Teil II Die Kommunisten und die nationale Frage (1900-1920) (aus International Review engl. Ausgabe, Nr. 37, 1984)

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Die Debatte während der Jahre des 1. Weltkrieges

Die nationale Frage innerhalb der Zimmerwälder Linken

Jene Revolutionäre, die dem Kommunistischen Manifest und seiner zentralen Aussage: „Die Arbeiter haben kein Vaterland, Arbeiter aller Länder vereinigt Euch" treu geblieben sind, die sich in der Zimmerwälder Bewegung gegen den Krieg zusammengeschlossen hatten, waren schon bald gezwungen, sich dort als linker Flügel zu organisieren, um ihren klaren Klassenstandpunkt gegen die reformistische und pazifistische Mehrheit zu behaupten.

Diese Zimmerwälder Linke ist 1915 aus Erkenntnis folgenden Punkte gegründet worden:

- des imperialistischen Wesens des Krieges gegen die Lüge der „Vaterlandsverteidigung"

- der Notwendigkeit des Kampfes um die politische Macht und der proletarischen Revolution als einzige Antwort auf den Imperialismus

- dass der Beginn dieses Kampfes den aktiven Kampf gegen den Krieg bedeutet.

Wegen der Nichtzurückweisung des alten Minimalprogramms der Sozialdemokratie und des Kampfes um Reformen innerhalb des Kapitalismus musste dieser Kampf geführt werden, um „ generell jede soziale und politische Krise des Kapitalismus zu verschärfen, wie die Krise, die durch den Krieg hervorgerufen wurde, und um den Kampf in einen Angriff gegen die Festung des Kapitalismus zu verwandeln..... Unter der Losung des Sozialismus wird dieser Kampf die arbeitenden Massen unempfindlich machen gegenüber den Parolen der Versklavung eines Volkes durch ein anderes....". (Resolutionsentwurf der Zimmerwälder Linken von 1915)

Trotz des ständigen Festhaltens am Minimalprogramm, das für die aufsteigende Phase des Kapitalismus durchaus angebracht war, spiegeln die Positionen der Zimmerwälder Linken den Bruch in der historischen Epoche und innerhalb der Arbeiterbewegung wider. Es konnte nicht länger eine einfache Frage für das Proletariat sein, die bürgerlichen nationalen Bewegungen zu unterstützen, um den Kampf für Demokratie im Zusammenhang mit einer noch expandierenden kapitalistischen Produktionsweise voranzutreiben. Die Haltung des Proletariats gegenüber der Frage der nationalen Befreiung war nun untrennbar mit der Notwendigkeit verbunden, gegen den imperialistischen Krieg und gegen den imperialistischen Kapitalismus insgesamt zu kämpfen, mit dem unmittelbaren Ziel, die Bedingungen für die Machtübernahme durch das Proletariat herzustellen.

Innerhalb der Zimmerwälder Linken haben die Bolschewiki sehr klar und deutlich die generelle, historische Auffassung der Revolutionäre zum nationalen Befreiungskampf dargelegt.

„Den wirklich nationalistischen Kriegen, die insbesondere in die Epoche von 1789 - 1871 fielen, lag ein lang andauernder Prozess nationaler Massenbewegungen zugrunde, ein Prozess des Kampfes gegen den Absolutismus und Feudalismus, der Beseitigung nationaler Unterdrückung und der Schaffung von Nationalstaaten als Voraussetzung der kapitalistischen Entwicklung.

Die durch diese Epoche erzeugte nationale Ideologie, hinterließ tiefe Spuren in der Masse des Kleinbürgertums und in einem Teil des Proletariats. Das machten sich die Sophisten der Bourgeoisie und die hinter ihnen hertrottenden Verräter des Sozialismus heute, in einer ganz anderen, der imperialistischen Epoche, zunutze, um die Arbeiter zu spalten und sie von ihren Klassenaufgaben und vom revolutionären Kampf gegen die Bourgeoisie abzulenken. Mehr denn je bewahrheiten sich heute die Worte des „ Kommunistischen Manifests": „die Arbeiter haben kein Vaterland." Nur der internationale Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie kann den unterdrückten Massen den Weg für eine bessere Zukunft erschließen".

Innerhalb dieses Zusammenhanges fand die Debatte über die nationale Frage zwischen den verschiedenen Fraktionen der Zimmerwälder Linken statt. Diese Debatte, hauptsächlich zwischen den westeuropäischen Kommunisten einerseits und Lenin andererseits, konzentrierte sich anfangs darauf, ob es für das Proletariat möglich sei, die Losung des „Rechts der Nationen auf Selbstbestimmung" zu unterstützen. Häufig wurde sie entlang der Linien der Vorkriegspolemiken zwischen Lenin und Rosa Luxemburg geführt, aber sie weitete sich unvermeidlich aus auf hauptsächlich zwei grundlegende Fragen, die sich durch den Eintritt des Kapitalismus in seine imperialistische, dekadente Phase stellten:

war es für das Proletariat innerhalb des Kapitalismus noch möglich, für ein „Minimalprogramm" mit demokratischen Zielen zu kämpfen, was auch das Recht auf Selbstbestimmung beinhalten würde?

Waren fortschrittliche nationale Kriege, die es dem Proletariat erlauben, die Bourgeoisie zu unterstützen, noch möglich?

Während Lenin beide Fragen ausdrücklich bejahte, begannen andere Linke wie die Deutschen, Holländer, Polen und andere um die russische Gruppe Kommunist innerhalb der bolschewistischen Partei um Bucharin und Piatakow vorsichtig mit „Nein" zu antworten, indem sie die Losung der Selbstbestimmung zurückwiesen und in Anbetracht der neuen Bedingungen der kapitalistischen Dekadenz die Ziele des Proletariats herauszuarbeiten versuchten.

Diesen Fraktionen, die dazu neigten, sich um

(Resolution über den Charakter des Krieges, angenommen auf der Berner Konferenz der Bolschewistischen Partei 1915, Lenin Werke Band 21, Seite 148f.) die Theorie des Imperialismus, wie sie von Rosa Luxemburg verteidigt wurde, zusammenzuschließen, gelang es im Vergleich zu dem rückwärts gewandten Denken Lenins am besten, die nationale Frage in der Dekadenz zu begreifen. Dieser war nämlich ungern bereit, Elemente jenes veralteten Minimalprogramms aufzugeben, weile es möglicherweise noch eine wichtige Rolle in der proletarischen Revolutionen in Russland und den rückständigen Ländern Osteuropas und Asiens spielen könnte.

