Kommunismus IV

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Wie das Proletariat sich organisiert, um den Kapitalismus zu stürzen

In den vorherigen Artikeln dieser Serie haben wir gesehen:

- warum der Kommunismus heute nicht nur für das Gedeihen der Menschheit, sondern auch für ihr nacktes Überleben notwendig ist;

- warum er zum ersten Mal in der Geschichte nicht mehr nur ein schöner Traum, sondern – aufgrund der Tatsache, dass die Menschheit heute die materiellen Bedingungen besitzt, um diesen riesigen Schritt nach vorn zu machen –eine reelle Möglichkeit ist;

-- warum der Mensch wirklich fähig ist, solch eine Gesellschaft in Gang zu setzen und in ihr zu leben;

-- warum es trotz der Entfremdung, die auf dem Bewusstsein des Menschen lastet, eine Klasse in der Gesellschaft gibt - das Proletariat - die in der Lage ist, ihren Kampf gegen die Ausbeutung und Unterdrückung in einen Kampf für die Etablierung einer neuen Ordnung zu verwandeln, der Ausbeutung, Unterdrückung und alle Klassenteilungen abschafft.

In diesem Artikel setzen wir unsere Untersuchung der Perspektiven des Kommunismus fort und betrachten, wie das Proletariat sich selbst organisieren kann, um die Revolution durchzuführen.

Lange Zeit haben die Revolutionäre gemeinsam mit dem Proletariat in seiner Gesamtheit nach einer Antwort auf die Frage gesucht, wie sich die Arbeiter selbst organisieren können, um die Revolution durchzuführen. Zunächst wurden (von Babeuf bis Blanqui) kleine konspirative Sekten bevorzugt. Danach schienen unterschiedliche Arbeitergesellschaften wie Gewerkschaften und Kooperativen oder jene in der Internationalen Arbeiterassoziation (die Erste Internationale, 1864 gegründet) versammelten Gruppierungen diese Selbstorganisation der Arbeiterklasse mit dem Ziel ihrer Emanzipation zu repräsentieren. Anschließend stellten sich die großen Massenparteien, die in der Zweiten Internationalen (1889 – 1914) versammelt waren, und die ihnen angeschlossenen Gewerkschaften als Hebel der gesellschaftlichen Umwandlung dar. Doch die Geschichte zeigte, dass, auch wenn diese Organisationsformen die Arbeiterklasse in bestimmten Entwicklungsstufen in die Lage versetzten, gegen die Ausbeutung zu kämpfen und sich über die Ziele dieses Kampfes bewusst zu werden, keine von ihnen dazu geeignet war, ihre historische Aufgabe tatsächlich zu vervollständigen: die Zerstörung des Kapitalismus und die Etablierung des Kommunismus. Erst als die historischen Bedingungen des Kapitalismus selbst die proletarische Revolution auf die Tagesordnung setzten, fand die Arbeiterklasse die geeignete Organisationsform, um diese Mission auszuführen: die Arbeiterräte. Ihr Erscheinen in Russland 1905 bedeutete einen Wendepunkt in der Geschichte der kapitalistischen Gesellschaft, das Ende ihrer progressiven Epoche, ihren Eintritt in die Dekadenz, in die “Ära der imperialistischen Kriege und proletarischen Revolutionen”, wie die Revolutionäre nach und nach begriffen. Auch wenn seit Blanqui die Revolutionäre bereits die Notwendigkeit der Errichtung der Diktatur des Proletariats als einen Hebel zur gesellschaftlichen Umwandlung kannten, konnte die konkrete Form dieser Diktatur erst mit der Erfahrung der Klasse selbst und noch dazu mit Verspätung deutlich werden. In die Fußstapfen der alten Konzepte von Marx und Engels tretend, schrieb Trotzki noch 1906, fünfundzwanzig Jahre nach 1871: “Der internationale Sozialismus meint, dass die Republik die einzig mögliche Form für die sozialistische Befreiung ist, vorausgesetzt, dass das Proletariat sie aus den Händen der Bourgeoisie reißt und umwandelt’ von einer Maschine zur Unterdrückung einer Klasse durch eine andere’, damit sie zu einer Waffe für die sozialistische Emanzipation der Menschheit wird”.

