Die Gründung der Kommunistischen Internationale vor 90 Jahren

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Wiederveröffentlichung eines Artikels den wir vor 20 Jahren 1989 schrieben

Das Proletariat hat sich heute mehr und mehr von den Ketten der Konterrevolution befreit.

Umso wichtiger ist es, 70 Jahre nach der Gründung der III. Internationale, den Beitrag der Komintern zu verstehen und sich wiederanzueignen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, muss man nicht nur die stalinistischen Verfälschungen ablehnen, sondern auch den folgenschweren Fehler Trotzkis, der die Anerkennung der gesamten vier ersten Kongresse der Komintern zur Bedingung und Garantie für den Kampf gegen den Stalinismus machte. Ebenso irrig ist die entgegengesetzte Haltung der Rätekommunisten, die die III. Internationale von Beginn an außerhalb des proletarischen Lagers stellten, weil nach dem 5. Kongress der Prozess der Degeneration voll in Gang kam. Die Grundlage dieser Fehleinschätzungen ist ein mangelndes Verständnis des Prozesses, den die Komintern durchlief: den Versuch der Arbeiterklasse und ihrer Vorhut, den Bruch, den der I. Weltkrieg darstellte, zu begreifen.

Wenn es uns gelungen ist, uns trotz aller polizeilichen Schwierigkeiten und Verfolgungen zu versammeln, wenn es uns gelungen ist, in kurzer Zeit ohne irgendwelche ernst zu nehmenden Differenzen wichtige Beschlüsse über alle brennenden Fragen der heutigen revolutionären Epoche zu fassen, so verdanken wir das dem Umstand, dass die Massen des Proletariats der ganzen Welt eben diese Fragen schon durch ihr praktisches Auftreten auf die Tagesordnung gestellt und praktisch zu entscheiden begonnen haben“ (Rede Lenins bei Beendigung des I. Kongress der Komintern, 6. 3.1919).

Diese Feststellung Lenins drückt ganz deutlich aus, in welchem Zusammenhang die Komintern gegründet wurde: der Bruch von immer größeren Massen von Arbeitern mit der Konterrevolution, die die endgültige Niederlage der II. Internationale und den Ausbruch des imperialistischen Gemetzels verursacht hatte. Der tragischen Begeisterung für den Krieg folgte ziemlich rasch eine wachsende Abneigung angesichts der Wirklichkeit des Krieges, die die Barbarei eines überholten Systems zuspitzte.

Schon 1916 brachen die ersten großen Meutereien und Streiks aus, insbesondere in Russland. Auch wenn dies anfänglich nur eine Minderheit war, auch wenn die Reaktion der Arbeiter nicht über den Wunsch nach Beendigung des Krieges hinausging, tat sich durch diese Kämpfe ein Bruch in dem grausamen Burgfrieden der Proletarier mit ihren Ausbeutern für das Vaterland auf. Zur gleichen Zeit begannen die wenigen revolutionären Kräfte, die den Verrat vom August 1914 und die Zusammenarbeit der Arbeiterparteien mit dem Imperialismus verworfen hatten, sich zu organisieren und zusammenzufinden (Konferenz von Zimmerwald und Kienthal). Auch da, wo die Bolschewiki, gefolgt von einigen kleinen Gruppen der deutschen Linken als einzige eine wirkliche Alternative zeigten – „Umwandlung des imperialistischen Kriegs in Bürgerkrieg“ -, wurde ein erster Schritt gemacht.

Im Februar 1917 kam diese Entwicklung zum ersten Mal auf breiter Ebene deutlich zum Vorschein. Oktober 1917 war der Höhepunkt und zugleich der Ausgangspunkt für die Ausdehnung der revolutionären Welle: gewaltige Streiks brachen in Italien, Großbritannien, den USA aus; etwas später stand. Deutschland kurz vor dem proletarischen Aufstand, in Ungarn entstand die 2. Räterepublik, während in „weiter entwickelten Kolonien geht der Kampf schon jetzt nicht bloß unter dem Banner der nationalen Befreiung, sondern nimmt gleich einen offen ausgesprochenen sozialen Charakter an“. (Manifest). Die Gründung der Komintern fand in dieser revolutionären Welle statt, in der die Arbeiter mit ihrem neuen Wachhund - der Sozialdemokratie, die zum Feind übergewechselt war - brachen. Unter dem Einfluss dieser Kämpfe verstärkte sich die kommunistische Minderheit. 1916 kündigten sie schon mit Lenin an ihrer Spitze an, dass es nicht möglich sei, die II. Internationale wieder aufzurichten, und dass eine neue Internationale gegründet werden muss.