Ist es dennoch möglich für Demokratie zu kämpfen?

Als sich Bucharin dem Recht der Nationen auf Selbstbestimmung als einer proletarischen Taktik auf der Berner Konferenz der Bolschewistischen Partei 1915 entgegenstellte, war Lenin der erste, der erklärte, man könne nicht einen Punkt des proletarischen Kampfes um Demokratie zurückweisen, ohne diesen Kampf selbst infrage zu stellen: Wenn die Selbstbestimmung in der imperialistischen Epoche unmöglich war, waren dann nicht auch alle anderen demokratischen Ziele unmöglich zu erreichen? Lenin warf das Problem auf, wie das Erscheinen des Imperialismus mit dem Kampf um Reformen und Demokratie zu verbinden sei. Von diesem Standpunkt aus kritisierte er die Position Bucharins als „imperialistischen Ökonomismus", d.h. die Verwerfung der Notwendigkeit eines politischen Kampfes, damit eine Kapitulation vor dem Imperialismus (1).

Aber Bucharin hat nicht die Notwendigkeit des politischen Kampfes im Ganzen zurückgewiesen, nur die Gleichsetzung des politischen Kampfes mit dem Kampf für das Minimalprogramm. Bucharin und die Gruppe Kommunismus stellten das Problem als Notwendigkeit für das Proletariat dar, einen entschiedenen Bruch mit den Methoden der Vergangenheit zu vollziehen und neue Taktiken und Losungen anzuwenden, die im Einklang mit der Notwendigkeit standen den Kapitalismus durch die proletarische Revolution zu zerschlagen. Während Kommunisten früher den Kampf für Demokratie befürworteten, bekämpften sie ihn nun. Wie Bucharin in einer späteren Erläuterung seiner Position weiter ausführte: „.....es ist selbstredend völlig klar, dass die besonderen Losungen und Ziele der Bewegung vollständig von dem Charakter der Epoche abhängen, in der sich das kämpfende Proletariat bewegt. Die vergangene Epoche war die des Zusammenziehens der Kräfte und der Vorbereitung der Revolution. Die gegenwärtige Phase ist die der Revolution selbst, und dieser gravierende Unterschied verursacht die elementaren Unterschiede in den konkreten Losungen und Zielen der Bewegung. Das Proletariat brauchte in der Vergangenheit die Demokratie, da es bislang außerstande war, in realistischen Begriffen über die Diktatur nachzudenken. ....Demokratie war insofern hilfreich, dass sie dem Proletariat ermöglichte, einen Schritt höher in seinem Bewusstsein zu kommen, aber das Proletariat war gezwungen, seine Klassenforderungen in einer „demokratischen Form" vorzutragen.....Aber es gibt keinen Grund, aus der Notwendigkeit eine Tugend zu machen....Es ist Zeit für den direkten Angriff auf die gegnerische kapitalistische Festung und für die Unterdrückung der Ausbeuter gekommen...". (Die Theorie der Diktatur des Proletariats, 1919)

Die Periode der fortschrittlichen bürgerlichen Demokratie nun vorüber war, und der Imperialismus dem Kapitalismus seitdem innewohnt, war es utopisch und reaktionär zugleich, anti-imperialistische Forderungen vorzubringen, die die kapitalistischen Verhältnisse intakt ließen. Die einzige Antwort auf den Imperialismus war die proletarische Revolution:

„Die Sozialdemokratie muss keine Minimalforderungen auf der Ebene der gegenwärtigen Außenpolitik fordern (…) Jede Forderung von „Teilzielen", jede Forderung nach der „Befreiung von Nationen" innerhalb des Reiches der kapitalistischen Zivilisation, bedeutet die Ablenkung der proletarischen Kräfte von der aktuellen Problemlösung und ihr Bündnis mit den Kräften der entsprechenden national-bürgerlichen Gruppen....Die Losung der „Selbstbestimmung der Nationen" ist vor allem utopisch (sie kann nicht innerhalb der Grenzen des Kapitalismus verwirklicht werden) und als Losung ist sie schädlich, weil sie Illusionen verbreitet. Insofern unterscheidet sie sich nicht von anderen Losungen wie des Arbeitergerichtshofes, der Abrüstung etc, die die Möglichkeit eines so genannten „friedlichen Kapitalismus" vorgaukeln". (

Aber Bucharin ging weiter in seiner Zurückweisung des Minimalprogrammes in der imperialistischen Epoche, indem er die Notwendigkeit jener Taktiken und Losungen aufzeigte, die aufzeigten, dass das Proletariat den kapitalistischen Staat zerschlagen müsse. Während in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus der Staat die allgemeinen Bedingungen für die Ausbeutung durch die einzelnen Kapitalisten sichergestellt hatte, brachte die imperialistische Epoche den Aufstieg einer militaristischen Staatsmaschine mit sich, die das Proletariat direkt ausbeutete. Zugleich änderten sich die Besitzverhältnisse, der individuelle Kapitalbesitz wurde ersetzt durch den gesellschaftlichen Besitz um (in Trusts, Syndikaten etc) gebündelte kapitalistische Strukturen und auch der Verschmelzung dieser Strukturen mit dem Staat. Diese Tendenz hin zu einem Staatskapitalismus breitete sich von der Ökonomie über alle Bereiche des sozialen Lebens aus: „All diese Organisationen haben eine Tendenz sich miteinander zu verbinden und in eine Organisation der Herrschenden umgewandelt zu werden. Dies ist der neueste Entwicklungsschritt, er wird besonders während des Krieges deutlich... Somit entsteht eine allumfassende Organisation, der moderne imperialistische Piratenstaat, eine allmächtige Organisation bürgerlicher Herrschaft...und wenn nur die höchstentwickelten Staaten diese Stufe erreicht haben, dann bewirkt jeder Tag und besonders jeder Tag des Krieges, dass sich dies überall ausbreitet." (Der imperialistische Piratenstaat, 1915)

Die einzige Kraft, die sich diesen vereinten Kräften der gesamten Bourgeoisie entgegenstellen konnte, war die Massenaktion des Proletariats. Die erste Aufgabe der revolutionären Bewegung bestand darin, seine fundamentale Opposition gegenüber dem Staat zu zeigen, was eben bedeutete, jedwede Unterstützung für egal welches Land zurückzuweisen. (2)

Gegen diesen breiten Angriff auf das Minimalprogramm und die Zurückweisung der Selbstbestimmung durch die meisten westeuropäischen Linken schrieb Lenin 1916 „Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen (Thesen) .

