Die Ende September 2009 anstehende Bundestagswahl in Deutschland ist für die herrschende Klasse von besonderer Bedeutung. Die Bedeutung dieses Wahlgangs liegt nicht in der Frage, welche Parteienkoalition als Sieger daraus hervorgeht. Wer auch immer die neue Bundesregierung stellt, es wird eine Regierung des Kapitals sein. Dies träfe übrigens für eine Regierung mit Beteiligung der Linkspartei ebenfalls zu, wie die eifrige „Sparpolitik“ auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung unter einer rot-roten Koalition in Berlin oder in Mecklenburg-Vorpommern längst zu Genüge bewiesen hat. Nein, die Bedeutung dieser Wahl für das Kapital liegt vielmehr darin, dass die neue Regierung sich eine demokratische Legitimierung einholt für noch nie da gewesene Angriffe auf die Arbeiterklasse, welche aufgrund der dramatischen Zuspitzung der Weltwirtschaftskrise dringlich geworden sind.
Die von den Regierenden selbst geschürten Illusionen, denen zufolge den Lohnabhängigen durch sozialstaatliche Mittel wie die Kurzarbeit die schlimmsten Folgen der kapitalistischen Krisenzuspitzung erspart bleiben könnten, werden spätestens nach dem 27. September zerplatzen. Zum einem weil die schlimmsten unmittelbaren Konsequenzen der derzeitigen Finanzkrise noch bevorstehen. Beispielsweise weil nach der Zeit der „Abwrackprämie“ der Einbruch in der Automobilkonjunktur erst richtig zum Tragen kommen wird. Beispielsweise weil die Rechnung für die momentane Hochkonjunktur der Kurzarbeit präsentiert wird in Form eines Rekorddefizits der Bundesagentur für Arbeit. Zum anderen weil die Bevölkerung zur Kasse gebeten wird für die diversen „Rettungspakete“, welche geschnürt wurden und werden, nicht um „Arbeitsplätze“ sondern um das Finanzsystem, Großkonzerne oder den „Standort Deutschland“ zu retten. Die derzeitigen Wahlkampfdebatten darüber, ob die Steuern gesenkt oder angehoben, ob die Renten per Gesetz gesichert und von der Lohnentwicklung abgekoppelt werden können oder nicht, ob dieser oder jener Großkonzern gerettet oder einem „ordentlichen Konkursverfahren“ zugeführt werden sollte, ob man mehr in die Kinderbetreuung oder in erneuerbare Energien investieren sollte, sollen uns nur Sand in die Augen streuen. Es mögen diese oder jene Steuern gesenkt oder gar abgeschafft werden, nicht aber die Steuern, welche die arbeitende Bevölkerung zu schultern hat. Man braucht kein Hellseher zu sein um schon jetzt sagen zu können, dass unabhängig von dem Wahlausgang die Steuerlast der Lohnabhängigen drastisch angehoben wird. Gleiches gilt für die Abgaben für die Arbeitslosen- und für die Kranken- und für die Rentenversicherung. Zugleich aber werden die Leistungen abermals drastisch gekürzt werden. Die Demontage der kapitalistischen Wohlfahrt wird in neue Dimensionen vorstoßen. Und das, obwohl die Erwerbslosigkeit und die Massenverarmung Ausmaße annehmen werden, welche man seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 in den Industriestaaten nicht mehr erlebt hat. Was die allseits geforderten Zukunftsinvestitionen, etwa in Bildung, betrifft, so zeigt die derzeitige Entwicklung in einem Land wie Lettland, was auch in den alten Kernländern des Weltkapitalismus allmählich zu erwarten ist. Dort sind die Löhne der Lehrkräfte um die Hälfte gekürzt worden, während in Irland Zehntausende Stellen im Erziehungswesen gestrichen werden sollen.
Steht von all dem nichts in den Wahlkampfprogrammen der Parteien? Das gehört zum Wesen der bürgerlichen Demokratie. Im Gegensatz zu den offen diktatorischen Formen der Kapitalherrschaft wie dem Faschismus, im Gegensatz auch zu Einparteienherrschaftssystemen wie dem Stalinismus, welche sich „sozialistisch“ nennen, stützt sich die bürgerliche Demokratie auf einen Schein der pluralistischen Auswahl und auf den Betrug üppiger Wahlversprechen. Dabei ist die Zeit nach der Wahl der privilegierte Moment, um besonders brutal die Interessen des Kapitals durchzusetzen. Die Illusion der Volkssouveränität entpuppt sich als Waffe gegen „das Volk“, nach dem Motto: Ihr habt eure Regierung selbst gewählt! Aber noch nie in der gesamten Nachkriegsgeschichte war dieses Argument für die Legitimierung der bürgerlichen Gesellschaft so wichtig wie heute!
Gleichwohl: Heute äußern sich führende Vertreter des Kapitalismus öffentlich besorgt um die Aufrechterhaltung der Glaubwürdigkeit dieses politischen Systems. Von Seiten des Bundespräsidenten, der Medien, der Kirchen und ähnlichen Würdenträgern tadelt man die politischen Parteien dafür, dass sie die Unwahrheit sagen und Versprechungen machen, die sie niemals werden halten können. Allein dieser Betrug gehört zum Wesen des Systems – nicht weniger als etwa zur kapitalistischen Werbung dazu. Man stelle sich vor, eine Firma würde sich auf das Wagnis einlassen, mit ehrlichen Mitteln für sich zu werben... In bescheidenen Maßen hat die jetzige Kanzlerin Angela Merkel sich vor vier Jahren auf ein solches Abenteuer eingelassen. Wenige Monate vor der letzten Bundestagswahl vor vier Jahren stand sie mit ihrem Wunschkoalitionspartner FDP in den Umfragen so weit vor ihrem Herausforderer Gerhard Schröder, dass sie glaubte, sich den Luxus leisten zu können, zumindest ansatzweise durchschimmern zu lassen, welche unbeliebten Maßnahmen sie zu ergreifen dachte, um den „Wirtschaftsstandort“ flott halten zu können. Das Ergebnis: sie wurde durch ihre Herausforderer fast noch eingeholt und musste am Ende doch noch mit der SPD koalieren.
Die politische Sorge von Angela Merkel damals, von Bundespräsident Horst Köhler und anderen heute war und ist nicht unberechtigt. Sie lautet etwa wie folgt: Mit der Zuspitzung der kapitalistischen Krise wird die Kluft zwischen dem, was vor den Wahlen versprochen, und dem, was tatsächlich folgt, immer gravierender. Wird diese Kluft allzu groß, so kann dies die demokratische Legitimierung, welche der Wahlgang erzeugen soll, langfristig untergraben. Mit anderen Worten: die Leute würden sich nicht mehr demokratisch vertreten, sondern nur noch demokratisch verarscht fühlen. So hat die dramatische Verschärfung der Wirtschaftskrise zu einem zumindest in diesem Ausmaß neuen Phänomen geführt: Das Auftreten von scheinbar außerhalb des “Parteiengezanks“ stehenden, aber genauso gut zum Wahlzirkus dazu gehörenden Mahnern, welche Ehrlichkeit preisen und davor warnen, den Versprechen der Parteien zu sehr Glauben zu schenken.
Aber nicht nur die wachsende Kluft zwischen Wahlversprechen und Wahlfolgen macht der herrschenden Klasse heute Sorgen, wenn es um die Legitimierung der kommenden, verschärften Generalangriffe gegen die Arbeiterklasse geht. Sie machen sich ebensolche Sorgen um die Wahlbeteiligung. Denn eine niedrige Wahlbeteiligung würde dem Argument, dass schließlich die Mehrheit des Volkes die Regierung gewählt hat, welche nun bittere Medizin zu verordnen sich gezwungen sieht, vieles an Glaubwürdigkeit rauben. Daher schon jetzt der Chor der Stimmen, welcher das Wahlvolk zur „Wahrnehmung des Wahlrechts“ aufruft, ja ermahnt. Es klingt nicht nur so, sondern es ist auch so gemeint: Egal für wen, Hauptsache man geht wählen.
Hierin liegt auch einer der Gründe, weshalb die Ermahnungen der Kapitalistenklasse momentan vor allem die Parteien treffen, welche sich ausmalen, die künftige Bundesregierung stellen zu können, nämlich die Christdemokraten und die Liberalen. Die Kritik an den unhaltbaren Wahlversprechen richtet sich unübersehbar in erster Linie an CDU/CSU. An den Liberalen wird eine sehr materielle Art der „Kritik“ indessen geübt. Mitten im Wahlkampf verhängte der Bundestag eine empfindliche Milliardenstrafe gegen die FDP aufgrund von längst vergangenen Machenschaften aus der Zeit von Jürgen Möllemann, welche die Wahlkampfkasse der Liberalen schmerzlich treffen wird. Dieses dezente Eingreifen des Staates zu Lasten der Liberalen dient vor allem dem Versuch, den „Wahlkampf“ spannender zu gestalten. Denn nach 11 Jahren an der Regierung hat das Image der Sozialdemokratie als Vertreter des „kleinen Mannes“ erheblich gelitten. Außerdem wirkt der Kanzlerkandidat der SPD Frank-Walter Steinmeier deutlich farbloser als der Vollblutpolitiker Schröder. Der wahlpolitische Niedergang der SPD – die erfahrenste Partei der deutschen Bourgeoisie – stellt an sich schon ein Problem für die herrschende Klasse dar. Es gilt, ein zu großes Wahldebakel für die Sozialdemokratie abzuwenden. Hinzu kommt aber, dass die Schwäche der SPD nun dem Wahlzirkus seine „Spannung“ zu berauben droht, falls die Opposition von vorne rein als chancenlos gilt.
Union und FDP stehen in den Umfragen momentan so gut da, dass man glauben könnte, Merkel und Westerwelle seien die Wunschkandidaten des deutschen Kapitals bei diesen Wahlen. Tatsächlich brächte ein solcher Wahlausgang einige nicht zu unterschätzende Vorteile für die herrschende Klasse mit sich – nicht zuletzt die Möglichkeit für die SPD, sich in der Opposition wahlpolitisch und ideologisch zu regenerieren. Ein Trugschluss wäre es hingegen, aus der momentanen Stärke der Konservativen zu schließen, dass eine linke Regierung grundsätzlich den Interessen der Kapitalistenklasse weniger dienlich wäre. Dies würde bedeuten zu vergessen, dass es Rot-Grün war, welche mit der Agenda 2010 Maßstäbe gesetzt hat in Sachen Angriffe gegen die Arbeiterklasse. Außerdem war es Rot-Grün, welche damals, gegenüber dem Jugoslawienkrieg der NATO den militärischen Auslandseinsatz des deutschen Imperialismus wieder salonfähig machte. Die Große Koalition unter Merkel und Steinmeier hat in den letzten vier Jahren nichts anderes getan, als diese Errungenschaft ihrer Vorgänger Schröder und Fischer auszubauen. In diesem Sinne hat die deutsche Bourgeoisie heute nicht nur ideologische, sondern handfeste machtpolitische Interessen daran, die Linke nicht zu schwach werden zu lassen. Es ist sogar so, dass bedeutende Fraktionen des deutschen Imperialismus heute noch mehr Vertrauen in eine von der SPD mitgetragene Regierung hätten als in eine ohne sozialdemokratische Beteiligung.
Ein Hauptgrund liegt daran, dass vor allem die Schrödergruppe innerhalb der SPD eine strategische Vision hochhält, welche diese Fraktionen teilen. Es ist die Vision einer kontinentaleuropäischen industriellen Allianz um die Achse Berlin - Moskau. Diese Option hat für manche sogar an Anziehungskraft gewonnen, seitdem mit der jetzigen Finanzkrise immer mehr Stimmen der deutschen Bourgeoisie – aus ihrer Sicht – vor der Gefahr warnen, dass die USA versucht und auch in der Lage sein könnten, die schlimmsten Folgen der Krise auf ihre Hauptkonkurrenten abzuwälzen. Derzeit tobt hinter den Kulissen ein machpolitisches Ringen, insbesondere um die Zukunft des Opelkonzerns. Die SPD, die IG Metall und der Opel-Betriebsrat wollen unbedingt, dass Opel von dem kanadisch-österreichischen Autozulieferer Magna übernommen wird. Was in der Öffentlichkeit heruntergespielt wird, ist, dass Magna mit nur 15%, die russische Sberbank hingegen mit 30% beteiligt werden soll. Der Wirtschaftsminister zu Guttenberg (CSU) sowie andere Kräfte innerhalb der Union versuchen unterdessen, andere Optionen offen zu halten, während die amerikanische Seite (GM, die Obama-Administration) sich dagegen sträubt, Opel an die Russen zu verkaufen. Indessen hat die Sozialdemokratie nicht nur im Fall Opel ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, die um ihre Existenz bangenden Beschäftigten zu manipulieren und zu missbrauchen, um ihre Vision einer kapitalistischen Industrieallianz gegen Amerika (und gegen China) voranzubringen. So im Falle der von der Schließung bedrohten Ostseewerften, welche laut SPD und IG Metall durch die russische Gazprom bzw. durch Aufträge aus Russland „gerettet“ werden sollen. Im Übrigen wäre die Linkspartei als Nachfolgepartei der DDR Einheitspartei SED irgendwann ein aussichtsreicher Mitträger einer solchen imperialistischen deutschen „Ostpolitik“.
Man sieht also: Nicht nur der Wahlzirkus, sondern auch die „Rettungsmobilisierungen“ der kapitalistischen Linken dienen nur der Täuschung und dem politischen Missbrauch der Lohnabhängigen sowie dazu, sie von dem eigenständigen Kampf um ihre ureigenen Klasseninteressen wegzulenken. 17.07.09
In der Aktivitätenresolution der IKS, die durch den Kongress angenommen wurde, schrieben wir:
„Die Beschleunigung der historischen Lage, wie sie in der Geschichte der Arbeiterbewegung noch nie vorgekommen ist, ist durch das Zusammentreffen der beiden folgenden Dimensionen gekennzeichnet:
- die Ausweitung der ernsthaftesten offenen Wirtschaftskrise in der Geschichte des Kapitalismus, verbunden mit der Zuspitzung der imperialistischen Spannungen und seit 2003 einem langsamen, aber sich ausweitenden Voranschreiten der Reifung in der Arbeiterklasse, sowohl in der Tiefe als auch in der Breite;
- und die Entfaltung einer internationalistischen Milieus, die vor allem in den Ländern der Peripherie des Kapitalismus spürbar ist.
Diese Beschleunigung erhöht noch die politische Verantwortung der IKS, stellte noch höhere Anforderungen an sie hinsichtlich der theoretischen/politischen Analyse und der Intervention im Klassenkampf und gegenüber den Leuten, die auf der Suche sind (…)“.
Die Bilanz, die wir nach dem 18. internationalen Kongress unserer Organisation ziehen können, misst sich also an ihrer Fähigkeit, dieser Verantwortung gerecht zu werden.
Für eine wirkliche und ernsthafte kommunistische Organisation ist es immer heikel, lauthals zu verkünden, dass diese oder jene Aktion ein Erfolg gewesen sei. Dies aus verschiedenen Gründen.
Zunächst einmal deshalb, weil sich die Frage, ob eine Organisation, die für die kommunistische Revolution kämpft, ihrer Verantwortung gewachsen ist, nicht kurzfristig beurteilen lässt, sondern nur auf lange Sicht, denn obwohl eine solche Organisation ständig in der geschichtlichen Realität der Gegenwart verankert ist, besteht ihre Rolle meistens nicht darin, diese unmittelbare Realität zu beeinflussen, mindestens nicht im großen Stil, sondern die zukünftigen Ereignisse vorzubereiten.
Zweitens aber auch deshalb, weil bei den Mitgliedern einer kommunistischen Organisation immer die Gefahr besteht, die „Dinge zu beschönigen“, überaus nachlässig zu sein gegenüber den Schwächen eines Kollektivs, für dessen Existenz sie sich hingeben, ihre ganze Energie einsetzen und das sie dauernd gegen Angriffe verteidigen müssen, die von den offenen und versteckten Verteidigern der kapitalistischen Gesellschaft gegen es geführt werden.
Im Bewusstsein dieser Gefahr, sich Illusionen zu machen, und mit der nötigen Vorsicht, die sich daraus ergibt, scheuen wir uns nicht zu behaupten, dass der 18. Kongress der IKS sich auf der Höhe der Anforderungen befand, wie sie weiter oben erwähnt worden sind, und dass er die Voraussetzungen geschaffen hat, damit wir unsere Aktivitäten auf diesem Weg fortsetzen können.
Wir können hier nicht über alle Faktoren, die diese Behauptung stützen, Rechenschaft ablegen[i]. Wir heben hier nur die wichtigsten hervor:
- die Tatsache, dass der Kongress mit der Ratifizierung der Integration zweier neuer territorialer Sektionen der IKS eröffnet werden konnte, nämlich der Sektionen auf den Philippinen und in der Türkei;
- die Anwesenheit von vier Gruppen des proletarischen Milieus;
- die Politik der Öffnung unserer Organisation gegenüber außen, welche namentlich durch diese Teilnahme anderer Gruppen veranschaulicht wird;
- der Wille unserer Organisation, sich mit möglichst großer Klarheit mit den Schwierigkeiten und Schwächen zu beschäftigen, die wir überwinden müssen;
- die brüderliche und begeisterte Stimmung, von der die Arbeiten des Kongresses getragen waren.
Unsere Presse hat bereits darüber berichtet, dass auf den Philippinen und in der Türkei zwei neue Sektionen der IKS entstanden sind (der Kongress war zuständig dafür, die Integrationen, die das Zentralorgan unserer Organisation im Januar 2009 beschlossen hat, zu bestätigen)[ii]. Wie wir bei dieser Gelegenheit festgehalten hatten: „Die Integration dieser beiden neuen Sektionen in unsere Organisation erweitert somit beträchtlich die geographische Ausdehnung der IKS.“ Wir hoben auch die beiden folgenden Tatsachen bezüglich dieser Integrationen hervor:
- Sie beruhten nicht auf einer Hauruck-„Rekrutierung“ (welche Mode ist bei den Trotzkisten und leider auch bei gewissen Gruppen des proletarischen Lagers), sondern waren das Ergebnis, wie dies bei der IKS üblich ist, einer Arbeit mit Vertiefungsdiskussionen während mehrerer Jahre mit den Genossen von EKS in der Türkei und Internasyonalismo auf den Philippinen, eines Prozesses, über den wir in unserer Presse Zeugnis ablegten;
- sie widerlegten den Vorwurf des „Eurozentrismus“, der oft gegen unsere Organisationen erhoben wird.
Die Aufnahme von zwei neuen Sektionen ist nicht etwas Alltägliches für unsere Organisation. Die letzte Integration geht ins Jahr 1995 zurück, als die Schweizer Sektion aufgenommen wurde. Das heißt, dass die Ankunft dieser beiden neuen Sektionen (die auf die Bildung eines Kerns in Brasilien 2007 folgte) von der Gesamtheit der Mitglieder als ein sehr wichtiges und positives Ereignis empfunden wurde. Sie bestätigt einerseits die Analyse, die unsere Organisation seit einigen Jahren über das neue, in der gegenwärtigen historischen Situation angelegte Potential zur Entwicklung des Klassenbewusstseins macht, andererseits die Gültigkeit der Politik, die wir gegenüber den Gruppen und Einzelpersonen führen, die sich den revolutionären Positionen zuwenden. Dies gilt umso mehr, als am Kongress Delegationen von vier Gruppen des internationalistischen Milieus anwesend waren.
In der Bilanz, die wir über den vorangegangenen Kongress der IKS zogen, unterstrichen wir, wie wichtig die (nach Jahrzehnten wieder erstmalige) Anwesenheit von vier Gruppen des internationalistischen Milieus war, die aus Brasilien, Südkorea, den Philippinen und der Türkei kamen. Dieses Mal waren wieder vier Gruppen dieses Milieus anwesend. Doch war dies nicht Ausdruck eines Stillstandes, denn zwei der Gruppen, die am letzten Kongress als Gäste dabei waren, sind seither Sektionen der IKS geworden, und wir haben das Vergnügen gehabt, zwei neue Gruppen zu empfangen: eine zweite Gruppe aus Korea und eine Gruppe aus Zentralamerika (Nicaragua und Costa Rica), die LECO (Liga por la emancipación de la clase obrera), die auch schon am „Treffen von internationalistischen Kommunisten“[iii] teilgenommen hatte, das in diesem Frühjahr in Lateinamerika auf Anregung der IKS und der OPOP stattgefunden hatte, der internationalistischen Gruppe in Brasilien, mit der unsere Organisation schon seit mehreren Jahren brüderliche und sehr positive Beziehungen unterhält. Noch weitere Gruppen, die an diesem Treffen in Lateinamerika teilgenommen hatten, waren ebenfalls zum Kongress eingeladen worden, konnten aber keine Delegation schicken, da Europa sich je länger je mehr in eine Festung gegenüber Personen verwandelt, die nicht zum sehr kleinen und geschlossenen Kreis der „reichen Länder“ gehören.
Die Anwesenheit von Gruppen des internationalistischen Milieus war ein sehr wichtiger Faktor für den Erfolg des Kongresses und insbesondere auch für die Stimmung bei den Diskussionen. Diese Genossen gingen mit den Mitgliedern unserer Organisation sehr herzlich um, warfen Fragen auf, insbesondere zur Wirtschaftskrise und zum Klassenkampf, die für uns und unsere internen Debatten ungewohnt waren und somit die Reflexion in der ganzen Organisation nur anregen konnten.
