Länder in einePhase von Unruhen eingetreten, die auch in ihrer an gewalttätigen Ereignissen„reichen" Vergangenheit unbekannt sind." (Kapitalistischen Erschütterungen undKlassenkämpfe" (7.9.1989, Internationale RevueNr. 59, engl./franz./span. Ausgabe)

Diese katastrophale Situation in den Ländern des Ostblockshinderte die herrschende Klasse damals nicht daran, sie als immense neu zuerobernde Märkte darzustellen, da sie nun vom Joch des „Kommunismus" befreitseien. Es gelte dort eine moderne Ökonomie zu entwickeln, die die Aufgabe habe,die Auftragsbücher der westlichen Firmen für Jahrzehnte zu füllen. Die Realitätwar eine ganz andere: Es gab gewiss viel aufzubauen, doch niemanden, der esbezahlen konnte.

Der erwartete Boom im Osten trat nicht ein. Dafür wurdenumgekehrt die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die im Westen auftraten,skrupellos auf das Konto der nötigen Anpassung der rückständigen Länder desehemaligen Ostblocks geschoben. Dies war beispielsweise der Fall mit derInflation, die in Europa kaum zu kontrollieren war. Die Lage spitzte sich nichtviel später in der offenen Rezession von 1993 auf dem alten Kontinent zu[2].So änderte der neue Weltmarkt, in den nun die Länder Osteuropas vollständigintegriert waren, nicht das Geringste an den Grundgesetzmässigkeiten desKapitalismus. So nahm insbesondere die Verschuldung einen immer umfangreicherenPlatz bei der Finanzierung der Wirtschaft ein, wodurch diese angesichts jederDestabilisierung immer brüchiger wurde. Die Illusionen der Bourgeoisieverflüchtigten sich schnell, als sie mit der harten wirtschaftlichen Realitätihres Systems konfrontiert wurde. So knickte im Dezember 1994 Mexiko unter demZustrom der Spekulanten ein, die aus dem krisengeschüttelten Europa abgezogenwaren: Der Peso brach zusammen und drohte, einen grossen Teil derVolkswirtschaften des amerikanischen Kontinents mitzureissen. Die Drohung warreal und wurde verstanden. Eine Woche nach Ausbruch der Krise mobilisierten dieUSA 50 Milliarden Dollar, um die mexikanische Währung damit zu stützen. Damalsschien dieser Betrag immens ... Zwanzig Jahre später sollten es vierzehn Mal mehrsein, die die USA für ihre eigenen Wirtschaft aufbringen sollten!

Ab 1997 Neuauflage in Asien. Diesmal waren es die Währungender südostasiatischen Länder, die massiv an Wert verloren. Die berühmten Tigerund Drachen, Vorzeigeländer der wirtschaftlichen Entwicklung, Schaufenster der„Neuen Weltordnung", wo der Fortschritt selbst für die kleinsten Länder möglichschien, erfuhren ebenfalls die Härte des kapitalistischen Gesetzes.

Die Anziehungskraft dieser Volkswirtschaften hatte eineSpekulationsblase gefüllt, die Anfang 1997 platzte. In weniger als einem Jahrwaren alle Länder der Region betroffen. In der gleichen Zeit wurden 24Millionen Menschen arbeitslos. Aufstände und Plünderungen breiteten sich aus,dabei starben 1200 Personen. Selbstmorde nahmen rapide zu. Ab dem folgendenJahr wurde festgestellt, dass eine Ansteckungsgefahr auf Weltebene bestand,ernsthafte Schwierigkeiten entstanden in Russland.

Das asiatische Modell, der berühmte „dritte Weg", wurde nebendem „kommunistischen" Modell begraben. Es musste etwas Neues gefunden werden,um zu beweisen, dass der Kapitalismus der einzige Schöpfer des Reichtums aufErden sei. Dieses neue Wundermittel war das Internet. Wenn sich in derwirklichen Welt alles auflöst, so lasst uns in die virtuelle investieren! Wennden Reichen Geld zu leihen nicht mehr genügt, so lasst es uns denen leihen, dieuns versprechen, reich zu werden! Der Kapitalismus hat Angst vor der Leere,insbesondere vor derjenigen in der Geldbörse, und wenn die Weltwirtschaftunfähig zu sein scheint, immer grössere Profite anzubieten, um auf dieunersättlichen Bedürfnisse des Kapitals zu antworten, wenn keine Rentabilitätmehr zu finden ist, erfindet man einfach einen neuen Markt aus freien Stücken.Das System sollte noch einmal während einer gewissen Zeit weiterfunktionieren,indem sich die Wetten auf die Aktienkurse, die keinen vernünftigen Bezug mehrzur Realität hatten, breit machten. Unternehmen, die Verluste in Millionenhöheerlitten, hatten auf dem Markt einen Wert von mehreren Milliarden Dollar. DieBlase war geschaffen, sie wuchs bereits. Der Wahnsinn bemächtigte sich einerBourgeoisie, die sich Illusionen hingab über die langfristigeDauerhaftigkeit  der „Neuen Ökonomie" unddamit auch die „alte" angriff. Die traditionellen Sektoren der Wirtschaftmachten auch mit, sie hofften damit eine Rentabilität zurück zu gewinnen, diesie in ihrem herkömmlichen Tätigkeitsbereich verloren hatten. Die „NeueÖkonomie" drang in die alte ein[3],und sie sollte sie beim Absturz mitreissen.