Von Beginn an war er durch die Notwendigkeit, die Unterstützung der reaktionären bürgerlichen Demokratie und des demokratischen Staates objektiv zu vermeiden, in die Defensive gedrängt. So musste er Bucharin darin zustimmen, dass:

-„Die Herrschaft des Finanzkapitals, wie des Kapitals überhaupt, ist durch keinerlei Umgestaltungen auf dem Gebiete der politischen Demokratie zu beseitigen." (Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, These 2, Bd 22, S. 146) „(...).alle grundlegenden Forderungen der politischen Demokratie sind beim Imperialismus nur unvollständig, verstümmelt und als eine seltene Ausnahme (zum Beispiel die Abspaltung Norwegens von Schweden im Jahre 1905)" ebda, These 2, S. 146). (3)

- Die Bildung neuer Nationen (Polen, Indien etc) wird, so erklärte er, in Zukunft Ergebnis eines „geringfügigen Wechsels" in den politischen und strategischen Beziehungen zwischen den größeren imperialistischen Mächten sein.

Lenins Position beruhte auch auf der Erkenntnis, dass die Natur der neuen Periode einen Bruch mit der alten reformistischen Methode des Kampfes erforderte: „Ganz im Gegenteil, man muss all diese Forderungen nicht reformistisch, sondern entschieden revolutionär formulieren, sich nicht auf den Rahmen der bürgerlichen Legalität beschränken, sondern diesen Rahmen zerbrechen (...) die Massen mit in den aktiven Kampf hineinziehen, den Kampf um jede demokratische Forderung bis zum direkten Ansturm des Proletariats auf die Bourgeoisie verbreiten und anfachen, das heißt ihn zur sozialistischen Revolution, die die Bourgeoisie expropriiert, führen" (ebenda, S. 146).

Kapitalismus und Imperialismus konnten nur durch die ökonomische Revolution überwunden werden. Nichtsdestoweniger:

„ Es wäre ein großer Fehler zu glauben, dass der Kampf um die Demokratie imstande wäre, das Proletariat von der sozialistischen Revolution abzulenken oder auch nur diese Revolution in den Hintergrund zu schieben, zu verhüllen und dergleichen. Im Gegenteil, wie der siegreiche Sozialismus, der nicht die vollständige Demokratie verwirklicht, unmöglich ist, so kann das Proletariat, das den in jeder Hinsicht konsequenten, revolutionären Kampf um die Demokratie nicht führt, sich nicht zum Siege über die Bourgeoisie vorbereiten."( Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, Bd 22, S. 145)

Dies ist kurz gesagt Lenins ganzes Argument, aber mit Blick auf die Argumente, die dagegen erhoben wurden, bleiben zwei Schlüsselfragen unbeantwortet:

- In der imperialistischen Epoche, in der die bürgerliche Demokratie reaktionär war, was war da der Gehalt des Kampfes für Demokratie?

- Wie konnte das Proletariat vermeiden, letztendlich praktisch den militaristischen und imperialistischen Staatsapparat zu unterstützen?

Zweifellos wusste Lenin um diese Probleme, aber er konnte sie nicht lösen. Der Imperialismus, so stimmte er zu, verwandelte die Demokratie in eine Illusion- aber zeitgleich förderte er demokratische „Sehnsüchte" unter den Massen, d.h. es existierte ein Widerspruch zwischen der imperialistischen Leugnung von Demokratie und dem „Streben" der Massen nach Demokratie.

Was sich in Lenins Position konzentrierte, war die fortdauernde Notwendigkeit des Kampfes für die Arbeiterklasse nicht um den kapitalistischen Staat zu zerschlagen, nicht jetzt sogleich zumindest, sondern in ihm zu arbeiten und seine Einrichtung dafür zu gebrauchen, weitere demokratische Reformen zu erringen: „Die marxistische Lösung der Frage der Demokratie besteht darin, dass das seinen Klassenkampf führende Proletariat alle demokratischen Einrichtungen und Bestrebungen gegen die Bourgeoisie ausnutzt, um den Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie, den Sturz der Bourgeoisie vorzubereiten". (Lenin, Antwort auf Kijewski (J..Pjatakow) 1916, in Lenin Werke Bd. 23, Seite 15)

Vor der Februarrevolution waren sich Lenin und Kautsky darin einig zu glauben, dass die marxistische Haltung gegenüber dem Staat darin bestand, dass das Proletariat die Staatsgewalt übernehmen und dazu benutzen sollte, den Sozialismus zu errichten. Er kritisierte Bucharins Position als unmarxistisch und halbanarchistisch, indem er nochmals betonte, dass Sozialisten dafür wären, die bestehenden Staatsinstitutionen zu benutzen.

Aber noch während er 1916 die Antwort an Bucharin formulierte, änderte er seine Position und kehrte zurück zu Marx`s Originalschriften, wonach es notwendig ist, den bürgerlichen Staatsapparat zu zerschlagen. Er betonte, dass das wirklich Bedeutende des Erscheinens der Arbeiterräte 1905 die besondere Form der Diktatur des Proletariats, die Alternative zur bürgerlichen Staatsmacht war. Die Zurückweisung Bucharins wurde stattdessen als Broschüre „Staat und Revolution" besser bekannt, worin er klar für die Zerschlagung des bürgerlichen Staates eintrat.

Wie auch immer, trotz dieser elementaren Klärung der Haltung gegenüber dem Staat und trotz seines entschlossenen Kampfes um die Ausführung der Losung „alle Macht den Räten" im Oktober 1917, gab Lenin seine theoretische Sicht von der „demokratischen Revolution" nicht auf. So folgerte er zum Beispiel in seinen „April Thesen", nachdem die Staatsmacht nun an die Bourgeoisie übergegangen sei, „die bürgerlich-demokratische Revolution in Russland abgeschlossen sei". In seinem Programm schloss er auch die Notwendigkeit für das Proletariat ein, bürgerlich-demokratische Aufgaben, einschließlich der Selbstbestimmung in dem Kampf um die Räteherrschaft mit durchzuführen. Wie Bucharins es formulierte, blieb seine Position bezüglich der „nationalen Frage" auf der Ebene der Befürwortung des Staates stecken. Seine Position war größtenteils beeinflusst durch die Bedingungen, mit denen das Proletariat in den unterentwickelten kapitalistischen Ländern konfrontiert war. Sie basierte auf überholten Konzepten, die eher für die aufsteigende Phase des Kapitalismus geeignet waren als für die der imperialistischen Dekadenz.

