Streikwelle in China

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Die chinesische Wirtschaft sei angeblich die Ausnahme von der globalen Krise des Kapitalismus. Was mögen wohl die Tausenden Arbeiter in China davon halten, die in den letzten Wochen an einer Streikwelle in vielen Landesteilen beteiligt waren?

Zu den am meisten bekannt gewordenen Kämpfen gehören die in den Honda-Werken, die bislang von drei Streikwellen betroffen waren, selbst nachdem in den ersten Streiks eine 24%ige Lohnerhöhung gewährt wurde. Bei Foxconn, dem Hersteller von IPods, wo es in der jüngsten Zeit eine Reihe von Selbstmorden gab, haben Streiks 70%ige Lohnerhöhungen durchgesetzt. Bei KOK Maschinenbau kam es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Arbeitern, als die Arbeiter daran gehindert werden sollten, den Streik auf die Straße zu tragen.

Diese Streiks wurden von den chinesischen Medien nicht totgeschwiegen, weil diese Firmen alle in ausländischem Besitz sind und die Auseinandersetzungen zu Propagandazwecken gegen Chinas regionale Konkurrenten aus Japan und Südkorea verwendet wurden. In Wirklichkeit aber haben sich auch Arbeiter aus vielen chinesischen Firmen in einer Reihe von Städten daran beteiligt. Auch wurden Polizei und andere Sicherheitskräfte an vielen Orten gegen die Arbeiter eingesetzt.

Die Ausdehnung der Streiks

Die Medien außerhalb Chinas haben schnell bemerkt, dass etwas Bedeutsames passierte. Mit Schlagzeilen wie „Der Aufstieg einer chinesischen Arbeiterbewegung“ (businessweek.com), „Neue Generation erschüttert Chinas Arbeitskräftemarkt“ (Reuters) und „Streiks und Arbeiterunruhen bringen China in die Klemme“ (Associated Press), erkennen die Herrschenden in ihrer eigenen groben Art, dass nach der nicht mehr zu leugnenden wachsenden Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse in China die gegenwärtige Bewegung etwas Bedeutsameres ist.

Der Associated Press Artikel (11.6.10) schreibt: „Die Behörden haben lange begrenzte, lokale Proteste von Arbeitern, die wegen ihrer Löhne oder anderer Fragen unzufrieden waren, toleriert; vielleicht haben sie damit die Notwendigkeit eines Ventils für solchen Frust erkannt“, aber die Financial Times (11.6.10) fügt hinzu, dass „es Hinweise gibt, dass die Arbeiterproteste in China viel weiter ausgedehnt und koordinierten sind als zuvor angenommen, und damit die Angst entsteht, dass diese Unruhen sich weiter selbständig ausbreiten und damit die Kosten für die Multis in die Höhe treiben könnten“. Ein im Daily Telegraph (10.6.10) zitierter Ökonom aus Hongkong meinte: „Nur ein kleiner Funke reicht jetzt und dann breitet sich die Kunde über ganz China aus, dann könnte es zu viel mehr Arbeitsniederlegungen in anderen Betrieben kommen.“

Kapital und Arbeit

Der Grund für die Arbeiterkämpfe und ihrer Tendenz, andere Arbeiter zu ermutigen und sich auszudehnen, wird von den “Experten” vertuscht. „Arbeiter halten sich mit Hilfe von Handys und QQ, ein Sofortnachrichtenwerkzeug, auf dem Laufenden. Sie vergleichen Löhne und Arbeitsbedingungen, oft mit Arbeitern aus ihren Heimatprovinzen und benutzten diesen Vergleich bei den Verhandlungen mit den Arbeitgebern, sagte Joseph Cheng, Professor an der City University Hong Kong. ‚[Arbeiterproteste] haben überall im Pearlflussdelta und im Jangtsedelta seit Anfang des Jahres infolge „Arbeitskräftemangel“ stattgefunden.“ (FT 11.6.10). Ein anderer „Experte“ fasst zusammen: „Ein Streik brach einfach aus, nachdem Arbeiter nach dem Versand von SMS zusammenkamen.“ (Dong Baohua, Rechtsprofessor an der East China University of Politics and Law). “Moderne Technologie lässt Streiks wahrscheinlicher werden” (ebenda).

Es stimmt, dass technologische Erneuerungen von den Arbeitern eingesetzt werden, aber dies liefert keine Erklärung dafür, warum Arbeiter streiken, und warum sie zusammenkommen möchten, um zu kämpfen. Der Grund hierfür liegt in den materiellen Bedingungen, unter denen die Arbeiter leben und arbeiten. Offiziellen Statistiken zufolge betrug der Anteil der Löhne in China am BIP 56% im Jahre 1983, im Jahre 2005 war er auf 36% abgesunken. In den letzten fünf Jahren hat einer von vier Arbeitern keine Lohnerhöhung erhalten. Wer immer von dem chinesischen Wirtschaftswunder profitiert haben mag, auf jeden Fall waren es nicht die Arbeiter. Jüngste Mindestlohnerhöhungen in einigen wichtigen Industriezentren wie Guangdong, Shandong, Ningxia und Hubei wurden als ein Versuch begründet, die Auswirkungen der Inflation auszugleichen, aber selbst in den staatlich kontrollierten Medien gesteht man ein, dass die Verhinderung von sozialen Unruhen ebenso eine Sorge ist.

In der offiziellen People’s Daily Online (9.6.10) titelte man: “Experten sagen mehr Arbeiterunruhen voraus”. Und weiter: „Die wachsenden Arbeiterunruhen, die von Südchina ausgingen, können dazu führen, dass in der nahen Zukunft Lohnerhöhungen zu einem allgemeinen Trend werden“. Man stellt dies als eine „Chance“ dar und vertuscht die Gründe für die Ursachen der Arbeiterunruhen. Aber wie alle Kapitalisten überall auf der Welt können sie rechnen, wie ein Offizieller die Investitionsplanungen der Hong Konger Geschäftswelt kommentierte: „Wenn die Lohnkosten steigen, werden die Profite fallen; dann mag es zu Verlagerungen von Arbeitsplätzen in andere Länder kommen, wo billiger produziert werden kann.