Der Sturz tat weh. Der Zusammenbruch eines solchen Konstrukts,das auf nichts anderem beruhte als dem gegenseitigen Vertrauen allerBeteiligten, dass niemand versage, konnte nur brutal sein. Der Platzen derBlase führte zu Verlusten von 148 Milliarden Dollar in den Unternehmen derBranche. Die Pleiten breiteten sich aus, die Überlebenden berichtigten den Wertihrer Aktiven um Hunderte von Milliarden Dollar. Mindestens 500 000Arbeitsplätze wurden in der Telekommunikationsbranche gestrichen. Die „NeueÖkonomie" erwies sich schliesslich als nicht fruchtbarer wie die alte, und dieGuthaben, die gerade noch rechtzeitig dem Untergang entronnen waren, suchtensich eine neue Anlagesphäre.

Und die Wahl traf auf die Immobilienbranche. Denn die Fragestellte sich ernsthaft: Wem konnte man noch Geld leihen, nachdem man es schonmit Ländern getan hatte, die über ihren Verhältnissen lebten, nachdem man dasGeld Unternehmen geliehen hatte, die auf Sand, ja Wind gebaut waren? DieBourgeoisie kennt keine Grenzen bei ihrem Profithunger. Das gute alte Sprichwort,dass „man nur Reichen Darlehen geben soll" ist definitiv ausser Kraft gesetzt,denn Reiche gibt es nicht mehr genug. Die Bourgeoisie nahm sich deshalb einenneuen Markt vor ... denjenigen der Armen. Ganz abgesehen vom Zynismus diesesKalküls, offenbart sich da eine gnadenlose Geringschätzung gegenüber dem Lebenvon Leuten, die bestimmt waren, zur Beute dieser Geier zu werden. Die gewährtenDarlehen wurden mit dem Schuldnervermögen pfandgesichert. Wenn dann diesesVermögen aufgrund einer Börsenhausse an Wert gewinnt, eröffnete sich dieMöglichkeit, den verschuldeten Familien noch mehr Kredite zu gewähren, mitdenen sie potentiell ins Desaster geführt wurden. Diese Möglichkeit wurde 2008zur Wirklichkeit, als das Schiff auf den harten Grund der Realität auflief -die Bourgeoisie beklagte ihre eigenen Opfer (die Geschäftsbanken und andereRefinanzierungsinstitute), aber sie vergass die Millionen von Familien, denenalles, was sie noch hatten (obwohl ohne jeden Marktwert), genommen wurde,Familien, die künftig auf der Strasse oder im Slum leben.    

Die Fortsetzung ist sattsam bekannt, es erübrigt sich, daraufzurück zu kommen, ausser vielleicht in einer Kurzfassung, die eigentlich allessagt: eine offene Weltrezession, die schlimmste seit dem Zweiten Weltkrieg, inder Millionen von Arbeitern in allen Ländern auf die Strasse geworfen werden,eine beträchtliche Ausweitung des Elends.

DieKriege - vor und nach 1990 - sind die Folgen der immer gleichen Widersprüchedes Kapitalismus

Selbstverständlich warf der Zusammenbruch des Ostblocks dieganze imperialistische Konstellation durcheinander. Vor diesem Ereignis war dieWelt in zwei sich gegenüberstehende Blöcke aufteilt, beide um eineFührungsmacht gruppiert. Die ganze Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg bis zumZusammenbruch des Ostblocks war von sehr starken Spannungen zwischen denBlöcken geprägt, die in offenen Kriegen zwischen Stellvertretern in der DrittenWelt ausgetragen wurden. Um nur einige zu zitieren: Koreakrieg zu Beginn der50er Jahre, Vietnamkrieg in den ganzen 60er Jahren bis in die Mitte der 70er,Afghanistankrieg ab 1979, usw. Der Zusammenbruch des stalinistischen Gebäudes1989 war schlicht und einfach die logische Folge seiner wirtschaftlichen undmilitärischen Unterlegenheit gegenüber dem gegnerischen Block.

