Abschiebung der Roma - Sündenböcke und ein Schleier über die Sparpolitik

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Offensichtlich will Sarkozy weiter hart gegen die Migranten vorgehen. Nach der „Reinigung Frankreichs mit Hilfe des Kärchers“ (so seine Ausdrucksweise gegenüber den Unruhen in den französischen Vorstädten), mit dem Frankreich sich des „Unrats“ entledigen sollte, hat der französische Präsident nun eine verschärfte Unterdrückungspolitik gegenüber die Roma und Sinti angekündigt.

So wurden ca. einhundert Menschen eines Roma und Sinti-Lagers gewaltsam vertrieben, den Lagerbewohnern die Wohnwagen weggenommen, die Leute anschließend auf die Straße geworfen und schlimmer als Vieh behandelt - all das unter Waffenandrohung. Seit Ende Juli wurden mehr als 1000 Roma und Sinti aus Frankreich abgeschoben. Der Innenminister Hortefeux hofft, damit die Zahl von 9085 Abschiebungen nach Bulgarien und Rumänien im Jahre 2009 zu übertreffen, zumal seit Jahresbeginn schon mehr als 8.000 des Landes verwiesen wurden. Aber selbst im politischen Establishment Frankreichs äußerten mehrere „Stimmen“ ihre Ablehnung gegenüber dieser sehr fremdenfeindlich erscheinenden Politik, die einer Pogrompolitik gleicht. Lediglich Marine Le Pen und ihre Partei, die diese Politik seit mehr als 30 Jahren fordert, sowie die engsten Vertrauen Sarkozys wie Estro und… Kouchner haben die Haltung Sarkozys begrüßt,. Der Chef der französischen Diplomatie hat, und dabei konnte er sein Lachen wohl kaum unterdrücken, auf eine zweite Warnung der UNO mit den Worten reagiert: „Der Präsident der Republik hat nie eine Minderheit aufgrund ihres ethnischen Ursprungs benachteiligt“.

Selbst Villepin, der als Innenminister und schließlich als Premierminister unter Präsident Chirac zahlreiche migrantenfeindliche Maßnahmen unterzeichnet hatte, sprach sich vehement gegen diese Politik des Holzhammers aus, die einen „Makel auf der französischen Fahne“ hinterlasse. Bernard Debré, Abgeordneter der UMP aus Paris, zeigte sich „schockiert“ und unterstrich seinerseits das „Risiko des Abgleitens in die Fremdenfeindlichkeit und den Rassismus“. Es kommen einem die Tränen!

Die Sozialistische Partei (PS), die dieses Vorgehen ebenfalls verurteilte, erklärte ebenso wie Rocard, dass man „seit den Nazis solch ein Vorgehen nicht mehr“ gesehen habe; sie kritisierten Sarkozy, jedoch nur, um ihn bei dessen Anstrengungen zu ermutigen. In einer Stellungnahme vom 18. August kritisiert die PS die Regierung, dass sie in den nächsten drei Jahren 3.500 Stellen bei der Polizei streichen will. Sie verkündete: „Nie hat es solch eine große Kluft zwischen den Worten und den Taten einer Regierung gegeben. Wenn die PS die Regierung kritisiert, dann nicht, weil die Regierung zu heftig auf dem Gebiet der Sicherheit vorgeht, sondern weil sie nicht wirklich handelt.“ Ja, die PS seit Joxe, Cresson und selbst Rocard weiß, wovon sie redet, schließlich hat sie selbst in den 1980er Jahren die ersten Charterflüge zur Rückführung von Migranten veranlasst.

Doch ungeachtet der Kritik, die aus allen Ecken zu hören ist - ob vom Papst, von der UNO oder der Europäischen Union - und trotz des wachsenden Widerstands der französischen Bevölkerung gegen diese widerliche Diskriminierungspolitik kündigten Sarkozy und sein Migrationsminister, der ehemalige Sozialist Éric Besson, am 24. August eine „Beschleunigung der Abschiebung bulgarisch und rumänisch stämmiger Bürger“ an. Dabei bedeutet die Ausweisung, die oft heuchlerisch als freiwillige Rückkehr dargestellt wird, dass die Menschen vor Ort verfolgt werden. Und um die „Schmarotzer“ und „Kriminellen“ daran zu hindern, erneut 300 Euro „Ausweisungsprämie“ zu beantragen, beabsichtigen die Behörden, biometrische Daten zu erstellen, um ihre Wiedereinreise nach Frankreich zu verhindern.

