Nach mehreren Monaten der Aufstände, Streiks und der vergeblichen Versuche der Schah-Regierung, die Unzufriedenheit des Volkes durch eine blutige und massive Repression zum Schweigen zu bringen, übernimmt eine neue, bisher aus der offiziellen politischen Spiel ausgeschlossene, manchmal sogar unterdrückte und exilierte Mannschaft die Geschäfte des iranischen Kapitals.
Der Umfang der Unruhen, die die iranische Gesellschaft erlebte und die den spektakulären und brutalen Wechsel der führenden Mannschaft verursachte, die wichtige Stellung, die dieses Land in den strategischen Bedürfnissen des stärksten imperialistischen Blocks einnimmt – ein Faktor größter Sorge für den Block -, die große internationale Reichweite der Ereignisse im Iran, mehr in dem Sinn, wofür sie stehen, als für ihre unmittelbaren Folgen, und schließlich – und am wichtigsten – der Part, der vom Proletariat in diesen Ereignissen gespielt wird – all dies macht es notwendig, eine gewisse Zahl von Lehren aus diesen Ereignissen für den Kampf des Weltproletariats zu ziehen.
1. Im Gegensatz zu gewissen Behauptungen - von der liberalen Presse bis hin zu den Bordigisten - hat es im Iran keine "Revolution" gegeben, weder eine "demokratische" noch eine "islamische". Genauso wenig wie die englische Queen oder Kaiser Bokassa der Erste war der iranische Schah Vertreter irgendeines "Feudalismus", der von den „progressiven“ Kräften des Ayatollah Khomeini überwältigt worden sei. Hauptursache des Bruchs zwischen der Monarchie und der schiitischen Elite war – Ironie der Geschichte - die Landreform, die von der Monarchie unternommen wurde und den Grundbesitzinteressen der Kirche schadete. In der Tat repräsentieren die neuen Machthaber Irans weder politisch noch ökonomisch irgendeine Art von „progressiver“ oder „radikalbürgerlicher“ Kraft. Welche bürgerliche Revolution der Vergangenheit wurde im Namen der "religiösen Tradition" gemacht oder bedeutete nichts anderes als einen Kleiderwechsel für das Regime? Welchen "revolutionären" Charakter hat die "Verstaatlichung" der Ölindustrie – eine Industrie, die in Wirklichkeit eh schon verstaatlicht ist?
Was die angebliche iranische "Revolution" veranschaulicht, ist die Tatsachen, dass im dekadenten Kapitalismus weltweit die Zeit der bürgerlichen und demokratischen Revolutionen, in welcher Form auch immer, seit langem vorüber ist. Es gibt kein Land (und keine "Ära") mehr, so unterentwickelt es auch immer sein mag, in denen die der Gesellschaft gestellten Aufgaben die gleichen wären wie jene, die 1789 erfüllt wurden.
2. Die Ereignisse im Iran bestätigen nicht nur, dass nirgendwo auf der Erde - und noch weniger in den unterentwickelten Ländern – revolutionäre, demokratische Bourgeoisien existieren, sondern sie illustrieren gleichermaßen, dass in diesen Ländern die Armee die einzige Kraft der Gesellschaft ist, die ein Minimum an Einheit zu Gunsten des nationalen Kapitals garantieren kann. Kaum hat das Khomeini-Bāzargān-Regime die Macht übernommen, ist es schon gezwungen, an diese Kraft zu appellieren, die noch vor einigen Wochen die größte Stütze des Schah-Regimes gewesen war. Und die Hinrichtung einiger Generäle, die die Wut der Massen beruhigen sollte, wird nichts an der Realität ändern, dass die Armee intakt bleibt – sowohl die Armee als Institution als auch die militärische Hierarchie. Wie in allen Ländern, in denen der kapitalistische Staat seine Macht nicht auf eine starke und historisch entwickelte ökonomische Grundlage abstützen kann, und in denen die herrschende Klasse nicht über juristischen Institutionen und einen politischen Apparat verfügt, die flexibel genug wären, die Konflikte, die sie zerreißen und alle Gesellschaftsschichten ins Chaos werfen, innerhalb der Grenzen der „Legalität“ und „Demokratie“ einzudämmen, unterstreichen die Entwicklungen im Iran eine fundamentale Lehre bezüglich der Armee. Da sie die hierarchische, zentralisierte Gewalt der auf Ausbeutung und Unterdrückung basierenden Gesellschaftsverhältnisse repräsentiert und die allumfassende Tendenz im dekadenten Kapitalismus zur Militarisierung der Gesellschaft ausdrückt, bildet die Armee praktisch ständig die einzige Garantie für das Überleben und die Stabilität des bürgerlichen Regimes, ob es sich „völkisch“, „islamisch“ oder „revolutionär“ nennt.
3. Die Ereignisse im Iran machen deutlich, dass heute in den unterentwickelten Ländern wie überall auf dieser Welt einzig die proletarische Revolution auf der Tagesordnung steht. Entgegen der Legende, die von jenen so gern fortgeschrieben wird, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Status quo haben, haben die Ereignisse im Iran nicht nur klar bewiesen, daß in den rückständigen Länder ein Proletariat existiert, sondern auch, daß es – wie das Proletariat in den fortgeschrittenen Ländern - in der Lage ist, sich kämpfend und auf seinem eigenen Terrain zu mobilisieren. Im Kielwasser der Arbeiterkämpfe in verschiedenen Ländern Lateinamerikas, in Tunesien, in Ägypten usw. zum Ausbruch gekommen, waren die Streiks der iranischen Arbeiter das wichtigste politische Element, das zum Sturz des Schah-Regimes führte. Als trotz der Massenmobilisierungen die Kräfte der „Volks“-Bewegung– die fast alle unterdrückten Schichten im Iran um sich scharte – zu schwinden begannen, verlieh der Eintritt des Proletariats, insbesondere der Ölarbeiter, in den Kampf nicht nur der Agitation neuen Schwung, sondern stellte das nationalen Kapital dieses Landes wegen des fehlenden Ersatzes für das alte Regierungsteam vor ein fast unlösbares Problem. Während die Repression ausreichte, Kleinhändler, Studenten oder halbproletarische Arbeitslose zum Rückzug zu veranlassen, erwies sie sich als wirkungslose Waffe der Bourgeoisie, als diese sich mit der durch die Arbeiterstreiks ausgelösten wirtschaftlichen Lähmung konfrontiert sah. So zeigte das Proletariat selbst in einem Land, wo es zahlenmäßig schwach ist, welche große Macht es aufgrund seiner Stellung im Herzen der kapitalistischen Produktion auf die Gesellschaft ausübt.
4. Die fundamentale Stärke des Proletariats bestätigend, demonstrieren die Ereignisse im Iran auch, daß das Proletariat die einzige Kraft in der Gesellschaft ist, die fähig ist, sich der einen Lösung zu widersetzen, die der Kapitalismus für seine Krise hat, die Lösung des imperialistischen Krieges. Gerade weil der Iran eine wichtige Position in der militärischen Aufstellung des westlichen Blocks innehält, ist er zum Gegenstand großer Aufmerksamkeit vonseiten des Blocks geworden. Die Probleme, die die Klassenbewegung nicht nur für das nationale Kapital, sondern auch für die Kriegsvorbereitungen des imperialistischen Blocks schafft, machen deutlich, warum die Aktion des Proletariats heute wie in der Vergangenheit das einzige und entscheidende Hindernis bildet, das der Bourgeoisie im Weg steht, um ihrem Kurs zum imperialistischen Krieg zu folgen.
5. Seine Rolle in den iranischen Ereignissen stellt das Proletariat vor ein grundsätzliches Problem, das es zur Durchführung der kommunistischen Revolution wird lösen müssen: das Problem seiner Beziehungen zu allen anderen nichtausbeutenden Schichten der Gesellschaft, vor allem zu jenen ohne Arbeit. Diese Ereignisse beweisen, dass:
- diese Schichten trotz ihrer Anzahl keine wirkliche Kraft in der Gesellschaft darstellen;
- sie viel mehr als das Proletariat für die verschiedenen Formen von Mystifikationen und kapitalistischer Kontrolle, einschließlich der überholtesten wie die Religion, anfällig sind;
- aber in dem Maße, wie die Krise auch die Arbeiterklasse trifft, wie sie diese Schichten angreift, Letztere zu einer zusätzlichen Kraft im Kampf gegen den Kapitalismus werden können, vorausgesetzt, das Proletariat kann sich an die Spitze des Kampfes stellen und tut es auch.
Gegenüber allen Versuchen der Bourgeoisie, ihre Unzufriedenheit in hoffnungslosen Sackgassen zu kanalisieren, muss es das Ziel des Proletariats im Umgang mit diesen Schichten sein, ihnen aufzuzeigen, dass keine der vom Kapitalismus vorgeschlagenen "Lösungen", ihr Elend zu beenden, ihnen irgendwelche Erleichterung bringen wird. Nur im Kielwasser der revolutionären Klasse können sie ihre Sehnsüchte befriedigen, nicht als eine besondere - historisch zum Untergang verurteilte - Schicht, sondern als Mitglieder der Gesellschaft. Solch eine politische Perspektive setzt die organisatorische und politische Autonomie des Proletariats voraus, d.h. insbesondere die Ablehnung jeglicher „Bündnisse“ mit diesen Schichten. Das Proletariat kann diese Schichten nicht hinter sich ziehen, indem es sich hinter ihre spezifischen Forderungen stellt. Im Gegenteil, die Geschichte hat gezeigt, daß diese Schichten dazu neigen, der dynamischsten Kraft der Gesellschaft zu folgen. Daher wird allein die entschlossene Behauptung seines revolutionären Projekts dem Proletariat es erlauben, sein Ziel zu erreichen, nämlich diese Schichten hinter seinen Kampf zu ziehen, indem zunächst diese Sektoren von anderen Schichten, die dem Kapital nahe stehen, abgespalten werden.
6. Es gibt im Iran keine bürgerliche Revolution, aber auch keine proletarische. Trotz ihrer unbestreitbaren Kampfbereitschaft hat die Arbeiterklasse ihre wirkliche Autonomie nicht durchgesetzt. Weder hat sie gegen die Bourgeoisie um die Macht gekämpft, noch hat sie ihre eigenen Einheitsorganisation, die Arbeiterräte, errichtet. Darin besteht eine andere Lehre aus den Ereignissen im Iran. Trotz der numerischen, organisatorischen und politischen Schwächen des Proletariats, die es heute der Bourgeoisie erlauben, allumfassende Kontrolle auszuüben, haben die Kämpfe der Arbeiterklasse dennoch einen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der weltpolitischen Situation gehabt. Die Ereignisse im Iran waren in diesem Sinne eine Vorwegnahme der Zukunft. Nach einer Periode der Verdunkelung im Anschluß an die Welle von Klassenkämpfen, die zwischen 1968 und 1973 stattgefunden hatten, neigt heute der Arbeiterkampf immer mehr dazu, sich selbst zur Geltung zu bringen und zu verallgemeinern. Das Proletariat besetzt zusehends die erste Reihe auf der politischen Bühne in der Gesellschaft, zum Nachteil aller inneren Widersprüche, die die kapitalistische Klasse aufreiben (ihre wirtschaftlichen und politischen Krisen, die militärische Aufrüstung der Blöcke). Doch das Proletariat im Iran kann, wie jedes Proletariat in einem unterentwickelten Land, das Problem nur stellen, wird es aber nie lösen können. Nur die Tat des gesamten Weltproletariats und an erster Stelle das der mächtigsten Länder wird das Problem lösen, indem es den Angriff gegen den Kapitalismus verallgemeinert und das gesamte System zerstört.
INTERNATIONALE KOMMUNISTISCHE STRÖMUNG
17. Februar 1979
Gegen die Arbeitslosigkeit ist der Kampf gegen die Gewerkschaft!
Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist der Kampf gegen die Gewerkschaft!
Noch vor einigen Monaten redete der DGB von einem Arbeitskampf, der in die Sozialgeschichte eingehen werde: der Kampf um die 35 Stunden-Woche - die"endlich gefundene Lösung" des Problems der Arbeitslosigkeit. Inzwischen haben die Stahlarbeiter die Arbeit längst wiederaufgenommen. Ihre Arbeitsplätze aber sind so gefährdet wie zuvor und ihr Lebensstandard wird abermals durch den Lohnabschluss der IG Metall gesenkt. Des DGB's loyalste Verteidiger - wie etwa die trotzkistische GIM - reden von einer "schweren Niederlage" für die Gewerkschaften. Aber es sind die Arbeiter selber, die eine Niederlage erlitten haben - geschlagen durch die vereinigten Kräfte von Staat, Bossen und Gewerkschaften.
Der Streik derStahlarbeiter ist vorbei
Und dies trotz der Kampfbereitschaft der Arbeiter, ihrer Entschlossenheit, die Arbeitslosigkeit und die Auswirkungen der weltweiten Krise zu bekämpfen. Es hieß, dies sei der "erste offizielle Streik in der Stahlindustrie seit einem halben Jahrhundert". Soll das heißen, dass die Gewerkschaften der Metallarbeiter - um bei diesem Beispiel zu bleiben - niemals gekämpft haben? Zum Beispiel:
- gegen die Inflation und die Arbeitslosigkeit, die unseren Lebensstandard seit Ende der sechziger Jahre ständig mehr angreifen?
- gegen die in den Betrieben nach dem Krieg erzwungene mörderische Ausbeutung, die grausamere Arbeitsbedingungen als im "Dritten Reich" bedeuteten?
- gegen die Auswirkungen der galoppierenden Inflation, die die Arbeiter 1923 der Hungersnot auslieferten?
- oder gegen die Arbeitslosenwelle nach 1929, in der Millionen auf die Straße geworfen wurden?
Jawohl, genau das heißt es! Mehr noch: gerade sie standen an der Spitze der Kampagne, die Arbeiterklasse für die Armut zu gewinnen. Die Gewerkschaften und Bosse, die miteinander die Niederlage der Stahlarbeiter so"erbittert" und "unausweichlich" ausgehandelt haben, reden aber nicht von den Stahlarbeiterstreiks von 1969 und 1973, die, unabhängig von den Gewerkschaften, durch die von Vollversammlungen gewählten Streikkomitees geführt wurden. Und sie sprechen auch nicht über die Massaker, die Gewerkschaften und Sozialdemokratie vor 50 Jahren in eben jenem Ruhrpott, wo sie heute feierlich ihre"kämpferischen" Lügen verbreiten, unter den Arbeitern angerichtet haben.
Der Streikaufruf der Gewerkschaften - von ihren Knechten der extremen Linken unterstützt - kam zum richtigen Zeitpunkt für das nationale Kapital. Die BRD - dominierende Macht der europäischen Wirtschaft - kann dem ökonomischen Zusammenbruch nicht widerstehen. Die Tage, in denen Bonn durch den Rausschmiss der Gastarbeiter, den Export der Krise in die schwächeren Länder und den Angriff gegen die Mittelschichten eine Scheinstabilität aufrechterhalten konnte, sind vorbei. Der Bankrott der Länder der Peripherie, die Zahlungsunfähigkeit des Comecons, die Notwendigkeit, die "kranken Männer" der atlantischen Allianz zu unterstützen und den Krieg vorzubereiten, zwingen Bonn (und Tokio) dazu, die Stabilisierung des westlichen Blocks zu finanzieren.
Gleichzeitig üben die USA einen immer größeren Druck auf die BRD aus, damit diese ihre Wirtschaft wiederankurbelt, um den Fall des Dollars aufzuhalten, ihre militärischen Ausgaben zu vergrößern und die durch die USA aufgezwungenen Einschränkungen der Exporte und in der Energiepolitik zu akzeptieren. Um ihre dominierende Stellung gegenüber einer immer schärferen Konkurrenz auf dem wackelnden Weltmarkt zu verteidigen, ist die deutsche Bourgeoisie immer mehr dazu gezwungen, die deutsche Arbeiterklasse anzugreifen. Es ist notwendig geworden, die brutalen Rationalisierungsprogramme der Schmidt-Regierung zu beschleunigen und die Löhne drastisch zu reduzieren.
Nach der Textil- und Druckindustrie wird jetzt die Stahlindustrie von Massenentlassungen bedroht (laut der IGM sind in den nächsten Jahren 100.000 Stellen davon betroffen). Die wachsende Unzufriedenheit, die schon in den letzten Jahren zu zahlreichen kurzen Streiks und Demonstrationen geführt hatte[1],musste von den Gewerkschaften aufgefangen werden, bevor spontane, von den Gewerkschaften nicht kontrollierte Kämpfe ausbrechen. Ende November rief die IGM zu einem Streik auf, der möglichst Weihnachten beendet werden sollte. Dieser Streik sollte die Arbeiter durch die Drohung der Arbeitslosigkeit beängstigen; sie sollten den Fall ihres Lebensstandards akzeptieren. Darüber hinaus sollten die Arbeiter demoralisiert werden ("der Kampf lohnt sich nicht") und exemplarisch die anderen Sektoren für die nachfolgenden Tarifverhandlungen von vornherein vom Kampf abhalten. Außerdem sollte das berühmte Rezept der 35 Stunden-Woche ("der Kampf um die Verteilung der Arbeitsplätze unter den Arbeitern", wie die Trotzkisten es nennen) erprobt werden. Nach dem beliebten Motto "Teile und herrsche" wurde der Streik bei den Stahlarbeitern auf die Gebiete Niederrhein und Ruhrgebiet begrenzt, dann auf Bremen ausgeweitet. Schließlich wurden die Fabriken aufgeteilt: die streikenden, die ausgesperrten und die arbeitenden (37.000 Arbeiter von 200.000 habengestreikt, 40 Betriebe von 50 weiter produziert; drei Tage nach Streikbeginn wurden die streikenden Arbeiter und 30.000 zusätzliche in sieben Betrieben ausgesperrt.) Damit die Industrie möglichst wenig Schaden durch den Streik erleidet, wurden die streikenden Fabriken von den Gewerkschaften sorgfältig ausgesucht: Von den Öfen, die qualitativ hochwertigen Stahl produzieren, nahm nur eine sehr kleine Fabrik in Dillenburg am Streik teil; die Blechproduktion für die Autoindustrie wurde trotz der Entschlossenheit der streikwilligen Arbeiter weitergeführt (Krupp/Bochum und Klöckner/Bremen); mit der Zustimmung der Gewerkschaft wurden Überstunden in zahlreichen Stahlwerken geleistet, um den Schlüsselindustrien zu helfen. Die Situation des Stahlgiganten Hoesch ist bedeutend: von den drei Hoesch-Öfen in Dortmund wurde einer bestreikt, einer ausgesperrt und der dritte produzierte weiter.
Nachdem es den Gewerkschaften gelungen war, die Stahlarbeiter vonm Rest der Arbeiterklasse in der BRD und diese Arbeiter selbst voneinander zu isolieren (streikende, ausgesperrte und produzierende), musste jede autonome Organisierung des Kampfes verhindert werden: Die Streikposten wurden - meistens ohne Erfolg - auf Gewerkschafter und Vertrauensleute begrenzt, nachher durch "Beobachter" ersetzt. Damit die Arbeiter jedoch ihre Unzufriedenheit "austoben" konnten, wurden Demonstrationen organisiert, die zu bloßen Spaziergängen durch die Städte verkamen. Jedoch gelang es den Gewerkschaften nicht, aus diesen Demonstrationen unkämpferische, demoralisierende Straßenaufzüge zu machen: Tausende Arbeiter anderer Industrien legten die Arbeit nieder, um ihre Solidarität mit den Stahlarbeitern zu demonstrieren; in Essen, Duisburg, Mülheim usw. streikten spontan die Nahverkehrsarbeiter. Die Müllabfuhrarbeiter schlossen sich - mit Solidaritätstransparenten auf ihren Lastwagen - den Demonstrationen an; in Dortmund hatte die Gewerkschaft Mühe, als sie die Arbeiter, die zu Hoesch gehen wollten, um die Arbeiter zur Teilnahme an ihrer Demonstration aufzurufen, überreden wollte, lediglich zum Rathaus zu marschieren.
Nach den Aussperrungen der Bosse wurde das Bedürfnis, die Bewegung zu erweitern, stärker. Die Gewerkschaft musste in mehreren Fabriken eingreifen, um die Arbeiter von Streiks und Fabrikbesetzungen abzuhalten. Einige spontane Streiks fanden statt. In Mannesmann/Mülheim z.B., wo 6.000 Arbeiter ausgesperrt wurden, streikten die restlichen 3.000, die im rentablen Sektor hätten weiterarbeiten sollen.
Der Erfolg der Gewerkschaften bestand auf der anderen Seite in der Mobilisierung zur passiven Teilnahme am Streik unter der Parole der 35 Stunden-Woche. Laut den Zahlen des DGB über die Arbeitslosigkeit in derStahlindustrie müssten die Arbeiter 20 Stunden pro Woche weniger arbeiten, um die Entlassungen dadurch zu stoppen und die Arbeitslosen wiedereinzustellen. Aber mit der Entwicklung der Krise müsste die Arbeitszeit noch weiter gekürzt werden. Vielleicht dann die Fünftundenwoche bei vollem Lohnausgleich, um "die Arbeitslosigkeit zu stoppen"? Trotz aller Parolen über die 35 Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich stellt der DGB in den Vordergrund, dass mehr Lohn, mehr Urlaub usw. doch nicht so wichtig seien wie die "Erhaltung der Arbeitsplätze". Was die Gewerkschaften wirklich in den Vordergrund stellen, lässt die Türen offen für eine Kürzung der Reallöhne gegen ein paar Stunden Urlaub in einigen Abteilungen. Die Ziele der Kampagne für die 35 Stunden-Woche waren:
1) die Entlassungswelle in der Stahlindustrie zu bremsen, damit die notwendige Rationalisierung ohne soziale Reaktionen ermöglicht wird;
2) die Ausbeutungsrate in der Stahlindustrie zu steigern (z.B. die Diskussion über ein mörderisches System von fünf Schichten);
3) die Idee in der Klasse zu verbreiten, dass man die Not teilen muss, anstatt sie zu bekämpfen.
Aber gerade die SPD und die Gewerkschaften, diese 'Vorkämpfer der Arbeiterklasse", haben vor kurzem die Gesetze über die Arbeitslosigkeit erlassen, die die Arbeitslosen militarisieren und terrorisieren sollen. Jetzt müssen wir unseren Wohnort in Hamburg oder Bremen verlassen, um Arbeit in Stuttgart oder München anzunehmen. Jetzt müssen Arbeitslose die Straßen kehren, falls sie nicht schnell genug eine andere Arbeit finden.
Wir müssen verstehen, wie die Gewerkschaften militanten und kampfbereiten Arbeitern eine solche Niederlage (die Demonstrationen wurden abgebrochen, die Verhandlungen fortgesetzt, und nach kurzer Zeit wurden die Arbeiter mit einer miserablen 3,2 %igen Jahreslohnerhöhung zur Arbeit zurückgeschickt) aufzwingen konnten, da uns das Verständnis der Ursachen der Niederlage Waffen für die zukünftigen Kämpfe gibt.
In dieser Frage spielen die Vertrauensleute eine wichtige Rolle, um zu verstehen, warum die Streiks sich nicht auf andere Fabriken und Gebiete ausgedehnt haben und warum die Streikenden in gewissem Maße gegenüber der Gewerkschaft passiv geblieben sind und ihren Kampf nicht in die eigenen Hände genommen haben.
Die Vertrauensleute haben die spontanen Diskussionen unter den Arbeitern über die Arbeitslosigkeit auf die technische Ebene des Managements (wie man z.B. in der Abteilung X oder Y eine oder zwei Stellen retten bzw. schaffen könnte) umgeleitet: Die Frage der Arbeitslosigkeit wird auf das Problem, wie man mit Hilfe der Gewerkschaften und der 35 Stunden-Woche die Einstellungspolitik besser führen könnte, - die nur durch den wachsenden Kampf gelöst werden kann - reduziert.
Die Mobilisierung der Arbeiter durch die Vertrauensleute, zur Sitzung der Großen Tarifkommission zu gehen, war ein typischer Versuch, den Arbeitern klar zu machen, dass die Gewerkschaften ihre Interessen besser vertreten würden, wenn sie am Leben "ihrer" Gewerkschaft aktiver teilnehmen würden.Natürlich wollten die Arbeiter, die nach Mülheim gefahren sind, ihre Wut gegen die Organisierung und die Durchführung des Streiks Ausdruck verleihen.
Dadurch erreichte die Gewerkschaft, was sie wollte: dass die unzufriedenenArbeiter sich letztendlich doch noch an die Gewerkschaft wenden und von ihr eine bessere Führung der Verhandlungen erwarten, anstatt selbst und autonom die Führung des Kampfes und der Verhandlungen zu übernehmen, selbst die Unterstützung der anderen Arbeiter zu gewinnen, um den Kampf auszubreiten.
Diese Notwendigkeit der aktiven Solidarität der nicht-streikenden Arbeiter mit den streikenden wurde von den Vertrauensleuten durch lächerliche, unwirksame Aktionen abgelenkt (Geschenkpäckchen oder pompöse"Solidaritätserklärungen"). Diese rein symbolische Form der"Solidarität" ist die einzige, die die Gewerkschaften billigen und propagieren, da sie genau das Gegenteil von dem erreicht, was die Arbeiter wollten: Sie verhindert eine aktive Solidarität durch den Kampf.
Die Vertrauensleute waren überall aktiv. Bei Hoesch in Dortmund beschlossen sie, dass nur Vertrauensleute und Betriebsratsmitglieder die Streikposten stellen. Dies wurde damit gerechtfertigt, dass der Öffentlichkeit gezeigt werden müsse, dass die Arbeiter bei Hoesch keine Linksradikalen sind.In den Fabriken, in denen die Arbeiter am kämpferischsten waren und am längsten gestreikt hatten, haben sie sich unter dem Druck der Arbeiter für eine "Nein"-Stimme ausgesprochen. Dies war aber keineswegs eine radikale Verteidigung der Interessen der Arbeiter (wie sie es hochgespielt haben), sondern ein Versuch, das Vertrauen der Arbeiter in die Gewerkschaften zu bewahren. Denn letzten Endes ist es wohl das Wichtigste, dass die Arbeiter überhaupt wählen. Weniger interessant ist es, ob sie nun für oder gegen ein bestimmtes Angebot stimmen. Eine Nicht-Teilnahme an einer solchen Abstimmung, ob es sich dabei um einen bewussten Boykott oder einfach um fehlende Begeisterung für das Stimmzettel-Theater handelt, wäre für die Gewerkschaften insofern gefährlich, als sie ihren Einfluss zu verlieren drohen und damit auch ihre Fähigkeit, die Interessen des nationalen Kapitals durch die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens zu verteidigen. Gerade um dieser Gefahr zu begegnen, haben die Vertrauensleute zu Maßnahmen gegen die Streikführer aufgerufen, die zu schnell "kapituliert" haben. Es ist eben nicht so wichtig, wer die schmutzigen Geschäfte mit den Bossen aushandelt, viel wichtiger ist, dass die Arbeiter auf ihre Vertrauensleute hören und weiter an die "innergewerkschaftliche Demokratie" und an den angeblich proletarischen Charakter der Gewerkschaften glauben.
Die Funktion der Gewerkschaften heute ist es, die Friedhofsruhe der kapitalistischen Ordnung aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen. Da Reformen unmöglich sind, da die Arbeiter mehr und mehr durch die Inflation, die Arbeitslosigkeit und die steigende Arbeitshetze - alles Auswirkungen der permanenten internationalen Krise des Systems - angegriffen werden, kann die Regelung des Verhältnisses zwischen Lohnarbeit und Kapital (darin besteht die Funktion der Gewerkschaften) nichts anderes heißen, als die Sicherung der steigenden Ausbeutung der Arbeiterklasse.
