Der Klassenkampf in Italien: Weshalb gelingt es in den Kämpfen nicht, sich gegen das Kapital zu vereinen?

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Die extreme Zuspitzung der Weltwirtschaftskrise, die besondere Zerbrechlichkeit Italiens und der Druck der internationalen Bourgeoisie haben über den Widerstand Berlusconis gesiegt: Er und seine Regierung wurden abgesetzt.

Dieser Übergang, der anfänglich in gewissen sozialen Schichten große Euphorie auslöste (z.B. die Feiern vor dem Parlament am Tage der Absetzung), hat aber jetzt schon gezeigt, dass jenseits des Komödianten Berlusconi, den niemand vermissen wird, alles beim Alten bleibt. Vom Gesichtspunkt der Lebensbedingungen bleibt nicht nur alles kalter Kaffee, vielmehr ist die Regierung Montis imstande, darüber hinaus zu gehen und die Renten, diese jahrelang erfolgreich verteidigte Sphäre, anzugreifen. Gerade weil Monti kein Vertreter irgendeiner Partei ist und weil er nicht vom "Volk" gewählt und dazu berufen wurde "Italien zu retten", kann er es sich leisten, diese sehr unpopulären Maßnahmen zu ergreifen, welche in Italien seit Wochen von statten gehen1 und (fast) keiner erhebt die Stimme.2 Man hat immer mehr den Eindruck, dass das alles nichts hilft. In den letzten Jahrzehnten, und ganz besonders in den letzten Jahren, zeigt sich, dass das kapitalistische System nicht mehr in der Lage ist, den jungen Generationen irgendeine Zukunft zu bieten. Deshalb ist es klar, dass es nicht mehr um eine einzelne Lohnerhöhung, einen Jahresvertrag, eine Arbeitslosenentschädigung geht, sondern dass man sich den Blickwinkel einer neuen  Gesellschaft aneignen muss und dies nur auf globaler und vereinter Grundlage zu erreichen ist.
Aber es ist schwierig, dieses Bewusstsein zu entwickeln. Es ist klar: das Proletariat muss noch sein Selbstbewusstsein wiederfinden, sich wieder als Klasse erkennen; es muss die eigene Geschichte an die Geschichte der vorangegangenen Generationen knüpfen.

Ein wichtiges Element, das als Bremse agiert, sind die Gewerkschaften und ihr Denken. Was bedeutet eigentlich "gewerkschaftlicher Kampf"? Es bedeutet vor allem, den eigenen Kampf an ein Team von Experten zu delegieren, welche sich der Aufgabe übernehmen, die Verhandlungen weiter zu führen. Wenn eine gewerkschaftliche Delegation mit den Arbeitgebern verhandelt, bleibt den Beschäftigten nicht anderes als das Verhandlungsergebnis abzuwarten und zu hoffen, dass das Bestmöglichen herauskommt. Wenn die Gewerkschaft (gehen wir mal davon aus) eine gute Arbeit macht, entreißt sie der Klasse die Initiative, das Potential ihrer Kämpfe voranzutreiben. Aber was bedeutet heute "kämpfen"? Ist es möglich, etwas zu erreichen, wenn man zu 100, 500 oder gar 10.000 eingeschlossen in der Fabrik verharrt? Oder wäre es nicht viel effektiver, die Kämpfe auszuweiten und die Fabrik als Stützpunkt zu benützen für die Suche nach KampfgenossInnen in anderen Fabriken, Branchen oder gar bei den Arbeitslosen, die die Notwendigkeit der Solidarisierung mit den Kämpfen sehen und sich in ihren Zielen erkennen. Das Ausmaß der allgemeinen und massiven  Angriffe erlaubt es uns nicht mehr, in einzelnen Kämpfen verzettelt Widerstand zu leisten, indem man isoliert voneinander in den einzelnen Fabriken, Städten, Ländern kämpft. Deshalb treibt uns die gewerkschaftliche Logik in die Niederlage, weil sie nur die lokale, branchenbezogene Karte spielen kann. Sie geht nicht von einer Einheit der Arbeiter aus, die nicht die Summe der einzelnen Kämpfe ist, sondern das Subjekt an und für sich, das für eine andere Zukunft kämpft.

