Die imperialistischen Mächte fachen den Krieg in Syrien weiter an

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Die dem Kapitalismus innewohnende Tendenz geht zum Krieg, zu immer größeren kriegerischen Auseinandersetzungen. Die jetzige Lage in Syrien macht deutlich: Ein Massaker folgt dem anderen, mit bislang mehr als 20.000 Toten, ganze Wohnviertel sind zerstört, Millionen Menschen auf der Flucht; viele leben in überfüllten, unsauberen Flüchtlingslagern in der Türkei oder in Zelten in der jordanischen Wüste, wo sie häufig Standstürmen ausgesetzt sind. Anstatt sich über alle Lager und Spaltungen hinweg zusammenzuschließen, ziehen sich die ausgebeuteten und unterdrückten Massen nun auf dieselben zurück. Die Spaltungen zwischen Alawiten, Christen, Drusen, Kurden, Sunniten verschärfen sich noch; jeder fürchtet Opfer des nächsten Massakers durch welche Seite auch immer zu werden. Einige unterstützen die “Freie syrische Armee” (FSA), andere stellen sich auf die Seite der Regierung und fürchten sich vor den Konsequenzen. Der kapitalistische Terror herrscht überall und kann an jedem Ort im Land und gar über die Landesgrenzen hinweg zuschlagen. Was vor 17 Monaten als eine reale Volkserhebung anfing, in der sich alle religiösen Gruppen geschlechts- und altersübergreifend zusammenfanden, um gegen Arbeitslosigkeit und Repression zu protestieren, ist mittlerweile eingeebnet, auf absehbare Zeit erwürgt worden durch den imperialistischen Krieg, der sich mittlerweile auf die ganze Region auszudehnen droht. Bei dieser Entwicklung von einer „Revolution“ zu sprechen, wie es einige Vertreter der extremen Linken tun, ist geradezu obszön. In Wirklichkeit prallen alle beteiligten Kräfte auf imperialistischer Ebene aufeinander. Auf der einen Seite steht der einstige Verbündete des Westens – das brutale Killerregime des Bashir al-Assad -, das Unterstützung von Russland, China und dem Iran erhält, auf der anderen Seite stehen Staaten aus der Region wie die Türkei, Qatar, Saudi-Arabien – mit den USA, Frankreich und Großbritannien an ihrer Seite. Auch wenn dieses imperialistische Gemetzel in den Augen Mancher wie ein Stellvertreterkrieg aus der Zeit des Kalten Kriegs anmuten mag, bei dem die USA beispielsweise die Türkei als ihren Handlanger benutzen, ist dieser Konflikt in Wirklichkeit viel unberechenbarer und gefährlicher. Steht doch in der Region viel mehr auf dem Spiel in Anbetracht des militärischen Aufmarsches gegen den Iran, der gegenwärtig von den westlichen Mächten an die Wand gedrängt wird, und des unberechenbaren Verhaltens Israels.

Großbritannien, die USA und Frankreich treiben ihre gegen den Iran gerichtete Front im Krieg in Syrien voran

Öl spielt eine wichtige Rolle in diesem Konflikt, und dennoch ist dieser Aspekt zweitrangig. Den USA und Großbritannien geht es vor allem um den strategischen Wert Syriens aufgrund seiner geographischen und politischen Nähe zum eigentlichen Ziel dieses Krieges: dem Iran. In der Tat wurden die Grundlagen für die Implantierung amerikanischer und britischer Interessen in diesem Zusammenhang, d.h. die Basis des gegenwärtigen Krieges, 2005 in Washington unter der Bush-Administration zusammen mit der britischen Regierung gelegt (siehe dazu weiter unten). Dass die eigentliche Zielscheibe in diesem Krieg der Iran ist, wird zunehmend von einer Reihe internationaler Korrespondenten anerkannt. Robert Fisk äußerte dies im britischen Independent vom 29. Juli 2012 deutlicher als alle anderen. Mit Ironie betrachtet er die Position der herrschenden Klasse Großbritanniens: “... meistens vergessen wir die 'große' Wahrheit. Es handelt sich um einen Versuch, die syrische Diktatur zu zerschlagen, nicht weil wir die Syrier lieben oder unseren früheren Freund Bashir al-Assad hassen, oder weil wir über Russland empört sind, dessen Platz im Pantheon der Heucheleien ziemlich eindeutig ist, wenn man all seine Reaktionen auf die vielen kleinen Stalingrads in ganz Syrien berücksichtigt. Nein, es geht in Wirklichkeit um den Iran und unseren Wunsch, die Islamische Republik und deren teuflischen Nuklearpläne zu zerschlagen – wenn es sie gibt. Der Krieg hat nichts zu tun mit Menschenrechten oder dem Recht oder dem Leben syrischer Babys. Welch ein Horror!” Und Jonathan Steele schrieb am 5. August im Guardian: “Was als friedlicher Aufstand begann und in eine Selbstverteidigung vor Ort überging, ist unter qatarischer, saudischer und US-amerikanischer Führung und mit britischer, französischer und israelischer Zustimmung längst vereinnahmt und zu einem Stellvertreterkrieg gegen den Iran geworden.”

