Über den Aufruf der IKS zu einer Stellungnahme gegen den Krieg in Serbien: Die kriegerische Offensive der Bourgeoisie erfordert

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Der Krieg in Serbien hat die vermeintlichen Revolutionäre entlarvt und die grundlegende Einheit der wirklich internationalistischen Gruppen aufgezeigt.

Kriege und Revolutionen sind bedeutende historische Ereignisse, die das Lager der herrschenden Klasse von dem der Revolutionäre abgrenzen und gleichzeitig ein Prüfstein für die Klassennatur politischer Kräfte sind. Dies galt auch für den Ersten Weltkrieg, der den Verrat der Sozialdemokratie auf internationaler Ebene ans Licht brachte, den Tod der Zweiten Internationale bedeutete und eine Minderheit auftauchen ließ, welche die neuen kommunistischen Parteien der Dritten Internationale gründeten. Es galt ebenso für den Zweiten Weltkrieg, der die Integration der verschiedenen stalinistischen Parteien in die Verteidigung des bürgerlichen Staates durch ihre Unterstützung der imperialistischen ”demokratischen” Front gegen den ”Faschismus” bestätigte und die verschiedenen trotzkistischen Gruppierungen dazu brachte, die Arbeiterklasse zur Verteidigung des russischen ”Arbeiterstaates” gegen die Aggression der nazi-faschistischen Diktatur aufzurufen. Andererseits aber tauchte damals der mutige Widerstand einer winzigen Minderheit von Revolutionären auf, die ihr Lager in dieser schrecklichen historischen Prüfung aufrecht erhalten konnten. Heute sind wir noch nicht mit der Gefahr eines dritten Weltkrieges konfrontiert, da die Bedingungen dazu nicht vorhanden sind, und wir gehen auch nicht davon aus, dass sich dies in nächster Zukunft ändern wird. Dennoch ist die militärische Intervention in Serbien das bedeutendste Ereignis seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, und sie hat eine Polarisierung der politischen Kräfte um die zwei Hauptklassen der Gesellschaft hervorgerufen: das Proletariat und die Bourgeoisie.

Die verschiedenen linken Gruppierungen haben ihren bürgerlichen Charakter entweder durch die Unterstützung der NATO-Angriffe oder die Verteidigung Serbiens1 einmal mehr  bestätigt. Doch auf der anderen Seite können wir mit tiefer Zufriedenheit feststellen, dass die wichtigsten revolutionären politischen Gruppen alle eine gradlinige internationalistische Position eingenommen haben, welche die folgenden Grundsätze unterstützt:

1. Der gegenwärtige Krieg ist ein imperialistischer Krieg (wie alle Kriege heutzutage) und die Arbeiterklasse hat in der Unterstützung der einen oder anderen Seite nichts zu gewinnen:

”Welches Lager man auch betrachtet - ob amerikanisch oder serbisch, italienisch oder französisch, russisch oder englisch - es sind immer die inner-imperialistischen Konflikte, hervorgerufen durch die Widersprüche der bürgerlichen Ökonomie (...). Kein Mensch, kein Soldat für den imperialistischen Krieg: offener Kampf gegen die eigene nationale Bourgeoisie, serbisch oder kosovarisch, italienisch oder amerikanisch, deutsch oder französisch.” (Il Programma comunista, Nr. 4, 30. April 1999)

”Für die wirklichen Kommunisten ist die Unterstützung dieses oder jenes Imperialisten, auch die Unterscheidung zwischen Schwächeren und Stärkeren, opportunistisch und unehrenhaft, da bei zwei Schlechten den weniger Schlimmen zu suchen, falsch ist. Jegliche Unterstützung für diese oder jene imperialistische Front ist eine Unterstützung des Kapitalismus. Es ist ein Verrat an allen Erfahrungen der Befreiung der Arbeiterklasse und an der Sache des Sozialismus.

