Gegen die Diktaturen und Demokratien : Nieder mit der Angst, es lebe der massive Kampf !

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Die Streiks, Kämpfe und Demos in Nordafrika gehen weiter !  Die Aufstände der unterdrückten Bevölkerung, der Studenten und Arbeiterstreiks haben sich auf viele andere Länder des afrikanischen Kontinentes und in den Nahen und Mittleren Osten ausgedehnt.  Gleichzeitig stellen die Kriege zwischen bürgerlichen nationalistischen Fraktionen und die imperialistische Politik der in dieser Region miteinander rivalisierenden und beteiligten Länder eine große Bürde dar. Eine tödliche Gefahr lauert für die unterdrückten Massen und die Arbeiterklasse in all diesen Ländern. Neben der demokratischen und nationalistischen Falle stehen sie vor einer immer brutaler und breiter werdenden Repression;  Maschinengewehre gegen die einen, Raketen und Bomben gegen die anderen. Aber die Betroffenen können nicht darauf verzichten, sich zu ernähren, in Würde zu leben, oder auf eine bessere Zukunft zu hoffen. All das treibt unsere Klassenbrüder- und Schwestern dazu, weiter zu kämpfen. Was kann und muss die Arbeiterklasse in den großen Industriezentren in Anbetracht dieser Lage machen? Der Kampf der Unterdrückten und der ArbeiterInnen in diesen Ländern ist auch unser Kampf. Die Armeen und die bürgerlichen Cliquen, die sie massakrieren, sind unsere gemeinsamen Feinde.

Ägypten, Algerien, Tunesien usw. : wenn die sozialen und Arbeiterkämpfe fortdauern

In Ägypten waren die Straße, die Entschlossenheit, der Wille der Arbeiterklasse stärker als die Regierung Mubaraks. Die Herrschenden glaubten, dass sie das Spiel gewonnen hätten: Der Tahrir-Platz, Zentrum des Kampfes, könne wieder für den Straßenverkehr freigegeben werden. Die Bevölkerung könne wieder in die Slums der ägyptischen Städte zurückkehren und weiter darben. Die provisorische Regierung nahm die Staatsgeschäfte unter Führung des Militärs in die Hand mit dem Versprechen späterer freier und demokratischer Wahlen. Aber am 23. März unterzeichnete der Premierminister Essam Sharaf mit Unterstützung der Armee ein Gesetz, das Streiks und Demonstrationen kriminalisierte. Hohe Geld- und Haftstrafen – das ist die Antwort der Herrschenden in Ägypten auf die Reihe von Forderungen, die weiter erhoben werden. Selbst das Eingreifen der Polizei und der Armee sowohl gegen die Streikenden als auch auf dem Gelände der Universität von Kairo konnte die Unzufriedenheit nicht eindämmen. Im Gegenteil: dieses Gesetz löste eine Welle von Protesten und Streiks aus. Am 12. April unterstrich die Tageszeitung Al-Masry Al-Youm, dass es „ständig Protestbewegungen in zahlreichen Gegenden Ägyptens gibt. Sie drehen sich um Lohnfragen, Arbeitsbedingungen, Arbeitsverträge usw. Diese Bewegungen haben verschiedene Branchen erfasst.“ In Alexandrien zum Beispiel fordern Lehrkräfte Festanstellungen. In Kairo haben Finanzbeamte Lohnerhöhungen gefordert. Sicher gibt es im Augenblick in Ägypten keine Massendemonstrationen mehr, aber die Wut der ArbeiterInnen und deren Kampfbereitschaft sind nicht verschwunden. Die von den Beschäftigten in den letzten Monaten erhobenen Forderungen bringen eindeutig deren Klasseninteressen als ArbeiterInnen zum Ausdruck, sie spiegeln aber auch die Illusionen in die Demokratie wider, die sich als eine große Fesseln erweisen. Sie wurden überall deutlich und in mehr als 500 Forderungsplattformen zum Ausdruck gebracht. Sie wurden in sechs Punkten zusammengefasst, die wir hier resümieren können:

1)       Umwandlung der Zeitverträge in Festanstellungen für die Beschäftigten, die länger als drei Jahre einen Job ausüben.