Aber die Auflösung des „Reichs des Bösen", das der in denAugen der westlichen Propaganda allein verantwortliche russische Blockdarstellte, bedeutete nicht das Ende der Kriege. Die IKS hatte damals, imJanuar 1990, folgende Analyse: „Das Verschwinden des russischenimperialistischen Gendarmen und damit auch die Auflösung der Gendarmenrolle desamerikanischen Imperialismus gegenüber seinen ‚Hauptpartnern‘ von früher öffnetdie Tür für das Aufbrechen von einer ganzen Reihe von lokalen Rivalitäten. DieseRivalitäten und Zusammenstösse können gegenwärtig nicht in einen Weltkriegausarten (selbst wenn das Proletariat nicht mehr dazu in der Lage wäre, sichdagegen zur Wehr zu setzen). Weil die vom Block auferzwungene Disziplin nichtmehr gegeben ist, werden diese Konflikte dagegen viel häufiger undgewalttätiger werden, insbesondere in den Gegenden, wo die Arbeiterklasse amschwächsten ist." (Internationale RevueNr. 12, Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks - Destabilisierung und Chaos). Esdauerte nicht lange, bis auf der Weltbühne der Beweis für die Richtigkeitdieser Analyse geführt wurde, so namentlich mit dem ersten Golfkrieg vom Januar1991 und dem Krieg im damaligen Jugoslawien ab Herbst des gleichen Jahres.Seither folgt eine blutige und barbarische Auseinandersetzung der nächsten. Wirkönnen hier nicht alle aufzählen, aber immerhin die folgenden hervorstreichen:die Fortsetzung des Jugoslawienkriegs, in den 1999 die USA und die wichtigsteneuropäischen Mächte unter der Aegide der NATO direkt eingegriffen haben; diebeiden Tschetschenienkriege; zahlreiche Kriege verwüsten anhaltend denafrikanischen Kontinent (Ruanda, Somalia, Kongo, Sudan usw.); dieMilitäroperationen Israels gegen den Libanon und kürzlich gegen denGazastreifen; der Afghanistankrieg von 2001, der immer noch andauert; derIrakkrieg von 2003, dessen Folgen dramatisch auf dem Zweistromland lasten, aberauch auf demjenigen, der den Krieg vom Zaun gerissen hat: Uncle Sam.

DerStalinismus - eine besonders brutale Form des Staatskapitalismus

Was nun folgt und sich auf die Charakterisierung desStalinismus bezieht, ist ein Ausschnitt aus einer Beilage zu den Publikationen,die wir im Januar 1990 breit verteilt haben (diese Beilage wurde vollumfänglichund neu abgedruckt im Artikel 1989-1999 - The world proletariat,the collapse of the Eastern bloc and the bankruptcy of Stalinism(„Das Weltproletariat, der Zusammenbruch des Ostblocks und der Bankrott desStalinismus") in der International Review Nr. 99, engl./franz./span.  Ausgabe). Wir denken, dass dieseCharakterisierung auch 20 Jahre später noch ganz gut passt, und drucken siehier unverändert ab.

„Auf den Trümmern der Oktoberrevolution von 1917 errichteteder Stalinismus seine Herrschaft. Dank der Negation des Kommunismus in derTheorie des „Sozialismus in einem Land" wurde die UdSSR wieder zu einem injeder Hinsicht kapitalistischen Staat. Ein Staat, in der das Proletariatunterworfen war, mit dem Gewehr im Rücken, unterworfen unter die Interessen desnationalen Kapitals, im Namen der Verteidigung des „sozialistischenVaterlandes".

So wie der proletarische Oktober dank der Macht derArbeiterräte dem Ersten Weltkrieg schliesslich ein Ende setzte, kündete diestalinistische Konterrevolution durch die Zerstörung jeden revolutionärenGedankens, durch die Knebelung jedes noch so zögerlichen Klassenkampfes, durchdie Errichtung des Terrors und die Militarisierung des ganzengesellschaftlichen Lebens die Beteiligung der UdSSR am zweiten Weltgemetzel an.

Jeder Schritt des Stalinismus auf dem internationalen Parkettder 30er Jahre war gekennzeichnet durch seine imperialistischen Kuhhändel mitden wichtigsten kapitalistischen Mächten, die sich von Neuem daraufvorbereiteten, Europa in Schutt und Asche zu legen.