Die tragische Verspätung bei der Gründung der Komintern (der Bürgerkrieg war seit einem Jahr im Gange) drückte die mangelnde Reife des Proletariats und die sehr große Schwierigkeit für die Revolutionäre aus, die neue Zeit und ihre Erfordernisse zu verstehen. Nur die Umgruppierung der Revolutionäre auf Weltebene konnte die Vertiefung dieses Verständnisses ermöglichen. Darin bestand die Aufgabe, die sich der I. Kongress der Komintern setzte, und insofern war er ein wichtiger Moment in der Geschichte des proletarischen Kampfes.

„Die dritte Internationale ist die Internationale der offenen Massenaktion, die Internationale der revolutionären Verwirklichung, die Internationale der Tat.“(Manifest)

Die KI betonte den unüberwindbaren Widerspruch zwischen Proletariat und Bourgeoisie, die absolute Unmöglichkeit eines schrittweisen und friedlichen Übergangs zum Sozialismus und die Notwendigkeit der gewaltsamen Zerstörung des bürgerlichen Staates.

Der proletarische Internationalismus wurde angesichts des nationalistischen Giftes, das die Sozialdemokratie zerfressen hatte, hochgehalten.

„Die Internationale, die den Interessen der internationalen Revolution die sogenannten nationalen Interessen unterordnet, wird die gegenseitige Hilfe des Proletariats der verschiedenen Länder verwirklichen, denn ohne wirtschaftliche und andere gegenseitige Hilfe wird das Proletariat nicht imstande sein, die neue Gesellschaft zu organisieren“(Richtlinien der Komintern).

Dreh- und Angelpunkt für diese Verteidigung des Marxismus und die Bloßstellung der sozialdemokratischen Parteien als Agenten der Bourgeoisie war die Erkenntnis, dass eine neue Epoche angebrochen war: „Die neue Epoche ist geboren! Die Epoche der Auflösung des Kapitalismus, seiner inneren Zersetzung, die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats.“

Der gesamte Kongress war von dieser Idee geprägt. Es entstanden neue Erfordernisse mit dieser neuen Epoche:

- Der Kapitalismus ist in unüberwindbare Widersprüche verstrickt und nimmt in seinem Niedergang neue Formen an. So betonte Bucharin in seinem Bericht, dass man nicht nur die allgemeinen Merkmale des kapitalistischen und imperialistischen Systems beschreiben müsse, sondern auch den Zerfallsprozess und den Zusammenbruch des Systems. Das kapitalistische System dürfe nicht nur in seiner abstrakten Form, sondern müsse auch praktisch als Weltkapitalismus, als ökonomische Ganzheit gesehen werden.

Von dem Verständnis, dass der Kapitalismus als System die gesamte Erde erobert hat, hängt die Haltung des Proletariats zu nationalen Befreiungskämpfen und zu vorübergehenden Bündnissen mit Fraktionen der Bourgeoisie ab. Bucharin führte dazu aus:

„Die primitiven Formen des Kapitalismus sind nahezu verschwunden. Dieser Prozess begann schon vor dem Krieg und beschleunigte sich während desselben. Dieser Krieg war ein großer Organisator. Unter seinem Gewicht wurde das Finanzkapital in eine höhere Stufe übergeführt, umgewandelt: Staatskapitalismus.“

Der Staatskapitalismus, wie Bucharin mit Recht feststellte, verringert nicht die kapitalistische Anarchie, sondern bringt sie auf die höchste Stufe, auf die Ebene der Staaten selbst. Darin liegt die Grundlage für das Verständnis der besonderen Form des dekadenten Kapitalismus, wobei die sog. sozialistischen Länder nur eine Spielart dessen sind.

- In einer anderen grundsätzlichen Frage - der Machteroberung und der Diktatur des Proletariats - wird deutlich, dass eine neue Epoche der proletarischen Revolutionen angebrochen war. Die Erfahrung des Klassenkampfes lieferte die Grundlage dieser Erkenntnis. Bis dahin hatte die Pariser Commune einige wertvolle, aber begrenzte Elemente zur Frage geliefert, wie das Proletariat seine Diktatur ausübt. Und diese Erkenntnisse waren durch das Gewicht jahrzehntelangen parlamentarischen Kampfes vergessen worden. „Diktatur des Proletariats! Das war bisher Latein für die Massen. Mit der Ausbreitung des Sowjetsystems in der ganzen Welt ist dieses Latein in alle modernen Sprachen übersetzt worden: die praktische Form der Diktatur ist durch die Arbeitermassen gefunden (...) Alles dieses beweist, dass die revolutionäre Form der proletarischen Diktatur gefunden, dass das Proletariat jetzt praktisch imstande ist, seine Herrschaft auszuüben.“ (Rede Lenins bei Eröffnung des I. Kongresses der KI, 2.3.1919)