Während des Stahlarbeiterstreiks haben die Linken die Gewerkschaften in ihrer Kampagne um die 35 Stunden-Woche völlig unterstützt und dabei die Illusion verbreitet, die Arbeitslosigkeit bekämpfen zu können, ohne ihre Wurzeln anzugreifen. Sogar die KPD/ML, die letztes Jahr über eine Opposition außerhalb des DGB getönt hatte, zeigt sich wieder einmal durch ihre Unterstützung der Kampagne für die 35 Stunden-Woche, der Vertrauensleute und der "innergewerkschaftlichen Demokratie" als guter Helfershelfer des DGB.
Kaum ist der Streik zerschlagen, setzen sich die Linken mit den Vertrauensleuten aktiv und lautstark für die Absetzung der Gewerkschaftsführer ein: Sie verbreiten das Märchen, dass durch die Ersetzung der "Verräterführer" und eine wirkliche gewerkschaftliche Demokratisierung diese"Arbeiterorganisationen" den Lebensstandard und die Interessen der Arbeiter tatsächlich verteidigen können.
Um das Problem der Arbeitslosigkeit und seine einzige Lösung - die Zerschlagung des kapitalistischen Systems - zu begreifen, muss man auf das letzte Jahrhundert zurückblicken, als der Kapitalismus noch ein expansives, fortschrittliches System war. Arbeitslosigkeit gab es damals auch, dennoch existierte sie in einem wesentlich kleineren Maßstab. Sie kam mit den zyklischen Wirtschaftskrisen und verschwand wieder mit dem Ende der Krise. Die Booms des letzten Jahrhunderts schufen sogar eine relative und absolute Vergrößerung des Proletariats als Teil der Gesellschaft. Das System hatte sich nach jeder Rezession weiterentwickelt. Heute ist die Arbeitslosigkeit ein permanentes und wachsendes weltweites Problem, das weder durch die 35 Stunden-Woche noch durch die Militarisierung der Gesellschaft - wie in den dreißiger Jahren - überwunden werden kann. Die Arbeitslosigkeit ist die größte Bedrohung der Interessen der Arbeiterklasse, aber gerade deswegen bedroht sie gleichzeitig auch die Bourgeoisie, denn sie veranlasst eine Radikalisierung des Proletariats, das durch seinen Kampf lernt, dass nur die proletarische Revolution die Arbeitslosigkeit erledigen kann. Die Geschichte zeigt, dass die Arbeitslosen - trotz aller Versuche seitens der Bourgeoisie, sie zu isolieren - oft die militantesten Teile der Klasse waren: z.B. während der revolutionären Welle nach dem Ersten Weltkrieg oder in den dreißiger Jahren. Die Arbeitslosen, als Teil einer revolutionären Klasse, sind fähig, sich im Kampf zu organisieren. Die autonomen Arbeitslosenkomitees, die heute in vielen Ländern auftauchen, beweisen, dass das Proletariat noch nicht zerschlagen ist. Die Arbeiter können und müssen die Arbeitslosigkeit bekämpfen, sonst werden sie wohl als Soldaten, als Kanonenfutter in einem dritten Weltkrieg - die einzige kurzfristige "Lösung" der Bourgeoisie für dieses Problem - eine Beschäftigung finden.
Heute versucht die Bourgeoisie, die Arbeiterklasse an die nationale Wirtschaft zu binden, indem der kapitalistische Staat als einziger Retter gegen die Verbreitung der Arbeitslosigkeit auftritt. Jeder Lohnraub, jede neue Investition, jeder Versuch, die Kriegswirtschaft zu stärken, wird als eine Maßnahme gegen die Arbeitslosigkeit angekündigt. "Und würden die Arbeiter nur etwas härter arbeiten, dann wären ihre Arbeitsplätze sicherer."
Die staatskapitalistischen Programme der Bourgeoisie und vor allem ihrer linken Fraktionen mit ihrem Ruf nach Verstaatlichung und "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen", erklären uns, dass die Arbeitslosigkeit ein nationales Problem sei, das auf nationaler Ebene gelöst werden könne. Aber die Arbeitslosigkeit ist in der Tat so international wie der Kapitalismus selbst. Der Arbeitsmarkt ist nicht mehr national, sondern international. Nach1929 führte die offene Krise des kapitalistischen Systems zu Pogromen, Massakern, offenen Völkermorden, zu Konzentrationslagern und Atombomben, zu dem Mord von Millionen auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges. Diese Barbarei entsteht, wenn die kapitalistischen Produktionsverhältnisse mit den Produktivkräften in Konflikt kommen, wenn es zu viele Menschen gibt, die nicht mehr in die Produktion integriert werden können und die dadurch zu einer Belastung der in ihren Todeszuckungen liegenden Wirtschaft geworden sind. Nach dem Krieg wurden Millionen von rbeitern aus Asien, Nordafrika und Zentralamerika in die kapitalistischen Kernländer gebracht, um dort für den Nachkriegswiederaufbau zu schwitzen. Nach ein paar Jahrzehnten, als die Aufgabe erfüllt war, wurden sie dahin zurückgeschickt, wo sie herkamen. In diesen Kernländern selbst wächst und wächst die Zahl der Arbeitslosen trotz des berühmten Wiederaufbaubooms, der gerade in den USA, Europa und Japan stattfand. Die verschärfte Konkurrenz auf dem Weltmarkt, vor allem als der Wiederaufbau zu Ende war, führte zu einer weiteren Rationalisierung in den schwachen landwirtschaftlichen und industriellen Sektoren, zu der Entstehung von Millionen zusätzlicher und nutzloser Menschen, zu der Verelendung von drei Vierteln der Menschheit. Nicht einmal die Kriege und Massaker, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Dritten Welt andauernd stattfanden, konnten die Zunahme dieser Zahlen bremsen. Nun ist der Nachkriegswiederaufbau längst vorüber; die Arbeitslosigkeit dehnt sich auf alle Länder der Welt aus. Die Konkurrenzfähigkeit der japanischen Bourgeoisie z.B. stützte sich auf ihrer Fähigkeit, ihre eigene Arbeiterklasse anzugreifen. Firmen erhalten Zuschüsse des japanischen Staates, wenn sie unrentable Betriebe schließen. Die offizielle Rekordarbeitslosenzahl von 0,25 Million erfasst nicht die Ausländer, die Frauen und Jugendlichen, die schon aus der Produktion herausgedrängt wurden oder die 4,6 Millionen älteren Arbeiter, die nicht ersetzt werden, wenn sie - oft frühzeitig - aufhören.
In Osteuropa und in China werden jetzt die Erhaltung der sog. "Vollbeschäftigung" durch die Kriegswirtschaft und eine weitgehende Militarisierung der Gesellschaft immer schwieriger. Auch hier gibt es - laut der offiziellen Planung - meistens keine Stellen mehr für jüngere Menschen. In Polen wurde von Teilen der Bourgeoisie die Forderung nach einer offeneren und besser kontrollierten "Reservearmee" gestellt.Obwohl die Bourgeoisie in allen Ländern unermüdlich über die Notwendigkeit der Beibehaltung oder Schaffung von Arbeitsplätzen redet, forciert die kapitalistische Krise neue Entlassungen. In der BRD hat der DGB seine Arbeitslosen-Kampagne schnell ad acta gelegt, weil dieses Thema die gesamte Klasse sehr tief berührt und er befürchtete, seine Kontrolle zu verlieren.Seine Manöver sind ein weiterer Versuch der Bourgeoisie, die Bedrohung durch die Arbeitslosigkeit auszunutzen, um die noch beschäftigten Arbeiter zu terrorisieren und die Produktivität in die Höhe zu treiben. Aber der unbarmherzige Aufmarsch der Arbeitslosigkeit zeigt die absolute Sinnlosigkeit aller Versuche, durch harte Arbeit und Loyalität gegenüber der Firma seinen Arbeitsplatz zu sichern. Wenn die Wirtschaft weiter in die Krise sinkt, machen große Fabriken und sogar ganze Industriebereiche zu. Dann versteht auch jeder, was seine Zukunft ist: arbeitslos zu sein. Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit führt zu der Radikalisierung nicht nur der Arbeitslosen, sondern des ganzen Proletariats.
Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit fordert Methoden, die viel weitgehender sind als die, die von den Arbeitern seit der Eröffnung der neuen Krise 1968 angewendet wurden. Damals wurde der Widerstand gegen die Inflation und die steigende Arbeitshetze meistens isoliert geführt: jede Fabrik, jeder Industriezweig oder jedes Land für sich selbst. Diese Methoden konnten der Kontrolle der Gewerkschaften, des Staates nicht entkommen. Aber es ist offensichtlich, dass die Arbeitslosigkeit so nicht bekämpft werden kann.Wenn Streiks gegen Entlassungen nur in den Fabriken stattfinden, die geschlossen werden sollen, dann werden wir wenig wirksam sein - die Betriebe werden so oder so dichtgemacht. Die Arbeitslosigkeit stellt uns auf konkrete Weise vor der Notwendigkeit, den Kampf auszudehnen, aus unserer Isolation herauszubrechen, um wieder zu lernen, als eine vereinigte Klasse zu kämpfen.Und dieser Kampf muss, wie bei den Stahlarbeitern in Frankreich, zu einer Konfrontation mit dem Staat führen. Ihre Kämpfe gegen die Polizeireviere usw. haben die Regierung in Paris dazu gezwungen, ihre Entlassungspläne zu verändern[2].Die eisernen Notwendigkeiten der Krise streben danach, dass sie doch irgendwann entlassen werden. Trotzdem haben sie für ihre Arbeitsplätze gekämpft und sie erhalten - wenn man auf der Straße landen muss, dann lieber morgen als heute. Der Kampf und nur der Kampf lohnt sich heute - dafür müssen wir aber vor allem lernen, uns nicht auf die Bourgeoisie zu stützen.
Arbeiter, Genossen! Die Kampagne für die 35 Stunden-Woche, die der DGB geführt hat, ist nichts anderes als ein Versuch, den Widerstand der Arbeiterklasse dem Erdboden gleichzumachen. Heute gibt es keine sicheren Arbeitsplätze mehr. Jede Entlassung, jede gewerkschaftliche Verhandlung, jede neue Maßnahme gegen die Arbeitslosigkeit ist nichts anderes als ein Angriff gegen uns alle. Was ist die Arbeiterklasse heute, wenn nicht die augenblicklichen Arbeitslosen und die zukünftigen Arbeitslosen? Wir werden keine einzige Entlassung durch eine 35 Stunden-Woche vermeiden. Und trotz des Geredes der Linken über die Aufteilung der Austerität müssen wir sagen, auch wenn wir umsonst arbeiten würden, würde dies die kapitalistische Krise nicht lösen. Die einzige Waffe des Proletariats gegen die Arbeitslosigkeit ist seine eigene Klassensolidarität, der Kampf aller Arbeiter, der gesamten Klasse gegen Entlassungen, eine generalisierte Klassenverteidigung der Arbeitslosen. Die Arbeiter an der Ruhr sind wegen der Arbeitslosigkeit auf die Straße gegangen.Aber heute muss es klar werden, dass der wahre Kampf gegen die Arbeitslosigkeit der Kampf gegen die Gewerkschaften, gegen die Sozialdemokratie, gegen den kapitalistischen Staat ist.
M./Kr., März 79
Die für die Befreiung der Arbeiterklasse unabdingbare Entwicklung des Klassenbewußtseins ist ein fortdauernder und unaufhörlicher Prozeß. Er wird bestimmt durch das soziale Wesen des Proletariats als eine historische Klasse, das als einzige Klasse die Lösung der unüberwindbaren Gegensätze des Kapitalismus in sich birgt, wobei der Kapitalismus selbst die letzte Klassengesellschaft ist. So wie die historische Aufgabe, die die menschliche Gesellschaft zerreißenden Klassengegensätze aufzulösen, nur das Werk der Arbeiter selbst sein kann, kann das Bewußtsein über diese Aufgabe dem Proletariat keineswegs von außen „importiert“ oder eingetrichtert werden, sondern es ist das Produkt seines wahren Seins, seiner eigenen Existenz. Es ist die wirtschaftliche, soziale und politische Stellung in der Gesellschaft, die die praktischen Handlungen und den historischen Kampf des Proletariats bestimmt.
Diese unaufhörliche Bewegung hin zu einem Bewußtwerdungsprozeß drückt sich in den Versuchen des Proletariats, sich selber zu organisieren, und in der Bildung politischer Gruppen innerhalb der Arbeiterklasse, die in der Bildung der Partei gipfelt, aus.
Gerade dieser Frage, der Bildung der Partei, wird in der Nummer 76 von Programme Communiste (März '78), dem theoretischen Organ der IKP (Internationale Kommununistische Partei), ein sehr langer Artikel gewidmet: „Auf dem Wege zur ‚kompakten und starken‘ Partei von Morgen"(1). Es muß zunächst festgestellt werden, daß man wegen des üblichen Schwulstes der bordigistischen Sprache, der auf vielen Seiten zu findenden Drehungen und Wendungen - nach denen man sich schließlich am Ausgangspunkt wiederfindet -, des Einrennens offener Türen und der sich wiederholenden Bestätigungen, die eine Argumentation ersetzen sollen, die wirklich zur Diskussion stehenden Probleme viel schwerer und umständlicher begreifen kann. Das Vorgehen, eine Behauptung dadurch zu beweisen, indem man die früheren Behauptungen zitiert, welche selbst wieder auf vorherigen Bestätigungen aufgebaut sind – so daß es einem fast schwindelig wird -, mag sicherlich eine Kontinuität in den Behauptungen beweisen, sie kann aber keine schlüssige Beweisführung ersetzen. Unter diesen Umständen und trotz unserer festen Absicht, uns nur mit den Behauptungen auseinanderzusetzen, die die bordigistischen Positionen hinsichtlich der Partei ausdrücken und die wir für falsch halten, können wir es nicht vollständig vermeiden, auf eine Anzahl anderer Punkte zu sprechen zu kommen, die mit diesen Behauptungen zusammenhängen.
Über die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linke
Es wäre sicherlich keine kleine Überraschung für die Mehrzahl der Leser von Kommunistisches Programm und wahrscheinlich auch für die Mehrzahl der Mitglieder der IKP, plötzlich zu erfahren, daß „trotz ihrer objektiven (?) Grenzen, die ‚Linke Fraktion im Ausland‘ ein Teil der Geschichte“ (2) der Italienischen Linke ist und daß man sich auf sie bezieht als „unsere Fraktion im Ausland zwischen 1928 und 1940“. In diesem Punkt hatte uns Kommunistisches Programm eher an eine große Zurückhaltung, ein beredtes Schweigen, wenn nicht gar einfach an eine Mißbilligung der Fraktion gewöhnt. Wie sollte man sonst verstehen, daß innerhalb der 30 Jahre, die die IKP schon existiert, sie keine Mühe gescheut hat, in ihren Zeitungen, theoretischen Zeitschriften, Broschüren und Büchern die Texte der Linken von 1920-1926 wiederaufzulegen und erneut zu veröffentlichen, aber gleichzeitig weder die Zeit noch die Mittel noch den Platz gefunden hat, auch nur einen einzigen Text der Fraktion zu veröffentlichen, die das Bulletin d'Information, die Zeitschrift Bilan, die Zeitung Prometeo, die Bulletins Il Seme und so viel andere Texte veröffentlicht hatte? Es ist kein reiner Zufall, daß Kommunistisches Programm keinen Verweis, keine Erwähnung der politischen Positionen, die „unsere“ Fraktion vertreten hat, enthielt, daß es niemals aus Bilan zitierte. Einige Genossen der IKP, die irgendwann einmal Leute vage über Bilan sprechen gehört hatten, behaupteten, daß die Partei sich weder auf die politische Aktivität noch auf die Schriften "Bilans" berufe, während andere Genossen der gleichen Partei noch nicht einmal von der Existenz von Bilan wußten.
Heute entdeckt man das „Verdienst unserer Fraktion“, ein Verdienst, welches - das stimmt - ziemlich begrenzt ist, aber immer noch groß genug, um davor den Hut zu ziehen. Warum heute? Ist es deshalb, weil die Lücke in der organischen Kontinuität (ein von der IKP so geschätzter Begriff), die von 1926 bis...1952 dauerte, etwas störend geworden ist und weil man diese Lücke mehr schlecht als recht stopfen mußte? Oder ist es deshalb, weil die IKS so lange schon davon gesprochen hat, daß man jetzt nicht mehr das Schweigen aufrechterhalten kann? Und warum wird die Fraktion zwischen 1928 und 1940 plaziert, zumal sie sich - irrigerweise - erst im Juli 1945 aufgelöst hatte, um sich dann in die „Partei“ zu integrieren, die schließlich in Italien wiedergegründet worden war? (Dies geschah, nachdem die Fraktion das italienische antifaschistische Komitee in Brüssel verurteilt und seinen Vorkämpfer Vercesi ausgeschlossen hatte - derselbe Vercesi, der später ohne Diskussion wieder in die IKP und sogar noch in die Führung aufgenommen wurde.) Geschieht all dies aus Ignoranz oder weil die Fraktion während des Krieges noch viel weiter in die Richtung gegangen war, die Bilan schon vor dem Kriege eingeschlagen hatte, insbesondere in der Frage Rußlands, in der Frage des Staates und der Partei – eine Entwicklung, die ein noch helleres Licht auf die Distanz zwischen Kommunistisches Programm und den von der Fraktion vertretenen Positionen wirft. Jedenfalls werden die Bilan zugestandenen „Verdienste“ schnell durch eine umso schärfere Kritik relativiert.
"Die Unmöglichkeit“, schreibt Kommunistisches Programm, „aus dem sozusagen subjektiven (?!) Kreis der Konterrevolution auszubrechen, führte in der Fraktion zu bestimmten Abweichungen, wie z.B. in der nationalen und kolonialen Frage oder in Bezug auf Rußland, nicht so sehr in der Einschätzung, was aus Rußland geworden war, als vielmehr in der Suche nach einem unterschiedlichen Weg gegenüber dem der Bolschewisten in der Ausübung ihrer Diktatur (…) ein Weg, der in der Zukunft eine Wiederholung der Katastrophe der Jahre 1926-27 verhindern sollte (…) wollte die (Fraktion) auf die Rückkehr der Massenkonfrontationen mit den feindlichen Kräften warten, ehe die Partei neu konstituiert wird.“ (1).
Wenn es stimmt, daß die Treue zu den revolutionären Grundlagen des Marxismus in Zeiten der Niederlage ein großes Verdienst ist, so liegt das besondere Verdienst der Fraktion, wodurch sie sich besonders von den damaligen Gruppen unterschied, gerade in dem, was der Artikel des Kommunistischen Programms „Schwächen“ nennt. Wie die Fraktion formulierte: „Der Rahmen für die zukünftigen Parteien des Proletariats kann nur aus dem tiefen Verständnis der Ursachen der Niederlagen hervorgehen. Und dieses Verständnis darf weder durch Verbote noch durch Ächtung beeinträchtigt werden.“ (3)
Für all jene, die meinen, dass das Programm etwas „Vollendetes und Unveränderbares“ ist, die den Marxismus in ein Dogma verwandelt und Lenin zu einem unantastbaren Propheten gemacht haben, müssen es als unhaltbar betrachten, daß die Fraktion es gewagt hat (Brrr, da läuft es einem kalt den Rücken runter!), die politischen und programmatischen Positionen der bolschewistischen Partei und der Komintern im Lichte der Realität zu überprüfen, und nicht etwa die Grundlagen des Marxismus. Wenn man innerhalb des theoretischen Rahmens und der kommunistischen Bewegung eine Überprüfung der politischen Positionen, die eine Rolle in Niederlagen gespielt haben, verlangt, die „weder durch Verbote noch durch Ächtung beeinträchtigt werden darf“, dann ist das die schlimmste Ketzerei; eine „Abweichung“, wie das Kommunistisches Programm dazu sagen würde.
Das große Verdienst der Fraktion, neben ihrer Loyalität zum Marxismus und ihren Stellungnahmen zu den großen, wichtigen Fragen damals - gegen die von Trotzki befürwortete Einheitsfront, gegen die Volksfront, gegen die Kollaboration im und die Unterstützung des Spanienkrieges, gegen die infamen Mystifikationen des Antifaschismus -, lag darin, es gewagt zu haben, mit der Methode zu brechen, die damals in der revolutionären Bewegung die Oberhand gewonnen hatte; eine Methode, die die Theorie in ein Dogma, die Prinzipien in Tabus verwandelt und jedes politische Leben erstickt hat. Ihr Verdienst war es, die Revolutionäre zu Debatten und Diskussionen aufgerufen zu haben, was sie nicht zu „Abweichungen“ verleitet, sondern in die Lage versetzt hat, reiche und wertvolle Beiträge zum revolutionären Projekt zu leisten.
Bei all ihrer Standhaftigkeit zu ihren Überzeugungen war die Fraktion bescheiden genug, nicht vorzugeben, alle Probleme gelöst und auf alle Fragen Antworten zu haben: „Wenn wir jetzt mit der Veröffentlichung dieses Bulletins beginnen, glaubt unsere Fraktion nicht, endgültige Lösungen für die schrecklichen Probleme gefunden zu haben, vor denen die Proletarier aller Länder stehen.“ (4) Und selbst dann, wenn sie überzeugt war, Antworten zu haben, verlangte sie nicht von Anderen die einfache Anerkennung dieser Antworten, sondern rief sie dazu auf, diese zu untersuchen, zu konfrontieren und zu diskutieren: „Sie (die Fraktion) beabsichtigt nicht, die politisch ‚Nahestehenden‘ dazu zu drängen, mit den von ihnen befürworteten Lösungen für die aktuelle Lage einverstanden zu sein. Im Gegenteil, sie ruft alle Revolutionäre dazu auf, die von ihr verteidigten Positionen und grundlegenden politischen Dokumente im Lichte der Ereignisse zu überprüfen.“ Und im gleichen Geiste schrieb sie: „Unsere Fraktion hätte es vorgezogen, daß solch eine Arbeit (die Publizierung von Bilan) von einem internationalen Organismus ausgeführt worden wäre, weil wir von der Notwendigkeit der politischen Konfrontation zwischen den Gruppen, die die Arbeiterklasse in den verschiedenen Ländern repräsentieren, überzeugt sind.“ (Bilan, Nr.1)
Um die enorme Distanz zwischen den Vorstellungen der Fraktion und den der bordigistischen Partei hinsichtlich der Art und Weise, wie die Beziehungen zwischen den kommunistischen Gruppen aussehen sollen, voll zu würdigen, genügt es, das oben aufgeführte Zitat von Bilan mit dem nachfolgenden Zitat aus Kommunistisches Programm zu vergleichen. So schreibt Kommunistisches Programm über die eigene Gruppe, die unter dem selbst vergebenen Titel „Partei“ ächzt: „‘Parteikern‘? Im Vergleich zur ‚kompakten und starken Partei von morgen‘, ganz gewiß. Aber Partei; eine Partei, die nur auf ihren eigenen Grundlagen wachsen kann, nicht durch die ‚Konfrontation‘ verschiedener Standpunkte, sondern durch den Kampf selbst gegen diejenigen, die ihr ‚nahezustehen‘ scheinen." (Kommunistisches Programm, Nr.18, S. 20). Wie kürzlich ein Sprecher der IKP auf einer öffentlichen Veranstaltung von Révolution Internationale (Sektion der IKS in Frankreich) in Paris sagte: „Wir kommen nicht, um zu diskutieren, auch nicht um unsere Standpunkte mit Euren zu konfrontieren, sondern nur um hier unseren Standpunkt kundzutun. Wir kommen zu eurer Veranstaltung, so wie wir zu den Veranstaltungen der stalinistischen Partei gehen.“
Solch eine Einstellung beruht nicht auf der Standhaftigkeit von Überzeugungen, sondern auf Selbstgefälligkeit und Arroganz. Das sogenannte „vollendete und invariante“ Programm, als dessen Erben und Bewahrer die Bordigisten sich ausgeben, kaschiert nichts anderes als einen enormen Größenwahn.
Je mehr ein Bordigist von Zweifeln und Unverständnis erschüttert wird, desto mehr schwanken seine Überzeugungen; und so fühlt er immer stärker das Bedürfnis, morgens nach dem Aufstehen sich auf die Erde zu knien, den Kopf auf die Erde zu beugen, sich auf die Brust zu schlagen und die Litanei des Islam aufzusagen: „Allah ist der einzige Gott und Mohammed sein Prophet“. Oder wie Bordiga irgendwo sagte: „Um Mitglied der Partei zu sein, braucht man nicht alles zu verstehen und von allem überzeugt zu sein; es genügt, daß man glaubt und der Partei gehorcht.“
Es geht hier nicht darum, ausführlich auf die Geschichte der Fraktion einzugehen, auf ihre Verdienste und Fehler, auf die Gültigkeit und die Irrtümer ihrer Positionen. Wie sie selbst sagte, habe sie auf dem Weg zur Klarheit oft nur herumtasten können, aber ihr Beitrag war umso größer, als sie ein lebendiger politischer Körper war, der es wagte, die Debatte zu eröffnen, ihre Positionen mit anderen zu konfrontieren, sie anderen gegenüberzustellen; sie war keine verkalkte und größenwahnsinnige Sekte wie die bordigistische „Partei“. So konnte die Fraktion für sich korrekterweise eine Kontinuität mit der Italienischen Linken beanspruchen, während die bordigistische Partei groben Mißbrauch betrieb, als sie über „unsere Fraktion im Exil“ sprach.
Die Konstituierung der Partei
Die für das Proletariat unabdingbare Partei wird auf den soliden Fundamenten eines kohärenten Programms, klarer Prinzipien und einer allgemeinen Orientierung aufgebaut, die es ermöglichen, detaillierte Antworten auf die im Klassenkampf auftauchenden politischen Probleme zu geben. Dies hat überhaupt nichts gemein mit dem mythischen „vollendeten und invarianten“ Programm der Bordigisten.
„In jeder Periode sehen wir, daß die Möglichkeit der Bildung der Partei bestimmt wird durch die Grundlage der vorherigen Erfahrung und der neuen Probleme, vor denen das Proletariat steht.“ (Bilan, Nr.1, S.15)
Was für das Programm zutrifft, ist auch für die lebendigen politischen Kräfte gültig, die die Partei physisch bilden. Die Partei ist sicher keine Ansammlung aller möglichen Gruppen und heterogenen politischen Tendenzen. Aber sie ist auch nicht der „monolithische Block“, von dem die Bordigisten sprechen und der übrigens nie bestanden hat, außer in ihrer Einbildung.
„In jeder Periode, in der die Bedingungen für die Bildung der Partei vorhanden sind, in der sich die Arbeiterklasse als Klasse organisieren kann, wird die Partei auf folgende zwei Elemente gegründet: 1) auf ein Bewußtsein der fortgeschrittensten Positionen, die das Proletariat aufgreifen muß; 2) auf die wachsende Kristallisierung der Kräfte, die für die proletarische Revolution handeln können.“ (Bilan, Nr.1)
Nur sich selbst und niemand anderen aus Prinzip und á priori als einzige für die Revolution handelnde Kraft anzuerkennen zeugt nicht von revolutionärer Standhaftigkeit, es ist das Verhalten einer Sekte.
Als Engels die Bedingungen, unter denen die Erste Internationale gegründet wurde, schilderte, schrieb er: „Die Ereignisse und Wechselfälle im Kampf gegen das Kapital, die Niederlagen noch mehr als die Siege, konnten nicht verfehlen, den Menschen die Unzulänglichkeit ihrer diversen Lieblingsquacksalbereien zum Bewußtsein zu bringen und den Weg zu vollkommener Einsicht in die wirklichen Voraussetzungen der Emanzipation der Arbeiterklasse zu bahnen.“ („Vorrede zum ‚Manifest der Kommunistischen Partei‘“, MEW, Bd. 21, S. 353, 1888).
Die Wirklichkeit hat nichts zu tun mit diesem Spiegel, vor dem die bordigistische „Partei“ die meiste Zeit verbringt und der ihr nichts anderes zeigt als ihr eigenes Bild. In der ganzen Geschichte der Arbeiterbewegung, d.h. in der Wirklichkeit, zeichnete sich die Bildung der Parteien durch einen Zusammenschluß bei gleichzeitiger Abgrenzung der Kräfte aus, die für die Revolution handeln können. Andernfalls müßte man schlußfolgern, daß niemals eine andere Partei als die bordigistische existiert hat. Einige Beispiele: der Bund der Kommunisten, dem sich Marx und Engels sowie ihre Freunde anschlossen, war der ehemalige Bund der Gerechten gewesen, der sich nach der Eliminierung der Weitling-Tendenz aus mehreren Gruppen in Deutschland, Frankreich, Belgien, England und der Schweiz zusammensetzte. Die Erste Internationale beinhaltete sowohl die Eliminierung von Sozialisten wie Louis Blanc und Mazzini als auch die Annäherung anderer Strömungen. Die Zweite Internationale gründete sich auf den Ausschluss der Anarchisten und der Umgruppierung der marxistischen sozialdemokratischen Parteien. Die Dritte Internationale kam nach der Auflösung der Sozialdemokraten und fasste die revolutionären kommunistischen Strömungen zusammen. Das Gleiche finden wir bei der Bildung der sozialdemokratischen Partei in Deutschland, die aus der Eisenacher und Lassalles Partei hervorgegangen war, und bei der sozialistischen Partei Frankreichs vor, die sich aus der Partei Guesdes und Lafargues sowie aus der Partei Jaures entwickelt hatte. Dasselbe auch bei der Bildung der sozialdemokratischen Partei in Rußland, die auf der Grundlage einer Annäherung von Gruppen entstanden war, die isoliert und zerstreut in den Städten und Regionen Rußlands existiert hatten, wobei die Tendenz Struves allerdings ausgeschlossen wurde. Man könnte hier weitere Beispiele aus der Geschichte der Parteigründungen aufführen, die dasselbe Phänomen von Ausschluss und Annäherung zeigen. Die Kommunistische Partei Italiens konstituierte sich nach der Auflösung der Maximalisten Seratis rund um die abstentionistische Fraktion Bordigas und Gramscis Gruppe.
Es gibt keine Kriterien, die absolut gültig und in allen Zeiten identisch sind. Es kommt darauf an, in jeder Epoche klar zu definieren, was die politischen Kriterien für die Annäherung und was die Kriterien für die Abgrenzung sind. Und genau das weiß die bordigistische „Partei“ nicht, die sich ohne Kriterien und in Form eines vagen Amalgams von Kräften konstituiert hatte: die im Norden gegründete Partei, Gruppen aus dem Süden unter Einbeziehung von Partisanenelementen, Vercesis Tendenz im Antifaschistischen Komitee Brüssels, die Minderheit, die 1936 wegen ihrer Teilnahme an den republikanischen Milizen im Spanischen Bürgerkrieg aus der Fraktion ausgeschlossen worden war, und die 1945 vorzeitig aufgelöste Fraktion. Wie man sehen kann, hat das Kommunistische Programm allen Grund dazu, von Unnachgiebigkeit und organischer Kontinuität zu sprechen sowie Lehren über revolutionäre Standhaftigkeit und Reinheit zu erteilen! Seine Verunglimpfung jeglicher Versuche der Konfrontation und Debatte zwischen revolutionären kommunistischen Gruppen beruht nicht auf Prinzipienfestigkeit, auch nicht auf politischer Kurzsichtigkeit, sondern schlicht und einfach auf der Sorge um den Schutz der eigenen, kleinen Kapelle.
Im Übrigen variiert (entschuldigt die Invarianz) diese unheimliche - tatsächlich nur verbale - Unnachgiebigkeit der Bordigisten gegen jede Konfrontation und erst recht gegen jede Umgruppierung, die von vornherein und ohne jedes Kriterium als ein konfuses Unterfangen abgestempelt wird, je nach dem Augenblick und nach Geschmack. So hatten sie 1949 einen „Aufruf zur internationalen Reorganisierung der revolutionären marxistischen Bewegung“ veröffentlicht, den sie 1952 und 1957 wiederholten und in dem man lesen kann:
„In Übereinstimmung mit der marxistischen Auffassung richten heute die Kommunisten der Italienischen Linken einen Aufruf an die revolutionären Arbeitergruppen aller Länder. Sie fordern sie dazu auf, sich auf einen langen und schwierigen Weg zu begeben und sich auf internationaler und strikter Klassengrundlage zu sammeln…“ (Programme Communiste, Nr.18/19 der franz. Ausgabe).
Aber es ist unbedingt notwendig, zwischen der bordigistischen Partei und jeder anderen Organisation zu unterscheiden; man würde einen schweren Fehler begehen, wenn man glaubte, daß das, was der Partei erlaubt ist, die allein über das vollendete und invariante Programm wacht, ebenfalls für eine simple sterbliche Organisation von Revolutionären zulässig ist. Die Partei hat Gründe, die die Vernunft nicht kennt und auch nicht kennen kann. Wenn die Bordigisten zu einer „internationalen Zusammenkunft“ aufrufen, dann ist das reines, pures Gold, doch wenn andere revolutionäre Organisationen zu einer einfachen internationalen Konferenz zur Kontaktaufnahme und Diskussion aufrufen, dann ist das selbstverständlich die größte Scheiße, „Prinzipienhandel“, ein konfuses Unterfangen. Aber kommt das nicht eher daher, daß die Bordigisten sich heute mehr denn je in ihrer Verkalkung verrannt haben und daß sie fürchten, ihre schwankenden Positionen mit den lebendigen, revolutionären Strömungen zu konfrontieren, die heute existieren und sich entwickeln? Ist das nicht der Grund dafür, daß sie sich lieber verschließen und isoliert bleiben?
Es ist lohnenswert, die für diese „Zusammenkunft“ vorgestellten Kriterien in Erinnerung zu rufen, die erneut in dem neulich erschienenen Artikel (eingangs dieses Artikels erwähnt) bekräftigt wurden:
„Die Internationale Kommunistische Partei schlägt den Genossen aller Länder die folgenden Grundprinzipien und -voraussetzungen vor:
1) Bejahung der Waffen der proletarischen Revolution: Gewalt, Diktatur, Terror…
2) vollständiger Bruch mit der Tradition der Kriegsbündnisse, den Partisanenfronten und den 'nationalen Befreiungen'...
3) historische Negation des Pazifismus, des Föderalismus zwischen den Staaten und der 'nationalen Verteidigung'…
4) Verurteilung der üblichen Sozialprogramme und der politischen Bündnisse mit den nichtlohnabhängigen Klassen…
5) Proklamierung des kapitalistischen Charakters der Gesellschaftsstruktur Rußlands;(‚Die Macht ist in die Hände einer hybriden und konturenlosen Koalition von inneren Interessen der niedrigen und höheren Mittelschichten, halb-unabhängigen Geschäftsleuten und der internationalen kapitalistischen Klassen gelegt worden‘?)
6) Schlußfolgerung: Mißbilligung jeder Unterstützung des russischen imperialen Militarismus, kategorischer Defätismus gegen den Militarismus Amerikas..."
Wir haben die sechs Kapitelüberschriften zitiert, die alle durch Kommentare näher erläutert werden; sie hier wiederzugeben wäre allerdings zu lang. Es handelt sich auch nicht darum, im einzelnen diese Punkte hier zu behandeln, obgleich ihre Formulierungen viel zu wünschen übrig lassen, insbesondere was die Frage des Terrors als Hauptwaffe der Revolution angeht (5) oder dieser subtile Unterschied in der Schlußfolgerung über die Haltung gegenüber den USA (Defätismus) und gegenüber Rußland (Mißbilligung) oder diese – gelinde gesagt – kuriose Definition der Macht in Rußland, die nicht schlicht Staatskapitalismus genannt wird, sondern eine „hybride und konturenlose Koalition von inneren Interessen der niedrigen und höheren Mittelschichten (…) und der internationalen kapitalistischen Klassen“. Man könnte ebenso auf die vielsagende Abwesenheit anderer Kriterien hinweisen, insbesondere auf die Forderung nach der Anerkennung des proletarischen Charakters der Oktoberrevolution oder die Notwendigkeit der Klassenpartei. Uns kommt es hier jedoch darauf an zu betonen, daß diese Kriterien in der Tat eine ernsthafte Grundlage darstellen, wenn auch nicht für eine unmittelbare „Zusammenkunft“, so doch mindestens für eine Kontaktaufnahme und Diskussion zwischen den bestehenden revolutionären Gruppen. Dies ist eine Orientierung, wie sie einst auch die Fraktion verfolgt hatte, und es ist eine Orientierung, die wir heute nach wie vor fortführen: Sie war die Grundlage des internationalen Treffens in Mailand im letzten Jahr.
Doch umnachtet durch ihre Invarianz benötigen die Bordigisten heute nichts von alledem mehr, weil… sie ja schon die Partei konstituiert haben („mikroskopisch klein, aber dennoch eine Partei“).
Aber ist dieser Aufruf damals nicht auch von der IKP unterzeichnet worden, werden sich naive Leser fragen? Ja,... aber es war damals nur die Internationalistische Kommunistische Partei und noch nicht die Internationale Kommunistische Partei – ein subtiler Unterschied. Aber war diese Internationale Kommunistische Partei nicht integraler Bestandteil der damaligen Internationalistischen Kommunistischen Partei, hat sie nicht gar behauptet, ihre Mehrheit zu sein? Ja.. aber, …aber …, aber…
Da wir gerade bei diesem Punkt sind: kann man ein für allemal erfahren, seit wann diese „tapfere, mikroskopische Partei“ besteht? Es ist heute Mode – aus welchen Gründen auch immer - zu bestätigen, daß die Partei erst im Jahre 1952 konstituiert wurde, und der oben zitierte Artikel besteht auf dieses Datum.(6) Jedoch werden in dem Artikel auch „fundamentale Texte“ von 1946 zitiert, die Plattform stammt aus dem Jahre 1945, andere grundlegende Texte aus den Jahren 1948, 1949 und 1951. Diese Texte, der eine so grundlegend wie der andere, von wem stammen sie genau? Von einer Partei, von einer Gruppe, von einer Fraktion, von einem Kern, von einem Embryo?
In Wirklichkeit konstituierte sich die IKP nach dem Sturz Mussolinis 1943 im Norden Italiens. Dann wurde sie ein zweites Mal nach der „Befreiung“ des Nordens von der deutschen Besatzung „rekonstituiert“; dies erlaubte den Gruppen, die sich in der Zwischenzeit im Süden gebildet hatten, sich in die im Norden bestehende Organisation zu integrieren. Um sich in diese Partei zu integrieren, beschloss die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linken fast einstimmig, sich selbst aufzulösen. Diese Selbstauflösung wie auch die Proklamierung der „Partei“ lösten erbitterte Diskussionen und Polemiken in der GCI (Internationalen Kommunistischen Linken) aus, was in Frankreich zu einer Spaltung in der Französischen Fraktion der Kommunistischen Linken führte, in der nur eine Minderheit dieser Politik zustimmte und sich von der Mehrheit trennte. Die Mehrheit erklärte ihre Opposition gegen die vorschnelle Auflösung der Italienischen Fraktion, verurteilte die Proklamation der Partei in Italien kategorisch und öffentlich als willkürlich und voluntaristisch und wies auf die opportunistische politische Grundlage der neuen Partei hin. (7) Ende 1945 fand der erste Kongreß dieser Partei (IKP) statt. Er veröffentlichte eine politische Plattform und ernannte die zentrale Führung der Partei sowie ein internationales Büro, das aus Vertretern der IKP, der französischen und belgischen Sektion zusammengesetzt war. Der Artikel von Kommunistisches Programm bezieht sich auf „Elemente einer marxistischen Orientierung, unser Text aus dem Jahr 1946“. 1948 gab es noch mehr programmatische Texte der Partei, und weitere folgten. 1951 brach die erste Krise in der Partei aus, die in einer Spaltung kulminierte, die zwei IKPs hinterließ, von denen jede beanspruchte, in Kontinuität mit der alten Partei zu stehen, eine Behauptung, die Kommunistisches Programm nie aufgegeben hat.
Heute erfindet man ein neues Gründungsdatum der bordigistischen Partei. Warum? Kommt es daher, daß erst 1951 „unsere Strömung dank der Kontinuität ihres Kampfes dieses kritische Bewußtsein hat erreichen können, um eine Linie zu vertreten, die wahrhaft allgemein und nicht zufällig war“, so daß sie sich „als organisiertes, kritisches Bewußtsein, als handelnder militanter Organismus, als Partei konstituieren konnte“ (Kommunistisches Programm, Nr.18, „Auf dem Weg zu einer kompakten und mächtigen Partei von Morgen“, S. 15)? Aber wo waren dann die Bordigisten und Bordiga zwischen 1943/45 und 1951? Was wurde aus dem Programm, das seit 1848 unverändert geblieben war? War es während dieser Jahre abhanden gekommen, und mußten sie bis 1951 ausharren, um „das kritische Bewusstsein zu erlangen“, das ihnen erlaubte, die „Partei“ zu konstituieren? Aber waren sie nicht seit 1943/45 als Mitglieder, und zwar als führende Mitglieder, in der IKP organisiert? Es ist schwierig, sehr schwierig, über solch eine schwerwiegende Frage mit Leuten zu diskutieren, die alle ihre Begriffe durcheinanderbringen, die nicht zwischen dem Augenblick der Schwangerschaft und dem der Geburt unterscheiden können, die nicht wissen, wer sie selbst sind und in welchem Stadium sie sich befinden, die sich „Die Partei“ nennen und gleichzeitig die Notwendigkeit der Konstituierung der Partei vertreten. Wie kann man Leute ernst nehmen, die, je nachdem wie es ihnen in den Kram passt, den Zeitpunkt der Geburt auf 1943, 1945, 1952 oder gar auf einen unbestimmten Tag in der Zukunft festlegen.
So wie mit dem Gründungsdatum der IKP verhält es sich auch mit der Links-Fraktion im Ausland. Entweder wird sie akzeptiert oder sie wird abgelehnt, je nachdem wie es passt. Doch welches Datum auch immer, was die Bildung der Partei angeht, „können (wir) auf Anhieb sagen, daß die Erlangung dieses kritischen Bewußtseins nicht von einer aufsteigenden Bewegung getragen wurde, sondern ganz im Gegenteil ihr weit vorausging." (Kommunistisches Programm, Nr.18, 5.15).
Dies scheint klar zu sein. Die Konstituierung der Partei wird keineswegs durch eine aufstrebende, wachsende Bewegung im Klassenkampf bestimmt, „sondern sie geht ihr im Gegenteil weit voraus“. Aber warum dann dieser Eifer, gleich hinzufügen, daß es darauf ankomme, „die wahre Partei (…) die kompakte und starke Partei aufzubauen, die wir noch nicht sind“? Kurz gesagt: eine Partei,...die die Partei vorbereitet! Mit anderen Worten, eine Partei, die keine ist. Aber warum ist diese Partei, die ein „vollendetes und invariantes“ Programm besitzt, die das notwendige kritische und organisatorische Bewußtsein erreicht hat - warum ist sie nicht die „wahre Partei“? Was fehlt ihr also? Sicher ist es keine Frage der Anzahl der Mitglieder, aber zu sagen, daß die „Partei im Bau“ anerkennt, daß sie sich „im Geburtsprozeß“ befindet und nicht vollendet ist, weil „die Klassenpartei stets im Bau ist, vom Tag ihres ersten Auftretens bis zum Moment ihres Verschwindens“ (Programm Communiste, Nr. 76, unsere Unterstreichungen), bedeutet ganz offensichtlich nur ein Jonglieren mit Worten; sie vermeidet es, die erforderlichen Antworten zu geben, indem sie die Fragen unter den Teppich kehrt. Es ist eine Sache zu sagen, daß der Eisprung Vorbedingung einer späteren Geburt ist, es ist allerdings eine andere Sache zu sagen, daß der Eisprung die eigentliche Geburt sei, die faktische Entstehung von Leben. Die geniale Originalität von Kommunistisches Programm besteht darin zu behaupten, daß beide ein und dasselbe sind. Mit solch einer Scheinargumentation kann man alles Mögliche, einschließlich der Quadratur des Kreises, beweisen. Die Notwendigkeit, die Partei konstant weiterzuentwickeln und zu stärken, wenn sie wirklich existiert, beweist nicht, daß sie bereits existiert, genauso wenig wie die Notwendigkeit der Weiterentwicklung und Stärkung des Kindes beweist, daß das Ei schon ein Kind ist. Nur unter bestimmten präzisen Voraussetzungen kann aus dem Ei ein Kind werden. Die Problemstellung des einen unterscheidet sich stark von den Problemen, die sich dem anderen stellen.
Diese ganzen Spitzfindigkeiten über die Partei, die existiert, weil sie konstant im Bau ist, und über den ständigen Aufbau einer Partei, die bereits existiert, dienen dazu, verstohlen eine andere bordigistische Theorie einzuführen: die reale Partei und die formale Partei. Dies ist eine weitere Spitzfindigkeit, die zwischen der realen Partei, einem rein „historischen“ Phantom, das zwangsläufig nicht in der Realität existiert, und der formalen Partei unterscheidet, die tatsächlich in der Realität existiert, aber nicht zwangsläufig Ausdruck der realen Partei ist. In der bordigistischen Dialektik ist die Bewegung kein Zustand der Materie und somit etwas Materielles, sondern eine metaphysische Kraft, die die Materie schafft. So wird aus der Wendung im Kommunistischen Manifest: „die Organisation der Proletarier zur Klasse und damit zur politischen Partei“ in der bordigistischen Weltanschauung: „die Konstituierung der Partei macht das Proletariat zur Klasse“. Das führt zu widersprüchlichen Schlußfolgerungen, die gleichzeitig auf die Scholastik der Argumentation hinweisen: Entweder bestätigt man entgegen jeder Vernunft, daß die Partei seit ihrem ersten Auftreten (sagen wir seit Babeuf und seit den Chartisten) nie zu existieren aufgehört hat, oder man geht von der offensichtlichen Tatsache aus, daß die Partei während längerer Zeiträume in der Geschichte nicht existiert hat, und man gelangt (wie Vercesi, Camatte) zur Schlußfolgerung, daß die Klasse dauernd oder zeitweilig verschwunden ist. Das einzige Beständige am Bordigismus ist sein Lavieren von einem scholastischen Pol zum nächsten.
Um mehr Klarheit zu erzielen, könnte man vielleicht die Frage auf eine andere Art stellen. Die Bordigisten definieren die Partei als eine Doktrin, als ein Programm und als eine Fähigkeit zur praktischen Intervention, als einen Willen zur Handlung. Diese etwas kurzgefaßte Definition der Partei wird heute durch ein anderes Postulat vervollständigt: Das Bestehen der Partei hängt nicht ab von einem gegebenen Zeitraum, ja muß im Gegenteil absolut unabhängig davon sein. Nun sagt man uns, daß von den beiden Grundlagen der Partei - das Programm und der Willen zum Handeln - die erste, das Programm, seit dem Kommunistischen Manifest 1848 vollendet und invariant ist. Hier stehen wir vor einem offensichtlichen Widerspruch: das Programm, die Essenz der Partei, ist vollendet, aber die Partei, die Materialisierung des Programms, befindet sich im unaufhörlichen Aufbau. Mehr noch: sie verschwindet zeitweise sogar ganz und gar. Wie ist das möglich und warum?
1852 löste sich der Bund der Kommunisten auf und verschwand. Warum? Haben die Gründer des Programms, Marx und Engels, das Programm aus den Augen verloren? Man könnte vielleicht gegen sie vorgeben, daß sie den Willen zur Handlung verloren haben, indem man auf die Spaltung, die von ihnen gegen die Minderheit (Willich-Schapper) arrangiert wurde, und auf ihre Anprangerung des voluntaristischen Aktionismus dieser Minderheit verweist. Aber hieße das nicht, von einer Absurdität zur nächsten, noch größeren Absurdität zu springen? Was bleibt uns also anders übrig, als diese Auflösung durch eine tiefgreifende Änderung der Situation zu erklären - ob es den Bordigisten paßt oder nicht? Engels, der wußte, worüber er sprach, erklärte das Verschwinden des Bundes so:
„Die Niederschlagung der Pariser Juni-Insurrektion von 1848 - dieser ersten großen Schlacht zwischen Proletariat und Bourgeoisie - drängte die sozialen und politischen Bestrebungen der Arbeiterklasse Europas zeitweilig wieder in den Hintergrund (...) Die Arbeiterklasse wurde beschränkt auf einen Kampf um politische Ellbogenfreiheit und auf die Position eines äußerlich linken Flügels der radikalen Bourgeoisie. Wo selbständige proletarische Bewegungen fortführen, Lebenszeichen von sich zu geben, wurden sie erbarmungslos niedergeschlagen (…) Sofort nach dem Urteilsspruch (des Prozesses der Kölner Kommunisten im Oktober 1852) wurde der Bund durch die noch verbliebenen Mitglieder formell aufgelöst.“ (MEW, Bd. 21, S. 353).
Diese Erklärung scheint unsere Bordigisten nicht zu überzeugen, die sie nur völlig überflüssig finden können, denn für sie hat sich die Partei nie wirklich aufgelöst – sie bestand in der Person von Marx und Engels fort. Um dies zu beweisen, zitieren sie aus einem skurrilen Auszug aus einem Brief von Marx an Engels, und wie jedes Mal wenn es ihnen zweckmäßig erscheint, machen sie aus einem Wort, aus einem Satzteil und selbst aus einem skurrilen Einfall in einem Brief eine absolute Wahrheit, ein invariantes und unwandelbares Prinzip.(8) Geschah zwischen der Auflösung des Bundes 1852 und der Geburt der Internationalen 1864 irgendetwas Relevantes für die Parteiexistenz? Gemäß den Bordigisten überhaupt nichts; das Programm blieb immer noch invariant, der Willen zur Handlung war vorhanden, Marx und Engels waren da und die Partei mit ihnen. Nichts, überhaupt nichts Wichtiges schien passiert zu sein. Das scheint aber nicht die Meinung Engels gewesen zu sein, der schrieb:
„Als die europäische Arbeiterklasse wieder genügend Kraft zu einem neuen Angriff auf die herrschende Klasse gesammelt hatte, entstand die Internationale Arbeiterassoziation.“ (MEW,Bd, 21, S.353) Wenn Kommunistisches Programm in seinem Artikel schreibt: „… die revolutionäre marxistische Partei (ist) nicht das Produkt der unmittelbaren Bewegung, d.h. der Aufstiegs- und Rückflußphasen...“ (S.20), verfälscht es entweder aus Unverständnis oder aus Absicht die Debatte, indem dieses kleine Wort „Produkt“ - im franz. Text unterstrichen - eingeführt wird. Selbstverständlich, die Notwendigkeit einer Partei resultiert nicht aus besonderen Situationen, sondern aus der allgemeinen historischen Lage der Klasse (dies lernt man im Grundkurs des Marxismus und erfordert keine großen Kenntnisse). Die Kontroverse geht nicht darum, sondern darum, ob die Existenz der Partei an die Wechselfälle des Klassenkampfes gebunden ist oder nicht, ob spezifische Bedingungen notwendig sind, damit die Revolutionäre tatsächlich - und nicht nur in Worten - die Rolle erfüllen können, die der Partei obliegt. Es reicht nicht aus zu sagen, daß ein Kind ein menschliches Produkt ist, um daraus zu folgern, daß die notwendigen Lebensbedingungen - Luft zum Atmen, Lebensmittel zur Ernährung, Fürsorge durch andere - gegeben sind. Ohne diese Bedingungen ist das Kind unwiderruflich zum Tode verurteilt. Partei zu sein heißt, wirksam zu intervenieren, eine wachsende Wirkung, einen wirklichen Einfluß auf den Klassenkampf zu haben, und dies ist nur möglich, wenn der Klassenkampf sich im Anstieg befindet. Darin liegt der Unterschied zwischen der Partei und ihrer realen Existenz sowie der Fraktion oder Gruppe. Das hat die IKP noch nicht verstanden und will es auch nicht verstehen.
Der Bund der Kommunisten konstituierte sich zu einer Zeit des wachsenden Klassenkampfes, der der Welle von revolutionären Kämpfen 1848 vorausging, und er verschwand, wie Engels‘ Zitat gezeigt hat, mit der Niederlage und dem Zurückweichen des Klassenkampfes. Dies ist keine vorübergehende, sondern eine allgemeine Tatsache, die sich in der ganzen Geschichte der Arbeiterbewegung bewahrheitet hat, und es konnte auch nicht anders sein. Die Erste Internationale entstand, „als die europäische Arbeiterklasse wieder genügend Kraft zu einem neuen Angriff auf die herrschende Klasse gesammelt hatte“ (Engels). Und wir können uns voll und ganz den Worten des Berichterstatters des Generalrates auf dem Ersten Kongreß der Internationale anschließen, der auf die Angriffe der bürgerlichen Presse antwortete: „Nicht die Internationale hat die Streiks der Arbeiter ausgelöst, sondern es sind die Arbeiterstreiks, die der Internationale solche Stärke verleihen.“ Wie der Bund der Kommunisten überlebte auch die Internationale nicht lange die blutige Niederlage der Pariser Kommune. Sie brach kurz darauf zusammen, trotz der Präsenz von Marx und Engels und des „vollendeten und invarianten“ Programms.
Um das Gegenteil dessen zu beweisen, was wir gerade festgestellt haben, versucht der Artikel vergeblich zurückzugreifen auf: „…konkrete Belege (...), daß es ganze Gebiete (wie England oder Amerika) gab, wo ausgesprochen heftige Kämpfe stattgefunden haben, obwohl die Partei überhaupt nicht existierte“ (Kommunistisches Programm, S. 20). Hier handelt es sich um ein Argument, das überhaupt nichts beweist, außer die Tatsache, daß es keine mechanische Verbindung zwischen den Kämpfen der Klasse und der Absonderung einer Partei gibt bzw. daß andere Faktoren bestehen, die dem Prozeß der Konstituierung der Partei entgegenwirken; daß im allgemeinen eine Kluft zwischen den objektiven und den subjektiven Bedingungen, zwischen dem Sein und der Entwicklung von Bewusstsein besteht. Wenn das Argument Gültigkeit haben soll, dann muss Kommunistisches Programm Fälle zitieren, die das Gegenteil beweisen, d.h. Beispiele, wo die Partei sich außerhalb von Ländern und Perioden konstituiert hat, in denen der Kampf auf dem aufsteigenden Ast war. Doch es gibt keine Beispiele. Das einzige Beispiel (überflüssig, über die trotzkistische IV. Internationale zu reden), das sie aufführen können, ist die IKP. Aber das ist eine andere Geschichte, die Geschichte mit der Maus, die so groß sein wollte wie der Elefant. Die IKP war niemals eine Partei, außer dem Namen nach.
Nach den Beispielen des Bundes der Kommunisten und der Ersten Internationalen gibt es noch das Beispiel der II. Internationalen und ihres ehrlosen Niedergangs und, noch schlimmer, das Beispiel der Gründung der III. Internationalen und ihres würdelosen Endes im Stalinismus. Diese Beispiele sind eine eindeutige Bestätigung der von der Italienischen Fraktion vertretenen These, eine These, der wir voll und ganz beipflichten: die Unmöglichkeit, die Partei in einer Periode des zurückweichenden Klassenkampfes zu konstituieren.(9) Ganz anders lautet natürlich die Vorstellung von Kommunistisches Programm: die Rekonstituierung der Partei müsse stattfinden, „bevor das Proletariat aus dem Abgrund, in dem es hinabgestürzt war, wiederaufsteigt. Es muss festgestellt werden, daß diese Wiedergeburt zwangsläufig, wie dies stets der Fall gewesen war, diesem Wiederaufleben des Proletariats vorausgeht“ (S.17).
Man versteht, warum der Artikel sich mit solch einem Nachdruck auf Lenins Was tun? bezieht, vor allem auf den Teil über das gewerkschaftliche Bewußtsein der Arbeiterklasse. Denn was der ganzen Argumentationskette in dem Artikel zugrunde liegt, ist nicht so sehr eine Überschätzung der Rolle der Partei und die dem Bordigismus eigentümliche Neigung zum Größenwahn, sondern eine himmelschreiende Unterschätzung der Fähigkeit der Klasse, bewusst zu werden, ein tiefer Mangel an Vertrauen in die Klasse, ein kaum verhülltes Mißtrauen gegen die Arbeiterklasse und ihre Fähigkeit, die Welt zu verstehen:
„Wenn die Zukunft, die von der Partei wissenschaftlich vorausgesehen wird, für uns Materialisten gewiss und unvermeidlich ist, so wird dies nicht durch irgendeine ‚Reifung‘ des Bewusstseins in der Klasse über ihre historische Mission bestimmt, sondern weil die Arbeiterklasse von objektiven Determinanten gedrängt wird, bevor sie es weiß und ohne zu wissen, wie man für den Kommunismus kämpft.“ (S.21, Nr.18, Kommunistisches Programm)
Im Artikel findet man durchweg diese misstrauischen Komplimente für die Arbeiterklasse: eine rohe und abgestumpfte Masse, die ohne zu wissen und ohne zu verstehen handelt, die aber glücklicherweise von einer Partei geführt wird, die alles versteht, ja die das personifizierte Verständnis ist. Man gestatte uns, diesem erstickenden Misstrauen die frische Luft des Urteils des alten Engels gegenüberzustellen:
„Für den schließlichen Sieg der im 'Manifest' aufgestellten Sätze verließ sich Marx einzig und allein auf die intellektuelle Entwicklung der Arbeiterklasse, wie sie aus der vereinigten Aktion und der Diskussion notwendig hervorgehen mußte.“ (Vorrede für das Kommunistische Manifest, vierte deutsche Ausgabe, London, I. Mai 1890).
Jeder Kommentar erübrigt sich. Fahren wir fort. Gemäß der bordigistischen Vorstellung erfordert die Rekonstituierung der Partei - die vollständig losgelöst von den konkreten Bedingungen ist - die theoretische Reife und den Willen zum Handeln. So fällt der Artikel folgendes Urteil über die Fraktion
„Wenn (die Fraktion) noch nicht die Partei, sondern erst ihr Vorspiel war, so nicht mangels praktischer Aktivitäten, sondern eher infolge der Unzulänglichkeit ihrer theoretischen Arbeit.“ (S.25)
Gut, das ist ihr Urteil. Aber was versteht der Artikel unter ausreichender theoretischer Arbeit? Zweifellos die Wiederherstellung, die Wiederaneignung, die Konservierung des vollendeten und invarianten Programms. Vor allem aber ohne die Positionen der Vergangenheit zu überprüfen, ohne eine Antwort auf die neuen Probleme zu suchen. Dies ist die Art von Arbeit, die der Artikel der Fraktion vorwirft, dies ist es, was er als ihre größte Schwäche ansieht. Diese Museumskonservatoren, die ihre eigene Sterilität zum Ideal erhoben haben, würden gern glauben machen, daß Lenin genau wie sie niemals etwas anderes gemacht hatte, als die vollendete Theorie von Marx zu „restaurieren“. Vielleicht könnten sie einmal darüber nachdenken , was Lenin zur Frage der Theorie gesagt hat :
„Wir betrachten die Theorie von Marx keineswegs als etwas Abgeschlossenes und Unantastbares: wir sind im Gegenteil davon überzeugt, daß sie nur das Fundament der Wissenschaft gelegt hat, die die Sozialisten nach allen Richtungen weiterentwickeln müssen (von Lenin unterstrichen), wenn sie nicht hinter dem Leben zurückbleiben wollen.“.
Der Artikel, aus dem dieses Zitat stammt, nennt sich… „Unser Programm“.
Und wie messen unsere Päpste des Marxismus den Grad der theoretischen Reife? Gibt es irgendwelche festgelegten Maßstäbe? Um nicht willkürlich vorzugehen, müssen auch die Maßstäbe gemessen werden, und es gibt keinen besseren Weg, dies zu tun, als diese theoretische Reife im Licht der konkreten Positionen, die man vertritt, zu verifizieren.
Wenn man durch dieses Mittel die Reife messen kann und wenn dies das Hauptkriterium für die Bildung der Partei ist, dann können wir ruhig, aber mit aller notwendigen Überzeugung sagen, daß die Bordigisten die Partei nicht 1943, auch nicht 1945 und vor allem aber nicht 1952 hätten konstituieren sollen, sondern daß sie besser bis zum Jahr 2000 gewartet hätten. Jeder hätte dabei gewonnen, vor allem sie selbst.
Wir können noch nicht sagen, wie sich die kompakte und starke Partei von morgen bilden wird, aber was schon heute feststeht, ist, daß die IKP es nicht sein wird. Das Drama des Bordigismus ist, das sein zu wollen, was er nicht ist, die Partei, und das nicht sein zu wollen, was er ist: eine politische Gruppe. So erfüllt die IKP nicht - außer in Worten - die Funktionen der Partei, weil sie sie nicht erfüllen kann, und verwirklicht auch nicht die Aufgaben einer politischen Gruppe - die in ihren Augen belanglos sind. Wenn man ihre politische Reife an ihren Positionen mißt und dabei ihre Entwicklung beobachtet, dann sieht es ganz danach aus, daß sie niemals ihr Ziel erreichen wird, denn mit jedem Schritt vorwärts macht sie gleichzeitig zwei oder drei Schritte zurück.
M.C.
FUSSNOTEN :
(1) Diesen Artikel gibt es in deutscher Sprache in Kommunistisches Programm, Nr.18, Mai 1978.Soweit die deutsche Übersetzung der IKP mit dem Originaltext übereinstimmte, haben wir diese Version verwendet. Andernfalls haben wir selbst den Originaltext übersetzt.
(2) Programme Communiste, Nr.76, 5.5. Dieser Satz ist in der deutschen Übersetzung nicht zu finden.
(3) Bilan, Nr.1, Vorwort, S.3.
(4) Ebenda.
(5) Siehe unseren Artikel "Terror, Terrorismus und Klassengewalt" in dieser Nummer, in dem dieses Thema ausführlich behandelt wird.
(6) Der Proletarier (franz. Ausgabe "Le Proléaire" vom 8/21 April 1978, Nr. 264) drückt sich noch deutlicher aus: „...die charakteristischen Thesen aus dem Jahre 1951, die den Geburtsakt und die Zugehörigkeitsgrundlagen darstellen...“
(7)) Siehe L'Etincelle und Internationalisme, Publikationen der Linkskommunisten Frankreichs bis 1952.
(8) Es ist höchste Zeit, diesem unglaublichen Mißbrauch ein Ende zu setzen, den manche mit Zitaten betreiben, indem sie mit ihnen alles Mögliche ausdrücken wollen. Dies trifft besonders auf die Bordigisten hinsichtlich der Vorstellung von Marx über die Partei zu. Es wäre möglicherweise lohnenswert, sie aufzufordern, über diesen irgendwie überraschenden und rätselhaften Satz im Kommunistischen Manifest nachzusinnen und ihn zu deuten: „Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien.“ (Kapitel II, "Proletarier und Kommunisten").
(9) Es ist übrigens bekannt, daß Bordiga sich zumindest sehr widerstrebend an der Konstituierung der Partei beteiligte und daß er nur widerwillig dem ihm gegenüber von allen Seiten ausgeübten Druck nachgegeben hat, sich ihr anzuschließen. Vercesi dagegen wartete nicht lange, bis er die Richtigkeit der Parteibildung öffentlich in Frage stellte. Aber wer A sagt, muß auch B sagen. Man kann ein Widerhall seiner Zurückhaltung in dem „Vorentwurf der Prinzipienerklärung für das Internationale Büro der (neuen) internationalen Kommunistischen Linken“ finden, den er entworfen und in Belgien Ende 1946 veröffentlicht hat. Darin kann man lesen: „Der Prozeß der Umwandlung der Fraktionen in eine Partei wurde von der kommunistischen Linke in seinen großen Linien nach einem Schema festgelegt, das besagt, daß die Partei erst dann in Erscheinung treten kann, wenn die Arbeiter Kampfbewegungen begonnen haben, welche den Rohstoff zur Machteroberung liefern.“ (Kommunistisches Programm, S. 24)
Einleitung:
Die eindrucksvollen, ideologischen Kampagnen der europäischen Bourgeoisie zum Thema Terrorismus (die Schleyer-Entführung in Deutschland, die Moro-Affäre in Italien) - Feigenblätter, die die massive Stärkung des Staates des bürgerlichen Staates verdecken sollen - haben das Problem der Gewalt, des Terrors und Terrorismus in den Fokus der Revolutionäre gerückt. Diese Fragen sind nicht neu für Kommunisten. Jahrzehntelang haben sie die barbarischen Methoden angeprangert, die von der Bourgeoisie benutzt wurden, um ihre Macht über die Gesellschaft aufrechtzuerhalten, die Brutalität, die selbst die demokratischsten Regimes bei der leisesten Bedrohung gegen die herrschende Ordnung entfesselten. Sie waren in der Lage gewesen zu betonen, dass die gegenwärtigen Kampagnen nicht wirklich den Mückenstichen einer Handvoll verzweifelter Elemente aus dem zerfallenden Kleinbürgertum galten, sondern der Arbeiterklasse, deren zwangsläufig gewaltsame Revolte die einzig ernsthafte Bedrohung für den Kapitalismus darstellt.
Die Rolle der Revolutionäre lag somit darin, diese Kampagnen als das zu entlarven, was sie sind, und gleichermaßen die stupide Unterwürfigkeit der linken Gruppen klar herauszustellen, die, wie z.B. einige trotzkistische Gruppen, ihre Zeit damit verbringen, die „Roten Brigaden“ anzuprangern, weil diese Aldo Moro „ohne ausreichende Beweise“ und „ohne Zustimmung der Arbeiterklasse“ verurteilt hätten. Wenn die Revolutionäre den bürgerlichen Terror verurteilen und die Notwendigkeit der Gewaltanwendung bei der Zerstörung des Kapitalismus durch die Arbeiterklasse bejahen, müssen sie sich gleichzeitig besonders klar sein über:
- die wahre Bedeutung des Terrorismus und
- die zukünftige Form der von der Arbeiterklasse ausgeübten Klassengewalt in ihrem Kampf gegen die Bourgeoisie.
Und hier muss gesagt werden, dass es selbst in Organisationen, die Klassenpositionen vertreten, eine Reihe von irrigen Auffassungen geben kann, die Gewalt, Terror und Terrorismus als synonym betrachten und davon ausgehen:
- dass es einen „Arbeiterterrorismus“ geben kann;
- dass die Arbeiterklasse dem weißen Terror der Bourgeoisie ihren eigenen „revolutionären Terror“ entgegenstellen muss, der gewissermaßen die Symmetrie zu Ersterem herstellt.
Wahrscheinlich ist es die bordigistische Internationale Kommunistische Partei (IKP - Kommunistisches Programm), die sich am nachdrücklichsten zum Sprachrohr dieser Art von Konfusionen gemacht hat, denn sie schreibt:
"Vom Stalinismus verwerfen die Marchais‘ und Pelikans nur die revolutionären Aspekte - die Einheitspartei, die Diktatur, den Terror -, die sie von der proletarischen Revolution geerbt hatten." (Aus: Programme Communiste, Nr.76, S. 87).
So ist für diese Organisation der Terror, selbst wenn er vom Stalinismus benutzt wurde, dem Wesen nach revolutionär, und können die Methoden der proletarischen Revolution mit den Methoden der schlimmsten Konterrevolution, die jemals die Arbeiterklasse getroffen hat, identisch sein.
Außerdem neigte die IKP zur Zeit der Baader-Affäre dazu, die terroristischen Taten Baaders und seiner Gefährten als Vorbote der zukünftigen Gewalt der Arbeiterklasse darzustellen, trotz der Vorbehalte gegenüber diesen ausweglosen Aktionen. So steht in Le Prolétaire, Nr. 254: "In diesem Geiste haben wir mit Sorge den tragischen Epos Andreas Baaders und seiner Gefährten verfolgt, die an dieser Bewegung teilgenommen haben, einer Bewegung der langsamen Anhäufung der Voraussetzungen für das proletarische Wiedererwachen." Und etwas weiter: „Der proletarische Kampf wird weitere Märtyrer erleben…"
Schließlich taucht die Idee eines „Arbeiterterrorismus“ offen an einigen Stellen auf: „Kurzum, um revolutionär zu sein, genügt es nicht, die Gewalt und den Terror der bürgerlichen Staaten zu verurteilen, man muss auch die Gewalt und den Terrorismus als unabdingbare Waffen der Befreiung des Proletariats einfordern“ (Le Proletaire, Nr. 253).
Entgegen solcher Konfusionen versucht der nachfolgende Text über die bloßen lexikalischen Definitionen und den Sprachmissbrauch, den manche Revolutionäre in der Vergangenheit gelegentlich begangen haben, hinauszugehen und die unterschiedlichen Klasseninhalte von Terrorismus, Terror und Gewalt, insbesondere der Gewalt, die die Arbeiterklasse für die Verwirklichung ihrer Befreiung gebrauchen wird, zu ermitteln.
KLASSENGEWALT UND PAZIFISMUS
Den Klassenkampf anzuerkennen bedeutet, die Gewalt direkt als eines seiner grundlegenden und ihm innewohnenden Elemente zu akzeptieren. Die Existenz von Klassen heißt, dass die Gesellschaft durch antagonistische Interessen, durch unversöhnliche Konflikte zerrissen ist. Die Klassen gründen sich auf der Basis dieser Antagonismen. Die zwischen den Klassen bestehenden gesellschaftlichen Beziehungen sind deshalb zwangsläufig Verhältnisse des Widerstands und der Antagonismen, d.h. des Kampfes.
Das Gegenteil vorzutäuschen, zu behaupten, dass man diesen Sachverhalt durch den guten Willen, durch die Zusammenarbeit und die Harmonie zwischen den Klassen überwinden kann, hieße, sich außerhalb der Realität zu stellen, und wäre vollkommen utopisch.
Dass die ausbeutenden Klassen sich zu solchen Illusionen bekennen und sie verbreiten, ist nichts Überraschendes: Sie sind „von Natur aus“ davon überzeugt, dass gar keine andere Gesellschaft, keine bessere Gesellschaft existieren kann als die Gesellschaft, in der sie die herrschende Klasse sind. Diese absolute, blinde Überzeugung wird ihnen durch ihre Interessen und Privilegien diktiert. Ihre Klasseninteressen und Klassenprivilegien stimmen mit dem Typ der Gesellschaft überein, die sie beherrschen; sie haben also ein Interesse daran, den beherrschten und ausgebeuteten Klassen zu predigen, auf ihren Kampf zu verzichten, die bestehende Ordnung zu akzeptieren, sich den „historischen Gesetzen“ zu unterwerfen, die die Herrschenden als unveränderlich ausgeben. Diese herrschenden Klassen sind somit einerseits objektiv borniert, beschränkt und unfähig, die Dynamik des Klassenkampfes der unterdrückten Klassen zu verstehen. Andererseits sind sie subjektiv im höchsten Grade daran interessiert, die beherrschten Klassen zur Aufgabe jeder Kampfbereitschaft zu bewegen, indem sie ihren Willen durch alle möglichen Mystifikationen brechen.
Aber die ausbeutenden Klassen sind nicht die einzigen, die solch eine Einstellung gegenüber dem Klassenkampf haben. Gewisse Strömungen haben es für möglich gehalten, den Klassenkampf zu vermeiden, indem sie an die Intelligenz und das Verständnis von Menschen guten Willens appellierten, um eine harmonische und brüderliche Gesellschaft der Gleichen zu schaffen. Dies war beispielsweise der Fall bei den Utopisten zu Anfang des Kapitalismus. Im Gegensatz zur Bourgeoisie und ihren Ideologen hatten die Utopisten kein Interesse, den Klassenkampf zu vertuschen, um die Privilegien der herrschenden Klassen zu erhalten. Wenn sie den Klassenkampf umgingen, dann nur deshalb, weil sie die historischen Gründe für die Existenz von Klassen nicht verstanden. Hierin drückte sich eine Unreife im Verständnis der Realität aus, einer Realität, die bereits den Klassenkampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie beinhaltete. Obwohl sie das unvermeidliche Hinterherhinken des Bewusstseins gegenüber dem Sein ausdrücken, sind sie das Produkt der ersten theoretischen Gehversuche der Klasse, der Bemühungen der Klasse, zum Bewusstsein zu gelangen. Deshalb werden sie mit vollem Recht als die Vorläufer der sozialistischen Bewegung betrachtet, als bedeutender Beitrag zu der Bewegung, die später mit dem Marxismus eine wissenschaftliche und historische Grundlage erlangte.
Mit den humanistischen, pazifistischen oder ähnlichen Bewegungen, die seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts aufgeblüht sind und die damit prahlen, den Klassenkampf nicht zur Kenntnis zu nehmen, verhält es sich ganz anders. Sie leisten überhaupt keinen Beitrag zur Befreiung der Menschheit. Sie sind schlicht der Ausdruck der kleinbürgerlichen Klassen und Schichten, die historisch anachronistisch und machtlos sind und in der modernen Gesellschaft, im Kampf zwischen dem Kapital und dem Proletariat zermalmt werden. Ihre Klassen übergreifende, gegen den Klassenkampf gerichtete Ideologie ist das Lamentieren einer todgeweihten Klasse, die weder im Kapitalismus noch in der Gesellschaft, die das Proletariat etablieren wird, eine Zukunft hat. Sie sind erbärmlich und lächerlich, ihre Ideen und ihre politischen Verhaltensweisen, ihr Wehklagen, ihre Gebete und absurden Illusionen können allenfalls den Weg und den Willen des Proletariats behindern. Aus dem gleichen Grunde sind sie im hohen Maße vom Kapitalismus, der alles, was er zu fassen kriegt, als eine Waffe der Mystifikation nutzt, verwendbar und werden auch von ihm verwendet.
Die Existenz der Klassen, des Klassenkampfes beinhaltet zwangsläufig Klassengewalt. Nur jämmerliche Waschlappen und ausgemachte Schwindler (wie die Sozialdemokraten) können dies leugnen. Im Allgemeinen ist die Gewalt ein Kennzeichen des Lebens; man findet sie in der gesamten Entwicklung des Lebens vor. Jede Handlung beinhaltet ein gewisses Maß an Gewalt, da sie das Erzeugnis einer dauernden Störung des Gleichgewichts ist, die aus dem Aufeinandertreffen entgegengesetzter Kräfte resultiert. Die Gewalt ist in den ersten Menschengruppen präsent; sie drückt sich nicht notwendigerweise in der Form offener, physischer Gewalt aus. Gewalt bedeutet alles, was eine Auferzwingung, einen Zwang, die Durchsetzung eines entsprechenden Kräfteverhältnisses, eine Drohung beinhaltet. Gewalt bedeutet die Zuhilfenahme von physischer oder psychischer Aggression, aber sie existiert auch, wenn eine bestimmte Situation oder Entscheidung durch die bloße Tatsache erzwungen wird, dass die Mittel zu einer solchen Aggression zur Verfügung stehen, selbst wenn diese Mittel faktisch nicht benutzt werden. Doch während Gewalt in der einen oder anderen Form existiert, sobald sich etwas regt oder lebt, macht die Spaltung der Gesellschaft in Klassen die Gewalt zu einer der Hauptgrundlagen von gesellschaftlichen Verhältnissen, die im Kapitalismus infernalische Ausmaße annehmen.
Jedes System der Ausbeutung von Klassen gründet seine Macht auf Gewalt, auf eine ständig wachsende Gewalt, die dazu tendiert, zum Hauptpfeiler zur Aufrechterhaltung des gesamten sozialen Gebildes zu werden. Ohne sie würde die Gesellschaft sofort zusammenbrechen. Als ein zwangsläufiges Produkt der Ausbeutung einer Klasse durch eine andere wird die Gewalt, die in ihrer ausgereiften Form im Staat organisiert, konzentriert und institutionalisiert ist, dialektisch zu einer grundsätzlichen Vorbedingung für die Existenz einer ausbeuterischen Gesellschaft. Dieser immer blutigeren und mörderischeren Gewalt der ausbeutenden Klassen können die ausgebeuteten und unterdrückten Klassen nur mit ihrer eigenen Gewalt begegnen, wenn sie sich befreien wollen. An die „menschlichen“ Gefühle der ausbeutenden Klassen zu appellieren, wie es die Religiösen à la Tolstoi und Gandhi oder die Sozialisten, jene Wölfe im Schafspelz, getan haben, hieße, an Wunder zu glauben; es hieße, die Wölfe zu bitten, nicht mehr Wölfe zu sein um sich in Lämmer zu verwandeln. Es hieße, die Kapitalistenklasse zu bitten, nicht mehr Kapitalistenklasse zu sein, um sich in die Arbeiterklasse zu verwandeln.
Die Gewalt der ausbeutenden Klassen ist dem Wesen dieser Klasse immanent; ihr kann nur durch die revolutionäre Gewalt der unterdrückten Klassen ein Ende gesetzt werden. Dies zu verstehen, es vorherzusehen, sich darauf vorzubereiten, sie zu organisieren ist nicht nur eine entscheidende Vorbedingung für den Sieg der unterdrückten Klassen, sondern es garantiert auch den Sieg mit dem geringsten Leid. Jeder, der die geringsten Zweifel und Bedenken daran hat, ist kein Revolutionär.
DIE GEWALT DER AUSBEUTENDEN UND HERRSCHENDEN KLASSEN: TERROR
Wir haben gesehen, dass Ausbeutung ohne Gewalt undenkbar ist, dass beide organisch, untrennbar miteinander verbunden sind. Obgleich man sich Gewalt außerhalb von Ausbeutungsverhältnissen vorstellen kann, kann die Ausbeutung nur mit und durch Gewalt verwirklicht werden. Das eine verhält sich zum anderen wie die Lungen zur Atemluft - die Lungen können nicht ohne Sauerstoff funktionieren.
Wie der Kapitalismus beim Übergang zum Imperialismus erreicht auch die mit der Ausbeutung verbundene Gewalt eine neue und besondere Qualität. Sie ist nicht mehr eine zufällige oder zweitrangige Tatsache, sondern wird zu einem dauerhaften Zustand in allen Bereichen des Gesellschaftslebens. Sie durchtränkt alle Beziehungen, dringt in alle Poren der Gesellschaft sowohl auf allgemeiner Ebene als auch in sogenannten persönlichen Beziehungen ein. Ausgehend von der Ausbeutung und ihrem Bedürfnis nach Unterwerfung der produzierenden Klasse zwingt sich die Gewalt allen Beziehungen zwischen den Klassen und Schichten der Gesellschaft auf; den Beziehungen zwischen den industrialisierten und unterentwickelten Ländern, zwischen den industrialisierten Ländern selber, zwischen Mann und Frau, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Lehrern und Schülern, zwischen den Individuen, zwischen Regierenden und Regierten. Sie spezialisiert, strukturiert, organisiert und konzentriert sich in einem abgesonderten Organismus: im Staat mit seinen Armeen, seiner Polizei, seinen Gefängnissen, seinen Gesetzen, seinen Beamten und Folterknechten, und dieser Organismus neigt dazu, sich über die Gesellschaft zu erheben und sie zu dominieren.
Um die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sicherzustellen, wird die Gewalt zur ersten Handlung der Gesellschaft, die ihr einen ständig steigenden Teil ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Mittel widmet. Die Gewalt erlangt den Status eines Kultes, einer Kunst, einer Wissenschaft. Eine Wissenschaft, die nicht nur auf die militärische „Kunst“ angewendet wird, auf die Waffentechnik, sondern auf alle Bereiche und Ebenen, auf die Organisierung von Konzentrationslagern, auf die Einrichtung von Gaskammern, die „Kunst“ der schnellen und massiven Auslöschung ganzer Bevölkerungen, die Schaffung von wahren Universitäten der wissenschaftlichen und psychologischen Folter, in denen eine Unzahl von Folterern Diplome erwerben und ihre Fertigkeiten verfeinern kann. Eine Gesellschaft, die nicht nur, wie Marx feststellte, „Kot und Blut aus allen Poren schwitzt“, sondern die außerhalb einer vergifteten Atmosphäre von Kadavern, Tod, Zerstörung, Massakern, Leid und Folter weder leben noch atmen kann. In solch einer Gesellschaft potenziert sich die Gewalt unendlich und ändert ihre Qualität - Gewalt wird zu Terror.
Von der Gewalt im allgemeinen zu sprechen, ohne sich auf die konkreten Bedingungen zu beziehen, auf die historischen Epochen, auf die Klassen, die sie ausüben, heißt, nichts vom wahren Gehalt der Gewalt zu verstehen, der aus ihr eine unterschiedliche und spezifische Qualität in ausbeuterischen Gesellschaften macht. Auch versteht man nicht den Grund dieser grundlegenden Umwandlung der Gewalt zu Terror, wenn man sie auf eine Frage der simplen Quantität reduziert. Wenn man diesen qualitativen Unterschied zwischen Gewalt und Terror nicht begreift, begeht man den gleichen Fehler wie jener, der, wenn er von der Ware spricht, zwischen der Antike und dem Kapitalismus nur einen quantitativen Unterschied sieht und nicht den grundlegend qualitativen Unterschied zwischen den beiden Produktionsformen.
In dem Maße wie die in antagonistische Klassen gespaltene Gesellschaft sich weiterentwickelt, wird die Gewalt in den Händen der ausbeutenden und herrschenden Klasse einen neuen Charakter annehmen: den Terror. Der Terror ist keine Eigenschaft und auch kein Mittel von revolutionären Klassen zur Durchführung ihrer Revolution. Es ist eine sehr oberflächliche und rein formale Vorstellung, den Terror als die revolutionäre Tat par excellence zu glorifizieren. Auf diese Weise gelangt man zur folgenden Maxime: „Je stärker der Terror, desto tiefgreifender und radikaler ist die Revolution.“ Dies wird jedoch durch die Geschichte vollständig widerlegt. Die Bourgeoisie hat den Terror ihre ganze Existenz hindurch, und nicht nur in Zeiten ihrer Revolution (1848 und die Pariser Commune 1871), benutzt und perfektioniert. Der Terror erreichte aber genau dann seinen Höhepunkt, als der Kapitalismus in die Dekadenz eintrat. Der Terror ist nicht der Ausdruck des revolutionären Wesens und Handelns der Bourgeoisie zur Zeit ihrer Revolution, selbst wenn er in der bürgerlichen Revolution gelegentlich spektakuläre Formen annahm. Er ist vielmehr ein Ausdruck ihres Wesens als Ausbeuterklasse, die wie jede ausbeutende Klasse ihre Herrschaft nur auf Terror stützen kann. Die Revolutionen, die den Übergang von einer ausbeuterischen Gesellschaft zur nächsten sicherstellten, waren keineswegs die Vorläufer des Terrors, sondern übertrugen lediglich den Terror von einer ausbeuterischen Klasse auf die nächste. Die Bourgeoisie perfektionierte und verstärkte ihren Terror nicht, um die alte herrschende Klasse loszuwerden, sondern vielmehr, um ihre Herrschaft über die Gesellschaft im allgemeinen und gegen die Arbeiterklasse im besonderen zu behaupten. Der Terror in der bürgerlichen Revolution war daher kein Endpunkt, sondern eine Fortsetzung, weil die neue Gesellschaft eine Fortsetzung der Gesellschaften der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ist. Die Gewalt in den bürgerlichen Revolutionen ist nicht das Ende der Unterdrückung, sondern ihre Fortsetzung. Deshalb konnte sie nur die Form des Terrors annehmen.
Zusammenfassend können wir den Terror als eine Gewalt definieren, die spezifisch ist für die ausbeutenden Klassen. Er wird nur verschwinden, wenn sie verschwinden. Seine besonderen Kennzeichen sind:
1. organisch an die Ausbeutung gebunden zu sein und zu ihrer Durchsetzung gebraucht zu werden;
2. die Tat einer privilegierten Klasse zu sein;
3. die Tat einer Klasse zu sein, die gesellschaftlich in der Minderheit ist;
4. die Tat eines spezialisierten Organismus zu sein, der streng ausgewählt wurde, in sich selbst abgeschlossen ist und dazu neigt, sich jeder Kontrolle der Gesellschaft zu entziehen;
5. sich endlos zu reproduzieren und zu perfektionieren, sich auf alle Bereiche, auf alle gesellschaftlichen Beziehungen auszudehnen;
6. keine andere Daseinsberechtigung zu haben als die Unterwerfung und Niederschlagung der menschlichen Gemeinschaft;
7. feindliche Gefühle und Gewalt zwischen gesellschaftlichen Gruppen zu entwickeln: Chauvinismus, Nationalismus, Rassismus und andere Monstrositäten;
8. egoistische Gefühle und Verhaltensweisen zu entwickeln, sadistische Aggressivität, Rachegefühle, einen endlosen Kleinkrieg aller gegen alle zu entfachen, was die ganze Gesellschaft in einen Zustand des Terrors stürzt.
DER TERRORISMUS DER KLEINBÜRGERLICHEN KLASSEN UND SCHICHTEN
Die kleinbürgerlichen Klassen (Bauern, Handwerker, kleine Geschäftsleute, freiberuflich Tätige, Intellektuelle) bilden keine grundlegende Klasse in der Gesellschaft. Sie weisen weder eine spezifische Produktionsweise auf, noch bieten sie ein Gesellschaftsprojekt an. In marxistischen Begriffen betrachtet, sind sie keine historische Klasse. Sie sind die am wenigsten homogene Gesellschaftsklasse. Selbst wenn ihre oberen Ränge ihre Einkommen aus der Ausbeutung fremder Arbeitskraft beziehen und somit zu den Privilegierten gehören, sind sie in ihrer Gesamtheit der Herrschaft der Kapitalistenklasse unterworfen, die ihnen ihre Gesetze aufzwingt und sie unterdrückt. Sie haben keine Zukunft als Klasse. In ihren oberen Rängen besteht das Größte, wonach sie streben können, darin, individuell in die Kapitalistenklasse aufzusteigen. Die unteren Schichten sind unerbittlich dazu verurteilt, jegliches „unabhängige“ Eigentum an Produktionsmittel zu verlieren und sich zu proletarisieren. Die übergroße Mehrheit ist zum Dahinvegetieren verurteilt und wird ökonomisch sowie politisch von der Herrschaft der Kapitalistenklasse aufgerieben. Ihr politisches Verhalten wird durch das Kräfteverhältnis zwischen den beiden grundlegenden Klassen, den Kapitalisten und dem Proletariat, bestimmt. Ihr aussichtsloser Widerstand gegen die erbarmungslosen Gesetze des Kapitals führt sie zu einer fatalistischen und passiven Verhaltens- und Denkweise. Ihre Ideologie ist das individualistische „Rette-sich-wer-kann“; kollektiv gibt sie sich auf der Suche nach einem jämmerlichen Trost in unfähigen und lächerlichen humanistischen und pazifistischen Predigten allen Arten von pathetischen Wehklagen hin.
Materiell niedergeschlagen, ohne irgendeine Zukunft und sich im Kleingeist suhlend, sind sie in ihrer Verzweiflung ein leichtes Opfer für all die Mystifikationen, angefangen von den pazifistischen (religiöse Sekten, Naturalisten, Gewaltlose, Atombombengegner, Hippies, Umweltschützer, Kernkraftwerkgegner) bis zu den blutrünstigsten Elementen (Schwarzhundertschaften, Pogromisten, Rassisten, Ku-Klux-Klan, faschistische Banden, Gangster und Söldner aller Art). Es sind vornehmlich Letztere, die Blutrünstigen, bei denen sie einen Ausgleich einer illusorischen Würde für ihren persönlichen Niedergang suchen, der sich mit der Entwicklung des Kapitalismus von Tag zu Tag immer mehr verschärft. Es ist der Heldenmut der Feigen, die Courage der Angsthasen, der Ruhm der schäbigen Mittelmäßigkeit. Nachdem der Kapitalismus sie ins größte Elend gestürzt hat, findet er nun in diesen Schichten ein unerschöpfliches Reservoir für die Rekrutierung der Helden seines Terrors.
Auch wenn es im Verlauf der Geschichte zu Wut- und Gewaltausbrüchen seitens dieser Klassen gekommen war, waren diese Explosionen sporadisch geblieben und nie über Bauernaufstände und Revolten hinausgegangen, weil sie keine Perspektive besaßen, außer zermalmt zu werden. Im Kapitalismus verlieren diese Klassen vollständig ihre Unabhängigkeit; sie dienen nur als Kanonenfutter für die Zusammenstöße zwischen den verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse sowohl innerhalb als auch außerhalb der nationalen Grenzen. In Zeiten der revolutionären Krise und unter bestimmten günstigen Umständen kann die gewaltige Unzufriedenheit eines Teils dieser Klassen als eine Kraft wirken, die den Kampf des Proletariats unterstützt.
Der unvermeidliche Prozess der Verarmung und Proletarisierung der unteren Schichten dieser Klassen ist ein extrem schwieriger und schmerzvoller Weg und bewirkt eine besonders verschärfte Form der Revolte. Die Kampfbereitschaft dieser Elemente, besonders jener, die von den Handwerkern und den deklassierten Intellektuellenkreisen stammen, beruht eher auf ihren verzweifelten Lebensbedingungen als auf dem Kampf des Proletariats, dem sie sich nur schwer anschließen können. Was diese Kreise vorwiegend auszeichnet, ist ihr Individualismus, ihre Ungeduld, ihr Skeptizismus und ihre Demoralisierung. Ihre Taten zielen eher auf spektakulären Selbstmord ab als auf ein besonderes Ziel. Nachdem sie ihre einstige Stellung in der Gesellschaft verloren und nun keine Zukunft mehr vor sich haben, leben sie in einer Gegenwart des Elends und der erbitterten Revolte gegen dieses Elend, und dies in einer Unmittelbarkeit, die auch als solche empfunden wird. Selbst wenn sie durch Kontakt mit der Arbeiterklasse und deren historischen Aufgaben angeregt werden, so erlangen sie nur eine entstellte Vorstellung dieser Ideen, die selten über die Ebene der Fantasie und Träume hinausgeht. Ihr wahres Wirklichkeitsbild bleibt borniert und dem Zufall überlassen. Die politische Ausdrucksweise dieser Bewegung nimmt extrem unterschiedliche Formen an, die von der strikten Einzeltat bis zu den diversen geschlossenen Sekten, von den Verschwörungen, Komplotten, dem Putschismus, den „exemplarischen Aktionen“ bis zum Äußersten reichen, dem Terrorismus.
Was all diese Vielfalt gemeinsam hat, ist ihre Unkenntnis des objektiven und historischen Determinismus hinter der Bewegung des Klassenkampfes und des historischen Subjekts der modernen Gesellschaft, das allein die gesellschaftliche Umwälzung bewältigen kann, das Proletariat.
Die Erklärung für die fortgesetzten Manifestationen dieser Strömung liegt in dem unaufhörlichen Prozess der Proletarisierung dieser Schichten in der Geschichte des Kapitalismus. Ihre Vielfalt ist das Produkt ihrer lokalen und ungewissen Situation. Dieses gesellschaftliche Phänomen hat die historische Formierung der Arbeiterklasse „begleitet“ und hat sich in unterschiedlichem Maße mit der Arbeiterbewegung vermischt, in die dieses gesellschaftliche Phänomen Ideen und Verhaltensweisen einführt, die der Arbeiterklasse fremd sind. Dies trifft besonders auf den Terrorismus zu.
Wir müssen auf diesem Hauptpunkt bestehen und dürfen keinen Raum für Zweideutigkeiten lassen. Es stimmt, dass zu Beginn der Bildung der Arbeiterklasse das Proletariat in seinem Bestreben, sich zu organisieren, noch nicht die passende Form fand und konspiratorische Organisationsformen nutzte - die Geheimgesellschaften, die das Erbe der bürgerlichen Revolution waren. Aber das ändert überhaupt nichts an dem Klassencharakter dieser Organisationsformen und an der Unzulänglichkeit gegenüber dem neuen Inhalt, dem Klassenkampf des Proletariats. Das Proletariat wurde schnell davon überzeugt, sich von diesen Organisationsformen und Handlungsweisen zu lösen und sie endgültig zu verwerfen.
So wie die theoretische Ausgestaltung unvermeidlich ein utopisches Stadium durchlaufen musste, musste auch die Bildung politischer Klassenorganisationen unvermeidlich die Stufe der konspirativen Sekten durchmachen. Aber es ist wichtig, nicht die Konfusionen noch zu verstärken, aus der Not keine Tugend zu machen und die verschiedenen Phasen der Bewegung zu verwechseln. Wir müssen zwischen den verschiedenen Phasen der Bewegung und den Formen, die sie entstehen ließen, zu unterscheiden wissen.
So wie sich der utopische Sozialismus in einem bestimmten Augenblick in der Arbeiterbewegung von einem großen, positiven Beitrag in eine Fessel für ihre Weiterentwicklung verwandelt hatte, so sind auch die konspirativen Zirkel zu negativen Symbolen geworden, die für die Sterilisierung der Bewegung stehen.
Von nun an konnte die Strömung, die die auf dem Weg zur Proletarisierung befindlichen Schichten repräsentiert hatte, keinen Beitrag mehr zu der bereits entwickelten Klassenbewegung leisten. Diese Strömung befürwortete nicht nur die Sektenform der Organisation und konspirative Methoden, sondern wurde - bei einer immer größeren Diskrepanz zur realen Bewegung - dazu verleitet, diese Ideen und Methoden bis zum Äußersten zu treiben, wobei sie sie zu einer Karikatur machte, die in der Befürwortung des Terrorismus endete.
Der Terrorismus ist nicht schlicht ein Akt des Terrors. Es dabei zu belassen hieße, auf einer rein begrifflichen Ebene zu bleiben. Was wir zeigen wollen, ist die gesellschaftliche Bedeutung und die Unterschiede, die hinter diesen Begriffen stecken. Der Terror ist ein konstruiertes, permanentes, von den ausbeutenden Klassen ausgeübtes Herrschaftssystem. Der Terrorismus dagegen ist eine Reaktion jener unterdrückten Klassen, die keine Zukunft haben, gegen den Terror der herrschenden Klasse. Es handelt sich um vorübergehende Reaktionen ohne Kontinuität, um Racheakte ohne Zukunft.
Wir finden eine anregende Schilderung dieser Art von Bewegung bei Panait Istrati und seinen Heiducken in Rumänien Ende des 19. Jahrhunderts. Das Gleiche finden wir im Terrorismus der russischen Narodniki und ebenfalls, selbst wenn sie als unterschiedlich erscheinen, bei den Anarchisten und der „Bonnot-Gang“. Sie haben alle das gleiche Wesen: die Rache der Machtlosen. Sie kündigen nie etwas Neues an, sondern sind der verzweifelte Ausdruck eines Endes, nämlich des eigenen Endes.
Als gewaltsames Aufbegehren der Machtlosen kann der Terrorismus nicht den Terror der herrschenden Klasse überwinden. Er ist eine Mücke, die den Elefanten sticht. Dagegen ist der Terrorismus oft vom Staat zur Rechtfertigung und Verstärkung des eigenen Terrors benutzt worden.
Wir müssen unbedingt den Mythos verurteilen, dass der Terrorismus als Zündfunken des proletarischen Kampfes dienen kann. Es wäre zumindest einzigartig, dass eine Klasse mit historischer Zukunft auf eine zukunftslose Klasse als Zündfunken ihres eigenen Kampfes bauen muss.
Es ist vollkommen absurd, vorzugeben, dass dem Terrorismus der radikalisierten Schichten der Kleinbourgeoisie das Verdienst zukommt, die Auswirkungen der demokratischen Mystifikationen in der Arbeiterklasse zu zerstören, die bürgerliche Legalität zu zerstören, der Arbeiterklasse die Unvermeidbarkeit der Gewalt zu lehren. Für das Proletariat gibt es keine Lehren aus dem radikalen Terrorismus zu ziehen, außer die, sich von ihm zu distanzieren und ihn abzulehnen, denn die im Terrorismus enthaltene Gewalt befindet sich grundsätzlich auf bürgerlichem Boden. Zu einem Verständnis der Notwendigkeit und Unabdingbarkeit der Gewalt gelangt das Proletariat durch seine eigene Existenz, durch seinen eigenen Kampf, durch seine eigenen Erfahrungen, durch seine Konfrontationen mit der herrschenden Klasse. Dies ist Klassengewalt, die sich im Wesen und Inhalt, in der Form und den Methoden sowohl vom kleinbürgerlichen Terrorismus als auch vom Terror der herrschenden Klasse unterscheidet.
Es ist ganz gewiss, dass die Arbeiterklasse im allgemeinen eine Haltung der Solidarität und der Sympathie einnimmt, nicht gegenüber dem Terrorismus, den sie als Ideologie, als Organisationsform und als Methode verurteilt, sondern gegenüber den Elementen, die in den Terrorismus hineingezogen werden. Dies aus nachvollziehbaren Gründen:
1. weil diese Elemente gegen die bestehende Ordnung des Terrors revoltieren, die das Proletariat vom Scheitel bis zur Sohle zu zerstören beabsichtigt;
2. weil diese Elemente, wie die Arbeiterklasse, Opfer der entsetzlichen Ausbeutung und Unterdrückung durch die Todfeinde des Proletariats sind - die Kapitalistenklasse und ihr Staat. Der einzige Weg für das Proletariat, seine Solidarität mit diesen Opfern zu zeigen, besteht darin, zu versuchen, sie vor den Händen der Henker, vor dem herrschenden Staatsterror zu schützen, und sich zu bemühen, sie vor der tödlichen Sackgasse - dem Terrorismus – zu bewahren.
DIE KLASSENGEWALT DES PROLETARIATS
Wir müssen hier nicht auf die Notwendigkeit der Gewalt im Klassenkampf des Proletariats hinweisen. Wir würden damit offene Türen einrennen, denn seit fast zwei Jahrhunderten, seit Babeufs „Gesellschaft der Gleichen“, verfügen wir über die theoretische Erklärung und über die praktische Erfahrung ihrer Notwendigkeit und Unvermeidbarkeit. Es ist ebenso Zeitverschwendung, dies bis zum Geht-nicht-mehr zu wiederholen, als sei es eine neue Erkenntnis, dass alle Klassen Gewalt anwenden müssen, das Proletariat eingeschlossen. Wenn man sich mit diesem mittlerweile zu Banalitäten gewordenen Allgemeinplätzen zufrieden gibt, kommt man schließlich dazu, eine Art Gleichung ohne jeglichen Inhalt aufzustellen: „Gewalt gleich Gewalt“. Damit wird absurderweise die Gewalt des Kapitals schlicht mit der Gewalt des Proletariats gleichgesetzt und der wesentliche Unterschied vertuscht: Die eine ist unterdrückerisch, die andere ist befreiend.
Endlos die Tautologie „Gewalt gleich Gewalt“ zu wiederholen, weiterhin zu demonstrieren, dass alle Klassen Gewalt benutzen, und zu zeigen, dass diese Gewalt im Kern dieselbe ist – all dies ist so intelligent und genial, wie die Handlung des Chirurgen, der einen Kaiserschnitt vornimmt, um einem Neugeborenen das Leben zu schenken, mit der Handlung des Mörders gleichzusetzen, der seinem Opfer den Bauch aufschlitzt, um es umzubringen, einfach weil beide ein ähnliches Instrument – ein Messer – benutzen und weil beide scheinbar eine ähnliche Technik ausüben, um den Unterleib zu öffnen.
Worauf es am meisten ankommt, ist nicht, damit fortzufahren, „Gewalt, Gewalt“ zu brüllen, sondern die grundlegenden Unterschiede deutlich herauszustellen, so deutlich wie möglich aufzuzeigen, warum und worin sich die Gewalt des Proletariats vom Terror und Terrorismus anderer Klassen unterscheidet.
Wir machen nicht aus begrifflichen Gründen, aus Zimperlichkeit, aus schüchterner Jungfräulichkeit oder aus Abneigung gegen das Wort Terror einen Unterschied zwischen Terror und Klassengewalt. Wir tun dies, um den unterschiedlichen Klassencharakter, den unterschiedlichen Inhalt und die unterschiedliche Form besser hervorzuheben, die hinter diesem Wort stecken. Das Vokabular hinkt stets den Tatsachen hinterher, und oft ist der Mangel an Genauigkeit der Begriffe ein Zeichen von unzureichend entwickelten Gedanken, der zu weiteren Zweideutigkeiten führen kann. Zum Beispiel entsprach das Wort „Sozialdemokratie“ keineswegs dem revolutionären Wesen - den kommunistischen Zielen - der politischen Organisation des Proletariats. Das Gleiche trifft auf das Wort „Terror“ zu. Manchmal findet man das Wort in der sozialistischen Literatur, selbst bei den Klassikern, wo es den Wörtern „revolutionär“ oder „Proletariat“ beigefügt ist. Wir müssen uns vor dem Missbrauch hüten, der begangen wird, wenn wörtliche Zitate verwendet werden, ohne sie in ihren Zusammenhang zu setzen oder zu beachten, unter welchen Umständen oder gegen wen sie geschrieben wurden. Dies kann darin enden, die wahren Gedanken ihrer Autoren zu verfälschen. Wir müssen unterstreichen, dass in den meisten Fällen die Autoren vorsichtig vorgingen und beim Gebrauch des Wortes Terror immer darauf bedacht waren, die grundlegenden Unterschiede zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie, zwischen der Pariser Kommune und Versailles, zwischen der Revolution und der Konterrevolution im Bürgerkrieg in Russland herauszustellen. Wenn wir es als notwendig erachten, diese beiden Begriffe zu unterscheiden, dann deshalb, weil wir die Zweideutigkeit beseitigen wollen, die durch die Gleichsetzung beider Begriffe entsteht; eine Zweideutigkeit, die lediglich Unterschiede in der Quantität und Intensität sieht, aber keinen Klassenunterschied. Und selbst wenn es sich um eine Frage der quantitativen Veränderung handelt, würde dies für die Marxisten - die sich auf die dialektische Methode berufen - eine qualitative Veränderung nach sich ziehen.
Wenn wir den Terror zugunsten der Klassengewalt des Proletariats ablehnen, so wollen wir nicht nur unsere Klassenfeindschaft gegenüber der wahren Bedeutung der Ausbeutung und Unterdrückung, die im Terror steckt, zum Ausdruck bringen, sondern ebenso die haarspalterischen und heuchlerischen Feinheiten darüber beseitigen, wie „der Zweck die Mittel heiligt“.
Jene bedingungslosen Verteidiger des Terrors, jene Calvinisten der Revolution - wie die Bordigisten – haben nur Verachtung übrig für die Frage der Organisationsformen, der Mittel. Für sie existiert nur das „Ziel“, für das alle Formen und alle Mittel unterschiedslos verwendet werden können. „Die Revolution ist eine Frage des Inhaltes und nicht der Organisationsform", wiederholen sie unermüdlich. Mit Ausnahme des Terrors natürlich. Was diesen Punkt angeht, sind sie kategorisch: „Keine Revolution ohne Terror. Man ist kein Revolutionär, wenn man keine Kinder töten würde.“ Hier wird der Terror, der als Mittel betrachtet wird, zu einer absoluten Vorbedingung, zu einem kategorischen Imperativ der Revolution und zu ihrem Inhalt. Warum diese Ausnahme? Man könnte die Frage auch anders herum stellen: Wenn die Fragen von Mittel und Formen von keinerlei Bedeutung für die proletarische Revolution sind, wieso kann die Revolution dann nicht durch die monarchistische oder parlamentarische Form verwirklicht werden kann?
In Wahrheit ist es vollkommen absurd, den Inhalt und die Form, den Zweck und die Mittel voneinander zu trennen. In Wirklichkeit sind Inhalt und Form dem Wesen nach miteinander verbunden. Ein Ziel kann nicht mit irgendwelchen Mitteln erreicht werden. Es erfordert spezifische Mittel. Ein vorgegebenes Mittel ist nur auf ein entsprechendes Ziel anwendbar. Jede andere Vorgehensweise führt zu spitzfindigen Spekulationen.
Wenn wir den Terror als Existenzform der Gewalt des Proletariats zurückweisen, geschieht dies nicht aus irgendeinem moralischen Grund, sondern weil der Terror als Inhalt und Methode aufgrund seines Wesens dem Ziel entgegengesetzt ist, das das Proletariat verfolgt. Glauben diese Calvinisten der Revolution wirklich, wollen sie uns wirklich davon überzeugen, dass für das Erreichen unseres Zieles, den Kommunismus, das Proletariat Konzentrationslager, die systematische Ausrottung ganzer Völker, die Einrichtung eines riesigen Netzes von Gaskammern, die wissenschaftlich noch perfekter wären als die Gaskammern Hitler, nutzen kann? Ist der Völkermord Teil des Programms des „calvinistischen Weges" zum Sozialismus?
Es genügt, die von uns gemachte Aufzählung der Hauptcharakteristiken des Inhalts und der Methoden des Terrors aufzugreifen, um auf den ersten Blick die Kluft zu sehen, die das Proletariat vom Terror unterscheidet:
1. „organisch an die Ausbeutung gebunden zu sein, um zu ihrer Ausübung gebraucht zu werden“. Das Proletariat ist eine ausgebeutete Klasse und kämpft für die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.
2. „die Handlung einer privilegierten Klasse zu sein“. Das Proletariat hat keine Privilegien und kämpft für die Abschaffung aller Privilegien.
3. „die Handlung einer Klasse zu sein, die gesellschaftlich in der Minderheit ist“. Das Proletariat stellt die große Mehrheit der Gesellschaft dar. Manche mögen in diesem Kriterium unseren unverbesserlichen Hang zu den Prinzipien der Demokratie, zum Mehrheitsprinzip sehen, dabei sind es gerade sie selbst, die von diesem Problem besessen sind – und überdies sind für sie Minderheiten, die sich aus lauter Horror vor der Mehrheit behaupten, das Kriterium der revolutionären Wahrheit. Der Sozialismus ist nicht durchführbar, wenn er nicht auf der historischen Möglichkeit beruht und wenn er nicht den grundlegenden Interessen und dem Willen der überwältigenden Mehrheit der Gesellschaft entspricht. Dies ist eines der Schlüsselargumente Lenins in „Staat und Revolution“ und auch von Marx, als er sagte, dass das Proletariat sich nicht befreien kann, wenn es nicht gleichzeitig die gesamte Menschheit befreit.
4. „die Handlung eines spezialisierten Organismus zu sein“. Das Proletariat hat auf seine Fahnen die Zerstörung der permanenten Armee und der Polizei sowie die allgemeine Bewaffnung des Volkes und vor allem des Proletariats geschrieben. „… und dazu neigt, sich jeder Kontrolle der Gesellschaft zu entziehen“. Das Proletariat lehnt jegliche Spezialisierung ab, und weil es unmöglich ist, dies unmittelbar durchzuführen, wird die Arbeiterklasse darauf bestehen, dass Spezialisten der vollständigen Kontrolle durch die Gesellschaft unterworfen werden.
5. „Sich endlos zu reproduzieren und zu perfektionieren“. Das Proletariat wird all dem ein Ende setzen und fängt damit an, sobald es die Macht übernommen hat.
6. „Keine andere Daseinsberechtigung zu haben als die Unterwerfung und Niederschlagung der menschlichen Gemeinschaft“. Das Ziel des Proletariats ist dem diametral entgegengesetzt. Seine Daseinsberechtigung ist die Befreiung und die freie Entfaltung der menschlichen Gesellschaft.
7. „Feindliche Gefühle und Gewalt zwischen gesellschaftlichen Gruppen zu entwickeln: Nationalismus, Chauvinismus, Rassismus und andere Monstrositäten“. Das Proletariat schafft all diese historischen Anachronismen ab, die zu Ungeheuerlichkeiten und Fesseln der harmonischen Vereinigung der ganzen Menschheit geworden sind, die möglich und notwendig ist.
8. „Egoistische Gefühle und Verhaltensweisen zu entwickeln, sadistische Aggressivität, Rachegefühle, einen endlosen Kleinkrieg aller gegen alle zu entfachen usw...“ Im Gegensatz dazu entwickelt das Proletariat ganz neue Gefühle - der Solidarität, des gemeinschaftlichen Lebens, der Brüderlichkeit - „alle für einen und einer für alle“ - die freie Assoziierung der Produzenten, eine vergesellschaftete Produktion und Konsumtion. Und während der Terror „die ganze Gesellschaft in einen Zustand des Terrors ohne Ende“ stürzt, ruft das Proletariat zur Initiative und zur Kreativität eines Jeden auf, so dass alle im Zustand des allgemeinen Enthusiasmus ihr Leben und ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen können.
Die Klassengewalt des Proletariats kann kein Terror sein, da ihre Daseinsberechtigung gerade darin liegt, den Terror zu zerschlagen. Man betreibt ein Wortspiel, wenn man Gewalt und Terror als gleich betrachtet, so als sei das Verhalten des Mörders, der sein Messer zieht, und die Hand, die das Messer abwehrt und den Mord verhindert, das Gleiche. Das Proletariat kann nicht auf das Organisieren von Pogromen, auf Lynchjustiz, auf die Schaffung von Folterschulen, auf Vergewaltigungen, auf die Moskauer Prozesse als Mittel und Methoden für die Verwirklichung des Sozialismus zurückgreifen. Es überlässt diese Methoden dem Kapitalismus, weil sie Bestandteil des Kapitalismus sind, weil sie zu seinen Zielen passen und weil sie zur Gattung Terror gehören.
Weder Terror noch Terrorismus vor der Revolution, noch der Terror nach der Revolution können Waffen des Proletariats für die Befreiung der Menschheit sein. M.C. 1979
2. Internationale Konferenz
Ende 1978 fand eine internationale Konferenz von Gruppen statt, die sich auf die Kommunistische Linke berufen. Die Durchführung dieser Konferenz war von der 1. Mailänder Konferenz beschlossen worden, die von der Partito Comunista Internazionalista (Battaglia Comunista) organisiert worden war und an der die Internationale Kommunistische Strömung (IKS) teilgenommen hatte. Auf der Tagesordnung dieser Konferenz standen: 1) die gegenwärtige Krise und die Perspektiven; 2) die Frage der nationalen Befreiungskämpfe; 3) die Parteifrage. Zwei Broschüren, in denen die Korrespondenz zwischen den Gruppen, die Vorbereitungstexte für die Konferenz und das Protokoll der Debatten enthalten sind, werden demnächst veröffentlicht. Der wichtigste Schritt dieser Konferenz war die Erweiterung des Kreises der teilnehmenden Gruppen: So haben neben der IKP (BC) und der IKS die Communist Workers' Organisation (CWO) aus Großbritannien, der Nucleo Communista Internazionalista (NCI) aus Italien, die Marxist Study Group (För Kommunismen) aus Schweden teilgenommen. Zwei weitere Gruppen hatten ihre Zustimmung für die Teilnahme gegeben, konnten aber aus verschiedenen Gründen nicht an der Konferenz teilnehmen: Organisation Communiste Revolutionaire Internationaliste d'Algerie (Travailleurs Immigres en lutte) und Il Leninista aus Italien. Die letztgenannte Gruppe hatte der Konferenz Beiträge geschickt, die in der Broschüre über die Konferenz erscheinen werden. Der Ferment Ouvrier Revolutionaire (FOR) aus Frankreich und Spanien hat die Konferenz zu Beginn verlassen und somit nicht an den Debatten teilgenommen; andere eingeladene Gruppen haben sich geweigert, teilzunehmen.[1] [1]
Wir veröffentlichen hier einen Artikel, der sich dem vorausgehenden Artikel in der Internationalen Revue Nr. 16 (englisch, französisch, spanisch, 1. Trimester 1979) anschließt, welcher hauptsächlich den Gruppen gewidmet war, die ihre Teilnahme verweigert hatten. Der jetzige Artikel ist eine Antwort auf bestimmte Punkte, die in Artikeln der CWO (Revolutionary Perspectives Nr. 12) und der IKP-BC (Nr. 16, 1978) zur Konferenz angesprochen wurden, und stellt die IKS-Resolutionen vor, deren Verabschiedung von der Konferenz verweigert wurde, um die Hauptpunkte der Intervention der IKS auf der Konferenz in Erinnerung zurückzurufen.
In dem Artikel über die 2. Internationale Konferenz in der Internationalen Revue Nr. l6 (engl., franz., span. Ausgabe) haben wir erläutert, welchen Stellenwert wir der Diskussion zwischen den revolutionären Gruppen beimessen, und darüber hinaus die Argumente jener zurückgewiesen, die sich weigerten, an der Konferenz teilzunehmen. Wir haben insbesondere auf der Tatsache bestanden, dass diese Gruppen eine zutiefst sektiererische Haltung an den Tag legten. Für die IKS ist diese Haltung ein Hindernis auf dem Weg zu einer Klärung, die unerlässlich in der Arbeiterbewegung ist, da es ohne die Konfrontation von Positionen keine Möglichkeit zur Klärung gibt.
Wir kommen auf diese Frage zurück, um gewisse Positionen, die von Battaglia Comunista und der CWO über die Teilnahme an der Konferenz zum Ausdruck gebracht worden waren, zu berichtigen. In diesen Positionen wird die IKS vollmundig als „opportunistisch“ (1) bezeichnet, und es wird geleugnet, dass es ein Problem des Sektierertums gibt. Somit ist es notwendig, den Sachverhalt richtigzustellen. Wir werden dann kurz unsere Ansichten über den Inhalt der Diskussionen darreichen, um die Bedeutung zu unterstreichen, die wir der politischen Debatte beimessen, entgegen der Anschuldigung unserer Gegner, denen zufolge wir dies als zweitrangig abtun.
Schließlich werden wir erläutern, warum wir der Konferenz die Resolutionen über die Tagesordnungspunkte vorgeschlagen haben.
Woher kommt das Sektierertum?
Battaglia Comunista (BC) unterstellt uns „die opportunistische Absicht, wichtige prinzipielle Divergenzen zu verschleiern, um alle möglichen Gruppen zusammenzubringen; Gruppen, die eigentlich ziemlich weit voneinander entfernt sind.“ BC unterstellt uns, dass wir uns hinter unserer Kritik am „Kapellengeist“ verstecken, um politische Divergenzen zu übertünchen. Wiederholen wir es: Wir verschleiern keine politischen Divergenzen. Wir beharren auf die Notwendigkeit, gegen die Verweigerung einer Diskussion zu kämpfen, eben weil diese Weigerung eine Weigerung ist, über Divergenzen zu diskutieren. Aus Furcht vor einer Konfrontation politischer Positionen versteckt man sich hinter dem grandiosen Anspruch, im Besitz der Wahrheit zu sein. Wir behaupten nicht, die Wahrheit zu besitzen. Wir vertreten eine politische Plattform, die wir in unseren Interventionen und in Diskussionen mit den Gruppen und Elementen, die sich auf die kommunistische Revolution berufen, so oft wie möglich mit der Realität konfrontieren.
Es ist schon ein eigenartiger Purismus, wenn BC uns beschuldigt, Divergenzen aus opportunistischen Gründen zu verschleiern. Beginnend mit einer Analyse des „Eurokommunismus“, stellte BC drei Hypothesen für die Perspektiven der internationalen Lage vor; angesichts des Ernstes der Lage rief BC zu einer internationalen Konferenz auf und wartete mit drei „wirksamen Waffen vom Standpunkt der Theorie und politischen Praxis“ auf:
„a) den Zustand des Unvermögens und der Unterlegenheit zu verlassen, in den sie durch einen Provinzialismus, der von kulturellen Faktoren begünstigt wird, durch eine Selbstzufriedenheit, die das Prinzip der revolutionären Bescheidenheit leugnet, und vor allem durch die Abwertung des Militanz-Konzepts gerieten, das als eine Form des Opfers abgelehnt wird.
b) ein historisch gültiges programmatisches Fundament zu etablieren; für unsere Partei ist dies die theoretische und praktische Erfahrung, die durch die Oktoberrevolution verkörpert wird, und international eine kritische Annäherung an die Thesen des Zweiten Kongresses der Kommunistischen Internationalen.
c) zu erkennen, dass es unmöglich ist, zu Klassenpositionen oder zur Schaffung einer Weltpartei der Revolution oder zu einer revolutionären Strategie zu gelangen, ohne zunächst das Problem zu lösen, ein permanentes internationales Verbindungs- und Informationszentrum in Gang zu setzen, das die Vorwegnahme und die Synthese dessen sein wird, was später die Internationale sein wird, so wie Zimmerwald und vor allem Kienthal Prototypen der III. Internationalen gewesen waren.“ (Texte und Protokolle der Internationalen Konferenz von Mailand, Mai 1977)
Die drei Punkte, die BC für den Rahmen der Konferenz vorstellte, waren also: 1. der Ausbruch aus der Isolation; 2. politische Kriterien; 3. organisatorische Implikationen. Die IKS antwortete positiv auf diesen Aufruf zu einer Konferenz, aber verlangte präzisere politische Kriterien und war der Ansicht, dass es noch zu früh sei für ein Internationales Verbindungs- und Informationszentrum:
„Natürlich denken wir, dass solch eine Konferenz nur stattfinden kann, wenn die teilnehmenden Gruppen ein Minimalkonsens gefunden haben, und dass sie sich den fundamentalsten Fragen in der proletarischen Bewegung heute zuwenden muss, um jegliche Missverständnisse zu vermeiden und einen soliden Rahmen für die Debatten zu schaffen…
Wir denken nicht, dass es auf dieser Ebene notwendig ist, auf euren zweiten Vorschlag, ein internationales Verbindungsbüro zu schaffen, zu antworten, da dieses erst das Resultat der internationalen Konferenz sein kann.“ (ebenda)
Damals sagte BC, dass es notwendig ist, über den „Provinzialismus“ hinauszugehen; wir waren und sind nach wie vor damit einverstanden.
Daher kehren wir zu diesem Punkt zurück und antworten auf den Opportunismus-Vorwurf von BC und auf die Kritik von CWO, die ganz ähnlich klingt. Sie begreifen nicht die Entschlossenheit der IKS, die Weigerung zu verurteilen, sich an politischen Konfrontationen zu beteiligen – ganz abgesehen von den politischen Divergenzen, die als „hehre“ Entschuldigung für dieses Verhalten benutzt werden. Dieses Unverständnis zeigt das Fortbestehen eines Reflexes der Isolierung und Selbstverteidigung. Dieser Reflex ist eine Erbschaft aus der Periode der Konterrevolution, als es überlebenswichtig war, fest zu den Klassenpositionen zu stehen, auch wenn dies bedeutete, allein auf weiter Flur zu sein. Doch dieser Reflex kann zu einem Hindernis werden, wenn der Klassenkampf im Aufstieg begriffen ist, wenn es möglich ist, sich in viel breiteren Debatten zu engagieren, ohne sich von der eigenen politischen Plattform, vom eigenen Programm loszusagen.
Dies ist der elementarste Punkt in der Haltung der IKS gegenüber Gruppen, die sich der Diskussion verweigern. Es geht nicht darum, die politischen Divergenzen beiseite zu kehren, um alle möglichen Gruppen auf jede noch so erdenkliche Weise zusammenzubringen. Es geht vielmehr darum, die gegenwärtige Periode des aufsteigenden Klassenkampfes und des wachsenden revolutionären Potentials zu analysieren und zu begreifen, dass dies eine günstige Lage für die Gegenüberstellung der politischen Divergenzen ist. Es geht darum, in die Richtung zu drängen, die der Klassenkampf einschlägt – zur Verallgemeinerung der Kämpfe und zu den Debatten, die aus diesen Kämpfen herauskommen. Die Haltung der IKS hinsichtlich der Frage der Teilnahme beruht auf einer präzisen politischen Position, die wir nicht verheimlichen: das Ende der Konterrevolution, die Perspektive generalisierter Klassenkonfrontationen. Dieser Wechsel in der Periode zwingt die Revolutionäre, die Diskussion anders aufzufassen: Es kommt nicht mehr darauf an, sich vor der Verseuchung, vor der Degeneration anderer Organisationen zu schützen oder der Demoralisierung des Proletariats zu widerstehen. Jetzt, wo das Proletariat eine Bresche in die bürgerliche Herrschaft geschlagen hat, müssen wir danach streben, kommunistische Positionen zu erarbeiten, die so klar und kohärent wie möglich sind.
Daher müssen wir zunächst in der Lage sein, zwischen Missverständnissen und wirklichen politischen Divergenzen zu unterscheiden. Missverständnisse darüber, was jede Gruppe meint, sind unvermeidbar; sie sind der Tribut, den die Revolutionäre den 50 Jahren der Konterrevolution zollen müssen. In dieser Zeit wurden die revolutionären Organisationen aus ihren Angeln gehoben; genauso wie das Proletariat in seiner Gesamtheit zogen sie sich zurück. Darin liegt der wirkliche Triumph der Bourgeoisie. Die Revolutionäre wurden zu einer winzigen Minderheit und waren voneinander isoliert. Dies rief Gewohnheiten hervor, die während des Wiederaufschwungs der Kämpfe zur Last wurden. Genauso wie das Proletariat, dieser aus seinem Schlaf erwachte Riese, müssen die Revolutionäre erst noch den Staub von fünfzig Jahren der Isolation und Zersplitterung abschütteln. Entweder bestehen die alten Gewohnheiten nach dem Wechsel der Epoche fort, oder die Unerfahrenheit und die mangelnde Kenntnis der Geschichte der Arbeiterbewegung, an denen die im Wiederaufschwung des Klassenkampfes neu entstandenen Gruppen leiden, führen diese Gruppen nach dem ersten vorübergehenden Abebben des Kampfes zu einem raschen Verfall, zum Aktionismus oder zur Fragmentierung in Minifraktionen. Dann wird aus Arroganz und Ignoranz ein Glaubensbekenntnis gemacht, und die Geschichte wird nach den eigenen Vorstellungen umgeschrieben. Die Isolation, die Zersplitterung, die Unerfahrenheit der Revolutionäre sind wirkliche Probleme, die keine Organisation außer Acht lassen kann. Nicht zu erkennen, dass es ein Problem des Sektierertums gibt, heißt die Zersplitterung zu theoretisieren, dieses Problem zu leugnen.
BC und die CWO sehen kein Problem des Sektierertums und des „Kapellengeistes“. Es sei ein Problem, das von der IKS aus Opportunismus gegenüber BC erfunden worden sei. Es war jedoch gar nicht lange her, dass BC sich dieses Problems durchaus bewusst zu sein schien. Heute behauptet BC, dass das Verhalten von Gruppen wie Programma Communista, Pour une Intervention Communiste (PIC) und des FOR schlicht und einfach eine Frage von politischen Divergenzen sei. Doch es gibt auch politische Divergenzen zwischen den Gruppen, die an der Konferenz teilnahmen, Divergenzen, die in mancher Hinsicht noch tiefer gehen als bei den Gruppen, die sich weigerten, teilzunehmen. Es gibt keine direkte und unmittelbare Verknüpfung, die uns erlaubt, jedes Verhalten allein durch politische Divergenzen zu erklären. Es wäre zu einfach und hieße, eine der gewaltsamsten Auswirkungen der Konterrevolution zu vergessen: die Atomisierung des Proletariats, die Fragmentierung der Revolutionäre, die gezwungen waren, ihre politischen Positionen im Vakuum, ohne ständigen Ideenwettstreit zu entwickeln.
In der Zeit des Rückflusses des Klassenkampfes während der 30er und 50er Jahre konnte die wirkliche politische Klärung nur stattfinden, wenn man bereit war, isoliert zu sein, gegen den Strom zu schwimmen. In einer Periode des Wiedererstarkens des Klassenkampfes indes kann die Klärung nur durch die aktive Teilnahme an all den Debatten stattfinden, die durch und im Kampf entstehen. Heute muss die Haltung der Revolutionäre gegenüber der politischen Klärung die gleiche sein wie in früheren Zeiten des Wiederaufschwungs.
Als die Eisenacher den Lassalleanern Zugeständnisse machten, kritisierte Marx heftig die Konzessionen der Marxisten an die Lassalleaner, die er als unnötig beurteilte. Dennoch bestand er unter Berücksichtigung der damaligen Periode auf einen Punkt: „Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.“ (Marx an W. Bracke, Vorwort zur „Kritik des Gothaer Programms“) War Marx ein Opportunist? Nein, das Sektierertum existiert, ist ein Problem als solches und nicht direkt mit den politischen Positionen verbunden. Lenin bekämpfte das Sektierertum, als er zur Gründung der SDAPR (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands) drängte, wobei er gleichzeitig fest entschlossen politische Positionen kritisierte und keine Konzessionen machte.
Diese Haltung, auf Diskussionen zu drängen, trifft nicht weniger auf die Zeiten der Isolation zu, als die Bedingungen den Kontakt erschwerten. Die konsequentesten Revolutionäre haben immer auf Diskussionen gedrängt (z.B. Bilan).
Durch eine kuriose Umkehrung, deren Geheimnis nur ihnen bekannt ist, geben uns die Genossen von BC nun Lektionen in politischer Unnachgiebigkeit; doch ist es nur einige Jahre her, dass sie zu Treffen ohne klare politische Kriterien aufriefen, wie zu jenem mit Lotta Comunista und Programma Comunista oder in den frühen 60er Jahren mit R. Dunayeskayas News and Letters und die FOR von Munis oder die Kontakte, und dass sie Kontakte zur französischen trotzkistischen Gruppe Lutte Ouvriere geknüpft hatten. Sollen wir glauben, dass, wenn BC Treffen Kontakte solcherlei Art initiiert, es eine korrekte Position ist, doch wenn die IKS die Notwendigkeit der Konfrontation zwischen wirklich revolutionären Gruppen auf der Grundlage klarer politischer Kriterien vertritt, dies schlichter Opportunismus ist?
Es gibt eine ähnliche kuriose Umkehrung in der Haltung der CWO, die die IKS noch vor kurzem als dem Lager der Konterrevolution zugehörig betrachtete, nun aber ihre Auffassung geändert hat. Sollen wir glauben, dass dies geschehen ist, weil die politischen Positionen der CWO sich so tiefgreifend verändert haben, so dass sie sich nun herablässt, sich aktiv an internationalen Konferenzen zu beteiligen (die erste Konferenz in Mailand, die Oslo-Konferenz, die zweite Konferenz in Paris)? Oder ist es nicht vielmehr so, dass es eine Verhaltensänderung gegeben hat, die Erkenntnis, dass es überhaupt nicht sinnvoll ist, zu verkünden, man habe die Wahrheit für sich gepachtet, dass es notwendig ist, politische Divergenzen zu diskutieren und nicht nach Vorwänden zu suchen, die Debatte zu vermeiden: mit anderen Worten, die vorbehaltlose Anerkennung, dass es solch ein Problem wie das Verhalten revolutionärer Gruppen gibt?
Um diesen letzten Punkt zu Ende zu führen, möchten wir einfach auf die Inkohärenz hinweisen, Gruppen einzuladen, zur Internationalen Konferenz zu kommen, um Beiträge zu den Tagesordnungspunkten zu bitten und dann zu sagen, dass ihre Weigerung, teilzunehmen, ganz „normal“ sei, weil solche Gruppen aufgrund der Positionen, die sie entwickelt haben, „nichts zu suchen haben auf Konferenzen wie diese“. Warum sind sie dann überhaupt eingeladen worden? Aus irgendeiner „demokratischen“ Sorge? Wenn solche Gruppe zu Recht nicht kommen, dann sollten wir so konsequent sein und einräumen, dass wir falsch darin lagen, sie einzuladen. Wir denken nicht so. Welche politischen Verirrungen solche Gruppen auch immer vertreten mögen, sind sie dennoch Teil des proletarischen Lagers; nach unserer Auffassung ist die direkte, öffentliche Konfrontation der beste Weg, die Verirrungen wegzufegen, die noch immer in der Arbeiterbewegung existieren.
Revolutionäre Organisationen, die ihren Namen wert sind, müssen gegen die falschen, sklerotischen oder konfusen Positionen kämpfen. Wir erkennen keiner politischen Gruppe das „Recht auf Fehler“ zu, und wir „respektieren“ auch nicht politische Positionen, die nur dazu dienen, noch mehr Müll in eine Bewegung zu werfen, die ohnehin schon große Schwierigkeiten hat, sich von den Folgen der Konterrevolution zu befreien. Wir „respektieren“ keine Weigerung aufgrund von politischen Differenzen, zu diskutieren, weil man damit stillschweigend den Positionen, die jede Gruppe vertritt, eine politische Gültigkeit und Kohärenz einräumen würde: Jede Gruppe vertritt ihre Positionen, und alles ist in Butter in der besten aller möglichen revolutionären Welten! Wir dagegen rufen alle Gruppen des revolutionären Lagers dazu auf, sich an einer offenen, öffentlichen und internationalen Konfrontation der Ideen zu beteiligen und in Interventionen und Klassenaktionen ihre Positionen zu vertreten.
Die Arbeit der Konferenz
In diesem Sinne hat die IKS auf der Notwendigkeit bestanden, sich klar zu den Fragen der Tagesordnung zu äußern, denn es handelt sich nicht um akademische Probleme, sondern um Fragen, die immer größere Auswirkungen auf den Klassenkampf haben. Um zur Annahme klarer Positionen anzuregen und um die Übereinstimmungen und Uneinigkeiten zu präzisieren, hat die IKS zusätzlich zu den Vorbereitungstexten noch kurze, zusammenfassende Resolutionen über die augenblickliche Krise und die Perspektiven, über die nationale Frage und über die Organisation der Revolutionäre vorgeschlagen. Das Prinzip, Resolutionen vorzuschlagen, wurde von der Konferenz jedoch verworfen. Wir wollen hier die Kernpunkte unserer Interventionen auf der Konferenz zusammenfassen:
Im ersten Punkt - Die Krise und aktuelle Perspektive – beharrte die IKS auf die Notwendigkeit, klare Perspektiven vorzustellen, die auf einer grundsätzlichen Untersuchung der Lage, wie sie sich vor unseren Augen abspielt, beruht. Läuft die allgemeine Tendenz auf generalisierte Klassenkonfrontationen oder auf einen generalisierten interimperialistischen Konflikt hinaus? Als revolutionäre Organisationen, die in der Klasse intervenieren und vorgeben, politische Orientierungen - eine politische Richtung - zu vertreten, müssen wir in der Lage sein, uns zum allgemeinen Sinn des Klassenkampfes heute zu äußern. Revolutionäre in der Vergangenheit mögen sich in ihrer Einschätzung der Periode getäuscht haben, sie haben sich aber stets dazu geäußert.
Zu dieser Frage hat BC die folgende Position vertreten:
„1976 haben wir drei mögliche Hypothesen formuliert:
1) dass es dem Kapitalismus gelingt, seine ökonomische Krise zeitweise zu überwinden;
2) dass die letztendliche Zuspitzung der Krise eine subjektive Situation der allgemeinen Angst schafft, die zu einer gewaltsamen Lösung und zu einem dritten Weltkrieg führt;
3) dass das schwächste Glied in der Kette zerbricht und eine revolutionäre Periode für das Proletariat einläutet, in historischer Kontinuität mit dem bolschewistischen Oktober.
Zwei Jahre später können wir bestätigen, dass die gegenwärtige Lage die Konturen unserer zweiten Hypothese angenommen hat.“ (Texte und Protokolle der Internationalen Konferenz von Paris, Nov. 1978)
Die CWO dagegen bezieht nicht deutlich Stellung: Die zwei Möglichkeiten, Krieg oder Revolution, bleiben offen. Die Antwort „vielleicht ja, vielleicht nein“ wurde jedoch durch die Betonung der Passivität und des Rückflusses des Klassenkampfes heute entsprechend gewichtet.
Der IKS zufolge haben nach zehn Jahren der offenen Krise des kapitalistischen Systems die inneren Widersprüche wieder einmal den Punkt erreicht, wo imperialistische Konfrontationen immer allgemeiner werden. Hauptpunkte dieser Entwicklung sind:
- kaum wiederaufgebaut, treten Europa und Japan erneut in direkte Konkurrenz zu den USA;
- die Krise hat zu einer Verstärkung der imperialistischen Blöcke geführt;
- der westliche Block hat dem Nahen Osten eine „Pax Americana“ aufgezwungen und hat seine Strategie in Südostasien umgeschichtet, um China endgültig in seinen Machtbereich einzugliedern, usw.
Vom Standpunkt der interimperialistischen Widersprüche, der ökonomischen, politischen und militärischen Strategie aus betrachtet, lautet die Frage nicht: „Wann wird sich der imperialistische Krieg generalisieren?“, sondern eher: „Warum hat sich der Krieg noch nicht generalisiert?“
Für die CWO ist die „magische“ Kurve des tendenziellen Falls der Profitrate noch nicht genügend gesunken. Dem Kapitalismus stünden noch eine ganze Reihe von Möglichkeiten offen – wie Austeritätsmaßnahmen (?) -, bevor die Bedingungen eines allgemeinen Krieges erfüllt seien: „Das Proletariat hat noch die Zeit und die Möglichkeit, den Kapitalismus zu zerstören, bevor dieser die Zivilisation zerstört.“ (ebenda)
Was bedeuten die wachsenden militärischen Interventionen der kapitalistischen Großmächte auf den Kriegsschauplätzen Zaire, Angola, Vietnam/Kambodscha, China/Vietnam? Was bedeuten die Kampagnen für die „Menschenrechte“ und andere ideologische Propagandaschlachten? Wozu dient dieses beschleunigte und maßlose Wachstum der Rüstungsindustrie?
Die CWO sagt ganz richtig, dass es sich um Kriegsvorbereitungen handelt. Jedoch ist es nicht der Klassenkampf, der die Generalisierung des Krieges verhindern würde – das sei ein „absurdes Szenario der IKS“. Für die CWO sind die Klassenkämpfe „partikulare Kämpfe mit nur geringen Möglichkeiten der Generalisierung in Form von Klassen-weiten Schlachten.“ (Revolutionary Perspectives, Nr. 12) Die „logische“ Schlussfolgerung der CWO: „… die Krise ist noch nicht tief genug, um den Krieg zu einen notwendigen Schritt für die Bourgeoisie zu machen.“ (ebenda) Dies ist schlicht eine Tautologie und besagt lediglich: Der Krieg ist noch nicht da, weil die Bedingungen noch nicht erfüllt sind. Wir stimmen dem zu, aber wir kommen zurück auf die Ausgangsfrage: Welche Bedingungen? Ereignisse wie das Attentat auf den Erzherzog in Sarajewo sind als Vorwand benutzt worden, um einen Weltkrieg auszulösen. Heute haben weitaus bedeutendere Ereignisse wie die Kriege im Nahen Osten 1967 und 1973, in Vietnam, Zypern, China/Vietnam usw. nicht zu solch einem Konflikt geführt. Warum? Warum hat die UdSSR nicht direkt im Vietnamkrieg eingegriffen? Warum haben die USA nicht direkt in Angola oder Äthiopien interveniert? Die „Dialektiker“ werden zweifellos antworten, dass die objektiven Bedingungen nicht vorhanden waren. Wir sind damit einverstanden, aber für die IKS ist die Hauptbedingung, an der es heute mangelt, die Mobilisierung der Bevölkerung und vor allem des Proletariats hinter die Interessen des nationalen Kapitals.
Was die anderen Bedingungen für einen generalisierten Krieg angehen, - die Existenz von imperialistischen Blöcken, die offene Krise des kapitalistischen Systems -, so sind sie bereits vorhanden. Ihr Gradmesser der fallenden Profitrate erlaubt es der CWO und BC nicht, dies zu bestreiten; alles, was sie sagen können, ist, dass die Blöcke nicht stark „genug“ sind oder dass die Krise nicht tief „genug“ ist. Vielleicht ist das Szenario der IKS „absurd“, wie die CWO sagt, aber sie muss es auch beweisen. Auf der anderen Seite sind die politischen Auswirkungen der Idee von BC, eine „subjektive Situation der allgemeinen Angst“, oder der Auffassung der CWO von einem „Proletariat, das konfus, desorientiert und, was das Kämpfen angeht, pessimistisch ist“ (RP, Nr. 12), nur schwer zu glauben.
Sollen die Revolutionäre einem kampfbereiten Proletariat, das seit zehn Jahren kämpft, einem Proletariat, das nirgendwo auf der Welt den bürgerlichen Idealen der Verteidigung des „demokratischen“ oder „sozialistischen“ Vaterlandes oder den Austeritätsappellen hinterherläuft, erzählen, dass die Würfel gefallen sind? Die Bedingungen sind nicht mehr dieselben heute. All dies bedeutet wenig für die CWO, die den Wiederaufschwung des Klassenkampfes heute nicht sieht – alles was sie sieht, ist der Rückfluss. Dasselbe gilt für BC, für die der jüngste anti-gewerkschaftliche Kampf in den italienischen Krankenhäusern wenig bedeutet und für die 1969 praktisch nicht geschehen war, bis auf eine vage Bewegung ohne tiefere Bedeutung für die Arbeiterklasse, einfach weil BC nicht dabei war. Auch die IKS war nicht da, doch wir denken, dass die Geschichte bereits vor uns existiert hat! Die Analyse der gegenwärtigen Lage und ihrer politischen Schlussfolgerungen, die Entwicklung einer klaren Orientierung ist kein akademischer Streit, auch wenn die CWO und BC die Debatte in eine Schlacht der Theorie der fallenden Profitrate „versus“ die Theorie der Sättigung der Märkte umwandeln wollen. Aus unserer Sicht liefert die Theorie der Sättigung des Weltmarktes einen kohärenten Rahmen, der uns in die Lage versetzt, die gesamte Periode vom I. Weltkrieg bis zur heutigen Krise zu verstehen: ein Rahmen, der die Theorie des tendenziellen Falls der Profitrate mit beinhaltet und nicht ausschließt. Die wichtigste Sache an der Debatte über die Krise heute sind die Auswirkungen auf unsere Intervention. Die ökonomische Analyse der CWO und BC weisen enorme Schwächen auf theoretischer Ebene auf, aber ihre grundlegende Schwachstelle ist ihre Unterschätzung des Niveaus des heutigen Klassenkampfes, ihre Unfähigkeit zu analysieren, was vor unseren Augen vor sich geht, die keimhaften Anzeichen einer Klassenkonfrontation zu sehen, die unvermeidlich stattfinden werden, ehe die Widersprüche des Kapitals in einem neuen weltweiten Holocaust explodieren.
2. Die zweite Frage, mit der sich die Konferenz beschäftigte, war die nationale Frage. Obgleich alle anwesenden Gruppen, abgesehen vom Nucleo Comunista Internazionalista (NCI), der Auffassung waren, dass das Proletariat nicht mehr nationale Befreiungskämpfe unterstützen kann, trennen immer noch viele Nuancn und Divergenzen die Gruppen auf dieser Konferenz.
Der NCI hält sich Wort für Wort an die von der Kommunistischen Internationale vertretene Position, die die Unterstützung der nationalen Befreiungsbewegungen als eine Schwächung des Imperialismus und somit als eine Hilfe für den Kampf des Proletariats auffasst, das sich an die Spitze solcher Bewegung stellen soll. Die Tatsache, dass dies seit 50 Jahren nie so eingetroffen ist, dass in den vergangenen zehn Jahren jedes Mal, wenn die Arbeiterklasse in den Kampf trat, sie auf die politischen Kräfte der „nationalen Befreiung“ stieß – nichts davon stört den NCI, der keinen „Beweis“ dafür erkennen kann, dass sich seine Theorie als falsch erweist. Der NCI tischt uns eine aufgewärmte Version der Idee auf, die Gesellschaftsbewegungen in den unterentwickelten Regionen und die proletarische Bewegung in den fortgeschrittenen Ländern „zusammenzuschweißen“. Er begreift nicht, dass das einzige Zusammenschweißen nur in den Reihen des Weltproletariats, ob in den schwachen oder starken Gebieten des Kapitalismus, stattfinden kann. Der NCI hat sich noch nicht von der verzerrten Sichtweise des Bordigismus losgemacht; er sieht noch immer eine Kontinuität zwischen der Unterwerfung der Massen in den nationalen Befreiungskämpfen und der Mobilisierung des Proletariats. Doch im Gegenteil zeigen alle Erfahrungen dieses Jahrhunderts, dass das Proletariat nur einen kompromisslosen Bruch mit dem nationalen Terrain vollziehen muss, wo immer es sich befindet und welche zahlenmäßige Stärke es innerhalb des Nationalstaates hat, der ihn ausbeutet.
Die Verurteilung aller nationalen Kämpfe durch die IKS hat nichts zu tun mit Gleichgültigkeit, Abstraktion oder Verachtung gegenüber den Volksaufständen, in die auch das Proletariat oftmals verwickelt ist. Es ist eine Anprangerung all jener, die solche Kämpfe zu imperialistischen oder nationalistischen Zwecken ausnutzen, d.h. all jener, die behaupten, dass es möglich ist, auf nationaler Ebene einen Schritt nach vorn zu machen. Einzig und allein die Arbeiterkämpfe können diesen Aufständen eine Richtung geben; ohne diese Arbeiterkämpfe können sie nur im Elend, in Massakern und im Krieg enden. Und man möge uns nicht erzählen, dass dieser Bruch unmöglich ist ohne die Partei! Selbst ohne Partei haben die Arbeiter durch ihre Streiks bereits gezeigt, dass sie den nationalistischen Feuereifer abkühlen können. Dies war der Fall in Angola, Israel, Ägypten, Algerien und Marokko. Der Bruch mit der „nationalen Befreiung“ ist keine Abstraktion, die von der IKS ausgedacht wurde, sondern die Realität von heute.
Noch subtiler ist die Zweideutigkeit, die noch immer in einer Gruppe wie BC in dieser Frage herrscht. Obwohl sie die nationalen Befreiungskämpfe als Bestandteil imperialistischer Kriege bezeichnet, entwirft sie für das Weltproletariat – und somit auch für das Proletariat in diesen Ländern - die Perspektive, durch den Aufbau der künftigen Kommunistischen Internationalen „‘die nationalen Befreiungskämpfe‘ in die proletarische Revolution umzuwandeln“. Wenn die Position des NCI eine gewisse Kohärenz in dieser Frage aufweist, setzt sich BC zwischen den Stühlen. Wir dürfen wählen. Entweder „haben die nationalen Befreiungskämpfe vollständig ihre historische Funktion ausgeschöpft“ (von BC hervorgehoben), dann muss man daraus die Konsequenz ziehen: Sie sind für das Proletariat, das seine eigene historische Mission hat, unbrauchbar geworden. Die Rolle der Klassenpartei liegt nicht darin, diese Kämpfe umzuwandeln, sondern zum Kampf gegen alle Agenturen aufzurufen, die versuchen, es in imperialistische Kriege zu zwingen. Oder es ist möglich, „sie in proletarische Revolutionen umzuwandeln“. Doch dann muss man ihnen als Teil der historischen Aufgaben des Proletariats eine historische Funktion zuerkennen. Dann muss man sagen, dass die nationalen Befreiungskämpfe nicht nur einfach imperialistische Kriege sind.
Es geht nicht darum, die nationalen Befreiungskämpfe in proletarische Revolutionen umzuwandeln, sondern darum, das Proletariat gegen alle nationalen Bewegungen zu mobilisieren. BC wird wahrscheinlich einmal mehr erwidern, dass die IKS wenig „dialektisch“ denkt. Vielleicht täuscht sich die IKS tatsächlich, aber die Diskussion kommt kein Stück voran, wenn man an eine Allzweck-„Dialektik“ appelliert, was an das Verhalten des Arztes erinnert, der jede Krankheit als eine „Allergie“ diagnostiziert. Die Partei ist aus der Sicht von BC die Antwort auf alle unerwarteten Widersprüche. Doch damit die Partei handeln kann, muss sie erst einmal existieren. Und woraus wird sie hervorgehen? Aus den nationalen Befreiungskämpfen? Mit Sicherheit nicht. Sie wird ihre Reihen mit den Elementen verstärken, die endgültig mit allen möglichen Spielarten nationalistischer Politik gebrochen haben. Und wo werden diese Elemente herkommen? Aus den Klassenbewegungen in allen Ländern, einschließlich jener, die heute dem Blut und Eisen der „nationalen Befreiungskämpfe“ des Weltimperialismus unterworfen sind.
Eine grundlegende Vorbedingung für die Fähigkeit des Weltproletariats, seinen Kampf zu führen, ist ein klares, praktisches und theoretisches Verständnis der Tatsache, dass es nur auf seinem eigenen Terrain, auf dem Terrain des Internationalismus kämpfen kann, dass es für das Weltproletariat unmöglich ist, eine Bewegung zu benutzen, die aus den verschiedenen lokalen und internationalen imperialistischen Antagonismen hervorgegangen ist und die die Massen als simples Kanonenfutter benutzt.
Revolutionäre, die heute noch in dieser Frage schwanken, verstärken nur die herrschende Konfusion über den Nationalismus, die heute innerhalb der Arbeiterklasse grassiert. Sie verleihen der bürgerlichen Idee Gewicht, dass der Nationalismus irgendwie doch revolutionär sei. Nur mit Haarspalterei kann man den Arbeitern, die gerade in ihrer Alltagserfahrung begreifen, dass der Kampf in allen Ländern der gleiche ist, erklären, dass ihr Kampf derselbe und doch nicht derselbe ist oder dass durch eine clevere Strategie das Proletariat in die Reihen der Nationalisten eintreten kann, um die Nationalisten gegen den Nationalismus zu wenden. Ebenso gut könnte man darauf setzen, dass die Polizei gegen die Polizei kämpft.
Was die CWO angeht, die sehr besorgt darum ist, sich selbst von jeglicher Unterstützung für nationale Bewegungen zu distanzieren und die diese Frage zu einem Kriterium für den Ausschluss aus der Diskussion machen wollte, so machte sie überhaupt keine Einwände gegen die Positionen der Kommunistischen Internationalen, wie sie vom NCI vertreten werden. Die CWO hat vor allem auf der Idee bestanden, dass nicht alle Länder imperialistisch oder eher nicht „wirklich“ imperialistisch seien und dass der Imperialismus nur eine Politik der kapitalistischen Hauptmächte sei.
Wir können hier nicht näher auf die Einzelheiten dieser Frage eingehen, jedoch wollen wir kurz die Art und Weise ansprechen, wie die CWO diese Frage simplifiziert. In ihrem Artikel in RP, Nr.12, stellt die CWO die Frage: „Wie kann man behaupten, dass zum Beispiel Israel eine unabhängige, imperialistische Macht ist?“ Keiner ist so taub wie jener, der nicht hören will. Die Tatsache, dass heute kein Land dem Imperialismus entweichen kann, dass heute alle Länder der Welt imperialistisch sind, bedeutet ja gerade, dass die nationale Unabhängigkeit unmöglich geworden ist. Die mächtigsten Länder verfügen nicht über einen größeren Spielraum, weil sie imperialistisch sind und die kleinen Staaten nicht, sondern schlicht und einfach weil sie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger und/oder die mächtigsten auf den internationalen Schlachtfeldern sind. Die Tatsache, dass alle Länder heute imperialistisch sind, bedeutet eben, dass keine nationale Bourgeoisie ihre Interessen verteidigen kann, ohne auf die objektiven Grenzen eines Weltmarktes zu stoßen, der die Erde bis in die letzten Winkel erobert hat. Somit antworten wir auf die Frage der CWO: Israel ist ein imperialistischer Staat, aber es ist kein unabhängiger Staat.
Die wichtigste Sache hier jedoch sind die politischen Auswirkungen der Auffassung der CWO. Wenn nur die mächtigsten Länder die Mittel haben, eine imperialistische Politik zu betreiben und die zweitrangigen Länder nicht, muss man schon so konsequent sein und bestätigen, dass die nationalen Regierungen der schwächeren Länder nur einfache „Agenten“ der größeren imperialistischen Mächte sind oder, um die linksextremistische Terminologie zu benutzen, die „Lakaien“ der USA, der Supermächte, der UdSSR. Dies ist richtig, aber nicht ausreichend. Die Verurteilung der nationalen Kämpfe ist keine Frage der Moral, der Anprangerung der nationalistischen Fraktionen, die sich an „den Imperialismus“ verkaufen. Sie beruht auf der gesellschaftlichen Wirklichkeit: Es ist nicht möglich, die Nation außerhalb der imperialistischen Notwendigkeiten zu verteidigen.
3. Beim dritten Punkt, während der Diskussion über die Frage der Partei, bestand die IKS insbesondere auf einen Aspekt: Übernimmt die Partei die Macht? Die Gruppe För Kommunismen antwortete nein, und der FOR (obwohl er während der Konferenz abwesend war) trug einen Text vor, der deutlich feststellt, was die IKS als eine der wichtigsten Lehren aus der Russischen Revolution betrachtet. Die Rolle der Partei besteht nicht darin, die Macht zu übernehmen. Die Macht wird von den Arbeiterräten ergriffen, die die Einheitsorgane der Diktatur des Proletariats sind, innerhalb derer Parteien die kommunistische Avantgarde der Klasse bilden und die bewusstesten und klarsten Elemente in der Bewegung zum Kommunismus um sich sammeln – das Dahinwelken des Staates, das Verschwinden der Klassen, die totale Befreiung der Menschheit.
Der NCI vertrat die Position, dass die Partei die Macht übernimmt, und identifizierte sich mit Lenins Kritik gegen die Linksradikalen in Die Kinderkrankheit des Kommunismus. Er versteht nicht, dass die Kritik an den Fehlern der KI in dieser Frage nichts mit der bürgerlichen Demokratie zu tun hat. Sie beruht auf der Erfahrung des Proletariats in Russland, der Bolschewiki, Lenins, der ungeachtet einiger theoretischer Fehler, die er beging, eine auffällige Klarheit besaß, als er von den höchsten Augenblicken des proletarischen Kampfes sprach.
So sprach Lenin von der „Notwendigkeit, unmittelbar die ganze Macht in die Hände der revolutionären Demokratie zu übergeben, die von dem revolutionären Proletariat angeführt wird" (hervorgehoben von Lenin).
Wenn es eine Frage gab, die nach der Niederlage der Weltrevolution von 1917-23 wirklich debattiert werden musste, dann war es die Frage nach den Machtformen, die aus der Revolution hervorgehen. Der Fehler der Komintern in dieser Frage erwies sich ab dem Moment als ein beschleunigender Faktor der Konterrevolution, als die Isolation die Macht in Russland dazu verleitete, das Zurückweichen der Revolution, zu dem sie durch die internationale Lage gezwungen wurde, als eine Errungenschaft für das Proletariat darzustellen. In dieser Situation wurde die Macht immer autonomer gegenüber den allgemeinen Klassenorganisationen; dies gipfelte in der Tragödie von Kronstadt, die eine bewaffnete Konfrontation zwischen Arbeitern und Staat, mit der bolschewistischen Partei an der Spitze, erlebte. Die Idee, dass die Partei die Macht übernimmt, reflektiert die Unreife der Revolutionäre zu Beginn des Jahrhunderts, die noch von einer Zeit geprägt waren, in der bürgerliche Schemata noch der Referenzpunkt zum Verständnis des revolutionären Prozesses waren.
Die CWO anerkennt, dass die Arbeiterräte die Fundamente der proletarischen Macht sind, aber sie belebt die alten Ideen des bürgerlichen Parlamentarismus wieder und überträgt sie auf die Räte. Aus der Sicht der CWO bedeutet die Machtübernahme, dass die Mehrheit der Räte für revolutionäre Positionen gewonnen worden sind, und da diese Positionen von der Partei getragen werden, ist es schließlich die Partei, die „praktisch“ die Macht ergreift, sobald sie die Mehrheit in den Räten besitzt. So schließt sich der Kreis. Gemäß der CWO äfft das Proletariat, wenn es die Macht übernimmt, den bürgerlichen Parlamentarismus mit seinen Mehrheiten und Minderheiten nach; der proletarische Kampf wird zu einem „Parteienkampf“, in dem jede von ihnen versucht, die Mehrheit für ihre Positionen zu gewinnen, um die Macht zu übernehmen.
Weder die Pariser Kommune noch die Revolution von 1917 folgte diesem numerischen, parlamentarischen Schema. Sie resultierten aus einer tiefgreifenden Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen Gesellschaftsklassen, die nichts mit der bloßen parlamentarischen Sanktionierung eines bereits existierenden Klassenrechts zu tun haben, das auf klar umrissene Produktionsverhältnisse beruht. So funktioniert die Bourgeoisie. Für das Proletariat ist die Machtübernahme der bewusste, organisierte Akt einer Klasse, die noch nicht die Vorherrschaft erlangt hat.
In seinem Vorbereitungstext für die Konferenz behauptet BC richtig, dass „es ohne die Partei keine Revolution und Diktatur des Proletariats geben kann, ebenso wie es keine Diktatur des Proletariats und keinen Arbeiterstaat ohne die Arbeiterräte gibt“ (obgleich wir die Formulierung „Arbeiterstaat“ als Bezeichnung des Staates, der aus der Revolution hervorgehen wird, als falsch betrachten). Darüber hinaus behauptet BC, sich von dem “Superparteientum“ der Bordigisten abzugrenzen, für die die Partei ein und alles ist und die Organisation der Arbeiterklasse in Arbeiterräten einfach eine Form sind, die nur durch die Partei einen revolutionären Inhalt erhalten. Aber in der Frage der Machtübernahme behauptet BC letztendlich doch, dass die Partei die Macht übernimmt! Die der BC so teure Dialektik im Verhältnis zwischen Partei und Klasse vereinfacht sich beträchtlich, und all ihre schönen Reden über die Arbeiterräte und die Diktatur des Proletariats, all ihre bissigen Kritiken an den Bordigisten und ihrem „Superparteientum“ lösen sich in Luft auf. Damit wir uns darüber im klaren sind: Es gibt in der Revolution zwei Hauptorgane, Räte und Parteien. Wenn die Partei die Macht übernimmt, welche Rolle fällt dann den Räten zu? Worin liegt der Unterschied zwischen dieser Auffassung und der Idee, dass die Macht des Proletariats die Einwilligung der Basis (den Räten) gegenüber einer Spitze (der Partei) bedeutet, die faktisch die Macht ausübt? Die Frage der Macht wird wieder einmal als die Macht eines Teils im Namen des Ganzen aufgefasst. Für das Proletariat ist das nicht möglich. Seine einzige Stärke liegt gerade in der kollektiven Fähigkeit, die politische Macht auszuüben. Entweder ergreift das Proletariat die Macht auf kollektive Weise, oder es kann keine Macht ergreifen, und niemand kann es an seiner Stelle tun. Als die bolschewistische Partei die Macht ergriff, geschah dies mit der Parole „Alle Macht den Räten“ und nicht „Alle Macht der Partei“. Es ist verständlich, dass die Unterscheidung zwischen den beiden Organen Lenin und den Bolschewiki ziemlich unklar war. Die Bolschewiki waren die ersten, die von ihrer großen Gefolgschaft innerhalb der Arbeiterklasse überrascht wurden; es war die Initiative der Massen, die die bolschewistische Partei in der Frage des Aufstands und der Machtergreifung vorwärtsdrängte, während Lenin selbst zögerte, Vorsitzender des Rates der Volkskommissare zu werden.
Später, mit dem Zurückweichen der Revolution, wurde der tragische Beweis geliefert, dass es der Partei unmöglich war, die Macht der Klasse zu ersetzen, die unter den Schlägen der Auszehrung und internationalen Isolation zerfiel. Wenn die Arbeiterklasse mobilisiert ist, kann sie ermöglichen, dass sich in ihrer Partei die größte Klarheit verbreitet, sie erlaubt ihr, die größte revolutionäre Standfestigkeit zu demonstrieren. Doch die größte revolutionäre Standfestigkeit in der besten aller Parteien kann nicht die proletarische Macht einer demobilisierten Klasse aufrechterhalten. Warum? Im wesentlichen weil sich das Wesen der Macht des Proletariats von seinem Wesen als ausgebeutete Klasse ableitet, deren einzige Stärke die kollektive Stärke ist. Die Frage der Machtübernahme ist komplex; sie kann nicht durch den Größenwahnsinn politischer Gruppen gelöst werden, die sich dem Problem entziehen, indem sie die Macht für sich beanspruchen. Die Macht der Partei kann nie eine Garantie sein. Die einzige Garantie befindet sich in der Arbeiterklasse selbst. Die Rolle der revolutionären Partei besteht darin, diese einzige Garantie gegen jede Demobilisierung zu verteidigen - eine Demobilisierung, die nur verschärft werden kann durch jene, die dem Proletariat sagen: „Gebt uns die Macht, wir werden die Revolution durchführen.“
Einige Schlussbemerkungen
Der wichtigste Fortschritt der Internationalen Konferenz war die Erweiterung der Debatte auf neue Gruppen, die an der ersten Konferenz in Mailand nicht teilgenommen hatten. Die direkte Konfrontation von Positionen verschiedener Gruppen, die Klärung von Divergenzen, die Präzisierung von Formulierungen, die solch eine Konfrontation erfordert, sind lebenswichtig für die Organisationen, die im Klassenkampf intervenieren.
Daher hat die IKS während und nach der Konferenz auf das Problem des Sektierertums beharrt. In demselben Punkt gibt es zwei Dinge, die unserer Auffassung nach in den Schlussfolgerungen bedauert werden sollten. Zwar waren die Gruppen einverstanden, diese Arbeit fortzusetzen, doch die Konferenz machte keine Ankündigung als solche und war unfähig, eine gemeinsame offizielle Erklärung über die geleistete Arbeit zu formulieren. In diesem Sinne ist die Konferenz als Organ stumm geblieben und war nicht in der Lage, kollektiv einen Überblick über die Übereinkünfte und Nicht-Übereinkünfte zwischen den Gruppen in den Fragen der Tagesordnung zu geben.
Resolutionen, die aus solch einer Konferenz hervorgehen, sind aus Prinzip verworfen worden. Wenn die IKS die in dieser Internationalen Revue veröffentlichten Resolutionen vorschlägt, dann geschieht dies nicht, weil sie selbstherrlich handelt oder eine politische Übereinkunft mit irgendjemanden zu erzwingen versucht oder ihre eigenen politischen Positionen modifiziert. Wir müssen aber wissen, ob wir Schwätzer oder revolutionäre Militanten sind. Wir nehmen nicht an internationalen Konferenzen teil, um uns mit einer gemeinsamen Veröffentlichung am Ende einer Konferenz zufriedenzugeben, in der jeder seine Position zum Ausdruck bringt, um anschließend zur Arbeit zurückzukehren, als ob nichts geschehen sei. Die Vorbereitungstexte und die Debatten sind Momente, die ermöglichen sollen, Punkte der Übereinstimmung und Uneinigkeit zu klären. Dies muss in die Fähigkeit übersetzt werden, öffentlich und schwarz auf weiß nicht nur eine einfache Gegenüberstellung der Positionen und Erklärungen der jeweiligen Gruppen zu erstellen, sondern möglichst eine gemeinsame Stellungnahme zu formulieren.
Dies war nicht möglich, und es war eine Schwäche der Konferenz. Paradoxerweise wurde dieses Ansinnen, als Konferenz stumm zu bleiben, indem man gemeinsame Erklärungen verweigert, von der Sorge begleitet, für künftige Konferenzen weitere Einladungskriterien hinzuzufügen – Kriterien der „Auswahl“ für BC und des „Ausschlusses“ für die CWO. Wir haben hier einen Vorschlag, der zu einer Art Minimalplattform anstelle eines Diskussionsrahmens tendiert, und gleichzeitig eine Weigerung, gemeinsame Ankündigungen über irgendetwas zu machen. Gratulation an jene, die dies verstehen können. Selbst die getroffenen Beschlüsse, wie die Vorbereitung der nächsten Konferenz, schweben in der Luft. Es sei dem Leser der Broschüre überlassen, die praktischen Auswirkungen der geleisteten Arbeit zu interpretieren.
M.G.
[1] [2] Für Details vgl. International Review Nr. 16 (engl./franz./spanz. Ausgabe)
I. Seit Beginn der Arbeiterbewegung gehörte die Einheit der Revolutionäre zu deren wesentlichsten Bemühungen. Dieses Bedürfnis nach der Einheit der höchst entwickelten Elemente der Klasse ist Ausdruck der tiefen, historischen und unmittelbaren Interessenseinheit der Klasse und stellt einen entscheidenden Faktor im Prozess ihrer weltweiten Vereinigung und der Verwirklichung ihres eigenen Seins dar. Ob wir über den Versuch, 1850 einen „Weltbund der Kommunistischen Revolutionäre" zu bilden, der den Bund der Kommunisten, die Blanquisten und die linken Chartisten um sich sammeln wollte, über die Gründung der Internationalen Arbeiter-Assoziation 1864, der Zweiten Internationale 1889 oder der Kommunistischen Internationale 1919 sprechen - jeder wichtige Schritt in der Entwicklung der Arbeiterbewegung beruhte auf diesem Streben nach einer weltweiten Umgruppierung der Revolutionäre.
II. Obwohl diese Tendenz zur Einheit der Revolutionäre einer wesentlichen Notwendigkeit des Klassenkampfes entsprach, wurde diese Tendenz wie auch die Neigung der gesamten Klasse zur Vereinigung ständig durch eine ganze Reihe von Faktoren aufgehalten wie:
III. Die Fähigkeit dieser Tendenz zur Vereinigung der Revolutionäre, diese Hindernisse zu überwinden, entspricht im allgemeinen ziemlich getreu dem Kräfteverhältnis zwischen den beiden Hauptklassen der Gesellschaft, der Bourgeoisie und dem Proletariat. Den Rückflussperioden des Klassenkampfes entspricht in der Regel eine Bewegung der Zersplitterung und der Isolierung der revolutionären Strömungen und Elemente voneinander. Dagegen werden die proletarischen Aufstiegsperioden von der Konkretisierung der grundsätzlichen Tendenz zur Vereinheitlichung der Revolutionäre begleitet. Dieses Phänomen zeigt sich besonders deutlich bei der Bildung der Parteien des Proletariats, die im Kontext einer qualitativen Entwicklung des Klassenkampfes stattfindet und im allgemeinen ein Ergebnis der Umgruppierung verschiedener politischer Tendenzen der Klasse ist. Dies war besonders der Fall:
Unabhängig von den Schwächen mancher dieser Strömungen und obwohl im allgemeinen die Vereinigung um die politisch stärkste Strömung herum geschah, ist es Tatsache, dass Parteigründungen nie das Resultat einer einseitigen Proklamierung gewesen waren, sondern das Produkt eines dynamischen Umgruppierungsprozesses der höchst entwickelten Elemente der Klasse.
IV. Die Existenz eines solchen Umgruppierungsprozesses in den Momenten der historischen Entwicklung im Klassenkampf erklärt sich durch:
V. Die heutige Situation im revolutionären Milieu wird charakterisiert durch seine extreme Zersplitterung, die Existenz wichtiger Divergenzen über grundsätzliche Fragen, die Isolierung seiner verschiedenen Komponenten voneinander, das Gewicht des Sektierertums, den Krämergeist, die Verknöcherung mancher Strömungen und die Unerfahrenheit anderer. All dies sind Ausdrücke der fürchterlichen Auswirkungen eines halben Jahrhunderts der Konterrevolution.
VI. Eine statische Herangehensweise an diese Situation kann zu der besonders von Fomento Obrero Revolucionario (FOR) vertretenen Idee verleiten, dass es weder heute noch in der Zukunft eine Möglichkeit für eine Annäherung der verschiedenen Positionen und Analysen gibt, die gegenwärtig existieren, für eine Annäherung also, die allein eine gemeinsame Kohärenz und Klarheit ermöglichen kann, die für jegliche Plattform für die Konstituierung einer vereinten Organisation unerlässlich ist.
Solch eine Herangehensweise ignoriert zwei wesentliche Elemente:
VII. Heute haben das Versinken des Kapitalismus in die akute Krise und das weltweite Wiedererwachen des Proletariats die Umgruppierung der Revolutionäre ganz akut auf die Tagesordnung gesetzt. All die Probleme, denen sich die Revolutionäre gemeinsam mit der Klasse in der Praxis stellen werden,
Doch auch wenn die Forderung nach Einheit und in erster Linie die Eröffnung von Debatten zwischen Revolutionären absolut notwendig sind, werden sie nicht mechanisch in die Realität übersetzt. Sie müssen mit einem wirklichen Verständnis dieser Notwendigkeit und einem militanten Durchsetzungswillen einhergehen. Jene Gruppen, die sich heute dieser Notwendigkeit nicht bewusst geworden sind und sich weigern, an dem Diskussions- und Umgruppierungsprozess teilzunehmen, sind verurteilt, der Bewegung Steine in den Weg zu legen und als Ausdrücke des Proletariats zu verschwinden, es sei denn, sie revidieren ihre Positionen.
VIII. All diese Erwägungen animieren die IKS zur Teilnahme an den Debatten, die sich im Rahmen der Mailänder Konferenz im Mai 1977 und der Pariser Konferenz im November 1978 entwickelt hatten. Weil die IKS die aktuelle Periode als eine Zeit des historischen Wiedererwachens der Arbeiterklasse analysiert, misst sie diesen Bemühungen eine solche Bedeutung bei, verurteilt vehement dieses sektiererische Verhalten der Gruppen, die solche Anstrengungen vernachlässigen oder ablehnen, und betrachtet dieses sektiererische Verhalten an sich als eine politische Position, deren Auswirkungen die kommunistische Bewegung behindern. Die IKS schätzt daher diese Diskussionen als ein sehr wichtiges Element im Umgruppierungsprozess der revolutionären Kräfte, der zu ihrer Vereinigung in der Weltpartei des Proletariats, jener essentiellen Waffe im revolutionären Kampf der Klasse, führen wird.
Die spanischen Kollektive von 1936 wurden von den Anarchisten als das perfekte Modell der Revolution dargestellt. Ihrer Auffassung gemäß ermöglichten die Kollektive die Arbeiterselbstverwaltung der Wirtschaft, bedeuteten die Abschaffung der Bürokratie, steigerten die Arbeitseffizienz und waren – „Wunder über Wunder“ - „das Werk der Arbeiter selbst… allzeit von den Libertären angeführt und orientiert“ (in den Worten von Gaston Leval, einem kompromisslosen Vertreter des Anarchismus und der CNT).
Aber die Anarchisten sind nicht die einzigen, die uns das „Paradies“ der Kollektive anpreisen. Heribert Barrera - 1936 ein katalonischer Republikaner, heute Parlamentsabgeordneter im Cortes - lobt sie als „ein Beispiel der Mischwirtschaft, die sowohl die Freiheit als auch die menschliche Initiative respektiert“ (!!!),während uns die Trotzkisten der POUM erzählen, dass „das Werk der Kollektive der spanischen Revolution im Vergleich zu der russischen Revolution einen viel tieferen Charakter verliehen hatte“. G. Munis und die Genossen des FOR (Fomente Obrero Revolucionario) machen sich Illusionen über den „revolutionären“ und „tiefgründigen“ Charakter der Kollektive.
Was uns angeht, so sehen wir uns einmal mehr gezwungen, den Spielverderber zu spielen; die Kollektive 1936 waren kein Mittel der proletarischen Revolution, sondern ein Instrument der bürgerlichen Konterrevolution; sie waren nicht die „Organisation der neuen Gesellschaft“, sondern der letzte Ausweg der alten Gesellschaft, die sich mit aller Brutalität verteidigte.
Wir versuchen hier nicht, unsere Klasse zu demoralisieren. Im Gegenteil, die beste Art, sie zu entmutigen, ist, sie für falsche Revolutionsmodelle kämpfen zu lassen. Die Grundbedingung für den Sieg ihrer revolutionären Bestrebungen besteht in der vollständigen Befreiung von allen falschen Modellen, von allen falschen Paradiesen.
Was waren die Kollektive?
1936 erlebte Spanien, das von der Wirtschaftskrise, die den Weltkapitalismus seit 1929 erschüttert hatte, völlig überwältigt wurde, besonders schwere Erschütterungen.
Jedes nationale Kapital litt unter drei Arten gesellschaftlichen Aufruhrs:
In Spanien 1936 wirkten diese drei Erschütterungen mit einer bestialischen Intensität zusammen, was den spanischen Kapitalismus in eine extreme Lage versetzte.
Erstens führte das spanische Proletariat - das im Gegensatz zu seinen europäischen Klassenbrüdern noch nicht geschlagen war – einen kraftvollen Kampf gegen die Ausbeutung, der von einer außergewöhnlichen Eskalation in Gestalt von Generalstreiks, Revolten und Aufständen gekennzeichnet war, die die herrschende Klasse in Alarmstimmung versetzte.
Zweitens verschärften sich die internen Konflikte der herrschenden Klasse nahezu täglich. Eine rückständige Wirtschaft, die von einem enormen Ungleichgewicht zerrissen und daher von der Weltwirtschaftskrise mit viel größerer Intensität verspeist wurde, war der beste Nährboden für den Ausbruch von Konflikten zwischen der Bourgeoisie der Rechten (Großgrundbesitzer, Finanziers, das Militär, die Kirche – alle unter Franco vereint) und der linken Bourgeoisie (Industrielle, städtischer Mittelstand, Gewerkschaften usw., die von der Republik und der Volksfront angeführt wurden).
Schließlich wurde der spanische Kapitalismus aufgrund seiner Instabilität zu einer leichten Beute für den imperialistischen Heißhunger, der, von der Krise angetrieben, immer neue Märkte und neue strategische Positionen auf dem Weg zur Vorherrschaft benötigte. Deutschland und Italien hatten in Franco ihren Faustpfand und versteckten sich hinter der Maske der „Tradition“ und des „Kreuzzuges gegen den atheistischen Kommunismus". Russland und die Westmächte - damals noch verbrüdert - fanden in der Republik und der Volksfront ihre Bastion, die sich hinter dem Schleier des „Antifaschismus“ und des „revolutionären Kampfes“ verbarg.
Unter diesen Begleitumständen brach am berühmten 18. Juli 1936 Francos Revolte aus, die für die Arbeiterklasse den Höhepunkt der Überausbeutung und der Repression darstellte, welche seit 1936 von der Republik initiiert worden war. Die Reaktion der Arbeiterklasse erfolgte unmittelbar und gewaltig: Generalstreik, Aufstand, Bewaffnung der Massen, Enteignung und Besetzung von Betrieben.
Vom ersten Augenblick an versuchten alle Kräfte der linken Bourgeoisie, von den republikanischen Parteien bis zur CNT, die Arbeiter in die Falle des „antifaschistischen“ Kampfes zu locken und in dieser Falle die Betriebsenteignungen in einen Selbstzweck umzuwandeln, damit die Arbeiter die Arbeit wieder aufnehmen, im illusorischen Glauben, dass die Unternehmen ihnen gehörten, dass sie „kollektiviert“ seien.
Aber die Tage des Juliaufstands zeigten der Gesellschaft, dass sich der Kampf der Arbeiter nicht nur gegen Franco, sondern auch gleichzeitig gegen den republikanischen Staat richtete. Die Arbeiter streikten, enteigneten die Unternehmen und bewaffneten sich als autonome Klasse, um gegen die Gesamtheit des kapitalistischen Staates, d.h. sowohl gegen den frankistischen als auch gegen den republikanischen Staat, eine Offensive zu beginnen. Um den aufständischen Streik erfolgreich durchzuführen, konnten sich die Arbeiter nicht mit den Enteignungen und der Bildung von Milizen zufriedengeben, sondern mussten gleichzeitig neben der frankistischen Armee auch alle republikanischen Kräfte (Azana, Companys, KP, CNT usw.) und anschließend den kapitalistischen Staat vollständig zerstören, um auf dessen Trümmern die Macht der Arbeiterräte aufzubauen.
Indessen lag der Schlüssel für das Scheiterns des Proletariats und seiner Rekrutierung für die Barbarei des Bürgerkriegs in der Tatsache, dass es den republikanischen Kräften - allen voran die CNT und die POUM - gelang, die Arbeiter vom entscheidenden Schritt abzuhalten - die Zerstörung des kapitalistischen Staates - und sie in die „Kollektivierung der Wirtschaft“ und den „antifaschistischen Kampf“ einzusperren.
Den katalonischen Nationalisten, der Volksfront und vor allem der CNT gelang es, die Arbeiter in die schlichte Enteignung der Unternehmen einzuschließen, indem sie diese Aktionen als „revolutionäre Kollektive“ etikettierten. Da sie innerhalb des kapitalistischen Staates verblieben und diesen unberührt ließen, wurden diese Aktionen nicht nur unbrauchbar für die Arbeiter, sondern auch zu einem Mittel für ihre Überausbeutung und Kontrolle durch das Kapital.
„Da die Staatsgewalt intakt blieb, konnte die Generalitat Kataloniens die von den Arbeitern vorgenommenen Enteignungen in aller Ruhe legalisieren und in den Chor all der 'Arbeiterströmungen' mit einstimmen, die die Arbeiter mit den Mystifikationen der Enteignung, der Arbeiterkontrolle, der Landaufteilung, der Säuberungen getäuscht hatten. Diese 'Arbeiterströmungen' bewahrten aber gleichzeitig ein kriminelles Schweigen über die nicht so offen auftretende, in der Realität aber furchtbar wirksame Existenz des kapitalistischen Staates. Aus diesem Grund blieben die von den Arbeitern vorgenommenen Enteignungen im Rahmen des kapitalistischen Staates integriert.“ (Bilan)
Somit sehen wir, dass die CNT, die nie zu den spontanen Streiks des 19. Juli und auch nicht zur Bewaffnung der Arbeiter aufgerufen hatte, nun unter dem Vorwand, dass die Unternehmen bereits „kollektiviert“ seien, umgehend zur Beendigung des Streiks und zur Wiederaufnahme der Arbeit aufrief, mit anderen Worten, sich dem Angriff der Arbeiter gegen den kapitalistischen Staat entgegenstellte. In seinem Buch „Libertäre Kollektive in Spanien“ äußert sich Gaston Leval auf folgende Weise: „Zu Beginn des faschistischen Angriffs wurde die Bevölkerung durch den Kampf und den Alarmzustand fünf oder sechs Tage lang mobilisiert; danach gab die CNT die Order aus, die Arbeit wiederaufzunehmen. Den Streik zu verlängern wäre gegen die Interessen der Arbeiter selbst gewesen, die die Verantwortung für die Situation übernahmen“.
Die schönen „libertären“ Kollektive, die gemäß der POUM eine „tiefere Revolution als die russische“ waren, rechtfertigten die Rückkehr zur Arbeit, das Ende des revolutionären Aufstands, die Unterwerfung der Arbeiter unter die Kriegsproduktion. Unter den damaligen Umständen des Aufruhrs und des extremen Zusammenbruchs des kapitalistischen Gefüges waren die Kollektive mit ihrer radikalen Fassade das letzte Mittel, um die Arbeiter zur Arbeit zu bewegen und die Herrschaft der Ausbeutung zu retten, wie Osorio Gallardo, ein rechter monarchistischer Politiker, offen zugab: „Wir sollten unparteiisch urteilen. Die Kollektive waren eine Notwendigkeit. Der Kapitalismus hatte seine ganze moralische Autorität verloren, seine Herren konnten keine Befehle mehr erteilen, und die Arbeiter wollten auch nicht mehr gehorchen. In solch einer beängstigenden Situation konnte die Industrie entweder stillgelegt werden, oder die Generalitat übernahm sie, indem sie einen sowjetischen Kommunismus errichtete“.
Im Dienst der Kriegswirtschaft
Es ist lachhaft, wenn uns erzählt wird, dass die Kollektive ein Modell des „Kommunismus“, der „Arbeitermacht“ gewesen seien, eine „viel tiefere Revolution als die in Russland“. Die Unzahl von Informationen, von Tatsachen und Zeugnissen, die das Gegenteil beweisen, ist überwältigend. Betrachten wir diese einmal näher:
1. Eine ganze Reihe von Kollektivierungen wurde mit dem Einverständnis der Unternehmer selbst durchgeführt. Hinsichtlich der Kollektivierung der Schokoladenindustrie von Torrente (Valencia) schreibt Gaston Leval in dem oben zitierten Buch: „Motiviert von dem Wunsch nach Modernisierung der Produktion (?) sowie nach Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen (sic!), lud die CNT zu einer Versammlung am 1. September 1936 ein. Die Unternehmer wurden genauso wie die Arbeiter zur Teilnahme im Kollektiv eingeladen. Und alle stimmten darin überein, sich für die Organisierung der Produktion und des Lebens auf ganz neuer Grundlage zusammenzuschließen".
Diese „ganz neue Grundlage des Lebens“ hielt die Pfeiler des kapitalistischen Regimes aufrecht, wie z.B. im Kollektiv der Straßenbahnen Barcelonas: Das Kollektiv „akzeptierte nicht nur, den Gläubigern der Gesellschaft die aufgenommenen Kredite zurückzuzahlen, sondern verhandelte sogar mit den Aktionären, die auf einer Aktionärsversammlung einbestellt wurden“ (ebenda).
War dies die tiefgreifende Revolution: die alten Schulden und die Interessen der Aktionäre zu respektieren? Eine seltsame Art, die Produktion und das Leben auf ganz neue Grundlagen zu organisieren!
2. Die Kollektive spielten den Gewerkschaften und den bürgerlichen politischen Parteien beim Wiederaufbau der kapitalistischen Wirtschaft in die Hände:
Wie daraus ersichtlich wird, ging kein Pfennig der Gewinne an die Arbeiter, aber das macht ja nichts! Gaston Leval rechtfertigt dies mit dem größten Zynismus: „Man kann sich mit gutem Grund fragen, warum die Gewinne nicht unter den Arbeitern aufgeteilt werden, die den Gewinn erarbeitet haben. Darauf antworten wir: weil diese Gewinne für Zwecke der gesellschaftlichen Solidarität reserviert sind“. „Gesellschaftliche Solidarität“ mit der Ausbeutung, mit der Kriegswirtschaft, mit der schrecklichsten Armut!
3. Die Kollektive rührten das ausländische Kapital nicht an, „um die befreundeten Länder nicht zu verärgern“, wie die POUM sagt. Wir übersetzen dies: um sich den imperialistischen Mächten zu unterwerfen, die die republikanische Bande unterstützten. Welch eine fabelhafte und tiefgreifende Revolution!
4. Die Organe, die die Kollektive zur Welt brachten und führten (Gewerkschaften, politische Parteien, Komitees) waren völlig in den kapitalistischen Staat integriert: „Die Fabrikkomitees und die Kontrollkomitees der enteigneten Betriebe verwandelten sich in Organe zur Aktivierung der Produktion, und aus diesem Grund wurde ihr Klassencharakter unkenntlich gemacht. Bei diesen Komitees handelte es sich nicht um Organe, die im Verlauf des aufständischen Streiks für die Zerstörung des Staates geschaffen worden waren, sondern um Organe, die auf die Kriegsproduktion orientiert waren, eine grundlegende Bedingung dafür, um das Überleben und die Verstärkung des besagten Staates zu erlauben.“ (Bilan)
Und was die Parteien und die Gewerkschaften betrifft, so kann man sagen, dass nicht nur die Kräfte der Volksfront, sondern auch die eher „basisbezogenen“ und „radikalen“ Organisationen in den Staat integriert waren: Die CNT beteiligte sich am Wirtschaftsrat Kataloniens mit vier Delegierten, an der Regierung der Generalitat Kataloniens mit drei Ministern und an der Zentralregierung Madrids mit drei weiteren Ministern. Aber sie beteiligte sich nicht nur in vollem Ausmaß an der Spitze des Staates, sondern auch an der Basis dieses Staates, von Dorf zu Dorf, von Betrieb zu Betrieb, von Stadtviertel zu Stadtviertel. Das republikanische Spanien hatte Hunderte von „libertären“ Bürgermeistern, Stadträten, Verwaltungschefs, Polizeichefs, Offizieren usw. gekannt.
Aber diese Kräfte sind nicht nur aufgrund ihrer direkten Teilnahme innerhalb des Staates integraler Bestandteil desselben. Es ist die Gesamtheit der von ihnen vertretenen Politik, die sie zu Fleisch und Blut der kapitalistischen Ordnung machte. Jene Philosophie, die die Aktionen der Kollektive ständig hemmte, war die antifaschistische Einheit, die die Opfer der Arbeiter an der militärischen Front und die Überausbeutung an der Heimatfront rechtfertigte. Gaston Leval erklärt uns unmissverständlich diese Politik, die u.a. von der CNT verfolgt wurde: „Wir mussten jene so beschränkten und trotzdem beachtlichen Freiheiten verteidigen, die von der Republik repräsentiert wurden“. Gaston Leval „vergisst“ die „beachtliche Freiheit“ der Arbeiter, die von der republikanischen Repression gegen Arbeiterstreiks verkörpert wurde (erinnert sei an Casas Viejas, Alto Liobregat, Asturien etc.) „Es handelte sich nicht darum, den libertären Kommunismus einzuführen, auch nicht um eine Offensive gegen den Kapitalismus, den Staat oder die politischen Parteien; es war der Versuch, den Triumpf des Faschismus zu verhindern." (Gaston Leval)
Warum zum Teufel kritisieren dann die CNT, die Anarchisten und Co. die spanische KP, wenn ihr Programm genau das gleiche war: nämlich die Verteidigung des Kapitalismus hinter dem Humbug des Antifaschismus?
5. Der „revolutionäre, antikapitalistische und libertäre“ Charakter der Kollektive wurde vom kapitalistischen Staat praktischerweise gutgeheißen, der sie mit dem Kollektivierungsdekret (24. Okt. 1936) anerkannte und sie mittels der Konstituierung des Wirtschaftsrates koordinierte. Und wer unterzeichnete beide Dekrete? Herr Tarradellas, heute brandneuer Präsident der Generalitat Kataloniens!
Wir sind zu der Schlussfolgerung gezwungen, dass die Kollektive nicht einmal ein Minimalangriff gegen die bürgerliche Ordnung waren, sondern eine Form, welche sich die Bourgeoisie zu eigen machte, um die Wirtschaft zu reorganisieren und um die Ausbeutung aufrechtzuerhalten in einem Augenblick äußerster gesellschaftlicher Spannungen und einer enormen Radikalisierung der Arbeiter, die es ihr nicht erlaubte, zum Gebrauch traditioneller Methoden zu greifen. „Angesichts des Aufruhrs in der Klasse kann der Kapitalismus nicht einmal daran denken, Zuflucht zu den klassischen Methoden der Legalität zu nehmen. Was ihn bedroht, ist die UNABHÄNGIGKEIT des proletarischen Kampfes, die die Bedingung für die nächste revolutionäre Epoche ist, die zur Abschaffung der bürgerlichen Herrschaft führt. Daher muss der Kapitalismus das Netz seiner Kontrolle über die Ausgebeuteten enger knüpfen. Die Maschen dieses Netzes, die vormals die Staatsverwaltung, die Polizei, die Gefängnisse waren, verwandelten sich in der extremen Lage von Barcelona in Milizkomitees, vergesellschaftete Industrien, Arbeitergewerkschaften, Wachmannschaften, etc." (Bilan)
Die Implantierung der Kriegswirtschaft
Nachdem wir das Wesen der Kollektive als kapitalistisches Instrument ausgemacht haben, beginnen wir ihre Rolle zu erkennen. Sie sollten eine drakonische Kriegswirtschaft innerhalb des Proletariats installieren, die die enormen Kosten erleichtern und Ressourcen in Anspruch nehmen sollte, welche der imperialistische Krieg in Spanien von 1936-39 erforderlich machte.
Kurz, die Kriegswirtschaft bedeutete dreierlei:
Das Feigenblatt der Kollektive ermöglichte der Bourgeoisie, den Arbeitern eine militärische Arbeitsdisziplin, die Verlängerung des Arbeitstages und unbezahlte Überstunden aufzuzwingen.
Ein bürgerlicher Journalist schilderte entzückt die in der Ford-Fabrik herrschende „Atmosphäre“: „Es gab weder Kommentare noch Kontroversen. Zuerst kam der Krieg und für ihn galt es zu arbeiten und endlos zu arbeiten (...) Optimistisch und zufrieden, wie sie waren, machte es ihnen nichts aus, dass ihr Komitee - aus Arbeitergenossen wie sie zusammengesetzt - strenge Anweisungen erteilte und mehr Arbeitsstunden anordnete. Was wichtig war, war der Sieg über den Faschismus.“
Die Statuten der Kollektive bestimmten eindeutig die Installation einer Militarisierung der Arbeit: „Artikel 24: Alle werden zur Arbeit ohne Zeitbegrenzung verpflichtet, um das Notwendige zum Nutzen des Kollektivs zu tun; Artikel 25: Jedes Kollektivmitglied ist verpflichtet, zusätzlich zu der ihm zugeteilten Arbeit Hilfe zu leisten, wo seine Hilfe gebraucht wird, d.h. bei allen dringenden oder unvorhergesehenen Arbeiten.“ (Jativa-Kollektiv, Valencia)
In den Kollektiv-„Versammlungen“ wurden mehr und mehr Kasernenmethoden „demokratisch“ erzwungen: „Es wurde beschlossen, eine Werkstatt zu organisieren, wo die Frauen arbeiten können, statt ihre Zeit auf der Straße tratschend zu verlieren (...) Schließlich wurde beschlossen, dass es in jeder Werkstatt eine Delegierte gibt, die es übernimmt, die weiblichen Lehrlinge zu kontrollieren, welche bei zweimaliger grundloser Abwesenheit ohne Einspruch entlassen werden können.“ (Tamarite-Kollektiv, Huesca)
Was die Rationierungen angeht, so erklärt eine katalanische Zeitschrift aus der damaligen Zeit, ohne rot zu werden, die „demokratische“ Methode, mit der sie den Arbeitern aufgezwungen wurden: „Im ganzen Land sind die Bürger verpflichtet, bei allem zu sparen, von den wertvollen Metallen bis hin zu Kartoffelschalen. Die öffentliche Gewalt verlangt dieses strenge Regime. Aber hier in Katalonien ist es das Volk, das sich vollkommen spontan, freiwillig und bewusst eine strenge Rationierung auferlegt.“
Das erste Gesetz des „ultra-revolutionären“ Rates von Aragon (mit Durruti und anderen Satrapen) lautet: „Für den Bedarf der Kollektive werden Rationierungskarten ausgegeben.“ Diese mit „revolutionären Mitteln“ durchgesetzten und „von den Bürgern bewusst akzeptierten“ Rationierungen bedeuteten eine unbeschreibliche Armut für die Arbeiter und die gesamte Bevölkerung. Gaston Leval gesteht ohne Scham ein: „In den meisten Kollektiven gab es fast immer Fleischmangel und vielfach selbst Kartoffelmangel." (ob.zit.)
Letztlich hatten die Kasernendisziplin, die von der Bourgeoisie hinter der Maske der Kollektive erzwungenen Rationierungen ein einziges Ziel: alle wirtschaftlichen und menschlichen Quellen dem blutgierigen Gott des imperialistischen Krieges zu opfern:
Die Kollektive: Instrumente der Überausbeutung
Am sichtbarsten wird das arbeiterfeindliche Wesen der unheilvollen anarchistischen „Kollektive“ in der Tatsache, dass es der republikanischen Bourgeoisie mit ihrer Hilfe gelang, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter auf ein unerträgliches Maß zu reduzieren:
Gerade die sog. „Arbeiterorganisationen“ (KP, UGT, POUM und vor allem die CNT) warben mit größtem Nachdruck für Überausbeutung und Verschlechterung der Lage der Arbeiter.
Peiro, ein Bonze der CNT, schrieb im August 1936: „Für die Bedürfnisse der Nation reicht die 40-Stunden-Woche nicht aus; tatsächlich ist nichts weniger angebracht.“
Die gewerkschaftlichen Anweisungen der CNT waren am „günstigsten“ für die Arbeiter: „Arbeiten, produzieren und verkaufen. Keine Lohnforderungen oder irgendwelche anderen Forderungen. Alles muss dem Krieg untergeordnet werden. In Produktionszweigen, die in direkter oder indirekter Verbindung mit dem antifaschistischen Krieg stehen, dürfen keine Forderungen hinsichtlich der Arbeitsgrundlagen gestellt werden, weder bezüglich der Löhne noch bezüglich der Arbeitszeit. Die Arbeiter können keine Extralöhne für die zugunsten des antifaschistischen Krieges geleisteten Überstunden verlangen und müssen die Produktion im Vergleich zum Zeitraum vor dem 19. Juli erhöhen.“
Die KP heulte: „Nein zu den Streiks im demokratischen Spanien! Kein fauler Arbeiter in der Nachhut!“
Natürlich dienten die Kollektive, das Instrument der „Arbeitermacht“ und der „Vergesellschaftung“ in den Händen des Staates, als Ausrede dafür, dass die Arbeiter die brutale Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen schluckten.
So geschehen im Kollektiv von Graus (Huesca): „Den Frauen wird kein Lohn für ihre Arbeit bezahlt, falls ihre Bedürfnisse durch das Einkommen der Familie gedeckt werden“. Im Kollektiv von Hospitalet (Barcelona): „Die Notwendigkeit außergewöhnlicher Anstrengungen berücksichtigend, werden wir auf die 5%ige Lohnerhöhung und auf die von der Regierung beschlossene Arbeitszeitverkürzung verzichten“. Päpstlicher als der Papst!
Schlußfolgerungen
Die traurige historische Erfahrung in Erinnerung zu rufen, die das spanische Proletariat durchmachte, den großen Schwindel der Kollektive zu brandmarken, mit denen es der Bourgeoisie gelungen war, das Proletariat zu täuschen, ist keine Frage für Intellektuelle und für die Gelehrten. Es ist eine lebenswichtige Notwendigkeit, um nicht wieder in die gleiche Falle zu tappen. Um uns zu besiegen und dazu zu bringen, Überausbeutung, Arbeitslosigkeit und andere Opfer zu schlucken, benutzt die Bourgeoisie Lügen: Sie kleidet sich als „Arbeiter“ und geriert sich als „Volksfreund“ (1936 machte sich die Bourgeoisie Schwielen an die Hände und zog sich als „Arbeiter“ an); die Fabriken wurden als „sozialisiert“ und „selbstverwaltet“ ausgegeben. Sie ruft zu jeder Art von Solidarität zwischen den Klassen hinter den Fahnen des Antifaschismus, der „Verteidigung der Demokratie“, dem „Kampf gegen den Terrorismus“ etc. auf. Sie vermittelt den Arbeitern den falschen Eindruck, „frei“ zu sein, die Wirtschaft zu „kontrollieren“ usw. Aber hinter so viel Demokratie, „Beteiligung“ und „Selbstverwaltung“ versteckt sich unangetastet, mächtiger und stärker denn je der bürgerliche Staatsapparat, um den herum sich die kapitalistischen Produktionsverhältnisse aufrechterhalten und immer verheerender mit all ihrer Bestialität wüten.
Heute, wo die fatalen Gesetze des altersschwachen Kapitalismus in den Krieg führen, ist das „Lächeln“, das „Vertrauen in die Bürger“, die „umfassendste Demokratie“ und die „Selbstverwaltung“ ein großes Theater, mit dessen Hilfe der Kapitalismus immer mehr Opfer, immer mehr Arbeitslosigkeit, immer größere Armut und immer mehr Blut auf den Schlachtfeldern einfordert. Aus Erfahrung wird man klug. Die „Kollektive“ von 1936 waren eines der arglistigsten Modelle, ein weiteres jener Paradiese, eine weitere jener schönen Illusionen, mit denen der Kapitalismus die Arbeiter in die Niederlage und in das Massaker stieß. Die Lehre aus diesen Ereignissen muss dem heutigen Proletariat dazu dienen, die Fallen zu umgehen, die das Kapital ihm stellt, um so vorwärtszuschreiten auf dem Weg zu seiner endgültigen Befreiung.
E.F. (aus: Accion Proletaria Nr. 20)