Wenn wir einen Blick auf die Karte der Kämpfe in Italien werfen, ist es verblüffend zu sehen, wieviele Kämpfe gleichzeitig stattfinden. Andererseits kann man leicht erkennen, welcher Funken alles explodieren ließe. Das Problem ist, welche Art von Kämpfen müssen sich entwickeln? Irgendwie herrscht noch Zögern vor;  dies bringt die Klasse dazu, die eigene Initiative aus den Händen zu geben und die eigene Sache in die Hände der gewerkschaftlichen Vertreter zu legen. Nicht nur in die Hände der großen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL, welche seit Jahren eine Politik des  „verantwortlichen Handelns“  betrieben haben, wodurch die Manöver gegen die Arbeiter unterstützt werden. Ihre Beliebtheit hat stark abgenommen.3 Aber es gibt auch diejenigen, die sich die Hände nicht schmutzig gemacht haben, indem sie die verschiedenen Abkommen mit den verschiedenen Regierungen unterschrieben hätten, die sogenannten Basisgewerkschaften, die sagen, dass sie für eine wirkliche Verteidigung der Arbeiterinteressen kämpfen. Es gibt aber auch die FIOM, welche eine größere Kampfbereitschaft innerhalb der CGIL gezeigt hat. Man sieht, dass dann, wenn der Kampf sich zuspitzt, nur die FIOM anwesend ist. Auch wenn es eine Gewerkschaft einer bestimmten Branche ist, namentlich der Metallarbeiter, spielt sie die Rolle des Jokers auch in anderen Branchen, wie bei den Arbeitslosen, den StudentInnen, den COBAS4, CUB5 und anderen.

Wir möchten genauer erklären, was wir meinen, wenn wir von der Logik der Gewerkschaften reden. In der heutigen historischen Phase sind die Gewerkschaften nicht in der Lage, den Bedürfnissen der ProletarierInnen gerecht zu werden. Sehen wir einmal genauer hin, was in den Fabriken und an den anderen Arbeitsplätzen passiert. In den letzten Monaten hat sich der Kampf bei Esselunga in Pioltello als symbolträchtiger Ort gezeigt.

Seit Monaten sind in Pioltello/Mailand bei der Genossenschaft SAFRA, einer Tochtergesellschaft der Esselunga, die 300 Beschäftigten in Aufruhr. Seit Anfang Oktober 20116 haben sich die Streiks verschärft. Die Arbeiter, die von den COBAS unterstützt werden, haben eine ständige Streikführung am Eingang des Geländes eingerichtet. Einerseits um einen Treffpunkt für die ArbeiterInnen wie auch für die Externen zu bilden. Aber andererseits auch, um die Ein- und Ausfahrt der Lastwagen zu blockieren. In diesem Fall ist die Maßnahme der Blockade ein sehr wichtiges Mittel für den Streik. Denn es bedeutet, die Einnahmequelle des Unternehmens zu treffen. Die Antwort der Arbeitgeber war außerordentlich hart.7
Die Polizei war dauernd vor dem Gelände und intervenierte wiederholt. Es wurden auch 15 Kündigungen gegen die kämpferischsten ArbeiterInnen ausgesprochen. Und über einen Zeitraum von drei Jahren wurden die ArbeiterInnen von COOP, die bei den COBAS eingeschrieben waren, mit einer Reihe von Anklagen konfrontiert; diese gehen von „Widerstand“ bis „Körperverletzung“ wegen der Mobilisierung der ArbeiterInnen in Origgio, welche den Anfang der Kämpfe bei COOP gebildet hatte.8