Während das Regime für die meisten Morde in Syrien verantwortlich ist, liegt die Hauptverantwortung für die Ausbreitung des Krieges bei den USA, Großbritannien und dem französischen Hahn, dem „Sozialisten“ Hollande, der genauso daherstolziert kommt wie sein Vorgänger Sarkozy. Frankreich überbietet nun seine „Verbündeten“ und ruft die bunt zusammengewürfelte und untereinander zerstrittene syrische Opposition dazu auf, eine Exilregierung zu bilden, die es dann anerkennen würde. Und was die vom Westen unterstützte “Freie Syrische Armee” (FSA) angeht, berichtete schon am 17. November 2011 BBC in seinen Abendnachrichten über Gräueltaten, die von dieser begangen wurden. Am 18. Januar 2012 meldete der Guardian in einem Artikel über den ehemaligen CIA-Offizier Philip Giraldi, dass “das Nato-Mitglied Türkei zu Washingtons Handlanger geworden ist und dass unbekannte Nato-Flugzeuge in Iskenderum nahe der syrischen Grenze gelandet waren, um dort libysche Freiwillige und Waffen abzusetzen, die man Gadaffis Arsenal entnommen hatte. Ausbilder der französischen und britischen Spezialstreitkräfte sind vor Ort bereits im Einsatz und unterstützen syrische Rebellen, während die CIA und US-Spezialkräfte Kommunikationsausrüstung und Informationen zur Verfügung stellen.” (Auch wurde berichtet, dass britische und französische Spezialkräfte an der libanesisch-syrischen Grenze im Einsatz seien.) Die Libyen-Connection wurde in einem Bericht von RTE News am 14. August bestätigt, auch dass Führungsmitglieder der von westlichen Ländern ausgebildeten libyschen Rebelleneinheiten, die Gaddafis Anwesen stürmten, ebenso in Syrien aktiv sind. Sie führten syrische Truppen an, insbesondere Spezialisten der Kommunikation, Logistik und für schwere Waffen. [1] Am 26. Juli berichtete Newsnight, dass das türkische Militärs der FSA nachts LKW-Ladungen voll Waffen und Munition liefern und dabei von der CIA begleitet werden, um sicherzustellen, dass die Waffen „nicht in die falschen Hände geraten”. Der Daily Mirror meldete am 18. August, dass diese Waffen auch Boden-Luftraketen vom Typ Stinger umfassten. Dies klingt ziemlich glaubwürdig, da bereits eine Mig-23 über der Stadt Mohassen im Osten des Landes beim Angriff auf Rebellenpositionen abgeschossen wurde. Ebenso wurde ein Kampfhubschrauber abgeschossen, in Idlib wurde ebenfalls ein Kampfflugzeug getroffen. [2] Das Gerede von William Hague, dem britischen Außenminister, und der USA über den „friedlichen Beistand“ der FSA ist Unsinn angesichts ihrer Waffenlieferungen und den Waffenlieferungen ihrer saudischen und qatarischen Verbündeten.

Die Achse des „Widerstandes”

Der diplomatische Krieg wütet auch unter der Räuberbande der UN. Der Annan-„Friedensplan”, der hauptsächlich von Russland und China unterstützt wurde, wurde von den USA, Großbritannien und Frankreich sabotiert, die Sand ins Getriebe streuten, indem sie eine „alternative“ Resolution vorschlugen, die Annan wiederum als ein Versuch der “gegenseitigen Beschuldigungen und Bezichtigungen” ablehnte. Der Westen war nicht wirklich an irgendeinem Plan interessiert, der mit Gespräche aufwartet, während das Regime - von dem sie seit mehr als einem Jahr behaupten, es stehe am Rande des Zusammenbruchs – an der Macht bleibt. Sie waren lediglich daran interessiert, den Krieg fortzusetzen. Der Iran wiederum war in der Woche ab dem 27. August Gastgeber einer „blockfreien“ Konferenz in Teheran. Mehr als hundert Länder sandten Delegierte, auf deren Unterstützung der Iran setzte. Bemerkenswerterweise wartete auch der neue ägyptische Präsidenten, Mursi, mit einem Besuch auf, was neben seinen freundlichen Worten gegenüber dem Iran dem Westen Sorgen bereitet.[3]