Schließlich stellte die Teilnahme dieser Genossen ein zusätzliches Element bei der Politik der Öffnung dar, die sich die IKS seit einigen Jahren als Ziel vorgenommen hat - einer Öffnung gegenüber den anderen proletarischen Gruppen, aber auch gegenüber Leuten, die sich kommunistischen Positionen annähern. Eine Öffnung auch unserer Sorgen und Reflexionen, namentlich hinsichtlich der Forschung und der Entdeckungen auf wissenschaftlichem Gebiet[iv], die sich konkretisiert hat in der Einladung eines Mitgliedes der Wissenschaftszunft zu einer Sitzung des Kongresses.
Um auf unsere Weise das „Darwin-Jahr“ zu begehen und einer in unserer Organisation stattfindenden Entwicklung des Interesses für wissenschaftliche Fragen Rechnung zu tragen, fragten wird einen Forscher, der sich auf das Thema der Entstehung der Sprache spezialisiert hat (und Autor einen Werks mit dem Titel Aux origines du langage ist), ob er auf dem Kongress eine Einführung in seine Arbeiten mache, die natürlich auf der Darwinschen Methode beruhen. Die neuen Ideen Jean-Louis Dessalles’[v] auf dem Gebiet der Sprache, zu ihrer Rolle bei der Entwicklung der gesellschaftlichen Beziehungen und der Solidarität in der Gattung Mensch, stehen in Zusammenhang mit den Ideen und Diskussionen, die in unserer Organisation zu Themen wie Ethik oder Debattenkultur geführt werden. Auf die Einführung dieses Forschers folgte eine Debatte, die wir gezwungen waren, vorzeitig zu einem Ende zu bringen (da wir unter dem Druck der Tagesordnung standen), die aber ohne weiteres noch Stunden hätte dauern können - so stark war die Leidenschaft, in welche sich die meisten Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Kongresses durch die aufgeworfenen Fragen versetzen ließen.
Wir möchten hier Jean-Louis Dessalles noch einmal für diese Teilnahme danken, der - obwohl keineswegs einig mit unseren politischen Ideen - sehr herzlich und unter Hingabe eines Teils seiner Zeit dazu beigetragen hat, die Reflexion in unserer Organisation zu bereichern. Wir möchten ebenfalls die freundliche und angenehme Art seiner Antworten hervorheben, die er auf die Fragen und Einwände der IKS-Mitglieder gab.
Die Arbeit des Kongresses drehte sich um die klassischen Punkte einer solchen Tagung:
- die Analyse der internationalen Lage;
- die Tätigkeiten und das Leben unserer Organisation.
Die Resolution zur internationalen Lage ist eine Art Zusammenfassung der Diskussionen am Kongress über die Einschätzung der aktuellen Weltlage. Sie kann natürlich nicht auf alle Aspekte eingehen, die in den Diskussionen aufgeworfen wurden (nicht einmal all diejenigen, die in den Berichten im Vorfeld des Kongresses auftauchten). Sie verfolgt die folgenden drei Hauptziele:
- die wirklichen Ursachen und Konsequenzen der gegenwärtigen und bisher absolut einzigartigen Wirtschaftskrise des kapitalistischen Systems zu begreifen angesichts aller Verschleierungen, welche die Verteidiger des Systems unablässig kolportieren;
- die Auswirkungen der Machtergreifung in den USA durch den Demokraten Barack Obama auf die imperialistischen Auseinandersetzungen zu verstehen, der angekündigt wurde als einer, der etwas Neues zu diesen Konflikten zu sagen habe und Hoffnung auf eine Abschwächung derselben wecken soll;
- die Perspektiven für den Klassenkampf vorzuschlagen, insbesondere unter den neuen Bedingungen der brutalen Angriffe, die das Proletariat aufgrund der Gewalt der Wirtschaftskrise zu erleiden begonnen hat.
Was den ersten Aspekt betrifft, das Verständnis der Konsequenzen der gegenwärtigen Krise des Kapitalismus, so gilt es vor allem folgende Aspekte zu unterstreichen:
„(…) die gegenwärtige Krise (ist) die schlimmste seit der großen Depression, welche 1929 einsetzte. (…) Auch wenn das kapitalistische System nicht wie ein Kartenhaus zusammenstürzen wird (…), bleibt die Perspektive die eines immer stärkeren Versinkens in der historischen Sackgasse und der Vorbereitung von noch größeren Erschütterungen als jene, die wir heute erleben.“
Betreffend die „neue Tatsache“, die durch Wahl Obamas geschaffen wurde, nimmt die Resolution, wie folgt, Stellung:
„Somit ist die Perspektive, vor der die Welt nach der Wahl von Obama zum Präsidenten der größten Weltmacht steht, nicht grundsätzlich verschieden von der Lage, die bis heute vorgeherrscht hat: Fortsetzung der Konfrontationen zwischen erst- und zweitrangigen Imperialisten, Fortdauer der Kriegsbarbarei mit immer tragischeren Folgen für die direkt betroffene Bevölkerung (Hungersnöte, Epidemie, Flüchtlingsströme).“
Schließlich versucht die Resolution hinsichtlich der Perspektive des Klassenkampfes die Auswirkungen der brutalen Verschlimmerung der kapitalistischen Krise einzuschätzen, wie dies auch die Genossen am Kongress getan haben:
„Die gegenwärtige Zuspitzung der Krise des Kapitalismus bildet ein wichtiges Element in der Entwicklung der Kämpfe der Arbeiterklasse. (…) Damit reifen die Bedingungen für eine mögliche Entfaltung der Einsicht in den Reihen des Proletariates, dass der Kapitalismus überwunden werden muss. Doch es genügt nicht, wenn die Arbeiterklasse feststellt, dass der Kapitalismus in einer Sackgasse steckt und einer anderen Gesellschaft Platz machen sollte, damit sie in die Lage versetzt wird, sich eine revolutionäre Perspektive zu geben. Es braucht auch die Überzeugung, dass eine solche Perspektive möglich ist und dass die Arbeiterklasse die Kraft hat, sie umzusetzen. (…) Damit das Bewusstsein über die Möglichkeit der kommunistischen Revolution in der Arbeiterklasse wirklich an Boden gewinnen kann, muss diese Vertrauen in ihre eigenen Kräfte gewinnen, und dies geschieht in massenhaften Kämpfen. Der gewaltige Angriff, der schon jetzt auf Weltebene gegen sie geführt wird, müsste eine objektive Grundlage für solche Kämpfe darstellen.“
Was die Diskussionen über die Aktivitäten und das Leben der IKS betrifft, zog der Kongress für die maßgebende Zeit eine positive Bilanz, wenn auch Schwächen blieben, die es zu überwinden gilt:
„Die Bilanz der Aktivitäten der letzten zwei Jahre zeigt die politische Vitalität der IKS, ihre Fähigkeit, mit der geschichtlichen Situation in Tuchfühlung zu sein, sich zu öffnen, eine aktive Rolle bei der Entwicklung des Klassenbewusstseins zu spielen, ihren Willen, sich für Initiativen einer gemeinsamen Arbeit mit anderen revolutionären Kräften zu engagieren. (…) Auf der Ebene des internen Organisationslebens ist die Bilanz der Tätigkeiten auch positiv trotz wirklicher Schwächen, die insbesondere auf der Ebene des Organisationsgewebes und in geringerem Ausmaß bei der Zentralisierung weiter bestehen“ (Aktivitätenresolution der IKS).
Nicht zuletzt mit der Absicht, diese Schwierigkeiten zu überwinden, stellte der Kongress auch eine Diskussion über einen allgemeineren Text zur Zentralisierung auf die Tagesordnung. Diese Diskussion war nicht nur nützlich, um die kommunistische Auffassung über dieses Thema bei der alten Garde aufzufrischen und zu präzisieren, sondern erwies sich auch als überaus wichtig für die neuen Genossen und Genossinnen und die neuen Sektionen, die kürzlich in die IKS aufgenommen wurden.
In der Tat war ein Wesenszug des 18. Kongresses der IKS die Teilnahme einer beträchtlichen Anzahl „neuer Köpfe“, was alle „Alten“ mit einer gewissen Überraschung feststellten, wobei bei den Neuen die junge Generation besonders vertreten war.
Dass die Jugend an diesem Kongress so stark auftrat, machte einen wichtigen Teil der Dynamik und der Begeisterung in seinem Verlauf aus. Ganz anders als die bürgerlichen Medien betreibt die IKS keinen „Kult der Jugend“; doch die Ankunft einer neuen Generation von Mitgliedern in unserer Organisation ist höchst bedeutungsvoll für die Perspektive der proletarischen Revolution. Einerseits stellt sie - wie bei einem Eisberg - den „sichtbaren Teil“ eines tiefer greifenden Prozesses der Bewusstseinsreifung in der Arbeiterklasse dar. Andererseits schafft sie die Bedingungen für die Ablösung der kommunistischen Kräfte. Auch wenn die „alten“ Mitglieder der IKS ihre ganze Überzeugung und ihr Engagement beibehalten, so wird es doch an dieser neuen Generation liegen, einen entscheidenden Beitrag zu den zukünftigen revolutionären Kämpfen des Proletariats zu leisten.
IKS (5. Juli)
[i] Eine ausführlichere Version dieses Artikels erscheint in der International Review Nr. 138 (engl./frz./span. Ausgabe) und auf unserer Webseite.
[ii] Vgl. Ein Willkommensgruß an die neuen Sektionen der IKS in der Türkei und den Philippinen in Weltrevolution Nr. 153 und auf der Webseite.
[iii] Vgl. zu diesem Treffen unseren Artikel Stellungnahme eines Treffens kommunistischer Internationalisten in Lateinamerika in Weltrevolution Nr. 154 und auf unserer Webseite.
[iv] Wie dies schon in verschiedenen Artikeln zum Ausdruck gekommen ist, die wir neulich zu Darwin und zum Darwinismus veröffentlicht haben.
[v] Wer sich ein Bild über diese Reflexionen machen will, kann die Webseite Jean-Louis Dessalles’ besuchen: https://perso.telecom-paristech.fr/jld/ [4]
1) Am 6. März 1991, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Sieg der Koalition im Irak, verkündete der damalige Präsident George Bush vor dem US-Kongress die Schaffung einer "neuen Weltordnung", die sich auf den "Respekt des Völkerrechts" stütze. Diese neue Weltordnung sollte der Welt „Frieden und Wohlstand“ bringen. Das "Ende des Kommunismus" bedeutete den "endgültigen Triumph des liberalen Kapitalismus". Einige, wie der "Philosoph" Francis Fukuyama, sagten gar das "Ende der Geschichte" voraus. Aber die Geschichte, d.h. die wirkliche und nicht die der Propagandareden, hat sehr schnell diesen Schwindel der Scharlatane als lächerlich entblößt. Anstatt Frieden brach im Jahr 1991 dann im Gegenteil der Krieg im ehemaligen Jugoslawien aus, mit Hunderttausenden Toten im Herzen Europas; ein Kontinent, der von dieser Geißel seit mehr als einem halben Jahrhundert verschont worden war. Und die Rezession von 1993, dann der Zusammenbruch der asiatischen "Tiger" und "Drachen" 1997, schließlich die neue Rezession 2002 setzten der durch die "Internetblase" aufgekommenen Euphorie ein Ende und zerkratzten beträchtlich die Illusionen über den von Bush Senior angekündigten "Wohlstand". Aber ein Wesensmerkmal der offiziellen Reden der herrschenden Klasse heute besteht darin, die Reden von gestern in Vergessenheit geraten zu lassen. Zwischen 2003 und 2007 hörte man aus den Reihen der Herrschenden euphorische Töne in den offiziellen Reden. Man feierte den Erfolg des "angelsächsischen Modells", welches exemplarische Profite ermöglichte, beträchtliche Wachstumsraten des BIP und selbst einen bedeutsamen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Man konnte die Triumphe der "liberalen Wirtschaft" und den Nutzen der "Deregulierung" nicht genügend loben. Aber seit dem Sommer 2007 und vor allem seit dem Sommer 2008 ist dieser Optimismus wie Schnee unter der Sonne geschmolzen. Jetzt werden aus den Reden der Herrschenden Begriffe wie "Wohlstand", "Wachstum", "Triumph des Liberalismus" diskret ausgeblendet. Am Tisch des großen Banketts der kapitalistischen Wirtschaft hat sich nun ein Gast niedergelassen, den man glaubte für immer verbannt zu haben: die Krise, das Gespenst einer "neuen weltweiten Depression", ähnlich wie die der 1930er Jahre.
2) Den Reden aller Verantwortlichen der Herrschenden, aller "Wirtschaftsexperten zufolge ", auch der bedingungslosesten Beweihräucherer des Kapitalismus, ist die gegenwärtige Krise die schlimmste seit der großen Depression, welche 1929 einsetzte. Dier OECD meinte: "Die Weltwirtschaft befindet sich inmitten der tiefgreifendsten Rezession, die wir zu unseren Lebzeiten je gesehen haben." (Zwischenbericht März 2009) Einige zögern gar nicht zu erwägen, dass sie noch schlimmer werden wird, und dass der Grund, weshalb ihre Folgen nicht so katastrophal sein werden wie während der 1930er Jahre, darin läge, dass die Führer der Welt aus dieser Erfahrung seitdem gelernt hätten und mittlerweile mit solchen Situationen umgehen könnten. Das werde insbesondere dadurch ersichtlich, dass sie verhindert hätten, dass "jeder für sich handelt". "Obwohl dieser schwere weltweite Konjunkturabschwung von einigen bereits als „Große Rezession“ bezeichnet wurde, sind wir weit davon entfernt, eine Wiederholung der Großen Depression der 1930er Jahre zu erleben, was der Qualität und Intensität der gegenwärtig getroffenen staatlichen Maßnahmen zu verdanken ist. Die Große Depression wurde durch verheerende wirtschaftspolitische Fehler verstärkt, von einer kontraktiven Geldpolitik bis hin zu einer Beggar-thy-Neighbour-Politik in Form einer protektionistischen Handelspolitik und eines Abwertungswettlaufs. Im Gegensatz hierzu hat die gegenwärtige Rezession alles in allem die richtigen Politikreaktionen ausgelöst." (ebenda) (www.oecd.org [5])
Auch wenn alle Teile der Herrschenden die Tragweite der gegenwärtigen Erschütterungen der kapitalistischen Wirtschaft feststellen, sind natürlich deren Erklärungen, die oft voneinander abweichen, unfähig, die wahre Bedeutung dieser Erschütterungen und die Perspektive, die sich daraus für die gesamte Gesellschaft ergibt, zu begreifen. Einigen zufolge ist die "verrückte Finanzwelt" für die großen Schwierigkeiten des Kapitalismus verantwortlich, d.h. die Tatsache, dass sich seit Anfang 2000 eine Reihe von "toxischen Finanzprodukten" entwickelt hat, die eine grenzenlose Krediterweiterung ohne ausreichende Garantien der Zurückzahlung ermöglichte. Andere behaupten, dass der Kapitalismus international unter zu viel "Deregulierung" leide, eine Orientierung, die im Zentrum der "Reagonomics" Anfang der 1980er Jahre stand. Andere wiederum, nämlich insbesondere die Repräsentanten der Linken des Kapitals, beteuern, die eigentliche Wurzel läge in den zu niedrigen Einkommen der Beschäftigten, was diese insbesondere in den entwickeltsten Staaten dazu zwänge, eine Flucht nach vorne in noch mehr Verschuldung anzutreten, um deren elementaren Bedürfnisse zu befriedigen. Aber ungeachtet all der unterschiedlichen Auffassungen liegt ihre Gemeinsamkeit darin zu behaupten, nicht der Kapitalismus als Produktionsform sei die Ursache, sondern diese oder jene Erscheinungsform des Systems. Gerade dieses Ausgangspostulat hindert all diese Interpretationen daran, die wahren Ursachen der gegenwärtigen Krise und das, was auf dem Spiel steht, zu begreifen.
3) In Wirklichkeit kann man nur durch eine globale und historische Sicht der kapitalistischen Produktionsweise begreifen, welche Konsequenzen und Perspektiven sich aus der gegenwärtigen Krise ergeben. Auch wenn dies von allen "Wirtschaftsexperten" vertuscht wird, treten heute die Widersprüche des Kapitalismus offen zutage: die Überproduktionskrise des Systems, seine Unfähigkeit, die Masse der produzierten Waren zu verkaufen. Es gibt keine Überproduktion im Verhältnis zu den wirklichen Bedürfnissen der Menschheit, die noch weit davon entfernt sind, befriedigt zu werden; sondern es gibt Überproduktion im Verhältnis zu den zahlungsfähigen Märkten; das Geld zur Zahlung der Produkte ist nicht vorhanden. Die offiziellen Reden sowie die Maßnahmen, die von den meisten Regierungen ergriffen werden, konzentrieren sich alle auf die Finanzkrise, auf den Bankrott der Banken, aber in Wirklichkeit ist das, was die Kommentatoren die "reale Wirtschaft" nennen (im Gegensatz zur "fiktiven Wirtschaft"), dabei diese Tatsache zu verdeutlichen: Kein Tag vergeht, an dem nicht neue Werksschließungen, Massenentlassungen, Firmenpleiten von Industrieunternehmen angekündigt werden. Die Tatsache, dass General Motors, welches jahrzehntelang das größte Unternehmen der Welt war, sein Überleben nur der massiven Unterstützung des amerikanischen Staates verdankt, während Chrysler sich offiziell zahlungsunfähig erklärte und in die Hände der italienischen Firma Fiat fällt, spricht Bände über die tieferliegenden Probleme der kapitalistischen Wirtschaft. Der Rückgang des Welthandels, der seit dem 2. Weltkrieg zum ersten Mal registriert wurde und von der OECD für 2009 mit -13.2% prognostiziert wird, zeigt die Unfähigkeit der Unternehmen, die entsprechenden Abnehmer für ihre Waren zu finden.
Diese heute offensichtliche Überproduktionskrise ist keine einfache Folge der Finanzkrise, wie uns die meisten "Experten" weiszumachen versuchen. Sie hat ihren Ursprung in den inneren Gesetzen der kapitalistischen Wirtschaft selbst, wie es der Marxismus seit anderthalb Jahrhunderten aufgezeigt hat. Solange die Eroberung der Welt durch die kapitalistischen Metropolen fortdauerte, ermöglichten die neuen Märkte die vorübergehende Überwindung der Überproduktion. Aber sobald diese Eroberungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu Ende gingen, hatten diese Metropolen, insbesondere jene, welche beim Run auf die Kolonien als letzte aufgetaucht war, Deutschland, keine andere Wahl als die Einflussgebiete der Rivalen anzugreifen, wodurch der Erste Weltkrieg ausgelöst wurde, lange bevor die Überproduktionskrise voll zum Ausbruch kam. Diese trat jedoch mit dem Krach von 1929 und der großen Depression der 1930er Jahre voll ans Licht, wodurch die größten kapitalistischen Staaten zu einer Flucht nach vorne in den Krieg und in den 2. Weltkrieg getrieben wurden, welcher den Ersten Weltkrieg hinsichtlich der Massaker und der Barbarei bei weitem übertraf. All die von den Großmächten nach dem 2. Weltkrieg ergriffenen Maßnahmen, insbesondere die Organisierung großer Bereiche der Wirtschaft unter US-Vorherrschaft wie auf der Ebene der Währung (Bretton Woods) und die Einführung neokeynesianischer Maßnahmen durch die Staaten sowie die positiven Auswirkungen der Entkolonisierung hinsichtlich der Märkte ermöglichten dem Weltkapitalismus ca. drei Jahrzehnte lang die Illusionen zu verbreiten, er hätte letztendlich doch seine Widersprüche überwunden. Aber diese Illusion wurde 1974 durch den Ausbruch einer gewaltigen Rezession erschüttert, die sich insbesondere stark in den USA auswirkte. Diese Rezession war nicht der Anfang der großen Schwierigkeiten des Kapitalismus, da ihr schon die Krise von 1967 vorausgegangen war und auch der Dollar und das britische Pfund Sterling schon in der Krise steckten, d.h. zwei Hauptwährungen des Bretton Woods Systems. Schon Ende der 1960er Jahre hatte der Neokeynesianismus sein historisches Scheitern offenbart, wie es seinerzeit die Gruppen, die später die IKS bilden sollten, hervorhoben.
