Euro-Krise: Tauziehen am Rande des Abgrunds

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Seitdem sie vor rund zweieinhalb Jahren mit der Insolvenz Griechenlands ausgebrochen war, ist die Staatsschuldenkrise zum Dauerbrenner in den Medien geworden, ist kaum ein Tag vergangen, ohne dass das Krisenmanagement der herrschenden Klasse Gegenstand der öffentlichen Diskussion war. Doch bisher konzentrierte sich der Diskurs auf die ökonomische und soziale Seite der aktuellen Krise und ignorierte weitgehend die politische Ebene, die sich hinter dem Tauziehen der Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone um den richtigen Ausweg aus dieser Krise verbirgt. Dabei trachtet gerade die deutsche Bourgeoisie danach, aus der Staatsschuldenkrise insbesondere der PIIGS-Staaten politisches Kapital zu schlagen, indem sie die Frage der politischen Union wiederbelebt.

Die Währungsunion: ein Mittel zur Domestizierung des deutschen Imperialismus

Mit dem Ende des Kalten Krieges 1989 war nicht nur der Nato, sondern auch der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als Bollwerk gegen den sowjetischen Imperialismus der Sinn abhanden gekommen. Für das durch die Wiedervereinigung endgültig zur stärksten Macht Europas aufgestiegene Deutschland Anlass genug, Europa neu zu interpretieren, d.h. nach der wirtschaftlichen nun auch die politische Vereinigung Europas anzustreben. Der Zeitpunkt schien günstig, einen europäischen Bundesstaat zu schaffen, dessen Strukturen „dem politischen System der Bundesrepublik nachgebildet“ (SPIEGEL, Nr. 36/2012) sind. Die neu erwachten imperialistischen Avancen Deutschlands stießen jedoch auf heftigen Widerstand seitens Großbritanniens und besonders Frankreichs. Die engen Kontakte der deutschen Bourgeoisie, die sich im Zuge der Abwicklung der DDR mit Jelzins Russland ergaben, die Expansion der deutschen Wirtschaft nach Mittel- und Osteuropa, die Einführung der „Deutschmark“ als heimliche Ersatzwährung in etlichen mitteleuropäischen Ländern und nicht zuletzt das emsige Treiben deutscher Dienste auf dem Balkan Anfang der 90er Jahre – all dies weckte in Paris, London und anderswo die alten Gespenster der „teutonischen Gefahr“.

Das jahrelange Ringen um die Deutungshoheit über Europa – gemeinsamer Wirtschaftsraum oder Vereinigte Staaten von Europa (was natürlich nicht die Überwindung oder gar Aufhebung der nationalen Grenzen bedeutet, sondern eine Neuordnung Europas nach deutschem Gusto)  – endete schließlich 1993 mit der Erkenntnis für den deutschen Imperialismus, dass die Trauben höher hängen als erwartet – und mit Maastricht und der Währungsunion. „Wieder einmal hat ein französischer Präsident demonstriert, dass der Euro nicht primär ein großer Schritt zum vereinten Europa ist, sondern ein Instrument, um die Dominanz der D-Mark zu beseitigen, äußerte Hans-Peter Schwarz in seiner Kohl-Biographie. In der Tat gelang es den Rivalen Deutschlands, mit der Gründung der EZB als obersten Währungshüter des Euro die Abhängigkeit der restlichen EU von den Entscheidungen der zumeist auf Stabilität der D-Mark bedachten Bundesbank zu lösen.

Das Fehlen einer politischen Dimension für die europäische Einheit, das hierzulande immer wieder als „Geburtsfehler“ der Währungsunion beklagt wurde, war aus der Sicht der Rivalen des deutschen Kapitals durchaus kein Versäumnis, sondern Kalkül. Maastricht war der goldene Käfig, in dem der deutsche Imperialismus eingeschlossen werden sollte.

Die politische Union: Der deutsche Imperialismus zwischen Wohl und Wehe

Kaum geriet die EU in die aktuelle „Schuldenkrise“, witterte die deutsche Bourgeoisie eine neue Chance. Zunächst hatte es den Anschein, als sei der Merkel-Regierung ein gewisser Erfolg bei ihren Bemühungen beschieden, den „Konstruktionsfehler“ des Maastrichter Vertrages zu beheben. So wurde die Aushandlung des Fiskalpaktes Anfang dieses Jahres hierzulande als Erfolg der deutschen Politik verbucht. Schließlich bedeutet er einen ersten substanziellen Schritt zu einer gemeinsamen europäischen Haushaltspolitik und einen kleinen Schritt zur politischen Union. Und nicht zuletzt die deutsch-französische Liaison unter Merkel/Sarkozy trug zur zeitweisen Stärkung der deutschen Stellung bei.