Saheed Jalili, der Sicherheitschef des Irans, hatte zuvor im syrischen Fernsehen gesagt: „Iran wird nicht zulassen, dass die Achse des Widerstands, in der Syrien ein zentraler Bestandteil ist, zerbrochen wird.” (BBC, 7. August 2012). Doch die Beziehungen zwischen Teheran und der Hamas im Gaza-Streifen haben sich wegen der Entwicklung in Syrien bereits verschlechtert; auch haben die Kämpfe die syrisch-libanesische Grenze überschritten und die Hisbollah in Mitleidenschaft gezogen. Die „Achse des Widerstands“ ist in dieser Hinsicht etwas geschwächt worden, doch wird dies keineswegs den imperialistischen Drang des Iran abschwächen, dessen Truppen schon jetzt an der Seite der syrischen Armee kämpfen. Syrien ist in der Tat der Hauptverbündete Irans in der Region und zögert trotz der Ausdehnung des Krieges und der Instabilität nicht, seinen Verbündeten, die Demokratische Einheitspartei (PYD) zu benutzen, die umgekehrt die illegale kurdische Arbeiterpartei (PKK) unterstützt, welche wiederum die Kontrolle über etliche Städte in Nordsyrien an der Grenze zur Türkei ausübt (AFP, 2. 8.2012). Zurzeit verstärkt das türkische Militär massiv seine Truppen in diesem Gebiet, womit ein zusätzlicher, unberechenbarer Faktor zu diesem Chaos hinzukommt.

Die syrische Opposition?

Was steckt hinter dieser syrischen Opposition, die im westlichen Fernsehen auftritt und nach „Taten“ schreit?  Wer sind diese „demokratischen“ Sprecher im Exil, die auf ein militärisches Eingreifen dringen und Gespräche mit dem Assad-Regime verweigern? Charlie Skelton lüftete am 12. Juli 2012 im Guardian den Vorhang über dieser Schlangengrube, die auf höchster Ebene mit dem US-amerikanischen und britischen Staat verbandelt ist und seit den letzten sechs, sieben Jahren von diesen finanziert wird. [4] Der syrische Nationalrat (SNR) wird sowohl von den USA als auch von Großbritannien als „Hauptkoalition der Opposition“ (BBC) und als ein „rechtmäßiger Repräsentant des syrischen Volkes“ (William Hague, britischer Außenminister) anerkannt. Der ranghöchste Sprecher des Nationalrats ist Bassma Kodmani, die im Jahre 2005 von der Ford-Foundation – nach dem Zusammenbruch der US-syrischen Beziehungen – für ihre Arbeit gefördert wurde, um Geschäftsführerin der Arabischen Reforminitiative (ARI) zu werden. Diese ist mit der mächtigen US-amerikanischen Lobby-Gruppe, dem Rat für auswärtige Beziehungen (CFI) verbunden, das dem „US-Middle East Project“ zuarbeitet, welchem hochrangige Diplomaten, Nachrichtenoffiziere und Geschäftsleute angehören. Dieses wiederum ist verbunden mit dem British Centre for European Reform (CER), an dessen Spitze Lord Kerr steht, der frühere Chef der britischen Diplomatie. Wie Skelton schreibt, handelt es sich nicht um eine naive Aktivistin, die für die Demokratie eintritt, sondern um jemanden, der mit den höchsten Führungsspitzen der beiden Staaten sowie mit dem französischen Geheimdienst DGSE verbunden ist. Das gleiche trifft für ihre Kollegen im SNR zu. 2005, als die US-Außenpolitik sich gegen Syrien wandte, trafen sich Oppositionsführer in einem Washingtoner Regierungsgebäude. Auf dem Treffen, das vom Democracy Council der USA und der British Movement for Justice and Development gesponsert wurde, übernahm Joshua Mavchik, Autor des Leitartikels „Bombardiert Iran“ (2006), den Vorsitz. Skelton deckte die Verbindungen und Finanzquellen auf. [5]