Während des ganzen Kongresses wurde die Wichtigkeit der Arbeiterräte betont. Die dringende Notwendigkeit, mit der II. Internationale und ihren linken Spielarten radikal zu brechen, wurde stets im Zusammenhang mit den Arbeiterräten, den Organen des revolutionären Proletariats betrachtet. Der erste Kongress verwarf die Auffassung, übernommen aus der bürgerlichen Revolution, in der eine Minderheit der revolutionären Arbeiterklasse die Macht im Namen aller ausübt. Diese Auffassung war auf die proletarische Revolution übertragen und durch die vielen Jahre des gewerkschaftlichen und parlamentarischen Kampfes verstärkt worden. Durch das Verständnis der Änderung der Periode und der neuen proletarischen Praktiken, die daraus entstanden, konnten die Fragen der Gewerkschaften und des Parlamentarismus neu gestellt werden. Überall da, wo radikale Kämpfe stattfanden, wurden die Gewerkschaften von Streikkomitees verdrängt. Meistens, wie in Deutschland oder Großbritannien, stellten sich die Gewerkschaften offen gegen die revolutionäre Bewegung, während die kämpferischen Arbeiter sich von ihnen abwandten. Dennoch ermöglichte die Vielfalt der Erfahrungen und die Tatsache, dass der Prozess der Einbeziehung der Gewerkschaften in den Staat erst am Anfang stand, es nicht, dass eine klare und umfassende Antwort auf diese Frage gegeben werden konnte. Auch wenn die Möglichkeit einer revolutionären Ausnutzung des Parlaments noch verteidigt wurde, unter anderem auch von den Bolschewiki, wurde die Notwendigkeit, die parlamentarische Frage im Zusammenhang mit der neuen Epoche zu diskutieren, erkannt.

Der wesentliche Beitrag des I. Kongresses der Komintern kann aber nicht auf eine einfache Wiederaneignung des Marxismus reduziert werden. Der Marxismus ist vor allem der Ausdruck der lebendigen Erfahrung des Proletariats und hat nichts mit einer erstarrten Lehre zu tun, die man nur zu bestimmten Zeitpunkten hervorzuholen brauchte. Auf der Grundlage der vergangenen Erfahrungen konnte die Komintern den Marxismus mit neuen Elementen bereichern. Der erste Kongress der Komintern verdeutlichte das revolutionäre Programm des Proletariats in seiner Gesamtheit, so wie es damals von seinen revolutionären Minderheiten aufgefasst und formuliert wurde. Durch die großen Kämpfe des Proletariats gibt es immer eine Bereicherung des Programms, auch auf der Ebene grundsätzlicher Fragen. Mit der Pariser Kommune machte das Proletariat die Erfahrung, dass es den bürgerlichen Staat nicht erobern, sondern zerstören muss. Erst durch die Kämpfe von 1917 konnte es verstehen, welche Form seine Klassendiktatur annehmen muss: die Macht der Arbeiterräte.

Als Ausdruck der revolutionären Welle, der Möglichkeit und Notwendigkeit der kommunistischen Revolution verdeutlichte der I. Kongress eindrücklich die Änderungen der Epoche und die Probleme, die diese Veränderungen für die gesamte Arbeiterklasse mit sich brachten. Aus diesem Grund stellt er einen der wichtigsten Momente in der Geschichte der Arbeiterklasse dar. Heute muss jedes revolutionäre Programm die Errungenschaften der Komintern und insbesondere ihres ersten Kongresses anerkennen. Jedoch genügt es nicht, die von der Komintern entwickelten Positionen vorbehaltlos in ihrer Gesamtheit zu übernehmen. Denn obwohl die Komintern einen enormen Schritt für die Arbeiterbewegung bedeutet hat, konnte sie angesichts des Rückflusses der proletarischen Bewegung und der Tatsache, dass sie an der Schwelle zwischen zwei Epochen des Kapitalismus gegründet wurde, nicht alle Folgen dieser Analyse herausarbeiten und sich völlig von der alten sozialdemokratischen Auffassung befreien. Die Grundlagen, die die Komintern geschaffen hat, haben es den aus der Komintern hervorgegangen Fraktionen der Kommunistischen Linke ermöglicht, diesen Bruch mit der alten sozialdemokratischen Auffassung vollständig zu vollziehen und zu vertiefen. Das Werk der Kommunistischen Internationale heute fortzusetzen bedeutet, die theoretischen, programmatischen und organisatorischen Konsequenzen der vom ersten Kongress entwickelten Analysen vollständig zu ziehen.

(aus Révolution Internationale, Nr. 64, Zeitung der IKS in Frankreich, Dez. 1979).

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