Der Kommunismus - Kein schönes Ideal, sondern eine Notwendigkeit [Serie I - Teil 5]
1848: Der Kommunismus als politisches Programm
Die zwei vorausgegangenen Artikel dieser Reihe (1) haben sich weitgehend auf die Ökonomisch- und Philosophischen Manuskripte (ÖPM) von 1844 konzentriert, weil letztere eine reiche Ader mit Material zum Problem der entfremdeten Arbeit und zu den höchsten Zielen des Kommunismus waren, wie sie von Marx ins Auge gefaßt wurden, als er sich erstmalig einer proletarischen Bewegung anschloß. Aber auch wenn Marx schon 1843 das moderne Proletariat als den Träger der kommunistischen Umwälzung identifizierte, entwickelten die ÖPM hinsichtlich der praktischen sozialen Bewegung, die von der Gesellschaft der Entfremdung in die echte menschliche Gemeinschaft führt, noch nicht ein so genaues Bild. Diese fundamentale Weiterentwicklung in Marx' Denken sollte durch das Zusammentreffen zweier vitaler Elemente eintreten: die Erarbeitung der Methode des historischen Materialismus und die offenkundige Politisierung des kommunistischen Projekts
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Die wirkliche Entwicklung der Geschichte
Die ÖPM enthalten bereits etliche Reflexionen über die
Unterschiede zwischen eudalismus und Kapitalismus, aber teilweise vermitteln
sie ein irgendwie statisches Bild von der kapitalistischen Gesellschaft. Das
Kapital und die mit ihm verknüpfte Entfremdung erscheinen im Text manchmal
als einfach existierend, ohne wirkliche Erklärung ihres Entstehens. Infolgedessen
bleibt auch der aktuelle Prozeß des Niedergangs des Kapitalismus eher
verschwommen. Nur ein Jahr später jedoch hatten Marx und Engels in der Deutschen
Ideologie einen zusammenhängenden Überblick über die praktischen und objektiven
Grundlagen der geschichtlichen Entwicklung (und damit der mannigfaltigen Ebenen
in der Entfremdung der Menschheit) entworfen. Die Geschichte war nun deutlich
als eine Abfolge von Produktionsweisen, vom Stammeskommunismus über die
antike Gesellschaft bis hin zu Feudalismus und Kapitalismus, dargestellt; und
das dynamische Element in dieser Entwicklung war nicht mehr irgendeine Idee,
irgendeine Überzeugung der Menschen, sondern die materielle Produktion von
Lebensbedürfnissen.
"Wir müssen .... damit
anfangen, daß wir die erste Voraussetzung aller menschlichen Existenz, also
auch aller Geschichte konstatieren, nämlich die Voraussetzung, daß die
Menschen imstande sein müssen zu leben, um 'Geschichte machen' zu können. Zum
Leben aber gehört vor allem Essen und Trinken, Wohnung, Kleidung und noch einiges
Andere. Die erste geschichtliche Tat ist also die Erzeugung der Mittel zur
Befriedigung dieser Bedürfnisse, die Produktion des materiellen Lebens selbst".(MEW
3 S.28)
Diese einfache Wahrheit war die Grundlage für das
Verständnis, daß beim Wandel von einer Gesellschaftsform zur anderen ".... eine bestimmte Produktionsweise
oder industrielle Stufe stets mit einer bestimmten Weise des Zusammenwirkens
oder gesellschaftlichen Stufe vereinigt ist, und diese Weise des
Zusammenwirkens ist selbst eine 'Produktivkraft', daß die Menge den Menschen
zugänglichen Produktivkräfte den gesellschaftlichen Zustand bedingt und also
die 'Geschichte der Menschheit' stets im Zusammenhange mit der Geschichte der
Industrie und des Austausches studiert und bearbeitet werden muß".(MEW 3
S.30)
Von diesem Standpunkt aus hörten die Ideen und Kämpfe
zwischen den Ideen, in der Politik, für Moral und Religion auf, die bestimmenden
Faktoren in der historischen Entwicklung zu sein:
"D.h., es wird nicht
ausgegangen von dem, was die Menschen sagen, sich einbilden, sich vorstellen,
auch nicht von den gesagten, gedachten, eingebildeten, vorgestellten Menschen,
um davon aus bei den leibhaftigen Menschen anzukommen; es wird von den wirklich
tätigen Menschen ausgegangen und aus ihrem wirklichen Lebensprozeß auch die
Entwicklung der ideologischen Reflexe und Echos dieses Lebensprozesses
darstellt .... Nicht das Bewußtsein bestimmt das Leben, sondern das Leben
bestimmt das Bewußtsein" (alle Zitate aus Die Deutsche Ideologie, I. Feuerbach
MEW 3 S.26f).
Am Schlußpunkt dieser unermeßlichen historischen
Entwicklung, so hob die Deutsche Ideologie hervor, ist der Kapitalismus so wie
die vorausgegangenen Produktionsweisen dazu verdammt zu verschwinden, nicht
wegen seiner moralischen Verfehlungen, sondern weil seine inneren Widersprüche
ihn in die Selbstzerstörung treiben und weil er einer Klasse zur Entstehung verhalf,
die in der Lage ist, ihn durch eine höhere Form der sozialen Organisation
abzulösen:
"... In der Entwicklung
der Produktivkräfte tritt eine Stufe ein, auf welcher Produktionskräfte und
Verkehrsmittel hervorgerufen werden, welche unter den bestehenden Verhältnissen
nur Unheil anrichten, welche keine Produktionskräfte mehr sind, sondern
Destruktionskräfte (Maschinerie und Geld) - und was damit zusammenhängt, daß
eine Klasse hervorgerufen wird, welche alle Lasten der Gesellschaft zu
tragen hat, ohne ihre Vorteile zu genießen, welche aus der Gesellschaft
herausgedrängt, in den entschiedensten Gegensatz zu allen andern Klassen
forciert wird; eine Klasse, die die Majorität aller Gesellschaftsmitglieder
bildet und von der das Bewußtsein über die Notwendigkeit einer gründlichen Revolution,
das kommunistische Bewußtsein, ausgeht ...." (ebenda MEW 3 S.69).
Im Endeffekt ist "der Kommunismus für uns", in
schroffem Gegensatz zu all den utopischen Visionen, die den Kommunismus als
statisches Ideal ohne jeden Bezug zum tatsächlichen Prozeß der historischen Evolution
ansahen, "nicht ein Zustand, der
hergestellt werden muß, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben (wird).
Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand
aufhebt".(ebenda S.35)
Nachdem sie den allgemeinen Weg und Rahmen festgelegt
hatten, konnten Marx und Engels zu einer detaillierteren Prüfung der besonderen
Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft schreiten. Auch hier trug die
in den ÖPM enthaltene Kritik an der bürgerlichen Ökonomie viel zum Fundament
bei, auf das Marx immer und immer wieder zurückgriff. Aber mit der Entwicklung
des Konzeptes des Mehrwertes war ein entscheidender Schritt getan, der es
möglich machte, die Entlarvung der kapitalistischen Entfremdung mit den triftigsten
ökonomischen Tatsachen, mit dem Einmaleins der täglichen Ausbeutung zu untermauern.
Dieses Konzept beschäftigte Marx natürlich in vielen seiner späteren Werke
(Grundrisse, Das Kapital, Theorien
über Mehrwert), welche wichtige Klärungen
zum Thema beinhalteten - insbesondere die Unterscheidung zwischen Arbeit und
Arbeitskraft. Nichtsdestotrotz waren die wesentlichen Punkte des Konzeptes
bereits in "Das Elend der Philosophie" und in "Lohnarbeit und
Kapital" 1847 geschrieben, umrissen worden.
Die späteren Schriften sollten auch das Verhältnis zwischen
der Gewinnung und Realisierung von Mehrwert und den periodischen
Überproduktionskrisen, die die kapitalistische Gesellschaft von ihrer Gründung
an alle zehn Jahre durchschüttelten, gründlicher studieren. Aber Engels hatte
bereits 1844 in seiner Kritik der politischen Ökonomie die Bedeutung der
"kommerziellen Krisen" begriffen und Marx sogleich von der
Notwendigkeit überzeugt, sie als Vorboten des kapitalistischen Untergangs zu
begreifen - als konkrete Manifestationen der unlösbaren Widersprüche des
Kapitalismus.
Das Programm in Arbeit: Die Gründung des Bundes der Kommunisten
Nachdem der Kommunismus nun als eine Bewegung -
insbesondere als Bewegung des proletarischen Klassenkampfes - und nicht mehr
nur als ein Ziel begriffen wurde, konnte er sich nur noch als praktisches Programm
zur Befreiung der Arbeit, als ein revolutionäres politisches Programm entfalten.
Schon bevor er sich formell eine kommunistische Position aneignete, hatte
Marx all jene hochgeistigen "Kritiker" abgelehnt, die sich
weigerten, ihre Hände an den schmuddeligen
Realitäten des politischen Kampfes schmutzig zu machen. Wie er in seinem Brief
an Ruge im September 1843 erklärte: "Es
hindert uns also nichts, unsre Kritik an die Kritik der Politik, an die Parteinahme
in der Politik, also an wirkliche Kämpfe anzuknüpfen und mit ihnen zu
identifizieren." (MEW 1 S.345)
Und tatsächlich war die Notwendigkeit, sich an den politischen
Kämpfen zu beteiligen, um eine durchgreifende soziale Umwälzung zu erreichen,
in der eigentlichen Natur der proletarischen Revolution eingebettet. "Man sage nicht, daß die gesellschaftliche
Bewegung die politische ausschließt", schrieb Marx in seiner Polemik
gegen den "anti-politischen" Proudhon.
"Es gibt keine
politische Bewegung, die nicht gleichzeitig auch eine gesellschaftliche wäre.
Nur bei einer Ordnung der Dinge, wo es keine Klassen und keinen Klassengegensatz
gibt, werden die gesellschaftlichen Evolutionen aufhören, politische
Revolutionen zu sein".(Das Elend der Philosophie MEW 4 S.182)
Anders ausgedrückt, unterschied sich das Proletariat von der
Bourgeoisie darin, daß es als besitzlose, ausgebeutete Klasse nicht die
ökonomische Basis einer neuen Gesellschaft innerhalb der Schale der alten
bilden konnte. Die Revolution, die allen Formen der Klassenherrschaft ein Ende
bereiten würde, konnte also nur als politischer Angriff gegen die alte Ordnung
begonnen werden; ihr erster Akt würde die Erlangung der politischen Macht
durch die besitzlose Klasse sein, welche auf dieser Basis die ökonomischen
und sozialen Umwälzungen fortsetzen wird, die zu einer klassenlosen
Gesellschaft führen.
Aber das genau definierte politische Programm der
kommunistischen Revolution fiel nicht vom Himmel: Es mußte von den fortschrittlichsten
Elementen des Proletariats erarbeitet werden, von jenen, die sich selbst in
verschiedenen kommunistischen Gruppen organisiert hatten. So waren in den
Jahren 1845-48 Marx und Engels in steigendem Maße am Aufbau einer solchen
Organisation beteiligt. Auch hier war ihre Vorgehensweise von ihrer
Anerkennung der Notwendigkeit diktiert, sich selbst einer bereits existierenden
"realen Bewegung" anzuschließen. Statt eine Organisation "aus
dem Nichts" zu konstruieren, trachteten sie danach, sich mit den fortschrittlichsten
proletarischen Strömungen zu verbinden, mit dem Ziel, sie für eine
wissenschaftlichere Konzeption des kommunistischen Projekts zu gewinnen. Dies
führte sie konkret zu einer vornehmlich aus emigrierten deutschen Arbeitern
zusammengesetzten Gruppe, der Bund der Gerechten. Für Marx und Engels lag die
Bedeutung dieser Gruppe in der Tatsache begründet, daß der Bund der Gerechten
im Gegensatz zu den vielfältigen Sorten des kleinbürgerlichen
"Sozialismus" ein wirklicher Ausdruck des kämpfenden Proletariats
war. Gegründet in Paris 1836, hatte sie sich mit Blanquis "Société des
Saisons" ("Vereinigung der Jahreszeiten") verbunden und mit ihr
am erfolglosen Aufstand von 1839 teilgenommen. Sie war also eine Organisation,
die die Realität des Klassenkrieges und die Notwendigkeit eines gewaltsamen
revolutionären Machtkampfes anerkannte. Sicherlich neigte sie wie Blanqui
dazu, die Revolution in einem verschwörerischen Rahmen zu sehen, als den Akt
einer kleinen Minderheit, und auch ihr eigener Charakter als Geheimgesellschaft
spiegelte solche Auffassungen wider. Auch war sie, besonders in den frühen
1840ern, von den halb-messianischen Konzepten Wilhelm Weitlings beeinflußt.