Thesen zum Recht auf Selbstbestimmung, 1915)

Sind nationale Kriege noch fortschrittlich?

Seit der Periode der nationalen Kriege, womit eine bestimmte historische Periode, allgemein zwischen 1789 und 1871 gemeint ist, muss zuerst bezüglich der oben gestellten Frage erstens geklärt werden, ob diese Phase definitiv mit dem Ausbruch des Krieges 1914 beendet war und zweitens, ob diese zweifellos imperialistische und reaktionäre Natur dieses Krieges ein generelles und unverrückbares Charakteristikum der Kriege in der neuen Periode darstellt.

Während die europäische Linke erneut damit begann, tendenziell beide Fragen mit „Ja" zu beantworten, verhielt sich Lenin zögerlich trotz eines hohen Maßes punktueller Zustimmung.

Diese ganze Streitfrage war offensichtlich überlebenswichtig für die Zimmerwälder Linke, die mitten im imperialistischen Krieg die bürgerlichen Lügen von der Vaterlandsverteidigung und dem Sterben für irgendein Land denunzierten. Wenn einige Kriege fortschrittlich und revolutionär genannt werden könnten, dann sollten die Internationalisten die Arbeiterbewegung dazu aufrufen, in einem solchen Einzelfall ihr Vaterland zu verteidigen.

Wie Bucharin ausführte, im Kriegsfall wurde dies zur Klassengrenze: „Die wichtigste Frage der Taktiken unserer Zeit ist die Frage der so genannten Landesverteidigung. Das genau ist die Trennungslinie zwischen der ganzen Welt der Bourgeoisie und des Proletariats. Diese Frage selbst beinhaltet eine Täuschung, da sie nicht das Land als solches betrifft, d.h. seine Bevölkerung, sondern die Staatsorganisationen..." (Der imperialistische Piratenstaat).

Deshalb: „Die Aufgabe der Sozialdemokratie ist gegenwärtig eine Propaganda der Gleichgültigkeit im Hinblick auf das Vaterland, auf die „Nation" etc, was bedeutet, die Frage überhaupt nicht in einer „pro-staatlichen" Art zu stellen...(Proteste gegen eine Staatsauflösung) sondern im Gegenteil die Frage in einer ausgesprochen revolutionären Art und Weise zu stellen, mit klarem Blick auf die Staatsmacht und das gesamte kapitalistische System". (These 7, zum Recht auf Selbstbestimmung, 1915)

Bucharin zeigte auf, dass aus der konkret unter Kriegsbedingungen angewandten Losung der Selbstbestimmung, die Unabhängigkeit gewährte und das Recht auf Loslösung zustand, nichts anderes wurde als eine Variante der Vaterlandsverteidigung, die es nötig machte, materiell die Grenzen der neuen unabhängigen Staaten in der kapitalistischen Arena zu verteidigen. Was anderes könnte diese Forderung in der Praxis bedeuten? So

„Daraus ergibt sich, dass wir keinesfalls und unter keinen Bedingungen eine Großmacht unterstützen werden, die den Aufstand und die Revolte unterdrückter Nationen bekämpft; ebenso wenig werden wir proletarische Kräfte unter der Losung des „Rechts der Nationen auf Selbstbestimmung" mobilisieren. In diesem Fall wird unser Ziel darin bestehen, die Kräfte des Proletariats in beiden Nationen (gemeinsam mit anderen) zu gewinnen unter der Losung eines Klassenkrieges für den Sozialismus und für eine Propaganda gegen eine Mobilisierung von Kräften unter der Losung vom „Recht auf Selbstbestimmung der Nationen".

Die deutsche Linke, die ihrerseits auf dem Boden von Rosa Luxemburg stand, die in der Junius Broschüre erklärt hatte, die Nation

- der unbestrittene imperialistische Charakter des Weltkrieges bedeutete nicht, dass nationale Kriege nicht doch möglich seien. Im Gegenteil, sie seien unvermeidlich und fortschrittlich.

- während die Verteidigung des Vaterlandes im Falle eines Krieges zwischen rivalisierenden imperialistischen Mächten reaktionär war, seien in einem „echten" nationalen Krieg die Sozialisten nicht dagegen, zur nationalen Verteidigung aufzurufen.

Lenin konnte nicht akzeptieren, dass der Eintritt des Kapitalismus in seine imperialistische Phase einen jeden Krieg reaktionär werden ließ. Dies ist daran zu erkennen, dass er ausdrücklich die Notwendigkeit der Einschätzung des jeweiligen Krieges betonte und er sich weigerte zu akzeptieren, dass das offensichtlich imperialistische Wesen der expandierenden Länder Europas und Amerikas einen Wechsel im gesamten kapitalistischen System bedeutete, dem selbst die rückständigen Länder Asiens und Afrikas nicht entrinnen konnten. In den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern war die Zeit der nationalen Kriege vorüber, aber in Osteuropa sowie in den kolonialen und halbkolonialen Ländern stünden die bürgerlichen Revolutionen noch auf der Tagesordnung; es gebe durchaus nationale Befreiungskämpfe gegen die großen imperialistischen Mächte, sie seien nicht nur tote Buchstaben, und auf diesem Hintergrund wäre die Verteidigung des Vaterlandes in diesen Fällen auch fortschrittlich. Ferner köonnten nationale Kriege selbst in Europa nicht für unmöglich erachtet werden (trotzdem meinte er, dass sie untypisch seien), beispielsweise im Falle von kleinen besetzten und unterdrückten Nationen gegenüber den Großmächten. Er nannte das hypothetische Beispiel eines im Kriegsfall durch Deutschland besetzten Belgiens um die Notwendigkeit für die Sozialisten aufzuzeigen, das Recht der belgischen Bourgeoisie auf Selbstbestimmung zu unterstützen.