Sich innerhalb oder außerhalb der Gewerkschaften organisieren?

In China sind seit langem der Frust und die Ungeduld mit den Gewerkschaften angewachsen. Diese offiziellen staatlichen Institutionen halten nicht nur von Streiks ab und verhindern sie. Bei Honda sind sie direkt gewaltsam gegen Arbeiter vorgegangen, die sich wiederum gegen Gewerkschaftsoffizielle wehrten. Kein Wunder, dass Arbeiter nach anderen Organisationsformen suchen. In einem Artikel der New York Times (10.6.10) berichtete man: „zerstreute Streiks werden in immer mehr chinesischen Provinzen gemeldet, die bislang von Arbeiterunruhen verschont geblieben waren.“ Und dann berichtete der gleiche Artikel von den Ereignissen bei Honda. „Die Streikenden haben eine hochentwickelte, demokratische Organisationsform entfaltet, bei der sie Vertrauensleute wählen, die sie bei Verhandlungen mit dem Management vertreten. Sie verlangen auch das Recht auf Gründung einer Gewerkschaft außerhalb der durch die Regierung kontrollierten nationalen Gewerkschaften, die sich seit langem darauf konzentrieren, den Arbeitsfrieden zugunsten der ausländischen Investoren aufrechtzuerhalten.“

Während man hier die Regungen erkennen kann, die im Gange sind, muss man an dieser Stelle an die Erfahrung der Arbeiter in Polen 1980-1981 erinnern. Damals entfaltete sich eine Streikbewegung im ganzen Land, in der Vollversammlungen ihre Streikkomitees und andere Organisationsformen schufen. Die ganze Stärke dieser Bewegung wurde durch den Wunsch geschwächt, eine „freie Gewerkschaft“ zu gründen, die im Gegensatz zu den staatlich kontrollierten Gewerkschaften stehen sollte. Diese Idee nahm materielle Gestalt durch die Gründung von Solidarnosc an; eine Gewerkschaft, die darauf hinwirkte, von der Untergrabung der Bewegung Anfang der 1980er Jahre ein Sparprogramm unter Federführung von Lech Walesa (der 1980 der Vorsitzende von Solidarnosc wurde) als Staatspräsident Anfang der 1990er Jahre durchzuboxen.

Die Versuche von Arbeitern, ihre Kämpfe in die eigenen Hände zu nehmen, können verschiedene Formen annehmen – ob mit Vertrauensleuten, gewählten Streikkomitees, Delegationen zu anderen Betrieben oder Massenversammlungen, in denen Arbeiter selbst Entscheidungen zur Organisierung ihres Kampfes treffen. Es gibt keinen vorgezeichneten Verlauf, auch kann eine Bewegung Fehler machen. Wichtig ist die Dynamik einer Bewegung zu erkennen.

Im ersten Honda-Streik brachte eine Delegation, welche ziemlich deutliche Illusionen über die Möglichkeit von Gewerkschaften hatte, auch gleichzeitig sehr gute Ideen zum Ausdruck. „Wir kämpfen nicht nur für die Rechte von 1800 Arbeitern, sondern für die Rechte der Arbeiter im ganzen Land.“ Diese Arbeiter sprechen vielleicht eher von „Rechten“ als von Befreiung, aber sie zeigen klare Bestrebungen für eine Bewegung über einen einzigen Betrieb hinaus.

Obgleich in einem Absatz eines Dokumentes steht: “Es ist die Pflicht der Gewerkschaften, die Arbeiter und deren gemeinsame Interessen zu verteidigen und in den Arbeiterstreiks die Führung zu übernehmen“, entfalten sich auch andere Ideen. „Alle Kolleg/Innen in Honda Auto Parts Manufacturing Co. Ltd. Sollten sich zusammenschließen und sich nicht durch das Management spalten lassen. Wir sehen natürlich, dass es in unseren Reihen unterschiedliche Auffassungen geben kann. Wir rufen alle Kolleg/Innen auf, ihre Meinung den Arbeitervertretern mitzuteilen. Obgleich diese Vertreter nicht Arbeiter aller Abteilungen vertreten, nehmen sie die Meinung aller Arbeiter in der Firma ernsthaft und gleichberechtigt zur Kenntnis. Fließbandarbeiter, die sich an den Verhandlungen mit dem Management beteiligen möchten, können sich mittels einer Wahl der Delegation anschließen. Ohne die Bestätigung durch die Vollversammlungen werden die Delegierten keinem Vorschlag einseitig zustimmen, der unter den oben genannten Forderungen liegen sollte.“ Dies ist ein Auszug einer Übersetzung aus libcom.org. . Es ist aufschlussreich zu sehen, dass der Hinweis auf Einheit der Arbeiter in businessweek.com übersetzt wird als „Wir rufen alle Arbeiter dazu auf, die größtmögliche Einheit aufrechtzuerhalten und es nicht zulassen, dass die Kapitalisten uns spalten.“

Egal welche Formulierung am treffendsten ist, die Notwendigkeit der Arbeitereinheit gegen das „Management“ oder die „Kapitalisten“ ist für den Kampf der Arbeiterklasse grundlegend. Ob in China oder anderswo auf der Welt, überall stehen die Arbeiter der gleichen materiellen Triebkraft – der Krise – und der gleichen Frage gegenüber , wie wir uns gemeinsam wehren können. Car 11.6.10

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