Aber für alle bürgerlichen Kommentatoren und die Mehrheit der Arbeiterklasse läutete das Jahr 1974 den Beginn eines neuen Zeitraums des Kapitalismus nach dem Krieg ein, insbesondere nach dem Wiederauftauchen eines Phänomens, das man in den entwickelten Ländern endgültig gebannt glaubte – die Massenarbeitslosigkeit. Damals beschleunigte sich auch diese Flucht nach vorne in die Verschuldung. Damals standen die Länder der Dritten Welt an der Spitze der meist verschuldeten Staaten; sie stellten eine Zeit lang die « Lokomotive » des Wiederaufschwungs dar. Zu Beginn der 1980er Jahre ging diese Phase zu Ende, als die Schuldenkrise ausbrach, nachdem die Länder der Dritten Welt unfähig waren, ihre Schulden zurückzuzahlen, die eine Zeit lang ermöglicht hatten, als Absatzmarkt für die Produktion der großen Industriestaaten zu dienen. Aber die Flucht in die Verschuldung ging damit nicht zu Ende. Die USA haben die anderen Staaten als « Lokomotive » abgelöst, allerdings zum Preis eines beträchtlichen Anstiegs ihres Handelsbilanzdefizits und vor allem ihres Haushaltsdefizits. Diese Politik konnten sie aufgrund der privilegierten Rolle ihrer nationalen Währung, des Dollars, als Weltleitwährung betreiben. Während der Spruch Reagans zur Liquidierung des Neokeynesianismus lautete: « Der Staat ist nicht die Lösung, er ist das Problem », stellte der amerikanische Staat jedoch aufgrund seiner gewaltigen Haushaltsdefizite die Hauptkraft in der US-Wirtschaft wie auch in der Weltwirtschaft dar. Aber die Politik der « Reagonomics », die zunächst von M. Thatcher in Großbritannien inspiriert worden war, bedeutete im Wesentlichen den Abbau des « Wohlfahrtstaats », d.h. noch nie dagewesene Angriffe gegen die Arbeiterklasse, wodurch die galoppierende Inflation überwunden werden konnte, die den Kapitalismus seit Ende der 1970er Jahre geprägt hatte.
In den 1990er Jahren bildeten die asiatischen « Tiger » und « Drachen » eine der Lokomotiven der Weltwirtschaft ; dort wurden spektakuläre Wachstumszahlen verbucht, allerdings auf Kosten einer beträchtlichen Verschuldung, die 1997 zu großen Erschütterungen führte. Gleichzeitig wurde das « neue » und « demokratische » Russland zahlungsunfähig; es enttäuschte mächtig diejenigen, die « auf das Ende des Kommunismus » gesetzt hatten, um die Weltwirtschaft wieder anzukurbeln. Die « Internetblase » Ende der 1990er Jahre, die in Wirklichkeit eine frenetische Spekulation mit den « High-Tech » Firmen war, löste sich 2001-2002 auf und brachte damit den Traum einer Ankurbelung der Weltwirtschaft durch die Entwicklung neuer Technologien im Bereich Information und Kommunikation zu Ende. So wurde die Verschuldung erneut angefacht, insbesondere mittels einer gewaltigen Aufblähung der Immobilienkredite in vielen Ländern, insbesondere in den USA. Die USA konnten somit die Rolle der « Lokomotive der Weltwirtschaft » spielen, aber zum Preis einer grenzenlosen Verschuldung- insbesondere der amerikanischen Bevölkerung, die sich auf alle möglichen « Finanzprodukte » stützte, welche Risiken der Zahlungsunfähigkeit vermeiden sollten. In Wirklichkeit hat die Streuung der zweifelhaften Kredite keineswegs die Gefahr aus der Welt geschafft, die von ihnen ausgeht, dass sie nämlich als Damoklesschwert über der US-Wirtschaft und der Weltwirtschaft insgesamt hängen. Im Gegenteil, dadurch wurden bei den Vermögen der Banken die « toxischen Aktiva », die den Zusammenbruch von 2007 an auslösten, angehäuft.
4) So ist die Finanzkrise nicht die Wurzel der gegenwärtigen Rezession. Im Gegenteil, die Finanzkrise verdeutlicht nur die Tatsache, dass die Flucht nach vorne in die Verschuldung, welche die Überwindung der Überproduktion ermöglicht hatte, nicht endlos lange fortgesetzt werden kann. Früher oder später rächt sich die « reale Wirtschaft », d.h. was die Grundlagen der Widersprüche des Kapitalismus darstellt – die Überproduktion, die Unfähigkeit der Märkte, die Gesamtheit der produzierten Waren aufzusaugen. Diese Widersprüche treten dann wieder deutlich in Erscheinung.
Deshalb können die Maßnahmen, die auf dem G20 in London im März 2009 beschlossen wurden, nämlich eine Verdoppelung der Reserven des Internationalen Währungsfonds, eine massive Unterstützung der Staaten für das zerbröckelnde Finanzsystem, eine Ermunterung, dass die Staaten eine aktive Ankurbelungspolitik betreiben auf Kosten einer spektakulären Erhöhung der Haushaltsdefizite, auf keinen Fall das grundlegende Problem lösen. Die Flucht in die Verschuldung ist eines der Merkmale der Brutalität der gegenwärtigen Rezession. Die einzige « Lösung », die die herrschende Klasse umsetzen kann, ist eine erneute Flucht in die Verschuldung. Der G20 konnte keine Lösung für die Krise erfinden, ganz einfach, weil es keine Lösung für die Krise gibt. Seine Aufgabe war die Haltung des jeder für sich zu vermeiden, welche in den 1930er Jahren vorgeherrscht hatte. Ebenso wollte er ein wenig Vertrauen in die Träger der Wirtschaft schaffen, wohl wissend, dass das Vertrauen im Kapitalismus ein wesentlicher Faktor für einen zentralen Bestandteil seiner Funktionsweise ist: den Kredit. Diese Tatsache, dass man so stark das Element der « Psychologie » bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen Erschütterungen und gegenüber der materiellen Lage betont hat, verdeutlicht den grundlegend illusorischen Charakter der Maßnahmen, welche der Kapitalismus gegenüber der historischen Krise seiner Wirtschaft ergreifen kann. Auch wenn das kapitalistische System nicht wie ein Kartenhaus zusammenstürzen wird, und auch wenn der Rückgang der Produktion nicht endlos weiter gehen wird, bleibt die Perspektive die eines immer stärkeren Versinkens in der historischen Sackgasse und der Vorbereitung von noch größeren Erschütterungen als jene, die wir heute erleben. Seit mehr als vier Jahrzehnten hat sich die herrschende Klasse als unfähig erwiesen, die Zuspitzung der Krise zu verhindern. Heute ist die Lage viel verheerender als in den 1960er Jahren. Trotz all der Erfahrungen, die sie während all dieser Jahrzehnte gewonnen hat, kann die herrschende Klasse es nicht besser machen, sondern sie wird nur noch viel Schlimmeres anstellen. Insbesondere die neokeynsianischen Maßnahmen, die vom Londoner G20 propagiert wurden (die gar bis zur Verstaatlichung von in Schwierigkeiten geratenen Banken gehen können) haben keine Aussicht darauf, den Kapitalismus irgendwie wieder zu « gesunden », denn der Beginn dieser großen Schwierigkeiten Ende der 1960er Jahre war genau auf das Scheitern dieser neokeynesianischen Maßnahmen zurückzuführen, die nach dem 2. Weltkrieg ergriffen worden waren.
5) Während sie die herrschende Klasse stark überrascht hat, hat die brutale Zuspitzung der kapitalistischen Krise die Revolutionäre keineswegs überrascht. In der Resolution, die von unserem letzten internationalen Kongress noch vor dem Beginn der Panik im Sommer 2007 verabschiedet wurde, schrieben wir : « Schon jetzt lösen die Gewitterwolken, die sich im Immobiliensektor in den Vereinigten Staaten- einer wichtigen Triebkraft der nationalen Ökonomie – mit der Gefahr von katastrophalen Bankenpleiten zusammenbrauen, große Sorgen in den maßgeblichen Wirtschaftskreisen aus » (Punkt 4, Internationale Revue Nr. 40, S. 10)
Dieselbe Resolution verwarf ebenfalls die großen Erwartungen, die das « chinesische Wirtschaftswunder » hervorgerufen hatte: « Somit ist das « chinesische Wunder » und anderer Länder der Dritten Welt weit entfernt davon, einen « frischen Wind » für die kapitalistische Wirtschaft darzustellen. Es ist nichts anderes als eine Variante des niedergehenden Kapitalismus. Darüber hinaus stellt die extreme Exportabhängigkeit der chinesischen Wirtschaft einen empfindlichen Punkt im Falle eines Nachfragerückgangs dar, eines Rückgangs, der unweigerlich kommen wird, insbesondere wenn die amerikanische Wirtschaft gezwungen sein wird, etwas Ordnung in die schwindelerregende Schuldenwirtschaft zu bringen, die es ihr momentan erlaubt, die Rolle der « Lokomotive » der weltweiten Nachfrage zu spielen. So wie das « Wunder » der asiatischen « Tiger » und « Drachen », die durch zweistellige Wachstumsraten geglänzt hatten, 1997 ein schmerzhaftes Ende fand, wird das heutige « chinesische Wunder », auch wenn es andere Ursachen hat und über wesentliche ernsthaftere Trümpfe verfügt, früher oder später unweigerlich in der historischen Sackgasse der kapitalistischen Produktionsweise landen » (Punkt 6, ebenda, S. 11)
Der Rückgang des chinesischen Wachstums und die damit verbundene Explosion der Arbeitslosigkeit sowie die zwangsweise Rückkehr von Dutzenden Millionen Bauern in ihre Dörfer, die in den Industriegürteln schuften mussten, um einer unhaltbaren Armut zu entweichen, bestätigen diese Prognose vollauf.
Die Fähigkeit der IKS, das vorauszusehen, was später eingetreten ist, stellt kein « besonderes Verdienst » unserer Organisation dar. Das einzige « Verdienst » ist unsere Treue gegenüber der marxistischen Methode, der Wille, sie ständig bei der Analyse der Wirklichkeit auf der Welt anzuwenden, der Fähigkeit, uns den Sirenen derjenigen standhaft zu widersetzen, die das « endgültige Scheitern des Marxismus » verkünden.
In Weltrevolution Nr. 148 & 149 haben wir im Sommer 2008 zwei Artikel zu 1968 in Deutschland veröffentlicht, die eingebettet waren in den internationalen und historischen Rahmen. Wir betonten in diesen Artikeln, dass die Proteste, die 1968 international überall Aufsehen erregten, eine sich angestaute Unzufriedenheit zum Ausdruck brachte, die keine bloße Tageserscheinung war, sondern auf eine tiefgreifende Änderung in der Gesellschaft hindeutete.
Auch wenn
diese Auflehnung durch die neu ausgebrochene Wirtschaftskrise geprägt war, war
diese noch nicht ausschlaggebend. Die großen ökonomischen Forderungen blieben
in Deutschland bis 1969 noch im Hintergrund.
Dagegen trat immer mehr Widerstand gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen zum Vorschein. Ob die unglaublich unwürdige Behandlung der „Gastarbeiter“, ob die Lage der Massenarbeiter, ob das kulturelle Elend, all diese Faktoren waren der materielle Hintergrund der Ablehnung der „Wohlstandsgesellschaft“. Die Idee breitete sich in der jüngeren Generation aus, wir wollen den Westen nicht, aber wir wollen auch den Osten nicht, stattdessen brauchen wir einen 'demokratischen Sozialismus’, wie man das damals nannte, oder auch die Räteherrschaft.
Zudem machte sich das Gefühl bemerkbar, dass die bestehenden Institutionen nicht unsere sind. All diese Bewegungen reduzierten sich keinesfalls auf rein wirtschaftliche, sondern warfen viele gesellschaftliche Fragen auf.
Hinter dieser angestauten Unzufriedenheit hatte sich ein Riss im Verhältnis zwischen den gesellschaftlichen Klassen aufgetan. Eine ganze Periode ging zu Ende. Langsam trat eine neue, ungeschlagene Generation in Erscheinung, die den Krieg nicht mitgemacht hatte und jetzt nicht bereit war, die Schufterei der kapitalistischen Tretmühle widerstandslos hinzunehmen. Die Suche nach etwas Anderem, noch Undefinierten, begann. Diese neue Generation, vor allem Studenten und junge Arbeiter an deren Spitze, die nicht mehr von der Konterrevolution geknebelt werden konnte, welche seit den 1920er Jahren gegen die Arbeiterklasse gewütet hatte, wollte eine neue Sichtweise der Welt entfalten.
Während in Frankreich der Massenstreik der Arbeiter ein Gefühl der Solidarität, des Zusammenhaltes der Arbeiter und der Studenten in ihrem Kampf gegen die Regierung hatte aufkommen lassen, waren die Arbeiter in Deutschland im Frühjahr 1968 noch nicht massiv in Erscheinung getreten. Nach der Welle von Protesten gegen das Attentat auf Dutschke im April und den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze im Sommer 68 ebbte die studentisch beherrschte Bewegung ab. Hunderttausende Jugendliche suchten nach einer Kraft, die ihnen einen Anhaltspunkt, eine Orientierung und einen Hebel für die Überwindung dieser Gesellschaft bieten könnte. Während sich ein Teil der Protestierenden gewaltsamen Aktionen zuwandte, und während sich viele, vor allem studentische Politisierte in den Aufbau von linken Organisationen (K-Gruppen) stürzten, um so besser an die „Arbeiter in den Fabriken heranzukommen“, sollten sich viele proletarisierte Protestierende von diesen Reaktionen abwenden und sich gewissermaßen zurückziehen. Es sollte ein Charakteristikum der Entwicklung nach 1968 sein, dass sich die studentische Jugend entweder zurückzog oder große Teile von ihnen in K-Gruppen eingefangen wurden, während sich gleichzeitig in den Betrieben mehr proletarischer Widerstand regte. Mit an der Spitze dieses Widerstands standen junge Beschäftigte und vor allem Lehrlinge.
Im Frühjahr 1969 traten Proteste von Lehrlingen stärker in den Vordergrund. Am 1. Mai 1969 organisierten sich Lehrlinge auf DGB-Kundgebungen in eigenen Blöcken. Am 7. Juni 1969 versammelten sich auf einer Großdemo in Köln ca. 10.000 vor allem jüngere Arbeiter unter dem Motto "Selbstbestimmung und Klassenkampf – statt Mitbestimmung und Gewerkschaftskrampf". Selbst eigene Treffen mit überwiegender Beteiligung von Lehrlingen kamen an verschiedenen Orten zustande, in denen nicht nur über die Lage und Forderungen der Lehrlinge, sondern über die Gesamtlage diskutiert wurde. (1)
Die Proteste der jugendlichen Arbeiter spielten eine vorwärtstreibende Rolle für die Auslösung der Septemberstreiks 1969. Gerade weil die jüngeren Beschäftigten eine oft größere Kampfkraft zeigen sollten und furchtloser und „unbeschwerter“ vorgingen als die älteren Kollegen, wurde es möglich, durch den Klassenkampf ansatzweise die Brücke zu der älteren Generation zu schlagen. Denn wie in früheren Artikeln geschildert, gab es in Deutschland einen besonders ausgeprägten Graben zwischen den Generationen.
Schon ab dem Frühjahr 69 riss die Reihe von kleineren und beschränkten spontanen Arbeitsniederlegungen, die sich alle um Lohnforderungen drehten, nicht mehr ab. Anfang September löste sich eine Streiklawine, die die Hauptindustriezentren in Westdeutschland in Windeseile erfasste. Im Mittelpunkt stand die Stahl- und Metallindustrie.
Nachdem am 2. September 27.000 Stahlkocher von Hoesch-Dortmund spontan für 2 Tage in den Streik traten, legte eine Belegschaft nach der anderen in den großen Werken die Arbeit nieder.
Um das ganze Ausmaß der Streikbewegung zu vermitteln, nennen wir einige der Zentren:
4. - 5. September Rheinstahl – Mülheim/Ruhr mit 2.900 Streikenden,
5. - 6. September 12.000 Streikende bei Mannesmann - Duisburg, 1.000 Streikende bei AEG Mülheim;
5. - 9. September: 3.300 Streikende bei Rheinstahl Gelsenkirchen
Vom 9.-11.September legten 10.000 Bergarbeiter der Ruhrkohle AG die Arbeit nieder.
Auch wenn der Schwerpunkt im Ruhrgebiet lag, wurden Arbeiter in anderen Städten mit in den Kampf gerissen. Am 8.-9. September streikten bei Rheinstahl Brackwede (in der Nähe von Bielefeld) 1.800 Arbeiter, in Sulzbach–Rosenberg traten bei der Maximiliamshütte am 8. September spontan 3.000 Beschäftigte in den Streik, bei den Klöckner-Werken ruhte die Arbeit vom 5.-13. September, während in Bremen und in der Georgsmarienhütte/ Osnabrück jeweils 3.000 – 6.000 Beschäftigte streikten.
Ein anderer Schwerpunkt war das Saarland: hier traten 6.000 Stahlkocher bei den Neunkircher Eisenwerken vom 4.-8. September und 20.000 Bergarbeiter vom 6.-11. September in den Ausstand.
Vom 9. – 19. September folgte die Howaldt Werft in Kiel mit 7.000 Schiffsbauern.
Auch wenn die Lage in Süddeutschland ruhiger blieb, reagierten auch hier Tausende Arbeiter: Bei den Heidelberger Druckmaschinen in Geisslingen legten über 1.000 Beschäftigte am 5. September die Arbeit nieder, und bei Daimler Benz – Sindelfingen kam es zu mehreren Kurzstreiks.
Ob im Ruhrgebiet, wo auch der Funken auf kleinere Betriebe mit nur einigen Hundert Beschäftigten übergesprungen war, oder außerhalb der Großstädte (z.B. Hueck Lippstadt oder die Textilindustrie im Münsterland), oder im öffentlichen Dienst, wo ab Mitte September in einer Reihe von Städten – von Berlin über das Ruhrgebiet bis nach Süddeutschland - jeweils einige Hundert Beschäftigte der Verkehrsbetriebe und der Stadtreinigung streikten, die Welle von Streiks brachte ans Tageslicht, dass die Arbeiterklasse in Deutschland wieder die Stirn bot. Allerdings fällt im Vergleich zu Frankreich auf, dass in Deutschland die Kämpfe zwar politisch in eine ähnliche Richtung stießen, aber noch lange nicht deren Massivität annahmen. Zum Vergleich: im Mai/Juni 1968 streikten in Frankreich 10 Mio. Arbeiter. Die Streikaktionen des September 1969 in Deutschland erfassten ca. 140.000 Arbeiter.
Dennoch: mehr als 140.000 Streikende in mehr als 70 Betrieben hatten bewiesen, dass auch die Arbeiterklasse in Deutschland den gleichen Weg eingeschlagen hatte wie ihre Klassenbrüder weltweit.
Überall erhoben die Arbeiter ähnliche Forderungen: Lohnerhöhungen, Bezahlung der Streiktage, keine Repressalien gegen Streikteilnehmer.
Überall ein ähnlicher Ablauf der Streiks: Arbeiter legten spontan die Arbeit nieder – gegen das Votum der Betriebsräte & Vertrauensleute und der Gewerkschaften.
Bei Hoesch in Dortmund versammelten sich die Arbeiter spontan um einen Werksfeuerwehrwagen mit Lautsprecher und fassten in einer nahezu ständig tagenden Vollversammlung gemeinsam Beschlüsse.
Bei Rheinstahl in Gelsenkirchen aber auch im Saarland zogen die Arbeiter mit Demonstrationszügen durch das Werk und forderten die anderen Beschäftigten zur Niederlegung der Arbeit auf, um dann anschließend in die Stadt zu marschieren. Bei der Ruhrkohle AG endete ein Protestzug spontan vor dem Verwaltungsgebäude.
Die Arbeiter ergriffen jeweils selbst die Initiative, nahmen den Streik selbständig in die Hand und ließen sich nicht hinter die Werkstore einsperren.
An die zuvor jahrelang durch die Konterrevolution begrabene Tradition anknüpfend, standen Ausdehnung und Selbstorganisierung der Streiks, Zusammenkommen zu Demonstrationen, gemeinsame Entscheidungen in Vollversammlungen, die Wahl von Streikkomitees mit abwählbaren Delegierten im Vordergrund.
Überall die gleichen Gegner: In mehreren Städten (Saarbrücken, Osnabrück, Dortmund usw.) zogen die Arbeiter vor die Gewerkschaftshäuser und protestierten gegen deren Politik. So wollten in Dortmund Hunderte von wütenden Stahlkochern in das Gewerkschaftshaus eindringen und deren Dienste für das Kapital anprangern. Als auf Vollversammlungen wie bei Hoesch-Dortmund Arbeiter die Sabotagetaktik der Gewerkschaften entblößten, versuchte der Betriebsrat das Mikrofon abzustellen. “Danach sprach ein DKP-Mitglied und führte aus. Er sei der Meinung, dass jedermann seine Sorgen und Auffassungen am Lautsprecher vortragen könne, aber wir werden von nun an niemanden mehr sprechen lassen, der gegen den Betriebsrat und die Gewerkschaften auftritt.” (zitiert aus “Die Septemberstreiks 1969” des DKP-nahen Pahl-Rugenstein Verlags, S. 61)
In mehreren Betrieben verhandelten die Streikleitungen neben dem Betriebsrat (BR) und den Gewerkschaften mit den Unternehmern, wobei ihnen jeweils der BR und die Gewerkschaften in den Rücken fielen.
Diese Welle von Kämpfen, die sich nach dem September abschwächte, wurde nicht zuletzt eingedämmt durch die Bildung der sozial-liberalen Koalition am 21. Oktober 1969 unter W. Brandt. Denn nachdem die herrschende Klasse anfänglich in Deutschland der aufkommenden Protestbewegung relativ unbeholfen und taktisch wenig klug entgegen getreten war, sie durch ihre provozierende Haltung und ihren schnellen Rückgriff auf Repression viel Öl aufs Feuer gegossen hatte, hatte der eingesetzte Wahlkampf im Herbst 1969 eine den Klassenkampf zähmende Wirkung.