Lenins Widerstand gegen eine Zustimmung zu dem viel schlüssigeren Argument der deutschen Linken, die von der Unmöglichkeit der nationalen Kriege ausgingen, rührte hauptsächlich von seinem sehr pragmatischen Ansatz her. Er wollte eine mögliche Bewegung oder ein Ereignis nicht ausschließen, das behilflich sein könnte, eine Krise im kapitalistischen System herbeizuführen, was wiederum durch das Proletariat genutzt werden könnte. „Die Dialektik der Geschichte ist derart, dass die kleinen Nationen, die als selbständiger Faktor im Kampf gegen den Imperialismus machtlos sind, die Rolle eines der Fermente, eines der Bazillen spielen, die dem wahren Gegenspieler des Imperialismus, dem sozialistischen Proletariat, auf den Plan zu treten helfen" (Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung, Bd 22, S. 365). „Wir wären sehr schlechte Revolutionäre, wenn wir es nicht verstünden, im großen Befreiungskampf des Proletariats für den Sozialismus jede Volksbewegung gegen die einzelnen Bedrängnisse des Imperialismus zur Verschärfung und Ausweitung der Krise auszunutzen" (ebenda, S. 366).

Lenin war nicht am Schicksal der nationalistischen Bewegung an sich interessiert, wohl aber an ihrer Fähigkeit, den Griff der imperialistischen Großmächte mitten im Weltkrieg zu schwächen. Deshalb stellte er die irische Rebellion von 1916 auf die gleiche Ebene wie die kolonialen Aufstände in Afrika und die Meutereien unter den Kolonialtruppen in Indien, Singapur etc. Sie seien ein Ausdruck der sich verschärfenden Krise des Imperialismus.

Wir wollen das konkrete Beispiel der irischen nationalistischen Rebellion von 1916 nehmen, um einige Gefahren dieser Anschauung zu beleuchten. Für Lenin war die Rebellion Beweis der Unterstützung seiner Position, wonach die Förderung der nationalistischen Haltung unterdrückter Nationen nur ein aktiver und positiver Faktor im Kampf gegen den Imperialismus sein könnte. Hiermit befand er sich im Gegensatz zu anderen wie Radek und Trotzki, die sagten, dass es ein hoffnungsloser Putsch ohne ernsthafte Unterstützung gewesen sei, was deutlich mache, dass die Ära der nationalen Befreiungskämpfe tot sei.

Lenin behauptete nicht, dass eine proletarische Massenbewegung hinter der Rebellion stand, die als „ein Straßenkampf eines Teils des städtischen Kleinbürgertums mit Beteiligung eines Teils der Arbeiter" äußerte. Die wirkliche Frage war die der Klassennatur von solchen nationalistischen Revolten gegenüber dem Proletariat oder um es anders zu benennen: helfen solche Bewegungen „die wirklich antiimperialistischen Kräfte, das sozialistische Proletariat, zu stärken", (Lenin) oder stärken sie die imperialistische Bourgeoisie?

Lenin vollzog einen gefährlichen Schritt, als er solchen nationalistischen Aktionen antikapitalistisches Potential zuschrieb. Trotz ihrer reaktionären Phantasien sagte er, „werden sie objektiv das Kapital angreifen", und das Proletariat muss sie lediglich vereinen und lenken, um den Prozess der sozialen Revolution voranzubringen. Aber ohne in die ganze Geschichte der „irischen Frage" einzusteigen, können wir sagen, dass sie klare Fakten liefert, die Lenins Idee widerlegen.

Der Osteraufstand von 1916 drückte dem Klassenkampf des irischen Proletariats den nationalistischen Stempel auf. Schon ermüdet durch Teilniederlagen der Vorkriegskämpfe mobilisierte er die Arbeiter tatkräftig für die bewaffneten Kämpfe des südirischen Nationalismus. Trotz mangelnder Sympathie unter den Massen der Arbeiter für diesen verzweifelten Militärputsch dienten die späteren massenhaften Terrorkampagnen des britischen Staates nur dazu, die Desorientierung der Arbeiter zu vervollständigen und sie in die Arme der reaktionären Nationalisten zu treiben. Er führte ins Massaker und die systematische Sabotage auch der letzten Zeichen eines selbständigen Klassenkampfes gegen das Kapital, d.h. sowohl gegen die britischen „Black and Tans" und die republikanische IRA.

Diese Niederlage eines relativ geschwächten und isolierten Teils der Weltarbeiterklasse durch die vereinten Kräfte der irischen und der britischen Bourgeoisie konnte nur zur Stärkung des weltweiten Imperialismus führen, dessen oberstes Interesse es ist, seinen Todfeind, die Arbeiterklasse zu schlagen.

Die irische Rebellion zeigt deutlich, dass alle Fraktionen der Bourgeoisie, auch die so genannten unterdrückten Nationen Partei für den Imperialismus ergreifen, wenn sie mit der Gefahr der Zerstörung des Ausbeutersystems konfrontiert sind, auf welches sich alle ihre Privilegien stützen.

Mit Rückblick können Revolutionäre heute nur feststellen, dass die Geschichte Lenin widerlegt hat und die Linke trotz ihrer Verwirrungen grundsätzlich Recht hatte.

Die Lehre der irischen Rebellion besagt, dass jede Unterstützung des Nationalismus zu Zeiten der dekadenten Epoche des Kapitalismus direkt zur Unterordnung des Klassenkampfes unter die imperialistischen Kriege führt.

(These 8, ebda) würden die internationalen Kräfte des Proletariats zersplittert und ihr Klassenkampf auf nationalistischen Boden gedrängt:„fungiert nur noch als notdürftiger Deckmantel imperialistischer Bestrebungen und als Kampfschrei imperialistischer Rivalitäten, als einziges und letztes ideologisches Mittel, womit die Volksmassen für ihre Rolle des Kanonenfutters in den imperialistischen Kriegen eingefangen werden können". Eben diese deutsche Linke verwarf ganz deutlich die Idee von fortschrittlichen, nationalen Kriegen in der imperialistischen Epoche: „In der Ära der Entfesselung des Imperialismus sind nationale Kriege nicht länger möglich. Nationale Interessen dienen nur dem Vorwand, die arbeitenden Massen des Volkes unter die Herrschaft ihres ärgsten Feindes, des Imperialismus zu bringen". (These 5 der Gruppe Internationalen zu den Aufgaben der Internationalen Sozialdemokratie, 1916) In seiner energischen Erwiderung unterließ Lenin es, solch allgemeine Schlussfolgerungen hinsichtlich des Wesens der neuen Periode zu ziehen:

Lenin gegen die Leninisten

Lenins Forderung, alle nationalen Revolten zu unterstützen, wurde von der Bourgeoisie unweigerlich als Entschuldigung missbraucht, um die Arbeiter und Bauern in zahllose Blutbäder unter den Fahnen von Nationalismus und Antiimperialismus zu stürzen.