Nachdem Stalin zunächst auf ein Bündnis mit dem deutschenImperialismus gesetzt hatte, um dessen Expansionsversuchen gegen Osten zubegegnen, wechselte er Mitte 30er Jahre plötzlich das Hemd und verbündete sichmit dem „demokratischen" Block (1934: Aufnahme der UdSSR in die „Räuberbande",die der Völkerbund war; 1935: Laval-Stalin-Pakt; Beteiligung der KPs an den„Volksfronten" und am Krieg in Spanien, in dessen Verlauf die Stalinisten nichtzögerten, die gleichen blutigen Methoden anzuwenden und die Arbeiter undRevolutionäre, die ihrer Politik Widerstand leisteten, zu massakrieren).Unmittelbar vor dem Krieg streifte sich Stalin wieder das alte Hemd über undverkaufte Hitler die Neutralität der UdSSR im Austausch gegen gewisse Gebiete,bevor er sich doch wieder dem Lager der Alliierten anschloss, um  sich seinerseits am imperialistischenGemetzel zu beteiligen, in dem der stalinistische Staat allein 20 MillionenMenschenleben opferte. Das war das Resultat der Drecksgeschäfte, die derStalinismus mit den verschiedenen imperialistischen Haien Westeuropas schloss.Auf diesen Leichenbergen konnte die stalinistische UdSSR ihr Reich aufbauen,ihre Schreckensherrschaft in allen Staaten errichten, die ihr aufgrund desVertrages von Jalta als ihre ausschliessliche Domäne zufielen. Dank derTeilnahme am allgemeinen Holocaust an der Seite der siegreichenimperialistischen Mächte und zum Blutpreis von 20 Millionen Opfern konnte dieUdSSR in den Rang einer Supermacht aufsteigen.

Doch wenn Stalin der „von der Vorsehung bestimmte Mann" war,dank dem der Kapitalismus als Weltsystem den Bolschewismus bezwingen konnte,war es doch nicht die Tyrannei eines einzigen Individuums, so paranoid diesesauch war, die das Werk dieser schrecklichen Konterrevolution vollbrachte. Derstalinistische Staat wurde wie jeder kapitalistische Staat durch die gleicheherrschende Klasse wie überall sonst gelenkt, durch die nationale Bourgeoisie.Eine Bourgeoisie, die sich mit der inneren Degenerierung der Revolution neugebildet hatte, aber nicht auf der Grundlage der alten zaristischen Bourgeoisie,die das Proletariat 1917 beseitigt hatte, sondern auf der Grundlage derparasitären Bürokratie des Staatsapparats, mit dem die bolschewistische Parteiunter der Führung von Stalin zunehmend verschmolz. Diese Bürokratie desPartei-Staats, die Ende der 20er Jahre all jene Sektoren beseitigte, aus denenallenfalls noch eine neue private Bourgeoisie hätte entstehen können und mitdenen sie sich verbündet hatte, um die Leitung der nationalen Wirtschaftsicherzustellen (Grundeigentümer und Spekulanten der NEP), übernahm dieKontrolle der Wirtschaft. Das sind die historischen Bedingungen, die erklären,weshalb der Staatskapitalismus in der UdSSR, anders als in anderen Ländern,diese totalitäre, karikaturale Form annahm. Der Staatskapitalismus ist die allgemeineHerrschaftsform des Kapitalismus in seiner Niedergangsphase, in der der Staatsich den Zugriff auf das ganze gesellschaftliche Leben sichert und überallparasitäre Schichten entstehen lässt. Aber in den andere Ländern derkapitalistischen Welt stand diese staatliche Kontrolle über die Gesamtheit derGesellschaft nicht in antagonistischem Widerspruch zur Existenz von privatenund auf Konkurrenz beruhenden Sektoren, die ihrerseits eine totaleVorherrschaft der parasitären Sektoren verhinderten. In der UdSSR dagegenkennzeichnete sich die besondere Form, die der Staatskapitalismus hier annahm,durch eine extreme Vergrösserung seiner parasitären Schichten, die aus derstaatlichen Bürokratie hervorgegangen waren und deren einzige Sorge nicht darinbestand, das Kapital unter Berücksichtigung der Marktgesetze Profite abwerfenzu lassen, sondern sich individuell die Taschen zu füllen auf Kosten derInteressen der nationalen Wirtschaft. Unter dem Gesichtspunkt derFunktionsweise des Kapitalismus war diese Form des Staatskapitalismus eineEntgleisung, die mit der Zuspitzung der Weltwirtschaftskrise notwendigerweiseim Fiasko enden musste. Und genau dieser Zusammenbruch des russischenStaatskapitalismus, der aus der Konterrevolution hervorgegangen war, zog den Schlussstrichunter den Bankrott dieser ganzen bestialischen Ideologie, die während mehr alseinem halben Jahrhundert das stalinistische System zementiert und Millionen vonMenschen unter einem Bleideckel gehalten hatte.