Spätesten mit dem Antritt des Sozialisten Hollande zum französischen Staatspräsidenten drehte sich der Wind wieder und bläst seither der deutschen Bourgeoisie ins Gesicht. Der beispiellose Absturz der griechischen Wirtschaft machte deutlich, dass das Spardiktat, das die Euro-Gruppe unter deutscher Federführung Griechenland aufzwang, die Lage nur noch weiter verschlimmerte. Allerorten geht das Gespenst der Rezession um, allein Deutschland weist noch ein geringes Wachstum auf. So stimmte Hollande in den Chor jener ein, die mehr „Solidarität“ Deutschlands mit den Südstaaten – die Schuldenunion - und eine Lockerung der strikten Geldpolitik der EZB – die Monetarisierung - fordern. Auf dem Euro-Krisengipfel Ende Juni war die Isolation Deutschlands innerhalb der Euro-Zone mit Händen zu greifen; es stand einer Phalanx der Südstaaten, mit Frankeich an der Spitze, gegenüber, die sich scheinbar erfolgreich gegen den deutschen Kurs stemmte. In den hiesigen Medien herrschte mehrheitlich die Meinung vor, dass Merkel in Brüssel einen weiteren Schritt in Richtung einer Vergemeinschaftung der Schulden gemacht habe. Den nächsten Kontrapunkt zum deutschen „Kurs“ der Geldstabilität setzte EZB-Präsident Draghi, als er ankündigte, „alles zu tun, um den Euro zu erhalten“, was von den Finanzmärkten prompt so verstanden wurde, dass die EZB italienische und spanische Staatsanleihen aufkaufen werde. Der Aufschrei war groß in Deutschland, allerdings nicht so sehr im politischen Berlin, sondern vielmehr in der Finanzhochburg Frankfurt. Während deutsche Finanzexperten, allen voran Bundesbankchef und EZB-Mitglied Weidmann, offen vor einem inflationären Sündenfall warnten, hielt sich die politische Klasse in Deutschland bedeckt, ja, übernahmen Schäuble und Merkel nahezu wortgleich die Formulierung Draghis.

Wenn Merkel und Schäuble sich jetzt „bewegen“ und ihre bisherigen Positionen etwas aufzuweichen scheinen, dann geschieht dies jedoch nicht, weil die deutsche Bourgeoisie plötzlich von der Alternative überzeugt ist, die die Südstaaten favorisieren: Die Vergemeinschaftung der Schulden via Eurobonds führt - neben der finanziellen Belastung Deutschlands – ohne deutsches Diktat möglicherweise zur Auflockerung der Sparpolitik in den besonders betroffenen Euro-Ländern. Und die Monetarisierung, sprich: die Herausgabe frischen Geldes durch die Notenpresse beschwört die Gefahr der Inflation herauf. Nein, sie tun dies, weil ihnen keine andere Wahl bleibt. Ein weiteres Beharren auf Schuldenabbau und Geldstabilität könnte einen verhängnisvollen Prozess in Gang setzen, in dessen Verlauf der Ausstieg Griechenlands aus der Euro-Zone nur der Anfang vom Ende der Euro-Zone, wenn nicht sogar der Europäischen Union ist.

Die Schuldenunion: Hintergründe für die deutsche Kursänderung

Allen Planspielen in deutschen Konzernen für den Fall einer Auflösung der Euro-Zone zum Trotz wäre ein Rückfall in den Zustand vor der Währungsunion aus wirtschaftlicher Sicht für den deutschen Kapitalismus eine Katastrophe - sowohl für den Finanzsektor, für Banken und Versicherungen, die Kredite in astronomischer Höhe in den Wind schreiben könnten, als auch für die sog. Realwirtschaft, für die die Euro-Zone und die EU insgesamt immer noch der größte Absatzmarkt darstellt.

Doch daneben spielen auch die Befürchtungen der deutschen Bourgeoisie vor dem eigenen Bedeutungsverlust in den globalen imperialistischen Auseinandersetzungen eine wichtige Rolle bei ihrem Abwägen zwischen den verschiedenen Alternativen.  Eine Auflösung der Euro-Zone und schlimmstenfalls der gesamten Union würde den imperialistischen Ambitionen der deutschen Bourgeoisie ein jähes Ende setzen. Ohne europäisches Hinterland drohte dem deutschen Imperialismus das Los, zum Spielball der interimperialistischen Auseinandersetzungen in einer - nach dem Aufstieg Chinas - zunehmend multipolaren Welt zu werden. So handelt es sich bei der „Kursänderung“ der deutschen Politik eher um einen taktischen Rückzug, um nicht die langfristige Strategie des deutschen Imperialismus zu gefährden: die Schaffung eines Europas unter deutscher Regie.

Doch das vielleicht wichtigste Motiv für das Einlenken der Merkel-Regierung ist die Furcht vor… der Arbeiterklasse. Das mag sich verwegen anhören, ist doch die Antwort der Arbeiterklasse auf die beispiellosen Angriffe besonders der spanischen, italienischen, portugiesischen, irischen und griechischen Bourgeoisie bisher alles andere als adäquat. Dennoch treibt die europäischen, insbesondere aber die deutsche Bourgeoisie die Sorge vor der sozialen Unruhe um. Auch wenn die Erinnerung immer mehr verblasst, wirkt das Trauma der revolutionären Welle von 1917-23 noch immer nach. Sicher, der verzweifelte Kampf der schwachen Arbeiterklasse Griechenlands gegen die existenzbedrohenden Angriffe hat den Herrschenden keinen großen Schrecken eingejagt. Anders verhält es sich dagegen, wenn die italienischen oder spanischen ArbeiterInnen auf den Plan treten, die mit ihrer zahlenmäßigen Stärke, ihrer Kampfkraft und nicht zuletzt dank ihrer historischen Erfahrung ein ganz anderes Gewicht im internationalen Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit darstellen. Und nicht auszumalen, wenn das französische Proletariat in Aktion tritt. Mit seiner Strahlkraft gerade gegenüber der deutschen Arbeiterklasse kann sein Kampf die Initialzündung für einen grenzüberschreitenden Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Generalangriff auf seine Lebensbedingungen sein. Wahrhaftig Grund genug für die Herrschenden, Kreide zu fressen.

9.9.2012

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