Wie auch immer, ein Blutstrom trennt das Schlimmste von Lenins Irrtümern von den „besten" Positionen, die von den stalinistischen, trotzkistischen und maoistischen Schlächtern des Proletariats verteidigt werden, die sich selbst als seine wahren Erben bezeichnen. Es ist ferner notwendig, den originalen, kritischen Gehalt der Schriften Lenins aus den Händen jener zu entreißen, die wie die Bordigisten der IKP (Kommunistisches Programm) und anderen, die es als Teil des revolutionären Lagers vorzogen, mit all jenen Irrtümern der Vergangenheit verbunden zu bleiben, auch wenn sie gefährlich nahe dazu führen, die äußerst reaktionären kapitalistischen Cliquen im Namen der „nationalen Befreiung" zu verteidigen. (siehe hierzu die International Review Nr.32 (engl. Ausgabe) „Für eine grundlegende Auseinandersetzung mit den Irrtümern und den jüngsten Zersetzungserscheinungen der IKP)

Lenin war sich stets über die Gefahren der Unterstützung des Nationalismus durch die Revolutionäre bewusst und betonte ausdrücklich die Notwendigkeit für das Proletariat, seine Einheit und Unabhängigkeit gegenüber allen Kräften der Bourgeoisie zu bewahren- selbst wenn es bedeutete, dass seine Position in der Praxis schwieriger umzusetzen und widersprüchlicher war. Selbst als er die Revolutionäre aufrief, jede Revolte gegen den Imperialismus zu unterstützen, fügte er hinzu: „sofern es keine Revolte der reaktionären Klasse ist". Was die Linken wie Rosa Luxemburg wesentlich deutlicher darlegten, war, dass das nationalistische Element in allen Revolten gegen die blutige Unterdrückung der imperialistischen Großmächte immer von der reaktionärsten Klasse –der Bourgeoisie - eingepflanzt worden wurde, um die Bedrohung durch die wirkliche Klassenrevolte zu ersticken. Die Revolutionäre haben die Aufgabe, eine ganz klare Trennungslinie zwischen Nationalismus und Klassenkampf zu ziehen, da nur letzterer in der imperialistischen Epoche für die Menschheit einen Fortschritt bedeutet.

Die ganze Zeit über schränkte Lenin seine Position ein, um die stets präsente Gefahr der Unterordnung des Klassenkampfes unter den nationalen Kampf auszuschließen, so wie das bei der Kapitulation vor der demokratischen Staatsmaschine oder vor der Bourgeoisie in den „unterdrückten Nationen" geschah. Die marxistische Haltung in der nationalen Frage hat stets den absoluten Vorrang des Klassenkampfes betont: „Im Gegensatz zu den kleinbürgerlichen Demokraten sah Marx in allen demokratischen Forderungen ausnahmslos nicht etwas Absolutes, sondern einen historischen Ausdruck des von der Bourgeoisie geleiteten Kampfes der Volksmassen gegen den Feudalismus. Es keine der demokratischen Forderungen, die nicht unter bestimmten Umständen als Werkzeug des Betruges gegen die Arbeiter von Seiten der Bourgeoisie dienen konnte oder gedient hätte. Daher wäre es theoretisch grundsätzlich falsch, eine der politischen Forderungen der Demokratie, nämlich das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, in dieser Hinsicht auszusondern und den übrigen Forderungen entgegenzustellen. In der Praxis kann das Proletariat nur dann seine Selbständigkeit bewahren, wenn es den Kampf für alle demokratischen Forderungen, die Republik nicht ausgenommen, dem revolutionären Kampf für die Niederwerfung der Bourgeoisie unterordnet" (These 5, ebenda, S. 150).

Demzufolge musste Lenin seine Position konkret festlegen, um eben diese Notwendigkeit der Verteidigung der internationalen Einheit der Arbeiterklasse auszudrücken und dieses oberste Anliegen der Revolutionäre in Einklang zu bringen mit seiner ‚Teilung’ des Proletariats in zwei Lager – in das der unterdrückten Nationen und in das der unterdrückenden Nationen -.

Das war für ihn „die schwierigste und wichtigste Aufgabe". Während das Proletariat der Unterdrückernationen die Freiheit der Trennung von den Kolonien fordern muss und die kleinen Nationen vom „eigenen" Imperialismus unterdrückt werden „müssen die Sozialisten der unterdrückten Nationen auf die vollständige und bedingungslose, auch organisatorische Einheit der Arbeiter der unterdrückten Nation mit denen der unterdrückenden Nation besonders bestehen und sie ins Leben rufen. Ohne dies ist es unmöglich, auf der selbständigen Politik des Proletariats sowie auf seiner Klassensolidarität mit dem Proletariat der anderen Länder bei all den verschiedenen Streichen, Verrätereien und Gaunereien der Bourgeoisie zu bestehen". (These 4, S. 149)

Wie oft zitieren dies die heutigen „Leninisten", die sich für die nationalen Befreiungskriege begeistern? Lenin war da ganz deutlich: Bei fehlender Klasseneinheit des Proletariats, einschließlich seines organisierten Ausdruckes, sei die Arbeiterklasse nicht in der Lage, ihre Selbständigkeit gegenüber dem Klassenfeind zu verteidigen. Der Klassenkampf wird dem nationalen Kampf untergeordnet, der in Wirklichkeit nur der Kampf des Imperialismus um einen Anteil am Weltmarkt ist, wobei das Proletariat in diesem Kampf zum Kanonenfutter für die eigene Bourgeoisie wird. In der Tat, der Schlachtruf des Kommunistischen Manifestes: „Die Arbeiter haben kein Vaterland, Arbeiter der Welt vereinigt euch" wurden verwandelt in: „Arbeiter aller so genannter unterdrückter Länder verteidigt euer Vaterland".