Nach 1969 flachten die Kämpfe zunächst wieder ab, bevor dann im Herbst 1973 eine neue Kampfwelle mehrere Branchen erfasste.
Zwischen 1969-1973 kam es zu einer Reihe von kleinen, wilden Streiks. Einige Beispiele: Bei Enka – Wuppertal streikten im April 1972 die Beschäftigten gegen Arbeitsplatzabbau, sie nahmen direkt Kontakt auf zu den Beschäftigten der gleichen Firma im niederländischen Breda, die auch vor Entlassungen standen. Im Herbst/Winter 1972 legten aus Protest gegen die Kürzung des Weihnachtsgeldes und Zulagenstreichungen bei KHD-Deutz in Köln ca. 5.000 Beschäftigte die Arbeit nieder.
Anfang Februar (30.01.- 13.2.73) traten beim Autozulieferer Hülsbeck und Führt in Velbert (südliches Ruhrgebiet) die Beschäftigten in den Ausstand. Die Beschäftigten machten den Streik publik – Delegationen fuhren in die Bochumer Universität, um dort die Studenten zu aktiver Solidarität aufzufordern; sie verfassten mit Schülern und Studenten gemeinsam Flugblätter. Anfang Februar 1973 (8.2.-10.2.73) traten wieder die Stahlkocher von Hoesch-Dortmund auf den Plan, als sie für eine Lohnerhöhung für alle streikten und die von den Gewerkschaften ausgehandelte Lohnerhöhung als zu niedrig ablehnten. Eine ständige Streikversammlung tagte in der Kantine, auf der immer zwischen 500-1000 Beschäftigte anwesend waren. Gegen den Widerstand der Basis wurde der Streik durch die Vertrauensleute abgewürgt. Die Huf-Kolleg/Innen nahmen direkt mit den Hoesch-Beschäftigten auf.
Ob in Duisburg-Huckingen in Stahlindustrie bei Mannesmann, bei Karmann in Osnabrück, bei Klöckner in Bremen, Pierburg in Neuss, die Liste der wilden Streiks im Jahre 1973 ließe sich lange fortsetzen. Zwischen Januar 1972 und Mitte Juni 73 waren ca. 200.000 Beschäftige an wilden Streiks beteiligt; viele von diesen Streiks richteten sich gegen den von den Gewerkschaften akzeptierten Lohnraub. Im Spätsommer 1973 gipfelte die Streikbewegung, die sich damals auf über 100 Betriebe mit ca. 80.000 Beschäftigten erstreckte, in dem Kampf der Kölner Ford-Arbeiter im August 1973. 300 türkische Arbeiter waren entlassen worden, weil sie zu spät aus dem Urlaub gekommen waren. Zudem wollte die Firma eine Erhöhung der Bandgeschwindigkeiten durchsetzen. Spontan legten mehrere Tausend, hauptsächlich türkische Arbeiter, die Arbeit nieder. Die Forderungen lauteten: 1 DM für alle (ca. 0.50 Euro), Rücknahme der Entlassungen, sechs Wochen bezahlter Urlaub, Verringerung des Arbeitstempos. Die Verhandlungen fanden zwischen Betriebsrat (der als Interessensvertreter der Firma auftrat) und dem Streikkomitee statt. Aber den Streikenden gelang es nicht, die bestehende Spaltung zwischen deutschen und türkischen Arbeitern zu überwinden.
Auch diese Welle von Streiks 1972-73 zeichnete sich wie die von 1969 dadurch aus, dass in vielen Streiks:
- Vollversammlungen gebildet wurden, die meist ständig tagten,
- sich diese dank der Eigeninitiative der Streikenden und den Widerstand der Gewerkschaften entfalteten,
- es zu Konfrontationen zwischen Streikenden und dem Betriebsrat und den Vertrauensleuten kam,
- Versuche der Kontaktaufnahme zu Beschäftigten anderer Betriebe unternommen wurden,
- - das Element der Spaltung zwischen deutschen und ausländischen Arbeiter stark zu spüren war,
- - es die Arbeiter schnell mit polizeilicher und betrieblicher Repression zu tun bekamen.
Dazu darf man den internationalen Kontext nicht vergessen, insbesondere der zeitgleich in Italien stattfindende „heiße Herbst“ von 1969, welche Millionen von Arbeiter in die Kampfhandlung einbezog und der Arbeiterklasse in Deutschland sicherlich Mut machte ebenfalls den Kampf aufzunehmen.
* Auch wenn international gesehen die Arbeiterklasse in Deutschland erst später als beispielsweise die Arbeiter in Frankreich auf den Plan trat und sozusagen im zweiten Glied blieb, hatte das Wiederauftauchen der Arbeiterklasse in dem damaligen Frontstaat – in dem Staat, in welchem die Arbeiterklasse neben den Arbeitern in Russland die verheerendste Niederlage in den 1920er Jahren hatte mit einstecken müssen - das internationale Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit entscheidend mit verlagert. Die Streiks von 1969 trugen wesentlich zum Ende der Konterrevolution bei.
* Auch wenn die verschiedenen Teile der Protestbewegungen (Proteste gegen den Krieg & Rüstung, Studentenproteste, Arbeiterstreiks) nicht miteinander verbunden scheinen, gab es dennoch einen gemeinsamen Nenner zwischen ihnen: eine Ablehnung der Logik dieses Systems. Die in Erscheinung getretene junge Generation war nicht bereit, sich der Ideologie und den Erwartungen der herrschenden Klasse zu unterwerfen. Auch wenn die Bewegungen später von der bürgerlichen Propaganda auf wenige Aspekte reduziert und gegen ihre Träger ausgeschlachtet wurden, darf man nicht aus den Augen verlieren, dass ihr Ausgangspunkt gegen das System gerichtet war.
* Die Bewegung litt damals unter der besonderen Last des „Generationengrabens“. Die sich auflehnende Jugend betrachtete die ältere Generation mit Misstrauen und Verachtung. Heute gibt es viel günstigere Voraussetzungen für einen generationenübergreifenden Zusammenschluss.
* Seinerzeit verloren viele Jugendliche schnell die Hoffnung auf eine neue Gesellschaft, da die Arbeiterklasse damals noch keinen weiterführenden Orientierungspunkt darstellen konnte. Viele Jugendliche wurden damals hauptsächlich von den K-Gruppen vereinnahmt und irregeführt. Heute aber besteht die Gefahr der Perspektivlosigkeit. Denn während die Notwendigkeit einer anderen Gesellschaft als der Kapitalismus von vielen anerkannt wird, sind die wenigsten davon überzeugt, dass diese möglich ist. Von der Überzeugung, dass eine ausbeutungsfreie Gesellschaft nicht nur nötig sondern auch möglich ist, d.h. von der Perspektive der Überwindung dieser Gesellschaft, wird mehr denn je das Schicksal der Kämpfe abhängen.
Zwischen 1945-1969: Der Großteil der Streiks in Deutschland waren kleine, wilde Streiks
1965: 14 spontane Streiks,
1966: 21 spontane Streiks,
1967: 62 spontane Streiks,
1968: 52 spontane Streiks mit ca. 50.000 Beschäftigten,
1969: Streikwelle mit über 150.000 Beschäftigten,
(Fußnote 1):
Meist wurden diese Treffen durch das Vorgehen der damals auftauchenden K-Gruppen gestört, welche die vorher sich entfaltende Diskussionsbereitschaft abwürgten. Schließlich trugen die K-Gruppen zum Auseinanderfallen dieser Lehrlingstreffen bei, indem sie ihnen die Initiative entrissen und die Lehrlinge für ihre Aktivitäten rekrutieren wollten. (siehe Weltrevolution Nr. 149)
Für die Leute, die eine radikale Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse wollen, ist im Allgemeinen klar, dass es für eine solche Befreiung eine Revolution braucht und dass diese nicht über die Einrichtungen des bürgerlichen Staats, namentlich das Parlament, vollbracht wird. So lesen wir beispielsweise in einem Flugblatt, das im März dieses Jahres in Moldawien anlässlich der dort stattfindenden Wahlen verteilt wurde, folgendes: „Wahlen sind Verarschung!!! - Die herrschende Klasse gibt uns nur eine Möglichkeit, unter neuen oder alten Herren zu wählen. Aber was für einen Unterschied macht es, wer unser Blut saugen wird - bürgerliche Kommunisten, bürgerliche Demokraten oder bürgerliche Nationalisten?“[1] Bezeichnenderweise interpretierte die stalinistische KP, die in Moldawien an der Macht ist, dieses Flugblatt als Appell zum Sturz des Regimes und verfolgt die Leute, die es verteilten mit Strafklage.
Und doch müssen wir immer wieder feststellen, wie auch ehrliche Kämpfer für eine bessere Welt sich einspannen lassen für Kampagnen, in denen genau diese Mittel, die uns die bürgerliche Demokratie zur Verfügung stellt, Wahlen und Abstimmungen, noch einmal benützt werden. Warum?
Dieser Frage wollen wir anhand des aktuellen Beispiels der Kampfjet-Initiative nachgehen, und zwar unter zwei Aspekten:
1. Was sind die Gründe, die jeweils von den Verfechtern einer solchen Politik des Unterschriftensammelns genannt werden? Sind diese Gründe vereinbar mit unserem Ziel einer wirklich befreiten Gesellschaft?
2. Warum hat die demokratische Ideologie immer noch so viel Macht?
Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee engagiert sich seit ihrem Beginn in den 1980er Jahren mit Unterschriftensammlungen gegen den Militarismus. Damals gab es eine grosse Friedensbewegung in Westeuropa gegen die Raketenstationierungen der NATO im Rahmen des Kalten Krieges. Die erste Volksinitiative, welche die GSoA 1986 einreichte, forderte die Abschaffung der Armee. Im November 1989, kurz nach dem Fall der Berliner Mauer, wurde die Initiative in der Volksabstimmung abgelehnt, wobei die Ja-Stimmen etwa 36% betrugen, was die GSoA so kommentiert: „Das überraschend gute Resultat führte in den folgenden Jahren zu einem gesellschaftlichen Bedeutungsverlust der Armee.“ (GSoA-Webseite, Geschichte)
Ganz ähnlich sind auch die Argumente zugunsten der jetzt eingereichten Initiative gegen neue Kampfflugzeuge. Die Schweizer Luftwaffe habe noch vor einem Jahr 33 neue Kampfjets anschaffen wollen. Unter dem Druck der Initiative habe die Armee ihre Ansprüche jetzt auf etwa 20 Flieger reduziert, die etwa eine Milliarde Franken weniger kosten würden (Pressemappe der Initianten vom 8. Juni 2008).
Im November 2009 wird es zur Abstimmung über eine weitere GSoA-Initiative kommen, eine „Initiative für ein Verbot von Kriegsmaterialexporten“.
In den 27 Jahren ihres Bestehens hat die GSoA Unterschriften für sechs eigene Initiativen und zwei Referenden gesammelt und weitere ähnliche Kampagnen unterstützt. Bis jetzt hat noch keine Abstimmung mit einem „Sieg“, das heisst einer Mehrheit der Stimmen zugunsten einer solchen Initiative, geendet. Und wenn man die zuvor zitierten Argumente anschaut, scheinen sich die GSoA-Leute darüber auch keine Illusionen zu machen. Es geht ihnen um den „Achtungserfolg“, um den angeblichen Druck, den sie mit einem relativ hohen Ja-Stimmen-Anteil erzeugen würden. Oder anders gesagt: „Wenn die GSoA nicht wäre, käme es noch schlimmer.“ - Was ist von diesem Argument zu halten?
Schon auf der Ebene der geschichtlichen Tatsachen hält das Argument der GSoA nicht lange Stand. Weder die Friedensbewegung in den 1980er Jahren noch die Armeeabschaffungs-Initiative bremsten die Aufrüstung im westlichen Block, zu welchem die Schweiz zwar nicht völkerrechtlich, aber faktisch gehörte. In Grossbritannien, Italien, Deutschland, Belgien und den Niederlanden wurden trotz Millionen von demonstrierenden Pazifisten Mittelstreckenraketen stationiert. Was dem Rüstungswettlauf in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre ein vorläufiges Ende bereitete, war die Bankrotterklärung des ‚Realsozialismus’. Gorbatschow war aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, den USA Abrüstungsverhandlungen vorzuschlagen[2]. 1989 brach dann bekanntlich der Ostblock zusammen. Dass nach diesem Ereignis die Schweizer Armee redimensioniert und auf neue nationale Aufgaben ausgerichtet wurde, war schlicht und einfach eine Frage der staatskapitalistischen Logik. Zu behaupten, diese Neuorientierung der schweizerischen Militärstrategie sei eine Folge der „beachtlichen“ 36% Ja-Stimmen für die GSoA-Initiative ist Schaumschlägerei.
Dasselbe betrifft die neu eingereichte Initiative gegen neue Kampfjets. Wenn heute die Luftwaffe bescheidener als ursprünglich gefordert erneuert wird, so entspricht dies einerseits dem normalen Lauf des parlamentarischen Geschäfts, andererseits dem Spardruck in der Krise.
Manchmal sind aber auch subtilere Argumente zugunsten solcher Volksinitiativen zu hören. Es heisst, dass die durch Abstimmungskampagnen angeregten Diskussionen in der Öffentlichkeit das „fortschrittliche“ Bewusstsein förderten. Vor allem trotzkistische Kreise behaupten im gleichen Atemzug, dass dadurch ein günstiges Kräfteverhältnis für eine „antikapitalistische“ Veränderung, ja letztlich für die Arbeiterklasse und die Revolution entstehe. Was ist davon zu halten? Wie soll dies vonstatten gehen? Wie soll eine Begründung, wie die folgende zugunsten des Kriegsmaterialexport-Verbots, eine radikale Bewusstseinsveränderung bewirken: „Die Schweiz ist wirtschaftlich nicht auf Waffenexporte angewiesen. Die Umstellung der Rüstungsbetriebe auf zivile Produktion muss vorangetrieben werden.“[3]? - Und wenn die Schweiz auf die Kriegsproduktion angewiesen wäre? - Dann müsste man, der Logik folgend, diesen Wirtschaftssektor ausbauen, damit die „Schweiz“ ihre Interessen weiter wahren kann? - Was ist diese „Schweiz“ anderes als die kapitalistische Schweiz im internationalen Konkurrenzkampf? - Wie soll dadurch, dass wir für die zivile (kapitalistische) Produktion einstehen, ein anderes Bewusstsein entstehen? Wie soll Klassenbewusstsein entstehen ohne vereinigende Kämpfe der Klasse? Mit System erhaltenden Abstimmungskampagnen, in denen die Arbeiter nicht als Arbeiter angesprochen werden, sondern als Staatsbürger?
Eine Frage nach der anderen, die uns niemand beantworten kann - weil es darauf keine Antworten gibt. Die GSoA vertritt sowohl in der Theorie als auch in der Praxis eine Politik im Rahmen des herrschenden Systems. Sie ist ein Rad in der staatskapitalistischen Maschine, ein Teil des bürgerlichen Apparats wie alle Parteien und Organisationen, die am parlamentarischen Betrieb im weitesten Sinn teilnehmen. Schade, dass sich dafür immer wieder engagierte Leute, die ehrlich für eine bessere Welt kämpfen wollen, einspannen lassen!
Hören wir endlich auf mit dieser Logik des Mitentscheidens in der Demokratie des kapitalistischen Staats!
Aber wenn es mit einem solchen Aufruf getan wäre, müssten wir wohl nicht länger über Demokratie und Pazifismus reden. Diese Ideologien sind tief verwurzelt in dieser bürgerlichen Gesellschaft, in der wir immer noch leben.
Es reicht nicht, dass wir den Kapitalismus ablehnen. Der Antikapitalismus, die abstrakte Negation des Kapitalismus, ist lediglich die Ablehnung des Systems, aber vermag nicht darüber hinaus zu gehen. Die demokratische Ideologie entspricht am perfektesten der herrschenden Ordnung, der Warengesellschaft, wo es letztlich immer ums Zählen (der Stimmen, des Geldes, des Profits) geht. Es ist eine politische 0rdnung von atomisierten, isolierten Einzelpersonen - one man one vote!
Die Arbeiterklasse entwickelt in ihren Kämpfen spontan ein anderes Prinzip als das des demokratischen Interessenausgleichs: die Vereinigung der Kämpfe auf möglichst weit gespannter Grundlage, die Zentralisierung dieser Kämpfe in Vollversammlungen, Streikkomitees, arbeiterräteähnlichen Strukturen. Die kämpfende Arbeiterklasse sucht die Einheit, die für sie mit den Mitteln der Demokratie nicht zu erreichen ist. In der Demokratie gibt es nur die scheinbare Einheit des Volkes, eine Summe von Individuen, die für die Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung so nützlich ist.
Den Schritt zur Überwindung der demokratischen Repräsentation, zur selbst organisierten, aktiven Vereinigung all derjenigen, die dasselbe Interesse haben - aller Arbeiter und Arbeiterinnen, Angestellten, Lohnabhängigen, Proletarier und Proletarierinnen - können nur die Betroffenen selber tun. Die Arbeiterklasse muss das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zurück gewinnen - wie 1917/18, als Teile der Generationen unserer Gross- und Urgrosseltern einen ersten Anlauf zur Weltrevolution nahmen, der aber schliesslich 1923 stecken blieb.
Die Demokratie ist die letzte politische Bastion des Kapitalismus, eine Trumpfkarte, die er immer wieder neu aus dem Ärmel zieht. Obama ist der demokratischste US-Präsident aller Zeiten. Die Unruhen im Iran im Juni geben der Demokratie auch hier noch einmal neuen Aufwind. Der Pyjama-Putsch in Honduras kurz danach wird von der Organisation Amerikanischer Staaten als Angriff auf die Demokratie verurteilt. Die Putschisten und neuen Machthaber werden vom alten Parlament und der alten Judikative demokratisch abgesegnet. Der Konflikt in der Schweiz zwischen Exekutive, Judikative und parlamentarischer Geschäftsprüfungskommission um die Vernichtung eines Teils der Tinner-Akten ist rechtstaatlich kein ernsthaftes Problem - im Zweifelsfall hat die Exekutive aufgrund der Polizeiklausel den Vorrang. So funktioniert es im Staatskapitalismus. Es gibt nichts, was die demokratische Verfassung für die Bourgeoisie nicht richten könnte.
Ein erster Schritt zur Überwindung der demokratischen Ideologie ist der Bruch mit dem herrschenden politischen System, mit dessen Logik, mit dem Parlamentarismus in all seinen Formen. Dass sich die Bourgeoisie je länger je mehr auf diese letzte Verteidigungslinie zurück ziehen und alles daran setzen muss, überall die demokratische Legitimität zur Schau zu tragen, möglichst nur dort mit brutaler Gewalt vorzugehen, wo es zur Demoralisierung und zur Einschüchterung der Lohnabhängigen dient, nach Möglichkeit keine Massenempörungen hervorzurufen, sind Zeichen dafür, dass sie sich vor solchen Reaktionen der Klasse fürchtet. Solange aber im Proletariat nicht das Selbstvertrauen gewachsen ist und eine historische Alternative breit diskutiert wird, werden wir noch manche Neuauflage von Kampfjet-Initiativen und ähnlichem haben. Juli, 15.07.09
[1] Das Flugblatt wurde im deutschsprachigen Internet von den Unabhängigen Rätekommunisten (Revolution Times) verbreitet : https://www.geocities.com/raetekommunismus/Moldavia.html [10]
Das Ergebnis der Präsidentenwahlen vom 12. Juni hat einen Sturm der Entrüstung mit mehr als zwei Millionen Menschen auf der Straße ausgelöst.
Nach den Drohungen, Verhaftungen, Prügeln und Folter sind die Straßendemonstrationen jetzt ersetzt worden durch nächtliche Proteste von den Dächern der Leute, bei denen „Tod dem Diktator“ und Allah-u-Akbar“ gerufen wird. Seit 1979, als der Schah gezwungen wurde das Land zu verlassen, hat es nicht mehr so starke Proteste gegeben. Damit drang die Unzufriedenheit des Volkes mit dem islamischen Regime an die Oberfläche.
Das Niveau der Repression ist sehr aufschlussreich. Dem Regime gelang es, die anfänglichen und größten Proteste abzuwehren. Nachdem sie selbst an die Macht gekommen waren, als Proteste und Streiks die Herrschaft des Schahs untergruben, waren die Herrscher der Islamischen Republik sich sehr wohl dessen bewusst, welche Gefahren entstehen, wenn es Märtyrer der Demonstrationen geben sollte. Aber in der darauffolgenden Woche hat der Oberste Führer, Ayatollah Khamenei, Drohungen gegen die Demonstranten auf dem Freitagsgebet ausgesprochen. Dem folgten tödliche Angriffe gegen Protestierende durch die verschiedenen Unterdrückungsorgane, die Basiji Milizen, die Revolutionären Garde, Bürgerkriegspolizei und Scharfschützen (der Tod von Neda Agha Soltan, der in der ganzen Welt publik wurde, scheint das Werk eines Scharfschützen zu sein). Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen wurden verhaftet, und das ganze Land ist elektronisch isoliert worden – E-mails oder andere Texte konnten nicht mehr empfangen noch verschickt werden. Nun gibt es auch noch eine Ekel erregende Kampagne mit dem Aufruf, dass die Bürger ihre Nachbarn, Freunde, Geschwister usw. und jeden, der an einer Demo teilgehaben haben könnte, zu denunzieren. Man benötigte wirklich einen großen Mut, um auch nur das geringste Maß an Widerstand im Iran zu zeigen.
Das Regime hat nicht nur gegen gewöhnliche Demonstranten zugeschlagen, sondern auch den rivalisierenden Präsidentschaftskandidaten Moussavi bedroht, ihn davor gewarnt, weitere Proteste zu schüren und kurzfristig Kinder des früheren Präsidenten Rafsandschani verhaftet, der nach 1979 Kumpan von Khomeiny war. Kurzum, es gibt tiefgreifende Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse. Gegenwärtig reiten die „Reformer“ auf der Welle der Proteste aus der Bevölkerung, aber es handelt sich in Wirklichkeit um die Hardliner der 1980er Jahre, die fest mit der Islamischen Republik verwurzelt sind. Der Bevölkerung im Allgemeinen und der Arbeiterklasse insbesondere haben sie überhaupt nichts anzubieten außer noch mehr kapitalistische Ausbeutung. Aber sie meinen, dass sie dem iranischen Kapitalismus etwas Besseres anzubieten haben. Obgleich Rafsandschani schweigt, „unterstützt er eine größere Öffnung gegenüber dem Westen, eine Teilprivatisierung der Wirtschaft und mehr Macht für die gewählten Institutionen“ (International Herald Tribune, 23.6.09); er versucht sehr, einen Kompromiss innerhalb der herrschenden Klasse zu vermitteln. Er spielt dabei eine besondere Rolle im Wächterrat. Während Moussavi behauptet, „Proteste gegen Lügen und Manipulierungen sind rechtmäßig“, kämpft er nicht nur für seine Interessen, sondern er erweist der gesamten iranischen Bourgeoisie einen Dienst. Obwohl er keine so starke Protestbewegung im Land auslösen wollte, bemüht sich Moussavi emsig darum, den ganzen Fokus auf die Wahlergebnisse zu richten und die Leute für eine Parteinahme für den einen oder anderen Flügel innerhalb der herrschenden Elite einzuspannen. All das ist eine Sackgasse.
Die Repression hat die Unzufriedenheit nicht beenden können, auch wenn im Augenblick die massiven Straßendemonstrationen abgeebbt sind. Aber ohne einen wesentlichen Kampf der Arbeiterklasse wird es nicht möglich sein, irgendeinen wirksamen Widerstand gegen die Repression aufzubauen. Die Arbeiter der iranischen Khodro-Automobilfabrik streikten gegen die Repression – nachdem auch die Arbeiter selbst nach ihren eigenen Kämpfen zur Zielscheibe der Repression wurden. Eine Stellungnahme der Gewerkschaft der Beschäftigten des Vahed Busunternehmens aus Teheran und aus Vororten, das keine der Präsidentschaftskandidaten unterstützt, wohl aber die Proteste, liefert vielleicht einen Hinweis auf die Stimmung unter Arbeitern: gegen die Repression, Kritik an beiden Fraktionen der herrschenden Klasse, aber mit Illusionen in die Demokratie. Trotz all dieser Aspekte und trotz des Generalstreiks vom 26. Juni hat bei diesen Ereignissen die Klasse keine Rolle gespielt, auch wenn sich Arbeiter als Individuen an den Protesten beteiligt haben.
Wir müssen uns die Rolle des Klassenkampfes bei den Ereignissen vor 30 Jahren vor Augen halten. Streiks, insbesondere in der Ölindustrie spielten eine entscheidende Rolle bei der Untergrabung der Fähigkeit des Schahs weiter zu herrschen. „Als die ‚Volks’bewegung – in der sich fast alle unterdrückten Schichten im Iran zusammenfanden – anfing sich zu erschöpfen, sorgte der Eintritt des iranischen Proletariats Anfang Oktober 1978, insbesondere im Ölsektor, nicht nur für mehr Unruhe, sondern er warf auch ein unlösbares Problem für das nationale Kapital auf, das über keine Ersatzlösung für die alte Regierungsmannschaft verfügte. Die Repression reichte aus, um den Rückzug der Kleinhändler, der Studenten und Arbeitslosen zu bewirken, aber sie erwies sich als eine wirkungslose Waffe der Bourgeoisie, als sie mit der Lähmung der Wirtschaft durch die Arbeiterstreiks konfrontiert wurde. Selbst in einem Land, wo die Arbeiterklasse zahlenmäßig schwach ist, zeigte die Arbeiterklasse im Iran, welche wesentliche Macht sie in der Gesellschaft aufgrund ihrer Stellung in der kapitalistischen Produktion hat“ (IKS-Stellungnahme 1979, in World Revolution Nr. 322 wieder veröffentlicht). Diese Streikbewegung war damals kein auf den Iran beschränktes Ereignis, sondern ein wichtiges Kapitel in einer internationalen Streikwelle, zu der u.a. der „Winter of discontent“ (Winter der Unzufriedenheit) in Großbritannien, der Dockerstreik in den Niederlanden, Streiks in der Stahlindustrie in Frankreich gehörten. Damals gipfelte die Bewegung im Massenstreik in Polen 1980.
Wir haben keine Zweifel, dass die Arbeiterklasse im Iran sich an der gegenwärtigen Entwicklung des internationalen Klassenkampfes neben ihren Klassenbrüdern- und schwestern in Ägypten, Dubai, Bangladesh und China wie auch in Europa und Amerika beteiligen wird. Wenn sie dies auf einer Klassengrundlage tut, für ihre eigenen Interessen kämpft, wird sie dem allgemeinen Zorn im Volke, der sich in den letzten Wochen Luft gemacht hat, auch eine Perspektive bieten. Die Perspektive ist nicht nur, den gegenwärtigen iranischen Präsidenten los zu werden oder das islamische Regime, sondern das ganze kapitalistische System Alex, 4.7.09
Die Streikbewegung der Bau- und Wartungsarbeiter auf 30 Baustellen der Energiewirtschaft in ganz Großbritannien, welche die Wiedereinstellung von 640 in der Ölraffinerie Lindsey (Lincolnshire) entlassenen Arbeitskollegen forderte, zeigt erneut die kollektive Stärke der Arbeitersolidarität auf. Diese inoffiziellen Streiks, die in vielen Fällen von den Vollversammlungen der Arbeiter ausgerufen wurden, zwangen die Ölgesellschaft Total die Entlassungen zurückzunehmen. Auch die 51 gefeuerten Bauarbeiter, deren Entlassung die Arbeitsniederlegung von 1200 Beschäftigten auf der Baustelle ausgelöst hatten, wonach wiederum Total zu einer provokativen Entlassung von Hunderten von Streikenden schritt, wurden wieder eingestellt. Gerade in diesen Tagen wird den Beschäftigten immer wieder eingebleut, sie könnten gegen die steigende Arbeitslosigkeit nichts unternehmen, aber diese Solidaritätsbewegung der Arbeiterklasse kann der Klasse ihre potenzielle Stärke zeigen. Indem der Kampf sich auf die Solidarität stützte, erhielt er eine viel festere Grundlage als die kleine Streikbewegung in Lindsey zu Anfang des Jahres, als viele meinten, bei diesem Streik ginge es um den reaktionären Slogan "British Jobs for British Workers", eine Idee, welche nur Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse hervorrufen kann. Dadurch, dass im Juni eine Klassensolidarität mit den entlassenen Kollegen während der Streiks zum Ausdruck kam, wurde ein größeres Echo in der ganzen Arbeiterklasse erzielt.
Obgleich die Streiks im Januar zweifellos unter dem Gewicht des Nationalismus litten, enthielten sie dessen ungeachtet viele positive Aspekte: Solidaritätsstreiks, Vollversammlungen, eine aufkeimende Bewegung hin zur Auflösung der Spaltung zwischen "britischen" und "ausländischen" Arbeitern. Diese Eigenschaften ermöglichten es, die Unternehmer zum Nachgeben zu zwingen. Auch jetzt wieder hat diese noch dynamischere Bewegung in die gleiche Richtung gedrängt.
"Was auch immer in den nächsten Tagen passieren wird, dieser Kampf hat jetzt schon belegt, dass die Arbeiter die Angriffe nicht einfach hinzunehmen brauchen, dass sie sich wehren können. Mehr noch, sie haben gesehen, das einzige Mittel der Selbstverteidigung ist, dass wir uns gegenseitig Schutz anbieten" ("Bauarbeiter im Mittelpunkt des Klassenkampfes", IKSonline). Wir schrieben dies am ersten Wochenende der Bewegung, am Ende der darauf folgenden Woche waren alle Arbeiter wieder eingestellt worden.
Wie im Januar wurde der Kampf ebenfalls von "ausländischen" Arbeitern unterstützt. Polnische Arbeiter schlossen sich dem Streik im Kraftwerk Drax an.
Der Mut, den solche Aktionen erfordern, darf nicht unterschätzt werden. Die Bauindustrie ist von der Rezession schwer getroffen. Diese Arbeiter schuften für Zeitarbeitsfirmen und müssen meist im Land umherziehen, um nach Arbeit zu suchen. Diese Firmen sind bekannt dafür, dass sie schwarze Listen von militanten Arbeitern führen. Solche Solidaritätsaktionen sind illegal. Ihnen drohte nicht nur die Gefahr verhaftet zu werden, sondern auch ihre Stelle wegen Rechtsbruch zu verlieren. Diese Arbeiter riskierten viel bei der Verteidigung ihrer Kollegen.
Die Bewegung dehnte sich nicht nur durch Mund-zu-Mund Propaganda aus, sondern durch eigenständige Maßnahmen seitens der Streikenden aus Lindsey, die fliegende Streikposten zu anderen Beschäftigten schickten, um sie zur Beteiligung am Streik aufzufordern. Auch das war völlig illegal, aber die Arbeiter begriffen die vitale Notwendigkeit den Kampf auszudehnen. Solche Pickets bedeuten, dass Diskussionen zwischen Streikenden und anderen Arbeitern stattfinden können; somit Hürden überwunden werden, welche die Medien und die Gewerkschaften zu errichten versuchen. Wir können nur vermuten, aber es ist denkbar, dass aufgrund der Erfahrung mit der großen Verzerrung und Entstellung ihres früheren Kampfes durch die Medien die Lindsey Beschäftigten die Absicht hatten, ihren Kampf den anderen Arbeitern direkt zu erklären. Welche Gründe es auch immer gegeben haben mag, die fliegenden Streikposten brachten eine Entschlossenheit zur Ausdehnung des Kampfes zum Ausdruck.
Im Gegensatz zu den Streiks Anfang des Jahres berichteten den Medien dieses mal fast gar nichts über die Streiks in Lindsey. Schließlich berichtete man erst davon, als dort Union Jacks (britische Nationalfahnen) und Slogans wie "‘British Jobs for British Workers' zu zeigen waren, denn es gab immer irgendwo welche Streikenden, die diese reaktionären Symbole trugen und Forderungen dieser Art erhoben. Dieses Mal hatten sie kein Interesse daran zu zeigen, wie Arbeiter darüber diskutieren, wie man den Kampf ausdehnt und wie die Solidarität anderer Kollegen aufgenommen wurde. Es gab lediglich ein oder zwei nationalistische Spruchbänder und Union Jacks, aber die Frage der Solidarität drängte diese in den Hintergrund.
Nicht nur in Lindsey wurden Vollversammlungen abgehalten. Auf anderen Baustellen fanden diese statt, bevor die Arbeit niedergelegt wurde. Ein sehr interessantes Beispiel ist Sellafield. Zu Beginn der zweiten Woche, am 22. Juni, riefen die Gewerkschaften zu einem Massentreffen auf, danach legten die Beschäftigten die Arbeit nieder. Am nächsten Tag verkündeten die Gewerkschaften das Ende des Streiks, ohne zuvor eine Vollversammlung abzuhalten. An dem Mittwoch hielten einige Arbeiter ihre eigene Vollversammlung ab: "Ich dachte, es sei völlig in Ordnung, dass wir ein Treffen abhalten, an dem sich Leute beteiligen… Deshalb riefen wir zu einem Treffen auf und beschlossen zu streiken. An dem Tag legten über 100 Beschäftigte die Arbeit nieder, dann schlossen sich uns ca. 100 weitere Beschäftigte an. Für Freitag morgen war eine Vollversammlung anberaumt worden; ich glaube, alle hätten wohl für Streik gestimmt, aber zu dem Zeitpunkt hatte Lindsey schon gesiegt" (ein Streikender, zitiert von socialistworker.co.uk 30/6/9)
Vollversammlungen sind für den Kampf lebenswichtig, weil sie es den Arbeitern ermöglichen, kollektiv über die Maßnahmen zu diskutieren, die beschlossen werden müssen. So kann eine bewusste Solidarität entstehen. Kein Wunder, dass solche Treffen illegal handeln, wenn sie den Streik beschließen. Die bürgerlichen Gesetze sehen vor, dass es vor einem Streik eine geheime Abstimmung geben muss, d.h. es darf keine kollektiven Diskussionen über die zu ergreifenden Maßnahmen geben.
Die aktive Solidarität, welche in dieser Bewegung zum Ausdruck kam, untergrub die Fähigkeit der Gewerkschaften, ihre Kontrolle über die Arbeiter aufrechtzuerhalten. Die Beschäftigten von Lindsey warteten nicht auf die Gewerkschaften und ihre geheimen Abstimmungen, um aus Solidarität mit den 51 Entlassenen in Streik zu treten. Genauso wenig warteten darauf die Kollegen bei Drax und Eggborough, Ratcliffe und West Burton in Nottinghamshire, Fiddlers Ferry, Aberthaw und die Bauarbeiter in einer BP-Raffinerie in der Nähe von Hull, als sie von den Entlassungen erfuhren und aus Unterstützung in den Streik traten. Die Verteidigung ihrer Kollegen war ihre Hauptsorge. Die Gewerkschaften waren gezwungen, einer Bewegung hinterherzulaufen, die dabei war, das Gefängnis der Regeln, Gesetze und Spaltungen unter den verschiedenen Gewerkschaften zu überwinden. Wir behaupten nicht, dass diese Arbeiter klar die Gewerkschaften als ein Gefängnis erkannten oder sich außerhalb deren Gitter und Absperrungen organisieren wollten. Aber ihr Wunsch, Solidarität zum Ausdruck zu bringen, bedeutete, dass sie illegal und außerhalb der gewerkschaftlichen Regeln handeln mussten.
Erstens spielten die Shop Stewards aus Lindsey ihre Rolle. Stop Stewards stellen das militante Aushängeschild der Gewerkschaften dar. Das Shop Stewards Committee schien sich in ein Streikkomitee verwandelt und zusätzliche Mitglieder aufgenommen zu haben. Die Arbeiter schienen bereit zu sein, dem Streikkomitee zu vertrauen. Während sie also kein Vertrauen in die Gewerkschaftsführung hatten, waren die Arbeiter willens, den Stewards (Art Vertrauensleute) die Kontrolle über den Streik zu überlassen. Diese Stewards halfen sicherlich den Streik auszudehnen, aber sie bewegten sich dabei immer im gewerkschaftlichen Rahmen. Man hörte die Auffassung, dass die Ausdehnung des Streiks die Gewerkschaftsführer unter Druck setzen würde, so dass diese sich gegen die Unternehmen wehren, ihre Verhandlungsposition stärken und ihnen ein richtiges "Rückgrat" verschaffen würden. Und die Vollversammlungen wurden ebenso als ein Mittel angesehen, das Druck auf die Gewerkschaftshierarchie während der Verhandlungen ausüben würde.
Nachdem sie anfänglich die Arbeiter zur Beendigung des Streiks aufriefen, "unterstützte" die Gewerkschaftsführung gleichzeitig den Streik, sobald die Firma Total 640 Streikende entlassen hatte. Sie begriffen, dass diese Aktion zu einer viel weiteren Ausdehnung des Kampfes führen würde. Um die Führung der Bewegung zu übernehmen, suchten die Führer der Gewerkschaften GMB und UNITE sofort mit Total Verhandlungen aufzunehmen, womit sie den Focus der Bewegung auf den Ausgang der Verhandlungen richteten.
Schließlich gelang es den Stewards und der Gewerkschaftsführung die Bewegung innerhalb des gewerkschaftlichen Rahmens einzudämmen. Dennoch, wenn Total nicht nachgegeben hätte, hätten die Gewerkschaften Schwierigkeiten gehabt, die Bewegung unter Kontrolle zu halten. Wie die Streikenden aus Sellafield sagten, wenn keine Einigung erzielt worden wäre, dann wären alle Beschäftigten der Baustelle zusammengekommen und hätten sich den 200 Beschäftigten angeschlossen, die schon die gewerkschaftliche Order missachtet hatten, weiter zu arbeiten. Die Gewerkschaften und die anderen Teile der herrschenden Klasse wussten, dass sie auf einem Tiger ritten und die einzige Art der Zähmung war nachzugeben.
Diese dramatische und siegreiche Solidaritätsbewegung zeigte der Arbeiterklasse in Großbritannien und international, dass die aktive Solidarität durch die Ausbreitung des Kampfes der einzige Weg ist, um die Angriffe zurückzudrängen. Obgleich an der Bewegung nur wenige Tausend Arbeiter beteiligt waren, sind die Ausdehnung der Bewegung auf das ganze Land, die Tendenz, sich den gewerkschaftlichen Anordnungen zu widersetzen, das Abhalten von Vollversammlungen, das Wiederauftauchen von fliegenden Streikposten nach 25 Jahren, und vor allem die Entschlossenheit, die Kollegen zu verteidigen, wichtige Hinweise auf das Potenzial der zukünftigen Kämpfe. Diese Kämpfe zeigen auch, dass die Arbeiter in Großbritannien im Vergleich zu Frankreich oder Italien keineswegs passiv sind, sondern stattdessen ein Teil des internationalen Wiedererstarkens des Klassenkampfes. Die Arbeiter auf der ganzen Welt haben die Chance, von dieser Bewegung zu lernen und daraus Kraft zu schöpfen. Es kommt nicht oft vor, dass die Unternehmer so vollständig den Arbeitern nachgeben müssen.
Die Solidarität dieses Kampfes hat das Bild der Bauarbeiter als nationalistische, rückständige Arbeiter, wie es von den Medien nach den Januarstreiks verbreitet wurde, angekratzt. Dies bietet anderen Teilen der Klasse die Möglichkeit, den gleichen Weg einzuschlagen. Phil, 4.7.09
Vom 15. bis 20. Juni 2009 fand in Deutschland der sogenannte erste Bildungsstreik statt. Es war der Versuch, eine Woche lang die Schulen und Hochschulen zu bestreiken, um gegen die zunehmende kapitalistische Bildungsmisere zu protestieren. Gemessen an den eigenen, hochgesteckten Zielen war dieser Bewegung ein nur sehr bescheidener Erfolg beschieden. Sie blieb die Aktion einer Minderheit. Gerade an den großen Universitäten in den Ballungszentren gelang es nicht, eine bedeutende Anzahl von Studierenden zu mobilisieren. Und selbst in den großen Städten wusste man gerade in den Schulen wenig von den geplanten Protesten. Immerhin gelang es Mitte der Aktionswoche knapp unter eine Viertel Million Menschen für Demonstrationen in über 40 Städten auf die Straße zu bringen. Die Bedeutung der Bewegung liegt vor allem darin, dass Teile einer neuen Generation die politische Bühne betreten und dabei erste Kampferfahrungen gesammelt haben.
Die Aktionswoche begann am Montag den 15. Juni mit der Abhaltung von Vollversammlungen vor allem in den Universitäten. Wie in der Vorbereitungsphase, z.B. in Potsdam, gelang es eher an kleineren, überschaubaren Hochschulen, genügend Leute zusammenzubringen, um ernst zu nehmende Streikaktionen in Erwägung zu ziehen. Ansonsten tagten die Versammlungen, während nebenan der Lehrbetrieb seinem gewohnten Gang folgte. Nur selten konnte die ursprünglich anvisierte Blockierung der Hochschulen auch nur versucht werden. Bedeutsam hingegen war politisch die Arbeit der Versammlungen selbst. Es wurde kollektiv um die Formulierung von Forderungen gerungen, welche zum Teil über die rein studentischen Belange hinausgingen und die Interessen der arbeitenden Bevölkerung insgesamt zum Ausdruck brachten. So die Forderung nach der Neueinstellung von Zehntausenden Lehrkräften an den Schulen und Hochschulen, die sofortige Umwandlung aller befristeter in unbefristete Verträge oder der Ruf nach einer Übernahmegarantie für alle Lehrlinge. Außerdem wurden vielerorts Solidaritätserklärungen gegenüber streikenden oder vor Massenentlassungen stehenden Beschäftigten verfasst. Aber auch die zentralen Anliegen der Bewegung, wie die Ablehnung von Studiengebühren an den Universitäten, von erhöhtem Leistungsdruck und Elite-Auslese im Bildungssystem, zusammengefasst in der Parole „Bildung für alle“, werden zwar von der herrschenden Klasse gerne reformistisch interpretiert als der Wunsch nach „Verbesserung des bestehenden Systems“, bringen aber unverkennbar auch proletarische Anliegen zum Ausdruck. Denn dass sich der Kapitalismus dumme und kulturlose Lohnsklaven wünscht, ihnen nur so viel Bildung angedeihen lassen will, wie für das Funktionieren des Systems unbedingt notwendig, ist eine alte Einsicht der sozialistischen Arbeiterbewegung. Anders als die einst von Pink Floyd verbreitete Parole „We don’t need no education“ kämpfte die Arbeiterklasse von Anfang an um Bildung. Diese Tradition wird heute wiederbelebt, zusammen mit der der Vollversammlungen selbst, wo alle Anwesenden aktiv und gleichberechtigt an der Ausformulierung und dem Beschluss der Forderungen und Ziele der Bewegung beteiligt werden.
