5) RESOLUTION DES 3.KONGRESSES DER IKS ZUM STAAT IN DER ÜBERGANGSPERIODE (1979)

Printer-friendly version

Weil die Gesellschaft weiterhin in Klassen mit entgegengesetzten Interes­sen gespalten ist, entsteht in ihr wäh­rend der Übergangsperiode ein Staat. Solch ein Staat wird zur Aufgabe ha­ben, die Errungenschaften der Über­gangsgesellschaft einerseits gegen jeg­lichen inneren und äußeren Versuch der Wiederherstellung der Macht der alten ausbeutenden Macht zu garantieren, und andererseits den Zusammenhalt der Gesellschaft aufrechtzuhalten in Anbe­tracht der Gefahr ihrer Zerrüttung, die aus den Gegensätzen zwischen den ver­schiedenen, noch weiterhin bestehen­den nicht-ausbeutenden Klassen entste­hen kann.

Der Staat der Übergangsperiode weist bestimmte Unterschiede zum Staat der früheren Gesellschaften auf:

- zum ersten Mal in der Geschichte steht der Staat nicht im Dienste einer ausbeutenden Minderheit zur Unter­drückung der Mehrheit, sondern im Gegenteil im Dienste der Mehrheit, be­stehend aus den ausgebeuteten Klassen und Schichten, sowie aus den nicht-ausbeutenden, gegen die Minderheit der entmachteten, ehemaligen herr­schenden Klassen;

- er geht nicht aus einer stabilen Ge­sellschaft mit stabilen Produktionsver­hältnissen hervor, sondern im Gegen­teil aus einer Gesellschaft, deren stän­diges Merkmal die dauernde Umwäl­zung ist, die zu den größten Verände­rungen in der Geschichte führt;

- er kann sich mit keiner ökonomisch herrschenden Klasse identifizieren, da es in der Gesellschaft der Übergangspe­riode keine Klasse dieser Art gibt;

- im Gegensatz zum Staat der vergan­genen Gesellschaften verfügt der Staat der Übergangsperiode nicht mehr über das Monopol der Waffen. Aus all die­sen Gründen und wegen der sich daraus ergebenden Folgen konnten die Marxi­sten in Bezug auf das in der Über­gangsperiode entstehende Organ von einem "halben" Staat sprechen.

Andererseits behält dieser Staat einige Charakteristiken der vergangenen Staat. Insbesondere bleibt er das Organ des Status-Quo, das zur Aufgabe hat, einen schon bestehenden ökonomischen Zu­stand zu kodifizieren, zu legalisieren, ihm Gesetzeskraft zu geben, so daß er von allen Mitgliedern der Gesellschaft akzeptiert wird. In der Übergangsperi­ode wird der Staat dazu neigen, den be­stehenden ökonomischen Zustand zu erhalten. Somit bleibt der Staat ein grundsätzlich konservatives Organ, das dazu neigt:

- die soziale Umwälzung nicht zu be­günstigen, sondern sich ihr entgegen­zustellen,

- die Bedingungen seines Überlebens am Leben zu erhalten: die Spaltung der Gesellschaft in Klassen,

- sich von der Gesellschaft zu lösen, sich ihr aufzuzwingen, seine eigene Existenz zu verewigen, seine eigenen Vorrechte zu entwickeln,

- seine Existenz mit dem Zwang und der Gewalt, die er während der Über­gangsperiode zwangsläufig gebraucht, zu verhindern, und diese Art der Re­gulierung sozialer Beziehungen zu er­halten und zu verstärken,

- Nährboden für die Bildung einer Bü­rokratie zu sein; ein Sammelplatz für die Überläuferelemente der alten Klas­sen und Kader, die die Revolution zer­stört hatte.

Dieser Antagonismus zwischen Proleta­riat und Staat drückt sich sowohl auf unmittelbarer als auch auf historischer Ebene aus.

Auf unmittelbarer Ebene muß das Pro­letariat gegen die Eingriffe und den Druck des Staates ankämpfen, die der Ausdruck einer Gesellschaft sind, die noch aus Klassen besteht, deren Klas­seninteressen denen des Proletariats entgegengesetzt sind. Auf historischer Ebene wird das vom Marxismus schon hervorgehobene notwendige Absterben des Staates im Kommunismus nicht das Resultat der Eigendynamik des Staates, sondern das Ergebnis eines ständigen Druckes seitens des Proletariats sein. Dies wird eine Folge der Vorwärtsbe­wegung des Proletariats sein, durch welche dem Staat all seine Merkmale im Laufe der Entwicklung zur klas­senlosen Gesellschaft schrittweise ent­zogen werden.

Auch wenn das Proletariat den Staat der Übergangsperiode benutzen muß, muß es aus diesen Gründen eine voll­ständige Unabhängigkeit gegenüber diesem Organ bewahren. In diesem Sinne vermischt sich die Diktatur des Proletariats nicht mit dem Staat. Zwi­schen beiden besteht ein ständiges Kräfteverhältnis, das das Proletariat immer zu seinem Gunsten erhalten muß: die Arbeiterklasse übt die Dikta­tur des Proletariats durch ihre allge­meine, einheitliche, unabhängige und bewaffnete Organisation aus: die Ar­beiterräte, die als solche an den territo­rialen Räten teilnehmen (in welchen die gesamte nicht-ausbeutende Bevölkerung vertreten ist und von welchen die staat­liche Struktur ausgeht), ohne sich da­mit zu vermischen, um ihre Klassen­vorherrschaft in allen Strukturen der Übergangsgesellschaft zu sichern.

Aus diesen Gründen wurde der Staat der Übergangsperiode von Anfang an von den Marxisten als eine "Plage", ein "notwendiges Übel" betrachtet, dessen übelsten Auswirkungen man verhindern muß (Engels). Aus all diesen Gründen und im Gegensatz zur Vergangenheit kann sich die revolutionäre Klasse mit dem Staat der Übergangsperiode nicht identifizieren.

Einerseits ist das Proletariat keine öko­nomisch herrschende Klasse, weder in der kapitalistischen noch in der Über­gangsgesellschaft. In der letzten verfügt es über keine Wirtschaft, kein Eigen­tum - auch kein kollektives -, sondern es kämpft für das Verschwinden der Wirtschaft und des Eigentums. Ande­rerseits stößt das Proletariat - Träger des Kommunismus und Triebkraft der Umwälzung der ökonomischen und so­zialen Verhältnisse der Übergangsperi­ode - notwendigerweise mit dem Organ zusammen, das diese Verhältnisse zu verewigen sucht. Demzufolge kann man während der Übergangsperiode weder von einem "sozialistischen Staat", noch von einem "Arbeiterstaat", noch von einem "proletarischen Staat" sprechen.

1979