2)       Absetzung der Mitglieder des Verwaltungsrates der Institutionen und Banken, die sich an der Korruption beteiligten, bei der öffentliche Gelder veruntreut wurden.

3)       Aufhebung der willkürlichen Sanktionen seitens der Manager gegen Führungskräfte und ArbeiterInnen, welche die Haltung dieser Manager angeprangert haben; diese Sanktionen können von der Versetzung in eine andere Filiale bis hin zu Strafen wie Entlassungen reichen.

4)       Festlegung eines Mindestlohns und Reduzierung der Einkommensunterschiede; Garantie eines anständigen Lebensniveaus für die Beschäftigten, Koppelung der Löhne an die Preisentwicklung, auch an den Durchschnittsbeitrag für Versicherungen;

5)       Recht auf gewerkschaftliche, vom Staat unabhängige  Organisierung,

6)       Änderung der Arbeitsgesetzgebung, stabile Arbeitsbeziehungen, sichere Beschäftigungsverhältnisse, Begrenzung der Möglichkeiten willkürlicher Entlassungen durch die Arbeitgeber.

Das trifft ebenso auf Algerien zu. Seit einigen Monaten gibt es ständig Proteste. Am 3. April schrieb die Zeitung Al Watan: „Die Wut der Studenten nimmt nicht ab. Die Ärzte erheben Forderungen an Ould Abbès. Die Gemeindebeschäftigten drohen, den Präsidentenpalast zu umzingeln. Beschäftigte des Gesundheitswesens treten wieder in Streik“.  Im Erziehungswesen war ein dreitägiger landesweiter Streik vom 25. April an zur Rentenfrage angekündigt;  nachdem man zwei Tage zuvor gegen die Beschäftigten des Erziehungswesen  mit Repressionen vorgegangen war, als sie gegen ihre Arbeitsbedingungen protestierten. In Tunesien sind die Beschäftigten der Öl-Produzierenden Firma SNDP in den Streik getreten. Diese Bewegung hat sich auf viele Beschäftigte von Subunternehmen im ganzen Land ausgedehnt, in denen Hungerlöhne gezahlt werden. Sie schließen sich somit den Beschäftigten des Erziehungswesens an, die seit einigen Wochen im Kampf stehen. In anderen Ländern wie Swasiland, Gabun, Kamerun, Dschibuti, Burkina Faso wurden Studenten- und Arbeiterproteste, die von den Bewegungen in Ägypten und Tunesien inspiriert worden waren, in den meisten Fällen unterdrückt. In diesen Ländern ist die Arbeiterklasse zahlenmäßig sehr schwach, obwohl die verarmte Bevölkerung sehr entschlossen ist; aber die massive Repression gehört dort überall zur Tagesordnung.

 Syrien, Jemen, Bahrain, Libyen :  Die Entfesselung des imperialistischen Krieges an den Fetzen der sozialen Revolten

Während der jemenitische Oppositionssprecher am Montag, den 25. April, angekündigt hatte, dem Plan zur Überwindung der Krise, der durch den Golf-Kooperationsrat entworfen worden war, zuzustimmen, demzufolge der seit 32 Jahren im Amt befindliche Präsident Saleh innerhalb weniger Wochen zurücktreten würde,  reagierten die Menschen auf der Straße klar und ohne Umschweife:  „Wir verwerfen kategorisch jede Initiative, in der nicht der Rücktritt des Präsidenten und die Abreise seiner Familie vorgesehen sind“.  Dies erklärte die Koordination der Jugendbewegung, welche die Sit-ins auf dem Universitätsplatz in Sanaa koordiniert, in einem Kommuniqué. In dem Kommuniqué wird die Entschlossenheit der Protestierenden deutlich; „Die Opposition vertritt nur sich selbst“. Das Kommuniqué ruft dazu auf, „keinen Dialog mit dem Regime aufzunehmen, den unmittelbaren Rücktritt Salehs und dessen Verurteilung zu fordern.“ Das spricht Bände. Die Reaktion darauf war die gleiche. Montag schoss die Armee auf die Demonstranten während der Protestkundgebung in Taêz, in Ibb und Al-Baîdah. Die Familie Assad in Syrien verhält sich wie ein Bluthund. Seit dem 12. März kommt es immer wieder zu Erhebungen in vielen Teilen Syriens. Die Gründe sind die gleichen. Zunehmende Verarmung, alltägliche Repression – dagegen kämpft die unterdrückte Bevölkerung. Repression, Verschleppungen, Ermordungen – so lautet die Reaktion des finsteren Baschar al Assad. Man spricht von mehr als 600 Toten, seit der angeblichen Aufhebung des Kriegsrechts am 21. April sind viele Menschen  erschossen worden. Letzten Montag wurden mindestens 21 Menschen während des Trommelfeuers auf Daraa getötet, mehr als 3000 Soldaten belagern und terrorisieren mit Unterstützung von Panzern die Bevölkerung in der kleinen Stadt.

Während das Assad-Regime weiterhin ungehindert die Proteste niederschlagen lässt, kritisieren westliche Regierungen zwar scharf dieses Vorgehen. Aber man lässt das Regime letzten Endes ungestraft gegen die Protestierenden vorgehen. Ein militärisches Eingreifen kommt nicht in Frage. Die syrische Armee ist stärker gerüstet als die Libyens oder des Iraks vor einigen Jahren; Syrien nimmt gar eine wichtige Position auf dem imperialistischen Schachbrett ein. Bei seiner anti-amerikanischen Politik kann es auf Verbündete wie den Iran zählen – auch auf diplomatische Unterstützung Russlands und Chinas. Ein militärisches Eingreifen in Syrien würde die ganze arabisch-muslimische Welt destabilisieren; niemand könnte die Konsequenzen vorhersagen. Die imperialistischen Rivalen werden anders vorgehen müssen als in Libyen. Aber den Aufständischen in Syrien droht eine andere Gefahr. Die Assad-Regierung stützt sich auf religiöse Minderheiten wie die Alewiten, obwohl die Bevölkerung zu 70% aus Sunniten besteht. Weil es keine stärkere und bewusste Arbeiterklasse gibt, kann es leicht passieren, dass die unterdrückte und hungernde Bevölkerung in bürgerliche oder andere Flügelkämpfe hineingezogen wird. Dies könnte in einem wahren Bürgerkrieg ausarten, so wie in Bahrain. In diesem Emirat fordert  die Bevölkerung seit Wochen den Rücktritt des Premierministers  Khalifa ben Salman Al-Khalifa, der Onkel des Königs Hamad ben Issa Al-Khalifa. Die sunnitische Dynastie regiert seit ca. 200 Jahren das Königreich, dessen Bevölkerung mehrheitlich schiitisch ist. Wenn die Bevölkerung etwas zu Essen oder Redefreiheit fordert, kann dass schnell in eine allgemeine offene Protestbewegung gegen die regierende korrupte sunnitische Dynastie umschlagen. Der Repression vor Ort schlossen sich saudi-arabische Truppen an, die in das kleine Königreich einmarschierten, um das sunnitische Regime zu stützen. Die imperialistischen Spannungen zwischen dem Iran und seinen Nachbarn im Kooperationsrat (Saudi-Arabien, Bahrain, Vereinigte Arabische Emirate, Kuwait, Katar und Oman) haben zugenommen. Der Iran kritisiert seit Mitte März die Niederschlagung einer von Schiiten angeführten Bewegung, die dort die Bevölkerungsmehrheit stellt. Die totale Heuchelei der kriegführenden Mächte wie Frankreich, Großbritannien und USA, die gegenwärtig in Libyen ihre Bomben im Namen einer humanitären Intervention abwerfen, fällt sofort ins Auge. Kein Wort des Protestes seitens dieser imperialistischen Gangster. Die Massaker in Bahrain sind ihnen kein Dorn im Auge. Denn die Regierungen Saudi-Arabiens und Bahrains sind enge Verbündete. Der gemeinsame Feind heißt Iran. Die Bevölkerung, die mit Mut und Entschlossenheit gegen die Verhältnisse rebelliert, kann in diesem nationalistischen und imperialistischen Haifischbecken nichts gewinnen. Die Herrschenden in Ländern wie Ägypten, Tunesien oder Algerien haben größere Schwierigkeiten, dort repressiv vorzugehen; und die verschiedenen imperialistischen Rivalen stoßen ebenso auf größere Schwierigkeiten, dort ihre eigenen schmutzigen Interessen mit Waffengewalt zu verteidigen. Der Unterschied ist darauf zu zurückzuführen, dass es in diesen Ländern eine Arbeiterklasse gibt, die zwar nicht die Führung der Revolten übernommen hat, deren Gewicht aber zu spüren ist. Aber unabhängig davon, welchen Preis die Unterdrückten im Augenblick für ihre Kämpfe zu zahlen haben, die Revolten und Arbeiterkämpfe sind nicht dabei abzuebben.