Der einzige Weg, der Logik des Krieges zu entfliehen, geht über die Wiederaufnahme des Klassenkampfes im Kosovo sowie im Rest Europas, den Vereinigten Staaten oder in Russland.” (Flugblatt des IBRP, ”Kapitalismus heißt Imperialismus, Imperialismus heißt Krieg”, 25. März 1999)    

   

2. Der Krieg in Serbien, weit davon entfernt humanitäre Ziele für irgendeinen Bevölkerungsteil zu verfolgen, ist das direkte Resultat der imperialistischen Zusammenstöße auf Weltebene:

”Die Drohungen und der Druck auf die Türkei, sowie auch der Krieg gegen den Irak, haben die Repression und Massaker an den Kurden nicht gestoppt; wie auch die Drohungen und der Druck gegen Israel die Repression und die Massaker an den Palästinensern nicht gestoppt haben. Die UNO-Missionen, die sogenannten Eingreiftruppen, die Embargos, hatten gestern den Krieg in Ex-Jugoslawien zwischen Serbien und Kroatien, innerhalb Kroatiens, zwischen Serbien und Bosnien, alle gegen alle, nicht verhindern oder stoppen können. Und die militärische Intervention der westlichen Bourgeoisien, von der NATO gegen Serbien organisiert, wird die ”ethnischen Säuberungen” gegen die Kosovari nicht verhindern, so wie sie die Bombardierung Belgrads und Pristinas nicht verhindert haben.

Die humanitären Missionen der UNO (...) haben vielmehr das Terrain zu Repression und schrecklicheren Massakern ”vorbereitet”. Es ist der Beweis, dass die humanitäre und pazifistische Vision und Aktion in Wirklichkeit nur eine ohnmächtige Illusion ist.” (”Der wirkliche Widerstand gegen die militärischen Interventionen und den Krieg ist der Klassenkampf des Proletariats, seine Reorganisierung auf dem internationalistischen Klassenterrain gegen alle Formen der bürgerlichen Unterdrückung und den Nationalismus”, Beilage zu Il comunista Nr. 64-65, April 1999).                

3. Dieser Krieg ist trotz einer angeblichen Fassade der Einheit ein Konflikt zwischen den imperialistischen Mächten innerhalb der NATO und im speziellen zwischen den USA auf der einen und Deutschland und Frankreich auf der anderen Seite:

”Der feste Wille der USA, durch die direkte Intervention gegen Serbien einen Kriegsgrund zu finden, ist schon während der Verhandlungen von Rambouillet hervorgetreten: diese Verhandlungen, weit davon entfernt eine friedliche Lösung für die unentwirrbare Kosovo-Frage zu suchen, diente im Gegenteil dazu, die Verantwortung für den Krieg der jugoslawischen Regierung zuzuschieben. (...) Das wahre Problem für die USA waren ihre eigenen Verbündeten und Rambouillet diente dazu, Druck auf sie auszuüben und ihnen die NATO-Intervention aufzuzwingen (...).” (Il Partito comunista, Nr. 266, April 1999)

”Um die Konsolidierung eines neuen imperialistischen Blockes zu verhindern, der fähig wäre, sich dem Stärksten zu widersetzen, drängten die USA auf eine Ausdehnung der NATO in Richtung Balkan sowie Osteuropa (...) Sie beabsichtigten (...), und dies ist vielleicht der wichtigste Aspekt, den europäischen Ansprüchen, eine selbständige imperialistische Rolle zu spielen, einen harten Schlag zuzufügen.

Die Europäer ihrerseits machten gute Mine zum bösen Spiel, indem sie die militärische Aktion der NATO unterstützten, dies jedoch nur, um nicht das Risiko einzugehen, aus einer derart wichtigen Region komplett ausgeschlossen zu sein.” (Flugblatt des IBRP, ”Kapitalismus heißt Imperialismus, Imperialismus heißt Krieg”, 25. März 1999)   

4. Wie schon immer zeigt der Pazifismus einmal mehr, dass er nicht ein Instrument des Kampfes der Arbeiterklasse und der Zivilbevölkerung gegen den Krieg ist, sondern ein von den linken Parteien gebrauchtes Mittel, um die Arbeiterklasse einzuschläfern. Dies wird durch die Rolle der Linken als Kriegstreiber für die zukünftigen Schlächtereien bestätigt:

”Das verlangt die Überwindung aller pazifistischen und reformistischen Illusionen, die entwaffnen und sich gegen die Ziele und Methoden des Kampfes der Klasse wenden, die immer zur proletarischen Tradition gehörten (...)” (Il Programma comunista, Nr. 4, 30. April 1999)    

”Die bunte Front (...) richtet den gleichen pazifistischen Appell an alle, deren sich das Kapital bedient, um Krieg zu führen: die Verfassung, die Vereinten Nationen, die Regierungen (...). Und schlussendlich, um das Ganze noch lächerlicher zu machen, bittet man dieselben Regierungen, die Krieg führen, nett zu sein und für den Frieden zu arbeiten.” (Battaglia Comunista, Nr. 5, Mai 1999)      

Unser Aufruf an das politische proletarische Milieu

Wie man feststellen kann, existiert unter den verschiedenen Organisationen des politischen revolutionären Milieus eine volle Übereinstimmung über die grundsätzlichen Fragen zum Konflikt auf dem Balkan. Natürlich gibt es auch Divergenzen, die in einer unterschiedlichen Herangehensweise in der Analyse des Imperialismus in der gegenwärtigen Phase und des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen liegen. Aber ohne diese Divergenzen zu unterschätzen betrachten wir die gemeinsamen Aspekte als viel wichtiger und bedeutsamer als diejenigen, welche bezüglich der momentanen Begebenheiten unterschiedlich sind. Auf dieser Grundlage haben wir am 29. März 1999 an alle diese Gruppen[i] einen Appell für eine gemeinsame Initiative gegen den Krieg gerichtet:

”Genossen,

(...) Heute sind die Gruppen der Kommunistischen Linken die einzigen, welche die klassischen Positionen der Arbeiterbewegung verteidigen. Nur diejenigen Gruppen, die sich auf diese Strömung berufen, die als einzige während des Zweiten Weltkrieges keinen Verrat begangen hat, sind fähig auf all die Fragen, die sich heute für die Arbeiterklasse stellen, eine Antwort zu geben. Ihre Pflicht ist es, so breit als möglich in der Arbeiterklasse zu intervenieren, um die Flut von Lügen, die von den verschiedenen Teilen der Bourgeoisie verstreut werden, zu denunzieren und die internationalistischen Prinzipien zu verteidigen, die uns die Kommunistische Internationale und ihre linken Fraktionen als Erbe überlassen haben. Die IKS ihrerseits hat bereits ein Flugblatt herausgegeben, von dem wir Euch hier eine Kopie zukommen lassen. Wir denken jedoch, dass die Wichtigkeit der Ereignisse es erfordert, dass alle Gruppen, welche eine internationalistische Position verteidigen, eine gemeinsame Stellungnahme zur Bekräftigung der proletarischen Klassenprinzipien und gegen die kriegerische kapitalistische Barbarei veröffentlichen und verteilen. Zum ersten Mal seit mehr als einem halben Jahrhundert führen die imperialistischen Hauptgangster den Krieg in Europa selber, d.h. auf dem Schlachtfeld der beiden Weltkriege und gleichzeitig in dem weltweit größten Ballungsgebiet der Arbeiter. Dies zeigt den ganzen Ernst der Lage auf. Damit fällt den Kommunisten die Verantwortung zu, ihre Kräfte zu vereinen, um die Stimme der internationalistischen Prinzipien so laut wie möglich zu erheben und um mit unseren geringen Kräften diesen Prinzipien soviel Widerhall wie möglich zu verschaffen.