Mit diesen Verlautbarungen und der besonders heftigen Unterdrückungspolitik gegenüber den Roma verfolgt die Sarkozy-Regierung mehrere Ziele. Zunächst geht es darum, sich auf eine Randgruppe einzuschießen, die oft als rückständig und ungebildet angesehen wird, die angeblich eine geschlossene und wenig verständigungsbereite Gruppe darstellt, die daher sehr leicht kriminalisiert und zu einem Sündenbock für die Wirtschaftskrise gemacht sowie als Rechtfertigung für die allgemeine Unterdrückungspolitik des französischen Staates verwendet werden kann. Am widerwärtigsten ist, dass dieses „Volk“, das ohnehin auf die Müllhalden dieser Gesellschaft gedrängt wird, leicht instrumentalisiert werden kann. Der von Sarkozy geführte Angriff gegen die Roma konnte zurzeit allenfalls Mitleid auslösen, aber keine aktive Solidarisierungswelle innerhalb der Arbeiterklasse, zumal die meisten Rückführungen während der Ferienzeit stattfanden. Abgesehen von den hochtrabenden und heuchlerischen Erklärungen der Politiker und bestimmter politischer Gruppen waren keine ablehnenden Stimmen zu vernehmen.

Dieser große Medienrummel dient aber auch dazu, von den sozialen Spannungen, die aller Voraussicht nach diesen Herbst zunehmen werden, abzulenken. Und natürlich dient diese Propaganda als Rechtfertigung für Massenverhaftungen oder andere repressive Maßnahmen, wie z.B. die Androhung hoher Strafen gegen Migrantenfamilien, deren Kinder in Konflikt mit der Polizei geraten sind. Die Eltern sollen juristisch für die Taten ihrer minderjährigen Kinder zur Verantwortung gezogen werden, wenn die Kinder für ein Vergehen verfolgt oder bestraft werden oder wenn sie gegen Verbote und Auflagen verstoßen. Den Eltern drohen Strafen von bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug und Geldstrafen in Höhe von 30.000 Euro, obwohl Arbeitslosigkeit, prekäre Lebens- und Arbeitsbedingungen und Armut diese Menschen oft gebrochen und außer Lage gesetzt haben, ihre Erziehungsrolle zu erfüllen.

Eines der Steckenpferde der neuen, von Sarkozy angekündigten Sicherheitsmaßnahmen ist die „Aberkennung der französischen Staatsbürgerschaft“. Eines der Argumente, die von den Befürwortern dieser Maßnahme vorgebracht werden, lautet : „Franzose zu werden ist ein Verdienst“ – ganz im Sinne von Raphaël Alibert, Justizminister unter Pétain, der im Juli 1940 ähnliche Worte gebrauchte, um ein Gesetz zu rechtfertigen, das die Schaffung einer „Kommission zur Überprüfung der Staatsangehörigkeit“ begründete, die später Hunderttausenden Franzosen deren Staatsangehörigkeit „aberkennen“ sollte, wobei es sich hauptsächlich um Juden handelte (2).

Solch eine Maßnahme kann natürlich heute nicht die gleiche Wirkung und denselben Einfluss haben wie 1940. Es handelt sich um eine sehr aufgeblasene Sache. Aber sie bietet den Vorteil, die Spaltung innerhalb der Arbeiterklasse, zwischen französischen und ausländischen Arbeitern zu verschärfen. Sie ermöglicht einen Medienrummel um ein falsches Problem, die Frage der „Nationalität“, die den Interessen der Ausgebeuteten völlig entgegensetzt ist.

Nein, eine Nationalität zu erwerben ist kein Verdienst, und die Arbeiter haben nichts damit am Hut. Wie das Kommunistische Manifest von 1848 schrieb: „Die Arbeiter haben kein Vaterland“. Die Arbeiter müssen gemeinsam, unabhängig von ihrer Hautfarbe und ihrer ethnischen oder nationalen Herkunft, diese Gesellschaft bekämpfen, die nichts als katastrophale Lebensbedingungen und eine schreckliche Zukunft für sie bereithält. Wilma, 27.08.2010

1) Und sein Kumpel Sarkozy war kein Opfer einer Verwechslung, als er Romas, „seit Jahrzehnten auf Wanderschaft befindliche Leute“ französischer Nationalität, Migranten und Delinquenten in einen Topf warf.

2) Sarkozy greift im Gegensatz zu Le Pen, dessen Wähler er abwerben will, nicht die Juden an. Laut jüdischer Tradition ist er übrigens selbst Jude, da seine Mutter Jüdin ist. Abgesehen davon, würde nach den Ereignissen des 2. Weltkriegs solch ein Verhalten seitens eines Präsidenten der Republik eher Unruhe stiften.

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