Von einer Barbarei zur nächsten

Jetzt stehen die großen Verteidiger der Menschenrechte, die Führer der Demokratie vor einem neuen humanitären Problem. Die Zunahme der Misere, die massive gewalttätige Repression in Nordafrika und im Mittleren Osten haben die Flüchtlingsströme anschwellen lassen. Viele wollen nach Europa flüchten. Man rechnet in der nächsten Zeit mit Hunderttausenden neuen Flüchtlingen. In den letzten Wochen sind schon 20.000 aus Tunesien in Italien angelandet, viele von ihnen mit dem Ziel Frankreich. Über 8000 strandeten in Lampedusa. Keine europäische Regierung will sie aufnehmen. Dabei sind viele von ihnen schon vorher im Meer ertrunken, an Hunger oder Kälte gestorben, bevor sie von einem Schiff der Küstenwacht oder einem Kriegsschiff aufgegriffen werden, die die Festung Europa schützen. Mittlerweile soll das Schengenabkommen teilweise außer Kraft gesetzt werden. Alle Länder Europas wollen sich – militärische Mittel eingeschlossen – den Massenansturm aus Nordafrika abwehren. Italien soll zunächst mal alleine mit ihnen zurechtkommen und sie ausweisen. Auf der einen Seite rechtfertigt man die Bombardierungen Libyens im Namen des humanitären Eingreifens, auf der anderen Seite verjagt und hetzt man die Flüchtlinge aus diesen Gebieten. Welch eine Bande von Heuchlern regiert uns!

Der internationale Klassenkampf ist das einzige Mittel gegen das nationalistische und demokratische Gift

Heute schlägt die Krise nicht nur in Nordafrika zu. In Asien, Amerika, Europa, überall kann man deren Auswirkungen spüren. In vielen Ländern nehmen die Proteste zu, wobei sich immer mehr Jugendliche beteiligen. Die Arbeiterklasse wehrt sich immer stärker gegen die Sparpolitik, welche die herrschende Klasse verordnet. Bei diesen Protesten merkte man eine wachsende Sympathie für die Revolten und Kämpfe, die sich in Ägypten, Tunesien und anderswo entfaltet haben. In den Zentren des Kapitalismus fängt die Arbeiterklasse langsam an zu spüren, dass die Revolten in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten die gleichen Ursachen haben, die die Arbeiter in China, den USA und Europa auf die Straße treiben. Aber das reicht nicht. Um sich zu verteidigen, die Angriffe der Kapitalisten abzuwehren, sind viel massivere Kämpfe nötig, die zusammenfließen müssen, als wir bislang gesehen haben. Nur wenn sich die Arbeiterklasse der entwickelteren Länder in Bewegung setzt, kann der mörderische Arm der Repression in Nordafrika und anderswo aufgehalten werden. Mehr als je zuvor benötigen die Unterdrückten und die ArbeiterInnen dieser Länder die aktive Unterstützung der Arbeiterklasse des Zentrums des Kapitalismus. Die Arbeiterklasse in Europa hat Erfahrung mit der bürgerlichen Demokratie. Jetzt bombardieren die Kräfte der internationalen Koalition wieder in Libyen, gleichzeitig werden Flüchtlinge abgeschoben. Sie sollen in ihren « Heimatländern » krepieren. Gleichzeitig sollen wir ihnen glauben, sie verfolgten nur humanitäre Ziele…

Ein viel massiverer Widerstand in den historischen Zentren des Kapitalismus, in Europa, und die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Demokratie ist unerlässlich. Tino, 28.4.11

(leicht gekürzter Artikel aus unserer Zeitung Révolution Internationale in Frankreich).

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