In Frankreich gelang es 2006 der Bewegung an den Schulen und Hochschulen wesentliche Forderungen gegen die Regierung durchzusetzen, weil sie sehr früh proletarische Forderungen in den Mittelpunkt gestellt haben, welche die Interessen der arbeitenden Bevölkerung insgesamt zum Ausdruck brachten; insbesondere die Ablehnung der sog. CPE, das Gesetz zur Prekarisierung aller Beschäftigungsverhältnisse für Jugendliche.
Während auch in Deutschland unter der aktiven Jugend die Überzeugung von der Notwendigkeit der Solidarisierung mit allen Lohnabhängigen sichtlich wächst, bleibt die Bewegung bis jetzt schwerpunktmäßig eine auf Bildung zentrierte. Soll bedeuten: Sie sieht sich noch nicht als Teil einer viel breiteren Bewegung der Arbeiterklasse insgesamt, welche alle gesellschaftlichen Belange aufzugreifen hat. Dennoch gibt es erste Anzeichen eines Potenzials, welches die Bewegung über den Rahmen der Schulen und der Bildung hinaus führt. Die momentane Unreife der Bewegung, aber auch das Potenzial zur Reifung, wurden bereits am ersten Tag der Aktionswoche verdeutlicht. Einer der Kristallisationspunkte dieser widersprüchlichen Lage wurde die bundesweite Demonstration der Kindergartenbeschäftigten in der Kölner Innenstadt am 15. Juni. Die große studentische Vollversammlung der Bergischen Universität in Wuppertal beschloss, eine Delegation nach Köln zu entsenden, um sich mit den Kita-Beschäftigten zu solidarisieren. Diese Aktion kam nur deshalb nicht zustande, weil die Zeit nicht mehr reichte. In Köln hingegen war sich die studentische Versammlung nicht so recht bewusst, dass wenige Kilometer entfernt 30.000 Streikende auf der Straße versammelt waren. Als dieser Tatbestand dann klar wurde, beschloss die eigentlich sich in Auflösung befindende Vollversammlung, eine Delegation zu entsenden, welcher es schließlich kraft der Autorität ihres Mandates gelang, zu den Streikenden zu sprechen und sie zum gemeinsamen Kampf aufzurufen.
Man sieht also: Die Idee eines gemeinsamen Kampfes ist zwar weit verbreitet, spielt aber noch lange nicht überall eine zentrale Rolle. In Wuppertal z.B. gibt es eine verhältnismäßig kleine Universität. Der proletarische Anteil unter den Studierenden wiederum ist besonders groß. Dort kam die Bewegung sehr stark aufgrund von Eigeninitiativen der Studierenden selbst zustande. So war Wuppertal einer der wenigen Orte, wo eine weitgehende Streikbewegung mit Blockierung des Hochschulbetriebs zumindest am Anfang zustande kam. Die Kölner Universität hingegen ist eine der Größten in Deutschland. Eine tiefere und breitere Unzufriedenheit wäre dort vonnöten, um eine allgemeine Gärung zu verursachen. Außerdem sind die Großstädte Hochburgen linksreformistischer Kreise, welche mit ihren Versuchen, Bewegungen künstlich zu erzeugen, die Selbstinitiative der Studierenden bremsen und sie misstrauisch stimmen gegenüber etwaigen Kampfmaßnahmen. Dort also war der Bildungsstreik ausgeprägt eine Minderheitsaktion. Der Kampf darum, an Ort und Stelle sich zu behaupten, ja sich überhaupt bemerkbar zu machen, mag dazu beigetragen haben, den Blick zu verengen auf die unmittelbare Lage an der Universität.
Der zweite wichtige Aktionstag war Mittwoch, der 17. Juni, an dem Demonstrationen von Studenten, Schülern und Lehrlingen in ganz Deutschland stattfanden. Die wichtigsten Mobilisierungen fanden in Hamburg, Köln und vor allem in Berlin mit 27.000 Teilnehmern statt. Die Zahlen hätten weitaus höher liegen können, wenn es gelungen wäre, im bedeutenden Umfang an den Schulen zu mobilisieren. Im vergangenen November gab es bereits einen Aktionstag, welcher in erster Linie von den Schülerinnen und Schülern getragen wurde – oft aktiv unterstützt von Seiten der Lehrer und der Eltern. Damals wurde allgemein angemerkt, dass die Unzufriedenheit und der Kampfgeist an den Schulen oft viel größer waren als unter den Studierenden. Jetzt stellte sich heraus, dass die Aktion Bildungswoche viel zu wenig von Schulen mitgetragen wurde. Das hing damit zusammen, dass die während dieser Woche aktiv Gewordenen sozusagen einen Rahmen benutzt haben, welcher durch einen kunterbunten Aktionskreis vorgegeben war. Wäre die Aktion ursprünglich von den Betroffenen selbst ausgegangen, wäre auch kaum anzunehmen, dass sie dafür einen Zeitpunkt mitten in der Prüfungszeit am Ende des Bildungsjahres ausgewählt hätten! Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass diese Demos – manchmal von Beschlüssen der Vollversammlungen ausgehend, manchmal spontan – gelegentlich benutzt wurden, um Schulen und sogar von Entlassungen oder von der Schließung bedrohte Betriebe aufzusuchen und zum gemeinsamen Kampf aufzufordern.
Die Aktionswoche wurde beendet durch eine Demonstration durch die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt Düsseldorf, an der hauptsächlich einige tausend Protestierende aus den umliegenden Städten teilnahmen. Dieser Umzug wurde durch zweierlei gekennzeichnet.
Zum einem durch ein einigermaßen martialisches und provozierendes Auftreten der Polizei. Dazu muss gesagt werden, dass die bürgerlichen Medien die Aktionswoche begleiteten mit dem Dauerthema: Gewalt. Eine Gewalt, welche man offenbar herbeizureden versuchte, um die Bewegung als unseriös zu diskreditieren. Der Wille der Medien zur Fälschung der Bewegung ging so weit, dass manch eine Vollversammlung beschloss, nur dann Interviews zu geben, wenn ein Mitschnitt des Gesprächs von der eigenen Seite erlaubt und entsprechend ausgestrahlt werden konnte. Ein Ansinnen, welches von Seiten der Medien regelmäßig abgeschmettert wurde. Zum zweiten lag der Ablauf dieser Demonstration naturgemäß viel weniger in den Händen der Vollversammlungen als an dem Mittwoch davor. Er lag in den Händen eines aus verschiedenen Kräften bestehenden Bündnisses, welches ohne Kontrolle von unten handelte, und außerdem eine Art Kompromiss zwischen verschiedenen – nicht ausdiskutierten – Denkansätzen darstellte. Wenn wir dies erwähnen, so nicht um dem Verbleiben auf der Ebene von lokalen Aktionen das Wort zu reden. Wir wollen vielmehr darauf hinweisen, dass die geographische Ausdehnung und Zusammenführung einer Bewegung eine entsprechende Reifung der organisatorischen Grundlagen erforderlich macht, selbstorganisiert durch die Vollversammlungen mitgetragen werden muss, und dass bestimmte Gefahren drohen, wenn dies nicht der Fall ist.
Jedenfalls: Als der Zug die Königsallee erreichte – Deutschlands teuerster Prachtboulevard – zerstreute sich die Aktion. Ein Teil blieb an der Kreuzung sitzen, wollte die Aktion also in eine möglichst langanhaltende Verkehrsblockade umwandeln. Dazu gehörten nicht nur Vertreter des sogenannten Schwarzen Blocks, Anhänger des aus unserer Sicht irrigen Gedankens, dass die Gewalt als solche revolutionär sei. Dazu gehörten auch viele frustrierte Jugendliche, welche nicht unbemerkt durch die Stadt gegangen sein wollten. D.h. sie waren enttäuscht durch die relativ geringe unmittelbare Resonanz auf die Bildungsstreikwoche. Außerdem fühlten sie sich provoziert durch das Auftreten der Staatsmacht. Der andere Teil, welcher Wert darauf legte, sich nicht auf das Gewaltspiel der Staatsmacht einzulassen, forderte die Sitzen Gebliebenen zum Mitkommen auf, zog aber dann allein zum Ort der Kundgebung am Schlossplatz, welcher weit vom Schuss im Bereich der Touristenmeile liegt. Die Kundgebung entzweite sich somit. Als dann die Nachricht die Kundgebung erreichte, dass die Polizei gegen die Sitzblockade an der Königsallee vorgehen wollte, löste sich auch noch die Kundgebung auf, indem ein Teil hin lief, um den Angegriffenen zu Hilfe zu eilen.
Dieses Ereignis offenbart – im Negativen sozusagen – die Wichtigkeit der Vollversammlungen. Dabei wollen wir daraus keinen Fetisch machen. Es geht nicht um die Form von Vollversammlungen als solche, welche – falls sie passiv bleiben – leicht zu einer leeren Hülse verkümmern können. Es geht um die Entwicklung einer ganzen Kultur des Debattierens und des eigenständigen und gemeinsamen Entscheidens. Der Zwist an der Königsallee beispielsweise wäre wahrscheinlich nur dadurch positiv zu lösen gewesen, indem an Ort und Stelle darüber debattiert würde, was nun zu tun sei. Es gibt in solchen Situationen eine Weisheit der kollektiv kämpfenden und klärenden Masse, welche wahrscheinlich darauf hinaus gelaufen wäre, einen Weg zu suchen um zusammen zu bleiben, ohne sich der Frage der Repression auszusetzen.
Bis dahin ist noch ein weiter Weg, und die Bildungsstreikwoche war einer der kleinen Schritte in diese Richtung. Die meisten Teilnehmer sind sich selbst darüber bewusst, wie klein und wie beschränkt dieser Schritt war. Wir sind dennoch unsererseits davon überzeugt, dass dieser Schritt klein, aber nicht unbedeutend war. Immerhin beginnt damit die proletarische Jugend in Deutschland Antwort zu geben auf die Weckrufe aus Frankreich oder Griechenland. Verglichen mit dem Ausmaß der Bewegung in solchen Ländern fallen die gegenwärtigen Aktionen in Deutschland sehr bescheiden aus. Allerdings hat das nicht nur mit dem bekannten Nachholbedarf in Deutschland in Sachen proletarischer Klassenkampf zu tun (Deutschland war im 20. Jahrhundert eine Hochburg der bürgerlichen Konterrevolution, und diese Tatsache wirkt noch heute). Das hat auch damit zu tun, dass der Klassenkampf in Deutschland auch jetzt noch eine besonders mächtige und schlaue herrschende Klasse als Gegner hat. In Frankreich 2006 hat die Regierung de Villepin ungewollt selbst der Verallgemeinerung des Widerstands Vorschub geleistet, indem sie mit dem „CPE“ ein Gesetz erließ, welches einen Generalangriff gegen die Gesamtheit der proletarischen Jugend anblies. Die Regierung Merkel, welche Ähnliches vor hatte, ließ ihr Ansinnen sofort fallen, als sie das Ausmaß der Bewegung in Frankreich sah. Die Bourgeoisie in Griechenland wiederum wandte die Waffe der Repression zu freigiebig an, so dass sie aus einem Mittel der Einschüchterung zu einem Mittel der Aufstachelung des Widerstandes wurde. Erst die Ermordung eines jugendlichen Protestierenden in Athen ließ die Bewegung zu einem Massenereignis anschwellen, ließ die Welle der Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse hochschlagen.
Die ersten Kämpfe der neuen Generation der Jugend in Deutschland sind bescheidener im Umfang und fallen oft weniger radikal aus als in anderen Ländern. Bedeutsam aber ist, dass sie dort, wo sie deutlich proletarische Züge annehmen, genau dieselben Grundzüge annehmen wie woanders in der Welt. Was mancherorts an Selbstinitiative, an Debattenkultur, an Organisationsfähigkeit, an Kreativität und Fantasie in den letzten Tagen zu Tage trat, ließ auch uns staunen.
Schließlich ist es für die Arbeiterklasse insgesamt gerade heute wichtig, dass die Jugend den Weg des Kampfes einzuschlagen beginnt. Momentan werden die traditionellen Kernbereiche der Klasse von einer seit 1929 nie da gewesenen Welle von Firmenpleiten und Massenentlassungen überrollt, welche die Betroffenen erschreckt und zunächst erlahmen lässt. Die einst stolzen Klassenkämpfer von Opel, welche auf Entlassungsdrohungen in der Vergangenheit mit wilden Streiks und Betriebsbesetzungen reagierten, werden heute in die Rolle von Bittstellern gegenüber dem bürgerlichen Staat gedrängt. Die von der Firmenpleite in ihrer Existenz bedrohten Beschäftigten bei der Kaufhauskette Karstadt werden dazu gebracht, sich auf Kundgebungen hinter von mit Megaphon ausgestatteten, in der Art von Agitatoren auftretenden Firmenchefs zu stellen, welche die Lohnabhängigen für einen Kampf im Dienste der Firma um Staatsknete einschwören wollen. Inmitten dieses Drangsals, wo die unmittelbar Betroffenen keine unmittelbare Antworten finden, ist es wichtig, dass gerade diejenigen Teile der Klasse, welche weniger unmittelbar von dem Pleitegeier bedroht sind, den Kampf aufnehmen. Das sind heute die lernende Jugend, aber auch die Kita-Beschäftigten, welche sich nicht nur wehren, sondern offensiv die Einstellung von Zehntausenden neu zu Beschäftigenden fordern, nicht nur um gegenüber unerträglichen Arbeits- und Lernbedingungen Abhilfe zu leisten, sondern als Ausdruck einer langsam keimenden Ansicht, dass es heute nicht nur um die unmittelbare Situation geht, sondern um die Zukunft der Gesellschaft. Auf den Demos der vergangenen Woche riefen die Studierenden: „Wir sind laut, weil ihr uns die Bildung klaut“. Die SchülerInnen aber riefen: „Weil ihr uns die Zukunft klaut“.
21.06.2009.
Internationale Kommunistische Strömung, www.internationalism.org [23]
1) Am 6. März 1991 verkündete der damalige Präsident George Bush nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Sieg der Koalition im Irak vor dem US-Kongress die Schaffung einer "neuen Weltordnung", die sich auf den "Respekt des Völkerrechts" stütze. Diese neue Weltordnung sollte der Welt „Frieden und Wohlstand“ bringen. Das "Ende des Kommunismus" bedeute den "endgültigen Triumph des liberalen Kapitalismus". Einige, wie der "Philosoph" Francis Fukuyama, sagten gar das "Ende der Geschichte" voraus. Aber die Geschichte, d.h. die wirkliche und nicht die der Propagandareden, hat den Schwindel dieser Scharlatane sehr schnell als lächerlich entblößt. Statt Frieden brach im Jahr 1991 ganz im Gegenteil der Krieg im ehemaligen Jugoslawien aus, mit Hunderttausenden Toten im Herzen Europas, auf einem Kontinent, der seit mehr als einem halben Jahrhundert von dieser Geißel verschont geblieben war. Die Rezession von 1993, dann der Zusammenbruch der asiatischen "Tiger" und "Drachen" 1997 und schließlich eine neuerliche Rezession im Jahr 2002 setzten der durch die "Internetblase" aufgekommenen Euphorie ein Ende und kratzten beträchtlich an den Illusionen über den von Bush Senior angekündigten "Wohlstand". Heute dagegen zeichnen sich die offiziellen Reden der herrschenden Klasse dadurch aus, die Reden von gestern zu ignorieren. Zwischen 2003 und 2007 waren euphorische Töne in den offiziellen Reden der Herrschenden zu vernehmen. Man feierte den Erfolg des "angelsächsischen Modells", das beispiellose Profite, beträchtliche Wachstumsraten des BIP und selbst einen bedeutsamen Rückgang der Arbeitslosigkeit ermöglichte. Man konnte die Triumphe der "liberalen Wirtschaft" und den Nutzen der "Deregulierung" nicht genügend loben. Doch seit dem Sommer 2007 und vor allem seit dem Sommer 2008 ist dieser Optimismus wie Schnee in der Sonne geschmolzen. Jetzt blenden die Herrschenden Begriffe wie "Wohlstand", "Wachstum", "Triumph des Liberalismus" in ihren Reden diskret aus. Am Tisch des großen Banketts der kapitalistischen Wirtschaft hat sich nun ein Gast niedergelassen, den man für immer verbannt zu haben glaubte: die Krise, das Gespenst einer "neuen weltweiten Depression", ähnlich wie die der 1930er Jahre.
2) Den Reden aller Verantwortlichen der herrschenden Klasse, aller "Wirtschaftsexperten", auch der bedingungslosesten Beweihräucherer des Kapitalismus zufolge ist die gegenwärtige Krise die schlimmste seit der großen Depression, die 1929 ausgebrochen war. Die OECD meint: "Die Weltwirtschaft befindet sich inmitten der tiefsten Rezession, die wir zu unseren Lebzeiten je erlebt haben." (Zwischenbericht März 2009) Einige zögern nicht einmal, in Erwägung zu ziehen, dass sie noch schlimmer werden wird und dass der Grund, weshalb ihre Folgen nicht so katastrophal sein werden wie während der 1930er Jahre, darin liege, dass seither die Führer der Welt aus dieser Erfahrung gelernt hätten und mittlerweile mit solchen Situationen umgehen könnten. Das werde insbesondere daraus ersichtlich, dass sie verhindert hätten, dass "jeder für sich handelt". "Obwohl dieser schwere weltweite Konjunkturabschwung von einigen bereits als ‘Große Rezession’ bezeichnet wurde, sind wir weit davon entfernt, eine Wiederholung der Großen Depression der 1930er Jahre zu erleben, was der Qualität und Intensität der gegenwärtig getroffenen staatlichen Maßnahmen zu verdanken ist. Die Große Depression wurde durch verheerende wirtschaftspolitische Fehler verstärkt, von einer kontraktiven Geldpolitik bis hin zu einer Beggar-thy-Neighbour-Politik in Form einer protektionistischen Handelspolitik und eines Abwertungswettlaufs. Im Gegensatz hierzu hat die gegenwärtige Rezession alles in allem die richtigen Politikreaktionen ausgelöst." (ebenda) (www.oecd.org [5])
Auch wenn alle Teile der herrschenden Klasse die Tragweite der gegenwärtigen Erschütterungen der kapitalistischen Wirtschaft erkannt haben, sind ihre Erklärungen, die oft voneinander abweichen, selbstredend unfähig, die wahre Bedeutung dieser Erschütterungen und die Perspektive, die sich daraus für die gesamte Gesellschaft ergibt, zu begreifen. Einigen zufolge ist die "verrückte Finanzwelt" für die großen Schwierigkeiten des Kapitalismus verantwortlich, d.h. die Tatsache, dass sich seit Anfang 2000 eine Reihe von "toxischen Finanzprodukten" entwickelt hat, die eine grenzenlose Krediterweiterung ohne ausreichende Zahlungsgarantien ermöglichte. Andere behaupten, dass der Kapitalismus international unter zu viel "Deregulierung" leide, eine Orientierung, die im Zentrum der "Reagonomics" Anfang der 1980er Jahre stand. Andere wiederum, insbesondere die Repräsentanten der Linken des Kapitals, beteuern, die eigentliche Wurzel liege in den zu niedrigen Einkommen der Beschäftigten, was diese insbesondere in den entwickeltsten Ländern dazu zwinge, die Flucht in eine noch größere Verschuldung anzutreten, um ihre elementaren Bedürfnisse zu befriedigen. Aber ungeachtet all der unterschiedlichen Auffassungen liegt ihre Gemeinsamkeit darin zu behaupten, nicht der Kapitalismus als Produktionsweise sei die Ursache, sondern diese oder jene Erscheinungsform des Systems. Gerade dieses Ausgangspostulat hindert all diese Interpreten daran, die wahren Ursachen der gegenwärtigen Krise und das, was auf dem Spiel steht, zu begreifen.
3) In Wirklichkeit kann man nur durch eine globale und historische Ansicht der kapitalistischen Produktionsweise begreifen, welche Konsequenzen und Perspektiven sich aus der gegenwärtigen Krise ergeben. Auch wenn dies von allen "Wirtschaftsexperten" vertuscht wird, treten heute die Widersprüche des Kapitalismus offen zutage: die Überproduktionskrise des Systems, seine Unfähigkeit, die Masse der produzierten Waren zu verkaufen. Es gibt keine Überproduktion hinsichtlich der wirklichen Bedürfnissen der Menschheit, die noch weit davon entfernt sind, befriedigt zu werden. Es gibt nur Überproduktion im Verhältnis zu den zahlungsfähigen Märkten; das Geld zur Zahlung der Produkte ist nicht vorhanden. Die offiziellen Reden sowie die Maßnahmen, die von den meisten Regierungen ergriffen werden, konzentrieren sich ausnahmslos auf die Finanzkrise, auf die Verhinderung des Bankrotts von Banken, aber in Wirklichkeit ist das, was die Kommentatoren (im Gegensatz zur "fiktiven Wirtschaft") die "reale Wirtschaft" nennen, dabei diese Tatsache zu verdeutlichen: Kein Tag vergeht, an dem nicht neue Werksschließungen, Massenentlassungen, Pleiten von Industrieunternehmen angekündigt werden. Die Tatsache, dass General Motors, das jahrzehntelang das größte Unternehmen der Welt war, sein Überleben nur der massiven Unterstützung des amerikanischen Staates verdankt, während Chrysler sich offiziell zahlungsunfähig erklärte und in die Hände der italienischen Firma Fiat fällt, spricht Bände über die tieferliegenden Probleme der kapitalistischen Wirtschaft. Der Rückgang des Welthandels, der zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg registriert wurde und von der OECD für 2009 mit -13.2 Prozent prognostiziert wird, zeigt die Unfähigkeit der Unternehmen, die entsprechenden Abnehmer für ihre Waren zu finden.
Die heute offensichtlich gewordene Überproduktionskrise ist keine einfache Folge der Finanzkrise, wie uns die meisten "Experten" weiszumachen versuchen. Sie hat ihren Ursprung in den inneren Gesetzen der kapitalistischen Wirtschaft selbst, wie es der Marxismus schon vor anderthalb Jahrhunderten aufgezeigt hat. Solange die Eroberung der Welt durch die kapitalistischen Metropolen andauerte, ermöglichten die neuen Märkte die vorübergehende Überwindung der Überproduktion. Aber sobald diese Eroberungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu Ende gingen, hatten die Metropolen, insbesondere jene, die beim Run auf die Kolonien zuletzt auf den Zug aufgesprungen war, Deutschland, keine andere Wahl als die Einflussgebiete der Rivalen anzugreifen, was den Ersten Weltkrieg auslöste, lange bevor die Überproduktionskrise zum Ausbruch kam. Diese trat jedoch mit dem Krach von 1929 und der großen Depression der 1930er Jahre voll ans Tageslicht, wodurch die kapitalistischen Großmächte zur Flucht in den 2. Weltkrieg getrieben wurden, der den Ersten Weltkrieg hinsichtlich der Massaker und der Barbarei bei weitem übertraf. All die von den Großmächten nach dem 2. Weltkrieg ergriffenen Maßnahmen, insbesondere die Organisierung großer Bereiche der Wirtschaft unter US-Vorherrschaft wie auf der Ebene der Währung (Bretton Woods) und die Einführung neokeynesianischer Maßnahmen durch die Staaten sowie die positiven Auswirkungen der Entkolonisierung auf die Märkte ermöglichten dem Weltkapitalismus, nahezu drei Jahrzehnte lang die Illusion zu verbreiten, er habe letztendlich doch seine Widersprüche überwunden. Doch diese Illusion wurde 1974 durch den Ausbruch einer gewaltigen Rezession erschüttert, die sich besonders stark auf die USA auswirkte. Diese Rezession bildete dabei nicht etwa den Auftakt zu den großen Kalamitäten des Kapitalismus, da ihr bereits die Krise von 1967 vorausgegangen war und auch der Dollar sowie das britische Pfund Sterling bereits in der Krise steckten, d.h. zwei Hauptwährungen des Bretton Woods-Systems. Schon Ende der 1960er Jahre hatte der Neokeynesianismus sein historisches Scheitern offenbart, wie es seinerzeit die Gruppen betonten, die später die IKS bilden sollten.
Aber für alle bürgerlichen Kommentatoren und die Mehrheit der Arbeiterklasse läutete erst das Jahr 1974 den Beginn eines neuen Zeitalters des Kapitalismus nach dem Krieg ein, insbesondere nach dem Wiederauftauchen eines Phänomens, das man in den entwickelten Ländern endgültig gebannt geglaubt hatte – die Massenarbeitslosigkeit. Damals nahm auch die Flucht in die Verschuldung an Fahrt auf. Zu jener Zeit standen die Länder der Dritten Welt an der Spitze der höchstverschuldeten Staaten; sie bildeten eine Zeitlang die “Lokomotive” des Wiederaufschwungs. Zu Beginn der 1980er Jahre, mit dem Ausbruch der Schuldenkrise, ging diese Phase zu Ende, nachdem die Länder der Dritten Welt unfähig waren, ihre Schulden zurückzuzahlen, die es ihnen eine Zeitlang ermöglicht hatten, als Absatzmarkt für die Produktion der großen Industrieländer zu dienen. Aber die Flucht in die Verschuldung ging damit nicht zu Ende. Die USA lösten die anderen Länder als “Lokomotive” ab, allerdings zum Preis eines beträchtlichen Anstiegs ihres Handelsbilanzdefizits und vor allem ihres Haushaltsdefizits. Diese Politik konnten sie aufgrund der privilegierten Rolle ihrer nationalen Währung, des Dollars, als Weltleitwährung betreiben. Auch wenn Reagans Credo zur Liquidierung des Neokeynesianismus lautete: “Der Staat ist nicht die Lösung, er ist das Problem”, bildete der amerikanische Staat auf Kosten gewaltiger Haushaltsdefizite die Hauptkraft in der US-Wirtschaft wie auch in der Weltwirtschaft. Aber die Politik der “Reagonomics”, die zunächst von Margaret Thatcher in Großbritannien inspiriert worden war, bedeutete im Wesentlichen den Abbau des “Wohlfahrtstaats”, d.h. noch nie dagewesene Angriffe gegen die Arbeiterklasse, wodurch die galoppierende Inflation überwunden werden konnte, die den Kapitalismus seit Ende der 1970er Jahre geprägt hatte.
In den 1990er Jahren bildeten die asiatischen “Tiger” und “Drachen” eine der Lokomotiven der Weltwirtschaft ; dort wurden spektakuläre Wachstumszahlen verbucht, allerdings auf Kosten einer beträchtlichen Verschuldung, die 1997 zu großen Erschütterungen führte. Gleichzeitig wurde das “neue” und “demokratische” Russland zahlungsunfähig; dies war insbesondere für jene, die “auf das Ende des Kommunismus” gesetzt hatten, um die Weltwirtschaft wieder anzukurbeln, eine gewaltige Enttäuschung. Die “Internetblase” Ende der 1990er Jahre, die in Wirklichkeit eine frenetische Spekulation mit den “High-tech”-Firmen war, löste sich 2001-2002 auf und brachte damit den Traum einer Ankurbelung der Weltwirtschaft durch die Entwicklung neuer Technologien im Bereich Information und Kommunikation zu Ende. So wurde die Verschuldung erneut angefacht, insbesondere mittels einer gewaltigen Aufblähung der Immobilienkredite in vielen Ländern, insbesondere in den USA. Die USA spielten somit erneut die Rolle der “Lokomotive” der Weltwirtschaft, wieder zum Preis einer grenzenlosen Verschuldung – diesmal insbesondere der amerikanischen Bevölkerung -, die sich auf alle möglichen “Finanzprodukte” stützte, die Risiken der Zahlungsunfähigkeit vermeiden sollten. In Wirklichkeit hat die Streuung der zweifelhaften Kredite keineswegs die Gefahr aus der Welt geschafft, die von ihnen ausgeht, nämlich als Damoklesschwert über der US-Wirtschaft und der Weltwirtschaft insgesamt zu hängen. Im Gegenteil, es kam zu einer Anhäufung von “toxischen Aktiva” in den Vermögen der Banken, die schließlich den Zusammenbruch 2007 allmählich auslösten.
4) So ist die Finanzkrise nicht die Wurzel der gegenwärtigen Rezession. Im Gegenteil, die Finanzkrise verdeutlicht nur die Tatsache, dass die Flucht in die Verschuldung, die die Überwindung der Überproduktion ermöglicht hatte, nicht endlos lange fortgesetzt werden kann. Früher oder später rächt sich dies in der “Realwirtschaft”, d.h. was die Grundlagen der Widersprüche des Kapitalismus darstellt – die Überproduktion, die Unfähigkeit der Märkte, die Gesamtheit der produzierten Waren zu absorbieren. Diese Widersprüche treten dann wieder deutlich in Erscheinung.
Deshalb können die Maßnahmen, die auf dem Gipfel der G20 in London im März 2009 beschlossen wurden - eine Verdoppelung der Reserven des Internationalen Währungsfonds, eine massive staatliche Unterstützung des zerbröckelnden Finanzsystems, eine Ermunterung der Staaten zu einer aktiven Ankurbelungspolitik auf Kosten einer spektakulären Erhöhung der Haushaltsdefizite - auf keinen Fall das grundlegende Problem lösen. Die Flucht in die Verschuldung ist eines der Merkmale für die Brutalität der gegenwärtigen Rezession. Die einzige “Lösung”, die die herrschende Klasse umsetzen kann, ist eine weitere Flucht in die Verschuldung. Der G20-Gipfel konnte keine Lösung für die Krise erfinden, aus dem einfachen Grund, weil es keine Lösung für die Krise gibt. Seine Aufgabe war es, die Haltung des Jeder-für-sich zu vermeiden, die in den 1930er Jahren vorgeherrscht hatte. Ebenso wollte er ein wenig Vertrauen in die Träger der Wirtschaft schaffen, wohl wissend, dass das Vertrauen im Kapitalismus ein wesentlicher Faktor für einen zentralen Bestandteil seiner Funktionsweise ist: den Kredit. Diese Tatsache, dass man so stark das Element der “Psychologie” angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Erschütterungen und der materiellen Lage betont, verdeutlicht den zutiefst illusorischen Charakter der Maßnahmen, die der Kapitalismus gegenüber der historischen Krise seiner Wirtschaft ergreifen kann. Auch wenn das kapitalistische System nicht wie ein Kartenhaus zusammenstürzen wird, auch wenn der Rückgang der Produktion nicht endlos weitergehen wird, bleibt es bei der Perspektive eines immer tieferen Versinkens in der historischen Sackgasse und der Vorbereitung von noch größeren Erschütterungen als jene, die wir derzeit erleben. Seit mehr als vier Jahrzehnten hat sich die herrschende Klasse als unfähig erwiesen, die Zuspitzung der Krise zu verhindern. Heute ist die Lage viel verheerender als in den 1960er Jahren. Trotz all der Erfahrungen, die sie während all dieser Jahrzehnte gewonnen hat, kann die herrschende Klasse es nicht besser machen, sondern wird die Dinge nur noch schlimmer machen. Insbesondere die neokeynsianischen Maßnahmen, die vom Londoner G20-Gipfel propagiert wurden (die gar bis zur Verstaatlichung von in Schwierigkeiten geratenen Banken gehen können) haben keine Aussicht darauf, den Kapitalismus irgendwie wieder “gesunden” zu lassen, denn der Beginn dieser großen Schwierigkeiten Ende der 1960er Jahre war just auf das Scheitern dieser neokeynesianischen Maßnahmen zurückzuführen, die nach dem 2. Weltkrieg ergriffen worden waren.
5) Während die brutale Zuspitzung der kapitalistischen Krise die herrschende Klasse sehr überrascht hat, gilt dies für die Revolutionäre keineswegs. In der Resolution, die von unserem letzten Internationalen Kongress noch vor dem Beginn der Panik im Sommer 2007 verabschiedet wurde, schrieben wir : “Schon jetzt lösen die Gewitterwolken, die sich im Immobiliensektor in den Vereinigten Staaten - einer wichtigen Triebkraft der nationalen Ökonomie – mit der Gefahr von katastrophalen Bankenpleiten zusammenbrauen, große Sorgen in den maßgeblichen Wirtschaftskreisen aus” (Punkt 4, Internationale Revue Nr. 40, S. 10)
Dieselbe Resolution teilte auch nicht die großen Erwartungen, die das “chinesische Wirtschaftswunder” hervorgerufen hatte: “Somit ist das ‘chinesische Wunder’ und anderer Länder der Dritten Welt weit entfernt davon, einen ‘frischen Wind’ für die kapitalistische Wirtschaft darzustellen. Es ist nichts anderes als eine Variante des niedergehenden Kapitalismus. Darüber hinaus stellt die extreme Exportabhängigkeit der chinesischen Wirtschaft einen empfindlichen Punkt im Falle eines Nachfragerückgangs dar, eines Rückgangs, der unweigerlich kommen wird, insbesondere wenn die amerikanische Wirtschaft gezwungen sein wird, etwas Ordnung in die schwindelerregende Schuldenwirtschaft zu bringen, die es ihr momentan erlaubt, die Rolle der ‘Lokomotive’ der weltweiten Nachfrage zu spielen. So wie das ‘Wunder’ der asiatischen ‘Tiger’ und ‘Drachen’, die durch zweistellige Wachstumsraten geglänzt hatten, 1997 ein schmerzhaftes Ende fand, wird das heutige ‘chinesische Wunder’, auch wenn es andere Ursachen hat und über wesentliche ernsthaftere Trümpfe verfügt, früher oder später unweigerlich in der historischen Sackgasse der kapitalistischen Produktionsweise landen.” (Punkt 6, ebenda, S. 11)
Der Rückgang des chinesischen Wachstums und die damit verbundene Explosion der Arbeitslosigkeit sowie die zwangsweise Rückkehr von Abermillionen Bauern, die in den Industriegürteln schufteten, um einer unsagbaren Armut zu entkommen, in ihre Dörfer, bestätigen diese Prognose vollauf.
Die Fähigkeit der IKS, das vorauszusehen, was dann eintrat, stellt kein “besonderes Verdienst” unserer Organisation dar. Das einzige “Verdienst” ist unsere Treue zur marxistischen Methode, die Fähigkeit, sie ständig bei der Analyse der Wirklichkeit anzuwenden, der Wille, den Sirenen standhaft zu widerstehen, die das “endgültige Scheitern des Marxismus” verkünden.
6. Die Aktualität des Marxismus zeigt sich nicht nur in den wirtschaftlichen Vorgängen dieser Gesellschaft. Bei der Verschleierungskampagne, die Anfang der neunziger Jahre unternommen wurde, ging es im Kern um die angebliche Eröffnung einer Friedensepoche für die ganze Welt. Das Ende des „Kalten Krieges“, das Verschwinden des Ostblocks, der seinerzeit von Reagan als das „Reich des Bösen“ dargestellt wurde, sollte angeblich die diversen militärischen Konflikte beenden, zu denen seit 1947 die Konfrontation zwischen den beiden imperialistischen Blöcken geführt hatte. Entgegen solchen Illusionen über die Möglichkeit des Friedens innerhalb des Kapitalismus hat der Marxismus stets in Abrede gestellt, dass die bürgerlichen Staaten fähig seien, ihre wirtschaftlichen und militärischen Rivalitäten insbesondere in der Niedergangsperiode des Kapitalismus zu überwinden. Daher konnten wir schon im Januar 1990 schreiben:
„Das Verschwinden des russischen imperialistischen Gendarmen und damit auch die Auflösung der Gendarmenrolle des amerikanischen Imperialismus gegenüber seinen 'Hauptpartnern' von früher öffnet die Tür für das Aufbrechen von einer ganzen Reihe von lokalen Rivalitäten. Diese Rivalitäten und Zusammenstöße können gegenwärtig nicht in einen Weltkrieg ausarten (…). Weil die vom Block auferzwungene Disziplin nicht mehr gegeben ist, werden diese Konflikte dagegen viel häufiger und gewalttätiger werden, insbesondere in den Gegenden, wo die Arbeiterklasse am schwächsten ist.“ (Internationale Revue Nr. 12 „Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks: Destabilisierung und Chaos“) Die Weltlage bestätigte diese Analyse sehr schnell, insbesondere mit dem ersten Golfkrieg im Januar 1991 und dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien ab dem Herbst desselben Jahres. Seitdem haben die blutigen und barbarischen Zusammenstöße nicht mehr aufgehört. Man kann sie hier nicht alle aufzählen, hier nur eine Auswahl von Kriegen:
- die Fortsetzung des Krieges im ehemaligen Jugoslawien, die 1999 zu einer direkten Intervention der USA und der wichtigsten europäischen Mächte, unter der Schirmherrschaft der NATO, führte;
- die zwei Kriege in Tschetschenien;
- die zahlreichen Kriege, die unaufhörlich den afrikanischen Kontinent verwüsten (Ruanda, Somalia, Kongo, Sudan usw.);
- die Militäroperationen von Israel gegen den Libanon und vor kurzem im Gazastreifen;
- der Krieg in Afghanistan von 2001;
- 2003 der Krieg im Irak, dessen Folgen weiterhin dramatisch auf diesem Land, aber auch auf der treibenden Kraft dieses Krieges, den USA, lasten.
Die Ausrichtung und die Auswirkungen der Politik dieser Supermacht sind von der IKS schon vor langer Zeit analysiert worden:
„Zwar hat sich die akute Gefahr eines Weltkrieges vermindert, doch gleichzeitig fand eine wahre Entfesselung imperialistischer Rivalitäten und lokaler Kriege unter direkter Beteiligung der größeren Mächte statt, allen voran der USA. Das weltweite Chaos, das seit dem Ende des Kalten Krieges um sich griff, zwang die USA, ihre Rolle als ‘Weltpolizist’, die sie seit Jahrzehnten spielt, noch zu verstärken. Jedoch führt dies keineswegs zu einer Stabilisierung der Welt; den USA geht es nur noch darum, krampfhaft ihre führende Rolle aufrechtzuerhalten. Eine Führungsrolle, die vor allem durch die ehemaligen Verbündeten permanent in Frage gestellt wird, da die Grundvoraussetzung der ehemaligen Blöcke, die Bedrohung durch den anderen Block, nicht mehr existiert. In Ermangelung der ‘sowjetischen Gefahr’ bleibt das einzige Mittel für die USA zur Durchsetzung ihrer Disziplin das Ausspielen ihrer größten Stärke - der absoluten militärischen Überlegenheit. Dadurch wird die Politik der USA selbst zu einem der stärksten Zerrüttungsfaktoren der Welt.“ (Resolution des 17. Kongresses der IKS zur internationalen Lage, Punkt 7)
7. Dass der Demokrat Barrak Obama die Regierungsgeschäfte der führenden Weltmacht übernommen hat, hat viele Illusionen über eine mögliche Richtungsänderung ihrer Strategie hervorgerufen, eine Änderung, die ein „Friedenszeitalter“ einläuten würde. Ein grundlegender Teil dieser Illusionen beruht auf den Tatsachen, dass Obama einer der wenigen Senatoren war, die gegen die Militärintervention in den Irak im Jahre 2003 stimmten, und dass er sich im Gegensatz zu seinem republikanischen Konkurrenten McCain zu einem Rückzug der amerikanischen Streitkräfte aus diesem Land verpflichtet hat. Doch diese Illusionen sind schnell mit den harten Tatsachen konfrontiert worden. So verfolgt Obama mit dem Rückzug der Truppen aus dem Irak lediglich den Zweck, sie dafür in Afghanistan und Pakistan einzusetzen. Im Übrigen wird die Kontinuität der Kriegspolitik der Vereinigten Staaten gut durch die Tatsache veranschaulicht, dass die neue Administration den von Bush ernannten Verteidigungsminister, Gates, übernommen hat.
In Wirklichkeit stellt die neue Ausrichtung der amerikanischen Diplomatie keineswegs den oben in Erinnerung gerufenen Rahmen in Frage. Sie verfolgt weiterhin das Ziel, mithilfe ihrer militärischen Überlegenheit die Vorherrschaft der USA auf dem Planeten zurückzuerobern. So hat Obamas Orientierung zugunsten einer größeren Rolle der Diplomatie hauptsächlich zum Ziel, Zeit zu gewinnen und somit den Zeitpunkt unausweichlicher imperialistischer Interventionen der amerikanischen Truppen hinauszuschieben, die momentan zu zerstreut und erschöpft sind, um gleichzeitig Krieg im Irak und in Afghanistan zu führen.
Es gibt jedoch, wie die IKS oft unterstrichen hat, innerhalb der amerikanischen Bourgeoisie zwei Optionen, um dieses Ziel zu erreichen:
- die von der demokratischen Partei vertretene Option, die versucht, andere Staaten in diese Unternehmung zu integrieren;
- die Mehrheitsoption unter den Republikanern, die darin besteht, durch Militärschläge die Initiative an sich zu reißen und sie den anderen Mächten um jeden Preis aufzuzwingen.
Die erste Option wurde insbesondere Ende der neunziger Jahre durch die Clinton-Regierung im ehemaligen Jugoslawien umgesetzt, als es dieser Administration gelang, die wichtigsten Mächte Westeuropas, insbesondere Deutschland und Frankreich, zur Kooperation und Teilnahme an den Bombardierungen Serbiens durch die NATO zu veranlassen, um diesen Staat zum Auszug aus dem Kosovo zu zwingen. Die zweite Option ist jene, die 2003 der Auslösung des Krieges gegen den Irak zugrunde lag, eines Krieges, der auf den entschlossenen Widerstand Deutschlands und Frankreichs stieß, die sich unter den damaligen Umständen mit Russland im UNO-Sicherheitsrat zusammentaten.
Doch bis heute war keine dieser beiden Optionen in der Lage, den Kurs zum weiteren Verlust der amerikanischen Vorherrschaft zu ändern. Die Politik der „gewaltsamen Durchsetzung“, die besonders die zwei Amtszeiten von George Bush junior prägte, führte nicht nur zum irakischen Chaos, das weit davon entfernt ist, sich aufzulösen, sondern auch zu einer wachsenden Isolierung der amerikanischen Diplomatie, was insbesondere durch die Tatsache verdeutlicht wurde, dass einige Länder, wie Spanien und Italien, die die USA 2003 unterstützt hatten, das Schiff des irakischen Abenteuers verließen (abgesehen von der etwas diskreteren Distanzierung der Regierung von Gordon Brown, jedenfalls im Vergleich zur bedingungslosen Unterstützung, die diesem Abenteuer von Tony Blair gewährt wurde). Umgekehrt sichert die Politik der „Kooperation“, der die Demokraten den Vorzug geben, auch nicht wirklich die „Treue“ der Mächte, die die USA an ihre kriegerischen Unternehmungen zu binden versuchen, und zwar insbesondere deshalb, weil sie diesen Staaten einen größeren Spielraum lässt, um ihre eigenen Interessen geltend zu machen.
So hat jetzt zum Beispiel die Obama-Regierung beschlossen, eine konziliantere Politik gegenüber dem Iran zu verfolgen und eine strengere Haltung gegenüber Israel einzunehmen, zwei Leitlinien, die im Sinn der Mehrzahl der Staaten der Europäischen Union sind, insbesondere Deutschlands und Frankreichs, zweier Länder, die wünschen, einen Teil des Einflusses zurückzugewinnen, den sie in der Vergangenheit im Iran und im Irak gehabt haben. Damit wird aber diese Neuorientierung nicht verhindern, dass wichtige Interessenkonflikte zwischen diesen zwei Ländern einerseits und den Vereinigten Staaten andererseits fortbestehen, insbesondere in Osteuropa (wo Deutschland versucht, „bevorzugte“ Beziehungen mit Russland zu pflegen) oder Afrika (wo die beiden Fraktionen, die den Kongo im Blut ertränken, die jeweilige Unterstützung Frankreichs bzw. der USA genießen).
Allgemeiner gesagt, hat die Auflösung der Blockkonstellation zum Auftauchen aufstrebender, zweitrangiger Imperialisten geführt, die die neuen Vorreiter bei der Destabilisierung der internationalen Lage bilden. Dies lässt sich am Beispiel des Irans aufzeigen, der eine Vormachtstellung im Nahen und Mittleren Osten unter der Fahne des „Widerstandes“ gegen den „großen amerikanischen Satan“ und des Kampfes gegen Israel anstrebt. Mit sehr viel beträchtlicheren Mitteln zielt China darauf ab, seinen Einfluss auf andere Kontinente auszudehnen, insbesondere auf Afrika, wo mit seiner wachsenden wirtschaftlichen Präsenz auch eine diplomatische und militärische Etablierung in dieser Region der Welt einhergeht, wie es bereits im Krieg im Sudan deutlich wurde.
Somit unterscheidet sich die Perspektive, vor der die Welt nach der Wahl von Obama zum Präsidenten der größten Weltmacht steht, nicht grundsätzlich von der Lage, die bis heute vorgeherrscht hat: fortgesetzte Konfrontationen zwischen erst- und zweitrangigen Imperialisten, fortdauernde kriegerische Barbarei mit immer tragischeren Folgen für die direkt betroffene Bevölkerung (Hungersnöte, Epidemien, Flüchtlingsströme). Es ist sogar zu erwarten, dass die Unbeständigkeit, die die beträchtliche Verschlimmerung der Krise in einer ganzen Reihe von Ländern der Peripherie verursachen wird, zu verstärkten Zusammenstößen zwischen den militärischen Cliquen in diesen Ländern führen wird - bei denen wie immer die verschiedenen imperialistischen Großmächte kräftig mitmischen werden. Angesichts dieser Lage werden Obama und seine Administration nichts anderes tun können, als die kriegstreiberische Politik ihrer Vorgänger fortzusetzen, wie wir es am Beispiel von Afghanistan sehen, eine Politik, die gleichbedeutend ist mit wachsender kriegerischer Barbarei.
8. Sowenig die „guten Absichten“, die Obama auf diplomatischer Ebene bekundet hat, das militärische Chaos eindämmen oder die Nation, an deren Spitze er steht, daran hindern werden, ein aktiver Faktor in diesem Chaos zu sein, wird die amerikanische Neuorientierung, die er heute im Bereich des Umweltschutzes ankündigt, die Verschlimmerung der Lage in diesem Bereich aufhalten. Diese Verschlechterung ist keine Frage des guten oder bösen Willens der Regierungen, so mächtig sie auch sein mögen. Jeder Tag, der vergeht, offenbart ein wenig mehr von der echten Umweltkatastrophe, die den Planeten bedroht: immer gewaltigere Orkane in Ländern, die bis vor kurzem davon verschont geblieben waren, Trockenheit, Hitzewellen, Überschwemmungen, Schmelzen des Packeises, Länder, die in den Fluten des ansteigenden Meeres zu versinken drohen … die Perspektiven werden immer finsterer. Diese Zerstörung unserer Umwelt führt zu einer weiteren Zuspitzung der kriegerischen Zusammenstöße; insbesondere die versiegenden Trinkwasserreserven werden einen Krisenherd in künftigen Konflikten darstellen.
Wie es die Resolution des letzten internationalen Kongresses unterstrich:
„Wie die IKS schon vor mehr als 15 Jahren hervorgehoben hat, bedeutet der zerfallende Kapitalismus eine Bedrohung für das Überleben der Menschheit. Die von Engels Ende des 19. Jahrhunderts formulierte Alternative ‘Sozialismus oder Barbarei’ ist im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einer schrecklichen Realität geworden. Was uns das 21. Jahrhundert in Aussicht stellt, ist in der Tat ‘Sozialismus oder Zerstörung der Menschheit’. Und das ist die Herausforderung, vor der die einzige Klasse in der Gesellschaft steht, die den Kapitalismus überwinden kann, die Arbeiterklasse.“ (Punkt 10)
9. Diese Fähigkeit der Arbeiterklasse, der Barbarei des zerfallenden Kapitalismus ein Ende zu setzen, um aus der Vorgeschichte herauszugelangen und die Tür zum “Reich der Freiheit“ zu öffnen, wie es Engels ausdrückte, bildet sich schon heute in den täglichen Kämpfen gegen die kapitalistische Ausbeutung. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der so genannten „sozialistischen Länder“, den ohrenbetäubenden Kampagnen vom „Ende des Kommunismus“, wenn nicht gar vom „Ende des Klassenkampfes“, haben zu einem schweren Rückschlag des Bewusstseins und des Kampfgeistes geführt - einen Rückschlag, dessen Folgen zehn Jahre andauerten. Erst ab 2003 hatte das Proletariat, wie die IKS wiederholt unterstrich, diese Tendenz überwunden und erneut den Weg des Kampfes eingeschlagen, um sich gegen die kapitalistischen Angriffe zu wehren. Seither ist die neue Tendenz nicht umgedreht worden, und in den zwei Jahren seit unserem letzten Kongress sahen wir in allen Teilen der Erde die Fortsetzung von bedeutenden Kämpfen. Bei verschiedenen Gelegenheiten konnte man sogar eine Simultanität von wichtigen Kämpfen auf Weltebene beobachten. Anfang 2008 gab es in folgenden Ländern zeitgleich Kämpfe: Russland, Irland, Belgien, Schweiz, Italien, Griechenland, Rumänien, Türkei, Israel, Iran, Bahrain, Tunesien, Algerien, Kamerun, Swaziland, Venezuela, Mexiko, die USA, Kanada und China.
Die vergangenen Jahren waren Zeuge sehr bedeutender Klassenkämpfe. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wollen wir folgende Beispiele aufzählen:
- die großen Streiks in der ägyptischen Textilindustrie im Sommer 2007, mit denen sich zahlreiche andere Sektoren (Hafenarbeiter, Krankenhäuser, Transportwesen) solidarisierten.
- der Streik der Bauarbeiter in Dubai im November 2007 (hauptsächlich Migranten) mit massiven Mobilisierungen.
- ein sehr kämpferischer Streik der Bahnarbeiter in Frankreich im November 2007, ausgelöst durch die Angriffe gegen die alten Rentenregelungen, wobei es Beispiele der Solidarisierung mit Studierenden gab, die gleichzeitig gegen die Versuche der Regierung mobilisierten, die gesellschaftliche Trennung an den Universitäten weiter voranzutreiben - ein Streik, der die Sabotagerolle der großen Gewerkschaftsverbände, namentlich der CGT und der CFDT, entlarvte, so dass die Bourgeoisie gezwungen wurde, das Bild ihres Apparates zur Kanalisierung der Arbeiterkämpfe aufzupolieren.
- gegen Ende 2007 der einmonatige Streik von 26.000 Arbeitern der Türk Telekom, die wichtigste Mobilisierung des türkischen Proletariats seit 1991, und dies, während die türkische Armee in eine Intervention im Irak verwickelt war.
- in Russland im November 2008, wo der wichtige Streik der Arbeiter der Ford-Werke in St. Petersburg stattfand, der die Fähigkeit unter Beweis stellte, der Einschüchterung durch die Polizei und den Geheimdienst FSB (ehemaliger KGB) zu trotzen.
- in Griechenland gegen Ende 2008, als in einem Klima großer Unzufriedenheit, das sich bereits zuvor geäußert hatte, die Arbeiterklasse den Mobilisierungen der Studenten, von denen Teile die offiziellen Gewerkschaften in Frage stellten, gegen die Repression eine tiefe Solidarität entgegenbrachte; eine Solidarität, die nicht in den Grenzen des Landes gefangen blieb, sondern ein großes Echo in vielen Ländern Europas auslöste.
- in Großbritannien, wo der Streik der Lindsay-Raffinerie Anfang 2009 eine der wichtigsten Bewegungen der Arbeiterklasse in Großbritannien seit zwei Jahrzehnten darstellte - einer Arbeiterklasse, die in den 80er Jahren große Niederlagen einstecken musste. Diese Bewegung zeigte die Fähigkeit der Arbeiterklasse, die Kämpfe auszuweiten, und es gab Anzeichen einer Konfrontation mit dem bleiernen Nationalismus, als sich britische und ausländische (polnische und italienische) Arbeiter in Solidaritätsdemonstrationen zusammenfanden.
10. Die gegenwärtige Zuspitzung der Krise des Kapitalismus bildet ein wichtiges Element in der Entwicklung der Kämpfe der Arbeiterklasse. Schon jetzt ist die Arbeiterklasse weltweit mit massiven Entlassungen und einer steigenden Arbeitslosigkeit konfrontiert. Das Proletariat macht auf eine enorm konkrete Art und Weise seine Erfahrungen mit der Unfähigkeit des kapitalistischen Systems, auch nur die grundlegenden Lebensbedingungen der Arbeiter, die es ausbeutet, aufrechtzuerhalten. Noch schlimmer, der Kapitalismus ist immer weniger im Stande, den neuen Generationen der Arbeiterklasse eine Zukunft anzubieten, was nicht nur für die Jungen selber, sondern auch für deren Eltern einen Faktor der Angst und Perspektivlosigkeit darstellt. Damit reifen die Bedingungen für eine mögliche Verbreitung der Einsicht in den Reihen des Proletariates, dass der Kapitalismus überwunden werden muss. Doch es genügt nicht, wenn die Arbeiterklasse feststellt, dass der Kapitalismus in einer Sackgasse steckt und einer anderen Gesellschaft Platz machen sollte, damit sie in die Lage versetzt wird, sich eine revolutionäre Perspektive zu geben. Es braucht auch die Überzeugung, dass eine solche Perspektive möglich ist und dass die Arbeiterklasse die Kraft hat, sie umzusetzen. Genau auf dieser Ebene hat die herrschende Klasse nach dem Zusammenbruch des angeblichen „Realsozialismus“ eine wirkungsvolle Kampagne gegen die Arbeiterklasse geführt. Einerseits hat sie die Meinung verbreitet, der Kommunismus sei ein leerer Traum: „Der Kommunismus funktioniert nicht. Der Beweis dafür ist die Tatsache, dass er durch die Leute, die darin gelebt haben, zugunsten des Kapitalismus wieder abgeschafft wurde.“ Andererseits ist es der herrschenden Klasse gelungen, innerhalb der Arbeiterklasse ein starkes Gefühl der Machtlosigkeit und der Unfähigkeit, selbst massive Kämpfe führen zu können, zu verbreiten. Diesbezüglich unterscheidet sich die heutige Situation sehr stark von derjenigen vor dem historischen Wiederauftauchen der Arbeiterklasse Ende der 1960er Jahre. Damals zeigten die massiven Arbeiterkämpfe, vor allem der gewaltige Streik im Mai 1968 in Frankreich und der Heiße Herbst in Italien 1969, dass die Arbeiterklasse innerhalb der Gesellschaft eine bestimmende Kraft sein kann und die Idee der Überwindung des Kapitalismus durch sie nicht nur unrealisierbare Träume sind. Doch da die Krise des Kapitalismus erst an ihrem Anfang stand, fehlte dem Bewusstsein über die absolute Notwendigkeit, das System zu überwinden, noch die materielle Grundlage zur Verbreitung in der Arbeiterklasse. Man kann diese Situation wie folgt zusammenfassen: Ende der 1960er Jahre mochte die Idee, dass die Revolution möglich ist, relativ verbreitet gewesen sein, aber die Idee, dass die Revolution unabdingbar ist, drängte sich noch nicht auf. Demgegenüber findet heute die Idee, dass die Revolution nötig ist, ein beträchtliches Echo, aber die Idee, dass sie auch möglich ist, ist außerordentlich selten anzutreffen.
11. Damit das Bewusstsein über die Möglichkeit der kommunistischen Revolution in der Arbeiterklasse wirklich Wurzeln schlagen kann, muss Letztere Vertrauen in ihre eigenen Kräfte gewinnen, und dies geschieht in massenhaften Kämpfen. Der gewaltige Angriff, der schon jetzt auf Weltebene gegen sie geführt wird, bildet eine objektive Grundlage für solche Kämpfe. Doch die wichtigste Form, in der diese Angriffe stattfinden - Massenentlassungen -, läuft der Entwicklung solcher Kämpfe zunächst zuwider. Im Allgemeinen - und dies hat sich in den letzten vierzig Jahren immer wieder gezeigt – finden die wichtigsten Kämpfe nicht in Zeiten eines starken Anstiegs der Arbeitslosigkeit statt. Die Massenentlassungen und die Arbeitslosigkeit haben die Tendenz, momentan eine gewisse Lähmung der Klasse hervorzurufen. Diese sieht sich durch die Unternehmer erpresst: „Wenn ihr nicht zufrieden seid - es stehen viele andere Arbeiter bereit, um euch zu ersetzen.“ Die Bourgeoisie kann diese Lage ausnutzen, um eine Spaltung der Arbeiterklasse zu bewirken, d.h. eine Gegenüberstellung zwischen denen, die ihre Arbeit verlieren, und denen, die das „Privileg“ haben, sie zu behalten. Zudem verstecken sich die Unternehmen und die Regierungen hinter einem „entscheidenden“ Argument: „Wir können nichts dafür, wenn die Arbeitslosigkeit zunimmt und ihr entlassen werdet: Die Krise ist schuld.“ Schließlich wird die Waffe des Streiks angesichts von Fabrikschließungen stumpf, was das Gefühl der Ohnmacht der Arbeiter verstärkt. Zwar können angesichts einer historischen Situation, in der das Proletariat keine entscheidende Niederlage eingesteckt hat - im Gegensatz zur Lage in den 1930er Jahren -, Massenentlassungen, die bereits begonnen haben, durchaus sehr harte Kämpfe, wenn nicht gar Gewaltausbrüche hervorrufen. Doch zunächst werden es aller Voraussicht nach verzweifelte und vergleichsweise isolierte Kämpfe sein, auch wenn ihnen andere Teile der Arbeiterklasse ehrliche Sympathie entgegenbringen. Selbst wenn es also in der nächsten Zeit keine bedeutende Antwort der Arbeiterklasse auf die Angriffe gibt, dürfen wir nicht denken, dass sie aufgehört habe, für die Verteidigung ihrer Interessen zu kämpfen. Erst in einer zweiten Phase, wenn sie in der Lage sein wird, den Erpressungen der Bourgeoisie zu widerstehen, wenn sich die Einsicht durchgesetzt hat, dass nur der vereinte und solidarische Kampf die brutalen Angriffe der herrschenden Klasse bremsen kann - namentlich wenn diese versuchen wird, die gewaltigen Budgetdefizite, die gegenwärtig durch die Rettungspläne zugunsten der Banken und durch die „Konjunkturprogramme“ angehäuft werden, von allen ArbeiterInnen bezahlen zu lassen -, erst dann werden sich Arbeiterkämpfe in größerem Ausmaß entwickeln können. Das bedeutet nicht, dass die Revolutionäre bei den gegenwärtigen Kämpfen abseits stehen sollten. Vielmehr sind diese Teil der Erfahrungen, die das Proletariat machen muss, um eine neue Stufe im Kampf gegen den Kapitalismus zu nehmen. Und es gehört zu den Aufgaben der kommunistischen Organisationen, in diesen Kämpfen die allgemeine Perspektive des proletarischen Kampfes und die folgenden Schritte, die in diese Richtung unternommen werden müssen, voran zu stellen.
12. Der Weg, der uns zu revolutionären Kämpfen und zum Umsturz des Kapitalismus führt, ist lang und schwierig. Zwar erweist sich die Frage des Umsturzes mit jedem Tag dringlicher, doch die Arbeiterklasse wird noch wichtige Hürden nehmen müssen, ehe sie in der Lage sein wird, diese Aufgabe zu erfüllen:
- die Wiedererlangung der Fähigkeit, ihre Kämpfe in die eigenen Hände zu nehmen, denn gegenwärtig sind die meisten Kämpfe, insbesondere in den entwickelten Ländern, unter der festen Kontrolle der Gewerkschaften (im Gegensatz zu dem, was wir im Laufe der 1980er Jahre erlebten);
- die Entwicklung ihrer Fähigkeit, die bürgerlichen Manöver und Fallen zu durchschauen, die den Weg zu Massenkämpfen verbauen, und die Wiedergewinnung des Selbstvertrauens, denn der Massencharakter der Kämpfe Ende der 1960er Jahre lässt sich zu einem guten Teil dadurch erklären, dass die Bourgeoisie damals, nach Jahrzehnten der Konterrevolution, überrascht war, was heute offensichtlich nicht mehr der Fall ist;
- die Politisierung ihrer Kämpfe, das heißt die Fähigkeit, sie in ihrer geschichtlichen Dimension zu sehen, sie als ein Moment im langen geschichtlichen Kampfes des Proletariats gegen die Ausbeutung und für die Abschaffung derselben zu begreifen.
Diese Etappe ist offensichtlich die schwierigste, namentlich aufgrund:
- des Bruchs, den die Konterrevolution in der ganzen Arbeiterklasse bewirkt hat, zwischen den Kämpfen der Vergangenheit und den gegenwärtigen Kämpfen;
- des organischen Bruchs in der Kontinuität der revolutionären Organisationen, der Ergebnis dieser Situation war;
- des Rückflusses des Bewusstseins in der gesamten Klasse infolge des Zusammenbruchs des Stalinismus;
- des drückenden Gewichts des Zerfalls des Kapitalismus auf das Bewusstsein des Proletariats;
- der Fähigkeit der herrschenden Klasse, Organisationen aus dem Hut zu zaubern (wie die Neue Antikapitalistische Partei NPA in Frankreich oder Die Linke in Deutschland), deren Geschäft darin besteht, den Platz der stalinistischen Parteien, die heute verschwunden oder altersschwach geworden sind, oder der Sozialdemokratie einzunehmen, die nach mehreren Jahrzehnten des kapitalistischen Krisenmanagements entlarvt dasteht - neue Organisationen, die wegen ihrer Unverbrauchtheit in der Lage sind, wesentliche Mystifikationen innerhalb der Arbeiterklasse aufrechtzuerhalten.
Die Politisierung der Kämpfe des Proletariats steht faktisch in Zusammenhang mit einer entwickelten Präsenz der kommunistischen Minderheit in den Kämpfen. Die Feststellung, wie schwach die gegenwärtigen Kräfte des internationalistischen Milieus sind, ist ein Hinweis auf die Länge des Weges, den es noch zu beschreiten gilt, bis die Arbeiterklasse revolutionäre Kämpfe entfachen kann und ihre Weltpartei hervorbringt, das wesentliche Organ, ohne das der Sieg der Revolution unmöglich ist.
Der Weg ist lang und schwierig, aber das soll die Revolutionäre nicht entmutigen, soll sie nicht in ihren Bemühungen um den proletarischen Kampf lähmen. Ganz im Gegenteil!
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[5] http://www.oecd.org
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[9] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/fordstreik-koln-1973
[10] https://www.geocities.com/raetekommunismus/Moldavia.html
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Doppelbeschluss
[12] https://www.gsoa.ch/themen/kriegsmaterial-exporte/argumentarium/
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