Es ist der IKS klar, dass eine solche Stellungnahme in einigen Punkten anders sein wird als das Flugblatt, das wir selbst veröffentlicht haben, weil wir wissen, dass innerhalb der Kommunistischen Linken Meinungsverschiedenheiten bezüglich gewisser Aspekte der Analyse über die Weltlage bestehen. Dennoch sind wir fest davon überzeugt, dass die Gesamtheit der Gruppen der Kommunistischen Linken ein Dokument zur Bestätigung der grundlegenden Prinzipien des Internationalismus  erstellen können ohne ihre eigenen Prinzipien abzuschwächen. Deshalb schlagen wir Euch vor, dass sich unsere Organisationen so schnell wie möglich treffen um einen Appell gegen den imperialistischen Krieg, gegen die Lügen der Bourgeoisie, gegen alle Kampagnen des Pazifismus und für eine proletarische Perspektive zur Überwindung des Kapitalismus zu verfassen.

Mit diesem Vorschlag knüpfen wir an die Politik der Internationalisten und im besonderen derjenigen Lenins auf den Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal 1915 und 1916 an. Eine Politik, die fähig war, bestehende Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Teilen der europäischen Arbeiterbewegung zu überwinden oder beiseite zu lassen um die proletarische Perspektive gegen den imperialistischen Krieg hervorzuheben. Wir sind offen für jede andere Initiative Eurer Organisation, gegenüber jeglichem Vorschlag, der es erlaubt, dem proletarischen Standpunkt gegen die kriegerische Barbarei und gegen die Lügen der herrschenden Klasse Gehör zu verschaffen (...)

Mit kommunistischen Grüßen

IKS”                                

                   

Die Antworten auf unseren Aufruf

Leider entsprachen die Antworten auf unseren Aufruf nicht der Dringlichkeit der Situation und unseren Erwartungen. Zwei der bordigistischen Gruppen, Il Comunista-Le Prolétaire und Il Partito Comunista haben trotz eines zweiten Briefes vom April 1999 mit der Anfrage um eine Antwort bisher auf unseren Aufruf nicht geantwortet. Die dritte bordigistische Gruppe, Programma Comunista, hatte eine schriftliche (negative) Antwort versprochen, doch wir haben nichts erhalten. Das IBRP letztlich erwies uns die Ehre einer freundschaftlichen ablehnenden Antwort auf unsere Einladung. Es liegt auf der Hand, dass wir das Scheitern dieses Aufrufes nur bedauern können. Abgesehen davon bestätigt es offenbar einmal mehr die Schwierigkeiten, in denen sich das von der starken sektiererischen Erstarrung aus dem konterrevolutionären Klima seiner Wiederformierung geprägte proletarische politische Milieu befindet. Im jetzigen Zeitpunkt angesichts der Probleme des Krieges ist es jedoch nicht unser Anliegen, die Reibungen im proletarischen politischen Milieu mit einer Polemik über die Unverantwortlichkeit, die eine negative Antwort bzw. das Stillschweigen auf unseren Aufruf darstellen, weiter zu nähren, sondern wir wollen vor allem die Argumente für die Notwendigkeit und das Interesse der Arbeiterklasse für eine gemeinsame Stellungnahme aller internationalistischen Gruppen unterstreichen. Wir wollen in diesem Rahmen die ablehnenden Argumente des IBRP (das uns als einzige Organisation geantwortet hat!) überprüfen, welche sie schriftlich und in direkten Treffen mit uns vorgebracht haben. Dies in Anbetracht dessen, dass viele der Argumente des IBRP mit größter Wahrscheinlichkeit denjenigen gleichkommen, mit denen uns die bordigistischen Gruppen geantwortet hätten. Damit hoffen wir mit dem Blick auf alle Genossen und politischen Gruppierungen der Arbeiterklasse unseren Vorschlag zu einer gemeinsamen Stellungnahme voranzubringen und so in Zukunft ein besseres Resultat zu erzielen.

