Obwohl der Krieg in wachsendem Maße als etwas "Normales" dargestellt wird, löst er ein reelles Unbehagen besonders in der Arbeiterklasse aus. Wohin führt der Weg der Menschheit? Gibt es irgendeine historische Alternative zur unbarmherzigen Verschlimmerung der imperialistischen Konflikte?
Seiner eigenen Dynamik überlassen, kann der Kapitalismus dem imperialistischen Krieg nicht entweichen. All das Geschwätz der herrschenden Klasse über den "Frieden" ist unerheblich und "Friedens"zeiten sind lediglich Momente, in denen die Bourgeoisie sich auf noch zerstörerische und barbarischere Konfrontationen vorbereitet.
Seitdem der Kapitalismus in seine historische Dekadenzperiode eingetreten ist, nämlich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, haben die Revolutionäre den Krieg stets als Dauerzustand dieses Systems gebrandmarkt, der nur eine wachsende und massive Verwüstung bewirken kann. In Übereinstimmung mit der Kommunistischen Internationalen hat die IKS stets bekräftigt, dass mit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Dekadenz eine "Periode von imperialistischen Kriegen und proletarischen Revolutionen" eröffnet wurde. Der imperialistische Krieg ist in diesem Sinne der markanteste Ausdruck des historischen Bankrotts der kapitalistischen Produktionsweise. Er macht die Notwendigkeit, die Dringlichkeit des Sturzes des Kapitalismus deutlich, ehe Letzterer die Menschheit in ihre endgültige Vernichtung treibt.
Im 19. Jahrhundert war der Krieg besonders in Fragen der kolonialen Eroberungen ein unersetzliches Mittel zur äußeren Ausdehnung des Kapitalismus. Dagegen drücken Kriege in der dekadenten Periode des Kapitalismus die Tatsache aus, dass diese Produktionsweise all ihre Ausdehnungsmöglichkeiten erschöpft hat. Im Gegensatz zu den Kriegen in der Aufstiegsperiode des Kapitalismus, die lediglich ein begrenztes Gebiet auf dem Globus betrafen und nicht das gesamte gesellschaftliche Leben dominierten, verbreiten sich die imperialistischen Kriege in der Dekadenz des Kapitalismus über die ganze Welt und erfordern die Unterwerfung der gesamten Gesellschaft unter den unersättlichen Kapitalismus. Vor allem verlangen sie die Einbeziehung jener Klasse, die den wesentlichen Teil des gesellschaftlichen Reichtums produziert: das Proletariat. Dies wurde auf tragische Weise in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts veranschaulicht, die nur aufgrund der massiven Mobilisierung der Arbeiterklasse als Kanonenfutter hinter den verschiedenen Nationalflaggen stattfinden konnten.
Gerade, weil die Arbeiterklasse den Löwenanteil der Opfer trägt, die der imperialistische Krieg erfordert, liegt der Schlüssel zur Überwindung aller Kriege und zur einzig möglichen Zukunft der Menschheit, dem Kommunismus, in ihren Händen. Des Eigentums an Produktionsmitteln beraubt, heimatlos und ohne nationale Wirtschaftsinteressen, die es zu verteidigen gilt, ist das Proletariat die einzige wirklich internationale Klasse in der Gesellschaft. Nur diese Klasse kann der Menschheit eine Perspektive geben, indem sie sich der Tendenz des Kapitalismus zum Krieg entgegenstellt, einer Tendenz, die unvermeidbar ist, da der Krieg die einzige Reaktion ist, die die Bourgeoisie gegenüber der ständigen und unaufhaltsamen Zuspitzung der Krise ihres Systems kennt.
Ausschlaggebend für die Entwicklung des historischen Kurses ist die Wirtschaftskrise und die Fähigkeit des Proletariats, gegenüber der Krise eine eigene Antwort zu liefern. Von seiner Fähigkeit, auf eigenem Klassenterrain gegen die von der Krise aufgezwungenen Angriffe zu handeln, hängt die historische Alternative ab, die von den Revolutionären seit fast einem Jahrhundert hervorgehoben wird: Sozialismus oder Barbarei, weltweite proletarische Revolution oder Zerstörung der Menschheit.
Die ständigen Kriegsvorbereitungen erfordern die Errichtung einer Kriegswirtschaft durch den Kapitalismus, deren Hauptlast fraglos dem Proletariat aufgebürdet wird. Und so ist es der Kampf des Proletariats gegen die von der Bourgeoisie aufgezwungenen Austeritätsmaßnahmen, der die Kriegsvorbereitungen bremsen kann. Zudem macht die Arbeiterklasse mit der Verweigerung dieser Opfer auch deutlich, dass sie erst recht nicht bereit ist, die noch größeren Opfer hinzunehmen, die der imperialistische Krieg ihr abverlangt. Der Klassenkampf stellt, selbst wenn er für noch so beschränkte Ziele geführt wird, einen Bruch der Solidarität der Arbeiterklasse mit "ihrer" nationalen Bourgeoisie dar; einer Solidarität, die die herrschende Klasse in Kriegszeiten unbedingt verlangt. Die Bewegung zu einer Vereinigung der Arbeiterkämpfe auf internationaler Ebene steht in deutlichem Widerspruch zur Fähigkeit des Kapitalismus, die Arbeiter hinter den Nationalfahnen zu mobilisieren.
Am Ende der Wiederaufbauperiode, die dem Zweiten Weltkrieg gefolgt war, nahm die Arbeiterklasse beim ersten Anzeichen der Wiederkehr einer offenen Wirtschaftskrise den Kampf gegen den Kapitalismus wieder auf. So bewies der große Generalstreik Mai 1968 in Frankreich und die gesamte Welle von internationalen Kämpfen, die ihm folgten, dass der proletarische Riese nach vier Jahrzehnten der Konterrevolution erneut sein Haupt erhob und sich entschlossen zeigte, sich der Verschlechterung seiner Lebensbedingungen zu widersetzen. Von dem Zeitpunkt an hatte es die Bourgeoisie nicht mehr in der Hand, einen neuen Weltkrieg auszulösen. Tatsächlich war die Neuaufteilung des imperialistischen Kuchens unter den beiden militärischen Hauptmächten, den USA und der UdSSR, nach dem Zweiten Weltkrieg nichts anderes als erste Schritte in der Vorbereitung eines Dritten Weltkrieges. Dies ist deutlich belegt durch die enorme Entwicklung des Wettrüstens und der Spannungen zwischen den beiden rivalisierenden, imperialistischen Blöcken, die zur Häufung von militärischen Konflikten in Asien, Afrika und Lateinamerika führten.
Die "glorreichen" Jahre der Wiederaufbauperiode waren nur eine kurze Verschnaufpause beim dem unaufhaltsamen Abstieg des Kapitalismus. Mit dem Ende dieser Periode eines verhältnismäßigen "Wohlstands" konnte die Dynamik des Kapitalismus die Bourgeoisie nur zu einem neuen Weltkrieg, zum Umsturz der in Jalta geborenen Ordnung durch eine bewaffnete Konfrontation zwischen dem amerikanischen und dem russischen Block führen.
Dass der Dritte Weltkrieg nicht stattfand, lag am Wiedererwachen des Klassenkampfes Ende der 60er Jahre insbesondere in den Zentren Westeuropas. Trotz einer sich ausweitenden Wirtschaftskrise war die Bourgeoisie nicht imstande, der Arbeiterklasse ihre Lösung aufzuzwingen.
Schon in der Vergangenheit war Europa (insbesondere die industriellen Hauptzentren in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien) jenes Gebiet, wo über den historischen Kurs entschieden wurde. In Europa wurden die beiden Weltkriege ausgelöst. Europa war der Hauptschauplatz der Konfrontation zwischen den beiden rivalisierenden, imperialistischen Blöcken nach 1945. Der Ausgang der Oktoberrevolution 1917 in Russland hing von der Ausbreitung der proletarischen Revolution auf Europa (und besonders auf Deutschland) ab. Auch heute ist Europa der Ort, wo über die historischen Alternativen, Weltkrieg oder Sieg der proletarischen Revolution, entschieden wird.