Es ist eben dieses wechselseitige Element in Lenins Position der Unterstützung der Selbstbestimmung, das heutige Linke verwerfen bzw. verheimlichen, aber es ist das zentrale Element zur Verteidigung des proletarischen Internationalismus seitdem es, in welch verdrehter praktischer Art auch immer, die Position der globalen Interessen der Arbeiterklasse beinhaltet.

An andere Stelle in seinen Schriften wies Lenin eine abstrakte oder unkritische Unterstützung nationaler Bewegungen entschieden zurück:

„Erstens gibt es keine einzige demokratische Teilforderung und kann es keine geben, die nicht zu Missbräuchen führen könnte, wenn man den Teil nicht dem Ganzen unterordnet; wir sind nicht verpflichtet, ‚jeden’ Unabhängigkeitskampf oder ‚jede’ republikanische oder antiklerikale Bewegung zu unterstützen" (Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung ebenda, S. 357).

Die allgemeinen Interessen des Klassenkampfes könnten verworfen werden durch die Unterstützung dieser oder jener nationalistischen Bewegung: „Es ist möglich, dass die republikanische Bewegung in einem Lande nur das Werkzeug einer klerikalen oder einer finanzkapitalistisch-monarchistischen Intrige andere Länder ist – dann dürfen wir diese gegebene, konkrete Bewegung nicht unterstützen" (ebenda, S. 348).

Und aus dem Beispiel von Marx`s Weigerung, den tschechischen Nationalismus im 19. Jahrhundert zu unterstützen, zog Lenin die Schlussfolgerung, falls die proletarische Revolution in einigen größeren Ländern ausbrechen sollte, die Revolutionäre einen „revolutionären Krieg" gegen die anderen kapitalistischen Nationen befürworten, die als Bollwerk der Revolution agieren. Er war dafür, sie mit all ihren Vorposten zu zerschlagen, auch wenn es zur Bildung von nationalen Befreiungskämpfen in diesen Gebieten kommen könnte.

Währenddessen es für Lenin möglich war, dass nationale Befreiungsbewegungen als Waffen der imperialistischen Mächte agierten, war dies für Luxemburg und Bucharin ein allgemeines und unvermeidbares Phänomen der imperialistischen Phase des Imperialismus. Auch wenn er nicht über den Vorteil ihres zusammenhängenden theoretischen Ansatzes verfügte, war Lenin unter dem Gewicht der Argumente schlussendlich gezwungen, sich zumindest in deren Richtung zu entwickeln. Bezeichnenderweise war er nun gezwungen einzugestehen, dass die Losung der polnischen Unabhängigkeit unter den damaligen Bedingungen utopisch und reaktionär war. Er ging sogar soweit zu sagen, „selbst eine Revolution in Polen allein würde hier nichts ändern, die Aufmerksamkeit der polnischen Massen würde aber abgelenkt werden von der Hauptsache: vom Zusammenhang des Kampfes mit dem Kampf des russischen und deutschen Proletariats". (Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung, 8., Bd 22, S. 358). Aber er weigerte sich, von diesem „besonderen" Beispiel ausgehend, eine allgemeine Schlussfolgerung zu ziehen.

Einige Schlüsse aus der Debatte der Zimmerwälder Linken.

Neben der grundlegenden Methode gab es einen Punkt, an dem alle Teilnehmer in der Debatte der Zimmerwälder Linken übereinstimmten, ein Punkt, der sooft in der Diskussion über die Unterstützung nationaler Bewegungen entweder vergessen oder nur wie ein Lippenbekenntnis gehandhabt wird: nur der Klassenkampf der Arbeiter eröffnet eine Zukunft für die unterdrückten Klassen der Menschheit. Nirgendwo, selbst nicht in Lenins verwirrtesten Stellungnahmen zu dieser Frage, finden wir eine Andeutung, dass der dekadente Kapitalismus anders als durch die gewalttätige proletarische Revolution zerschlagen werden kann.

Was Lenin, Bucharin, Luxemburg und die anderen antrieb, war ob, und in welchem Umfang nationale Kämpfe dazu beitragen könnten, die finale Krise des Kapitalismus zu verschärfen und sich positiv auf den revolutionären Kampf auswirken könnten, indem diese nationalen Kämpfe mithalfen, das ganze morsche Gebäude des Imperialismus zu schwächen.

Trotz der überwiegenden Übereinstimmung der Grundpositionen in dieser Debatte gab es einen ziemlich großen Teil der Arbeiterbewegung, der fühlte, dass ein wirklicher Bruch mit der alten Theorie und Praxis nicht vollzogen werden musste. Für Lenin schien es so, dass die Arbeiter durch die Unterstützung von nationalistischen Bewegungen nichts zu verlieren hätten, da sie sich alle in dieselbe Richtung, hin zur Zerstörung des Kapitalismus bewegten. Heute haben wir genügend Beweise von den unzähligen Massakern der nationalistischen Fraktionen, die sie an Arbeitern begangen haben. Sie reichen aus, um einen eigenen lebendigen Beitrag zu dieser Debatte zu leisten, der die Erkenntnis einschließt, dass der Klassenkampf und der Nationalismus im all seinen Formen nie gleiche Interessen haben: Der Nationalismus ist immer eine Waffe in der Hand des Feindes, die er gegen den Klassenkampf einsetzt.

Die Revolutionäre, die mutig aber zögerlich vorschlugen, dass die Zeit für einen deutlichen Bruch mit der Vergangenheit gekommen war, stellten die Vorhut des proletarischen Versuches dar, die Welt zu begreifen, in der sie lebten und kämpften. Ihr Beitrag und insbesondere die Theorie von Rosa Luxemburg bezüglich der gesamten Frage des Imperialismus und der finalen Krise des Imperialismus ist ein grundlegender Eckpunkt der Arbeit der Revolutionäre in der dekadenten Epoche.

Was Lenins Position in der nationalen Frage angeht, wissen wir, dass sie von der Bourgeoisie dazu missbraucht wurde, um alle Arten von reaktionären Befreiungskriegen zu rechtfertigen. Es ist kein „Zufall", dass die Linke des Kapitals, auf der Suche nach einer Rechtfertigung für ihre Teilnahme an imperialistischen Kriegen im Namen des Marxismus eben diesen Weg des Nachplapperns von Lenins Schriften gewählt hat, die genug gefährliche Schachstellen beinhalten und eine Hintertür offenlassen für die Verbreitung einer der Eckpfeiler der bürgerlichen Ideologie.

