Wie entwickelt sich das Klassenbewußtsein? Wenn der Klassenkampf in eine Phase des Rückflusses eintritt, bedeutet dies auch, daß das Bewußtsein in der Klasse sich zurückentwickelt, verschwindet, sich auflöst, um erst wieder bei den nächsten Kämpfen zu erscheinen? Kann man von einer unterirdischen, verdeckten Reifung des Klassenbewußtseins sprechen? Woran kann man das Voranschreiten des Klassenbewußtseins einschätzen? Entfaltet sich das Klassenbewußtsein nur mit Hilfe und aufgrund der Anwesenheit der Partei? Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Entwicklung des Klassenbewußtseins für unsere Intervention als Revolutionäre?
Dies sind einige der Kernfragen, die vor mehr als 2 Jahren einen Diskussiorsprozeß in der IKS einleiteten, bei dem es zu der Abspaltung von Minderheitsgenossen kam und der im letzten November auf unserem 6. Kongreß einen vorläufigen Höhepunkt erreichte (siehe dazu u.a. WR 20 sowie die Internationale Revue Nr. 44-engl./ französisch/spanische Ausgabe mit den Kongreßberichten). Das internationale proletarische Milieu hat nur beschränkt zu dieser Debatte in der IKS Stellung bezogen. Nur die Groupe Communiste Internationaliste (GCI) und die Communist Workers Organisation (CWO) in Revolutionary Perspectives (RP) haben sich bislang ausführlicher dazu geäußert. Wir veröffentlichen nachfolgend einen Auszug aus einer Polemik mit der CWO, die wir als Antwort auf ihren Artikel geschrieben haben. Der vollständige Text steht auf engl./franz./span. zur Verfügung und kann bei der Kontaktadresse bestellt werden.
Weil sie den Begriff der unterirdischen Reifung des Klassenbewußtseins vorwerfen, betrachtet die CWO sich als sehr marxistisch. In Revolutionary Perspectives Nr. 21 schreibt die CWO, daß die "Arbeiterklasse in ihren Kämpfen nur etwas wie ‘Klasseninstinkt’ oder eine ‘Klassenidentität’ (Lenin nannte es "Trade-Union-Bewußtsein") entwickeln, kann, die eine "Form des bürgerlichen Bewußtseins bleiben". Das Klassenbewußtsein selbst "entwickelt sich außerhalb der Existenz des gesamten Proletariats". Es wird von denen entwickelt, die die notwendigen intellektuellen Mittel dazu besitzen: die kleinbürgerliche Intelligentsia. Und während sie in den Zeiten offener Kämpfe nur diesen Zustand der "Klassenidentität" erreichen kann, wird alles noch schlimmer, wenn die Kämpfe abebben." Außerhalb der Zeiten offener Kämpfe weicht das Bewußtsein des Proletariats zurück und die Klasse ist atomisiert. Das ist darauf zurückzuführen, dass das Proletariat ein kollektives Bewußtsein hat und dies nur in Kämpfen kollektiv auftritt. Wenn die Klasse atomisiert und durch Niederlagen vereinzelt wird, rfällt dieses Bewußtsein zurück in den bürgerlichen Individualismus, die Reserven trocknen aus".
Dieser Auffassung zufolge ist der Klassenkampf ein rein zyklischer Prozeß, und nur die erleuchtete Intervention der Partei kann Licht in dieses stumpfe, blinde Bestreben der Klasse bringen. Ohne das Eingreifen der Partei würde die Klasse nur instinktiv ihre Ziele verfolgen können.
Hinsichtlich Lenins "Was tun?" haben wir des öfteren gesagt, daß Lenins Kritiken arn den "Rätekommunisten" der damaligen Zeit, den Ökonomisten, im Wesentlichen berechtigt waren, da diese das Klassenbewußtsein von einem aktiven, historischen und politischen Phänomen auf eine einfache Widerspiegelung dos Alltagslebens in den Fabriken reduzieren wollten. Aber dieses grundlegende Einverständnis mit Lenin hält uns nicht davon ab, darauf hinzuweisen, daß Lenin bei dem Kampf gegen den vulgären Materialismus der Ökonomisten den "Bogen zu weit gespannt" hat und sich in einer idealistischen Abweichung verfing, die das Bewußtsein vom Sein trennte.
Wir können hier nicht näher auf Lenins Auffassungen und der Interpretation dieser Ideen durch die CWO eingehen (wir haben dies u.a. in der Broschüre "Klassenbewußtsein und kommunistische Organisationen" getan), wollen deshalb nur die folgerden Bemerkungen machen:
- Lenins Theorie des von "Außen hereingetragenen Bewußtseins" war eine Entstellung, die nie in das Programm irgendeiner revolutionären Partei zur damaligen Zeit aufgenommen wurde; darüberhinaus verwarf Lenin sie später selbst. In ihrer Zeitschrift "Revolutionary Perspectives" Nr. 21 leugnet die CWO dies.
- Lenins (von Kautsky übernonmene) These widerspricht allen Schlüsselausssagen von Marx zum Bewußtsein. Entgegen den Aussagen der "Thesen über Feuerbach" , in denen Marx den betrachtenden Materialismus der Bourgeoisie angreift, welcher die Bewegungen der Wirklichkeit nur als ein äußeres Objekt betrachtet und somit nicht "subjektiv", werden das Bewußtsein und die bewußte Praxis nicht als ein integrales und aktives Element innerhalb der Bewegung aufgefaßt. Die Verbreitung dieses Standpunktes in den Reihen des Proletariats brachte den substitutionistischen Fehler (in seinen Thesen verwies Marx auf Owen als einen Ausdruck dieses Fehlers) hervor, der bedeutet, "die Gesellschaft in zwei Teile zu sondern, von denen der eine über der Gesellschaft erhaben ist", und dabei vergessen wird, "daß der Erzieher selbst erzogen werden muß" (3. These über Feuerbach). Vor allem widerspricht es den Positionen, die in der "Deutschen Ideologie" verteidigt wurden, wonach das gesellschaftliche Sein das gesellschaftliche Bewußtsein bstinmt. Damit wendet es sich auch gegen eine Hauptaussage dieses Buches zum Klassenbewußtsein: "Schließlich erhalten wir noch folgnende Resultate aus der entwickelten Geschichtsauf'assung: 1. In der Entwicklung der Produktivkräfte tritt eine Stufe ein, auf welcher Produktionskräfte und Verkehrsmittel hervorgerufen werden, welche unter den bestehenden Verhältnissen nur Unheil anrichten, welche keine Produktionskräfte mehr sind, sondern Destruktiorskräfte ... und was damit zusammenhängt, daß eine Klasse hervorgerufen wird, welche alle Lasten der Gesellschaft zu tragen hat, ohne ihre Vorteile zu genießen, welche aus der Gesellschaft herausgedrängt, in den entschiedensten Gegensatz zu allen Klassen forciert wird; eine Klasse, die die Majorität aller Gesellschaftsmitglieder bildet und von der das Bewußtsein über die Notwendigkeit einer gründlichen Revolution, das kommunistische Bewußtsein, ausgeht, das sich natürlich auch unter den andern Klassen vermöge der Anschauung der Stellung dieser Klasse bilden kann" (Deutsche Ideologie, I. Feuerbach, MEW 3, S. 69).
Man muß hier fegtstellen, daß Marx hier das Problem ganz anders als Lenin angeht: kommunistisches Bewußtsein "geht" aus dem Proletariat "hervor" und aufgrund dessen können Elemente aus anderen Klassen ein kommunistisches Bewußtsein erreichen, aber nur indem sie - wie das Kommunistische Manifest schreibt, sich dem Proletariat anschließen, zu ihm überwechseln und mit ihrer ursprünglichen Klassenideologie brechen. Nirgendwo gibt es in Marxens Text eine Spur von einem kommunistischen Bewußtsein, das aus den Intellektuellen"hervorginge" und dann in das Proletariat hineingeimpft würde. Zweifelsohne hat die CWO diese Entstellung mit der lobenswerten Absicht neu aufgebracht, um Lenins Kampf gegen den Spontaneismus fortzusetzen. Aber in der Praxis landen die "Einimpfer", "Importeure" des Bewußtseins oft auf dem gleichen Terrain wie die Spontaneisten. In World Revolution haben wir ausführlich darüber geschrieben, wie die Intervention der CWO im Bergarbeiterstreik die gleiche Tendenz zum Vorschein brachte, gegenüber dem unmittelbaren Bewußtsein der Massen zu kapitulieren: genau wie das eine rätistische (englische) Gruppe wie Wildcat tut. Daß diese Übereinstimmung kein Zufall ist, sondern tiefgreifende theoretische Wurzeln hat, wird gerade bei der Frage der unterirdischen Reifung verdeutlicht. So neigen den Begriffen Trotzkis zufolge sowohl die Rätekommunisten wie die Substitutionisten dazu, den "Aufstand der Massen als spontan" zu betrachten, ein "Massenaufstand, den die Führer künstlich ausnutzen". Dabei ist der einzige Unterschied zwischen den beiden, daß die Rätisten die Arbeiter eher als eine führerlose Herde sehen wollen und die Substitutionisten sich als deren Anführer auffassen. Aber beide begreifen nicht, daß es eine Verbindung gibt zwischen dar Handeln der Klasse und dem vorhergehenden Umbruch in dem "geistigen Zustand", dem Bewußtsein der sich bekämpfenden Klassen. Weil diese Veränderungen "halb verdeckt" sind, erkennen die Empiristen diese überhaupt nicht, weil sie nur das Unmittelbare in der Klasse erfassen und darauf fixiert sind. Und als die CWO schrieb, daß es "außerhalb von Zeiträumen des offenen Kampfes zu einer Rückentwicklung des Bewußtseins des Proletariats kommt", stimmte diese Aussage inhaltlich und zeitlich mit den Auftauchen einer Tendenz in der IKS üherein, welche eine rätistische Position vertritt und meinte: "In Zeiträumen des Rückflusses gibt es kein Voranschreiten, sondern ein Zurückweichen, einen Rückschritt des Bewußtseins... Das Bewußtsein kann sich nur im offenen, massiven Kampf der Klasse entwickeln" (siehe Internationale Revue, engl. Ausgabe Nr. 42).
"Für Marxisten ist der Ausgangspunkt aller Diskussionen zum Klassenbewußtsein Marxens unzweideutige Aussage in der Deutschen Ideologie, daß "die Gedanken der herrschenden Klasse in jeder Epoche die herrschenden Gedanken sind..."(MEW 3, S. 46, aus Workers' Voice, Zeitung der CWO): "Entschuldigt uns Genossen, aber steht ihr wieder auf dem Kopf? Für uns als Marxisten muß der Ausgangspunkt jeder Diskussion zum K1assenbewußtsein Marxens klare Aussage in der Deutschen Ideologie sein, "die Existenz revolutionärer Gedanken in einer bestimmten Epoche setzt bereits die Existenz einer revolutionären Klasse voraus" (MEW 3, S 47).
Die CWO betrachtet nur eine Seite des Proletariats: den der ausgebeuteten Klasse. Aber der Marxismus zeichnet sich dadurch aus, daß er darauf besteht, daß das Proletariat als erste ausgebeutete Klasse in der Geschichte eine revolutionäre Klasse ist, die in sich die bewußte Zukunft der menschlichen Gattung, d.h. den Kommunismus trägt. Aus der Sicht der CWO ist das Hegelianismus, eine Irrlehre, mystisches Kauderwelsch."Was? Die Zukunft wirkt schon auf die Gegenwart ein?" "Wir reiben unsere Augen, träumen wir?" schreiben die Wächter des aufgebrachten Verstandes in Revolutionary Perspectives Nr. 21 (Zeitschrift der CWO).
Für uns gibt es keine Zweifel an dem Wesen des Proletariats als einer kommunistischen Klasse. Ebersowenig bezweifelte dies Marx in der Deutschen Ideologie, als er den Kommunismus als nichts anderes als die Aktivität des Proletariats und als "die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt" (MEW 3, S. 35) beschrieb. Für uns lautet die Frage eher: wie wird sich das Proletariat, diese ausgebeutete, beherrschte Klasse, dieses revolutionäre Wesen , seiner historischen Aufgabe bewußt, wenn man davon ausgeht, daß es tatsächlich in einer Welt lebt, wo die herrschenden Ideen die der herrschenden Klasse sind? Und bei der Beantwortung dieser Frage werden wir sehen, wie die Bewegung des Proletariats hin zurr Selbsterkenntnis notwendigerweise Phasen unterirdischer Reifung durchläuft.
Als eine ausgebeutete Klasse hat das Proletariat keine ökonomische Basis, um das automatische Voranschreiten seines Kampfes sicherzustellen. Desnalb schrieb auch Marx: "Proletarische Revolutionen ... kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem eigenen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen., schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke..."(Marx, 18.Brumaire, MEW 8, S. 118). Aber im Gegensatz zur Auffassung der CWO ist der unvermeidbare Prozeß, diese Bewegung des Klassenkampfes entlang einer Reihe von Höhepunkten und Tiefen, Voranschreiten und Rückzügen kein geschlossener Kreis. Auf einer grundsätzlich historischen Ebene ist es die Bewegung, mittels derer die proletarische Klasse heranreift und ihre Selbsterkenntnis entwickelt. Und gegen die Position der CWO mit ihrem rätistichen Bild einer Klasse, die total auseinanderfällt, wenn die offenen Kämpfe zurückweichen, können wir nur das wiederholen, was wir im Januar 1984 in einer Resolution schrieben: "Die Bedingung für das Bewußtwerden der Klasse zeichnet sich durch die historische Existunz einer Klasse aus, die dazu in der Lage ist, ihre Zukunft zu begreifen und deren Sicht nicht auf die unmittelbaren, vorübergehenden Kämpfe beschränkt ist". M.a.W. das historische Sein, ihre Existenz als Klasse löst sich nicht auf, wenn der unmittelbare Klassenkampf einen Tiefpunkt erreicht. Selbst außerhalb der Zeiträume des offenen Kampfes bleibt die Klasse eine lebendige, kollektive Kraft. Deshalb kann sich das Bewußtsein in solchen Zeiträumen tatsächlich entwickeln. Gleichzeitig jedoch beeinflußt das jeweilige Kräfteverhältnis zwischen den Klassen die Art und Weise, wie diese Entwicklung vonstatten geht. Allgemein gesagt kann man deshalb sagen:
- In einer Zeit der Niederlage und Konterrevolution ist das Klassenbewußtsein in seiner Ausdehnung stark eingeschränkt, da die Mehrheit der K1asse in den Mystifizierungen der Bourgeoisie gefangen ist, aber es kann dennoch in seiner Tiefe voranschreiten, wie die Verfassung des Werks ‘Das Kapital’ nach der Niederlage von 1848 und insbesondere die Arbeiten von ‘Bilan’ in den finsteren Tagen der 30er Jahre verdeutlichen.
- In allgemeinen Zeiträumen des ansteigenden Klassenkampfes - so wie heute - gibt es die Tendenz, daß die unterirdische Reifung beide Dimensionen - Tiefe und Ausdehnung - vorantreibt. Die Klasse wird von einem Voranschreiten der Bewußtseinsentwicklung erfaßt, obgleich dies erst auf verschiedenenen Ebenen zu erkennen ist:
- auf der am wenigsten bewußten Ebene und in den meisten Teilen der Klasse äußert sich dies durch einen wachsenden Widerspruch zwischen dem historischen Wesen, den wirklichen Bedürfnissen der Klasse und der oberflächlichen Unterstützung der Arbeiter für die bürgerlichen Ideen. Dieser Gegensatz mag lange Zeit größtenteils unausgesprochen, verdeckt oder unterdrückt bleiben, oder er mag in seiner negativen Form durch den Verlust von Illusionen und eine Loslösung von den Hauptthemen der bürgerlichen Ideologie auftauchen;
- in einem begrenzteren Teil der Klasse ninmt das in den Reihen vieler Arbeiter, die fest auf einem proletarischen Terrain verwurzelt bleiben, die Form von Diskussionen über die früheren Kämpfe an, mehr oder weniger formalen Diskussionen über die zukünftigen Auseinandersetzungen, das Auftauchen von kämpferischen Kernen in den Fabriken und unter den Arbeitslosen. Die eindruckvollste Verdeutlichung dieses Aspektes des Phänomens der unterirdischen Reifung wurde jüngst mit den Massenstreiks in Polen im Sommer 1980 geliefert, in denen die von den Arbeitern angewandten Kampfmethoden bewiesen, daß sie die Lehren aus den Kämpfen von 1956,1970 und 1976 gezogen hatten.