Das Wiedererwachen des Klassenkampfes in Westeuropa eröffnete einen neuen historischen Kurs in Richtung massiver Klassenkonfrontationen; einen Kurs, der sich fundamental von der Logik des Kapitalismus, von der Auslö-sung eines neuen Weltkrieges, unterschied. Mit der Wiederauferstehung des Klassenkampfes zeigte das Proletariat, dass es sich der Logik der kapitalistischen Krise (insbesondere den Lohnsenkungen und der Perspektive einer Rückkehr zur Massenarbeitslosigkeit Ende der 60er Jahre) verweigerte und deutlich machte, dass es nicht daran dachte, das äußerste Opfer zu bringen: Blut zu vergießen auf den Schlachtfeldern des Kapitals. Die Bourgeoisie konnte die Arbeiter nicht in einen Dritten Weltkrieg pressen, da sie nicht in der Lage war, der neu herangewachsenen Generation von Proletariern, die die dunkle Zeit der Konterrevolution nicht erlebt hatten, eine tiefgreifende ideologische und physische Niederlage beizufügen, so wie das im 2. Weltkrieg der Fall war. Im Verlauf von drei internationalen Wellen von Arbeiterkämpfen in den 20 Jahren nach dem Mai `68 artikulierte die Arbeiterklasse in den Zentren des Kapitalismus keinerlei begeisterte Loyalität gegenüber den bürgerlichen Idealen (wie dem der Verteidigung des "demokratischen Staates", des "Antifaschismus" oder des Mythos des "sozialistischen Vaterlandes" im Osten). Im Gegenteil, sie neigte dazu, sich von den Mystifikationen abzuwenden, die zur Mobilisierung für die beiden Weltkriege benutzt worden waren:
- Der Mythos des "Antifaschismus" und der Verteidigung des "sozialistischen Vaterlandes" wurde durch die Abwesenheit des faschistischen Schreckgespensts und durch die Enthüllung der Ausbeutung und des Terrors in den Ostblockländern abgeschwächt.
- Die Idee von einem immerwährenden, friedlichen Fortschritt des Kapitalismus wurde durch eine mehr als ein halbes Jahrhundert dauernde Barbarei in allen Ecken der Welt ernsthaft erschüttert, und die Illusionen über den "wirtschaftlichen Wohlstand", die sich mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hatten, zerstoben mit der Verschlimmerung der Krise und der dauernden Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse.
- Der Nationalismus hat, auch wenn er immer noch einige Arbeiter im Griff hat, nicht dieselbe Auswirkung wie in der Vergangenheit. Sein Fundament wurde durch die Entwicklung des Kapitalismus untergraben, der Tag für Tag nationale Unterschiede abschafft. Die gellenden Forderungen der Bourgeoisie gegenüber den Arbeitern, Opfer zu leisten, lässt sie in wachsendem Maße als direkter Feind der Interessen der ausgebeuteten Klasse erscheinen.
- Die Verteidigung der ‚Demokratie' und der ‚Zivilisation', die heute in Form von Kampagnen zum Schutz der ‚Menschenrechte' geführt wird, stößt nur unter den üblichen Unterzeichnern von Petitionen im Intellektuellenmilieu auf bedeutenden Widerhall, wenig dagegen bei den neuen Proletariergenerationen, die keine Verbindung erkennen können zwischen ihren Interessen und diesen ‚Menschenrechten', die deren Verteidiger zynisch mit Füßen treten.
- Die alten Arbeiterparteien (die sozialistischen und kommunistischen Parteien) haben die Arbeiterklasse zu lange verraten, um noch irgendeine vergleichbare Glaubwürdigkeit als Repräsentanten der Arbeiterklasse zu besitzen. Während der 70er Jahre und auch heute waren und sind viele von ihnen in der Regierung und führen offene Angriffe gegen die Arbeiterklasse aus.
Mit dem Ende des Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg verfügte die Bourgeoisie somit nicht mehr über diese wesentliche Trumpfkarte, um das Proletariat für die Verteidigung des nationalen Kapitals zu mobilisieren.
Aufgrund des Verschleisses der bürgerlichen Mystifikationen, welche seinerzeit die Mobilisierung von Millionen von Arbeitern im Ersten und Zweiten Weltkrieg ermöglicht hatten, hat das Proletariat durch die Entfaltung seiner Abwehrkämpfe gegen die offene Krise des Kapitalismus Ende der 60er Jahre das einzige Hindernis für die Auslösung eines 3. Weltkriegs dargestellt.
Im Verlauf der 70er und 80er Jahre war die Arbeiterklasse dank der Entwicklung ihrer Kämpfe in der Lage, die Bourgeoisie daran zu hindern, einen neuen Weltkrieg auszulösen, der mit Blick auf das Zerstörungspotenzial der modernen Waffentechnik wahrscheinlich das Ende der Menschheit bedeutet hätte. Doch die Arbeiterklasse war nicht in der Lage gewesen, ihre eigene historische Alternative - den Sturz des Kapitalismus und die Etablierung einer neuen Gesellschaft, die nicht auf der Profitgier, sondern auf der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse fußt - zu bekräftigen. Es gibt mehrere Gründe für dieses Misslingen:
- die Gegenoffensive der Bourgeoisie gegen die erste Welle von Kämpfen Ende der 60er Jahre; insbesondere die Falle der Wahlen, die es der herrschenden Klasse erlaubte, die Alternative der Linken in der Regierung vorzubringen. Dies säte die Illusion, dass diese Parteien für die Arbeiter eintreten und dass die Linken an der Macht durch ihr besseres Wirtschafts-management alles besser für die Arbeiterklasse machen. Die 70er Jahre waren die "Jahre der Illusion", die es der herrschenden Klasse ermöglichten, die Dynamik der ersten Welle von Kämpfen zu brechen;
- die Fähigkeit des Kapitalismus, die Krise teilweise zu verlangsamen, die schlimmsten und zerstörerischsten Auswirkungen der Krise auf die Länder der kapitalistischen Peripherie abzuwälzen;
- die Fähigkeit der herrschenden Klasse, die Entwicklung des Klassenkampfes zu sabotieren, insbesondere durch den intelligenten Gebrauch der Gewerkschaften. Im Verlauf der 70er und vor allem der 80er Jahre führten die wiederholten Konfrontationen mit gewerkschaftlichen Manövern die Arbeiterklasse tendenziell dazu, mit den Beschränkungen der Gewerkschaften zu brechen und die Kämpfe in die eigenen Hände zu nehmen, um sie auszuweiten und zu vereinen. Angesichts dessen entwickelte die Bourgeoisie die höchst effektive Waffe des "Basis"gewerkschaftertums, um die Arbeiter in das Gefängnis des Korporatismus einzusperren und die Ausweitung und Vereinigung ihrer Kämpfe zu blockieren;
- das Gewicht von nahezu einem halben Jahrhundert der Konterrevolution und das Auslöschen der Erinnerung an die Erfahrungen der vergangenen Arbeiterbewegung. Dies zeigte sich in den Schwierigkeiten, die die Arbeiter hatten, sich ihre eigenen Kampfmethoden, ihre eigenen Traditionen, insbesondere die Lehren aus der Revolution von 1917 bis 1923 wiederanzueignen;
- das Misstrauen gegenüber politischen Organisationen (und besonders gegenüber revolutionären Organisationen, welche die Oktoberrevolution 1917 verteidigten), das eine Folge des Gewichts der stalinistischen Konterrevolution war, die der Bourgeoisie zu ihrer größten Kampagne verhalf zur Behauptung, dass Kommunismus gleich Stalinismus sei.
Trotz dieser gigantischen Gegenoffensive war die Bourgeoisie international nicht in der Lage, den Kurs zu Klassenkonfrontationen umzukehren. Die 80er Jahre waren die "Jahre der Wahrheit", da die historischen Alternativen - generalisierter imperialistischer Krieg und Weltrevolution - immer offensichtlicher wurden. Einerseits warf die russische Invasion in Afghanistan ein grelles Licht auf die Antwort der Bourgeoisie gegenüber der Krise und auf die Eröffnung einer Periode akuter militärischer Spannungen zwischen den beiden rivalisierenden Blöcken. Andererseits machte der Massenstreik der Arbeiter in Polen 1980 die proletarische Antwort deutlich. Die polnischen Arbeiter zeigten, wie sich das Proletariat selbst als vereinte gesellschaftliche Kraft aufstellen kann, die imstande ist, nicht nur den Attacken des Kapitalismus zu widerstehen, sondern auch die Perspektive der Arbeitermacht vorzubringen, eine Gefahr, die von der Bourgeoisie deutlich gesehen wurde, die ihre imperialistischen Rivalitäten hintanstellten, um die Luft aus der Bewegung zu lassen, insbesondere durch den Aufbau der Gewerkschaft Solidarnosc. Der Massenstreik bewies ebenfalls definitiv, dass der Klassenkampf die einzige Kraft ist, die den Krieg bremsen kann. Insbesondere verdeutlichte er, dass der russische Block unfähig war, seine Antwort auf die wachsende Wirtschaftskrise, die Politik der militärischen Expansion, durchzusetzen, dass die Arbeiter des Ostblocks sich nicht als Kanonenfutter für irgendeinen zukünftigen Krieg zum Ruhme des "Sozialismus" anmustern ließen. Der Massenstreik in Polen bestätigte die historische Perspektive, die vom französischen Generalstreik im Mai `68 eröffnet worden war: die direkte Konfrontation zwischen den beiden fundamentalen Klassen der Gesellschaft, der Bourgeoisie und dem Proletariat.
Angesichts der Vertiefung der Wirtschaftskrise setzte sich der Klassenkampf während der 80er Jahre in den zentralen Ländern des Kapitalismus trotz der Niederlage und Unterdrückung der Arbeiter in Polen fort. Dennoch erreichte er nicht die Ebene, die für die Bestätigung des Proletariats als revolutionäre Kraft erforderlich gewesen wäre. Zwar geboten die Arbeiterkämpfe der Tendenz zum Krieg Einhalt, doch gingen sie nie über die Ebene einfacher, defensiver Kämpfe gegen die Angriffe des Kapitalismus hinaus. In dieser Situation, in der weder die Bourgeoisie noch die Arbeiterklasse ihre eigene Antwort auf die Konvulsionen des Kapitalismus durchsetzen konnten, herrschte eine Blockierung beider historischer Alternativen, Weltkrieg und Weltrevolution, vor. Ende der 80er Jahre, nach 20 Jahren offener Krise, bewirkte diese Blockierung das Phänomen des Zerfalls: Der Kapitalismus begann an lebendigem Leibe zu verfaulen. Dieser Zerfall kulminierte in den bedeutenden Ereignissen von 1989, die die Eröffnung einer neuen Phase im langen Dahinsiechen des Kapitalismus markierte, einer Phase, in der das gesamte gesellschaftliche Gefüge ächzte, auseinanderfiel und kollabierte.
Der Zusammenbruch der stalinistischen Regimes des Ostblocks versetzte der allgemeinen Dynamik des im Mai `68 eröffneten Klassenkampfes einen herben Schlag. Er ermöglichte der Bourgeoisie, eine ganze Reihe von Kampagnen rund um das Thema des "Todes des Kommunismus" und des "Endes des Klassenkampfes" zu entfalten. Dies traf die Fähigkeit des Proletariats, seine Kämpfe mit der Perspektive des Aufbaus einer neuen Gesellschaft zu führen, sich selbst als unabhängige gesellschaftliche Kraft gegen das Kapital und für die eigenen Interessen zu positionieren, bis ins Mark. Die Tatsache, dass der Klassenkampf beim Kollaps des Stalinismus keine Rolle gespielt hatte, traf das Selbstvertrauen des Proletariats heftig. Sowohl seine Kampffä-higkeit als auch sein Bewusstsein erlebten einen beträchtlichen Rückgang. Die herrschende Klasse verbreitete ihre Kampagnen über die "Wohltaten" des westlichen, demokratischen Kapitalismus, der als die einzig mögliche Alternative zum stalinistischen Terror dargestellt wurde. Sie nutzte den Verlust an Selbstvertrauen unter den Arbeitern auch, um die Gewerkschaften zu stärken. Diese erlebten eine triumphale Rückkehr als "die einzigen Vertreter der Arbeiterinteressen".
Indes kehrte der beträchtliche Rückgang, den das Proletariat aufgrund der Kampagne über den "Tod des Kommunismus" erlitten hatte, den Kurs zu Konfrontationen, der Ende der 60er Jahre eröffnet worden war, nicht um.
Heute engagiert sich die Bourgeoisie der "demokratischen" Großmächte hinter dem amerikanischen Weltpolizisten in einer steigenden Zahl blutiger Kriege, wie wir am Golf, im Kosovo und nun in Afghanistan gesehen haben. Dies geschieht nicht mit der begeisterten Zustimmung durch die Arbeiter Westeuropas. Die Tatsache, dass die Arbeiter nicht in Uniformen stecken, in Reih und Glied hinter der Nationalfahne stehen, dass stattdessen Berufsarmeen eingesetzt werden, bedeutet, dass das Proletariat vor der barbarischen Logik des Kapitalismus nicht kapituliert hat. Es ist nicht willens, sein Blut für die Dienste "humanitärer" Kreuzzüge oder im "Kampf gegen den Terrorismus" zu vergießen. Es ist stimmt, dass es nicht in der Lage ist, die Anzettelung dieser Massaker zu stoppen, und bloßer Zuschauer bei der Orgie der kapitalistischen Hyänen ist, doch es besitzt noch immer den Schlüssel der weiteren geschichtlichen Entwicklung in seiner Hand. Die Zukunft der Menschheit liegt noch immer in seinen Händen.
Trotz all der Schwierigkeiten, die in den letzten zehn Jahren der Entwicklung ihrer Kämpfe entgegenstanden, ist die Arbeiterklasse nicht besiegt. Es hat zudem eine Unterminierung solcher Mystifikationen wie die der "neuen Weltordnung", einer Periode des Friedens und Wohlstandes, gegeben, die der Kapitalismus der Menschheit nach dem Zusammenbruch des "Reichs des Bösen" in Aussicht gestellt hatte. Dies trifft auch auf den Mythos vom "chirurgischen" und "humanitären" Krieg zu, den die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Gehilfen seit dem Golfkrieg in unsere Ohren zu hämmern versucht haben. Heute beginnt der Kreuzzug zur "Befreiung der Welt vom Terrorismus" das wahre Gesicht der bürgerlichen "Zivilisation" zu enthüllen. Noch deutlicher wird dies anhand des unbeschreiblichen Zynismus der demokratischen Großmächte, die im Namen von Frieden und Freiheit Bevölkerungen massakrieren, terrorisieren und zu Flucht, Hunger und Epidemien verurteilen. Es hat ein Ausmaß erreicht, dass selbst die Medien davon sprechen, dass die US-Vergeltungsmaßnahmen gegen Afghanistan zu einer wahren "humanitären Katastrophe" führen.
Je mehr die herrschende Klasse dazu getrieben wird, sich in blutigere militärische Abenteuer zu stürzen, desto mehr muss sie gegenüber der Arbeiterklasse die grenzenlose Barbarei des Kapitalismus offenlegen.
So können die Zuspitzung der Wirtschaftskrise und die Zunahme militärischer Kreuzzüge seitens der großen Demokratien Europas und der USA nicht anders als weiterhin den unvermeidbaren Bankrott des Kapitalismus offenbaren und somit für die Arbeiterklasse als ein Faktor wirken, der das Bewusstsein über die Notwendigkeit der Überwindung dieses Systems vorantreiben wird.
Mit dem Rückfluss ihres Bewusstseins infolge der antikommunistischen Kampagnen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks hinkt das Proletariat gegenüber der Entwicklung stark hinterher. Während der Kapitalismus immer tiefer im Chaos und der Barbarei versinkt, hat die Arbeiterklasse bislang noch nicht zu einer revolutionären Perspektive zurückgefunden. Aber dieser tiefgreifende Rückschlag bedeutet keineswegs, dass der Kurs hin zu verstärkten Klassenzusammenstößen infrage gestellt sei. In Wirklichkeit hat der Ernst der historischen Lage, der nach dem Zusammenbruch es Stalinismus entstanden ist, unter einer Minderheit der Arbeiterklasse ein in die Tiefe gehendes Nachdenken hervorgerufen, wodurch sich einige nach Klärung Suchende revolutionären Positionen angenähert haben und sie gar unterstützen. Dies bestätigt, dass die gegenwärtige Lage ebenso ein Potenzial enthält für eine Bewusstwerdung des Bankrotts des Kapitalisus und der Notwendigkeit der kommunistischen Revolution, auch wenn dieser Bewusstwerdungsprozess heute noch sehr stark auf eine kleine Minderheit beschränkt ist.
Mit der Zuspitzung der Angriffe gegen ihre Lebensbedingungen, mit der Welle von Massenentlassungen, die mit der Rezession einhergehen, wird das Proletariat insgesamt keine Alternative haben als seinen Kampf zu verstärken. Nur im und durch den Kampf kann es seine Klassenidentität wiederentdecken, wieder Selbstvertrauen fassen, seine eigene Kraft und die historische Perspektive seiner Kämpfe erkennen. Die Krise bleibt heute mehr als je zuvor der beste Verbündete des Proletariats. CF
Gegenüber den Anschlägen vom 11. September und dem darauffolgenden, erneuten Krieg in Afghanistan haben sich weltweit neben den Gruppen der Kommunistischen Linken eine Reihe von Stimmen erhoben, um proletarisch internationalistische Positionen zu verteidigen.
So auch im deutschsprachigen Raum. Gegenüber der kapitalistischen Linken, welche von liberalen Zeitungsredakteuren und grünen "Pazifisten" über die PDS bis zu den Trotzkisten die Anschläge in den USA als ein Zurückschlagen der "Dritten Welt" gegen die imperialistischen Metropolen bewerten, weist ein "Aufruf sozialrevolutionärer ArbeiterInnen" auf die Wurzeln dieser Ereignisse in der kapitalistischen Zivilisation hin.
"Die islamischen Terroristen handeln nicht aus schierer Mordlust. Sie sind Soldaten des Kapitals, auch wenn ihre Bärte länger und ihre Gewänder wallender sind als die ihrer westlichen Gesprächspartner. Mit ihren Anschlägen und Massakern in Algerien, Israel oder nun in den USA verfolgen sie direkt oder indirekt große Ziele: Sei es die Schaffung eines Horror-Gottesstaates, die Vertreibung der Juden aus Israel, die Knechtung von Frauen, die Ausbeutung der islamischen ArbeiterInnen und der bäuerlichen Bevölkerung. Die Anschläge tragen die Handschrift der kapitalistischen Zivilisation."1
Der bürgerliche "Antiimperialismus", die "antikapitalistische" Verklärung des Kampfes des kleinen imperialistischen Gangsters gegen den Großen, ist nichts anderes als eine weitere Kriegsmobilisierungsideologie der herrschenden Klasse.
"Die Angriffe auf das World Trade Centre und das Pentagon haben bei einigen Leuten eine klammheimliche Freude aufkommen lassen. Die New Yorker Skyline in Rauch gehüllt, das WTC in Flammen und schließlich völlig aus der Landschaft getilgt, das Pentagon brennend, die Symbole - ökonomischer wie militärischer - kapitalistischer Macht zerstört, das waren Bilder, die manchem ein Lächeln aufs Gesicht zauberten. Dies ist eine groteske Fehleinschätzung der Anschläge als einen Angriff auf den Kapitalismus."2
Auch der Anti-Amerikanismus ist eine bürgerliche Kriegsideologie, welche heutzutage hoch im Kurs steht bei den imperialistischen Rivalen der USA.
"Für viele Linke scheint der US-Imperialismus das Hauptproblem zu sein. Die Beteiligung der BRD am imperialistischen Krieg ist für diese Leute nur ein Problem der übertriebenen Bündnistreue. Die materiellen Interessen der deutschen Bourgeoisie werden bei dieser Art von "Analyse" ebenso unterschlagen wie die großen Erfolge des deutschen Imperialismus seit 1989."3
Die Entlarvung der Rolle des deutschen Imperialismus vom Standpunkt des proletarischen Internationalismus, der alle Seiten im imperialistischen Krieg bekämpft, hat nichts mit der bürgerlichen Ideologie der "Nie wieder Deutschland" Bewegung zu tun, dessen Vertreter wie die Zeitschrift "Jungle World" heute die USA und Israel als fortschrittlich bezeichnen gegenüber dem islamischen Fundamentalismus wie auch gegenüber Deutschland.
Wie die "Soziale Befreiung" zurecht schreibt:
"Egal ob sie als "Antideutsche" dem israelischen Staat die Treue halten, oder als LeninistInnen-StalinistInnen den "palästinensischen Befreiungskampf" hochjubeln oder mit dem staatskapitalistischen Ostblock in nekrophiler Liebe verbunden sind und um die verbliebenen Staaten Kuba und China einen Mythos aufbauen - stets sind sie NationalistInnen, zwar in Gegnerschaft zum eigenen Staat, aber vom proletarischen Internationalismus meilenweit entfernt." (Soziale Befreiung ebenda)
Aber auf den proletarischen Internationalismus kommt es gegenüber dem imperialistischen Krieg in erster Linie an.
So heißt es in einem Flugblatt unter dem Titel "Keine Solidarität mit der internationalen Bourgeoisie und ihren Terrorbanden: "Deshalb ist es äußerst wichtig, niemals den Schulterschluss zu suchen mit den ganzen verbrecherischen Bourgeoisien, die sich anderntags, andernorts, mit allen Mitteln bekämpfen, ganz gleich, ob ihre Heimatländer Rußland, China, Deutschland oder sonstwie heißen. Es ist an der Zeit, über die globale kapitalistische Warengesellschaft nachzudenken und die Betriebe und die Straße zum Ort der politischen Auseinandersetzung zu machen."
Wir begrüßen diese internationalistischen Stimmen gegen den Krieg. Wir unterstützen Wildcat, wenn es die Notwendigkeit unterstreicht, "radikal auf die Selbsttätigkeit der Ausgebeuteten in ihren Kämpfen" zu setzen und hinzugefügt: "Nur indem wir diese Kämpfe ernst nehmen, sie unterstützen, und das in ihnen enthaltene emanzipatorische Potenzial aufgreifen, können wir dieser allgemeinen Selbstentmachtung, zu der Krieg und Kriegsangst führen sollen, entgegenwirken. Dazu gehört der revolutionäre Defätismus gegenüber dem Krieg, der auf die Niederlage aller beteiligten Kriegsparteien setzt." (Wildcat ebenda).
Gegenüber dem imperialistischen Krieg ist es die Pflicht der Internationalisten, gemeinsam die Interessen des Proletariats hochzuhalten und eine politische Solidarität untereinander zu üben gegenüber dem gemeinsamen kapitalistischen Feind. Aber es ist ebenfalls ihre Pflicht, eine gemeinsame öffentliche Debatte zu entwickeln, sich gegenseitig zu kritisieren, damit die Schwächen und Halbheiten in unseren Reihen überwunden werden können. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, wollten wir allein alle hier besprochenen Aussagen und Stellungnahmen kritisieren, mit denen wir nicht einverstanden sind. Wir werden auf einige dieser Fragen in späteren Ausgaben unsere Presse zurückkommen.
Wir wollen an dieser Stelle lediglich auf die Tatsache hinweisen, dass einige dieser Stellungnahmen offensichtlich die zentrale Rolle der Verschärfung der imperialistischen Spannungen zwischen den Großmächten unterschätzen, welche nach unserer Überzeugung das Wesensmerkmal der Ereignisse um den 11. September bilden.
So schreibt beispielsweise "Soziale Befreiung" in seiner bereits zitierten Stellungnahme: "Die deutsche Bourgeoisie hat aus ihrer Vergangenheit gelernt, sie legt sich nicht mehr mit ihren mächtigen Klassenbrüdern in Europa und der USA kriegerisch an, sondern suchte und sucht das Bündnis zu ihnen. Innerhalb und durch dieses Bündnis betreibt die BRD sehr erfolgreich imperialistische Politik."
Richtig an dieser Aussage ist, dass die deutsche Bourgeoisie aus ihrer Vergangenheit gelernt hat, und dass es durch Strukturen wie beispielsweise die NATO oder die EU nicht daran gehindert wird, sehr erfolgreich imperialistische Politik zu betreiben. Die Tatsache aber, dass der deutsche Imperialismus sich heute nicht kriegerisch anlegt mit seinen europäischen und amerikanischen Rivalen, ist aus unserer Sicht keineswegs darauf zurückzuführen, dass er die Lehren aus seiner Vergangenheit gezogen hat und deswegen das Bündnis mit diesen Rivalen sucht. Diese, für den Imperialismus im allgemeinen, und für den deutschen Imperialismus insbesondere sehr uncharakteristische Zurückhaltung ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass Deutschland heutzutage noch lange nicht stark genug ist, seine wichtigsten europäischen Rivalen (geschweige denn die USA) militärisch herauszufordern. Und es ist darauf zurückzuführen, dass es heute, im Gegensatz zur Lage von 1914 oder 1939, noch nicht imstande ist, die Arbeiterklasse für einen Weltkrieg zu mobilisieren.
"Die NATO ist die Weltpolizei der US-amerikanischen und westeuropäischen Bourgeoisie" schreibt Soziale Befreiung. Das ist so nicht richtig. Wenn es heute einen Weltpolizisten gibt, so sind das die USA. Washington denkt nicht daran, diese Aufgabe brüderlich mit seinen westeuropäischen Rivalen zu teilen. Dies ist auch der Grund, weshalb die USA den Krieg in Afghanistan unter eigener Regie führen und nicht im Rahmen der NATO. Denn eine Kriegsführung durch die NATO würde bedeuten, den "Bündnispartnern" ein Mitspracherecht einzuräumen. Im Kosovo sah sich Washington dazu gezwungen, die "Partner" mitreden zu lassen. Denn Kosovo liegt in Europa, und dort können selbst die USA ohne die europäischen Führungsmächte nicht viel ausrichten. Aber dort, wie in Zentralasien, wo Amerika sehr wohl auf eigene Faust vorgehen kann, will es den Europäern am liebsten lediglich die Rolle von Wasserträgern einräumen. Die nur noch "kritische Solidarität", welche die Grünen als treue Vertreter des deutschen Imperialismus mit den USA jetzt verkünden, kommt also nicht von ungefähr.
"Soziale Befreiung" behauptet: "Der Krieg gegen Afghanistan wird ebenfalls auch in deutschem Interesse geführt. Der "realsozialistische" Staatskapitalismus wurde vom "freien Westen" besiegt, jetzt muss der ehemaligen "dritten Welt" gezeigt werden, wer der Herr im Haus ist."
Wir meinen aber, dass dieser Krieg sich keineswegs gegen die "dritte Welt" richtet, sondern in erster Linie - wenn auch indirekt - gegen die europäischen Verbündeten der USA selbst. Europa war nicht zufällig das wichtigste militärische Aufmarschgebiet der imperialistischen Konflikte des 20. Jahrhunderts: die zwei Weltkriege, der Kalte Krieg. Denn Europa ist nach wie vor neben Amerika das Hauptzentrum der kapitalistischen Weltwirtschaft. Nur von Europa aus kann von neuem ein imperialistischer Militärblock entstehen, welcher die USA herausfordern könnte. Es kommt hinzu, dass Europa, weil es geographisch den westlichen Zipfel des riesigen, bevölkerungsreichen eurasischen Raums darstellt, strategische Vorteile besitzt, wenn es darum geht, in Richtung Asien vorzustoßen. Dies trifft besonders auf Deutschland zu, die führende Zentralmacht des alten Kontinents. Heute betreibt der deutsche Imperialismus seine Ostexpansion nach Asien gleich über zwei verschiedene Optionen: über den Balkan, die Türkei und Iran, sowie über ein mögliches Bündnis mit Russland. Wir wagen somit zu behaupten, dass Amerikas Krieg in Afghanistan eben nicht "ebenfalls auch im deutschem Interesse geführt" wird. Wir glauben vielmehr, dass in dieser Hinsicht die amerikanische Bourgeoisie ihre eigenen Lehren aus dem 2. Weltkrieg gezogen hat und einer Situation vorbeugen will, indem sie wie damals gleichzeitig Krieg in Europa und Asien führen muss, ohne starke militärische Stützpunkte im Kernbereich des asiatischen Festlandes zu besitzen.
Die Kombination zweier überragender Tatsachen - dass das Weltproletariat nicht geschlagen ist, und dass es keine Aufteilung der Welt in zwei einander gegenüberstehenden Militärblöcke gibt - schließen direkte militärische Konfrontationen zwischen den Großmächten zumindest in nächster Zeit aus. Diese Tatsachen ändern aber nichts an dem Grundgesetz der imperialistischen Konkurrenz, dass die Hauptrivalität immer unter den führenden imperialistischen Mächten zu finden ist und nicht zwischen einem Bündnis der Stärksten gegen "die dritte Welt" oder anderen hypothetischen Gebilden. Dass diese Rivalität heute nur indirekt ausgetragen werden kann, verschleiert die überragende Rolle dieser Rivalität der Großen. Aber dies darf die Marxisten nicht dazu verleiten, diese Hauptkonfliktlinien zu unterschätzen oder gar zu missachten.
Sogar die Bourgeoisie selbst sieht sich angesichts der jetzigen Zuspitzung der Rivalitäten veranlasst, zumindest indirekt an dem Mythos des "Bündnisses" der westlichen Nationalstaaten zu zweifeln. Die vollkommene Abwesenheit der Europäischen Union gegenüber den jüngsten Ereignissen kommentierte beispielsweise die Financial Times vom 15.10.2001 so:
"Es schien alles so vielversprechend. Vor den Anschlägen des 11. Septembers in den USA war die Europäische Union gerade dabei, endlich ihre diplomatische Schlagkraft anzuwenden. Die fünfzehn Mitgliedsstaaten sprachen mit einer Stimme zu den Ereignissen auf dem Balkan. Und tatsächlich bewahrten deren Anstrengungen in Mazedonien die Republik vor einem Bürgerkrieg. Auch gegenüber der Herausforderung des nationalen Raketenabwehrsystems (NMD) von George W. Bush hielt man zusammen. (...) Die Ereignisse des 11.Septembers ändern all dies. Die Staatsoberhäupter der führenden EU-Mitgliedsstaaten haben die Gelegenheit für ihre eigenen Vorstellungen beim Schopfe gepackt. Die Folge ist, dass die gemeinsame Stimme der europäischen Außenpolitik, welche nun langsam hörbar wurde, in einem Missklang von individuellen Erklärungen zusammen gebrochen ist. "Die politische Macht ist schrittmarsch zurück in die Hauptstädte zurückgezogen worden." sagte ein EU-Beamter." (Die FAZ äußert sich ähnlich in ihrem Kommentar auf der ersten Seite am 6. November: "Was die EU tun muss")
Während unsere Kritik an der Stellungnahme der "Soziale Befreiung" sich innerhalb des Rahmens einer Debatte unter Marxisten bewegt, hat der Erklärungsansatz des imperialistischen Krieges durch die Gruppe Wildcat mit dem Marxismus nichts zu tun. Für Wildcat ist die jetzige Verschärfung der imperialistischen Spannungen etwas ganz anderes: ein gemeinsam von allen Ausbeutern geführter Krieg gegen die Ausgebeuteten. "Kriege sind nie nur die Auseinandersetzung zwischen den Kriegsparteien, sondern im wesentlichen der gemeinsame Kampf der kriegsführenden Parteien um die Sicherung ihrer Herrschaft", heißt es in der Stellungnahme von Wildcat. Und weiter: "Auf der Oberfläche vermitteln Kriege den Eindruck eines Gegensatzes zwischen den kriegsführenden Parteien, im Wesen sind sie aber für beide Seiten das gemeinsame Mittel, um gegen das proletarische Aufbegehren, den Kampf um ein besseres Leben, die Revolution als Bewegung der Emanzipation der Menschen vorzugehen."
Hier werden die "Gegensätze zwischen den kriegsführenden Parteien" nicht nur unterschätzt, sondern beinahe schon gänzlich verneint.
Die politischen Ursprünge dieser gravierenden Fehleinschätzung liegen in der Weltsicht des Operaismus, welcher in den 60er Jahren in Italien entstand und aus dessen Tradition Gruppen wie Wildcat hervorgegangen sind. Damals, gegen Ende der Nachkriegswiederaufbauphase waren die unterschiedlichsten Theorien populär geworden, welche Grundthesen des Marxismus verwarfen, der angeblich durch die lange Wiederaufbauphase widerlegt sei. So z.B. die Situationisten, welche die marxistische Klassenanalyse zugunsten einer Vorstellung des Kampfes zwischen Befehlshabern und Untergebenen aufgaben. So Marcuse und die "Frankfurter Schule", welche das Proletariat als revolutionäre Klasse abschrieben. Der Operaismus hingegen gab die Klassenanalyse nicht auf. Was er statt dessen verwarf, war die marxistische Auffassung zur Wirtschaftskrise und zum Konkurrenzkampf unter den Kapitalisten. Er missdeutete auf groteske Weise den Satz des Kommunistischen Manifestes, dass die Geschichte der Menschheit eine Geschichte des Klassenkampfes ist, indem er behauptete, dass alle objektiven Widersprüche des kapitalistischen Systems wie die Überproduktionskrise, die Massenarbeitslosigkeit, die ständige Revolutionierung des Produktionsprozesses unter dem Druck der Konkurrenz aber auch des imperialistischen Krieges, nichts als Mittel der Herrschenden seien, um das Proletariat zu bekämpfen. Zwar besitzt diese Position eine gewisse innere Logik. Wenn es keine unlösbare Krise des Systems gibt und keinen Überlebenskampf der Kapitalisten untereinander, gibt es auch keinen zwingenden Grund für die Herrschenden, imperialistischen Krieg gegeneinander zu führen. Nur, diese Logik ist sehr, sehr realitätsfern.
Nun ist aber die Haltung des Operaismus in den letzten Jahren auch noch in sich widersprüchlich geworden. Zwar sahen sich operaistische Gruppen wie Wildcat in letzter Zeit genötigt, unter den Hammerschlägen der Wirklichkeit das Vorhandensein einer Wirtschaftskrise anzuerkennen. Dafür klammert man sich scheinbar um so hartnäckiger an die Vorstellung des Krieges "gegen die ArbeiterFklasse". Denn man spürt wohl, dass das gesamte Gebäude des Operaismus zusammenkrachen wird, wenn man auch noch diese alte Kamelle aufgibt.
Diese Haltung hat bei Wildcat zur Folge, dass man ständig nach Anzeichen einer nahen Revolution sucht und ziemlich wahllos hinter allem, was sich bewegt (von Straßenschlachten irgendwelcher Jugendlicher bis hin zu der reformistischen "Antiglobalisierungsbewegung"), ein revolutionäres Potenzial vermutet. Denn muss die Revolution nicht ständig irgendwo um die Ecke lauern, wenn die Herrschenden stets gezwungen zu sein scheinen, alles von den neuesten Mikroprozessoren bis zu der Bombardierung Afghanistans aufzubieten, um eine solche Eventualität zu verhindern? Andererseits ist man selbst außerstande, die Arbeiterklasse vor den Gefahren des imperialistischen Krieges zu warnen. Man ist auch nicht mehr imstande, den unkontrollierten, von den Herrschenden selbst nicht mehr beherrschten Charakter der geschichtlichen Weltlage zu erkennen, der die Menschheit seit einem Jahrhundert schon vor die Wahl stellt: Sozialismus oder Barbarei.
Man mag natürlich einwenden, diese Schwächen der Analyse seien zweitrangig, Hauptsache man verteidige proletarisch-internationalistische Positionen gegenüber dem Krieg. Das ist in der Tat die Hauptsache. Doch die Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt uns, dass eine falsche Analyse der Weltlage, insbesondere aber eine Unterschätzung der imperialistischen Konflikte immer wieder dazu führt, dass Revolutionäre den proletarischen Internationalismus am Ende aufgeben. Dies geschah beispielsweise mit Karl Kautsky, der am Anfang des 20. Jahrhunderts im Gegensatz zu Rosa Luxemburg den Imperialismus unterschätzte und nach und nach den revolutionären Marxismus aufgab, bis er schließlich eine Theorie des "Superimperialismus" entwickelte. Damit schloss er aus den durch den Krieg verursachten Verwüstungen, dass der Kapitalismus an den imperialistischen Kriegen nicht mehr "interessiert" sei und sich nun lieber gemeinsam der Ausbeutung des Proletariats widmen würde.
Unmittelbar vor dem Ausbruch des 2. Weltkrieges schloss ein bedeutender Teil der Italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken aus den unmittelbaren wirtschaftlichen Erfolgen der deutschen und anderer Kriegswirtschaften, dass der Imperialismus nicht mehr an einem Weltkrieg interessiert sei, es sei denn, es handele sich um einen "Krieg gegen die Arbeiterklasse". Als der Krieg dann doch ausbrach, wurde Vercesi, der führende Vertreter dieser Theorie, aufgrund seiner politischen Desorientierung Opfer des bürgerlichen Antifaschismus. Diese und andere Beispiele zeigen uns, dass die Analyse der Weltlage keine akademische Übung ist. Die Auseinandersetzung und das Ringen um eine richtige marxistische Analyse ist vielmehr unerlässlich für die Verteidigung und Vertiefung einer revolutionären Perspektive des Proletariats und für die langfristige Aufrechterhaltung des proletarischen Internationalismus angesichts der Wirrnisse des niedergehenden, heute zerfallenden Kapitalismus.
Weltrevolution (20.11.01)
Angesichts des Wütens des imperialistischen Krieges wird es umso wichtiger, dass die proletarischen Internationalisten ihre Verantwortung gegenüber der Arbeiterklasse wahrnehmen. Ihre erste Verantwortung besteht darin, dafür einzutreten, dass der proletarische Klassenkampf gegen alle kriegsführenden Fraktionen, gegen den Kapitalismus fortgesetzt und verschärft wird. Denn zu der internationalistischen Grundeinstellung des Marxismus gehört die tiefe Überzeugung, dass allein das Proletariat eine wirkliche Kraft gegen die imperialistische Barbarei darstellt. Dieser internationalistische Kampf schließt die Notwendigkeit ein, dass die Internationalisten sich gegenseitig unterstützen. Diese gegenseitige Unterstützung erfordert, dass die verschiedenen proletarischen Stimmen miteinander öffentlich diskutieren, ihre Meinungsunterschiede klären, sich gegenseitig solidarich kritisieren. Und es erfordert, dass sie sich gegenseitig verteidigen gegenüber den Angriffen des Klassenfeindes. Gerade im heutigen Kontext der Verschärfung imperialistischer Rivalitäten in Zentralasien und überall auf der Welt begrüßen wir das Erscheinen der fünften Ausgabe der Zeitschrift "Soziale Befreiung" (SB). Denn diese Zeitschrift hat sich in letzter Zeit engagiert, um diese obengenannten Pflichten zu erfüllen. Auf ihrer Website hat die Zeitschrift im Sinne des Proletariats Stellung genommen gegen den Afghanistankrieg, wie wir bereits in Weltrevolution 109 berichtet haben. In der neusten Ausgabe der Zeitschrift wird diese prinzipielle Einstellung ebenfalls angewandt in einem Artikel, der Lehren aus den Balkankriegen zieht. Die Verteidigung der revolutionären Natur und des Potentials des Proletariats als geschichtlich berufener Totengräber des kapitalistischen Systems bleibt ebenfalls ein Bestandteil der redaktionellen Arbeit dieser Zeitschrift. Und auch die gegenseitige Unterstützung der Internationalisten gegenüber den Angriffen der Bourgeoisie finden wir in dieser Ausgabe. Dieser unbedingt notwendige Reflex findet seinen Ausdruck in der Wiederveröffentlichung von Texten der Frankfurter Internationalisten und die Inschutznahme ihres Kampfes gegenüber den nationalistischen Angriffen von Seiten einer stalinistischen Gruppe bzw. in Artikeln, welche in der FAU Zeitschrift "Direkte Aktion" veröffentlicht worden sind (über diese Auseinandersetzungen der Frankfurter Internationalisten haben wir in den letzten Ausgaben von Weltrevolution ebenfalls mehrfach berichtet). Ansonsten befndet sich u.a. auch eine Polemik mit der IKS in dieser Ausgabe der Soziale Befreiung, welche sich hauptsächlich mit zwei zentralen Themen der Debatte unter Revolutionären befasst: mit der Einschätzung der Klassennatur der russischen Revolution, und mit der Frage, ob es neben dem bürgerlichen, konterrevolutionären Antifaschismus so etwas wie einen "proletarischen Antifaschismus" geben kann.
Wie der Rätekommunismus insgesamt, schließt SB aus der damals relativ schwache Entwicklungsstand des Kapitalismus in Russland daß die dortige Oktoberrevolution von 1917 eine bürgerliche Umwälzung war. "Lenins Theorie versuchte die bürgerliche Revolution mit dem Marxismus zu versöhnen und dann den bürgerlichen Charakter der Oktoberrevolution durch marxistische Phrasen zu verschleiern", behauptet die "Soziale Befreiung" (S. 57). Es begreift nicht daß das rote Oktober der Auftakt zur Weltrevolution war, und daß die Frage der geschichtliche Notwendigkeit der proletarischen Revolution nur auf Weltebene gestellt werden kann. Die damalige Revolutionäre haben aus den 1. Weltkrieg völlig zurecht geschlossen daß der Menschheit nur noch vor der Alternative Sozialismus oder Barbarei stand.
Aber nicht nur dieser Wesensunterschied zwischen der bürgerliche Revolution, der notwendigerweise eine nationale Umwälzung ist, und die proletarische Weltrevolution sieht SB äußerst unklar. Hinter seine Argumentation steckt eine viel gründsätzlichere Schwammigkeit hinsichtlich der Demarkationslinien zwischen Bourgeoisie und Proletariat. In ein Abschnitt über den Unterschied zwischen "Leninismus" und Stalinismus z.B. (S. 57) wird erklärt: "Auch wenn der Leninismus nicht zur sozialen Revolution der internationalen ArbeiterInnenbewegung taugte, war er für die Parteibürokratie immer noch zu internationalistisch".
Hier ist mit Händen zu greifen daß noch nicht verstanden worden ist, daß der Internationalismus Lenins und der Bolshewiki gegenüber den imperialistischen Weltkrieg der sicherste beweis dafür ist, dass sie Vorkämpfer des Proletariats waren. Denn der erste Grundsatz der Arbeiterbewegung seit das Kommunistische Manifest lautet, daß die Proletarier kein Vaterland haben. Die Sozialdemokratie, die ehemalige KPs, die Trotzkisten sind ja auch in erster Linie ins Lager der imperialistische Bourgeoisie übergelaufen, weil sie den proletarischen Internationalismus verraten und den imperialistsichen Weltkrieg unterstützt haben. Die Kommunistische Linke hingegen setzt sich aus den politischen Strömungen zusammen, welche auch im 2. imperialistichen Weltkrieg diese internationalistische Prinzipien truegeblieben sind. Und während SB die IKS als zentristisch bezeichnet, weil es den proletarischen Charakter der Oktoberrevolution und des ursprünglichen Bolschewismus verteidigt, zeigt die Praxis der revolutionären Arbeit im 2. Weltkrieg etwas ganz anderes. Denn die Organisationen, welche diesen bisher schwerste Prüfung der Treue gegenüber das Proletariat bestanden haben, wie die klarste Vertreter der Italienische Linke, der Spartakusbond in den Niederlanden oder der deutsch-österreichische RKD, beriefen sich gerade auf die internationalistische Tradition der Bolschewiki.
Doch gerade in dieser Frage, durch welche Kriterien die politische Organisationen der Bourgeoisie und des Proletariats voneinander unterschieden werden, bleibt SB erschreckend schwammig: "Der Zentrismus zwischen linksbürgerlichen und kommunistischen Positionen wird sich in der sozialen Revolution nicht halten. In ihr wird alles halbe und unvollkommene zerrieben. Die meisten linksbürgerlichen Organisationen, von der SPD bis zur PDS, werden das Lager der Konterrevolution wählen - ein Teil der lohnabhängigen Basis wird sich abspalten und auf die Seite der Revolution - ihrer Revolution! - übergehen. Ein geringer Teil der linksbürgerlichen Organisationen - zum Beispiel einige Trotzki-Sekten - wird nicht auf der Seite der Bourgeoisie stehen. Diese Kräfte werden versuchen, das revolutionäre Lager zu beherrschen und sie mit ihrer bolschewistischen Ideologie geistig zu beeinflussen." (S. 58). Weiter unten heißt es: "Die Zeit für den Staatskapitalismus ist vorbei. Aber der Bolschewismus wird die proletarische Selbstorganisation bremsen und damit die Kraft der sozialen Revolution lähmen. Wir können nur hoffen, daß in der Zeit der relativen Stabilität der Klassengesellschaft so viele bolschewistische Organisationen wie möglich vor die Hunde gehen. Sie sind Schatten der Vergangenheit, keine Wegbereiter der Zukunft. Das gilt auch für den Halbbolschewismus der IKS." (ebenda). Einerseits wird erwartet, dass die "lohnabhängige Basis" bürgerlicher Organisationen wie der SPD oder der PDS sich revolutionär abspalten werde, und dass manche linksbürgerlichen Trotzkisten sich nicht auf die Seite der Bourgeoisie stellen werden (als ob sie dies nicht schon längst getan hätten!). Andererseits wird eine internationalistische, linkskommunistische Organisation wie die IKS mit den Bluthunden des Staatskapitalismus in einen Topf geschmissen, die "einen Schatten der Vergangenheit" darstellen und "vor die Hunde" gehen sollen. Die Unterschiedung von "Führung" und "Basis" bürgerliche Organisationen wie die Sozialdemokratie, oder auch die Gewerkschaften, bildete einst einer der Grundlagen der opportunistische Argumentationsweise Lenins in seiner Polemik gegen den Linkskommunisten ("Der Linksradikalismus: Eine Kinderkrankheit des Kommunismus") Heute gehört es zum täglichen Brot der Trotzkisten und andere linksradikale Vertreter des Kapitalismus. Man sieht dass SB sich noch nicht vollständig von der Denkweise seiner trotzkistische Vergangenheit befreit hat.
Diese Unklarheit über die Unterscheidungskriterien zwischen Proletariat und Bourgeoisie tritt ebenso deutlich in Erscheinung, wenn die SB die Existenz eines angeblichen "proletarischen Antifaschismus" gegen die Position der IKS zu vertreten versucht. "Es gab und gibt auch einen ganz konkreten Klassenkampf gegen Nazis - den proletarischen Antifaschismus. Dieser ist vom bürgerlichen Antifaschismus klar zu unterscheiden", behauptet SB (S. 68) "Die Organisationsform des proletarischen Antifaschismus ist die Einheitsfront von unten." (ebenda). "Die Einheitsfront von unten gegen den Nazifaschismus ist die Organisationsform des konkreten und zu allen Mitteln bereite Kampf aller Betroffenen gegen den Naziterror - unabhängig ihrer Parteizugehörigkeit. Wir nehmen als revolutionäre Minderheit an allen radikalen Bündnissen teil, die nicht das Bündnis mit Kapital, Staat und bürgerlichen Parteien suchen, sondern durch eigene Mobilisierung die Nazis [bekämpfen] wollen. Solche Bündnisse sind notwendig und auch tendenziell fortschrittlich, weil sie der Selbstorganisation proletarischer und kleinbürgerlicher Schichten dienlich ist, auch wenn noch nicht alle Beteiligte auf dem Standpunkt der sozialen Revolution stehen." (S. 70). Weiter unten heißt es: "Die Einheitsfronten des proletarischen Antifaschismus sind vergleichbar mit Streiks für höhere Löhne - rätekommunistische ArbeiterInnen werden an ihnen teilnehmen und gleichzeitig betonen, daß nur die Aufhebung der Lohnsklaverei die ArbeiterInnenklasse befreien kann. Nicht an Streiks teilnehmen, weil diese sich nicht grundsätzlich gegen den Kapitalismus richten, sondern "nur" für ein besseres Leben in ihm geführt werden - wäre nicht nur sektiererisch - das wäre Streikbruch, Klassenverrat! Nichts anderes ist das Verhalten der IKS gegenüber dem proletarischen Antifaschismus und seiner Kampfform, der Einheitsfront von unten." (S. 71).Was hier über die Frage von Streiks für höhere Löhne gesagt wird, ist vollkommen richtig. Doch was für den "proletarischen Antifaschismus" daraus geschlussfolgert wird, beweist erneut das Unvermögen, zwischen dem Kampfterrain der verfeindeten Klassen klar zu unterscheiden. Der Streik für höhere Löhne bringt den Grundantagonismus zwischen Proletariat und Bourgeoisie zum Ausdruck. Das ist der Grund, weshalb sowohl Lenin wie auch Rosa Luxemburg erklärten, dass hinter jedem Streik das Gespenst der Revolution steckt. Deshalb ist die Teilnahme an solchen Streiks auch dann Pflicht, wenn sie von den Gewerkschaften aufgerufen und organisiert werden - nicht zuletzt um der gewerkschaftlichen Sabotage des Kapitals entgegenzutreten. Ganz anders stellt sich die Frage in Bezug auf Aktionen gegen Nazis. Solche Aktionen haben von ihrer Natur her keinen proletarischen Charakter. Vielmehr haben solche Aktionen, welche sich in erster Linie politisch oder militärisch gegen eine ganz bestimmte Fraktion der Bourgeoisie richten, prinzipiell einen eindeutig bürgerlichen Charakter. Sie sind der klassische Ausdruck des Kampfes zwischen Fraktionen des Kapitals. Dies trifft ebensogut für die üblichen Schlägereien zwischen rechten und linken Gruppen zu, wie für große militärische Auseinandersetzungen wie etwa der Kampf zwischen der Republik und Franco im spanischen Bürgerkrieg oder zwischen den faschistischen und antifaschistischen Lagern im 2. imperialistischen Weltkrieg. Kämpfe gegen bestimmte, in diesem Fall extrem rechte Fraktionen des Kapitals gewinnen nur dann einen proletarischen Charakter, wenn sie in direkter Verbindung mit dem Arbeiterkampf geführt werden. Dies war der Fall gegenüber dem Kapp-Putsch, als die Massenstreiks und die Selbstbewaffnung des deutschen Proletariats einen Militärputsch 1920 vereitelten. Ebenso 1941 in den Niederlanden, als das Proletariat die Arbeit niederlegte, um die ersten Deportationen der Juden durch die deutsche Besatzungsmacht zu verhindern. Und es war auch 1905 der Fall, als das kämpfende, in Arbeiterräten organisierte russische Proletariat bewaffnete Gruppen aufstellte, um die jüdische Bevölkerung vor Übergriffen der antisemitischen "Schwarzen Hundertschaften" zu schützen. Leider haben die heutigen Aktionen "gegen Nazis" mit diesem proletarischen Kampf nichts zu tun. Sie sind Auseinandersetzungen zwischen rechtsextremen und linksextremen Gruppierungen der Bourgeoisie, welche das Elend und das Gefährdetsein von Minderheiten, von Asylanten (fast immer von Proletariern also) ausnutzen, um politisches Kapital daraus zu schlagen. Die SB will nicht nur das Proletariat, sondern auch sich selbst offenbar täuschen durch seine spitzfindigen, in Wahrheit opportunistischen Unterscheidungen zwischen "Führung" und "Basis" linkskapitalistischer Organisationen, welche seine Teilnahme an diesen antifaschistischen Aktionen rechtfertigen sollen.Selbstverständlich gehört es zu den Aufgaben des Proletariats, Minderheiten vor den rassistischen, nationalistischen Übergriffen der Nazis in Schutz zu nehmen, genau so wie es sich mobilisieren müsste gegen die rassistische Gewalt der Polizei, die Abschiebung von Flüchtlingen durch den demokratischen Terrorstaat usw. Da das Proletariat aber heute eindeutig zu schwach und zu wenig bewusst ist, um diese Verantwortung wahrzunehmen, gehört es zu den dringendsten Aufgaben der Revolutionäre, der Klasse die Notwendigkeit der Solidarität mit allen Opfern des Kapitalismus aufzuzeigen. Diese dringende Aufgabe kann aber keineswegs gelöst werden, indem die Revolutionäre versuchen, an Stelle der Klasse diesen Kampf zu führen. Denn ohne die Verbindung zum lebendigen Arbeiterkampf kann dieser Kampf nur auf einem bürgerlichen Terrain geführt werden. Das schwächt das Bewusstsein der Klasse noch zusätzlich, anstatt es zu stärken. Die bisherige Unfähigkeit von SB, sich von der bürgerlichen Theorie und Praxis des Antifaschismus zu verabschieden, erinnert daran, dass auch die wortradikalste Verwerfung der Notwendigkeit einer proletarischen Partei, welche den Rätekommunismus auszeichnet, keineswegs davor schützt, geradeaus in die Falle der "Stellvertreterpolitik", des Handelns an Stelle der Arbeiterklasse also, zu tappen.
Abschließend ein Wort über den polemischen Stil von SB gegenüber der IKS. Die Zeitschrift behauptet, in Bezug auf unsere Polemik über die Frage des Antifaschismus in Weltrevolution 106: "Die IKS-Kritik an der Sozialen Befreiung ist nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Lügen, Unterstellungen und Halbwahrheiten." (S. 63). An anderer Stelle, um zu rechtfertigen, dass SB und die "Bibliothek des Widerstandes" von einer Debatte über den Antfaschismus in Berlin (an der die IKS, Aufbrechen und Genossen der FAU teilnahmen) ferngeblieben sind, da man die "Öffentlichkeit der Veranstaltung immer mehr in Frage gestellt" hätte", heißt es: "Der wirkliche soziale Kampf ist für uns tausendmal wichtiger als die Auseinandersetzung mit unverbesserlichen SektierInnen. Damit sind eindeutig nicht die GenossInnen der Aufbrechen und der Frankfurter FAU gemeint - aber ausdrücklich die IKS." Die SB sollte vielleicht ihren Lesern erklären, weshalb die IKS-Genossen "Sektierer" sind, obwohl es SB war, die der Debatte unter Revolutionären in Berlin ferngeblieben ist. Sie sollte vor allem aber erklären, weshalb sie solche schwerwiegenden Vorwürfe gegen eine proletarische Organisation erhebt, wie die einer "Aneinanderreihung von Lügen, Unterstellungen und Halbwahrheiten" ohne dafür Beweise vorzulegen. Doch anstatt Beweise anzuführen behauptet SB, dass obwohl sie an uns einen Brief geschrieben hat, wo sie klargestellte "daß die Führungsschichten linksbürgerlicher Organisationen keine Bündnispartner sind", die IKS in Weltrevolution 106 weiterhin behaupten würde, "daß unsere Einheitsfront von unten den Führungsschichten linksbürgerlicher Organisationen dienen würde. Wie wir sehen, führt die IKS keinen Kampf gegen unsere wirklichen Ansichten, sondern sie verfälscht sie." (S. 70). Wir fordern SB dazu auf, nachzuweisen, wo die IKS behauptet haben soll, in Weltrevolution oder sonstwo, dass eine "Einheitsfront von unten den Führungsschichten linksbürgerlicher Organisationen dienen würde." Wir haben niemals eine solche Behauptung aufgestellt, denn diese Art der Unterscheidung zwischen "Führungsschichten" und Basis linksbürgerlicher Organisationen ist uns vollkommen fremd.Wir hoffen also, dass die SB diese unverantwortliche Art, sehr ernste, aber durch nichts bewiesene Behauptungen in die Welt zu setzen, in Zukunft sein lässt. Nicht weil wir glauben, dass durch solche Behauptungen der Ruf der IKS ruiniert wird. Wir fürchten vielmehr, dass SB ihrem eigenen Ruf damit schadet. Denn wir meinen, dass sowohl Soziale Befreiung wie auch viele andere Publikationen weltweit, welche die Überwindung ihrer linkskapitalistischen Vergangenheit und die Annäherung an linkskommunistische Positionen anstreben, einen wichtigen und konstruktiven Beitrag zur Entwicklung einer proletarischen Debattenkultur und zur öffentliche Klärung der Interessen unserer Klasse leisten können. Weltrevolution