Aber der Bund hatte auch die Fähigkeit an den Tag gelegt,
sich theoretisch weiterzuentwickeln. Eine der Auswirkungen ihres
"Emigrantenstatus" war ihre Bekräftigung als, in Engels Worten,
"erste internationale
Arbeiterbewegung überhaupt" (MEW, 21, "Zur Geschichte des Bundes
der Kommunisten", S. 207, 1885). Dies bedeutete, daß sie für die wichtigsten
internationalen Entwicklungen im Klassenkampf offen war. In den 1840er Jahren
hatte sich das Hauptzentrum der Liga nach
London verlagert. Und durch ihren Kontakt mit der Bewegung der Chartisten
begannen sich ihre führenden Mitglieder von den alten verschwörerischen Auffassungen
weg- und zu einer Betrachtungsweise hinzubewegen, die den proletarischen
Kampf als eine massive, selbstbewußte und organisierte Bewegung anerkannte,
in der die Schlüsselrolle von den Industriearbeitern gespielt werden würde.
Die Konzepte von Marx und Engels fielen somit auf
fruchtbarem Boden, jedoch nicht ohne harte Auseinandersetzungen mit den Einflüssen
Blanquis und Weitlings. 1847 war aus dem Bund der Gerechten der Bund der
Kommunisten geworden. Sie hatte ihre Organisationsstruktur von der einer konspirativen
Sekte in die einer nahezu zentralisierten Organisation mit klar definierten
Statuten und gewählten Komitees umgewandelt. Und sie hatte Marx mit der Aufgabe
betraut, eine Stellungnahme zu den politischen Prinzipien ihrer Organisation
zu entwerfen - ein Dokument, das besser bekannt ist als "Das Manifest der
Kommunistischen Partei" (2), zuerst in Deutschland veröffentlicht, 1848
in London, kurz vor dem Ausbruch der Februar-Revolution in Frankreich.
Das Manifest der Kommunistischen Partei Aufstieg und Fall der Bourgeoisie
Das Manifest der Kommunistischen Partei stellt zusammen mit
seiner "ersten Skizze", die Grundsätze des Kommunismus, die erste
zusammenhängende Stellungnahme des wissenschaftlichen Kommunismus dar.
Obwohl es für ein Massenpublikum und in
einem aufwühlenden, leidenschaftlichen Stil geschrieben worden ist, ist es an
keiner Stelle vulgär oder oberflächlich. Tatsächlich eignet es sich als
ständiges Nachschlagewerk, weil es auf verhältnismäßig wenigen Seiten die
allgemeinen Aussagen der marxistischen Idee in einer ganzen Reihe von
miteinander verknüpften Fragen kristallisiert.
Der erste Teil des Textes befaßt sich mit der neuen
Geschichtstheorie, eingeleitet mit dem berühmten Satz "Die Geschichte
aller bisherigen Gesellschaft ist die von Klassenkämpfen" (3). Es
umreißt kurz den vielfältigen Wandel in den Klassenverhältnissen, die
Entwicklung von der antiken über die feudale zur kapitalistischen Gesellschaft,
um darauf hinzuweisen, daß "die
moderne Bourgeoisie selbst das Produkt eines langen Entwicklungsganges, einer
Reihe von Umwälzungen in der Produktions- und Verkehrsweise ist".
(MEW 4 S.464). Der Text vermeidet jede abstrakte, moralische Verurteilung der
Auswüchse kapitalistischer Ausbeutung und betont die eminent revolutionäre
Rolle der Bourgeoisie, die all die beschränkten, engstirnigen Gesellschaftsformen
hinwegfegte und sie durch eine bisher unerreichte dynamische und expansive
Produktionsweise ersetzte; eine Produktionsweise, die durch ihre derart
schnelle Eroberung und Vereinheitlichung des Globus und durch die Entfesselung
solch immenser Produktivkräfte das Fundament für eine Gesellschaft legte, die
endgültig die Klassenantagonismen überwinden wird. Einerseits gilt für die
ökonomische Krise:
"... die moderne
bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel
hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen
Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor. Seit Dezennien
ist die Geschichte der Industrie und des Handels nur die Geschichte der Empörung
der modernen Produktivkräfte gegen die modernen Produktionsverhältnisse, gegen
die Eigentumsverhältnisse, welche die Lebensbedingungen der Bourgeoisie und
ihrer Herrschaft sind. Es genügt, die Handelskrisen zu nennen, welche in
ihrer periodischen Wiederkehr immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen
Gesellschaft in Frage stellen. In den Handelskrisen wird ein großer Teil
nicht nur der erzeugten Produkte, sondern der bereits geschaffenen Produktivkräfte
regelmäßig vernichtet. In den Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie
aus, welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre - die
Epidemie der Überproduktion. Die Gesellschaft findet sich plötzlich in einen
Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt; eine Hungersnot, ein allgemeiner
Vernichtungskrieg scheinen ihr alle Lebensmittel abgeschnitten zu haben; die
Industrie, der Handel scheinen vernichtet, und warum ? Weil sie zuviel Zivilisation,
zuviel Lebensmittel, zuviel Industrie, zuviel Handel besitzt". (MEW
4 S.467f). In den Grundsätzen des Kommunismus wird gesagt, daß die dem Kapitalismus
innewohnende Tendenz zur Überproduktionskrise nicht allein die Richtung zu
seiner Zerstörung angibt, sondern auch erklärt, warum sie die Bedingungen für
den Kommunismus schafft, in dem die Überproduktion, "statt Elend herbeizuführen, ... über die nächsten Bedürfnisse
hinaus die Befriedigung der Bedürfnisse aller sicherstellen
(wird)".(Grundsätze MEW 4 S.375)
Im Manifest sind die Überproduktionskrisen natürlich zyklische Krisen, die die gesamte Periode
des Aufstiegs den Kapitalismus begleiten. Aber obgleich der Text feststellt,
daß diese Krisen immer noch "durch die Eroberung neuer Märkte und die
gründlichere Ausbeutung alter Märkte" überwunden werden konnten, neigt
er zu der Schlußfolgerung, daß die bürgerlichen Verhältnisse bereits zu einer
dauerhaften Fessel in der Entwicklung der Produktivkräfte geworden waren -
mit anderen Worten, daß der Kapitalismus seine historische Mission bereits erfüllt
hatte und in die Epoche seines Zerfalls eingetreten war. Unmittelbar nach den
Zeilen, die die periodischen Krisen beschreiben, fährt der Text fort: "Die Produktivkräfte, die ihr zur
Verfügung stehen, dienen nicht mehr zur
Beförderung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse; im Gegenteil, sie sind zu
gewaltig für diese Verhältnisse geworden, sie werden von ihnen gehemmt ...
Die bürgerlichen Verhältnisse sind zu eng geworden, um den von ihnen erzeugten
Reichtum zu fassen".(Manifest MEW 4 S.468)
Diese Einschätzung des Zustands der bürgerlichen
Gesellschaft steht nicht in Einklang mit anderen Formulierungen im Manifest,
insbesondere nicht mit den taktischen Ausführungen, die zum Schluß des
Textes erscheinen. Aber sie sollten einen wichtigen Einfluß auf die Erwartungen
und Interventionen der kommunistischen Minderheit während der großen
Aufstände 1848 ausüben, die als Vorboten der nahe bevorstehenden proletarischen
Revolution angesehen wurden. Nur wenig später sollten Marx und Engels bei
dem Entwurf einer Bilanz dieser Aufstände die Idee revidieren, der Kapitalismus
hätte bereits die Grenzen seines Aufstiegs erreicht. Wir werden auf diesen
Punkt in einem nachfolgenden Artikel zurückkommen.
Die Totengräber des Kapitalismus
"Aber die Bourgeoisie
hat nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen; sie hat auch
die Männer gezeugt, die diese Waffen führen - die modernen Arbeiter, die Proletarier".(Manifest
MEW 4 S.468)
Hier wird in knapper Form auf den zweiten grundsätzlichen
Widerspruch hingewiesen, der zur Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft
führt: der Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital. Und getreu der
materialistischen Analyse der Antriebskräfte der bürgerlichen Gesellschaft
fährt das Manifest fort, die historische Entwicklung des proletarischen Klassenkampfes
von seinen ersten unvollständigen Anfängen über die Gegenwart bis hin zur Zukunft
zu umreißen.
Es führt Buch über alle Hauptebenen dieses Prozesses: die
anfänglichen "Maschinenstürmer" als Antwort auf die emporstrebende
moderne Industrie, als Arbeiter noch hauptsächlich in kleinen Werkstätten tätig
waren und noch häufig "ihre Angriffe
nicht gegen die bürgerlichen Produktionsverhältnisse (richten), sie richten
sie gegen die Produktionsinstrumente selbst"; (Manifest MEW S.470)die
Entwicklung von Klassenorganisationen zur Verteidigung der unmittelbaren
Arbeiterinteressen (Gewerkschaften) und als Mittel zur Homogenisierung und
Vereinigung der Klasse; die Teilnahme der Arbeiter an den bürgerlichen Kämpfen
gegen den Absolutismus, was für eine politische Erziehung des Proletariats
und somit für "Waffen gegen sie selbst (die Bourgeoisie)" sorgte; die Entwicklung eines spezifisch
proletarischen politischen Kampfes, der zunächst um das Behelfsmittel der Reformen
wie die der Zehnstundenbill gefochten wurde, aber allmählich die Form einer
politischen Herausforderung der eigentlichen Fundamente der bürgerlichen Gesellschaft
annahm.
Das Manifest stellt die Behauptung auf, daß die
revolutionäre Situation eintreten wird, sobald die ökonomischen Widersprüche
des Kapitalismus einen Zustand der Lähmung erreicht haben, wo die Bourgeoisie
nicht einmal mehr fähig ist, "ihrem
Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern, weil sie
gezwungen ist, ihn in eine Lage herabsinken zu lassen, wo sie ihn ernähren
muß, statt von ihm ernährt zu werden". (ebenda S.473)Gleichzeitig
faßt der Text eine wachsende Polarisierung der Gesellschaft ins Auge,
zwischen einer kleinen Minderheit von Ausbeutern und einer zunehmend verarmenden
proletarischen Mehrheit: "Die ganze
Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in
zwei große, einander direkt gegenüber stehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat."
(ebenda S.463), da die Entwicklung des Kapitalismus in steigendem Maße das
Kleinbürgertum, die Bauernschaft und selbst Teile der Bourgeoisie in die
Reihen des Proletariats treibt. Die Revolution ist daher das Resultat dieser
Kombination von Wirtschaftselend und sozialer Polarisierung.
Noch einmal, das Manifest erweckt manchmal den Anschein, als
ob diese große Vereinfachung der Gesellschaft bereits vollzogen gewesen sei;
als ob das Proletariat bereits die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sei.
Tatsächlich war dies lediglich für ein Land (Großbritannien) der Fall, als
dieser Text geschrieben wurde. Und da der Text, wie wir gesehen haben, Anlaß
zu dem Eindruck gibt, der Kapitalismus hätte bereits seinen Scheitelpunkt
erreicht, neigt er dazu, den Eindruck zu erwecken, daß die entscheidende
Konfrontation zwischen den "beiden großen Klassen" tatsächlich sehr
nahe sei. Betrachtet man die tatsächliche Evolution des Kapitalismus, so war
dies alles andere als der Fall. Aber trotzdem ist das Manifest ein
außergewöhnlich "prophetisches" Werk. Nur einige Monate nach seiner
Veröffentlichung hatte die Entwicklung der Weltwirtschaftskrise eine Reihe von
revolutionären Aufständen überall in Europa hervorgerufen. Und obwohl viele
dieser Bewegungen eher der letzte Atemzug im Kampf der Bourgeoisie gegen den
Feudalabsolutismus als die ersten
Gefechte der proletarischen Revolution waren, demonstrierte das Proletariat
von Paris mit seinem eigenen politischen Aufstand gegen die Bourgeoisie praktisch
alle Argumente des Manifestes über die revolutionäre Natur der Arbeiterklasse
als lebendige Verneinung der kapitalistischen Gesellschaft. Der
"prophetische" Charakter des Manifestes ist Zeuge für die grundsätzliche
Folgerichtigkeit nicht so sehr der unmittelbaren Prognosen von Marx und
Engels, sondern der allgemeinen historischen Methode, mit der sie die soziale
Wirklichkeit analysierten. Und deshalb ist das Kommunistische Manifest entgegen
all der arroganten Behauptungen der Bourgeoisie, wonach die Geschichte Marx
als falsch überführt hätte, in seinem Kern nicht überholt.
Von der Diktatur des Proletariats zum Absterben des Staates
Das Manifest erwartete somit, daß das Proletariat durch die
Peitsche der wachsenden wirtschaftlichen Verelendung zur Revolution gedrängt
wird. Wie wir erwähnt haben, ist der erste Akt der Revolution die Ergreifung
der politischen Macht durch das Proletariat. Das Proletariat muß sich selbst
als herrschende Klasse konstituieren, um seine sozialen und ökonomischen Programme
durchzuführen.