- In einem Teil der Klasse, der zahlenmäßig noch kleiner, aber dazu bestimmt ist, mit dem Voranschreiten des Kampfes weiter anzuwachsen, nimmt dies die Form einer ausdrücklichen, offenen Verteidigung des kommunistischen Programms an und somit der Umgruppierung einer organisierten marxistischen Avantgarde. Das Auftauchen von kommunistischen Organisationen, das keine Widerlegung des Begriffs der unterirdischen Reifung darstellt, ist sowohl ein Ergebnis wie auch ein aktiver Faktor bei diesem Prozeß. Ein Produkt, weil es im Gegensatz zu den von der CWO verteidigten idealistischen Auffassungen keine kommunistische Minderheit gibt, die vom Himmel auf die Erde herabsteigen würde- sondern es handelt sich um das Ergebnis einer historischen Reifung des Proletariats, der historischen Herausbildung als Klasse. Dieser Prozeß bleibt notwendigerweise gegenüber den immediatistischen, empirischen Methoden der Wahrnehmung, so wie sie die bürgerliche Ideologie praktiziert, verschlossen. Sie sind deshalb ein aktiver Faktor, weil insbesondere in der Periode der Dekadenz, wenn das Proletariat nicht mehr über seine permanenten Massenorganisationen verfügt, und wenn der bürgerliche Staat alle Mittel benutzt, um die Regungen des Klassenbewußtseins einzudämnen und zu übertünchen, kommunistische Fraktionen meistens zu kleinen Minderheiten zusammengeschmolzen sind. Diese Minderheiten betreiben meist eine "unterirdische" Arbeit, deren Einfluß in den Kämpfen nicht immer direkt sichtbar ist. Genau wie die 3. Welle von Kämpfen seit 1969 erst an ihrem Anfang ist, wird auch jetzt erst die Fähigkeit der Revolutionäre, einen offenen Einfluß auf die Kämpfe zu haben, deutlich. Aber das bedeutet keinesfalls, daß die Arbeit der Revolutionäre während der letzten 15 Jahre sich nun im Nichts auflösen würde. Im Gegenteil: die Saat, die sie ausgesät haben, beginnt erst jetzt zu blühen.
Wenn Kommunisten verstehen, daß sie ein Ergebnis der unterirdischen Reifung der Klasse und ihres Bewußtseins sind, bedeutet dies keinesfalls eire passive Haltung gegenüber ihren Aufgaben einzunehmen oder ihre unabdingrbare Rolle zu unterschätzen. Im Gegenteil: zu begreifen, daß nur die Kommunisten die verdeckten Prozesse in der Klasse erkennen und verstehen können, kann nur die Notwendigkeit verstärken- die erforderliche Organisation und die Entschlossenheit bei dem Bestreben einzusetzen, aus dieser Minderh:eit eine Mehrheit werden zu lassen. Wie wir schon mehrfach betont haben, gibt es keine automatische Verbindung zwischen dem historischen Sein der Klasse und ihrem Bewusstsein über dieses Sein. 'Wenn diese Umwälzung von der Minderheit zur Mehrheit nicht stattfindet, wenn das Bewußtsein der Klasse nicht zum Klassenbewußtsein im vollen Sinne des Wortes wird, wird das Proletariat nicht dazu in der Lage sein, seine historische Aufgabe zu erfüllen. Die ganze Menschheit würde darunter leiden".
Wenn man andererseits den Beqriff der unterirdischen Reifung verwirft,wird sie in der Praxis nicht dazu fähig sein, eine Perspektive in den Kämpfen aufzuzeigen.
Weil sie die wirkliche Reifung des Proletariats nicht verstanden haben und die gesellschaftliche Kraft nicht erkennen, die dieses darstellt, selbst wenn es nicht offen kämpft, hat sich die CWO als unfähig erwiesen, zu begreifen warum die Arbeiterklasse heute eine Hürde bei den Kriegsvorbereitungen der Bourgeoisie ist. Es ist deshalb kein Zufall,. daß die CWO einem gewissen Pessimismus und einer Verwirrung, Verlegenheit anheimfallen, wenn sie zu den allgemeinen Perspektiven der Gesellschaft Stellung beziehen müssen. Weil sie den historischen Kurs zu verstärkten Klassenkonfrontationen nicht erkannt haben, haben sie auch nicht die E'ntwicklung des Wiedererstarkens des Klassenkampfes seit 1968 genauer analysiert. Wenn man nicht die wirkliche Bewegung der Klasse begreift, kann man auch nicht ihre zukünftige Richtung erkennen und somit auch kein Element sein, das bei der Gestaltung dieser Zukunft mitwirkt. Uiri man kann einfach diese Bewegung nicht durchschauen, wenn man nicht ein bischen tiefer gräbt als diese oberflächliche "Wirklichkeit", hinter der es der bürgerlichen empiristischen Philosophie zufolge nichts anderes mehr gibt. MU
(gekürzte Fassung aus International Review Nr. 43,4/85).
In ihrem Kampf gegen den Kapitalismus im Hinblick auf seine Überwindung und den Aufbau der kommunistischen Gesellschaft bringt die Arbeiterklasse politische Organisationen hervor, die nicht nur ihre revolutionäre Zukunft widerspiegeln, sondern auch eine unersetzbare Vorbedingung für diese sind. Während die allgemeinen Ziele dieser Organisationen, ihr Programm nicht den Schwankungen der Zeit unterworfen sind, sondern ständig bereichert und erweitert werden, hängen ihre Formen, ihr Einfluß, ihre Handlungsmittel und ihre Interventionsarten, welche sie entfalten, dagegen von den jeweiligen historischen Bedingungen ab, unter denen die Klasse handelt. Insbesondere gilt dies für das Kräfteverhältnis zwischen der Arbeiterklasse und ihrer Feindesklasse. Mit anderen Worten: es reicht für eine kommunistische Organisation nicht aus, ein revolutionäres Programm zu verteidigen, um ein wirkungsvolles Instrument in der Entwicklung des Klassenkampfes zu sein. Sie kann diese Verantwortung nur erfüllen, wenn sie die Aufgaben versteht, so wie sie sich in den unterschiedlichen Momenten der Entfaltung des Klassenkampfes stellen, und wenn sie in der Lage ist, diese unterschiedlichen Momente jeweils richtig einzuschätzen. Und dies ist gerade ein Hauptbereich, bei dem die meisten gegenwärtigen Organisationen, die sich auf der Klassenebene bewegen, große Orientierungsschwierigkeiten haben. Insbesondere so grundlegende Aspekte wie die Entwicklung der Wirtschaftskrise des Kapitalismus und die daraus entstehenden Perspektiven für das gesamte gesellschaftliche Leben: imperialistischer Weltkrieg oder Generalisierung der Klassenkämpfe, sind für die meisten dieser Organisationen Themen großer Verwirrung. Dabei ist gerade die größte Klarheit mehr als je zuvor erforderlich, um zur Entfaltung der gegenwärtigen Kämpfe der Arbeiterklasse beizutragen.
In dem Maße wie die Frage des historischen Kurses den Schlüssel für das Verständnis der gegenwärtigen Entwicklung des Klassenkampfes beinhaltet, und obwohl wir diese Frage schon oft genug in unserer Presse behandelt haben (insbesondere in der International Review Nr. 50 mit einer Antwort auf einen Artikel von Battaglia Comunista Nr. 3 vom März 87: "Die IKS und der historische Kurs, eine falsche Methode")., müssen wir wieder darauf zurückkommen, um die Absurditäten aufzuzeigen, zu denen man gelangt, wenn man kein klares Verständnis von diesem Problem hat.
Die Analyse der IKS zum historischen Kurs haben wir mehrfach in unseren Publikationen dargestellt. Man kann sie folgendermaßen zusammenfassen: in der dekadenten Periode des Kapitalismus, die Anfang des Jahrhunderts anfängt, führen die offenen Krise dieser Produktionsform wie die Krise der 30er Jahre und die gegenwärtige Krise vom kapitalistischen Standpunkt aus zur Perspektive des imperialistischen Weltkriegs (1914-1918 und 1939-45). Die einzige Kraft, die dazu in der Lage ist, den Kapitalismus daran zu hindern, solche eine Lösung durchzusetzen, ist die Arbeiterklasse, deren Unterwerfung die Bourgeoisie zunächst durchsetzen muß, bevor sie einen neuen Weltkrieg auslöst. Im Gegensatz zu den 30er Jahren, ist die Arbeiterklasse heute weder niedergeschlagen, noch hinter den bürgerlichen Idealen wie dem Anti-Faschismus mobilisiert; nur die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse, die sie in den letzten 20 Jahren bewiesen hat, kann eine Erklärung für die Tatsache liefern, daß der Weltkrieg noch nicht ausgebrochen ist.
Battaglia Comunista teilt einen Teil dieser Analyse, wie man aus folgendem Zitat erkennen kann:
"Die Welt wird durch Spannungen zerrissen, die oft in offene Konflikte entarten (seit 7 Jahren wütet nunmehr schon der Krieg zwischen Iran-Irak) und die die verschiedensten Formen annehmen (von den Staatsstreichs bis zu den "nationalen Befreiungskämpfen" usw.). Dies ist ein Beweis für die Schwierigkeiten des Kapitalismus, die internen Fragen des Weltmarktes zu lösen.
Die Krise bringt eine noch erbarmungslosere Konkurrenz hervor. In "normalen" Zeiten sind die Schläge weniger schmerzhaft. In kritischen Phasen nehmen sie an Häufigkeit und Intensität zu, und sie rufen deshalb sehr oft den Widerstand der Klasse hervor. Um zu überleben kann der Kapitalismus nur auf Gewalt zurückgreifen. Ein Schlag heute, ein Schlag morgen, so entsteht eine wirklich explosive Situation, in der die Niedergangsbedingungen (Erweiterung und Generalisieren der lokalen Konflikte) nunmehr auf der Tagesordnung stehen. Die Phase hin zum Ausbruch eines neuen und schrecklichen imperialistischen Kriegs ist eröffnet".
"Alle Zusammenstöße zwischen den Staaten, Mächten und Supermächten zeigen uns, daß es schon die Tendenz gibt, die uns zu einem 3. Weltkrieg hinführt. Auf objektiver Ebene sind alle Faktoren für den Ausbruch eines neuen weltweiten Krieges vorhanden. Auf subjektiver Ebene jedoch, das liegt auf der Hand, ist das nicht der Fall. Der Prozeß, in dem sich die Kräfte der Subjektivität bewegen, verläuft asymmetrisch gegenüber dem Prozeß, in dem sich die objektive historische Situation äußert. Wenn das nicht so wäre, wäre der Krieg schon längst seit einiger Zeit ausgebrochen, und Ereignisse wie die um den Persischen Golf als eines unter anderen, wären entsprechende Gründe für die Auslösung des Konfliktes gewesen. Aber worin kommt dieser Kontrast zwischen den subjektiven Aspekten und dem Prozeß zum Ausdruck, der die ganze Welt der Struktur beinhaltet?"
Man könnte erwarten, daß BC hier die Arbeiterklasse als "subjektives" Element einbringt, insbesondere, nachdem man an anderer Stelle des Textes folgende Ausführung findet:
"Es liegt auf der Hand, daß ein Krieg nie ohne die Verfügbarkeit (in den Kämpfen und in der Kriegsproduktion) des Proletariats und all der arbeitenden Klassen geführt werden könnte. Es ist offensichtlich, daß ein Krieg ohne ein sich fügendes und unterworfenes Proletariat nicht möglich wäre. Es ist klar, daß ein Proletariat in einer Phase des aufsteigenden Klassenkampfes ein guter Beweis für das Entstehen einer genauen Gegentendenz wäre, die des Gegenpols zum Krieg, die des Wegs hin zur sozialistischen Revolution."
Jedoch fährt Battaglia folgendermaßen fort:
"Unglücklicherweise müssen wir von dem entgegengesetzten Phänomen sprechen. Wir erleben jetzt eine Krise in einem extrem weit fortgeschrittenen Stadium. Die Tendenz zum Krieg kommt schnellen Schrittes voran, aber das Niveau der Klassenzusammenstöße hinkt dagegen weit hinter dem her, was die objektiven Bedingungen erfordern würden. Sie liegen hinter dem zurück, was notwendig wäre, um die schwerwiegenden Angriffe des Kapitalismus gegen die internationale Arbeiterklasse zurückzudrängen".
Weil der Kampf des Proletariats aus der Sicht Battaglias die Tatsache nicht erklären kann, daß der Krieg noch nicht stattgefunden hat, wollen wir uns einmal die subjektiven Ursachen dieses "Hinterherhinkens" anschauen.
"Unsere Aufmerksamkeit muß hauptsächlich auf die Faktoren gerichtet werden, die über die einzelnen Initiativen hinausgehen und in einem größeren Prozeß eingeordnet werden, welcher die internationalen Gleichgewichte als noch nicht definiert und noch nicht nach den eigentlichen Kriegsbündnissen ausgerichtet betrachtet, d.h. Koalitionen, die zu Kriegsfronten werden ...
Aber der ganze Rahmen der Allianzen ist noch ziemlich fließend und voll von unbekannten Größen. Die Entwicklung der Krise wird tiefe Gräben hinterlassen, in die die Interessen aller einfließen, und die hierin mit denen anderer zusammengeschlossen werden. In einem gegenläufigen und parallelen Prozeß wird das Aufeinanderprallen gegenteiliger Interessen eine Trennungslinie zwischen Staaten aufwerfen, die sich in feindlichen Lagern gegenüberstehen werden...
Ein anderer, zu berücksichtigender Aspekt, ist die Abschreckung, die die nukleare Bedrohung darstellt. Ein Krieg, der unter den historischen Bedingungen der gewaltigen Anhäufung von Atomwaffen stattfindet, wird für jede hypothetische militärische Front problematisch. Die Theorie des "kollektiven Selbstmords", auf die sich die Apokalyptiker vom Dienst gedankenlos gestützt hatten, hat sich - und das konnte nicht anders kommen - als bodenlos erwiesen. Eine der Ursachen der aufgeschobenen Auslösung des Krieges liegt in der (selbst teilweise) nicht vollzogenen nuklearen Abrüstung , auf die sich in naher Zukunft die höchsten Repräsentanten der größten imperialistischen Mächte zu einigen scheinen.
Das Gipfeltreffen zwischen Reagan und Gorbatschow, das als ein Ausdruck des Willens zur Friedensbildung verkauft wird, ist in Wirklichkeit ein Gipfeltreffen, das dazu dient, die letzten Hürden beiseite zu räumen, die den Ausbruch des Krieges verhindern. Und das geschieht unabhängig von dem, was Reagan und Gorbatschow wirklich und subjektiv denken. Der Krieg entsteht aus objektiven Ursachen. Die subjektiven Faktoren sind daraus nur abgeleitete Wirkungen, die je nach Fall verzögert oder beschleunigt, aber nie verhindert werden können" (S. 34).
Uns scheinen diese Sätze das Wesen der Gedanken Battaglias zusammenzufassen, weil diese beiden Ideen an vielen Stellen in ihrer Presse erwähnt werden. Deshalb wollen wir sie eingehender untersuchen. Wir werden mit der ernsthafteren anfangen (und versuchen, sie etwas einfacher als Battaglia zu formulieren, bei denen der sprachliche Schwulst dazu dient, die Dürftigkeit und die Ungenauigkeit der Analyse zu überdecken).