Sicher, Lenin kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, auf welche Art und Weise die Bourgeoisie im Kielwasser der Niederlage der proletarischen Revolution, für die er so hart gekämpft hatte, seine Worte verdrehte. Gegenüber den Anarchisten und Libertären, für die Lenin stets ein bürgerlicher Politiker war, der den Marxismus doch nur benutzte, um seinen Kampf um die Macht zu rechtfertigen, können wir auf die Art verweisen, mit welcher die bürgerliche Konterrevolution gezwungen war, den gesamten Debattenzusammenhang, an dem Lenin teilnahm, zu pervertieren bzw. die lebendigen Prinzipien, die er verteidigte, zu verheimlichen und zu unterdrücken, um eben seinen Beitrag des revolutionären marxistischen Inhaltes zu berauben.

Aber indem wir dieses sagen, müssen wir nicht wie die Bordigisten den Fehlern der Vergangenheit folgen. Bei vielen der o.g. Punkte finden wir bei Lenin gefährliche Schwächen und Zweideutigkeiten, die wir ganz entschieden zurückweisen müssen, um heute klare Klassenpositionen verteidigen zu können.

In einem weiteren Artikel wollen wir die tragischen und praktischen Konsequenzen des bolschewistischen Nichtverstehens der nationalen Frage nach dem Oktober 1917 durch die Politik des sowjetischen Staates aufzeigen. S. Ray

  • (1) Einige der anderen Argumente gegenüber der Position der Linken waren, so muss man sagen, sehr schwach. So zum Beispiel, Bucharin und Piatakow seien durch den Krieg(!) „deprimiert", der Ursprung der holländischen und polnischen Linken liege in der Geschichte ihrer relativ kleinen Nationen, was natürlich nichts darüber aussagt, warum es dann die beherrschende Position war, die seinerzeit von der westeuropäischen Fraktion der Zimmerwälder Linken, einschließlich der deutschen Linken übernommen wurde.
  • (2) Bucharins Position bezüglich der bürgerlichen Staatsmacht und seine Begeisterung für die Massenaktionen der Arbeiter rührte teilweise aus den Arbeiten von Pannekoek und der deutschen Linken, mit welcher die Gruppe Kommunismus im Krieg im Exil zusammengearbeitet hatte. In seiner Vorkriegspolemik gegen Kautsky hatte Pannekoek ausgeführt, dass „der proletarische Kampf nicht nur ein Kampf gegen die Bourgeoisie um die Macht ist, sondern ebenso ein Kampf gegen die Staatsmacht". (Massenaktion und Revolution, 1911) Die proletarische Antwort auf die blutige Repression durch die Bourgeoisie war der Massenstreik.
  • (3) Es sollte hervorgehoben werden, dass die Trennung Norwegens von Schweden 1905 das einzige Beispiel war, das Lenin jemals im Rahmen seiner Selbstbestimmungspolitik vorweisen konnte, weshalb es auch immer wieder in seinen Schriften hervorgehoben wird. Ohne es zu sehr zu vertiefen, können wir sagen, dass es genügend Besonderheiten gab, die es zu einer sehr zerbrechlichen Grundlage für eine allgemeine Position machten. Sie fand am Vorabend der Dekadenz des Kapitalismus statt, in einer Region außerhalb der großen kapitalistischen Kernländer, in einem Land mit einem recht kleinen proletarischen Anteil. Außerdem hat die norwegische Bourgeoisie immer ein hohes Maß an politischer Autonomie bevorzugt. Und ihre formelle Unabhängigkeit wurde letztendlich deswegen erreicht, weil die schwedische Bourgeoisie bereit war dieser zuzustimmen, weswegen sie auch gleich mit einem Referendum darüber einverstanden war.

In dem 1.Artikel dieser Serie in der Internationalen Review Nr.34 untersuchten wir die Haltung der Kommunisten in Bezug auf die nationale Frage am Vorabend der dekadenten Epoche des Kapitalismus, im Besonderen die Debatte zwischen Lenin und Rosa Luxemburg. In dieser Debatte ging es darum, ob die Arbeiterklasse die Losung des „Rechts der Nationen auf Selbstbestimmung" unterstützen soll oder nicht.

Wir kamen zu dem Schluss, dass selbst wenn einige nationale Befreiungskämpfe gegenüber den Interessen der Arbeiterklasse progressiv erscheinen, eine solche Losung zurückgewiesen werden muss.

Mit der Kriegserklärung 1914 stellte sich eine Reihe neuer Fragen für die Arbeiterbewegung.

In diesem Artikel möchten wir einen Blick auf die ersten Versuche einer Antwort der Kommunisten werfen, sowie ihre Folgerungen im Hinblick auf die Frage der Unterstützung aller nationalen Kämpfe.

Eine der besonderen Funktionen der revolutionären Kräfte besteht immer darin, die Situation, mit der ihre Klasse konfrontiert ist, bestmöglich zu analysieren. Die Debatte innerhalb der Zimmerwälder Linken während des 1. imperialistischen Weltkrieges um die Frage des nationalen Befreiungskampfes war ein lebendiger Prozess, die Bedingungen, die sich durch die Konfrontationen des Klassenkampfes stellten, zu herauszuarbeiten; neue, noch nie da gewesene Bedingungen der globalen kapitalistischen Kriegsführung, ungezügelter Imperialismus und massive Staatskontrolle.

60 Jahre später ist die Debatte nicht die Gleiche und es gibt keinen Grund, dass die Revolutionäre die Unzulänglichkeiten und Irrtümer wiederholen.

Die Erfahrung der Klasse hat zum einen Antworten gegeben und gleichzeitig auch neue Probleme aufgeworfen. Aber wenn heute die proletarischen Minderheiten nicht dieselbe Haltung von schonungsloser Kritik und praktischer Forschung an den Tag legen, und stattdessen sich an Losungen festklammern, die eher in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus Gültigkeit hatten, dann versäumen sie ihre Pflichten und weisen die gesamte Methode von Lenin, Luxemburg und der linken Fraktion zurück. Es ist eben diese Methode, die die IKS dazu gebracht hat, die Position von Lenin in der nationalen Frage zu verwerfen und die von Rosa Luxemburg weiter zu entwickeln.

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

Erbe der kommunistischen Linke: