Die Theorie der Dekadenz im Zentrum des Historischen Materialismus, Teil 3:

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Battaglia Comunista wendet sich von einem
Schlüsselkonzept des Marxismus ab: der Dekadenz der Produktionsweisen, II

Im ersten Teil dieser Artikelserie (s. Internationale Revue Nr. 34) erinnerten wir daran, dass für den Marxismus entgegen der Ansicht, die von Battaglia vertreten wurde[1], die Dekadenz des Kapitalismus keine endlose Wiederholung seiner Widersprüche auf einem immer höheren Niveau ist, sondern dass sie, entsprechend der Terminologie von Marx und Engels, die Frage seines Überlebens als Produktionsweise aufwirft. Indem es das Dekadenzkonzept ablehnt, wie es von den Gründern des Marxismus definiert und sukzessive von den Organisationen der Arbeiterbewegung aufgenommen wurde, von denen einige es weiter vertieften, kehrt Battaglia dem historisch-materialistischen Verständnis den Rücken zu. Marx uns lehrt, dass eine Gesellschaft erst dann überwunden werden kann, wenn sie in eine Phase der „Senilität“ getreten ist, wo „ihre Produktionsverhältnisse obsolet und zu einem Hindernis für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte geworden sind“.

„Die universelle Tendenz des Kapitals erscheint hier, die es von früheren Produktionsstufen unterscheidet. Obgleich seiner Natur nach selbst borniert, strebt es nach universeller Entwicklung der Produktivkräfte und wird so die Voraussetzung der neuer Produktionsweise… Diese Tendenz – Die das Kapital hat… und es zu seiner Auflösung treibt…“ (K. Marx, „Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie“ Heft V,  Das Kapitel vom Kapital, S. 438.)

An dieser Idee der unvermeidlichen Folge der Produktionsweise ist nichts Fatalistisches, wie Battaglia behauptet. Dies deswegen, weil, auch wenn die Dekadenz einer Produktionsweise eine unerlässliche Vorbedingung für eine „revolutionäre Umgestaltung der ganzen Gesellschaft“ (Marx, Kommunistisches Manifest) ist, es der Klassenkampf ist, der in letzter Instanz einen Schnitt durch die sozio-ökonomischen Widersprüche macht. Und falls dies nicht geschieht, so sinkt die Gesellschaft in eine Zerfallsphase, in den „gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“, wie Marx es im Kommunistischen Manifest formuliert. Es gibt nichts Automatisches oder Unvermeidliches an der Aufeinanderfolge von Produktionsweisen, nichts, dass den Schluss nahelegt, dass der Kapitalismus angesichts wachsend unüberwindbarer Widersprüche sich einfach von der Bühne der Geschichte zurückziehen wird.

Battaglias Zickzackkurs in der Frage des Dekadenzkonzepts

In der Diskussion rund um die Annahme ihrer Plattform auf der ersten Nationalen Konferenz 1945 übertrug das Zentralkomitee der neugegründeten Partito Comunista Internazionalista (PCInt) einem seiner Militanten – Stefanini, ein früheres Mitglied der italienischen Fraktion der Internationalen Kommunistischen Linken (1928-45) – die Aufgabe, einen politischen Bericht über die Gewerkschaftsfrage zu präsentieren. In diesem Bericht bekräftigte er die „Konzeption, dass die Gewerkschaften in der Phase der Dekadenz des Kapitalismus notwendigerweise mit dem bürgerlichen Staat verknüpft sind“ (Protokolle der ersten Nationalen Konferenz der PCInt, eigene Übersetzung). Dieser Bericht, der am dritten Tag der Konferenz vorgestellt wurde, stand im Widerspruch zur Plattform, die tags zuvor diskutiert und verabschiedet wurde.[2] Obwohl eine Reihe von Militanten die Position unterstützte, die von Stefanini im Namen des Zentralkomitees vertreten wurde, rief Letzteres am Ende der Diskussion die Konferenz dazu auf, die Positionen anzunehmen, die von der Plattform eingenommen wurden[3], und fühlte sich veranlasst, am Ende der Konferenz einen Antrag zu präsentieren, der zum „Wiederaufbau der CGIL“[4] und „zur Eroberung der Führungsorgane der Gewerkschaft“ aufrief (Antrag des Zentralkomitees zur Gewerkschaftsfrage, eigene Übersetzung, siehe auch Fussnote 3).

Ferner nahm die Plattform, die auf dieser Konferenz (faktisch ein Gründungskongress) gebilligt wurde, trotz ihrer ausdrücklichen Behauptung, dass sie sich in politischer und organisatorischer Kontinuität mit der Italienischen Fraktion befinde (1928-45)[5], und trotz der Anwesenheit von Mitgliedern der Fraktion in der Führung der neuen Partei überhaupt keinen Bezug auf das, was der Mörtel, die politische Kohärenz der Positionen der Fraktion gewesen war: die Analyse der Dekadenz des Kapitalismus. Gleichzeitig schuf die Partei ein Internationales Büro, um ihre organisatorische Ausweitung ins Ausland zu koordinieren; dieses jedoch vertrat – mit angemessenem Respekt vor der theoretischen Kakophonie – weiterhin die Analyse der Dekadenz des Kapitalismus in seinen Publikationen![6] Was lediglich aufzeigt, dass es mit einer solchen Umgruppierungsmethode als Grundlage eigentlich in allen politischen Positionen nur eine totale programmatische Heterogenität geben konnte. Wenn wir die Protokolle dieser Konferenz lesen, wird deutlich, welch tiefe politische Verwirrung in ihren Diskussionen herrschte![7]

Angesichts einer solch konfusen politischen Grundlage ist es nicht verwunderlich, dass der Begriff der Dekadenz wie eine Fata Morgana hin und wieder auftaucht. Dies war besonders auf der Gewerkschaftskonferenz der PCInt 1947 der Fall, wo im Gegensatz zur Plattform von 1945 festgestellt wurde: „In der gegenwärtigen Phase der Dekadenz der kapitalistischen Gesellschaft sind die Gewerkschaften dazu bestimmt, als ein wichtiges Instrument für die Politik der Bewahrung zu dienen und somit die exakten Funktionen eines Staatsorgans anzunehmen.“[8] Dieser explosive Cocktail, der auf den eigentlichen Fundamenten der PCInt zusammengebraut wurde, hielt der Nagelprobe der Wirklichkeit nicht lange stand. Die Partei spaltete sich 1952 in zwei Parteien - eine um Bordiga (Programma Comunista), die sich durch eine Rückkehr zu den politischen Positionen der 20er Jahre auszeichnete, und eine um Damen (Battaglia Comunista), die sich etwas ausdrücklicher auf die politischen Beiträge der Italienischen Fraktion bezog.[9] Genau zum Zeitpunkt dieser Spaltung sollte Bordiga gewisse kritische Betrachtungen über das Dekadenzkonzept anstellen.[10] Und was Battaglia angeht, so ließ auch seine politische Plattform, die nach der Spaltung von 1952 angenommen worden war, die Analyse der Dekadenz zunächst außen vor.

Einige Zeit später jedoch nahm Battaglia in seinen Bemühungen, die revolutionären Kräfte zu bündeln, und im Verlauf der Diskussionen mit unserer Organisation schließlich unter dem Eindruck der Dynamik, die durch die Internationalen Konferenzen der Gruppen der Kommunistischen Linken zwischen 1976 und 1980 ausgelöst worden war, die Analyse der Dekadenz des Kapitalismus an.[11] So veröffentlichte es Anfang 1978 und im März 1979 in seiner Zeitschrift Prometeo[12] sowie als Texte für die ersten beiden Konferenzen[13] zwei lange Untersuchungen über die Dekadenz. Wir erlebten, wie Battaglia auf der Rückseite seiner Publikationen einen neuen programmatischen Punkt aufnahm, der seine Übereinstimmung mit dem Rahmen der Dekadenz bekundete: „... das Anwachsen interimperialistischer Konflikte, von Handelskriegen, Spekulation, allgemeiner lokaler Kriege ist ein Anzeichen für den Prozess der Dekadenz des Kapitalismus. Die strukturelle Krise des Systems drückt das Kapital über seine ‚normalen‘ Grenzen in Richtung einer Lösung auf der Ebene des imperialistischen Krieges“. Nach dem Tod von Damen sen. – dem Gründer der PCInt und Initiator des Konferenzzyklus‘ – im Oktober 1979 und mit Prometeo Nr. 3 im Dezember 1979 (also kurz bevor Battaglia uns am Ende der dritten Konferenz im Mai 1980 ausschloss) verschwand dieser Punkt über die Dekadenz wieder aus den Grundsatzpositionen. Es ist in diesem Zusammenhang auch bemerkenswert, dass die Analyse der Dekadenz, die im Zentrum von Battaglias Beiträgen auf den ersten beiden Konferenzen stand, völlig aus seinen Beiträgen für die dritte Konferenz verschwand, wo wir eine Analyse erblickten, die die gegenwärtige Position vorwegnahm... All dies in sehr diskreter Manier und ohne jegliche Erklärung, weder für seine Leser noch für die anderen Gruppen des politischen Milieus des Proletariats! Abschließend sollten wir noch bemerken, dass Battaglia nun beabsichtigt, etwas abzuschwören, was das IBRP noch in seiner Plattform 1979 bekräftigt hatte: die Existenz eines qualitativen Bruchs, markiert durch den Ersten Weltkrieg, zwischen zwei fundamental unterschiedlichen historischen Perioden in der Evolution der kapitalistischen Produktionsweise, auch wenn dies nicht mehr durch den Gebrauch des marxistischen Konzepts vom Aufstieg und von der Dekadenz einer Produktionsweise erklärt wurde.[14]

Nach diesen vielfältigen politischen Zickzacks besitzt Battaglia die Unverfrorenheit, sich darüber zu beklagen, dass es müde sei, „über nichts zu diskutieren, wo wir doch daran arbeiten müssen zu begreifen, was in der Welt vor sich geht“.[15] Wie kann man auch nicht müde sein, wenn man ständig seine Ansichten wechselt und nie weiß, welche die beste ist, um „zu begreifen, was in der Welt vor sich geht“! Heute kann jeder sehen, dass Battaglia sich bewusst für die Weitsichtgläser entschieden hat, obgleich es an Kurzsichtigkeit leidet.

An diesem Punkt wird der Leser bemerkt haben, dass Battaglia, weit davon entfernt, ein Experte in Sachen Marxismus zu sein, wie es behauptet, eher ein Meister darin ist, auf die Gelegenheit des Augenblicks zu lauern, und eher wie ein schnell die Farbe wechselndes Chamäleon aussieht. Und es ist noch nicht alles. Der jüngste Zickzack war das Sahnehäubchen. Für all jene, die Battaglias Prosa lesen, liegt es nun auf der Hand, dass diese Organisation ein für allemal einen Begriff loswerden will, den es in seinen eigenen Worten in einer Stellungnahme vom Februar 2002, veröffentlicht in Internationalist Communist Review Nr. 21[16], betrachtet „als genauso universell wie Verwirrung stiftend (...) fremd gegenüber der Kritik der politischen Ökonomie (...) fremd gegenüber den Methoden und dem Arsenal der Kritik der politischen Ökonomie“. Wir werden auch gefragt: „Welche Rolle spielt dann das Dekadenzkonzept im Rahmen einer militanten Kritik der politischen Ökonomie, d.h. für eine tiefere Analyse der Charakteristiken und der Dynamik des Kapitalismus in der Periode, in der wir leben? Keine. Bis zu dem Grad, dass das Wort selbst nirgendwo in den drei Bänden des Kapitals erscheint.“[17] Aber warum zum Teufel fühlte sich Battaglia dann zwei Jahre später (in Prometeo Nr. 8, Dezember 2003) genötigt, eine große Debatte über dieses „Verwirrung stiftende“ Konzept anzuzetteln, das „nicht die Mechanismen der Krise erklären kann“, das „fremd gegenüber der Kritik der politischen Ökonomie“ ist, das nur gelegentlich bei Marx auftaucht und das angeblich in seinem Meisterstück überhaupt nicht auffindbar ist? Noch ein Kleiderwechsel. Erinnerte sich Battaglia plötzlich daran, dass die erste Broschüre, die von seiner Schwesterorganisation (die Communist Workers Organisation) veröffentlicht worden war, den Titel The Economic Foundations of Decadence (Die ökonomischen Fundamente der Dekadenz) trug? Die CWO behauptete völlig zu Recht, dass „der Begriff der Dekadenz Bestandteil der Analyse der Produktionsweisen von Marx ist“ und im Mittelpunkt bei der Bildung der Dritten Internationale stand: „Zurzeit der Formierung der Komintern 1919 wurde sichtbar, dass die Epoche der Revolution erreicht worden war, und ihre Gründungskonferenz sprach dies auch aus.“ (Revolutionary Perspectives Nr. 32) Hat Battaglia realisiert, dass es nicht so leicht ist, sich einer solch zentralen Errungenschaft der Arbeiterbewegung wie den marxistischen Begriff der Dekadenz einer Produktionsweise zu entledigen?

Dies im Hinterkopf ist es nicht verwunderlich, dass Battaglia in seinen Beiträgen zur Eröffnung der Debatte nichts zur Definition und Analyse der Dekadenz der Produktionsweisen, wie sie von Marx und Engels entwickelt worden waren, und auch nichts über ihre Bemühungen zu sagen hat, die Umstände und den Zeitpunkt zu skizzieren, in denen dies mit dem Kapitalismus geschieht. Desgleichen ignoriert Battaglia herrisch die Position, die die KI bei ihrer Gründung eingenommen hatte und die den Ersten Weltkrieg als eindeutiges Zeichen für den Beginn der Dekadenzperiode des Kapitalismus analysierte. Auch ist Battaglia, das behauptet, der politische Erbe der Italienischen Fraktion zu sein, sehr schweigsam, was die Tatsache anbetrifft, dass Letztere die Dekadenz zum Rahmen ihrer politischen Plattform gemacht hatte. Statt Stellung für das Erbe zu beziehen, das uns die Begründer des Marxismus hinterlassen und von Generationen von Revolutionären vertieft worden war, zieht es Battaglia vor, mit Bannflüchen (die Idee des Fatalismus) um sich zu werfen und hinsichtlich der Definition der Dekadenz Verwirrung zu verbreiten... und gleichzeitig eine Debatte innerhalb des IBRP sowie eine großangelegte Untersuchung anzukündigen: „Das Ziel unserer Untersuchung wird es sein, zu verifizieren, ob der Kapitalismus sich in seinem Drang, die Produktivkräfte weiterzuentwickeln, erschöpft hat und, wenn ja, wann, in welchem Ausmaß und vor allem warum.“ Wenn man sich von einem historischen Konzept des Marxismus abwenden will, dann ist es leichter, ein neues Kapitel aufzuschlagen, statt sich zu den programmatischen Errungenschaften der Arbeiterbewegung zu bekennen. Genau dies taten die Reformisten Ende des 19. Jahrhunderts. Was uns angeht, so warten wir mit beträchtlicher Ungeduld auf die Ergebnisse dieser „Untersuchung“; und wir werden sie mit Vergnügen mit der marxistischen Theorie sowie mit der Realität der gegenwärtigen historischen Evolution des Kapitalismus vergleichen. Doch es sollte gesagt werden, dass die Argumente, die von Battaglia bereits benutzt worden waren, nichts Gutes verheißen. Aus diesem kurzen historischen Überblick über die verschiedenen Positionen, die Battaglia zur Dekadenz bezogen hat, wird eines bereits ersichtlich: Die Jungen haben die Alten ersetzt, doch geblieben ist die opportunistische Methode.

Eine Rückkehr zum Idealismus der utopischen Sozialisten

Für Battaglia ist, wie für die utopischen Sozialisten, die Revolution nicht das Produkt irgendeiner historischen Notwendigkeit, deren Wurzeln in der Sackgasse des Kapitalismus liegen, wie Marx, Engels und Luxemburg uns lehren: „Die universelle Tendenz des Kapitals erscheint hier, die es von früheren Produktionsstufen unterscheidet. Obgleich seiner Natur nach selbst borniert, strebt es nach universeller Entwicklung der Produktivkräfte und wird so die Voraussetzung der neuer Produktionsweise…Diese Tendenz – Die das Kapital hat…und es zu seiner Auflösung treibt…“ (Grundrisse, S. 438 s.o.); Aufgabe der ökonomischen Wissenschaft „ist es vielmehr, die neu hervortretenden gesellschaftlichen Missstände als notwendige Folgen der bestehenden Produktionsweise, aber auch gleichzeitig als Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung nachzuweisen, und innerhalb der sich auflösenden ökonomischen Bewegungsform die Elemente der zukünftigen, jene Missstände beseitigenden, neuen Organisation der Produktion und des Austausches aufzudecken“ (F. Engels, Anti-Dühring, Kap. II, Gegenstand und Methode);  „Vom Standpunkte des wissenschaftlichen Sozialismus äußert sich die historische Notwendigkeit der sozialistischen Umwälzung vor allem in der wachsenden Anarchie des kapitalistischen Systems, die ihn in eine ausweglose Sackgasse drängt.“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Die Bernsteinsche Methode“) Für den Marxismus ist die „Auflösung“ (Marx und Engels) bzw. „Sackgasse“ (Luxemburg), die mit der Dekadenz des Kapitalismus auftritt, eine unerlässliche Vorbedingung, um über diese Produktionsweise hinauszugehen, doch beinhaltet dies nicht sein automatisches Verschwinden, da „einzig der Hammerschlag der Revolution, d.h. die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Zollpolitik und Militarismus), den Kapitalismus zum Einsturz bringen kann. Die „Aufhebung“, „Auflösung“ bzw. „Sackgasse“, die mit der Dekadenz des Kapitalismus auftritt, schafft die Bedingungen für die Revolution, sie ist das solide Fundament, ohne das „der Sozialismus auf(hört), eine historische Notwendigkeit zu sein, und er ist dann alles, was man will, nur nicht ein Ergebnis der materiellen Entwicklung der Gesellschaft.“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Die Bernsteinsche Methode“). So wie die römische und feudale Dekadenz für die Entstehung der objektiven und subjektiven Bedingungen für neue Produktionsweisen notwendig war, so beweist die Sackgasse des dekadenten Kapitalismus dem Proletariat, dass diese Produktionsweise historisch überholt ist. Es ist anders, als Battaglia denkt: „Der Sozialismus erfolgt also aus dem alltäglichen Kampfe der Arbeiterklasse durchaus nicht von selbst und unter allen Umständen. Er ergibt sich aus den immer mehr sich zuspitzenden Widersprüchen der kapitalistischen Wirtschaft und aus der Erkenntnis der Arbeiterklasse von der Unerlässlichkeit ihrer Aufhebung durch eine soziale Umwälzung.“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Praktische Konsequenzen und allgemeiner Charakter der Theorie“, Fußnote 7)

Der Marxismus sagt nicht, dass die Revolution unweigerlich kommt. Er leugnet keinesfalls den Willen als einen Faktor in der Geschichte: Er demonstriert lediglich, dass der Wille allein nicht ausreicht, dass er sich erst in einem materiellen Rahmen realisieren kann, der das Produkt einer Evolution, einer historischen Dynamik ist, welche zu berücksichtigen gilt, damit der Willen zur Geltung kommen kann. Die Bedeutung, die der Marxismus dem Verständnis der „realen Bedingungen“, der „objektiven Bedingungen“ beimisst, ist keine Ablehnung des Bewusstseins und Willens. Im Gegenteil, es ist die einzige feste Grundlage, um beides zu stärken. Wenn der Kapitalismus „sich selbst reproduziert, indem er einmal mehr und auf höherer Ebene all seine Widersprüche aufwirft“ (Battaglia), wo finden wir dann die objektiven Grundlagen für den Sozialismus? Wie Rosa Luxemburg uns erinnert: „Nach Marx ist die Rebellion der Arbeiter, ihr Klassenkampf (...) bloß ideologischer Reflex der objektiven geschichtlichen Notwendigkeit des Sozialismus, die sich aus der objektiven wirtschaftlichen Unmöglichkeit des Kapitalismus auf einer gewissen Höhe seiner Entwicklung ergibt. Selbstverständlich ist damit nicht gesagt – solche Vorbehalte aus dem Abc des Marxismus sind, wie wir sehen werden, für meine ‚Sachverständigen‘ immer noch unentbehrlich -, dass der historische Prozess bis zum letzten Rande dieser ökonomischen Unmöglichkeit ausgeschöpft werden müsse oder auch nur könne. Die objektive Tendenz der kapitalistischen Entwicklung auf jenes Ziel hin genügt, um schon viel eher eine derartig soziale und politische Verschärfung der Gegensätze in der Gesellschaft und Unhaltbarkeit der Zustände hervorzubringen, dass sie dem herrschenden System ein Ende bereiten müssen. Aber diese sozialen und politischen Gegensätze sind selbst in letzter Linie nur ein Produkt der ökonomischen Unhaltbarkeit des kapitalistischen Systems, und sie schöpfen gerade aus dieser Quelle ihre zunehmende Verschärfung just in dem Maße, wie jene Unhaltbarkeit greifbar wird. Nehmen wir hingegen mit den ‚Sachverständigen‘ (wie Battaglia) die ökonomische Schrankenlosigkeit der kapitalistischen Akkumulation an, dann schwindet dem Sozialismus der granitene Boden der objektiven historischen Notwendigkeit unter den Füßen. Wir verflüchtigen uns alsdann in die Nebel der vormarxschen Systeme und Schulen, die den Sozialismus aus bloßer Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit der heutigen Welt und aus der bloßen revolutionären Entschlossenheit der arbeitenden Klassen ableiten wollte“ (...) (Rosa Luxemburg, Antikritik).

Nicht weil die übergroße Mehrheit der Menschen ausgebeutet wird, ist der Sozialismus heute eine historische Notwendigkeit. Ausbeutung herrschte unter der Sklaverei, im Feudalismus und im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, ohne dass der Sozialismus auch nur den Hauch einer Chance auf Verwirklichung hatte. Damit der Sozialismus zur Realität werden kann, ist es nicht nur notwendig, dass die Mittel zu seiner Verwirklichung (Arbeiterklasse und Produktionsmittel) ausreichend entwickelt sind. Es ist ebenfalls notwendig, dass das System, welches er ersetzen soll – der Kapitalismus -, aufgehört hat, ein für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte unerlässliches System zu sein, und zu einem wachsenden Hindernis für Letztere wird, d.h. dass es in seine Dekadenzphase getreten ist: „Die größte Errungenschaft des proletarischen Klassenkampfes war die Entdeckung der Ansatzpunkte für die Verwirklichung des Sozialismus in den ökonomischen Verhältnissen der kapitalistischen Gesellschaft. Dadurch ist der Sozialismus aus einem ‚Ideal‘, das jahrtausendelang der Menschheit vorschwebte, zur geschichtlichen Notwendigkeit geworden.“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, „Die ökonomische Entwicklung und der Sozialismus“). Der unvermeidliche Irrtum der Utopisten lag in ihrer Ansicht über den geschichtlichen Prozess. Ihnen zufolge konnte sein Ausgang vom guten Willen bestimmter Gruppen von Individuellen entschieden werden. Babeuf und Blanqui setzten ihre Hoffnung auf kleine Gruppen entschlossener Arbeiter; Saint-Simon, Fourier oder Owen wandten sich gar an das Wohlwollen der Bourgeoisie, um ihre Vorhaben durchzuführen. Das Auftreten des Proletariats als autonome Klasse während der Revolution von 1848 sollte zeigen, dass der Sozialismus nur von einer Klasse erreicht werden konnte. Es bestätigte die These, die Marx bereits im Kommunistischen Manifest aufgestellt hat: Seit der Teilung der Gesellschaft in Klassen war die Geschichte der Menschheit eine Geschichte von Klassenkämpfen gewesen. Ab da konnte die Entwicklung der Gesellschaft nur innerhalb des Rahmens begriffen werden, der diese Kämpfe bestimmte, d.h. im Rahmen der Evolution der gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Menschen miteinander verbinden und sie gleichzeitig in Klassen für die Produktion der Existenzmittel teilen – die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse. Um zu wissen, ob der Sozialismus möglich ist, muss man beurteilen können, ob diese gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse zu einer Barriere für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte geworden sind und somit eine Ersetzung des Kapitalismus durch den Sozialismus erfordern. Für Battaglia hingegen spielt es keine Rolle, in welchem historischen Zusammenhang sich der Kapitalismus entwickelt: „Der widersprüchliche Aspekt der kapitalistischen Produktion, die Krisen, die daraus herrühren, die Wiederholung des Akkumulationsprozesses, der zeitweise unterbrochen wird, der aber frisches Blut aus der Zerstörung des Übermaßes an Kapital und Produktionsmitteln erhält, führt nicht automatisch zu seiner Zerstörung. Entweder interveniert der subjektive Faktor, der im Klassenkampf seinen materiellen Angelpunkt und in der Krise seine ökonomisch bestimmende Voraussetzung hat, oder das Wirtschaftssystem reproduziert sich selbst, indem es all seine Widersprüche einmal mehr und auf einer höheren Stufe aufwirft, ohne auf diese Weise die Bedingungen für seine Selbstzerstörung zu schaffen.“ (Revolutionary Perspectives Nr. 32) So reicht der Klassenkampf, kombiniert mit der Episode einer Wirtschaftskrise, also aus, um die Möglichkeit eines revolutionären Ausgangs zu eröffnen: „Trotz des unbestreitbaren Erfolges des Kapitalismus, den Klassenkampf einzudämmen, bestehen seine Widersprüche weiter. Als Marxisten wissen wir, dass sie nicht ewig eingedämmt werden können. Die Explosion dieser Widersprüche wird nicht notwendigerweise in eine siegreiche Revolution münden. In der imperialistischen Ära ist der globale Krieg der Weg des Kapitals, seine Widersprüche zu ‚kontrollieren‘, ja zeitweilig zu lösen. Doch ehe dies passiert, bleibt die Möglichkeit, dass der politische und ideologische Zugriff der Bourgeoisie auf die Arbeiterklasse gebrochen wird. Mit anderen Worten: es könnten plötzliche Wellen von Massenkämpfen auftreten, und die Revolutionäre müssen darauf vorbereitet sein. Wenn die Klasse wieder einmal die Initiative ergreift und ihre kollektive Stärke gegen die Attacken des Kapitals nutzt, müssen sich die revolutionären politischen Organisationen in einer Position befinden, die es ihnen ermöglicht, die notwendigen politischen und organisatorischen Auseinandersetzung mit den Kräften der linken Bourgeoisie zu führen.“

Battaglia hält es nicht für notwendig, darüber zu befinden, ob die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse historisch obsolet geworden sind, und hält eine Dekadenzperiode für nichtig, weil das System „frisches Blut aus der Zerstörung des Übermaßes an Kapital und Produktionsmitteln erhält“ und das Wirtschaftssystem nach jeder Krise sich selbst„reproduziert (...), indem es all seine Widersprüche einmal mehr und auf einer höheren Stufe aufwirft“.

Die Vorbedingungen der Revolution

Die Tatsache, dass Marx imstande war zu sagen, dass „die ganze Scheisse“ (Brief Marx an Engels v. 30.04.1868, MEW Bd. 32, S. 75) der politischen Ökonomie schliesslich im Klassenkampf auflöst, auch wenn er einen Gutteil seines Lebens mit der Kritik der politischen Ökonomie verbrachte, zeigt, dass, während der Klassenkampf der Ausschlag gebende Faktor, der Motor der Geschichte ist, Marx einen großen Teil seiner Aufmerksamkeit den objektiven Fundamenten widmete, den ökonomischen, sozialen und politischen Zusammenhängen, in welchen der Klassenkampf sich entfaltet. Dies zu wiederholen, wie es Battaglia tut, heißt offene Türen einrennen, da niemand, von Marx bis zur IKS, behauptet, dass einer dieser Faktoren allein (Wirtschaftskrise oder Klassenkampf) ausreicht, um den Kapitalismus zu stürzen. Was Battaglia des Weiteren nicht begreift, ist, dass selbst diese beiden Faktoren zusammen nicht ausreichen! Der Punkt hier ist, dass Perioden, in denen die Wirtschaftskrise und der Klassenkampf zusammen auftreten, seit den ersten Tagen des Kapitalismus vorgekommen sind, ohne in irgendeiner Weise die Möglichkeit des Sturzes des Kapitalismus heraufbeschworen zu haben. Was Marx durch den historischen Materialismus bewies, war, dass wenigstens drei Faktoren unerlässlich sind: ein krisenhaftes Intermezzo, Klassenkonflikte, aber auch die Dekadenz einer Produktionsweise (in diesem Fall des Kapitalismus). Dies verstanden die Begründer des Marxismus sehr gut: Nachdem sie über eine Reihe von Anlässen, die der Kapitalismus bot, nachgedacht hatten, waren sie stets in der Lage, ihre Diagnose zu revidieren (wir verweisen dabei den Leser auf die kurze Geschichte der Analysen, die Marx und Engels über die Bedingungen und den Moment des Eintreffens der Dekadenz angestellt haben, welche wir in der Internationale Revue Nr. 118 (engl., franz., span. Ausgabe) veröffentlicht haben). Engels sollte diese Untersuchung in seiner Einführung von 1895 zur Marx‘ „Die Klassenkämpfe in Frankreich“ schließen, als er schrieb:     Die Geschichte hat uns und allen, die ähnlich dachten, unrecht gegeben. Sie hat klargemacht, daß der Stand der ökonomischen Entwicklung auf dem Kontinent damals noch bei weitem nicht reif war für die Beseitigung der kapitalistischen Produktion: sie hat dies bewiesen durch die ökonomische Revolution, die seit 1848 den ganzen Kontinent ergriffen (…) so beweist dies ein für allemal, wie unmöglich es 1848 war, die soziale Umgestaltung durch einfache Überrumpelung zu erobern.“

Doch dies ist nicht alles, denn was Battaglia überhaupt nicht begriffen hat, ist, dass eine vierte Bedingung für den Ausbruch einer Periode erforderlich ist, die eine siegreiche aufständische Bewegung begünstigt: die Eröffnung eines historischen Kurses zu Klassenkonfrontationen. In den 30er Jahren waren die ersten drei Minimalbedingungen (Wirtschaftskrise, soziale Konflikte und die Dekadenzperiode) präsent, doch sie wurden von einem historischen Kurs überlagert, der zum imperialistischen Krieg führte. Dies zu verstehen war der wichtigste Beitrag der Italienischen Fraktion. In Kohärenz mit der Analyse der Kommunistische Internationale, die die durch den I. Weltkrieg eröffnete Periode als das „Zeitalter der Kriege und Revolutionen“ definierte, entwickelte die Fraktion die Analyse des historischen Kurses zu Klassenkonfrontation oder zum Krieg. Die Gauche Communiste de France (1942-52) – und danach die IKS – griffen diese Analyse auf und entwickelten sie weiter, doch sie waren nicht ihre Urheber, wie Battaglia wahrheitswidrig behauptet: „Die schematische Konzeption der historischen Perioden – historisch zur französischen Kommunistischen Linken gehörend, der die IKS ihre Existenz verdankt – charakterisiert historische Perioden als revolutionär oder konterrevolutionär auf der Grundlage abstrakter Überlegungen über die Bedingungen der Arbeiterklasse.“ (Internationalist Communist Nr. 21, eigene Übersetzung) Diese Fälschung der Geburtsurkunde versetzt Battaglia in die Lage, unsere politischen Ahnen wahrheitswidrig der Unglaubwürdigkeit preiszugeben und gleichzeitig das Erbe der Italienischen Fraktion für sich zu beanspruchen, ohne sich wirklich für deren wichtige theoretische Beiträge auszusprechen.

Die Notwendigkeit eines historischen Rahmens für die Erarbeitung von Klassenpositionen

„Die grundlegende und wichtigste Voraussetzung der sozialen Revolution ist ein bestimmtes Niveau der Entwicklung der Produktivkräfte… Es ist ein bestimmtes Entwicklungsniveau der Technik notwendig. Fassen wir die ganze kapitalistische Welt ins Auge: Ist dieses Niveau erreicht? Zwefellos.“  (L. Trotzki: „Europa und Amerika“, 1926) Diese Frage ist in der Tat fundamental, entscheidend für das Proletariat, wie Trotzki sagt, weil zu wissen, ob eine Produktionsweise im Auf- oder Abstieg begriffen ist, bedeutet, sich schlüssig darüber zu sein, ob sie noch fortschrittlich ist im Sinne der Weiterentwicklung der Menschheit oder ob sie, historisch gesehen, ihre besten Tage hinter sich hat. Zu wissen, ob der Kapitalismus der Welt noch etwas zu bieten hat oder ob er überholt ist, beinhaltet folgenschwere Konsequenzen hinsichtlich der Strategie und der politischen Positionen des Proletariats, die sich, je nachdem, radikal voneinander unterscheiden. Trotzki war sich dessen wohl bewusst, als er seine Reflexionen über den Charakter der Russischen Revolution fortsetzte: „Am besten beweist das die Rolle des russischen, noch ganz jungen Proletariats.“ (ebenda) Jene, die der Theorie der Dekadenz den Rücken kehren, sollten über diese Worte Trotzkis nachsinnen. Andernfalls werden sie bei der Schlussfolgerung enden, dass die Menschewiki doch Recht hatten, als sie sagten, dass in Russland in Wahrheit eine bürgerliche Revolution auf der Tagesordnung stand und nicht eine proletarische Revolution, dass die Gründung der Kommunistischen Internationale auf einer Illusion basierte, dass die Kampfmethoden, die im 19. Jahrhundert angewendet wurden, auch heute noch gültig sind und so weiter. Als konsequenter Marxist antwortete Trotzki ohne Zögern: „Aber seit dem kapitalistischen Krieg änderte sich das Bild vollständig. Die Produktivkräfte wachsen nicht, sie zerfallen. Es ist ihnen im Rahmen des Privateigentums allmählich zu eng geworden…Der Rahmen des privaten Eigentumsrechtes auf die Produktionsmittel und der Rahmen jener nationalen Staaten…drücken weit mehr auf die Produktivkräfte als früher.“ (ebenda). Diese Diagnose – das Ende der historisch fortschrittlichen Rolle des Kapitalismus und die Bedeutung des Ersten Weltkrieges als Wendepunkt beim Übergang von seiner aufsteigenden zu seiner dekadenten Phase - wurde von allen Revolutionären jener Zeit geteilt, auch von Lenin: „Aus einem Befreier der Nationen, der er in der Zeit des Ringens mit dem Feudalismus war, ist der Kapitalismus in der imperialistischen Epoche zum grössten Unterdrücker der Nationen geworden. Früher fortschrittlich, ist der Kapitalismus jetzt reaktionär geworden, er hat die Produktivkräfte so weit entwickelt, dass der Menschheit entweder der Übergang zum Sozialismus oder aber eine jahre-, ja sogar jahrzehntelanger bewaffneter Kampf der „Gross“mächte um die künstliche Aufrechterhaltung des Kapitalismus mittels der Kolonien, Monopole, Privilegien und jeder Art von nationaler Unterdrückung bevorsteht.“ (W. I. Lenin: „Sozialismus und Krieg“, Werke Bd. 21, S. 302)

Wenn man, wie Battaglia, damit argumentiert, dass der Kapitalismus sich selbst „reproduziert (...), indem er all seine Widersprüche einmal mehr und auf einer höheren Stufe aufwirft“, wendet man sich nicht nur von der materialistischen, marxistischen Argumentation über die Möglichkeit einer Revolution ab, wie wir gesehen haben, sondern man hindert sich auch selbst daran zu verstehen, warum Millionen von Menschen sich eines Tages dazu durchringen sollen, ihr Leben in einem Bürgerkrieg aufs Spiel zu setzen, um dieses System durch ein anderes zu ersetzen, denn wie Engels sagte: „Solange eine Produktionsweise sich im aufsteigenden Ast ihrer Entwicklung befindet, solange jubeln ihr sogar diejenigen entgegen, die bei der ihr entsprechenden Verteilungsweise den kürzern ziehn. So die englischen Arbeiter beim Aufkommen der großen Industrie. Selbst solange diese Produktionsweise die gesellschaftlich-normale bleibt, herrscht im ganzen Zufriedenheit mit der Verteilung, und erhebt sich Widerspruch – dann aus dem Schoß der herrschenden Klasse selbst (Saint-Simon, Fourier, Owen) und findet bei der ausgebeuteten Masse erst recht keinen Anklang.“ (Anti-Dühring, Zweiter Abschnitt: Politische Ökonomie) Wohingegen wir bei Eintritt des Kapitalismus in seine Dekadenz die materiellen und (in bestimmten Momenten) die subjektiven Verhältnisse haben, in denen das Proletariat die Bedingungen und den Anlass vorfindet, um den Aufstand zu wagen. So fährt Engels fort: „Erst wenn die fragliche Produktionsweise ein gut Stück ihres absteigenden Asts hinter sich hat, wenn sie sich halb überlebt hat, wenn die Bedingungen ihres Daseins großenteils verschwunden sind und ihr Nachfolger bereits an die Tür klopft – erst dann erscheint die immer ungleicher werdende Verteilung als ungerecht, erst dann wird von den überlebten Tatsachen an die sogenannte ewige Gerechtigkeit appelliert. Dieser Appell an die Moral und das Recht hilft uns wissenschaftlich keinen Fingerbreit weiter; die ökonomische Wissenschaft kann in der sittlichen Entrüstung, und wäre sie noch so gerechtfertigt, keinen Beweisgrund sehn, sondern nur ein Symptom. Ihr Aufgabe ist vielmehr, die neu hervortretenden gesellschaftlichen Missstände als notwendige Folgen der bestehenden Produktionsweise, aber auch gleichzeitig als Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung nachzuweisen, und innerhalb der sich auflösenden ökonomischen Bewegungsform die Elemente der zukünftigen, jene Missstände beseitigenden, neuen Organisation der Produktion und des Austausches aufzudecken.“ (ebenda)

Es ist genau dies, was Battaglia in seiner Ignoranz gegenüber dem Dekadenzkonzept zu vergessen im Begriff ist: Seine „ökonomische Wissenschaft“ dient nicht mehr dazu, die „gesellschaftlichen Missstände“, die „Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung“ aufzuzeigen, woran uns die Gründer des Marxismus erinnerten; sie dient statt dessen dazu, linksextremistische, antiglobalistische Prosa über das Überleben des Kapitalismus durch den Einsatz von Finanzkapital, die Neuzusammensetzung des Proletariats, die auf Mikrochips basierende „neue industrielle Revolution“, etc. neu zu verpacken. „Der lange Widerstand des westlichen Kapitals gegen die Krise des Akkumulationszyklus‘ (oder der Konkretisierung des tendenziellen Falls der Profitrate) hat bisher den vertikalen Kollaps vermieden, der den Staatskapitalismus des Sowjetimperiums mitgerissen hatte. Dieser Widerstand ist von vier grundlegenden Faktoren ermöglicht worden: (1) die Ausgereiftheit der Finanzkontrollen auf internationaler Ebene; (2) eine gründliche Umstrukturierung des Produktionsapparates, die einen schwindelerregenden Anstieg in der Produktivität mit sich brachte... (3) die konsequente Zerschlagung der alten Klassenzusammensetzung, mit dem Verschwinden der veralteten Aufgaben und Rollen und dem Erscheinen neuer Aufgaben, neuer Rollen und neuer proletarischer Kräfte (...) Die Umstrukturierung des Produktionsapparates ist zur gleichen Zeit erfolgt wie die, wie wir sie nennen können, dritte industrielle Revolution im Kapitalismus (...) die dritte industrielle Revolution wird vom Mikroprozessor verkörpert.“ (Prometeo Nr. 8, „Thesen des IBRP über die Arbeiterklasse in der gegenwärtigen Periode und ihre Perspektiven (Entwurf))

Als Battaglia noch das Dekadenzkonzept vertrat, bekräftigte es sehr deutlich: „Die beiden Weltkriege und die gegenwärtige Krise sind ein historischer Beweis dafür, was ein System, das so dekadent ist wie der Kapitalismus, für den Klassenkampf bedeutet“.[18] Jetzt hingegen, wo es diesem Konzept den Rücken gekehrt hat, denkt Battaglia, dass „die Lösung des Krieges als das Hauptmittel zur Lösung der Probleme des Kapitals bei der Verwertung erscheint“ und dass Kriege die Funktion haben, „das Verhältnis zwischen den verschiedenen Sektoren des internationalen Kapitals zu regeln“. Oder wie in der IBRP-Plattform von 1997 gesagt wird: „Der globale Krieg kann für das Kapital zeitweilig ein Mittel sein, um seine Widersprüche zu lösen.“[19]

Während Battaglia auf seinem IV. Kongress in den „Thesen über die heutigen Gewerkschaften und die kommunistische Aktion“ noch fähig war, sich auf die folgende Passage aus seiner Gewerkschaftskonferenz 1947 zu beziehen: „In der gegenwärtigen Phase der Dekadenz der kapitalistischen Gesellschaft ist die Gewerkschaft dazu bestimmt, als ein wichtiges Instrument in der Politik der Bewahrung zu dienen und somit die exakten Funktionen eines Staatsorgans zu übernehmen“, wird uns nun erzählt, dass noch heute die Gewerkschaften in der Lage seien, die unmittelbaren Interessen der Arbeiterklasse zu verteidigen, wenn die Profitrate, wie in den letzten zehn Jahren, ansteigt: „Alles, was die Gewerkschaftskämpfe auf dem reformistischen Terrain, d.h. auf dem Terrain der gewerkschaftlichen und institutionellen Vermittlung, im Bereich der Gesundheit, der sozialen Absicherung und Bildung errangen, errangen sie in der aufsteigenden Phase des Zyklus‘ (in den 50er und teilweise in den 70er Jahren)“ Erst als die Profitrate wieder sank, spielten die Gewerkschaften eine konterrevolutionäre Rolle: „Die Gewerkschaften – stets ein Instrument der Vermittlung zwischen Kapital und Arbeit bezüglich des Preises und der Bedingungen für den Verkauf von Arbeitskraft – haben nicht den Inhalt, sondern den Sinn der Vermittlung modifiziert: Es sind nicht mehr Arbeiterinteressen, die repräsentiert und verteidigt werden gegenüber dem Kapital, sondern die Interessen des Kapitals, die verteidigt und vor der Arbeiterklasse maskiert werden. Dies deshalb, weil – besonders in der Periode der Krise des Akkumulationszyklus‘ – die bloße Verteidigung der unmittelbaren Interessen der Arbeiter gegen die Angriffe des Kapitals direkt die Stabilität und das Überleben der kapitalistischen Verhältnisse in Frage stellt.“ (Prometeo Nr. 8, Thesenentwurf, eigene Übersetzung) Die Gewerkschaften haben demzufolge eine doppelte Funktion, je nachdem, ob die Profitrate nach oben oder nach unten geht. Ein wahrhafter Triumph des Vulgärmaterialismus, nicht wahr?

Selbst der Charakter der stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien wird in diesem Licht betrachtet. Sie werden nun als Parteien dargestellt, die die unmittelbaren Interessen der Arbeiter vertreten, da sie einst „die Rolle der Vermittlung der unmittelbaren Interessen des Proletariats in den westlichen Demokratien gespielt hatten, in Kontinuität mit der klassischen Rolle der Sozialdemokratie“, wohingegen seit dem Fall der Berliner Mauer „das Scheitern des ‚realen Sozialismus‘ sie dazu führte, zwar ihre Rolle als nationale Parteien aufrechtzuerhalten, aber auch die Klasse als Objekt der demokratischen Vermittlung aufzugeben (...) Tatsache bleibt, dass die Arbeiterklasse sich somit den immer gewaltsameren Angriffen des Kapitals vollkommen ausgeliefert sieht“ (ebenda). Träumen wir? Vergießt Battaglia tatsächlich Tränen darüber, dass bürgerliche Institutionen wie die Stalinisten und Sozialdemokraten angeblich ihre frühere Fähigkeit verloren haben, die unmittelbaren Interessen der Arbeiter zu verteidigen?

Ähnlich verhält es sich mit dem System der sozialen Sicherheit nach dem Zweiten Weltkrieg: Statt es als eine besonders schädliche Politik des Staatskapitalismus zu sehen, die darauf ausgerichtet war, die Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse in eine ökonomische Abhängigkeit vom Staat umzuwandeln, betrachtet Battaglia es als eine Errungenschaft der Arbeiterklasse, als eine wahrhaftige Reform: „Während der 1950er Jahre nahmen die kapitalistischen Ökonomien wieder Fahrt auf (...) Dies wurde unbestreitbar durch eine Verbesserung in den Lebensbedingungen der Arbeiter (soziale Sicherheit, Tarifverträge, Lohnsteigerungen...) manifestiert. Diese Konzessionen wurden unter dem Druck der Arbeiter von der Bourgeoisie zugestanden...“ (IBRP in Bilan et Perspectives, Nr. 4, S. 5 – 7, eigene Übersetzung). Noch schwerwiegender ist die Tatsache, dass Battaglia die „Tarifverträge“, die Vereinbarungen also, die es den Gewerkschaften gestatten, als Polizei in den Betrieben zu agieren, gar als ein Beispiel betrachtet für „soziale Errungenschaften, die durch mächtige Kämpfe (der Bourgeoisie) abgerungen wurden“.

Wir haben hier nicht den Platz, um in die Details all der politischen Rückschritte zu gehen, die Battaglias endgültiger Abkehr vom Rahmen der Dekadenz zur Erarbeitung von Klassenpositionen folgten. Wir werden auf diese Rückschritte in weiteren Artikeln zurückkommen. Wir möchten an dieser Stelle lediglich ein paar Beispiele anführen, die den Leser in die Lage versetzen sollen zu verstehen, dass es zwischen der Abkehr von der Dekadenztheorie und der Annahme typisch linksextremistischer Positionen nur ein kurzer Weg ist, ein fürchterlich kurzer Weg! Und wenn Battaglia uns Seite um Seite erzählt, dass es notwendig sei, den neuen Wandel zu verstehen, der auf der Welt vor sich gehe, und dass wir, die IKS, unfähig seien, dies zu tun[20], dann erkennt es nicht, dass es sich auf demselben Weg befindet, den auch die Reformisten Ende des 19. Jahrhunderts eingeschlagen hatten: Auch damals geschah es im Namen des „Verständnisses der neuen Realitäten im ausgehenden 19. Jahrhundert“, als Bernstein und Co. ihre Revision des Marxismus rechtfertigten. Indem es sich endgültig von der Dekadenztheorie abwendet, glaubt Battaglia einen großen Schritt zum Verständnis der „neuen Realitäten in der Welt“ gemacht zu haben. Tatsächlich ist Battaglia kurz davor, zum 19. Jahrhundert zurückzukehren. Wenn das „Verständnis der neuen Realitäten der Welt“ bedeutet, das marxistische Objektiv der Dekadenztheorie in das Objektiv des Linksextremismus umzutauschen, dann nein danke! Wir können sehr deutlich sehen, dass die wiederholte Abwesenheit des Begriffs der Dekadenz in seinen verschiedenen Plattformen (mit Ausnahme seiner Integration in seine Grundsatzpositionen zurzeit der Internationalen Konferenzen der Gruppen der Kommunistischen Linken) der Ursprung für all die opportunistischen Verirrungen Battaglias seit seiner Gründung ist.

Schlussfolgerung

Trotz ihrer so theoretischen Ansprüche ist die Kritik Battaglias am Dekadenzkonzept letztendlich nicht mehr als eine Wiederauflage jener Kritik, die Bordiga vor 50 Jahren vorgebracht hatte. In diesem Sinn kehrt Battaglia zu seinen ursprünglichen bordigistischen Wurzeln zurück. Die Kritik am angeblichen „Fatalismus“ der Dekadenztheorie wurde bereits von Bordiga auf dem Römischen  Treffen 1951 geübt: „Die jüngste Behauptung, dass der Kapitalismus sich auf seinem absteigenden Ast befindet und nicht mehr hochklettern kann, enthält zwei Irrtümer: einen fatalistischen und einen gradualistischen“. Was Battaglias andere Kritik an der Dekadenztheorie angeht, wonach der Kapitalismus „frisches Blut aus der Zerstörung des Übermaßes an Kapital und Produktionsmitteln erhält“ und somit „das Wirtschaftssystem sich selbst reproduziert, indem es einmal mehr und auf höherer Ebene all seine Widersprüche aufwirft“, so wurde auch dies von Bordiga auf besagten Römischen Treffen bereits vorgebracht: „Die marxistische Vision kann durch so viele im Aufstieg befindliche Branchen, die gerade erst ihren Zenit erreichen, dargestellt werden...“; und in seinem Dialog mit dem Tod: „Der Kapitalismus wächst ohne Unterlass und über alle Grenzen hinweg...“ Doch wie wir gesehen haben, ist dies nicht die Sichtweise des Marxismus, weder von Marx: „Die universelle Tendenz des Kapitals erscheint hier, die es von früheren Produktionsstufen unterscheidet. Obgleich seiner Natur nach selbst borniert, strebt es nach universeller Entwicklung der Produktivkräfte und wird so die Voraussetzung der neuer Produktionsweise… Diese Tendenz – Die das Kapital hat… und es zu seiner Auflösung treibt…“ (Grundrisse , S. 438.) noch von Engels „ist es vielmehr, die neu hervortretenden gesellschaftlichen Missstände als notwendige Folgen der bestehenden Produktionsweise, aber auch gleichzeitig als Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung nachzuweisen, und innerhalb der sich auflösenden ökonomischen Bewegungsform die Elemente der zukünftigen, jene Missstände beseitigenden, neuen Organisation der Produktion und des Austausches aufzudecken“ (F. Engels, Anti-Dühring).[21]

Was der Marxismus behauptet, ist nicht, dass die kommunistische Revolution das unvermeidliche Resultat der tödlichen Widersprüche ist, die den Kapitalismus bis zu den Punkt bringen, wo er sich selbst unmöglich macht (Engels) und in die Selbstzerstörung treibt (Marx), sondern dass, wenn das Proletariat nicht in der Lage ist, seine historische Mission zu erfüllen, die Zukunft nicht in einem Kapitalismus bestehen wird, der „sich selbst reproduziert, indem er einmal mehr und auf höherer Ebene all seine Widersprüche aufwirft“ und der „ohne Unterlass und über alle Grenzen hinweg“ wächst, wie Battaglia und Bordiga behaupten. Die Zukunft des Kapitalismus heißt Barbarei. Eine Barbarei, die seit 1914 nicht aufgehört hat zu wachsen, von der Schlächterei von Verdun über den Holocaust, den Gulag und Hiroshima bis hin zum Genozid in Kambodscha und Ruanda. Um zu verstehen, was die Alternative zwischen Sozialismus und Barbarei bedeutet, muss man die Dekadenz des Kapitalismus begreifen.



[1] Insbesondere in den folgenden zwei Artikeln: in Prometeo Nr. 8, Reihe 4 (Dezember 2003), „Für eine Definition des Dekadenzkonzepts“, verfasst von Damen jun. (erhältlich auf Französisch auf der IBRP-Website – www.ibrp.org – und auf Englisch in Revolutionary Perspectives Nr. 32, Reihe 3, Sommer 2004) und in Internationalist Communist Nr. 21, „Kommentare zur jüngsten Krise in der IKS“, verfasst von Stefanini jun.

 

[2]  „Die Arbeit innerhalb der ökonomischen Gewerkschaftsorganisationen der Arbeiter mit Blick auf ihre Weiterentwicklung und Stärkung ist eine der ersten politischen Aufgaben der Partei (...) Die Partei strebt die Rekonstruktion eines einheitlichen Gewerkschaftsbundes an (...) Die Kommunisten tun in aller Offenheit kund, dass die Funktion der Gewerkschaft nur vervollständigt und nur ausgeweitet werden kann, wenn sie von der politischen Klassenpartei des Proletariats angeführt wird.“ (Punkt 12 der Politischen Plattform der PCInt, 1946, eigene Übersetzung)

[3] „Die Konferenz schlägt nach einer breiten Diskussion des Gewerkschaftsproblems die allgemeine Billigung des Punktes 12 der Politischen Plattform der Partei vor und mandatiert somit das Zentralkomitee, in Übereinstimmung mit dieser Orientierung ein Gewerkschaftsprogramm zu erarbeiten.“ (Protokolle der Ersten nationalen Konferenz der PCInt, eigene Übersetzung)

[4] Confederazione Generale Italiana del Lavoro (Italienischer Gewerkschaftsbund)

[5] die politische Emigration nicht allein die Arbeit der Linksfraktion leistete, welche die Initiative beim Aufbau des PCInt 1943 ergriff, dass diese Gründung aber doch auf den Grundlagen entstand, die die Emigration ab 1927 bis zum Krieg verteidigte.“ (Einführung zur politischen Plattform der PCInt, Publikation der Internationalen Kommunistischen Linken, 1946, S. 12) 

[6] Siehe zum Beispiel die interessante Studie über „Dekadente Akkumulation“ in L’Internationaliste (1946), dem Monatsbulletin der belgischen Fraktion der Internationalen Kommunistischen Linken, oder ihre erste Broschüre mit dem Titel „Entre deux mondes“, veröffentlicht im Dezember 1946: „die Schlacht findet zwischen zwei Welten statt: der dekadenten kapitalistischen Welt und der aufsteigenden proletarischen Welt (...) Mit der Krise von 1913 ist der Kapitalismus in seine Dekadenzphase eingetreten.“

[7] Woher kommt eine solche politische Heterogenität und Kakophonie? In Wahrheit fand die Gründung der PCInt zunächst auf ihrer ersten Konferenz 1943 in Turin statt und schließlich noch einmal auf ihrer Ersten nationalen Konferenz 1945, mit der Verabschiedung ihrer Politischen Plattform. Sie war eine bunt zusammengewürfelte Gruppierung aus Genossen und Kernen mit diversen politischen Horizonten und Positionen, von den Gruppen in Norditalien, die von der Fraktion im Exil und den alten Militanten beeinflusst waren, welche aus der vorzeitigen Auflösung der Fraktion 1945 herkamen, über die Gruppen um Bordiga aus Süditalien, die dachten, dass es möglich sei, die Kommunistischen Parteien wiederzubeleben, und die in der Frage des Charakters der UdSSR konfus blieben, bis hin zu Elementen der Minderheit, die 1936 wegen ihrer Teilnahme an den republikanischen Milizen während des spanischen Bürgerkriegs aus der Fraktion ausgeschlossen worden waren, und der Vercesi-Tendenz, welche am Antifaschistischen Komitee Brüssel teilgenommen hatte. Auf solch einer heterogenen organisatorischen und politischen Grundlage konnte nur der niedrigste gemeinsame Nenner gewählt werden. Man kann nicht allzu viel Klarheit von all dem erwarten, besonders in der Frage der Dekadenz.

[8] Erhältlich auf Französisch auf der Website von Battaglia: „Thesen über die heutigen Gewerkschaft und die kommunistische Aktion“. Solche Widersprüche zum Punkt 12 ihrer Plattform von 1945 über die Gewerkschaftsfrage zeigen sich auch in dem Bericht, der von der Exekutivkommission der Partei über „Die Evolution der Gewerkschaften und die Aufgaben der Internationalistischen Kommunistischen Gewerkschaftsfraktion“ präsentiert wurde, veröffentlicht in Battaglia Comunista Nr. 6, 1948, und verfügbar auf Französisch in Bilan et Perspectives Nr. 5, November 2003). 

[9] Für weitere Details aus der Geschichte der Gründung der PCInt und ihrer Spaltung 1952 siehe unser Buch The Italian Communist Left und auch eine Reihe von Artikeln in unserer Internationalen Revue (internationale Ausgabe): „The ambiguities of the PCInt on ‚Partisans‘“ in Nr. 8, „A caricature of the party: the Bordigist party“ in Nr. 14, „Current problems of the revolutionary milieu“ in Nr. 32, „Against the concept of the ‚brillant leader‘“ in Nr. 33, „Response to Battaglia“ und „Against the PCInt’s concept of discipline“ in Nr. 34, „On the 2nd Congress of the PCInt“ in Nr. 36, „The origins of the ICC and the IBRP“ in Nr. 90, „The formation of the PCInt“ in Nr. 91, „Among the shadows of Bordigism and its epigones“ in Nr. 96, „Marxist and opportunist visions of the construction of the party“, Teil 1 in Nr. 103, Teil 2 in Nr. 105.

[10] La doctrine du diable au corps, 1951, wiederveröffentlicht in Le Proletaire, Nr. 464 (die Zeitung der PCI auf Französisch); Le renversement de la praxis dans la theorie marxiste in Programme Communiste Nr. 56 (theoretische Zeitschrift der PCI in Frankreich); Protokolle des Römischen Treffens 1951, veröffentlicht in Invariance Nr. 4.

[11] Es wurden drei Konferenzen abgehalten, die erste zwischen April und Mai 1977, die zweite im November 1978 und die dritte im Mai 1980. Im Verlauf der letzten Konferenz stellte Battaglia ein ergänzendes Beitrittskriterium vor, mit der Absicht, wie sie selbst sagten, unsere Organisation zu eliminieren. Lediglich zwei (Battaglia und die CWO) von fünf teilnehmenden Organisationen (BC, CWO, IKS, NCI, L’Eveil Internationaliste und die GCI als beobachtende Gruppe) akzeptierten dieses Kriterium, das daher nicht formal von der Konferenz akzeptiert wurde. Abgesehen von dieser formellen Frage markierte dieses Vermeiden von inhaltlichen Auseinandersetzungen das Ende dieses Klärungszyklus‘. Die vierte Konferenz, zu der lediglich von Battaglia und der CWO aufgerufen wurde, wurde allein von diesen beiden Gruppen und einer Gruppe iranischer maoistischer Studenten, die SUCM, die bald darauf verschwand, besucht. Der Leser kann Einsicht nehmen in die Protokolle dieser Konferenzen, aber auch in unseren Kommentaren in der Internationalen Revue (internationale Ausgabe) Nr. 10 (erste Konferenz), Nr. 16 und 17 (zweite Konferenz), Nr. 22 (dritte Konferenz) und Nr. 40, 41 (vierte Konferenz).

[12]  „Nun da die Krise des Kapitalismus eine Dimension und Tiefe erreicht hat, die ihren strukturellen Charakter nur bekräftigt, stellt sich die Notwendigkeit für ein richtiges Verständnis der historischen Phase, die wir als dekadente Phase des kapitalistischen Systems erleben...“ („Bemerkungen zur Dekadenz“, Teil 1, Prometeo Nr. 1, Reihe 4, erstes Vierteljahr 1978, S. 1, eigene Übersetzung). „Die Bestätigung der Vorherrschaft des Monopolkapitals markiert den Beginn der Dekadenz der bürgerlichen Gesellschaft. Der Kapitalismus hat, nachdem er die Monopolphase einmal erreicht hat, keine fortschrittliche Rolle mehr; dies bedeutet nicht, dass es keine Weiterentwicklung der Produktivkräfte gibt, sondern dass die Bedingungen für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte innerhalb der bürgerlichen Produktionsverhältnisse eine kontinuierliche Degradierung der Mehrheit der Menschheit bedeutet und der Barbarei entgegenstrebt.“ („Bemerkungen über die Dekadenz“, Teil 2, Prometeo Nr. 2, Reihe 4, März 1979, S. 24, eigene Übersetzung).

[13] Wir zitieren aus den Texten, die von Battaglia auf der ersten und zweiten Konferenz vorgestellt wurden. „Krise und Dekadenz“: „Wenn dies geschieht, hört der Kapitalismus auf, ein fortschrittliches System zu sein – und tritt in seine dekadente Phase ein, die sich durch Versuche auszeichnet, seine eigenen Widersprüche zu lösen, indem er neue Formen der Produktionsorganisation kreiert (...) die wachsenden Interventionen des Staates in die Wirtschaft müssen als Anzeichen für die Unmöglichkeit betrachtet werden, die Widersprüche zu lösen, die sich in den gegenwärtigen Produktionsverhältnissen sammeln (...) Dies sind die deutlichsten Anzeichen für die dekadente Phase.“ (erste Konferenz) „Über die Krise und die Dekadenz“: „Exakt in dieser historischen Phase betrat der Kapitalismus seine Dekadenzphase (...) Zwei Weltkriege und die gegenwärtige Krise sind der historische Beweis dafür, was ein System, das so dekadent ist wie der Kapitalismus, für den Klassenkampf bedeutet, was auf der Ebene des Klassenkampfes die Permanenz eines dekadenten Systems bedeutet.“ (zweite Konferenz)

[14]  „Der Erste Weltkrieg, das Produkt der Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten, markiert einen endgültigen Wendepunkt in der Entwicklung des Kapitalismus. Er bestätigte, dass der Kapitalismus eine neue historische Ära eingeschlagen hat, die Ära des Imperialismus, wo ein jeder Staat Bestandteil der globalen kapitalistischen Ökonomie ist und nicht den Gesetzen entkommen kann, die jene Ökonomie beherrschen (...) Die Geschichtsepoche, in der die nationale Befreiung fortschrittlich für die kapitalistische Welt gewesen war, endete im ersten imperialistischen Krieg 1914 (...) heute können wir sehen, dass es einen markanten Unterschied zwischen politischen Organisationen des Proletariats aus der Vor-Oktober-Periode und jenen aus der darauffolgenden Periode gibt. Während des Aufstiegs des Kapitalismus und seiner Konsolidierung als vorherrschende Produktionsweise schufen bürgerliche nationalistische oder anti-despotische Bewegungen den Rahmen für die Mobilisierung der Massen europäischer Proletarier, was wiederum die Bildung großer Gewerkschafts- und Parteiorganisationen erleichterte. Innerhalb dieser Organe war die Arbeiterklasse in der Lage, ihre eigene Klassenidentität auszudrücken, indem sie ihre eigenen Forderungen stellte, wenn auch im Rahmen der herrschenden bürgerlichen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse (...) Die Gründung der Dritten Internationale, welche die Eröffnung einer proletarischen Weltrevolution ankündigte, signalisierte den Sieg der ursprünglichen Prinzipien des Marxismus. Die kommunistische Aktivität dreht sich nun allein um den Sturz des kapitalistischen Staates, um die Bedingungen für den Aufbau einer neuen Gesellschaft zu schaffen.“

[15] Aus: „Antwort auf die stupiden Beschuldigungen einer Organisation auf dem Weg in die Auflösung“, erhältlich auf der IBRP-Website.

[16] Erhältlich auf Französisch unter folgender Adresse: https://www.geocities.com/Capitol Hill/3303/francia/crisis_du_cci_htm.

[17] Wir sahen in der Internationalen Revue Nr. 35, dass Battaglia das Kapital nicht sehr gut gelesen hat, da der Begriff der Dekadenz sehr deutlich an etlichen Stellen auftaucht. Doch vielleicht ist dies nur ein Versuch von Battaglia, sich selbst einen Hauch von Autorität bei der Suche nach neuen Elementen für die Klassenpositionen zu verleihen. Im ersten Artikel unserer Reihe verwendeten wir über 20 Zitate aus dem Werk von Marx und Engels, von der Deutschen Ideologie bis zum Kapital via Manifest, Anti-Dühring, etc.

[18] Texte, die Battaglia der Zweiten Konferenz der Gruppen der Kommunistischen Linken vorstellte.

[20]  „... die IKS (...) eine Organisation, deren methodische und politische Basis außerhalb des historischen Materialismus gelegen ist und die sprachlos ist, um die Abfolge von Ereignissen in der ‚äußeren‘ Welt zu erklären“ (Internationalist Communist Nr. 21).

[21] Was uns anbetrifft, so hat uns, nachdem wir mit dieser Reihe von Artikeln zur Verteidigung des historischen Materialismus bei der Analyse der Entwicklung von Produktionsweisen begonnen hatten, das neuerliche Lesen der Werke von Marx und Engels geholfen, mit großem Vergnügen neue und alte Passagen (wieder) zu entdecken, die völlig bestätigen, was wir hier vorbringen. Daher wiederholen wir unsere Aufforderung an alle Kritiker der Dekadenztheorie, uns auf Zitate der Gründungsväter hinzuweisen, die ihnen zufolge bestätigen, was sie über den historischen Materialismus zu sagen haben.