Ein Beweis für die Wichtigkeit in der Analyse der PCInt liegt darin, daß in einem jüngsten Artikel von BC ("Abkommen USA-UdSSR, Ein neuer Molotow-Ribbentrop-Pakt?", BC Nr. 5) detailliert dargestellt wird, daß dieses Abkommen dazu dient, "in dieser Phase die direkt konfliktbeladenen Bereich und Interessen zwischen den USA und der UdSSR abzustecken, und es ihnen möglich machen soll, ihre Ressourcen und Strategien auf verschiedenen Ebenen zu konzentrieren... und neue und stabilere Gleichgewichte und Bündnissysteme vorzubereiten, alles im Hinblick auf zukünftige tiefergreifende und noch weiter ausgedehnte Zusammenstöße". Ebenso steht weiter geschrieben: "...die Zuspitzung der allgemeinen Krise der kapitalistischen Produktionsweise...konnte eine Vertiefung der Konfliktgründe zwischen den atlantischen Partnern selbst und insbesondere zwischen denen, die man die 7 Großen nennt, nicht verhindern." Schließlich führt diese "Darstellung" zu der Schlußfolgerung, daß "all dies (d.h. das Auftauchen von neuen Konkurrenten auf dem Weltmarkt) letztendlich nur den Handelskrieg zwischen Jedem gegen Jeden verstärken kann, mittels Dumping, Mengenbeschränkungen, Protektionismus, geheimen Abkommen hinter dem Rücken der anderen Rivalen usw. , aber auch die Bildung neuer Interessenskonstellationen, die in ihrer Konkretisierung zu neuen politisch-militärischen Allianzen neigen, deren Hauptachsen ihren Platz entweder auf verschiedenen Ebenen innerhalb des gleichen Systems haben, welches trotz der gegenteiligen Erklärungen und verschiedenen Beteuerungen der "dauerhaften Treue" zerbröckelt, oder in der Perspektive möglicher Lagerwechsel besteht."
Wir haben in unserer Presse mehrfach die These für falsch erklärt, derzufolge die imperialistischen Blöcke unmittelbar auf der Grundlage kommerzieller Rivalitäten entstehen (siehe z.B. Artikel in International Review Nr. 52/53 "Krieg, Militarismus und imperialistische Blöcke in der Dekadenz des Kapitalismus). Wir wollen hier nicht wieder die Argumente aufgreifen, die wir zur Widerlegungen dieser Analyse entwickelt haben. Diese Frage ist nicht neu in der Arbeiterbewegung, und sie war Gegenstand einer Debatte innerhalb der Komintern, in der Trotzki die Mehrheitsthese bekämpfte, derzufolge die beiden Blockführer in einem 2. Weltkrieg die USA und GB wären, die damals die beiden Hauptkonkurrenten auf dem Weltmarkt waren (siehe insbesondere "Europa und Amerika").
Die Geschichte hat Trotzkis Position bestätigt und unterstrichen, daß die wirklich vorhandene Beziehung zwischen der Vertiefung der Handelsrivalitäten und der Zuspitzung der militärischen Gegensätze nicht mechanischer Art ist. So wird das System der gegenwärtigen Allianzen jetzt durch die Zuspitzung der Handelskriege zwischen diesen Ländern nicht in Frage gestellt. Obgleich die USA, Japan und Westeuropa die Hauptrivalen auf dem Weltmarkt sind, wo der Kampf um die Absatzmärkte jeden Tag heftiger und unnachgiebiger wird, wird dadurch ihre Mitgliedschaft in dem gleichen militärischen Bündnis nicht in Frage gestellt.
Es muß klar sein, wenn der Weltkrieg noch nicht ausgebrochen ist, hat dies nichts zu tun mit irgendeiner Notwendigkeit der Änderung oder der Verstärkung der bestehenden Allianzen. Den beiden Weltkriegen gingen eine Reihe von lokalen Konflikten und Bündnisbildungen voraus, die eine direkte Vorbereitung für diesen Krieg und seine aufziehenden Fronten waren (z.B. die Bildung der "Dreierallianz" zwischen GB-Frankreich-Rußland Anfang der 20er Jahre und die Schaffung der "Achse" Deutschland-Italien während der 30er Jahre). Aber in der gegenwärtigen historischen Phase muß man feststellen, daß diese "Vorbereitungen" schon vor Jahrzehnten stattgefunden haben (tatsächlich sofort nach dem 2. Weltkrieg mit dem Beginn des "Kalten Kriegs"), und der letzte wichtige Bündniswechsel liegt mehr als 20 Jahre zurück (Bruch zwischen China und der UdSSR Anfang der 60er Jahre und Integrierung Chinas in den westlichen Block Ende der 60er Jahre). Heute sind die imperialistischen Allianzen viel fester gebildet als die vor dem 2. Weltkrieg bestehenden, als größere Länder erst später nach Kriegsanfang in den Krieg eintraten (Italien im Mai 1915, USA im April 1917, UdSSR im Juni 1941, USA im Dez. 1941). Darüber hinaus verfügt jeder der Blöcke seit vielen Jahren über eine einheitliche Kommandozentrale seiner militärischen Ausrüstung (NATO seit April 1949, Warschauer Pakt seit Mai 1955), während solch ein Einheitskommando erst (und nur durch die westlichen Mächte an der westlichen Front) in der zweiten Hälfte der beiden Weltkriege gebildet wurde.
Deshalb heute zu behaupten, daß die diplomatischen oder militärischen Vorbereitungen für einen 3. Weltkrieg noch nicht abgeschlossen seien, ist ein Beweis für eine unglaubliche Unkenntnis dieser Geschichte dieses Jahrhunderts, was für eine revolutionäre Organisation unverzeihbar ist.
Aber noch unverzeihbarer ist die folgende These
Ist es möglich, daß ernsthafte Revolutionäre solch ein Märchen noch glauben können? Die Bourgeoisie hat es eine Zeitlang erzählt, als es für sie darauf ankam, die Atomwaffen zu installieren. Insbesondere diente die Strategie des sog. "massiven Zurückschlagens" und des "Gleichgewichts des Schreckens" als ein Abschreckungsmittel: sobald ein Land Atomwaffen einsetzen, oder selbst wenn es die Lebensinteressen eines anderen bedrohen würde, würden die Hauptbevölkerungskonzentrationen und Industriezentren in der darauf folgenden Stunde zerstört. Die mörderischste Waffe, die die Menschheit jemals entwickelt hat, hätte das nunmehr das Verdienst, jeden Weltkrieg zu verhindern. Daß solch eine Lüge eine gewisse Wirkung auf Bevölkerungsteile haben kann, die noch Illusionen über die "Vernunft" der Regierungen und allgemein über die "Rationalität" des kapitalistischen Systems haben, kann man noch begreifen. Aber nachdem heute in Anbetracht der allerletzten Entwicklung der Atomwaffen (Neutronenbombe, nukleare Flugkörper, Kurzstreckenraketen, treffsichere Raketen, StarWar, SDI-Programm) sowie des Einsatz der Strategie des "angemessen Zurückschlagens" (dies ist die offizielle NATO-Strategie) kein Beweis mehr fehlt, daß die Regierungen und militärischen Stäbe ernsthaft einen Atomkrieg führen wollen, mit der Absicht ihn zu "gewinnen", da gibt es tatsächlich noch Revolutionäre, die behaupten "Marxisten" zu sein und an solches Geschwätz glauben und es verbreiten. Die Genossen von "Battaglia" glauben solche Absurditäten, die dem Stil des Unfugs des FOR in nichts nachstehen, der nämlich behauptet, der Kapitalismus befinde sich heute nicht in einer Krise. Denn die These, die in Prometeo Nr.11 verbreitet wird, ist kein Schreibfehler, kein Fehlgleiten eines Genossen, dessen Aussagen der Wachsamkeit der Organisation entglitten seien. Sie wurde schon in Nr. 4 von Battaglia Comunista im April 86 unter dem Titel "Erste Notizen zum nächsten Krieg" mit noch größeren Einzelheiten dargestellt. Dort stand geschrieben:
"Ein anderer nicht zu unterschätzender Faktor, der zur Verlängerung der Vorbereitungszeit des Krieges beiträgt, ist die nukleare Erpressung, weil der direkte Zusammenstoß zwischen den Blöcken nur von Zufallsmomenten der größten Spannung zwischen den beiden Supermächten abhängen kann, denn hier besteht das sichere Risiko der Auslöschung des Lebens auf der Erde..."
Welches Zukunftsszenario schlägt uns BC in den Artikel vom April 86 und Dez. 87 vor? Indem der "Abrüstungsprozeß der Atomwaffen", welcher durch das Washingtoner Abgekommen vom Dez. 87 in Gang gekommen ist (Fußnote) fortgesetzt wird, schaffen es die beiden Supermächte, die nuklearen Waffen vollständig abzuschaffen oder einen Vertrag über deren Nicht-Einsatz zu beschließen. Dann haben sie freie Hand für die Auslösung des Weltkriegs, ohne daß die Gefahr der "Auslöschung des Lebens auf der Erde" besteht, zumindest in dem Maße wie sie dem Gegner vertrauen, daß dieser nicht die verbotenen oder geheim gehaltenen Waffen einsetzt. Man kann sich fragen, warum die beiden Blöcke, die entschlossen sind, sich nur in einem "fair play" zu bekämpfen, ihren Abrüstungsprozeß nicht konsequent fortführen, indem sie die mörderischsten konventionellen Waffen ebenfalls abschaffen? Letztendlich sind ja beide Seiten daran interessiert, die Zerstörungen auf ein Mindestmaß zu begrenzen, welche durch diese Waffen hervorgerufen werden können, und von dessen Ausmaß uns die Ruinen und Massaker des 2. Weltkriegs nur ein blasses Bild vermitteln. Es gibt keinen Grund, weshalb die Führer der Welt so auf halbem Weg stehen bleiben sollten. Sicher haben sie es nicht aufgegeben, sich zu bekriegen, denn wir leben ja schließlich im Kapitalismus und die Widersprüche zwischen den rivalisierenden Fraktionen der Bourgeoisie bestehen weiterhin und spitzen sich gar mit der Krise zu. Aber ausgehend von der gleichen Sorge, daß dieser Krieg so wenig zerstörerisch wie möglich wirkt, schaffen es die Führer schrittweise, jeweils auf den Einsatz der modernsten, mörderischsten Waffen zu verzichten: Verbot der Raketen, der Luftwaffe, der Bombardierungen, der schweren Artillerie, und im gleichen Atemzug der leichten Artillerie, der Maschinengewehre und warum auch nicht des Einsatzes von Handfeuerwaffen...? Der Satz ist altbekannt: "Wenn der 3. Weltkrieg stattgefunden hat, wird der 4. Weltkrieg mit Schlagstöcken stattfinden". Die Perspektive Battaglias ist etwas unterschiedlich. Der 3. Weltkrieg wird mit Stöcken stattfinden. Vorausgesetzt, daß er sich in der Form eines besonderen Kampfes abspielt: "ein loyaler" Kampf, zwischen den beiden Stabschefs, wie das damals manchmal im Mittelalter oder in der Antike der Fall war. Wenn der Einsatz der Waffen dem eines Schachspiels gliche, dann hätte die UdSSR eine Chance zu gewinnen.
Selbstverständlich erzählen die Genossen von Battaglia solch einen Unfug nicht, noch denken sie ihn: sie sind ja schließlich nicht verrückt. Aber dieses Märchen ist die logische Schlußfolgerung der Idee, die im Mittelpunkt ihrer Analyse steckt: die Bourgeoisie sei dazu in der Lage, sich "einschränkende Verhaltensmaßregeln" beim Einsatz von Zerstörungsmitteln zu geben; sie sei bereit, die Verträge zu respektieren, die sie abschließt, selbst wenn sie in den Würgegriff geriete, selbst wenn ihre vitalen Lebensinteressen bedroht sind. Dabei verdeutlichen die beiden Weltkriege überdeutlich, daß alle Mittel, die der Kapitalismus zur Verfügung hat, für den imperialistischen Krieg gerade gut genug sind - insbesondere und gerade die mörderischsten, die Atomwaffen eingeschlossen (haben die Genossen von BC Hiroshima und Nagasaki vergessen?). Wir behaupten nicht, ein 3. Weltkrieg würde sofort mit dem Einsatz der Waffen der Apokalypse anfangen. Aber wir sind überzeugt davon, daß die Bourgeoisie, die nach dem Einsatz konventioneller Waffen mit dem Rücken zur Wand stünde, auch die schlimmsten Waffen einsetzen würde, egal welche Verträge vorher abgeschlossen worden wären. Genauso gibt es heute keine Aussichten, daß die gegenwärtigen (sehr minimalen) Waffenreduzierungen im nuklearen Bereich einmal zu ihrer vollständigen Abschaffung führen. Keiner der beiden Blöcke, insbesondere derjenige, der technologisch im Bereich der konventionellen Waffen unterlegen ist, nämlich der Ostblock
wird nie auf den Einsatz der Waffe verzichten, der sein letztes Mittel ist, selbst wenn er weiß, daß der Gebrauch dieser Waffe sein eigenes Todesurteil bedeutet. Und das hat überhaupt nichts mit einem "selbstmörderischen" Verhalten der Führer dieser kapitalistischen Welt zu tun. Das System als Ganzes führt aufgrund der durch die Dekadenz hervorgerufenen Barbarei die Menschheit in ihre Selbstzerstörung. Aus dieser Sicht unterstreicht der Artikel in Prometeo ganz richtig, daß der Prozeß, der zu einem generalisierten Krieg führt, nicht auf das zurückzuführen ist, was "Reagan und Gorbatschow wirklich und subjektiv denken". BC kennt die Grundlagen des Marxismus. Aber das Problem ist, daß es sie vergißt und durch die geschicktesten bürgerlichen Mystifizierungen getäuscht wird.
So kann man sehen, daß die IKP bei der Verteidigung ihrer Analyse des gegenwärtigen historischen Kurses nicht nur gezwungen wird, einen Widerspruch nach dem anderen aufzuhäufen, sondern die Geschichte des 20. Jahrhundert "vergißt", und schlimmer noch, eine Reihe von grundlegenden Lehren des Marxismus außer Acht läßt und gar mit der größten Naivität eine Vielzahl von Illusionen aufgreift, die die Bourgeoisie verbreitet, um ihr System als rosig darzustellen.
Warum kann eine kommunistische Organisation, die ihre Positionen auf dem Marxismus aufbaut und die Geschichte der Arbeiterbewegung kennt, Opfer solcher "Gedächtnislücken" werden und soviel Naivität gegenüber den kapitalistischen Mystifizierungen an den Tag legen?
(Auf diese Frage wollen wir in einem 2. Teil eingehen.)
In Weltrevolution Nr. 33 hatten wir uns mit den Konfusionen des IBRP (Internationale Büro für die Revolutionären Partei) zur Frage, warum bislang noch kein 3. Weltkrieg ausgebrochen ist, befaßt. In diesem Artikel wollen wir uns mit den Verwirrungen dieser Gruppe hinsichtlich der Einschätzung der jetzigen Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse und dem Niveau des Klassenkampfes auseinandersetzen.
HISTORISCHER ODER SCHWANKENDER KURS
In einem polemischen, gegen die IKS gerichteten, Artikel schreibt Battaglia Comunista: "Die implizite Vorgehensweise der Argumentation der IKS ist die folgende: während der ganzen 30er Jahre lief der Kurs klar und eindeutig hin zum imperialistischen Krieg, wie es die Fraktion in Frankreich meinte. Dieser Zeitraum ist abgeschlossen, vorüber: jetzt läuft der Kurs eindeutig in Richtung Revolution (oder hin zu Zusammenstößen, die diese möglich werden lassen). Hinsichtlich dieser Schlüsselfrage, dieses methodologischen Punktes haben wir zutiefst unterschiedliche Meinungen... Die Fraktion (insbesondere ihre Exekutivkommission, und innerhalb ihrer Reihen, Vercesi) schätzten in den 30er Jahren die Perspektive der Entwicklung zum Krieg als etwas Absolutes ein. Hatte sie recht? Sicher, alle Tatsachen haben ihr recht gegeben. Aber trotzdem; weil sie den "Kurs" als etwas Absolutes betrachtete, hat die Fraktion politische Fehler begangen... Der politische Fehler war die Auslöschung jeder Interventionsmöglichkeit einer revolutionären Politik in Spanien, selbst bevor das Proletariat richtig geschlagen war... Der dem zugrunde liegende methodische Fehler lag in der "Verabsolutierung" des Kurses, in dem methodologischen Ausschluß jeder Möglichkeit bedeutsamer proletarischer Erhebungen, in denen die Kommunisten aktiv mit der Perspektive eines revolutionären Bruchs, der in der imperialistischen Phase immer offen ist, hätten intervenieren können" (Die IKS und der historische Kurs: eine fehlerhafte Methode, Communist Review Nr. 5).
In der Tat liegt hier der Kern der Divergenz zwischen BC und der IKS, obgleich BC wie üblich nicht ganz unsere Analyse verstanden hat. Insbesondere stellen wir keine komplette Symmetrie zwischen einem Kurs zum Krieg und einem Kurs zu Klassenzusammenstößen auf, ebensowenig behaupten wir, daß ein Kurs nicht umgekehrt werden könnte.
"...wenn wir von einem Kurs hin zu Klassenzusammenstößen sprechen, meinen wir, daß der Tendenz zum Krieg - welche in der Dekadenz permanent wirkt und von der Krise verschärft wird - durch die Gegentendenz, d.h. dem Entstehen von Arbeiterkämpfen, entgegengesteuert wird. Darüber hinaus gibt es nichts Absolutes oder ewig Gültiges bei diesem Kurs: er kann durch eine Reihe von Niederlagen der Arbeiterklasse umgeschmissen werden. Weil die Bourgeoisie die herrschende Klasse der Gesellschaft ist, ist ein Kurs hin zu Klassenzusammenstößen zerbrechlicher und umkehrbar im Vergleich zu einem Kurs zum Krieg" (Internationale Revue, Nr. 50, "Antwort auf Battaglia Comunista zum historischen Kurs).
"Wenn es einen Kurs wie in den 30er Jahren hin zum Krieg gibt, bedeutet dies, daß das Proletariat eine entscheidende Niederlage eingesteckt hat, die es nunmehr daran hindert, sich der Durchsetzung der bürgerlichen "Lösung" der Krise entgegenzustellen. Wenn es einen Kurs hin zu "Klassenzusammenstößen" gibt, heißt dies, daß die Bourgeoisie die Hände gebunden hat, um ein neues weltweites Abschlachten auszulösen; zuvor muß sie der Arbeiterklasse entgegentreten und sie schlagen. Aber damit ist noch nicht der Ausgang dieses Zusammenstoßes entschieden, weder in dem einen noch in dem anderen Sinn. Deshalb sollte man besser diesen Begriff als den des "Kurses zur Revolution" benutzen (Internat. Review Nr. 35, "Resolution zur internationalen Situation des 5. Kongreß der IKS, Juli 1983).
Jetzt kann man einfacher sehen, wo die Divergenzen liegen. Wenn wir von einem "historischen Kurs" sprechen, meinen wir damit eine historische Periode, eine globale und vorherrschende Tendenz des Lebens in der Gesellschaft, die nur durch Hauptereignisse in Frage gestellt werden kann wie (imperialistischer Krieg, wie damals während des Ersten Weltkriegs mit dem Entflammen der revolutionären Welle von 1917 oder auch noch bei der Reihe von entscheidenden Niederlagen wie während der 20er Jahre). Aus Battaglias Sicht wiederum, die häufiger den Begriff "Kurs" anstatt "historischen Kurs" verwenden, handelt es sich um eine Perspektive, die jederzeit in Frage gestellt werden kann. D.h. in beiden Richtungen, weil man nicht ausschließen kann, daß innerhalb eines Kurses zum Krieg ein "revolutionärer Bruch" eintritt. Deshalb sind diese Genossen vollkommen unfähig zu begreifen, was geschichtlich gegenwärtig auf dem Spiel steht. Auch liefern sie als Erklärung für die Tatsache, daß der Krieg noch nicht ausgelöst wurde, die noch nicht vollständig vollzogene nukleare Abrüstung und daß noch kein Vertrag über den Nicht-Einsatz von Atomwaffen und anderen klangvollen Unfug und Augenwischerei abgeschlossen wurde, obgleich alle objektiven Bedingungen seit langem vorhanden sind.
Hier gleicht die Auffassung von BATTAGLIA ebenfalls einem Sammelsurium: jeder kann beim Begriff des historischen Kurs alles hineinstecken, was er will. Es wird von der Möglichkeit der Revolution in einem Kurs zum Krieg gesprochen, wie vom Weltkrieg im Kurs hin zu verstärkten Klassenauseinandersetzungen. So kommt jeder auf seine Rechnung: 1981, rief die Communist Workers' Organisation (CWO), die die gleiche Auffassung wie Battaglia vom historischen Kurs vertritt, die Arbeiter in Polen zur Revolution auf, während man gleichzeitig behauptete, das Weltproletariat habe noch nicht die Konterrevolution überwunden.
Schließlich verschwindet der Begriff des Kurses vollkommen. Und das ist genau der Punkt, wo Battaglia landet: jede Auffasssung einer historischen Perspektive über Bord zu schmeißen.
Aber die Auffassung Battaglias und die der IBPR (Internationale Büro der Revolutionären Partei) hat einen Namen: Immediatismus. Der gleiche Immediatismus liegt an der Wurzel der Ausrufung der Partei nach dem 2. Weltkrieg, während die Arbeiterklasse noch voll durch die Konterrevolution abgewürgt wurde. Dieser gleiche Immediatismus ist dafür verantwortlich, daß die Mitglieder der IBRP sich ständig zieren, von den Kämpfen der Klasse zu sprechen, weil diese Kämpfe verständlicherweise noch keine revolutionäre Form annehmen, und weil sie weiterhin auf die verschiedenen Fallen der Gewerkschaften und der Linken des Kapitals stoßen.
Unsere Einschätzung der gegenwärtigen Charakteristiken des Arbeiterkampfes haben wir regelmäßig in unserer Internationalen Revue und in unserer territorialen Presse gebracht. Deshalb wollen wir sie hier nicht noch mal erläutern. Aber es ist aufschlußreich zu sehen, wie das IBRP mittels eines Dokumentes der CWO (veröffentlicht in Communismo Nr. 4) die Analyse des historischen Kurses konkretisiert:
"...die Ereignisse in Europa beweisen, daß der Druck hin zu Kämpfen nicht direkt mit dem Ausmaß der Krise und auch nicht mit der Tragweite der Angriffe gegen die Arbeiterklasse verbunden ist... Wir glauben nicht, daß die Häufigkeit und die Ausdehnung dieser Kampfformen - zumindest bis heute nicht - eine Tendenz einer reifenden Entwicklung aufzeigen. Zum Beispiel haben wir nach dem Kampf der britischen Bergarbeiter, der Eisenbahner in Frankreich die seltsame Situation, daß die aufgewühlten Schichten die des ... Kleinbürgertums sind! (Ärzte, Flugzeugpiloten, Rechtsanwälte, mittlere und höhere Beamte und jetzt die Lehrer)".
Es ist schon aufschlußreich, daß die Lehrer der Grundschulen und weiterführenden Schulen aus der Sicht des IBRP als "kleinbürgerlich" anzusehen sind, und daß der bemerkenswerte, von diesem Bereich im letzten Jahr geführte Kampf überhaupt nichts vom proletarischen Standpunkt aus darstellt. Man fragt sich, warum einige Genossen von Battaglia, die Lehrer sind, es dennoch für nützlich befunden haben, darin zu intervenieren (die Genossen der IKS haben beträchtlich dazu beigetragen, indem wir die Battaglia Genossen aufgeweckt und deren anfängliche Passivität angeprangert haben).
Sich an COMMUNISMO wendend, schreibt das IBRP weiter:
"Ihr seid sicherlich beeinflußt worden durch das Gewicht, das die IKS auf die gelegentlich stattfindenden Arbeiterkämpfe in Europa legt - ein Gewicht, das in keinem Verhältnis zur Wirklichkeit steht -, neben den Phasen heldenhafter Kämpfe (hinsichtlich der Dauer und der von den Arbeitern gebrachten Opfer), wie beim britischen Bergarbeiterstreik. Wir heben dagegen unsererseits mehr die Passivität der anderen Bereiche der Klasse in England wie anderswo in Europa hervor."
Wir wollen hier nicht all die Beispiele aus unserer Presse noch mal aufgreifen, die diese Aussagen widerlegen. Aber schlimmer als blind zu sein, ist es, wenn man nicht sehen will. Aber fahren wir fort mit den Zitaten hinsichtlich der Ursachen dieser traurigen Lage und der Bedingungen ihrer Überwindung:
"Um die relative Passivität der Klasse und ihrer Unfähigkeit, den Angriffen des Kapitals entgegenzutreten, zu erklären, reicht es nicht aus, die Sündenböcke (Gewerkschaften und Parteien) anzuführen. Die Überzeugungskraft der Parteien und Gewerkschaften ist nicht die Ursache, sondern der Ausdruck des eigentlichen Problems, nämlich der wirklichen Herrschaft des Kapitals über die Gesellschaft...
Das Gleichgewicht, auf dem die bürgerliche Gesellschaft ruht, besteht weiterhin. Es ist in Europa mehr als 2 Jahrhunderte lang befestigt worden, und eine starke, materielle Klassenbewegung ist notwendig, um es zu zerbrechen...
Je mehr die kapitalistische Herrschaft wirklich wird, und je mehr sie sich in dem Überbau äußert, wodurch die wirkliche Herrschaft so verstärkt wird, daß, je mehr sie zunimmt, umso schwieriger und gewalttätiger der Prozeß ihrer Zerstörung wird."
Hier haben wir's. Mit einigen Wortspielen, um so zu tun, als ob man durch die Verwendung des Begriffs der "wirklichen Herrschaft des Kapitals", den Marx in einem ganz anderen Zusammenhang verwandte, etwas "vertieft", produziert man in Wirklichkeit einen Bandwurm von Banalitäten und Tautologien: "heute ist das Proletariat noch nicht in der Lage, den Kapitalismus umzustürzen, weil dieser noch eine wirkliche Herrschaft über die Gesellschaft ausübt". Bravo IBRP! Eine These, die in die Geschichte der Arbeiterbewegung und der marxistischen Theorie eingehen wird. Ebenso wird die Geschichte folgende Sätze festhalten:
"Die revolutionäre Intervention der Partei ist notwendig, um jeden bürgerlichen Einfluß - egal in welcher Form er auftritt- zu besiegen, um den Übergang von Protesten und Forderungen hin zu einem Frontalangriff gegen den bürgerlichen Staat möglich zu machen...
Die Bedingung für den Sieg des revolutionären Programms im Proletariat ist nur dann gegeben, wenn das in sich zusammenbricht, was wir als den bürgerlichen Einfluß auf und in der Klasse bezeichnet haben..."
Erneut tischt uns das IBRP Banalitäten auf, deren Argumentationsweise sich in den Schwanz beißt:
"Es gibt keine bedeutsame Entwicklung der Kämpfe, weil es keine Partei gibt; und die Partei kann nur existieren, wenn die Klasse sich in einem Prozeß der Entwicklung der Kämpfe befindet". Wie kann man diesen Teufelskreis durchbrechen? Das IBRP gibt darauf keine Antwort. Es handelt sich wohl um das, was die Genossen, die sehr darauf erpicht sind, "marxistische" Formeln wie ein Heftpflaster parat zu haben, "Dialektik" nennen.
Indem die Stellung des Proletariats in der heutigen geschichtlichen Lage vollständig unterschätzt und nicht gesehen wird, daß dieses den Kapitalismus davon abhält, einen 3. Weltkrieg auszulösen, unterschätzt das IBRP tatsächlich ebenfalls die Bedeutung der gegenwärtigen Klassenkämpfe hinsichtlich ihrer Rolle als Bremshebel gegenüber den Angriffen der Bourgeoisie zu wirken. Auch wird ihre Bedeutung als Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln im Hinblick auf entscheidende revolutionäre Zusammenstöße mit dem kapitalistischen Staat, heruntergespielt. Deshalb fällt das IBRP leicht in die gröbsten Fallen der bürgerlichen Propaganda zur "nuklearen Abschreckung", aber darüber hinaus vernachlässigt es die Verantwortung der Revolutionäre in der gegenwärtigen Lage sowohl hinsichtlich der Arbeit der Umgruppierung der kommunistischen Kräfte als auch hinsichtlich der Intervention in den Kämpfen. In dieser Hinsicht ist der IBRP-Text aufschlußreich:
"Wir, die revolutionäre Avantgarde, können nur einen sehr begrenzten - fast gar nicht vorhandenen - Einfluß auf diesen Prozeß (des Bruchs des Gleichgewichts des Kapitalismus) haben, weil wir außerhalb der materiellen Dynamik der Gesellschaft stehen."
Wenn das IBRP unter "materieller Dynamik" die Entwicklung der Krise versteht, liegt es auf der Hand, daß die Revolutionäre diese tatsächlich nicht beeinflussen können. Aber es kann wohl nicht nur darum gehen, denn das IBRP geht des Weiteren davon aus, daß "die Klassenzusammenstöße vollkommen unter dem Niveau dessen liegen, was aufgrund der objektiven Lage notwendig wäre". Man muß deshalb vermuten, daß dem IBRP zufolge die Krise ihrerseits ausreichend entwickelt sei, um diesen "Bruch" zu ermöglichen, mit dem die Organisation rechnet. Tatsächlich läuft das IBRP mit all diesen Wortspielen von der "wirklichen Herrschaft" usw., von dem ständigen Wiederkäuen der "unabdingbaren Rolle der Partei" (deren Notwendigkeit wir natürlich auch hervorheben) vor seiner Verantwortung davon. Nicht durch das ständige Behaupten, "Wir brauchen die Partei, Wir brauchen die Partei", erfüllt man seine Rolle in der Klasse in Anbetracht der gegenwärtigen Bedürfnisse des Kampfes. Ein russisches Sprichwort sagt: "Wenn es keinen Wodka gibt, spricht man ständig von Wodka". Viele Gruppen des proletarischen Milieus praktizieren heute das Gleiche wie das IBRP. Nur die Überwindung dieser skeptischen Einstellung gegenüber den Klassenkämpfen und insbesondere gegenüber deren Bedeutung für den historischen Kurs, ermöglicht es ihnen, wirklich ihre Verantwortung als Revolutionäre zu erfüllen, um somit tatsächlich zu der Schaffung der Vorbedingungen der Weltpartei des Proletariats beizutragen. FM
(gekürzte Fassung einer Polemik aus International Review Nr.54)
(IBRP: Adresse C.P. 1753, 20100 Milano, Italien, oder BM CWO London, WC1N3XX, GB).
Ganz so, als ob sie sich um das Aufschwungsgeschrei des "neuen deutschen Wohlstand" (Kohl) gar nicht kümmere, spitzt sich die Wohnungsnot in den bundesdeutschen Großstädten gnadenlos zu.Es gibt über 1 Mio.Fälle von akuter Wohnungsnot in der Bundesrepublik. 700.000 müssen in zu kleinen, nicht menschenwürdigen Unterkünften ausharren. 200.000 werden in Notunterkünften beherbergt: Turnhallen, Blechcontainern, Baracken, Wohnwagen, sogar Schiffen. 100.000 haben überhaupt kein Dach überm Kopf.
In Köln fehlen nach Angaben des Wohnungsamtes 20.000 Wohnungen. In Frankfurt liegen 10.000 Dringlichkeitsfälle vor. In München, der deutschen Wohnungsnotmetropole Nr. 1, werden in Appartementhäusern wie 'Ancona' Familien auf 14 Quadratmeter eingepfercht, und sie müssen dafür 1100,- monatlich zahlen.
• 1987 brachte ein neues Rekordtief im Wohnungsbau (nur 217.000 Neubauten) seit dem Bestehen der Bundesrepublik (Statistisches Bundesamt).
Diese wachsende Misere ist Hinweis genug, daß viele Millionen Menschen - insbesonders die Arbeiter - an dem "neuen deutschen Wohlstand" gar nicht beteiligt sind.
• geflügelte Wort von "drohenden Pariser Verhältnissen" (dort verdoppelten sich die Mieten innert 3 Jahren nach einer Lockerung der Preisbindung) sagt es schon: diese Entwicklung ist international. Auch im Ostblock (Paradebeispiel Budapest) wird der Wohnraum immer knapper und teurer.
In den USA z.B. (um nur das reichste Land der Welt anzuführen) leben 3 Mio. Obdachlose: doppelt so viel wie bei Reagans Amtsantritt vor 8 Jahren. Die Mietpreise kletterten in jenem Zeitraum um 43%. 1,3 Mio. billige Wohnungen verschwanden vom Markt. Allein in New York gibt es 50.000 Wohnhausruinen und 80.000 Männer, Frauen, Kinder ohne ein Dach über dem Kopf. Das Massachusetts Institute for Technology sagt gar 19 Mio. Obdachlose in den USA bis zum Jahr 2003 voraus (Deutsches Allgemeines Sontagsblatt 49, 4.12.88). Trotz Aufschwung und Perestroika kann der Kapitalismus im Osten wie in Westen seinen Lohnsklaven nicht mal Schutz vor Wind und Schnee geben.
Für die Ideologen des Kapitals ist die Wohnungsnot eine Art Schluckauf eines sonst gesunden Wirtschaftskörpers.
"Größer könnten die Gegensätze kaum sein : nach sechs Wachstumsjahren rollen mehr PS-starke Autos über die Straßen denn je, Neckermänner und TUI-Touristen jetten
zuhauf in die Südsee und nach Bangkok, für Milliarden von Mark werden Kabel durchs Land gezogen, weil erst 25 TV-Programme das I,eben schön machen.... Und gleichzeitig können Hunderttausende keinen akzeptablen Wohnraum finden" (Der Spiegel 42, 12.12.88). 'Die unzulängliche Versorgung mit Wohnungen zu mäßigen Preisen - im Gegensatz etwa zur Versorgung mit Automobilen oder Kosmetika - darf als der größte Mangel des modernen Kapitalismus gelten." US-Ökonom J.K.Galbraith).
So ist es also! Da die Wohnmisere nicht mehr zu übersehen ist, wird sie jetzt ausgenutzt, um alle anderen Folgen der kapitalistischen Krise zu überspielen. Frei nach dem Motto: auch den Arbeitern geht es hierzulande gut. Nur mit dem Wohnraum hapert es... Stimmt es aber, daß es den unter der Wohnungsnot leidenden "unteren Einkommensgruppen" sonst gut geht? Und warum gibt es überhaupt eine Wohnungsnot, wenn die Wirtschaft -wie behauptet- blüht und uns allgemeinen Wohlstand beschert? Leiden alle Klassen der heutigen Gesellschaft gleichmäßig unter der Wohnungsnot?
Im Wirklichkeit ist die Wohnmisere keine Ausnahme, sondern eine der Auswirkungen der kapitalistischen Niedergangskrise heute.
Einerseits verursacht die 'Wohnkrise' nicht nur unerträgliches Wohnelend, sondern sie greift die allgemeinen Lebensbedingungen der Arbeiter insgesamt an. Wer, wie fast jeder dritte Münchner 'Kleinverdiener' (Haushaltseinkommen unter monatlich 1500,-) mehr als die Hälfte seines Nettoverdienstes für die Wohnung ausgeben muß, lebt bereits unter der Armutsgrenze und kann ganz bestimnt nicht mit nach Bangkok fliegen. Anderseits atpr verursacht der Wohnungsnotstand nicht nur Armut, sondern ist selbst wiederum das Ergebnis der Wirtschaftskrise und der damit verbundenen Verarmung der Arbeiter.
Eine der Hauptursachen des Rückgangs des Wohnungsbaus seit 1973 liegt in der Stagnation bzw. Abnahme der Reallöhne seit dieser Zeit. Das in den 70er Jahren entwickelte Modell der staatlichen Vermietungszuschüsse ging davon aus, daß die Kaufkraft der Arbeiter wie in den 60er Jahren kontinuierlich steigen würde. Gemäß dieser Erwartung sollten die anfangs hohen Zuschüsse Jahr für Jahr gestaffelt verringert werden. Der Arbeiter selbst würde ja jedes Jahr mehr bezahlen können.
Die Rechnung ging nicht auf, weil das Ende des Nachkriegswiederaufbaus Ende der 60er Jahre von einer jetzt 20 Jahre währenden wirtschaftlichen Stagnation abgelöst wurde, die auch nicht durch Schuldenberge und'Reaganomics' überwunden werden konnte. Das Ergebnis: der Markt für Billigwohnungen brach zusammen. Zwangsräumungen häuften sich. Die trostlosen Trabantensilos am Stadtrand standen oft halbleer, weil zu teuer... 250.000 leerstehende Wohnungen in den deutschen Großstädten zählte man 1981. Der DGB, der nach dem Krieg viel Geld durch den Bau von Billigwohnungen verdiente, konnte jetzt seine -'Neue Heimat' nicht schnell genug abstoßen. Viele Besitzer von Altbauwohnungen 'streikten'. Sie ließen ihre Häuser lieber leer stehen, da sie einerseits durch die Arbeitermieter nichts mehr verdienen konnten, anderseits aber durch die gängige Preisregulierung gehindert wurden, sich an dem blühenden Markt der obersten Einkommenskategorien zu orientieren.
Hinzu kam die Massenarbeitslosigkeit, die in den 80er Jahren z.B. in der Bundesrepublik 2 Mio. nicht mehr unterschritten hat. In dieser Zeitspanne kamen über 1 Mio. neue Sozialhilfeempfänger hinzu - insgesamt 4 Mio. Arme. Die Verbindung zwischen dieser Verarmung und der Wohnungsnot liegt hier auf der Hand - trotz "25 TV Programmen", die "das Leben erst schön machen".
Die Arbeiterwohmmg gehört zu den Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft. Der Kapitalist muß in Form des Lohnes dafür aufkommen, weil ohne ein Dach überm Kopf der Arbeiter nicht mehr lange profitträchtig ausgebeutet werden kann. Das Einkommen der Langzeitarbeitslosen, so wie wir sie heutzutage kennen, kann dagegen vom kapitalistischen Standpunkt aus ruhig unter das Fxistenzminimum herabsinken. Aus ihm ist sowieso kein Mehrwert herauszuschlagen. So geschieht es auch. Der Sozialhilfeempfänger etwa stellt keinen wirklichen, d.h zahlungsfähigen Nachfrager mehr dar. Nicht Wohlstand und Überfluß, sondern Reallohnrückgang und Arbeitslosigkeit sind der wirkliche Hintergrund der Wohnungsnot.
Trotz all dem Gerede vom Wohlstand beweist die bürgerliche Klasse, daß sie genau bescheid weiß über diesen Zusammenhang und zwar da, wo es ihr am unmittelbarsten darauf ankomnt: bei den Investitionen. Bei Investitionen, die schnelle Profite versprechen, ist man natürlich nicht abgeneigt, das Marktsegment des armen Mannes zu erschließen (Textilien, tragbare TVs usw.). Der Wohnungsbau dagegen rentiert sich erst nach 15 bis 20 Jahren. Wer glaubt heute noch, daß bis dahin große Teile der Arbeiterschaft eine zahlungsfähige Nachfrage darstellen werden? Offenbar keiner. Und das ist mit die Erklärung für die J.K. Galhraith so rätselhaft erscheinende Tatsache, daß der Kapitalismus dem Arbeiter lieber Kosmetika als Wohnungen anbietet.
Und überhaupt zweifeln die Bürgerlichen imner mehr an der Zukunft und schrecken vor langfristigen Investitionen zurück. So z.B. der Trend zu Eigentumswohnungen. In den ersten 9 Monaten des Jahres 1988 wurden 25.000 Neubauten von Eigentumswohnungen genehmigt im Vergleich zu nurr 44.000 Mietwohnungen. Bereits Friedrich Engels ('Die Wohnungsfrage') warnte vor den Versprechungen materieller Sicherheit, die mit Eigentumswohnungen verbunden werden. Im Wirklichkeit geht es den Anbietern darum, schnelles Geld zu machen und die Zukunftsrisiken auf den 'glücklichen Neubesitzer' abzuwälzen, der oft bald zur Stufe des Sklaven der Kreditinstitute herabsinkt.
Wie immer in Krisenzeiten sind die größten, schnellsten Profite gar nicht im Produktionsprozess, sondern durch Spekulationen jeglicher Art zu haben. Schon im letzten Jahrhundert gehörte die Bodenspekulation in den Großstädten dazu. Sie ist hauptsächlich mit verantwortlich für die verrückte Spirale der Mietpreise in Krisenzeiten. 'Viele Wohnblöcke sind innerhalb eines Jahrzehnts drei- oder viermal verkauft worden, jedesmal zu höheren Preisen, jedesmal mit Steuervorteil und meist mit nachfolgenden Mieterhöhunggen". (Der Spiegel 42, 12.12.88).
Von dem Börsenspekulationsfieber angeheizt wird z.B. in London, von der City ausgehend, ein Stadtteil der Riesenmetropole nach dem anderen von den Spekulationshaien aufgekauft. Die ursprünglichen Einwohner werden schlicht verjagt.
In der Krise werden nicht nur die Arbeiter ärmer, sondern ein Teil der besitzenden Klasse immer reicher. Das ist sicherlich der "neue deutsche Wohlstand", den Kohl meint. Hinzu kamt die Verschärfung der für den dekadenten Kapitalismus typischen Aufblähung der unproduktiven, parasitären Sektoren. Schmarotzer schießen wie Pilze aus dem Boden: Börsenspekulantenr, Hochstapler, die Yuppies. Für diese Neureichen werden die alten Arbeiterwohnungen in der Stadt als Luxusmaisonette-Wohnungen neu hergerichtet, in Eigentumswohnungen umgewandelt oder abgerissen, um Platz zu schaffen für teure Hotels, Boutique-Einkaufszentren und Versicherungsbüros. Dadurch verschwinden 130.000 Wohnungen pro Jahr (Deutsche Mieterbund). Das 'Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen', nach dem Amtsantritt von Kohl verabschiedet, hat diese Tendenz nicht ins Leben gerufen (wie die SPD behauptet), sondern lediglich juristisch anerkannt. Innenstädte wie z.B. in Köln (wo hinzugezogene Luxushotels sowie der Sender RTL Tausende von Wohnungen aufgekauft haben) werden in Hochburgen des Luxus verwandelt, die Arbeiter vertrieben. Weiß der Teufel wohin. Marx und Engels nannten es damals "HaussmannGeist (1).
Die Wohnungsnot ist also nur insofern ein Ausdruck des Wohlstands, als der wachsende Wohlstand der Reichen (die selber keine Wohnungsnot kennen, sondern im Gegenteil heute 'schicker' denn je wohnen können) die Wohnmisere der Armen mir vergrössert.
Da wir nicht mehr wie Mitte des letzten Jahrhunderts unter dem Regime der freien Konkurrenz leben, sondern im Staatskapitalismus, ist der Staat mit der Wohnmisere heute unzertrennlich verbunden. Obwohl die Gesamtwirtschaft, und damit der Staat, eigentlich daran interessiert sein muß, zumindest für den regelmäßig beschäftigten Teil der Arbeiterklasse halbwegs bewohnbare und bezahlbare Quartiere anzubieten, steigt der überaus verschuldete 'Vater Staat' stattdessen zusehends aus dem Wohnungsbau aus.
Seit 1986 ist die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus durch den Staat restlos gestrichen worden. Durch die Steuerreform fällt jetzt auch die 'Gemeinnützigkeit für Wohnungsbaugesellschaften' weg. Damit werden allein in München 80.000 Wohnungen teurer. Auch in den USA wurden die Mittel für Sozialwohnungen um 77% gekürzt. Die so eingesparten Milliarden können dann verwendet werden, um die Zinsen der Verschuldung des Staatshaushalts bzw. Um Militärausgaben wie Jäger 90 (bundesdeutscher Anteil 120 Mia. DM) zu decken. Somit entpuppt sich der Wohnungsnotstand nicht als Ergebnis einer 'falschen Politik' oder als paradoxaler Auswuchs der "Wohlstandsgesellschaft", sondern als Widerspiegelung des gesellschaftlichen Bankrotts des Kapitalismus, der immer mehr von der Arbeiterklasse geschaffene Reichtümer für Instrumente des Todes und für die Abzahlung von Schulden vergeudet. Zehntausende amerikanische Arbeiter haben in den letzten 10 Jahre ihre Autos verkaufen müssen, um sich ihre Wohnung noch leisten zu können. Ebenso viele haben ihre Wohnungen verkauft, um ihre Autos behalten zu können. Denn ohne Auto kann man keinen neuen Job finden, bzw. ihn behalten, weil die öffentlichen Verkehrsmittel in den amerikanischen Städten erbärmlich sind. Somit hat der anfangs zitierte Galbraith zutiefst unrecht: der Kapitalismus kann den Arbeitern heutzutage weder Wohnung noch Auto sichern. Und was die Kosmetika betrifft, werden sie vor allem eingesetzt, um das wirkliche Ausmaß der kapitalistischen Verarmung der Arbeiter zu verdecken.
Auf viele Aspekte dieser komplexen Frage sind wir hier nicht eingegangen. Z.B. auf den Zerfall der bürgerlichen Familie, der die Anzahl der Einpersonenhaushalte steigen läßt und den Wohnungsmangel verschärft. (2) Es ging uns aber vor allem darum aufzuzeigen, daß die Wohnungsmisere, keine Ausnahme ist in der "Wohlstandsgesellschaft", sondern im Gegenteil eine getreue Widerspiegelung der kapitalistischen Krise mit ihrer Verarmung der Arbeiterklasse und anderer Bevölkerungsschichten darstellt.
'Andrerseits weiß jeder, daß die Teuerkeit der Wohnungen im taogekehrten Verhältnis zu ihrer Güte steht daß die Minen des Elends von Häuserspekulanten mehr Profit und weniger Kasten ausgebeutet werden als jemals die Minen von Potcsi. Der antagonistische Charakter der kapitalistischen Akkumulation wird hier so handgreifbar, daß selbst die offiziellen englischen Berichte über diesen Gegenstand wimmeln von heterodoxen Ausfällen auf das 'Eigentum und seine Rechte" (Marx, Kapital 1, S.687, MEW 23).
(Aus Weltrevolution, Nr. 35, 1989)
Das Proletariat hat sich heute mehr und mehr von den Ketten der Konterrevolution befreit. Umso wichtiger ist es, 70 Jahre nach der Gründung der III. Internationale den Beitrag der Komintern zu verstehen und sich anzueignen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, muß man nicht nur die stalinistischen Verfälschungen verwerfen, sondern auch den folgenschweren Fehler Trotzkis, der die Anerkennung der gesamten vier ersten Kongresse der Komintern zur Bedingung und Garantie für den Kampf gegen den Stalinismus machte. Ebenso irrig ist die gegensätzliche Haltung der Rätekommunisten, die die 3. Internationale von Beginn an außerhalb des proletarischen Lagers stellten, weil nach dem 5. Kongreß der Prozeß der Entartung voll in Gang kam. Die Grundlage dieser Fehleinschätzungen ist ein mangelndes Verständnis des Prozesses, den die Komintern durchlief: den Versuch der Arbeiterklasse und ihrer Vorhut, den Bruch, den der I. Weltkrieg darstellte, zu verstehen.
"Wenn es uns gelungen ist, uns trotz aller polizeilichen Schwierigkeiten und Verfolgungen zu versammeln, wenn es uns gelungen ist, in kurzer Zeit ohne irgendwelche ernst zu nehmenden Differenzen wichtige Beschlüsse über alle brennenden Fragen der heutigen revolutionären Epoche zu fassen, so verdanken wir das dem Umstand, daß die Massen des Proletariats der ganzen Welt eben diese Fragen schon durch ihr praktisches Auftreten auf die Tagesordnung gestellt und praktisch zu entscheiden begonnen haben."
(Rede Lenins bei Beendigung des I. Kongress der Komintern, 6. 3.1919).
Diese Feststellung Lenins drückt ganz deutlich aus, in welchem Zusammenhang die Komintern gegründet wurde: der Bruch von immer größeren Massen von Arbeitern mit der Konterrevolution, die die endgültige Niederlage der II. Internationale und den Ausbruch des imperialistischen Gemetzels verursacht hatte. Der tragischen Begeisterung für den Krieg folgte ziemlich rasch eine wachsende Abneigung angesichts der Wirklichkeit des Krieges, die die Barbarei eines überholten Systems zuspitzte.
Schon 1916 brachen die ersten großen Meutereien und Streiks aus, insbesondere in Rußland. Auch wenn dies anfänglich nur eine Minderheit war, auch wenn die Reaktion der Arbeiter nicht über den Wunsch nach Beendigung des Krieges hinausging, tat sich durch diese Kämpfe ein Bruch in dem grausamen Burgfrieden der Proletarier mit ihren Ausbeutern für das Vaterland auf. Zur gleichen Zeit begannen die wenigen revolutionären Kräfte, die den Verrat vom August 1914 und die Zusammenarbeit der Arbeiterparteien mit dem Imperialismus verworfen hatten, sich zu organisieren und zusammenzufinden (Konferenz von Zimmerwald und Kienthal). Auch da, wo die Bolschewiki, gefolgt von einigen kleinen Gruppen der Deutschen Linke als einzige eine wirkliche Alternative zeigten - "Umwandlung des imperialistischen Kriegs in Bürgerkrieg" - wurde ein erster Schritt gemacht.
Im Februar 1917 kam diese Entwicklung zum ersten Mal auf breiter Ebene deutlich zum Vorschein. Oktober 1917 war der Höhepunkt und zugleich das Sprungbrett für die Ausdehnung der revolutionären Welle: gewaltige Streiks brachen in Italien, Großbritannien, den USA aus; etwas später stand Deutschland kurz vor dem proletarischen Aufstand, in Ungarn entstand die 2. Räterepublik, während in "weiter entwickelten Kolonien geht der Kampf schon jetzt nicht bloß unter dem Banner der nationalen Befreiung, sondern nimmt gleich einen offen ausgesprochenen sozialen Charakter an". (Manifest). Die Gründung der Komintern fand in dieser revolutionären Welle statt, in welcher die Arbeiter mit ihrem neuen Wachhund - der Sozialdemokratie, die zum Feind übergewechselt war - brachen. Unter dem Einfluß dieser Kämpfe verstärkte sich die kommunistische Minderheit. 1916 kündigten sie schon mit Lenin an ihrer Spitze an, daß es nicht möglich sei, die 2. Internationale wieder aufzurichten, und daß eine neue Internationale gegründet werden muß.
Die tragische Verspätung der Gründung der Komintern (der Bürgerkrieg war seit einem Jahr im Gange) drückte die mangelnde Reife des Proletariats und die sehr große Schwierigkeit für die Revolutionäre aus, die neue Zeit und ihre Erfordernisse zu verstehen. Nur die Umgruppierung der Revolutionäre auf Weltebene konnte die Vertiefung dieses Verständnisses ermöglichen. Darin bestand die Aufgabe, die sich der I. Kongreß der Komintern setzte, und insofern war er ein wichtiges Moment in der Geschichte des proletarischen Kampfes.
"Die dritte Internationale ist die Internationale der offenen Massenaktion, die Internationale der revolutionären Verwirklichung, die Internationale der Tat".(Manifest)
Die KI betonte den unüberwindbaren Widerspruch zwischen Proletariat und Bourgeoisie, die absolute Unmöglichkeit eines schrittweisen und friedlichen Übergangs zum Sozialismus und die Notwendigkeit der gewaltsamen Zerstörung des bürgerlichen Staates.
Der proletarische Internationalismus wurde angesichts des nationalistischen Giftes, das die Sozialdemokratie zerfressen hatte, hochgehalten.
"Die Internationale, die den Interessen der internationalen Revolution die sogenannten nationalen Interessen unterordnet, wird die gegenseitige Hilfe des Proletariats der verschiedenen Länder verwirklichen, denn ohne wirtschaftliche und andere gegenseitige Hilfe wird das Proletariat nicht imstande sein, die neue Gesellschaft zu organisieren."(Richtlinien der Komintern).
Der Dreh- und Angelpunkt für diese Verteidigung des Marxismus und die Bloßstellung der sozialdemokratischen Parteien als Agenten der Bourgeoisie war das Begreifen, daß eine neue Epoche hereingebrochen war: "Die neue Epoche ist geboren! Die Epoche der Auflösung des Kapitalismus, seiner inneren Zersetzung, die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats".
Der gesamte Kongreß war von dieser Idee geprägt. Neue Erfordernisse entstanden mit dieser neuen Epoche:
- der Kapitalismus ist in unüberwindbare Widersprüche verstrickt und nimmt in seinem Niedergang neue Formen an. So betonte Bucharin in seinem Bericht, daß man nicht nur die allgemeinen Merkmale des kapitalistischen und imperialistischen Systems beschreiben müsse, sondern auch den Zerfallsprozeß und den Zusammenbruch des Systems... Das kapitalistische System dürfe nicht nur in seiner abstrakten Form, sondern auch praktisch als Weltkapitalismus, als ökonomische Ganzheit gesehen werden.
Von dem Verständnis, daß der Kapitalismus als System die gesamte Erde erobert hat, hängt die Haltung des Proletariats zu nationalen Befreiungskämpfen und zu vorübergehenden Bündnissen mit Fraktionen der Bourgeoisie ab. Bucharin führte dazu aus: "die primitiven Formen des Kapitalismus sind nahezu verschwunden. Dieser Prozeß begann schon vor dem Krieg und beschleunigte sich während desselben. Dieser Krieg war ein großer Organisator. Unter seinem Gewicht wurde das Finanzkapital in eine höhere Stufe übergeführt, umgewandelt: Staatskapitalismus".
Der Staatskapitalismus, wie Bucharin mit Recht feststellte, verringert nicht die kapitalistische Anarchie, sondern bringt sie auf die höchste Stufe, auf die Ebene der Staaten selber. Darin liegt die Grundlage für das Verständnis der besonderen Form des dekadenten Kapitalismus, wobei die sog. sozialistischen Länder nur eine Spielart dessen sind.
- in einer anderen grundsätzlichen Frage - der Machteroberung und der Diktatur des Proletariats- wird deutlich, daß eine neue Epoche der proletarischen Revolutionen angebrochen war. Die Erfahrung des Klassenkampfes lieferte die Grundlage dieser Erkenntnis. Bis dahin hatte die Pariser Kommune einige wertvolle aber begrenzte Elemente zur Frage geliefert, wie das Proletariat seine Diktatur ausübt. Und diese Erkenntnisse waren durch das Gewicht jahrzehntelangen parlamentarischen Kampfes vergessen worden "Diktatur des Proletariats! Das war bisher Latein für die Massen. Mit der Ausbreitung des Sowjetsystems in der ganzen Welt ist dieses Latein in alle modernen Sprachen übersetzt worden: die praktische Form der Diktatur ist durch die Arbeitermassen gefunden... Alles dieses beweist, daß die revolutionäre Form der proletarischen Diktatur gefunden, daß das Proletariat jetzt praktisch imstande ist, seine Herrschaft auszuüben".(Rede Lenins bei Eröffnung des I. Kongresses der KI,2.3.1919)
Während des ganzen Kongresses wurde die Wichtigkeit der Arbeiterräte betont. Die dringende Notwendigkeit, mit der II. Internationale und ihren linken Spielarten radikal zu brechen, wurde immer im Zusammenhang mit den Arbeiterräten, den Organen des revolutionären Proletariats gebracht. Der erste Kongreß verwarf die Auffassung, übernommen aus der bürgerlichen Revolution, in der eine Minderheit der revolutionären Arbeiterklasse die Macht im Namen aller ausübt. Diese Auffassung war auf die proletarische Revolution übertragen und durch die vielen Jahre des gewerkschaftlichen und parlamentarischen Kampfes verstärkt worden. Durch das Verständnis der Änderung der Periode und der neuen proletarischen Praktiken, die daraus entstanden, konnten die Fragen der Gewerkschaften und des Parlamentarismus gestellt werden. Überall da, wo radikale Kämpfe stattfanden, wurden die Gewerkschaften von Streikkomitees verdrängt. Meistens, wie in Deutschland oder Großbritannien, stellten sich die Gewerkschaften offen gegen die revolutionäre Bewegung, während die kämpferischen Arbeiter sich von ihnen abwandten. Dennoch ermöglichte die Vielfalt der Erfahrungen und die Tatsache, daß der Prozeß der Einbeziehung der Gewerkschaften in den Staat erst am Anfang standen, es nicht, daß eine klare und umfassende Antwort auf diese Frage gegeben werden konnte. Auch wenn die Möglichkeit einer revolutionären Ausnutzung des Parlaments noch verteidigt wurde, unter anderem auch von den Bolschewiki, wurde die Notwendigkeit, die parlamentarische Frage im Zusammenhang mit der neuen Epoche zu diskutieren, erkannt.
Der wesentliche Beitrag des I. Kongresses der Komintern kann aber nicht auf eine einfache Wiederaneignung des Marxismus reduziert werden. Der Marxismus ist vor allem der Ausdruck der lebendigen Erfahrung des Proletariats und hat nichts mit einer erstarrten Lehre zu tun, die man nur zu bestimmten Zeitpunkten hervorzuholen brauchte. Auf der Grundlage der vergangenen Erfahrungen konnte die Komintern den Marxismus mit neuen Elementen bereichern. Der erste Kongreß der Komintern verdeutlichte das revolutionäre Programm des Proletariats in seiner Gesamtheit, so wie es damals von seinen revolutionären Minderheiten aufgefaßt und formuliert wurde. Durch die großen Kämpfe des Proletariats gibt es immer eine Bereicherung des Programms, auch auf der Ebene grundsätzlicher Fragen. Mit der Pariser Kommune machte das Proletariat die Erfahrung, daß es den bürgerlichen Staat nicht erobern, sondern ihn zerstören muß. Durch die Kämpfe von 1917 konnte es erst verstehen, welche Form seine Diktatur als Klasse annehmen muß: die Macht der Arbeiterräte.
Als Ausdruck der revolutionären Welle, der Möglichkeit und Notwendigkeit der kommunistischen Revolution verdeutlichte der 1. Kongreß eindrücklich die Änderungen der Epoche und die Probleme, die diese Veränderungen für die gesamte Arbeiterklasse mit sich brachten. Aus diesem Grund stellt er einen der wichtigsten Momente in der Geschichte der Arbeiterlasse dar. Heute muß jedes revolutionäre Programm die Errungenschaften der Komintern und insbesondere ihres ersten Kongresses anerkennen. Jedoch genügt es nicht, die von der Komintern entwickelten Positionen vorbehaltlos in ihrer Gesamtheit zu übernehmen. Denn, obwohl die Komintern einen enormen Schritt für die Arbeiterbewegung bedeutet hat, konnte sie angesichts des Rückflusses der proletarischen Bewegung und der Tatsache, daß sie an der Schwelle zwischen zwei Epochen des Kapitalismus gegründet wurde, nicht alle Folgen dieser Analyse herausarbeiten und sich völlig von der alten sozialdemokratischen Auffassung befreien. Die Grundlagen, die die Komintern geschaffen hat, haben es den aus der Komintern hervorgegangen Fraktionen der Kommunistischen Linke ermöglicht, diesen Bruch mit der alten sozialdemokratischen Auffassung vollständig zu vollziehen und zu vertiefen. Das Werk der Kommunistischen Internationale heute fortzusetzen, bedeutet, die theoretischen, programmatischen und organisatorischen Konsequenzen der vom ersten Kongreß entwickelten Analysen vollständig zu ziehen.
(aus "Revolution Internationale", Nr. 64, Zeitung der IKS in Frankreich, Dez. 1979).
Baut etwa eine Aktiengesellschaft oder der Staat eine neue Fabrik, so wird stets die Schaffung neuer Arbeitsplätze als Motiv dafür angegeben. Glaubt man den Behauptungen der Kapitalisten, so geschieht fast alles, was sie tun, im Interesse der Allgemeinheit, insbesondere zugunsten der von ihnen beschäftigten Arbeiter. Mit Ausbeutung und Plusmacherei hat das also nichts zu tun...
Ganz ähnlich tönt ihre unverfrorene Propaganda, wenn es um die Beschäftigung ausländischer Arbeiter in den Industriestaaten des Nordens geht. Dadurch haben nämlich die edlen "Arbeitgeber" Millionen Menschen aus den ärmsten Ländern einen neuen Wohlstand geschenkt, zugleich damit aber auch vielen deutschen Malochern, die "die Drecksarbeit nicht mehr machen wollten", neue Aufstiegsmöglichkeiten eröffnet. So sieht es in der heilen bürgerlichen Märchenwelt aus.
Fast meinen sie, daß es für die Arbeiterschaft aus Osteuropa, den Mittelmeerländern oder aus den 3. Welt-Staaten ein ungeheueres Privileg sein muß, sich hierzulande ausbeuten zu lassen. Und dieses angebliche Privileg macht man den Fremdarbeitern heute wieder zum Vorwurf. Sie werden beschimpft, "Einheimischen" die knappen Arbeitsplätze und den Wohnraum wegzunehmen und dem deutschen Steuerzahler zu Last zu fallen.
Weit entfernt, der kapitalistischen Staatskasse der Industrieländer zur Last zu fallen, holt das Bürgertum der mächtigsten Länder schon seit Jahrzehnten gerade deshalb so gierig Fremdarbeiter zu sich, weil sie in der Regel SO GUT WIE KEINE SOLCHEN KOSTEN VERURSACHEN. Es handelt sich um ein besonderes Privileg der stärksten Fraktionen des Weltkapitals, ihre Kosten dadurch zu senken, daß sie einen Teil der Reproduktionskosten ihrer Arbeitskräfte anderen Ländern überlassen. Man importiert halt erst dann die Arbeiter, wenn sie bereits im arbeitsfähigen Alter sind.
Der ehemalige Chef des Reichsarbeitsamtes Friedrich Syrup urteilte bereits 1918 so:
"Es ist fraglos, daß die deutsche Volkswirtschaft aus der Arbeitskraft der im besten Alter stehenden Ausländer einen hohen Gewinn zieht, wobei das Auswanderungsland die Aufzuchtkosten bis zur Erwerbstätigkeit der Arbeiter übernommen hat. Von noch größerer Bedeutung ist jedoch das Abstoßen oder die verminderte Anwerbung der ausländischen Arbeiter in Zeiten wirtschaftlichen Niederganges."
Diese Vorteile wurden vor allem nach dem 2.Weltkrieg voll ausgeschöpft, da eine niedergeschlagene und durch das Kriegsgemetzel ausgeblutete Arbeiterklasse den Maßnahmen des Kapitals kaum noch widerstehen konnte. Außerdem fielen zwei Drittel der Weltwirtschaft unter die einheitliche Führung der USA, wodurch eine riesige, schier unerschöpfliche internationale Arbeitskraftreserve entstand. Das goldene Zeitalter der 'Gastarbeiter' brach für die Kapitalisten ganz Westeuropas an.
Weit entfernt davon, den einströmenden Arbeitern aus den unterentwickelten Gebieten einen neuen Anfang zu bieten, begegnete das Kapital des Nachkriegseuropas seine 'Gastarbeitern' mit Arbeitserlaubnissen von jeweils nur einem Jahr. Sie konnten quasi jederzeit rausgeschmissen werden, und sie wurden es auch: nicht nur bei Geschäftsflauten, sondern auch so, damit sie bloß nicht anfingen, sich heimisch zu fühlen.
Nicht nur die "Aufzuchtkosten" und das Arbeitslosengeld sparte sich das Kapital damit, sondern auch die Krankenkassen- und Rentenauszahlungen. Zwar durften die "Gäste" kräftig in diese Kassen einzahlen. Aber sie kriegten daraus so gut wie nichts zurück, da sie abgeschoben wurden, sobald sie älter oder krankheitsanfälliger wurden. Es war wohl einer der größten Betrugsfälle der Weltgeschichte - was das Bürgertum natürlich nicht daran hinderte, endlos über die Kosten der Bewirtung der 'Gastarbeiter' zu heulen.
Wie radikal der Staat sich der "Aufzuchtkosten" dieses Teils der Arbeiterklasse entledigte, zeigte die Tatsache auf, daß in der Bundesrepublik Mitte der 60er Jahre über 90% der ausländischen Arbeiter im besten Schaffensalter waren - überwiegend allein stehende Männer. 1961 waren über 80% aller in der BRD lebenden Ausländer erwerbstätig - bei der deutschen Bevölkerung 47%. Im Klartext: es waren so gut wie keine Kinder oder Rentner dabei.
Genauso wie die Staatskasse belasteten die Fremdarbeiter damals den heimischen Arbeits- und Wohnungsmarkt. Bei der Rezession 1967 etwa wurden 400.000 davon gleich hinausgeworfen. Arbeiter in Betriebsunterkünften verloren mit ihrem Job direkt auch das Dach überm Kopf und mußten damit auch schon vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gehen.
1962 wohnten zwei Drittel der neuangeworbenen Fremdarbeiter in Gemeinschaftsunterkünften. Andere wohnten in denselben Baracken, die seit den 30er Jahren der Reihe nach, von Reichsarbeitsdienstkolonnen, Zwangsarbeitern, 'Displaced Persons' und Vertriebenen bevölkert wurden. Damals wimmelte es sogar in der bürgerlichen Presse von Berichten über die empörende Wohnlage der Ausländer, die stark an die Berichte erinnern, die Marx im 'Kapital' über die Situation des Englands der industriellen Revolution zitierte. Ein damaliger Bericht aus Düsseldorf :
"Ein paar Straßen weiter befindet sich das zweite Ziel der Razzia, eine Baracke... Hundert Südländer führen hier ein trauriges Dasein... übereinander und eng zusammengerückt stehen die Betten: alle Männer liegen schon, obwohl es gerade erst halb Neun ist. Aber was sollen sie in diesem Loch anders anfangen?"
Die Erstellung von Wohnräumen war der einzige ins Gewicht fallende Kostenfaktor der superbiligen 'Gastarbeiter' für die Unternehmer. Natürlich waren sie nicht bereit dafür aufzukommen.
Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre bahnte sich folgendes an : die Gastarbeiter richteten sich häuslich ein, holten ihre Familien nach, und bekamen auch immer längere Aufenthaltserlaubnisse. Es war ein ganz normaler Prozess. Ein Teil dieser Arbeiter ist für das westeuropäische, japanische usw. Kapital einfach unentbehrlich geworden. Die Unternehmer selber sträubten sich dagegen, immer wieder neue Leute einarbeiten zu müssen, während die bereits eingeübten heimgeschickt wurden - zu kostspielig; Produktionsabläufe kamen durcheinander. Außerdem war etwas anderes, von enormer Bedeutung passiert - in ganz Westeuropa beteiligten sich die 'ausländischen' Arbeiter voll und ganz an der mächtigen Flut von Arbeiterkämpfen zwischen 1968-72, die das Ende der kapitalistischen Konterrevolution und der Friedhofsruhe im Klassenkampf signalisierte. Das Kapital konnte sich gegenüber der Arbeiterklasse, egal welcher Herkunft, nicht mehr einfach alles erlauben.
Dies alles bedeutet aber, daß das heimische Kapital auch für diese Arbeiter die stinknormalen Reproduktionskosten übernehmen mußte. Das Gejammer war natürlich groß.
"Der nicht integrierte, auf sehr niedrigem Lebensstandard vegetierende Gastarbeiter verursacht relativ geringe Kosten von vielleicht 30.000 DM. Bei Vollintegration muß jedoch eine Inanspruchnahme der Infrastruktur von 150.000 bis 200.000 DM je Arbeitnehmer angesetzt werden. Hier beginnen die politischen Aspekte des Gastarbeiterproblems".
('Mehr Auslandsinvestitionen - weniger Gastarbeiter', Handelsblatt 23.01.1971)
Da waren sie wieder, die schrecklichen "Aufzuchtkosten"! Aber auch jetzt kam das Kapital nur zum Teil dafür auf. Zusätzliche Wohnungen für die hinzuziehenden Familien der seit Jahren besonders profitabel ausgebeuteten "Südländer" wurden beispielsweise gar nicht gebaut. Stattdessen gibt man heute den Ausländern die Schuld an der Wohnungsnot.
Obwohl damals die große Zeit der 'Gastarbeiter' mit dem Aufflammen der Krise am Ende des Nachkriegswiederaufbaus zu Ende ging (die Ausländeranzahl dagegen ging nicht zurück, weil die Frauen und Kinder jetzt hinzukamen), verzichtete das Bürgertum nicht auf die alte Beschimpfung 'Gastarbeiter' ("die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland"), um damit zu versuchen, die Absonderung verschiedener Teile der Arbeiterklasse voneinander aufrechtzuerhalten, und um die Möglichkeit zu behalten, einen Teil dieser Arbeiter doch noch hinauszuwerfen - was unter Schmidt Mitte der 70er Jahre auch im großen Stil geschah.
Außerdem verzichtet das Kapital der Industriestaaten auch in Krisenzeiten nicht auf die Vorteile, bereits "aufgezüchtete" Arbeiter aus anderen Ländern zu holen. Die Aussiedler und Asylanten sind heute in dieser Hinsicht das, was die 'Gastarbeiter' der Nachkriegsjahre waren.
Also: Nicht die 'Gastarbeiter', Aussiedler und Asylanten nehmen 'uns' Wohnraum und Arbeitsplätze weg - sondern das Kapital. Dieses verfaulende System ist immer weniger imstande, Arbeitern (egal welcher Herkunft) überhaupt solche minimalen Lebensgrundlagen zur Verfügung zu stellen.
Falkenhayn
PS: Das für diese Nummer versprochene Kapitel über die internationale Auswanderung von Arbeitern heute im Vergleich zum vorigen Jahrhundert erscheint stattdessen in der nächsten Ausgabe.
In der letzten Nr. von WR veröffentlichten wir einen Artikel anläßlich des 70. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen (oder auch III). Internationalen. Die Gründung der KI im Jahre 1919 stellte einen gewaltigen Schritt vorwärts für die Weltarbeiterklasse dar, und ihr Tod in den Händen des Stalinismus weniger als ein Jahrzehnt später war der Ausdruck einer Niederlage, deren Auswirkungen zum Teil noch bis heute zu spüren sind. Denn seit dieser Zeit verfügt die Arbeiterklasse nicht mehr über ihr grundlegendes Element für ihre Befreiung: die Kommunistische Weltpartei der kommunistischen Revolution.
Aber ein anderer Jahrestag wurde neulich ebenfalls von einer politischen Kraft gefeiert, die sich auf eine Kontinuität mit den frühen Jahren der KI beruft, und die ebenso darauf besteht, daß die III. Internationale in der 1938 von Trotzki gegründeten IV. Internationale einen würdigen Nachfolger gefunden habe. Die verschiedenen trotzkistischen Gruppen mögen heute wutentbrannt darüber streiten, ob diese IV. Internationale noch lebt oder nicht, ob sie reformiert werden kann wiederaufgebaut werden muß; aber alle wollen sie als die wirklichen Erben der 1938'er Internationale und deren grundsätzlichen politischen Positionen angesehen werden.
Die Argumente als solche sind von geringem Interesse für die Arbeiterklasse. Aber weil die Trotzkisten bei der Sabotage des Klassenkampfes eine wachsende Rolle spielen, und weil ihr Ruf, ihre Glaubwürdigkeit als "Revolutionäre" und "Internationalisten" sich gerade auf ihren Anspruch stützt, daß sie die wirkliche Kontinuität mit der revolutionären Bewegung der Vergangenheit darstellen, müssen wir auf das wirkliche Wesen der IV. Internationale zu sprechen kommen, um die tatsächliche Rolle der Trotzkisten heute aufzuzeigen.
Die Gründung der IV. Internationale wurde auf Trotzkis Initiative hin ein Jahr vor dem Ausbruch des 2. Weltkriegs beschlossen. Innerhalb der trotzkistischen Strömung sprachen nur wenige Gruppen oder Elemente gegen diese Entscheidung - z.B. die österreichischen RKD, die mit dem Trotzkismus im Verlaufe des Krieges brachen und sich auf die Positionen der Kommunistischen Linken hinbewegten.
Die damaligen kleinen trotzkistischen Gruppen, von denen viele noch sozialdemokratischen Parteien angehörten und in ihnen die Taktik der "Unterwanderung" praktizierten, erklärten, daß es sich um eine "revolutionäre" Periode handele, und daß deshalb die Gründung einer neuen Internationale nötig sei. Diese Erklärung war sowohl abenteuerlich als auch rein voluntaristisch, d.h. reines Wunschdenken. Zu behaupten, indem man sich einfach Partei und Internationale nenne, mache man die Revolution möglich, hieß in Wirklichkeit, daß Trotzki und seine Anhänger die tatsächlichen damaligen Verhältnisse vollkommen außer Acht ließen. Damals steckte die Arbeiterbewegung in einem absoluten Tiefpunkt. Um Victor Serges Ausdruck zu verwenden, "es war Mitternacht im Jahrhundert". Nach dem Scheitern der revolutionären Welle von 1917-23 hatte die Konterrevolution überall auf die brutalste Art gesiegt, und das Bewußtsein der Arbeiterklasse entwickelte sich zurück. Das Proletariat war durch die Nazis und den Stalinismus physisch besiegt, und ideologisch war es durch die Unterstützung des Anti-Faschismus und die Volksfronten geschlagen, die ja eine direkte Vorbereitung für den Weltkrieg waren.
Nur einige wenige revolutionäre Kerne, insbesondere die Italienische und Belgische Fraktion der Internationalen Kommunistischen Linken begriffen die Aufgaben, welche infolge des Siegs der Konterrevolution auf sie zukamen: die Bilanz der vorangegangenen revolutionären Welle zu ziehen und die zukünftigen revolutionären Kämpfe durch die Konsolidierung der kommunistischen Fraktionen vorzubereiten. Aber sie verstanden, daß auf dem Hintergrund der zunehmenden Kriegsvorbereitungen die Aussichten auf eine Revolution immer schlechter wurden, und daß die Gründung einer neuen Internationale nur ins Auge gefaßt werden konnte, wenn es zu einem neuen revolutionären Aufschwung der Kämpfe kommen würde.
Die IV. Internationale war nicht nur ein voluntaristischer Bluff. Sie stand in vollständigem Gegensatz zu den Arbeiterinternationalen der Vergangenheit.
In der Geschichte des proletarischen Klassenkampfes wurden die wirklichen Internationalen immer auf der Grundlage einer politischen und organisatorischen Entwicklung der Arbeiterbewegung gegründet, die allemal eine aufwärtsstrebende Entwicklung des Klassenkampfes selber widerspiegelten. Die Internationale Arbeiterassoziation (IAA) oder auch I. Internationale genannt (1864-1872) war das Ergebnis einer Entwicklung der Arbeiterbewegung, die in der Pariser Kommune 1871 gipfelte. Die Niederschlagung der Kommune und das sich daraus ergebende Auseinanderbrechen der Internationale führten zu ihrer praktischen Auflösung 1872. Die Bildung eines mächtigen Industrieproletariats in Nord- und Mitteleuropa nach dem französisch-preußischen Krieg von 1870 und die tumultartige Entwicklung des Klassenkampfes 1880 waren die Grundlage für die Gründung der II. Internationale 1889. Und wiederum brach die Internationale an einem Tiefpunkt der Arbeiterbewegung zusammen: die Zustimmung für die Kriegskredite durch die größten Parteien im August 1914.
Die III. Internationale war das direkte Ergebnis des Oktoberaufstandes und der internationalen revolutionären Welle von Kämpfen, die danach stattfanden. Dies wiederum ermöglichte es den revolutionären Elementen von damals, mit den Parteien der II. Internationale zu brechen und wirklich kommunistische Parteien zu gründen. In all diesen Fällen war die neue Internationale sowohl eine Fortsetzung und ein neuer Schritt vorwärts gegenüber der vorherigen.
Abgesehen von ihrem tief greifenden Irrtum bei der Einschätzung der historischen Periode wurde die IV. Internationale auf ganz falschen politischen Positionen gegründet. Mit dem "Übergangsprogramm" übernahm sie all die schlimmsten Verirrungen der entartenden Komintern: "Arbeiterregierung" und "Einheitsfronten" mit der Sozialdemokratie, parlamentarische und Gewerkschaftspolitik. Ihr Programm war ein verwirrtes Durcheinander von revolutionären Forderungen wie der "Bewaffnung der Arbeiter" und reformistischen Forderungen wie die "Arbeiterkontrolle über die Produktion", Verstaatlichungen, öffentliche Arbeiten, gleitende Lohnskala usw... Zu einer Zeit, als es nicht mehr darum ging, dem System Reformen abzugewinnen, sondern es zu zerstören, weil es dekadent geworden war, propagierten die Trotzkisten einen "Übergangsweg" zum Sozialismus mit Hilfe solcher leerer Formeln. In vollständigem Gegensatz zu der III. Internationalen von 1919 besteht das Programm von 1938 auf der Notwendigkeit der Zerstörung des kapitalistischen Staats und der Diktatur des Proletariats mittels der Arbeiterräte.
Die trotzkistische Strömung hatte ihren Ursprung in dem proletarischen Widerstand gegen die stalinistische Konterrevolution. Aber ihre Unfähigkeit, eine tiefgreifende, konsequente Kritik am Stalinismus durchzuführen, sollte fatale Konsequenzen nach sich ziehen. Zu Anfang der 30er Jahre waren sie eine opportunistische Strömung innerhalb der revolutionären Bewegung gewesen, zu Anfang des neuen Jahrzehnts waren sie zu offenen Agenten der Konterrevolution geworden.
Obgleich sie behauptete, die Verbrechen des Stalinismus zu entblößen, machte sich die IV.Internationale von Anfang an zum Verteidiger des konterrevolutionären Regimes in Rußland. Das gesamte Programm Trotzkis und seiner Anhänger fußte auf der "Verteidigung der UdSSR", die sie immer noch ungeachtet ihres Verfalls als einen "Arbeiterstaat" betrachteten. In der Praxis konnte dies nur die Verteidigung der kapitalistischen Ausbeutung innerhalb Rußlands bedeuten, und damit auch die Verteidigung des russischen Imperialismus in dem bevorstehenden Weltkrieg. Der Trotzkismus schickte sich somit an, sich einem der Kriegslager des Kapitals direkt anzuschließen.
Eine andere ideologische Erklärung für diesen entscheidenden Schritt war die Unterstützung der Trotzkisten für die "Demokratie", für die Volksfronten und den anti-faschistischen Kreuzzug. Ihre Verteidigung des russischen Imperialismus ging somit logischerweise Hand in Hand mit der Verteidigung des "demokratischen" Imperialismus während des Krieges. Selbst vor 1939 hatten die Trotzkisten mit dieser Politik die Spanische Republik gegen Franco unterstützt. Trotzki selber hatte seinen Anhängern geraten, die "besten Soldaten" in diesem Krieg zwischen Republikanern und den anti-faschistischen Fraktionen der herrschenden Klasse zu sein. Die Unterstützung der Trotzkisten für Haile Selasses in dem italienisch-abessinischen Krieg von 1935 und das Eintreten für China gegen Japan 1937 waren weitere Schritte bei der vollständigen Aufgabe des Internationalismus. Und als Trotzki 1939 forderte, daß die amerikanischen Arbeiter zu den "besten Soldaten der Demokratie" werden sollten, als er einen sogenannten "Arbeiterpatriotismus" erfand und über die Möglichkeit einer Kriegsmobilisierung unter "Gewerkschaftskontrolle" spekulierte, war die Integration der Trotzkisten in das Lager des Kapitalismus schon vollständig vollzogen.
Der 2. Weltkrieg bewies, daß der von den Trotzkisten proklamierte Internationalismus eine reine Lüge war. Von einigen seltenen Ausnahmen abgesehen - wie den österreichischen RKD und der Gruppe um Munis in Mexiko - handelten die Gruppen der IV. Internationale als "kritische" Unterstützer des Krieges, des Nationalismus und des Staatskapitalismus. 1940 trat die POI (Parti Ouvrier Internationaliste - Internationalistische Arbeiterpartei) in Frankreich offen für die französische "Nation" und das "Vaterland" ein, dabei stützte sie sich auf eine nationalistische Sprache, die die Gaullisten im Vergleich dazu als blaß erschienen ließ. Die POI ist der Vorläufer der heutigen Ligue Communiste Revolutionnaire (LCR- Revolutionäre Kommunistische Liga) - der französischen Sektion der Tendenz um Mandel, die immer noch behauptet, die IV. Internationale zu sein. Andere trotzkistische Gruppen wie Lutte Ouvriere erinnern manchmal die LCR an diese dubiosen Vorfahren, aber sie verschweigen, daß ihre eigenen Vorfahren die gleiche kriegs-unterstützende, arbeiterfeindliche Haltung hatten. So beschrieb die Union Communiste Internationaliste, die Vorfahren von Lutte Ouvriere, den Vormarsch der Roten Armee in Europa enthusiastisch als das Voranschreiten des Sozialismus. Andere Trotzkisten gingen sogar noch weiter, indem sie in der patriotischen "Resistance" neben den Stalinisten und Gaullisten kämpften. In GB stellten sich die Vorfahren aller heute bestehenden trotzkistischen Gruppen, die Revolutionäre Sozialistische Liga und die Internationale Arbeiterliga, hinter Trotzkis Aufruf für die Unterstützung der antifaschistischen Kriegsbemühungen "unter Arbeiterkontrolle".
Soweit zum "Internationalismus" der IV. Internationale während des Kriegs, der ganz im Gegensatz stand zu dem Schlachtruf der Bolschewiki während des I. Weltkriegs, und auf den die Komintern sich bei ihrer Gründung stützte: "Umwandlung des imperialistischen Kriegs in einen Bürgerkrieg".
Die ganze Geschichte der IV. Internationale seit 1945, mit all ihren Spaltungen und ihrem Auseinanderbrechen, beweist nur, daß die Teilnahme der Trotzkisten am 2. Weltkrieg deren endgültigen Übergang in das Lager der Bourgeoisie verdeutlichte. Um nur einige Beispiele zu zitieren, und die Liste ist sehr lang:
- "bedingungslose" Unterstützung der UdSSR und des Ostblocks; Verteidigung des "selbstverwalteten Sozialismus" in Titos Jugoslawien. So wurde die Verteidigung der kapitalistischen Ausbeutung in Rußland jetzt auf eine ganze Reihe von Regimes ausgeweitet, die alle als "entartete Arbeiterstaaten" bezeichnet wurden, in denen der Kapitalismus angeblich umgestürzt worden sei;
- Unterstützung der nationalen Bourgeoisie der "3. Welt" im Namen des "Kampfes gegen den Imperialismus". Normalerweise bedeutete dies die Unterstützung der "nationalen Befreiungsbewegungen", welche vom russischen Imperialismus bewaffnet wurden, aber es kann auch die Länder mit einbeziehen, die vom US-Imperialismus unterstützt werden, wie im Falle der Socialist Workers Party in GB, die den russischen Abzug aus Afghanistan begrüßte.
- direkte Teilnahme an bürgerlichen Regierungen wie im Falle der LSSP in Ceylon 1964, oder als 1962 einer der Führer der IV. Internationale, Michel Raptis, auch Pablo genannt, zu einem hohen Führungstier im algerischen Staat unter Ben Bella gemacht wurde.
All die internen Streitigkeiten unter den trotzkistischen Gruppen, all die Argumente über die Frage, wer der wirkliche Erbe von 1938 ist, sind nur eine Rauchwolke, hinter der die Tatsache verborgen werden soll, daß die Bewegung als Ganzes in den Dienst des Kapitals getreten ist.
Die Trotzkisten mögen ihre IV.Internationale feiern oder von einer besseren träumen. Diese "Internationale" war nie die Fortsetzung der I.,II. und III. Internationale. Ihre ganze Geschichte ist die der Verwerfung des Internationalismus und der Verbrüderung der Arbeiter.
Eine wirkliche Internationale, die in tatsächlicher Kontinuität zu den früheren Internationalen steht, wird nur aus der Bewegung der internationalen Arbeiterklasse selber hervorgehen. Und eine ihrer Vorbedingungen wird die politische Zerstörung der trotzkistischen Strömung sein, die seit mehr als einem halben Jahrhundert zu den gefährlichsten und heimtückischsten Verteidigern der kapitalistischen Gesellschaft gehört.
CH. (aus Revolution Internationale und World Revolution, Zeitungen der IKS in Frankreich und GB).
"Sowenig die kapitalistische Produktion sich auf die Naturschätze und Produktivkräfte der gemäßigten Zonen beschränken kann,...sowenig kann sie mit der Arbeitskraft der weißen Rasse allein auskommen". (Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals, Ges. Werke, Bd. 5, 2. Teil, S. 311)
Laut der verlogenen bürgerlichen Propaganda ist der Weltmarkt für Arbeitskraft (und damit das sog. "Ausländerproblem") dadurch entstanden, daß die "fleißigen" Europäer, Nord-Amerikaner und Japaner ihre Länder so reich gemacht haben, daß alle anderen Völker "bei uns" wohnen wollen, um sich einen Teil "unseres Wohlstands" zu erschleichen.
In Wirklichkeit aber ist dieser Reichtum der bürgerlichen Schmarotzer das Ergebnis jahrhundertelanger Ausbeutung nicht nur der Arbeiterklasse der Metropolen sondern der Arbeiter der Bevölkerung aller Erdteile. Weit entfernt davon, das Resultat der Habgier der "rückständigen Völker" nach europäischem Luxus zu sein, ist der Weltmarkt für Arbeitskraft entstanden mittels rücksichtsloser Gewalt der kapitalistischen Staaten, da die Menschen aller Kontinente regelrecht gezwungen werden mußten, ihre Heimat zu verlassen und für das Kapital zu schuften.
Die gewaltsame Enteignung der Bauern in Europa des ausgehenden Mittelalters und ihre Vertreibung in die Städte als Lohnarbeiter (die 'ursprüngliche Akkumulation', die Marx anhand Englands des 16. Jahrhunderts so eindrucksvoll im Kapital Bd. I beschrieb), wurde von Anfang an durch eine blutige Arbeitskraftmobilisierung außerhalb Europas begleitet. Es begann mit der Sklavenarbeit der indianischen Wanderarbeiter ganz Amerikas in den Bergwerken, wodurch Europa damals mit Gold und Silber überflutet wurde. Allein durch das Fördern und Verarbeiten der Silbererze starben binnen 300 Jahren 8 Mio. Eingeborene. Die Bevölkerung Mexikos z.B. fiel von 1518 25 Mio. auf 1605 1 Mio. infolge von Überarbeitung und Massakern.
Als im 18. Jahrhundert die landwirtschaftliche Plantagenproduktion für den Weltmarkt in den Kolonien aufkam, organisierten die europäischen Kapitalisten dafür die wohl größte Zwangsmigration von Arbeitskräften aller Zeiten. Weit über 50 Mio. Menschen wurden aus Afrika geraubt, und als Sklaven in die USA, Brasilien und die Karibik verkauft. GB z.B. bezog dank der dortigen Sklavenarbeit damals viermal soviel Einkommen aus dem Handel mit den westindischen Inseln als aus dem Handel mit der gesamten übrigen Welt.
"Die direkte Sklaverei ist der Angelpunkt unserer heutigen Industrie ebenso wie die Maschinen, der Kredit etc. Ohne Sklaverei keine Baumwolle; ohne Baumwolle keine moderne Industrie. Erst die Sklaverei hat den Kolonien ihren Wert gegeben, erst die Kolonien haben den Welthandel geschaffen, der Welthandel ist die notwendige Bedingung der maschinellen Großindustrie". (Marx, MEW, Bd. 27, S. 458).
Die Sklaverei wurde nicht abgeschafft, weil die Kapitalisten humaner wurden, sondern weil in den USA die Lohnarbeit produktiver war; weil im 19. Jahrhundert die Kolonisierung Afrikas einsetzte (so daß die schwarzen Arbeitskräfte dort benötigt wurden), und weil eine neue, billigere Arbeit der Halbsklaverei aufkam: das Kuli-System. Die zwangsweise Verschleppung von Arbeitskräften in der ganzen Welt im Interesse des Kapitals ging also weiter.
Während in Afrika massiv Zwangs- und Wanderarbeit angewandt wurde (allein in Belgisch-Kongo starben dadurch in den 20 Jahren nach 1885 8 Mio. Menschen), wurden zwischen 1830-1930 aus Indien, China, Java, Japan über 30 Mio. Kulis durch Gewalt, List und die Ausnutzung von Hungersnöten nach den USA, Australien und die europäischen Kolonien verfrachtet. Die vorsätzliche Zerstörung z.B. der landwirtschaftlichen Kanalisationssyteme Indiens sowie die aufgezwungene Opiumeinfuhr nach China durch die europäische Kapitalistenklasse halfen, die Arbeitskräfte dieser Länder "freizusetzen".
Diese weitgehend unbekannte, weil verschwiegene Geschichte der Entstehung des Weltarbeitsmarkts zeigt die wirkliche Quelle des heutigen sog. "Ausländerproblems". Vier Jahrhunderte lang fußten die kapitalistischen Arbeitskräftewanderungen teils vorwiegend, teils ausschließlich auf brutalstem Zwang sowie auf der Vernichtung der wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen der Einwohner von 3 Kontinenten. (1) Aber auch "eigene" europäische Arbeitskräfte wurden zwangsverfrachtet, um neue Gebiete zu erschließen (z.B. die Sträflingsarbeit in Australien oder Sibirien).
Weit davon entfernt, über den vom kapitalistischen Europa bescherten "Wohlstand" begeistert zu sein, begingen z.B. die schwarzen Sklaven und die asiatischen Kulis zu Tausenden Massenselbsttötungen.
Glaubt man der bürgerlichen Propaganda, so sollte man meinen, der Weltarbeitsmarkt sei im "fortschrittlichen 20. Jahrhundert" weniger barbarisch und gewaltsam als zuvor. Aber das Gegenteil trifft zu. Daß Formen des Sklavenhandels und der Kuliarbeit bis tief in unser Jahrhundert hinein fortdauerten, daß die Reste der Staatssklaverei in den niederländischen Kolonien erst 1941 abgeschafft wurden (1 Jahr nach der Besetzung des "demokratischen" Hollands durch die faschistische deutsche Wehrmacht), daß es in den Weltkriegen in Deutschland, Japan usw. sowie jahrzehntelang in der UdSSR wieder millionenfache Verschleppungen und Sklavenarbeit gegeben hat, ist dabei nicht mal die Hauptsache.
Die Entstehung des Weltarbeitsmarkts zwischen 1500 - 1900, so unbeschreiblich brutal sie auch war, fand im Rahmen einer mächtigen ENTWICKLUNG der Produktivkräfte statt. Die gewaltsamen Arbeitskräftewanderungen ermöglichten die Ernährung einer unglaublich schnell sich entwickelnden städtischen Bevölkerung, die Entstehung der Industriegesellschaft, die Entwicklung einer kapitalistischen Infrastruktur (Eisenbahnen, Suez- und Panama-Kanäle usw.). Mehr noch: die millionenfache Auswanderung von Europa vor allem nach den USA und von der Ost- zur Westküste Nordamerikas, schufen durch die steten Exporte der Arbeitslosen (Reservearmee) die notwendigen günstigen Entwicklungsbedingungen in den Industriezentren für eine Arbeiterbewegung, die sich von dem Schrecken der "ursprünglichen Akkumulation" erholte und nacheinander drei Internationalen gründete.
Die letzten Endes fortschrittliche Rolle des Weltarbeitsmarktes bis 1900 (trotz alledem!) sowie seine zerstörerische Natur seitdem verdeutlicht sich anhand der demographischen Entwicklung. Zwischen 1750 und 1900 kämpften die Kolonialherren in den Kolonien ständig mit dem Problem des Arbeitskräftemangels, weil die dortigen vorkapitalistischen Strukturen, worin die Einheimischen eingebunden waren, kaum Arbeitskräfteüberschuß produzierten. In Europa dagegen fand wegen verbesserter landwirtschaftlicher, industrieller, medizinischer Methoden eine Bevölkerungsexplosion statt, wobei die Menschenüberschüsse von dort in die neue Welt produktiv exportiert werden konnten. Und insgesamt ging die Arbeitskraftwanderung hin zu Gebieten, die kapitalistisch noch zu entwickeln waren.
Von 1900 bis heute ist das genau umgekehrt. Die Auflösung der vorkapitalistischen Strukturen, ohne daß eine echte kapitalistische Entwicklung stattfindet, stellt die Bevölkerungsmehrheit der "peripheren" Länder außerhalb des Produktionsprozesses. Die Regelung der Geburtenrate versagt, die Fortpflanzung erscheint oft als einzige Überlebensmöglichkeit der Familieneinheiten. Diese BEVÖLKERUNGSEXPLOSION entspringt nicht mehr einer Entwicklung, sondern dem Ausbleiben dieser Entwicklung. In den Industriestaaten dagegen geht die Geburtenrate stetig zurück, weil die reine Lohnarbeit bei höchster Produktivität und Ausbeutung eine höhere Geburtenrate nicht mehr zuläßt. Der Arbeitskräftestrom ist jetzt umgekehrt: von den unterentwickelten, hin zu den entwickelten Gebieten, was offenbar unsinnig ist.
Aber die Gebiete mit niedriger Geburtenrate können diesen Überschuß nicht aufnehmen, weil sie aufgrund der permanenten Massenarbeitslosigkeit trotzdem selber einen eigenen Arbeitskräfteüberschuß produzieren. Das Hauptmerkmal der Weltwirtschaft ist nicht mehr Entwicklung sondern Zerstörung.
Deshalb werden die Industriestaaten infolge von zerstörerischen Kriegen für fremde Arbeitskräfte am aufnahmefähigsten: Kriegsgefangene in Deutschland, oder kriegsbedingte Arbeitereinwanderungen aus Mexiko in den USA im 2. Weltkrieg und im Koreakrieg, Wiederaufbau und Arbeitsmarktaufstockung nach 1945. Diese Arbeitermigration erfordert keinen Sklavenhandel mehr. Infolge von Hungersnöten, Katastrophen, Kriegen usw. geht das von ganz allein. Vielmehr übt der bürgerliche Staat Gewalt aus, um diese Arbeiterwanderung zu verhindern, oder gar rückgängig zu machen (wie 1983, als über 2 Mio. Gastarbeiter aus Nigeria gewaltsam vertrieben wurden).
Der dekadente Kapitalismus produziert stets ein zuviel an Menschen, die, was vom Standpunkt des Kapitals aus gesehen, überflüssig sind und gar nicht schnell genug verrecken können. Die Hungersnöte der Peripherie sowie die Massenarbeitslosigkeit der Industriestaaten sind Zeugen dieser aller fatalsten Überproduktion. Die Barbarei, die der Weltkapitalismus erzeugt hat, soll jetzt gegen die Arbeiterklasse eingesetzt werden, indem wir in einheimische und ausländische Konkurrenten gespalten werden. Aber die Arbeiter aller Länder haben ein gemeinsames Interesse, die Reichtümer dieser Erde, die wir seit Generationen gezwungenermaßen in aller Welt unter schlimmster Ausbeutung gemeinsam erarbeitet haben, auch gemeinsam durch die Zerschlagung des Kapitalismus anzueignen. Und gerade die Arbeiter der Industriestaaten (die Hauptzielscheibe der jetzigen chauvinistischen Spaltungspropaganda) tragen hierbei eine besondere Verantwortung.
"Nur aus Europa, nur aus den ältesten, kapitalistischen Ländern kann, wenn die Stunde reif ist, das Signal zur menschenbefreienden, sozialen Revolution ausgehen... Nur sie können, wenn die Zeit kommt, für die jahrhundertealten Verbrechen des Kapitalismus an allen primitiven Völkern, für sein Vernichtungswerk auf dem Erdenrund Rechenschaft fordern und Vergeltung üben" (R. Luxemburg, Juniusbroschüre, Ges. Werke, Bd. 4, S. 162).
Groener, Aug. 1989
(1) "... also gerade den ständigen Übergang der Arbeitskräfte aus nicht-kapitalistischen Verhältnissen in kapitalistische, also Ausscheidungsprodukt nicht der kapitalistischen, sondern vor-kapitalistischer Produktionsweise in dem fortschreitenden Prozeß ihres Zusammenbruchs und ihrer Auflösung" (R. Luxemburg, "Die Akkumulation des Kapitals", GW Bd. 5, S. 311).
(2) Wertvolle Dokumentation zu diesem Thema: "Weltmarkt für Arbeitskraft", Lydia Potts.