Das Szenario ist in Hunderten von Betrieben dasselbe, es ändern sich nur die Firma und der Ort. Wir wollen hier nur einige der wichtigsten und aktuellsten Kämpfe in Erinnerung rufen:
- Bei der Keramikfabrik „Ricchetti di Mordano/Bologna“, da stehen 62 Arbeitsplätze auf der Kippe.9
- Bei dem Transportunternehmen „CEVA di Cortemaggiore/Piacenza“, in welchem die Beschäftigten sich über außerordentlich krasse Vertragsverletzungen beklagen. „Der 13. und 14. Monatslohn wird auf dem Lohnzettel als bezahlt ausgewiesen. In Wirklichkeit wurden uns diese Löhne nicht ausbezahlt.“ „Wir verlangen nur, dass die Verträge eingehalten werden, welche mit unserer Gewerkschaft ausgehandelt wurden.“
- Bei den Transportkooperativen von Bergamo, wo 150 ArbeiterInnen streiken, die meisten von ihnen sind Immigranten.
- Bei der „Elnagh di Trivolzio, Pavia“, ein Betrieb der Wohnwagen produziert. Dort wird mit der Schließung gedroht, was die Entlassung von 130 ArbeiterInnen bedeuten würde.
- Bei der „ex-ILA di Porto Vesme, Carbonia Iglesias“ wurden am 31. Dezember die abfedernden Sozialleistungen eingestellt.
- Bei den „Italienischen Staatsbahn (FS)“ sind insgesamt 800 ArbeiterInnen, die als Techniker,  Zugbegleiter oder Reinigungspersonal beschäftigt waren, Anfang Dezember 2011 entlassen worden. Das hat zur Besetzung eines der Bahnhofsteile des Mailänder Hauptbahnhofs geführt.
- Bei der „Iribus di Valle Ufita, Avellino“ wird die Busproduktion eingestellt; 600 ArbeiterInnen sollen entlassen werden.
Man könnte die Liste noch auf einige Fiat-Werke, die Jabil, die ex-Siemens Nokia Werke, Spitäler sowie Schiffswerften ausweiten und über Fabrikbesetzungen von Arbeiterinnen (Tacconi) in Latina berichten.
Wichtig ist festzustellen, was für ein unglaubliches Potential es gibt und dass sehr viele Kämpfe stattfinden, die immer mit sehr rührendem Engagement und Hingabe geführt werden. Es gibt einige Zehntausend ArbeiterInnen, deren Kämpfe an Intensität und Schärfe stark zugenommen haben. Leider drücken sie bisher ihren Kampfgeist nur im Rahmen ihres eigenen Arbeitsplatzes aus. Bei all den erwähnten Kämpfen ragen einige Merkmale heraus:
- Es gibt Streikposten, welche die Aktivitäten der Fabriken blockieren und auch verhindern, dass Streikbrecher eingesetzt werden;
- Fabriken werden bewacht, so dass es im Falle einer Schließung zu einer Besetzung kommt, damit die Maschinen nicht hinausgeschafft werden (wie im Falle der „Elnagh di Trivolzio“);
- Solidarität seitens von anderen Beschäftigten und anderen Menschen , die Geld, Nahrungsmittel und ihre persönliche Unterstützung anbieten;
- Solidaritätskassen, um die Beschäftigten  zu unterstützen, welche von Entlassungen oder Kürzungen betroffen sind, die sie aufgrund der zahlreichen Streiktage zu erleiden haben.

Auch wenn all dies ein großes Kampfpotential ausdrückt, so wird die Tatsache, dass diese Kämpfe nicht über die Dimension der eigenen Fabrik hinausgehen – eine Tatsache, die vor allem durch die gewerkschaftliche Logik begünstigt wird –, langfristig zu einer Falle. Es ist kein Zufall, dass in vielen Fällen die Arbeiter, die wochen- und monatelange kämpfen und vor den Toren ihrer eigenen Fabriken oder auf den Dächern aushalten, sich darüber beklagen, dass sie von anderen ArbeiterInnen kaum wahrgenommen werden. Um dies zu ändern, muss man die Kampflogik umkehren. Hinaus aus der eigenen Fabrik, indem man Delegationen zu anderen Betrieben schickt. Die Solidarität ist eine wichtige Waffe des Klassenkampfs, sie funktioniert aber nicht nur in einer Richtung. Die Solidarität bedeutet eine gegenseitige Unterstützung der verschiedenen Branchen  und unter den Beschäftigen selbst. Wieso sollte ein Sieg durch Kämpfe in 100 verschiedenen Betrieben errungen werden können, wenn jeder Betrieb auf sich alleine angewiesen ist  statt dass 100 Betriebe zusammen kämpfen, mit den Beschäftigten all dieser Betriebe,  unabhängig vom jeweiligen Ausgangspunkt dieser Bewegungen?
Unsere Zukunft  hängt stark von dieser Alternative ab. Wenn die FabrikarbeiterInnen in ihren Fabriken verharren, während dessen junge Arbeitslose und andere Perspektivlose gegen die  falsche Zielscheibe, die Polizei, kämpfen,  werden wir kaum vorankommen. Wenn wir dagegen zusammen einen gemeinsamen Weg finden, und zu einem Zusammenschluss und einer Ausdehnung kommen mittels Vollversammlungen, Demonstrationen, massiven Delegationen zu anderen Betrieben usw.,  dann wird sich eine ganz andere Perspektive eröffnen.
Ezechiele, 18. Dezember 2011   (aus unserer Presse in Italien).

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