Die Muslimbruderschaft, für die sich Großbritannien interessiert, hat sich mittlerweile von der FSA getrennt und beabsichtigt ihre eigenen bewaffneten Kräfte aufzustellen, die „Bewaffneten Truppen der Muslimbruderschaft“, von der ihre Führer behaupten, sie solle „das Bewusstsein für den Islam und den Dschihad verstärken“ (Daily Telegraph, 3.8.2012). Darüber hinaus gibt es auch Fundamentalisten, die von Saudi-Arabien und Qatar unterstützt werden, sowie ausländische Dschihadisten, die aus dem Irak zurückgekehrt sind und von denen einige unter dem losen Verbund der al-Qaida wirken, und libysche Söldner. Tolle Aussichten für die syrische Bevölkerung.

Wie sind die Perspektiven?

In einem Wort: düster. Sie sind schon düster für die Massen in Syrien. Und während der Vorstoß des Westens gegen den Iran ein offenes Geheimnis ist, ist der weitere Verlauf der Ereignisse nicht vorhersehbar. Auf jeden Fall kommen viele Gefahren auf die Region und darüber hinaus zu. Walid Dschumblat, der Führer der libanesischen Drusensekte, ein gewitzter politischer Veteran in der Region, sagte am 16.8.2012 dem Guardian: „Das ist die Enträtselung des Sykos-Picot-Abkommens.“ Er bezog sich auf das geheime englisch-französische Abkommen von 1919 zur Aufteilung der Einflussbereiche in der Levante nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches. Dieses Abkommen verschärfte die Instabilität und fachte die Konflikte an, die den Nahen Osten seit nahezu einem Jahrhundert verwüsten. Dschumblat meinte weiterhin: „Jetzt sehen wir das Ende dessen, was vor 90 Jahren geschaffen wurde. Die Folgen werden sehr, sehr schwerwiegend sein, wenn man nicht sorgfältig damit umgeht.“  Mit Verweis auf die britisch-französische Ausrichtung der Grenzen im Nahen Osten nach dem Ersten Weltkrieg und der Taktik des „Teile und herrsche“ sprach ein westlicher Diplomat von „nicht abgeschlossenen Fragen auf verschiedenen Ebenen“. Vor dem Hintergrund der globalen Schwächung der USA als Weltgendarm, der Tendenz Israels, auf eigene Faust zu handeln, und den zentrifugalen Tendenzen, die zu einem Auseinanderbrechen Syriens führen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass damit korrekt umgegangen wird. Das „Management“ der Großmächte bestand bislang eher darin, diesen Krieg und die Gefahr größerer Kriege weiter anzufachen.    

Baboon, 30.8.2012

 

1. Gerade ein Jahr nach dem Ende des Krieges in Libyen, an dem sich der Westen beteiligte, steckt Libyen in einem völligen Chaos mit der höchsten je registrierten Arbeitslosigkeit und bewaffneten Banden, die die zunehmend verarmte Bevölkerung terrorisieren. Der gesamte nordafrikanische Raum steht vor weiteren Kriegsgefahren und Terroranschlägen infolge der Entwicklung in Libyen.

2. Am 2. August berichtete der Daily Telegraph, dass die Taliban ein Büro im ostiranischen Zahedan eröffnet haben und iranische Truppen nach abgehörten Gesprächen aus dieser Gegend planen, Boden-Luft-Raketen an die Taliban in Afghanistan zu liefern. Der Iran hat die Taliban bereits mit recht einfachen Waffen versorgt, die diese gegen die USA in Afghanistan einsetzen, dies aber wäre – wenn es stimmt – eine richtige Eskalation.

3. Dies ist ein Teil des inter-imperialistischen Spiels. Ägypten hat erst kürzlich Avancen gegenüber China gemacht. Vor dem Libyenkrieg löste die Zustimmung Ägyptens für die Durchfahrt iranischer Kriegsschiffe durch den Suez-Kanal bei den USA und Großbritannien Alarm aus. Auf dem Treffen der „blockfreien Staaten“ jedoch hat der ägyptische Präsident Mursi die syrische Delegation in Rage versetzt und die Iraner verärgert, als er die „syrischen Rebellen“ mit den Palästinensern verglich.

4. www.theguardian.com/commentisfree/2012/jul/12/syrian-opposition-doing-the-talking

5. Siehe dazu „Syria, Imperialism and the Left, parts (1), (2) (3) auf libcom, geschrieben von rooieravotr. libcom.org/blog/syria-imperialism-left-1-08082012

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