Das Manifest faßt diese Revolution ausschließlich als
"gewaltsamen Sturz der Bourgeoisie" auf, als den Höhepunkt eines
"mehr oder minder verdeckten Bürgerkriegs". Es war unvermeidbar, daß
die Details des Weges, auf dem die Arbeiterklasse die Bourgeoisie überwinden
wird, relativ vage blieben, wurde der Text doch vor dem ersten offenen Auftreten
der Klasse als unabhängige Kraft geschrieben. Der Text spricht tatsächlich
von einem Proletariat, das "die Erkämpfung der Demokratie" anstreben
wird; die Grundsätze sagen, daß die Revolution "eine demokratische Staatsverfassung
und damit direkt oder indirekt die politische Herrschaft des Proletariats herstellen"
wird. Wenn wir einige von Marx' Schriften über die Chartisten oder über die
bürgerliche Republik betrachten, erfahren
wir, daß er selbst nach der Erfahrung
von 1848 immer noch die Möglichkeit einer proletarischen Machtergreifung
durch das allgemeine Wahlrecht und den parlamentarischen Prozeß in Erwägung
zog (z.B. in seinem Artikel über die Chartisten in The New York Daily Tribune
vom 25.August 1852, in dem Marx die Behauptung aufstellte, daß die Gewährung
des Wahlrechts in England die politische
Vorherrschaft des Proletariats bedeuten würde. Dies öffnete seinerzeit
zumindest in einigen Ländern Tür und Tor für Spekulationen über eine insgesamt
friedliche Machtergreifung . Wie wir sehen werden, wurden diese Spekulationen
später von den Pazifisten und Reformisten in der Arbeiterbewegung in der
zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts aufgegriffen, um sämtliche Arten der
ideologischen Freiheit zu rechtfertigen. Nichtsdestotrotz gingen Marx' wesentliche
Gedanken nach der Erfahrung von 1848 und vor allem nach der Erfahrung der Pariser
Kommune 1871 in eine andere Richtung, die die Notwendigkeit für das Proletariat
aufzeigte, seine eigenen politischen Machtorgane zu bilden und den bürgerlichen
Staat zu zerstören statt ihn zu übernehmen, ob
"demokratisch" oder gewaltsam. Tatsächlich war dies in
Engels' späteren Einführungen zum Manifest die wichtigste Änderung, die historische
Erfahrung in das kommunistische Programm eingebracht hat: "... gegenüber den praktischen Erfahrungen, zuerst der Februarrevolution
und noch weit mehr der Pariser Kommune, wo das Proletariat zum erstenmal zwei
Monate lang die politische Gewalt innehatte, ist heute dies Programm
stellenweise veraltet. Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, daß
'die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen
und sie für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen kann'".(Vorwort zum
Manifest von 1872 MEW 18 S.95)
Was aber gültig bleibt vom Manifest, ist die Bestätigung der
gewalttätigen Natur der Machtergreifung und der Notwendigkeit für die
Arbeiterklasse, ihre eigene politische Herrschaft auszuüben - die
"Diktatur des Proletariats", worauf sich andere Schriften aus
derselben Periode bezogen.
Von gleicher Gültigkeit bis zum heutigen Tag ist die
Aussicht auf das Absterben des Staates. Von seinen ersten kommunistischen
Schriften an hat Marx betont, daß sich
die wirkliche Befreiung der Menschheit nicht nur auf den politischen Bereich
beschränken kann. "Politische Befreiung" war die höchste Errungenschaft
der bürgerlichen Revolution, aber für das Proletariat konnte diese
"Befreiung" nur eine neue Form der Unterdrückung bedeuten. Für die
ausgebeutete Klasse war die Politik nur Mittel zum Zweck - die kompromißlose
soziale Befreiung. Staat und politische Macht waren nur in einer Klassengesellschaft
notwendig; da das Proletariat kein Interesse daran hat, sich selbst in eine
neue ausbeutende Klasse zu verwandeln, sondern gezwungen ist, für die Abschaffung
aller Klassentrennungen zu kämpfen, folgt daraus, daß die Machtergreifung des
Kommunismus das Ende der Politik als abgesonderter Bereich und das Ende des
Staates bedeutet. Oder mit den Worten des Manifestes:
"Sind im Laufe der
Entwicklung die Klassenunterschiede verschwunden und ist alle Produktion in
den Händen der assoziierten Individuen konzentriert, so verliert die öffentliche
Gewalt den politischen Charakter. Die politische Gewalt im eigentlichen Sinn
ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer andern. Wenn
das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse
vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende
Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit
diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes,
die Klassen überhaupt, und damit seine eigene Herrschaft als Klasse
auf".(Manifest MEW 4 S.482)
Der internationale Charakter der proletarischen Revolution
Die Formulierung "assoziierte Individuen" wirft eine Frage auf: Hielt das Manifest eine
Revolution oder gar den Kommunismus in einem einzelnen Land für möglich ? Es
trifft sicherlich zu, daß es hier und da im Text doppeldeutige Formulierungen
gibt, zum Beispiel wenn er sagt: "Indem das Proletariat zunächst sich
die politische Herrschaft erobern, sich zur nationalen Klasse erheben, sich
selbst als Nation konstituieren muß, ist es selbst noch national, wenn auch
keineswegs im Sinne der Bourgeoisie".(Manifest MEW 4 S.479) Tatsächlich
hat aber die bittere historische Wahrheit gezeigt, daß es nur eine bürgerliche
Bedeutung für den Begriff "national" gibt und das Proletariat
seinerseits die Verneinung aller Nationen ist. Dies ist jedoch vor allem die
Erfahrung der dekadenten Epoche des Kapitalismus, in der Nationalismus und
die Kriege um die Kleinstaaterei ihren fortschrittlichen Charakter verloren
haben, den sie zu Marx' Lebzeiten noch besaßen, als das Proletariat bestimmte nationale Bewegungen als Teil des
Kampfes gegen den Feudalabsolutismus und andere reaktionäre Überbleibsel aus
der Vergangenheit unterstützen konnte. Im allgemeinen waren sich Marx und
Engels klar darüber, daß solche Bewegungen bürgerlich in ihrer Natur waren.
Dennoch schlichen sich unvermeidlich Zweideutigkeiten in ihre Sprache und in ihr
Denken , da dies eine Periode war, in
der die Unvereinbarkeit der nationalen mit den
Klasseninteressen noch nicht in den Köpfen eingegangen war.
Nachdem dies gesagt ist, sollte
auch erwähnt werden, daß das Wesen des Manifestes nicht im o.g. Zitat
enthalten ist, sondern in den Sätzen unmittelbar zuvor: "Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen,
was sie nicht haben", (MEW 4 S.479) und in den letzten Worten des
Textes "Proletarier aller Länder,
vereinigt euch!". (MEW 4 S.493) Gleichermaßen besteht das Manifest
darauf, daß die "vereinigte Aktion,
wenigstens der zivilisierten Länder,... eine der ersten Bedingungen seiner
Befreiung" (MEW 4 S.479) ist.
Die Grundsätze äußern sich weit ausdrücklicher dazu:
"F(rage): Wird diese
Revolution in einem einzigen Lande allein vor sich gehen können?
A(ntwort): Nein. Die große
Industrie hat schon dadurch, daß sie den Weltmarkt geschaffen hat, alle Völker
der Erde, und namentlich die zivilisierten, in eine solche Verbindung miteinander
gebracht, daß jedes einzelne Volk davon abhängig ist, was bei einem andern
geschieht. Sie hat ferner in allen zivilisierten Ländern die gesellschaftliche
Entwicklung so weit gleich gemacht, daß in allen diesen Ländern Bourgeoisie
und Proletariat die beiden entscheidenden Klassen der Gesellschaft, der
Kampf zwischen beiden der Hauptkampf des Tages geworden. Die kommunistische
Revolution wird daher keine bloße nationale, sie wird eine in allen
zivilisierten Ländern, d.h. wenigstens in England, Amerika, Frankreich und
Deutschland gleichzeitig vor sich gehende Revolution sein .... Sie ist eine
universelle Revolution und wird daher auch ein universelles Terrain
haben".(MEW 4 S.374f)
Von Beginn wurde die proletarische Revolution als eine
internationale Revolution angesehen. Der Gedanke, daß der Kommunismus oder
selbst die revolutionäre Machtergreifung innerhalb der Grenzen eines einzelnen
Landes Wirklichkeit wird, lag Marx und Engels so fern wie den Bolschewiki, die
die Oktoberrevolution 1917 anführten, und den internationalistischen
Fraktionen, die den Widerstand gegen die stalinistische Konterrevolution leiteten,
welche sich genau in jener monströsen Theorie des "Sozialismus in einem
Land" einigelten.
Kommunismus und der Weg dahin
Wie wir in früheren Artikeln gesehen haben, war sich die
marxistische Strömung von Anbeginn klar über die Gestalt einer völlig entwickelten
kommunistischen Gesellschaft, für die sie kämpfte. Das Manifest definierte
sie knapp aber deutlich in dem Abschnitt, der dem über das Absterben des
Staates folgt: "An die Stelle der
alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen
tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung
für die freie Entwicklung aller ist". (MEW 4 S.482) Der Kommunismus
wird also nicht nur eine Gesellschaft ohne Klassen und Staat sein: er wird
auch eine Gesellschaft sein (und dies ist beispiellos in der gesamten Menschheitsgeschichte
bis heute), in der der Konflikt zwischen sozialen Bedürfnissen und den Bedürfnissen
des Individuums überwunden sein wird, und die
ihre Reichtümer bewußt der unbegrenzten Entfaltung aller ihrer Mitglieder
widmen wird - all dies deutlich ein Echo, das von den Überlegungen über das
Wesen wirklich freien Handelns in den Schriften von 1844 und 1845 ausging. Die
Textpassagen im Manifest, die sich mit den bürgerlichen Einwänden gegen den
Kommunismus befassen, machen auch deutlich, daß der Kommunismus das Ende nicht nur der Lohnarbeit, sondern aller
Formen des Kaufens und Verkaufens bedeutet. Der gleiche Abschnitt beharrt darauf,
daß die bürgerliche Familie, die als eine Form legalisierter Prostitution
charakterisiert wird, ebenfalls dazu verdammt ist zu verschwinden.
Die Grundsätze des Kommunismus räumen weiteren Aspekten der
neuen Gesellschaft mehr Platz ein als das Manifest. Zum Beispiel heben sie
hervor, daß der Kommunismus die Anarchie der Marktkräfte durch das Management
der Produktivkräfte der Menschheit "nach
einem aus den vorhandenen Mitteln und den Bedürfnissen der ganzen Gesellschaft
sich ergebenden Plan" ersetzen wird. Gleichzeitig greift der Text das
Thema auf, daß die Abschaffung der Klassen in Zukunft möglich sein wird, da
der Kommunismus eine Gesellschaft des Überflusses ist: "... wird der Ackerbau, der auch durch den Druck des Privateigentums
und der Parzellierung daran verhindert wird, sich die schon gemachten Verbesserungen
und wissenschaftlichen Entwicklungen anzueignen, einen ganz neuen Aufschwung
nehmen und der Gesellschaft eine vollständig hinreichende Menge von Produkten
zur Verfügung stellen. Auf diese Weise wird die Gesellschaft Produkte genug
hervorbringen, um die Verteilung so einrichten zu können, daß die Bedürfnisse
aller Mitglieder befriedigt werden. Die Trennung der Gesellschaft in
verschiedene, einander entgegengesetzte Klassen wird hiermit überflüssig".(MEW
4 S.375)
Noch einmal: Wenn der Kommunismus der "freien Entwicklung aller" gewidmet
ist, dann muß es sich um eine Gesellschaft handeln, die sich der
Arbeitsteilung, wie wir sie heute kennen, entledigt hat: "Der gemeinsame Betrieb der Produktion kann nicht durch Menschen
geschehen wie die heutigen, deren jeder einem einzigen Produktionszweig
untergeordnet, an ihn gekettet, von ihm ausgebeutet ist, deren jeder nur eine
seiner Anlagen auf Kosten aller anderen entwickelt hat, ... Die gemeinsam und
planmäßig von der ganzen Gesellschaft betriebene Industrie setzt vollends Menschen
voraus, deren Anlagen nach allen Seiten hin entwickelt sind, die imstande
sind, das gesamte System der Produktion zu überschauen" (Grundsätze des
Kommunismus MEW 4 S.376).
Eine andere entbehrliche Trennung ist die zwischen Stadt und
Land: "Die Zersplitterung der
ackerbauenden Bevölkerung auf dem Lande, neben der Zusammendrängung der industriellen
in den großen Städten, ist ein Zustand, der nur einer noch unterentwickelten
Stufe des Ackerbaues und der Industrie entspricht, ein Hindernis aller weiteren
Entwicklung, das schon jetzt sehr fühlbar wird".(ebenda S.376f)
Dieser Punkt wurde als so wichtig erachtet, daß die
Aufhebung der Trennung zwischen Stadt und Land faktisch zu den "Übergangs"maßnahmen
zum Kommunismus gezählt wurde, sowohl in den Grundsätzen als auch im
Manifest. Und sie bleibt auch in der heutigen Welt der aufgeblähten Megastädte
und sich immer mehr verschärfender Umweltverschmutzung eine Frage von größter
Wichtigkeit. (Wir werden in einem späteren Artikel auf diese Frage detaillierter
zurückkommen, wenn wir darauf zu sprechen kommen, wie sich die kommunistische
Revolution gegenüber der "ökologischen Krise" verhalten wird).
Diese allgemeinen Beschreibungen der zukünftigen
kommunistischen Gesellschaft stehen in Kontinuität mit denen, die in Marx'
frühen Schriften enthalten sind, und sie bedürfen heute nur wenig oder keinerlei
Modifizierung. Im Gegenteil dazu waren - wie Marx und Engels selbst zu ihren
Lebzeiten erkannten - die spezifischen sozialen und ökonomischen Maßnahmen,
die im Manifest als Maßnahmen zur Erlangung dieser Ziele befürwortet
werden, aus zwei fundamentalen und miteinander
verknüpften Gründen sehr viel zeitgebundener:
- die Tatsache, daß
der Kapitalismus zu jener Zeit, als das Manifest geschrieben wurde, noch im
Aufstieg begriffen war und noch nicht alle objektiven Bedingungen für die
kommunistische Revolution geschaffen hatte;
- die Tatsache, daß
die Arbeiterklasse noch keine konkreten Erfahrungen mit einer revolutionären
Situation und somit weder mit den Mitteln, mit denen sie die politische Macht
erringen konnte, noch mit den ersten sozialen und ökonomischen Maßnahmen
gemacht hatte, die sie, einmal an der Macht, ergreifen muß.
Dies sind die Maßnahmen, die das Manifest als "ziemlich allgemein in Anwendung kommen(d)"
erachtete, wenn das Proletariat die Macht übernommen hat:
"1. Expropriation des
Grundeigentums und Verwendung der Grundrente zu Staatsausgaben.
2. Starke Progressivsteuer.
3. Abschaffung des Erbrechts.
4. Konfiskation des Eigentums aller Emigranten
und Rebellen.
5. Zentralisation des Kredits in den Händen des
Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol.
6. Zentralisation des Transportwesens in den
Händen des Staats.
7. Vermehrung der Nationalfabriken, Produktionsinstrumente,
Urbarmachung und Verbesserung der Ländereien nach einem gemeinschaftlichen
Plan.
8. Gleicher Arbeitszwang für alle, Errichtung
industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau.
9. Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und
Industrie, Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des Unterschieds von
Stadt und Land.
10. Öffentliche und unentgeltliche Erziehung
aller Kinder. Beseitigung der Fabrikarbeit der Kinder in ihrer heutigen Form.
Vereinigung der Erziehung mit der materiellen Produktion usw." (MEW 4
S.481f)
Es ist offensichtlich , daß die Mehrheit dieser Maßnahmen
sich in der dekadenten Periode als mit
dem überlebten Kapitalismus vereinbar erwiesen haben - ja daß viele von ihnen
vom Kapital angewendet worden sind, genau um in dieser Epoche zu überleben. Die
dekadente Periode ist die Periode des allgegenwärtigen Staatskapitalismus:
die Zentralisierung der verfügbaren Gelder, der Budgets in den Händen des
Staates, die Bildung von hochtechnisierten Armeen, die Nationalisierung von
Transport und Kommunikation, unentgeltliche Erziehung an staatlichen Schulen
.... in einem größeren oder kleineren Umfang haben alle Staaten, jeder zu
seiner Zeit, diese Maßnahmen seit 1914 ergriffen, und die stalinistischen Regimes,
die für sich die Ausführung des Programms des Kommunistischen Manifestes
beanspruchten, haben praktisch alle angewendet.
Die Stalinisten begründeten ihre "marxistischen"
Referenzen zum Teil mit der Tatsache, daß sie viele der im Manifest befürworteten
Maßnahmen in die Praxis umgesetzt haben. Auch die Anarchisten betonen ihrerseits
diese Kontinuität, wenn auch in einem völlig negativen Sinn natürlich, und
sie greifen gern auf einige "prophetische" Schmähschriften Bakunins
zurück, um zu beweisen, daß Stalin der logische Erbe von Marx ist.
Tatsächlich ist diese Blickweise jedoch vollkommen oberflächlich und dient lediglich dazu, besondere bourgeoise Verhaltensweisen zu rechtfertigen. Bevor wir nun erklären, warum die sozialen und ökonomischen Maßnahmen, die im Manifest vorgestellt wurden, im allgemeinen nicht mehr anwendbar sind, sollten wir die Gültigkeit der Methode, die dahinter steht, betonen.
Die Notwendigkeit einer Übergangsperiode
Solche tief in der kapitalistischen Gesellschaft verwurzelten Elemente wie Lohnarbeit, Klassenspaltung und Staat können nicht über Nacht abgeschafft werden, wie die Anarchisten aus den Tagen Marx' vorgaben und wie ihre späteren Nachfolger (die vielen Sorten von Rätekommunisten und Modernisten) immer noch vorgeben. Der Kapitalismus hat das Potential für den Reichtum geschaffen, aber das bedeutet nicht, daß der Reichtum wie durch ein Wunder einen Tag nach der Revolution da ist. Im Gegenteil, die Revolution ist eine Antwort auf die tiefgehende Desorganisation in der Gesellschaft, und sie wird zumindest anfangs dahin tendieren, diese Desorganisation weiter zu verschärfen. Eine immense Arbeit des Wiederaufbaus, der Erziehung und Reorganisation wartet auf das siegreiche Proletariat. Hunderte, tausende von tief verwurzelten Gewohnheiten, der ganze ideologische Schutt der alten Welt müssen ausgemerzt werden. Die Aufgabe ist unermeßlich und unvorhersehbar, und die Gaukler von Sofortlösungen sind Gaukler von Illusionen. Daher hat das Manifest recht, wenn es über die Notwendigkeit für das siegreiche Proletariat spricht, "die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren", und dies anfangs mit den Mitteln "despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, durch Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind". (Manifest MEW 4 S.481) Diese allgemeine Vision von einem Proletariat, das eine Dynamik zum Kommunismus in Gang setzt, statt ihn per Dekret einzuführen, trifft vollkommen zu, auch wenn wir heute mit dem Vorteil der nachträglichen Einsicht feststellen können, daß diese Dynamik nicht aus der Übereignung der Kapitalakkumulation in staatliche Hand herrührt, sondern aus dem selbst-organisierten Proletariat, das die eigentlichen Prinzipien der Kapitalakkumulation aufhebt (z.B. durch die Unterordnung der Produktion unter die Konsumption; durch "despotische Eingriffe" in die Warenwirtschaft und in die Form der Lohnarbeit; durch die direkte Kontrolle des Produktionsapparates durch das Proletariat, etc.).
Das Prinzip der Zentralisierung
Im Gegensatz zu den Anarchisten, deren Eintreten für den
"Förderalismus" den kleinbürgerlichen Lokalismus und Individualismus
dieser Strömung widerspiegelte, hat der Marxismus immer darauf bestanden, daß
das kapitalistische Chaos und die Konkurrenz nur durch die strikteste Zentralisierung
auf globaler Ebene überwunden werden kann - die Zentralisierung der Produktivkräfte
durch das Proletariat, die Zentralisierung der ureigensten
politisch-ökonmischen Organe des Proletariats. Die Erfahrung hat deutlich
gezeigt, daß sich diese Zentralisierung sehr stark von der bürokratischen
Zentralisierung des kapitalistischen Staates unterscheiden muß; auch dem
Zentralismus des nachrevolutionären Staates muß das Proletariat gegenüber mißtrauisch
sein. Der kapitalistische Staatsapparat kann nicht gestürzt werden, und auch
die konterrevolutionären Tendenzen können nicht aufgehalten werden, solange
das Proletariat seine eigenen Kräfte
nicht zentralisiert hat. Hier erneut bleibt die allgemeine Annäherung des Manifestes
auch heute gültig.
Die Grenzen der Geschichte
Während, wie Engels in seiner Einführung in die Ausgabe von
1872 sagte, nichtsdestotrotz "die
in diesem 'Manifest' entwickelten allgemeinen Grundsätze ... im ganzen und
großen auch heute noch ihre volle Richtigkeit (behalten) ...., (wird) die praktische
Anwendung dieser Grundsätze, erklärt das 'Manifest' selbst, ... überall und
jederzeit von den geschichtlich vorliegenden Umständen abhängen, und wird
deshalb durchaus kein besonderes Gewicht auf die am Ende von Abschnitt II
vorgeschlagenen revolutionären Maßregeln gelegt. Dieser Passus würde heute
in vieler Beziehung anders lauten". (MEW 18 S.95)
Er erwähnt dabei die "immense
Fortentwicklung der großen Industrie" und, wie wir schon gesehen
haben, die revolutionäre Erfahrung der Arbeiterklasse 1848 und 1871.
Der Hinweis auf die Entwicklung der modernen Industrie ist
besonders wichtig hier, weil er darauf hindeutet, daß für Marx und Engels ein
primäres Ziel der im Manifest vorgeschlagenen, ökonomischen Maßnahmen es war,
den Kapitalismus zu einer Zeit zu entwickeln, als eine Reihe von Ländern ihre
bürgerliche Revolution noch nicht vervollständigt hatten. Durch einen Blick in
die "Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland", das der
Bund der Kommunisten als ein Flugblatt während der revolutionären Aufstände in
Deutschland 1848 verteilt hatte, kann man sich davon überzeugen. Wir wissen,
daß Marx sich zu dieser Zeit sehr nachdrücklich zur Notwendigkeit für die
Bourgeoisie in Deutschland an die Macht zu gelangen, als Vorbedingung für die proletarische
Revolution äußerte. Die in diesem Flugblatt vorgeschlagenen Maßnahmen hatten
daher das Ziel, Deutschland aus seiner feudalen Rückständigkeit zu stoßen und
die bürgerlichen Produktionsverhältnisse so schnell wie möglich auszuweiten: Viele dieser Maßnahmen - hohe progressive
Einkommenssteuern, eine staatliche Bank, Nationalisierung von Grund und Boden
sowie Transport, unentgeltliche Erziehung - wurden auch im Manifest befürwortet.
Wir werden in einem folgenden Artikel darüber diskutieren, inwieweit Marx'
Perspektiven für die Revolution in Deutschland von den Ereignissen bestätigt
oder widerlegt wurden; aber Tatsache bleibt, daß wenn Marx und Engels schon zu ihren Lebzeiten die
im Manifest vorgeschlagenen Maßnahmen als überholt ansahen, umso weniger Relevanz
besitzen sie in der Periode der Dekadenz, wo der Kapitalismus schon lange
seine weltweite Herrschaft etabliert hat und länger geblieben ist, als er für
den Fortschritt überall auf der Welt willkommen gewesen wäre.
Das soll nicht heißen, daß in den Tagen von Marx und Engels
oder in der revolutionären Bewegung nach ihnen Klarheit über die Art der
Maßnahmen bestand, die ein siegreiches Proletariat ergreifen müßte, um eine
Dynamik in Richtung Kommunismus in Gang zu setzen. Im Gegenteil, es herrschte
während des 19.Jahrhunderts hindurch Verwirrung über die Möglichkeit für das
Proletariat, Nationalisierungen, Staatsschulden und andere staatskapitalistische
Maßnahmen als Sprungbretter zum Kommunismus zu nutzen. Dies spielte eine sehr
negative Rolle im Laufe der Revolution in Rußland. Es bedurfte der Niederlage
dieser Revolution, der Verwandlung von einer proletarischen Bastion in eine
fürchterliche staatskapitalistische Tyrannei und der darauffolgenden
Reflexion und Debatte unter den Revolutionären, um jede Zweideutigkeit
wegzuschieben. Aber auch darauf wird in einem zukünftigen Artikel näher
eingegangen.
Probe aufs Exempel
Der letzte Teil des Manifestes beschäftigt sich mit den
Taktiken, die von den Kommunisten in den verschiedenen Ländern befolgt werden
sollten, besonders in jenen, wo die Hauptlosung des Tages der Kampf gegen den
Feudalabsolutismus war oder als das erschien. Im nächsten Artikel dieser
Reihe werden wir prüfen, wie die praktische Intervention der Kommunisten in
den paneuropäischen Aufständen von 1848 die Perspektiven der proletarischen
Revolution klärte, und ob sie die taktischen Betrachtungen im Manifest
bestätigte oder widerlegte. CDW
Fußnoten
(1) siehe "The
Alienation of Labour is the Premise for its Emancipation" in International
Review No.70 und "Communism, the real beginning of human society"
in International Review No.71;
(2) Der Begriff "Partei" bezieht sich hier nicht
auf den Bund der Kommunisten selbst: Obwohl das Manifest die kollektive Arbeit
jener Organisation war, erschien sein Name hauptsächlich aus Sicherheitsgründen
nicht in den ersten Ausgaben des Textes. Der Begriff "Partei" bezog sich in diesem
Zusammenhang nicht auf eine spezifische Organisation, sondern auf eine
allgemeine Richtung oder Bewegung.
(3) In späteren
Ausgaben des Textes mußte Engels diese Stellungnahme verbessern, indem er
feststellte, daß dies auf die "gesamte geschriebene Geschichte"
zutraf, aber nicht auf die Gemeinschaftsformen der Gesellschaft, die der
Klassenteilung vorausgegangen war.