Egal, was die Bourgeoisie und die ihr hörigen Medien sagen:Die grauenhafte Hydra des Stalinismus gleicht überhaupt nicht - weder im Inhaltnoch in der Form - der Oktoberrevolution von 1917. Diese musste zuerstuntergehen, bevor sich jene aufrichten konnte. Dieses radikalen Bruches, dieserAntinomie zwischen Oktober und Stalinismus, muss sich das Proletariat vollbewusst werden."

Zerstörung entweder desKapitalismus oder der Menschheit

Die Welt gleicht immer mehr einer Wüste, die von Leichenübersät ist, und Milliarden von Menschen kämpfen nur noch ums Überleben. JedenTag verhungern auf der Welt fast 20 000 Kinder, mehrere Tausend Stellen werdenabgeschafft, was die betroffenen Familien in die Verzweiflung stürzt;Lohnkürzungen, die sich ständig breiter machen, für diejenigen, die noch Arbeithaben.

Das ist die „Neue Weltordnung", die vor fast 20 Jahren GeorgeBush sen. versprochen hat. Sie gleicht eher der absoluten Unordnung! Diesesschreckliche Spektakel widerlegt gänzlich die Idee, wonach der Zusammenbruchdes Ostblocks das „Ende der Geschichte" bedeute (stillschweigend: der Anfangdes Ewigen Reiches des Kapitalismus), wie der „Philosoph" Francis Fukuyamaseinerzeit verkündete. Er bedeutete vielmehr einen wichtigen Einschnitt imNiedergang des Kapitalismus, der die Phase einläutete, in der die schwächstenBestandteile dieses System - das mit seinen geschichtlichen Grenzenkonfrontiert ist - unumkehrbar in sich zusammenbrechen. So hat denn auch derZusammenbruch des Ostblocks keineswegs zu einer Genesung des Systems geführt.Jene Grenzen bestehen fort, und sie bedrohen je länger je mehr den Kern desKapitalismus. Jede neue Krise ist ernsthafter als die vorangegangene.

Deshalb ist die einzig nützliche Lehre aus den letzten 20Jahren die, dass es keine berechtigte Hoffnung auf Frieden und Fortschritt imKapitalismus gibt. Es geht nach wie vor und bis auf weiteres um die AlternativeZerstörung des Kapitalismus oder Zerstörung der Menschheit.

Die Kampagnen über den „Tod des Kommunismus" haben zwar in derTat dem Bewusstsein der Arbeiterklasse einen schweren Schlag versetzt, aber sieist nicht geschlagen, die Möglichkeit besteht, das verloren gegangene Terrainzurückzuerobern und sich erneut in einen Prozess der weltweiten Entwicklung desKlassenkampfes zu werfen. Tatsächlich hat die Arbeiterklasse seit Beginn desJahrzehnts, nachdem sich die Kampagnen über den Tod des Kommunismus und desKlassenkampfes langsam abgenützt haben, angesichts von erheblichen Angriffenauf seine Lebensbedingungen den Weg des Kampfes wieder eingeschlagen. DieseWiederaufnahme, die sich schon jetzt in einem internationalen Bemühen einerMinderheit um politische Klärung ausdrückt, stellt die Vorbereitung aufMassenkämpfe dar, die in Zukunft die einzige Perspektive für das Proletariatund die Menschheit eröffnen - die Überwindung des Kapitalismus und dieErschaffung des Kommunismus.

GDS

 

 



[1] Resolution des18. Kongresses der IKS zur internationalen Lage, ebenfalls in der vorliegendenAusgabe der InternationalenRevueveröffentlicht.

 

[2] Vgl. z.B. „la récession de 1993 réexaminée" („Die Rezession von 1993 neuuntersucht"), Persée, Zeitschrift der OECD, 1994, Band49, Nr. 1

 

[3] Sie kaufte siesogar auf: Die Übernahme der Gesellschaft Time Warner durch AOL,Internet-Anbieter, bleibt Sinnbild jener Irrationalität, die sich damals derBourgeoisie bemächtigte.

 

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