Die Arbeiterräte: die Diktatur des Proletariats in Gestalt

So wurde lange Zeit eine “wahrhaft demokratische Republik”, in der die proletarische Partei eine führende Rolle spielen sollte, als Gestalt und Form der Diktatur des Proletariats betrachtet. Erst mit der Revolution von 1917 begriffen die Revolutionäre und insbesondere Lenin wirklich, dass die “endlich gefundene Form” der Diktatur des Proletariats nichts anderes als die Macht der Arbeiterräte war, jenen Organen, die im Verlauf der revolutionären Kämpfe in Petrograd 1905 spontan entstanden waren und die sich auszeichneten durch:

-ihr Zustandekommen auf der Grundlage allgemeiner Versammlungen

-die Wahl und jederzeitige Abwählbarkeit der Delegierten

-die Einheit zwischen Beschlussfassung und –ausführung (Abschaffung der Trennung zwischen Legislative und Exekutive);

-die Umgruppierung und Zentralisierung nicht auf der Basis der Industrie oder Gewerkschaft, sondern im territorialen Rahmen (so sollen sich die Arbeiter nicht nach Berufszweigen sammeln, sondern mit allen anderen Arbeitern der Fabrik, der Stadt, der Region etc., um die Delegierten des Arbeiterrats dieses Gebietes zu wählen).Diese besondere Form der Organisation der Arbeiterklasse ist direkt den Aufgaben angepasst, die das Proletariat in der Revolution erwarten.Denn sie ist an erster Stelle eine allgemeine Organisation der Klasse, die alle Arbeiter in sich sammelt. Alle früheren Formen, einschließlich der Gewerkschaften, gruppierten nur einen Teil der Klasse um sich. Zwar reichte dies für die Arbeiterklasse, um zur Verteidigung ihrer Interessen innerhalb des Systems Druck auf den Kapitalismus auszuüben, doch erst durch ihre Selbstorganisation in toto ist die Klasse im Stande, die Zerstörung des Kapitalismus einzuleiten und den Kommunismus zu etablieren. Als die Bourgeoisie ihre Revolution machte, reichte es aus, dass lediglich ein Teil dieser Klasse die Macht übernahm. Deshalb bildete sie einen kleinen Teil der Bevölkerung, deshalb war sie eine ausbeutende Klasse und deshalb konnte sich nur eine Minderheit der Bourgeoisie über die Interessenskonflikte erheben, die aus den wirtschaftlichen Rivalitäten zwischen den vielfältigen Bereichen herrührten. Innerhalb der Arbeiterklasse herrschen solche Rivalitäten nicht. Da die Gesellschaft, die etabliert werden soll, alle Ausbeutung und alle Klassenteilungen abschafft, ist die Bewegung, die dahin führt, “Die proletarische Bewegung ist die selbständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl”(Kommunistisches Manifest) Daher ist nur die Selbstorganisation der Klasse in ihrer Gesamtheit geeignet, diese historische Aufgabe zu erfüllen.

An zweiter Stelle drücken Wahl und sofortige Abwählbarkeit der Amtsträger den eminent dynamischen Charakter des revolutionären Prozesses aus – die unaufhörliche Umwälzung der gesellschaftlichen Bedingungen und die konstante Entwicklung des Klassenbewusstseins. So sind jene, die für diese oder jene Aufgabe oder aufgrund der Tatsache nominiert werden, dass ihr Maß an Verständnis einem bestimmten Bewusstseinsniveau entspricht, nicht immer notwendigerweise auf der Höhe der Zeit, wenn neue Aufgaben auftauchen oder das Bewusstseinsniveau steigt.

Wahl und Abwählbarkeit von Delegierten drücken gleichermaßen die Negation aller definitiven Spezialisierungen durch die Klasse aus, aller Teilungen zwischen den Massen und den “Führern”. Die wesentliche Aufgabe Letzterer (die meist entwickelten Elemente der Klasse) ist es tatsächlich, alles zu tun, um die Bedingungen zu eliminieren, die ihr Auftreten veranlassen: die Heterogenität des Bewusstseins innerhalb der Klasse.

Wenn in den Gewerkschaften ständige Funktionäre existieren konnten, auch als Erstere noch Organe der Arbeiterklasse waren, so war dies der Tatsache geschuldet, dass die Verteidigungsorgane der Arbeiterinteressen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft gewisse Charakteristiken der Gesellschaft in sich trugen. Gleichermaßen reproduzierte das Proletariat, wenn es spezifisch bürgerliche Instrumente wie das allgemeine Wahlrecht und das Parlament benutzte, gewisse Züge seines bürgerlichen Feindes. Die statische gewerkschaftliche Organisationsform drückte die Kampfmethode der Arbeiterklasse aus, als die Revolution noch nicht möglich war. Die dynamische Form der Arbeiterräte ist das Ebenbild der Aufgabe, die letztlich zur ersten Pflicht wird: die kommunistische Revolution.

Gleichermaßen drückt die Einheit zwischen Entscheidung und Ausführung die gleiche Negation aller institutionalisierten Spezialisierungen durch die revolutionäre Klasse aus. Sie zeigt, dass die gesamte Klasse nicht nur die wesentlichen Beschlüsse fasst, die sie betreffen, sondern auch an der praktischen Umwandlung der Gesellschaft teilnimmt.

An dritter Stelle drückt eine Organisation auf territorialer (und nicht gewerkschaftlicher oder industrieller) Grundlage die unterschiedliche Natur der proletarischen Aufgaben aus. Als es allein darum ging, Druck auf eine Arbeitgebervereinigung auszuüben, um Lohnerhöhungen oder Verbesserungen der Arbeitsbedingungen durchzusetzen, machten gewerkschaftliche oder branchenmäßige Organisationen noch Sinn. Selbst eine Organisation, die so archaisch war wie die Berufsgewerkschaft, wurde von den Arbeitern wirksam gegen die Ausbeutung benutzt; sie hinderte die Bosse insbesondere daran, andere Arbeiter einzustellen, wenn es einen Streik gab. Die Solidarität der Drucker, Zigarrenmacher oder (Bronzegießer war das Embryo der realen Klassensolidarität, eine Stufe in der Vereinigung der Arbeiterklasse. Selbst unter dem Gewicht der kapitalistischen Unterschiede und Spaltungen war die Gewerkschaftsorganisation ein wirkungsvolles Mittel des Kampfes innerhalb des Systems. Andererseits: wenn es darum geht, sich nicht nur gegen diesen oder jenen Sektor des Kapitalismus zu erheben, sondern Letztgenannten in seiner Totalität zu konfrontieren, ihn zu zerstören und eine andere Gesellschaft zu errichten, kann die spezifische Organisation der Drucker oder der Gummiindustriearbeiter keinen Sinn machen. Um die Leitung der gesamten Gesellschaft zu übernehmen, muss sich die Arbeiterklasse auf territorialer Basis organisieren, auch wenn die Basisversammlungen auf der Ebene der Fabrik, des Büros, des Krankenhauses oder des Industriegebiets abgehalten werden.

Eine solche Tendenz ist heute bereits in den Tageskämpfen gegen die Ausbeutung zu erkennen. Hier gibt es eine tiefe Neigung, aus der Gewerkschaftsform auszubrechen und sich in souveränen allgemeinen Versammlungen zu organisieren, gewählte und jederzeit abwählbare Streikkomitees zu formen, um sich der berufsmäßigen oder industriellen Grenzen zu entledigen und sich auf territorialer Ebene auszuweiten.

Diese Tendenz drückt die Tatsache aus, dass der Kapitalismus in seiner Dekadenzperiode eine immer statischere Form annimmt. Unter diesen Umständen erweist sich die alte Unterscheidung zwischen den politischen Kämpfen (die in der Vergangenheit das Privileg der Arbeiterparteien waren) und den ökonomischen Kämpfen (für die die Gewerkschaften verantwortlich waren) als immer weniger sinnvoll. Jeder ernsthafte ökonomische Streik wird politisch und konfrontiert den Staat, entweder seine Polizei oder seine Repräsentanten in der Fabrik – die Gewerkschaften. Dies weist auch auf die tiefe Bedeutung der gegenwärtigen Kämpfe als Vorbereitung auf die entscheidenden Konfrontationen der revolutionären Periode hin. Selbst wenn es ökonomische Faktoren (Krise, unerträgliche Verschärfung der Ausbeutung) sind, die die Arbeiter in diese Konfrontationen schleudern, sind die Aufgaben, die sich ihnen später stellen, eminent politisch: frontale und bewaffnete Angriffe gegen den bürgerlichen Staat, die Etablierung der proletarischen Diktatur.

Die proletarische Revolution: politische Macht als Grundlage für die gesellschaftliche Umwandlung

Diese Einheit zwischen Politik und Ökonomie, die ihren Ausdruck in der Organisierung des Proletariats in den Arbeiterräten findet, erfordert eine Erklärung. Welcher der beiden Gesichtspunkte ist vorrangig?

Seit Babeuf haben die Kommunisten erkannt, dass in der proletarischen Revolution der politische Gesichtspunkt zuerst kommt und die Ökonomie bedingt. Dies ist ein Schema, das völlig jenem widerspricht, das in der bürgerlichen Revolution vorherrschte. Die kapitalistische Ökonomie entwickelte sich innerhalb der feudalen Gesellschaft, sozusagen in ihren Rissen. Die neue revolutionäre Klasse, die Bourgeoisie, konnte also die Wirtschaftsmacht in der Gesellschaft erobern, während die politischen und administrativen Strukturen noch immer mit dem Feudalismus verknüpft waren (Absolutismus, wirtschaftliche und politische Privilegien für den Adel etc.). Erst als die kapitalistische Produktionsweise dominierend wurde, erst als sie die Gesamtheit des Wirtschaftslebens bestimmte (einschließlich jener Bereiche, die nicht direkt kapitalistisch waren, wie die landwirtschaftliche und handwerkliche Kleinproduktion), richtete die Bourgeoisie ihre Angriffe gegen die politische Macht des Feudalismus. Dies befähigte sie umgekehrt, die politische Macht ihren besonderen Bedürfnissen anzupassen und das Fundament für eine neue wirtschaftliche Expansion zu legen. Dies war es, was sie tat, besonders in der Englischen Revolution in den 1640er Jahren und in der Französischen Revolution 1789. In diesem Sinn vervollständigte die bürgerliche Revolution eine ganze Periode des Übergangs, in deren Verlauf die Bourgeoisie sich innerhalb der feudalistischen Gesellschaft entwickelte, bis sie an den Punkt gelangte, Letztere auf der Basis einer neuen wirtschaftlichen Organisation der Gesellschaft zu verdrängen. Das Schema der proletarischen Revolution ist völlig anders. In der kapitalistischen Gesellschaft besitzt die Arbeiterklasse keinerlei Eigentum, kein etabliertes materielles Sprungbrett für ihre zukünftige Dominierung der Gesellschaft. Alle Versuche, die von Utopisten oder Proudhonisten angeregt worden waren, waren gescheitert: Das Proletariat kann keine “Inseln” des Kommunismus innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaft schaffen. Alle Arbeiterkommunen oder Kooperativen wurden entweder zerstört oder vom Kapitalismus einverleibt. Im Gegensatz zu den Utopisten, Proudhon und den Anarchisten begriffen Babeuf, Blanqui und Marx dies. Das Ergreifen der politischen Macht durch das Proletariat ist der Ausgangspunkt seiner Revolution, der Hebel, mit dem es Zug um Zug das Wirtschaftsleben der Gesellschaft umwandeln wird, mit der Perspektive der Abschaffung aller Ökonomie. “Die Revolution überhaupt - der Umsturz der bestehenden Gewalt und die Auflösung der alten Verhältnisse - ist ein politischer Akt. Ohne Revolution kann sich aber der Sozialismus nicht ausführen. Er bedarf dieses politischen Aktes, soweit er Zerstörung und der Auflösung bedarf. Wo aber seine organisierende Tätigkeit beginnt, wo sein Selbstzweck, seine Seele hervortritt, da schleudert der Sozialismus die politische Hülle weg. (Marx, Kritische Randglossen, 31.7.1844)

Da der Kapitalismus seine ökonomische Basis bereits vor der bürgerlichen Revolution geschaffen hatte, war nur das Letztere im Wesentlichen politisch. Die Revolution des Proletariats beginnt im Gegensatz dazu mit einem politischen Akt, der die Entwicklung nicht nur der ökonomischen Aspekte, sondern auch und vor allem ihrer gesellschaftlichen Aspekte bedingt.

Somit sind die Arbeiterräte keineswegs Organe des “Selbstmanagements”, Organe für das Management der kapitalistischen Wirtschaft (d.h. des Elends). Sie sind politische Organe, deren vorrangige Aufgabe es ist, den kapitalistischen Staat zu zerstören und die proletarische Diktatur auf Weltebene zu errichten. Doch sie sind auch Organe für die ökonomische und soziale Umwandlung der Gesellschaft, und dieser Aspekt macht sich von Anbeginn des revolutionären Prozesses bemerkbar (Enteignung der Bourgeoisie, Organisierung einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung etc.). Mit der politischen Niederlage der Bourgeoisie kommt die ökonomische und soziale Dimension immer mehr zur Geltung.

(aus: Revolution International, Nr. 64)

 

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