Ist es wahr, dass eine gemeinsame Stellungnahme des proletarischen-politischen Milieus zwangsläufig ein "tiefes politisches Niveau" hat?

Das erste Argument des IBRP besteht in der Behauptung, die Positionen der verschiedenen Gruppen seien allzu unterschiedlich, so dass jegliche gemeinsame Stellungnahme ein "sehr tiefes politisches Niveau" aufweisen würde und deshalb kaum förderlich wäre "der Barbarei und den Lügen der Bourgeoisie den proletarischen Standpunkt entgegenzuhalten" (Antwortbrief des IBRP auf unseren Aufruf).

Sich auf diese Behauptung stützend fügen sie an:

"Es ist wahr, dass die Gruppen der Kommunistischen Linken heute die Einzigen sind, welche die klassischen Positionen der Arbeiterbewegung verteidigen. Doch es ist ebenfalls wahr, dass jede dieser Strömungen dies in einer radikal unterschiedlichen Art und Weise tut. Wir wollen auf die spezifischen Unterschiede, die jeder aufmerksame Betrachter leicht erkennen kann, hier nicht eingehen, doch wir wollen an dieser Stelle unterstreichen, dass diese Differenzen große Gräben zwischen den Kräften aufzeigen, die sich auf die Kommunistische Linke berufen (...)" (a.a.O.).

Wir haben zuvor gerade das Gegenteil aufgezeigt. Die Zitate zu Beginn dieses Artikels könnten unter den verschiedenen politischen Gruppen leicht ausgetauscht werden, ohne dass dadurch eine politische Verunstaltung entstehen würde, und als Ganzes bilden sie die grundlegenden politische Elemente für eine mögliche gemeinsame Stellungnahme, die für die Arbeiterklasse heute von großer Bedeutung wäre.    

Weshalb spricht das IBRP von "radikalen Differenzen", die jeglichen Versuch einer gemeinsamen Initiative fruchtlos machen würden? Weil das IBRP die Grundsatzpositionen (die defätistische Haltung gegenüber dem Krieg) und die politischen Analysen über die gegenwärtige Periode (die Gründe des Krieges in Serbien, das Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat ...) auf dieselbe Ebene stellt. Wir unterschätzen die Wichtigkeit dieser aktuellen Divergenzen im proletarischen-politischen Milieu bezüglich der Analyse gewiss nicht. Wir werden in einem künftigen Artikel auf diese Fragen eingehen sowie auf unsere Kritik an der ökonomistischen Position, wie sie vor allem von Battaglia Comunista und Il Partito  verfochten wird. Heute müssen wir aber feststellen, dass das größte Problem in der Unterschätzung des IBRP und der anderen angeführten Gruppen über das Echo besteht, auf welches eine solche gemeinsame Stellungnahme stoßen könnte.

Nicht umsonst ist das IBRP durch die Verwerfung dieser Möglichkeit auf den Abweg geraten, die Bedeutung der Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal gewaltig zu unterschätzen.

Die Bedeutung der Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal                    

"Aus folgendem Grund hat die in Eurem Brief/Aufruf enthaltene Bezugnahme auf die Konferenzen von Zimmerwald keine Bedeutung in der heutigen historischen Situation. Zimmerwald und Kienthal waren keine Initiativen der Bolschewiki oder Lenins sondern der italienischen und schweizerischen Sozialisten, welche darin eine Mehrheit der "radikalen" Tendenzen innerhalb der Parteien der Zweiten Internationale zusammenführten. Lenin und die Bolschewiki nahmen daran Teil um den Bruch mit der Zweiten Internationale voranzutreiben, doch:

a) der Bruch fand damals nicht statt, denn Lenin befand sich in Wirklichkeit auf beiden Konferenzen in einer absoluten Minderheit;

b) war es nicht das Zimmerwalder Manifest, welches "klar die proletarische Perspektive gegenüber dem imperialistischen Krieg aufzeigte", sondern vielmehr die Motion Lenins, welche von der Konferenz verworfen wurde. Die Teilnahme der Bolschewiki an den Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal als Modell für die gegenwärtige Situation darzustellen ist sinnlos." (Antwortbrief des IBRP auf unseren Aufruf)

In diesem Abschnitt beginnt das IBRP mit der Wiederholung von Tatsachen wie der, dass die Konferenzen eine Initiative der italienischen und schweizerischen Sozialisten und nicht der Bolschewiki war, dass Lenin daran mit der Absicht teilnahm, den Bruch mit der Zweiten Internationale voranzutreiben und Lenin, als Konsequenz davon, auf beiden Konferenzen schlussendlich in der Minderheit blieb. Und der Abschnitt endet damit, diejenigen zu verfluchen, welche diese "Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal als Modell für die gegenwärtige Situation darstellen".

Das IBRP hat nicht verstanden, offenbar durch Unachtsamkeit bei der Lektüre unseres Aufrufes, was wir ebenfalls hervorgehoben haben: ”Mit diesem Vorschlag knüpfen wir an die Politik der Internationalisten, und im besonderen derjenigen Lenins, auf den Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal 1915 und 1916 an. Eine Politik, die fähig war (...) die proletarische Perspektive gegen den imperialistischen Krieg hervorzuheben.” Das wirkliche Problem besteht darin, dass das IBRP selbst die Geschichte unserer Klasse zu ignorieren scheint. Während es wahr ist, dass die Bolschewiki, zur damaligen Zeit auf dem "linken Flügel der Arbeiterbewegung", immer versucht haben die Ergebnisse dieser Konferenzen so weit als möglich vorwärtszutreiben, so hatten sie nie die Absicht abseits zu stehen, da sie die Notwendigkeit erkannten, in einem Moment der besonders intensiven und entscheidenden politischen Klärung wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Kräfte zu sammeln. Lenin selbst leistete dazu eine wichtige Arbeit, indem er die sogenannte "Zimmerwalder Linke" animierte, den Schmelztiegel der politischen Kräfte, aus denen die Dritte Internationale geschmiedet wurde. Und noch einmal zur Tatsache, dass "Zimmerwald und Kienthal keine Initiative der Bolschewiki war", hier die Gedanken der revolutionären Zimmerwalder Linken:

”Das von der Konferenz angenommene Manifest stellt uns nicht ganz zufrieden. Es enthält keine Charakteristik weder des offenen noch des unter radikalen Phrasen versteckten Opportunismus - des Opportunismus, der an dem Zusammenbruch der Internationale nicht nur die Hauptschuld trägt, sondern diesen Zusammenbruch auch noch verewigen will. Das Manifest enthält keine klare Charakteristik der Mittel für den Kampf gegen den Krieg. (...)

Wir stimmen für das Manifest, weil wir es als einen Kampfaufruf betrachten, und in diesem Kampf wollen wir mit der übrigen Internationale Hand in Hand gehen. (...)”

(Erklärung der Zimmerwalder Linken auf der Konferenz von Zimmerwald. Unterschrieben von Lenin, Sinowjew, Radek, Nerman, Höglund und Winter. Aus: Jules Humbert-Droz, ”Der Krieg und die Internationale”, Europa Verlag 1964, S. 148-149)

Und hier die Worte Sinowjews nach der Kienthaler Konferenz:

”Wir, die Zimmerwalder haben jetzt den Vorzug, dass wir uns schon international zusammengefunden haben, während die Sozialpatrioten es noch nicht können. Diesen Vorzug sollen wir ausnützen, um den Kampf gegen den Sozialpatriotismus zu organisieren (...).   

Im ganzen ist die Resolution ein Schritt vorwärts. Wer diese Resolution mit dem Projekt der Zimmerwalder Linken im September 1915 und mit den Schriften der deutschen, holländischen, polnischen und russischen Linksradikalen vergleichen wird, der wird zugestehen müssen, dass unsere Ideen in den Grundzügen jetzt von der Konferenz angenommen sind. (...)

Alles in allem war die zweite Zimmerwalder Konferenz zweifellos ein Schritt vorwärts. Das Leben wirkt in unserem Sinne. (...)

Die zweite Zimmerwalder Konferenz wird politisch und historisch noch ein Schritt vorwärts auf dem Weg zur Dritten Internationale sein. (Sinowjew, ebenda, S. 215-217)  

                              

Zusammengefasst waren Zimmerwald und Kienthal zwei entscheidende Etappen im Kampf der Revolutionäre zur Zusammenführung der revolutionären Kräfte und ihrer Trennung von den sozialpatriotischen Verrätern im Hinblick auf die Gründung der Dritten Internationale. Die Bolschewiki und Lenin verstanden die Bedeutung des Manifestes von Zimmerwald für die isolierten und in den Schützengräben verstreuten Arbeiter: Es zeigte den Weg aus der Hölle auf. Dies versteht das IBRP leider nicht. Es gibt Momente in der Geschichte, in denen ein Voranschreiten der Revolutionäre wichtiger ist als tausend noch so klare politische Programme, muss man in Anlehnung an Marxens Worte sagen.

Was bleibt?

Bezüglich des IBRP gibt es noch etwas wichtiges anzufügen: Diese Organisation hat noch vor einigen Monaten und im Verlauf der letzten Jahre mit uns eine Reihe von gemeinsamen Initiativen unternommen. Hier die wichtigsten:

- Die koordinierte Teilnahme, und zum Teil gemeinsame Interventionen im Namen beider Organisationen, auf der zweiten Konferenz über das politische Erbe Trotzkis, welche in Moskau vom dortigen trotzkistischen oder halb-trotzkistischen Milieu organisiert wurde.

- Eine gemeinsame öffentliche Veranstaltung in London über die Russische Revolution mit einer gemeinsamen Einführung im Namen beider Gruppen, einem gemeinsamen Präsidium und einem Artikel, der über diese Veranstaltung Bilanz zog und von beiden Gruppen geschrieben und in der jeweiligen englischsprachigen Presse (Workers Voice und World Revolution) veröffentlicht wurde.

- Eine koordinierte Intervention zwischen den zwei Gruppen in einer Konfrontation mit parasitären Gruppen in Großbritannien.

Doch nun weist das IBRP jede Initiative dieser Art zurück. Als wir die Genossen von Battaglia Comunista darum anfragten, antworteten sie uns, dass es möglich war zur Russischen Revolution zusammenzuarbeiten, da ”die Lehren darüber schon vor langer Zeit gezogen wurden”. Es scheint sich hier um eine gefestigte Analyse über Ereignisse der Vergangenheit zu handeln, während der Krieg ein anderes Problem, ein Problem der heutigen Zeit sei, das Auswirkungen auf die Perspektive habe. Auch wenn wir die Tatsache beiseite lassen, dass die öffentliche Diskussionsveranstaltung zur Russischen Revolution sowie auch die Intervention auf den Konferenzen in Russland sich nicht auf die Vergangenheit beschränkten, sondern Bezug zur Aktualität und Zukunft der Arbeiterbewegung hatten, so ist es kurios, wenn die Diskussion über den Oktober 1917 als ein Element der politischen Archäologie statt als ein Instrument zur Schärfung der Intervention in der Arbeiterklasse von heute dargestellt wird. Noch einmal zusammengefasst: Die Argumente des IBRP sind nicht nur ungültig, sondern falsch.

Dieser Schwenker des IBRP ist aus der Nähe betrachtet kein großes Rätsel. Es stimmt mit dem überein, was die Genossen in den Schlussfolgerungen ihrer ”Resolution über die internationale Arbeit” des 6. Kongresses von Battaglia Comunista, der vom gesamten Büro angenommen wurde, schrieben und in der Antwort auf unseren Aufruf erwähnt ist:

”Es ist jetzt ein anerkanntes Prinzip unserer politischen Führungslinie, dass, außer unter sehr außergewöhnlichen Umständen, alle neuen internationalen Konferenzen  und Treffen, die vom Büro und seinen Organisationen abgehalten werden, sich vollständig in eine Richtung zur Festigung, Stärkung und Ausweitung der revolutionären Tendenzen des Weltproletariates einfügen müssen. Das Internationale Büro für die Revolutionäre Partei und die dazugehörigen Organisationen folgen diesem Prinzip. (...) Und es ist in diesem Rahmen und aufgrund aller anderen Dokumente des Büros klar, das wir mit ”revolutionären Tendenzen des Weltproletariates” all diejenigen Kräfte meinen, welche die internationale Partei des Proletariates aufbauen wollen. Und - wegen der gegenwärtigen politischen Methoden Eurer und der anderen Organisationen - denken wir nicht, dass Ihr ein Teil davon sein könnt.”

Hinter diesen Zeilen, lässt man den ersten Teil, mit dem wir einverstanden sind, beiseite (”alle neuen internationalen Konferenzen  und Treffen (...) sich vollständig in eine Richtung zur Festigung, Stärkung und Ausweitung der revolutionären Tendenzen des Weltproletariates einfügen müssen”), versteckt sich die Idee, dass das Büro heute die einzige glaubwürdige Organisation innerhalb der Kommunistischen Linken sei (wir wundern uns woher eine solche in der Arbeiterbewegung neuartige Behauptung wohl herkommt. Vielleicht hat das IBRP, dem Papste gleich, ein Abkommen mit dem Himmel abgeschlossen). Dies alles weil die IKS ”idealistisch” und die Bordigisten ”sklerotisch” seien: ”(...) wegen der gegenwärtigen politischen Methoden Eurer und der anderen Organisationen - denken wir nicht, dass Ihr ein Teil davon sein könnt”,- der internationalen Partei des Proletariates”. Somit scheint es also besser, mit Rücksicht auf seine Schwesterorganisationen dem eigenen Weg zu folgen und keine Zeit für Konferenzen oder gemeinsame Initiativen zu verschwenden, die so oder so nur sterile Resultate erzielten.

Dies ist die einzige klare Position des IBRP zu der ganzen Frage, doch sie ist absolut nicht gradlinig oder zumindest auf trügerischen  Argumenten aufgebaut.

Wir werden auf diese Frage zurückkommen. Was uns betrifft, sind wir sicher, dass die Partei durch die Konfrontation und die politische Klärung entstehen wird, die sich unter den bestehenden revolutionären Organisationen abspielen muss.

Ezechiele, 31. Mai 1999        

                                            



1 In unseren jeweiligen territorialen Presseorganen vom April, Mai und Juni 1999 ist die Denunzierung dieser angeblich revolutionären Gruppierungen, die in verschiedenen Ländern auftreten, nachzulesen.

 

[i] Internationales Büro für die revolutionäre Partei (Partito Comunista Internazionalista, welche Battaglia Comunista in Italien publiziert und die Communist Workers Organisation, welche Revolutionary Perspectives in Großbritannien publiziert); Partito Comunista Internazionale (welche Il Comunista in Italien und Le Prolétaire in Frankreich publiziert); Partito Comunista Internazionale (welche Il Partito Comunista herausgibt); Partito Comunista Internazionale (welche Il Programma Comunista in Italien, Cahiers Internationalistes in Frankreich und Internationalist Papers in Großbritannien veröffentlicht)

Theoretische Fragen: