Nicht die Ausländer, das Kapital fällt uns zur Last

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Baut etwa eine Aktiengesellschaft oder der Staat eine neue Fabrik, so wird stets die Schaffung neuer Arbeitsplätze als Motiv dafür angegeben. Glaubt man den Behauptungen der Kapitalisten, so geschieht fast alles, was sie tun, im Interesse der Allgemeinheit, insbesondere zugunsten der von ihnen beschäftigten Arbeiter. Mit Ausbeutung und Plusmacherei hat das also nichts zu tun...

Ganz ähnlich tönt ihre unverfrorene Propaganda, wenn es um die Beschäftigung ausländischer Arbeiter in den Industriestaaten des Nordens geht. Dadurch haben nämlich die edlen "Arbeitgeber" Millionen Menschen aus den ärmsten Ländern einen neuen Wohlstand geschenkt, zugleich damit aber auch vielen deutschen Malochern, die "die Drecksarbeit nicht mehr machen wollten", neue Aufstiegsmöglichkeiten eröffnet. So sieht es in der heilen bürgerlichen Märchenwelt aus.

Fast meinen sie, daß es für die Arbeiterschaft aus Osteuropa, den Mittelmeerländern oder aus den 3. Welt-Staaten ein ungeheueres Privileg sein muß, sich hierzulande ausbeuten zu lassen. Und dieses angebliche Privileg macht man den Fremdarbeitern heute wieder zum Vorwurf. Sie werden beschimpft, "Einheimischen" die knappen Arbeitsplätze und den Wohnraum wegzunehmen und dem deutschen Steuerzahler zu Last zu fallen.

DIE "FREMDARBEITER" - EINE GOLDGRUBE FÜR DAS KAPITAL

Weit entfernt, der kapitalistischen Staatskasse der Industrieländer zur Last zu fallen, holt das Bürgertum der mächtigsten Länder schon seit Jahrzehnten gerade deshalb so gierig Fremdarbeiter zu sich, weil sie in der Regel SO GUT WIE KEINE SOLCHEN KOSTEN VERURSACHEN. Es handelt sich um ein besonderes Privileg der stärksten Fraktionen des Weltkapitals, ihre Kosten dadurch zu senken, daß sie einen Teil der Reproduktionskosten ihrer Arbeitskräfte anderen Ländern überlassen. Man importiert halt erst dann die Arbeiter, wenn sie bereits im arbeitsfähigen Alter sind.

Der ehemalige Chef des Reichsarbeitsamtes Friedrich Syrup urteilte bereits 1918 so:

"Es ist fraglos, daß die deutsche Volkswirtschaft aus der Arbeitskraft der im besten Alter stehenden Ausländer einen hohen Gewinn zieht, wobei das Auswanderungsland die Aufzuchtkosten bis zur Erwerbstätigkeit der Arbeiter übernommen hat. Von noch größerer Bedeutung ist jedoch das Abstoßen oder die verminderte Anwerbung der ausländischen Arbeiter in Zeiten wirtschaftlichen Niederganges."

Diese Vorteile wurden vor allem nach dem 2.Weltkrieg voll ausgeschöpft, da eine niedergeschlagene und durch das Kriegsgemetzel ausgeblutete Arbeiterklasse den Maßnahmen des Kapitals kaum noch widerstehen konnte. Außerdem fielen zwei Drittel der Weltwirtschaft unter die einheitliche Führung der USA, wodurch eine riesige, schier unerschöpfliche internationale Arbeitskraftreserve entstand. Das goldene Zeitalter der 'Gastarbeiter' brach für die Kapitalisten ganz Westeuropas an.

Weit entfernt davon, den einströmenden Arbeitern aus den unterentwickelten Gebieten einen neuen Anfang zu bieten, begegnete das Kapital des Nachkriegseuropas seine 'Gastarbeitern' mit Arbeitserlaubnissen von jeweils nur einem Jahr. Sie konnten quasi jederzeit rausgeschmissen werden, und sie wurden es auch: nicht nur bei Geschäftsflauten, sondern auch so, damit sie bloß nicht anfingen, sich heimisch zu fühlen.

Nicht nur die "Aufzuchtkosten" und das Arbeitslosengeld sparte sich das Kapital damit, sondern auch die Krankenkassen- und Rentenauszahlungen. Zwar durften die "Gäste" kräftig in diese Kassen einzahlen. Aber sie kriegten daraus so gut wie nichts zurück, da sie abgeschoben wurden, sobald sie älter oder krankheitsanfälliger wurden. Es war wohl einer der größten Betrugsfälle der Weltgeschichte - was das Bürgertum natürlich nicht daran hinderte, endlos über die Kosten der Bewirtung der 'Gastarbeiter' zu heulen.

Wie radikal der Staat sich der "Aufzuchtkosten" dieses Teils der Arbeiterklasse entledigte, zeigte die Tatsache auf, daß in der Bundesrepublik Mitte der 60er Jahre über 90% der ausländischen Arbeiter im besten Schaffensalter waren - überwiegend allein stehende Männer. 1961 waren über 80% aller in der BRD lebenden Ausländer erwerbstätig - bei der deutschen Bevölkerung 47%. Im Klartext: es waren so gut wie keine Kinder oder Rentner dabei.

Genauso wie die Staatskasse belasteten die Fremdarbeiter damals den heimischen Arbeits- und Wohnungsmarkt. Bei der Rezession 1967 etwa wurden 400.000 davon gleich hinausgeworfen. Arbeiter in Betriebsunterkünften verloren mit ihrem Job direkt auch das Dach überm Kopf und mußten damit auch schon vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gehen.

1962 wohnten zwei Drittel der neuangeworbenen Fremdarbeiter in Gemeinschaftsunterkünften. Andere wohnten in denselben Baracken, die seit den 30er Jahren der Reihe nach, von Reichsarbeitsdienstkolonnen, Zwangsarbeitern, 'Displaced Persons' und Vertriebenen bevölkert wurden. Damals wimmelte es sogar in der bürgerlichen Presse von Berichten über die empörende Wohnlage der Ausländer, die stark an die Berichte erinnern, die Marx im 'Kapital' über die Situation des Englands der industriellen Revolution zitierte. Ein damaliger Bericht aus Düsseldorf :

"Ein paar Straßen weiter befindet sich das zweite Ziel der Razzia, eine Baracke... Hundert Südländer führen hier ein trauriges Dasein... übereinander und eng zusammengerückt stehen die Betten: alle Männer liegen schon, obwohl es gerade erst halb Neun ist. Aber was sollen sie in diesem Loch anders anfangen?"

Die Erstellung von Wohnräumen war der einzige ins Gewicht fallende Kostenfaktor der superbiligen 'Gastarbeiter' für die Unternehmer. Natürlich waren sie nicht bereit dafür aufzukommen.

Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre bahnte sich folgendes an : die Gastarbeiter richteten sich häuslich ein, holten ihre Familien nach, und bekamen auch immer längere Aufenthaltserlaubnisse. Es war ein ganz normaler Prozess. Ein Teil dieser Arbeiter ist für das westeuropäische, japanische usw. Kapital einfach unentbehrlich geworden. Die Unternehmer selber sträubten sich dagegen, immer wieder neue Leute einarbeiten zu müssen, während die bereits eingeübten heimgeschickt wurden - zu kostspielig; Produktionsabläufe kamen durcheinander. Außerdem war etwas anderes, von enormer Bedeutung passiert - in ganz Westeuropa beteiligten sich die 'ausländischen' Arbeiter voll und ganz an der mächtigen Flut von Arbeiterkämpfen zwischen 1968-72, die das Ende der kapitalistischen Konterrevolution und der Friedhofsruhe im Klassenkampf signalisierte. Das Kapital konnte sich gegenüber der Arbeiterklasse, egal welcher Herkunft, nicht mehr einfach alles erlauben.

Dies alles bedeutet aber, daß das heimische Kapital auch für diese Arbeiter die stinknormalen Reproduktionskosten übernehmen mußte. Das Gejammer war natürlich groß.

"Der nicht integrierte, auf sehr niedrigem Lebensstandard vegetierende Gastarbeiter verursacht relativ geringe Kosten von vielleicht 30.000 DM. Bei Vollintegration muß jedoch eine Inanspruchnahme der Infrastruktur von 150.000 bis 200.000 DM je Arbeitnehmer angesetzt werden. Hier beginnen die politischen Aspekte des Gastarbeiterproblems".

('Mehr Auslandsinvestitionen - weniger Gastarbeiter', Handelsblatt 23.01.1971)

Da waren sie wieder, die schrecklichen "Aufzuchtkosten"! Aber auch jetzt kam das Kapital nur zum Teil dafür auf. Zusätzliche Wohnungen für die hinzuziehenden Familien der seit Jahren besonders profitabel ausgebeuteten "Südländer" wurden beispielsweise gar nicht gebaut. Stattdessen gibt man heute den Ausländern die Schuld an der Wohnungsnot.

Obwohl damals die große Zeit der 'Gastarbeiter' mit dem Aufflammen der Krise am Ende des Nachkriegswiederaufbaus zu Ende ging (die Ausländeranzahl dagegen ging nicht zurück, weil die Frauen und Kinder jetzt hinzukamen), verzichtete das Bürgertum nicht auf die alte Beschimpfung 'Gastarbeiter' ("die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland"), um damit zu versuchen, die Absonderung verschiedener Teile der Arbeiterklasse voneinander aufrechtzuerhalten, und um die Möglichkeit zu behalten, einen Teil dieser Arbeiter doch noch hinauszuwerfen - was unter Schmidt Mitte der 70er Jahre auch im großen Stil geschah.

Außerdem verzichtet das Kapital der Industriestaaten auch in Krisenzeiten nicht auf die Vorteile, bereits "aufgezüchtete" Arbeiter aus anderen Ländern zu holen. Die Aussiedler und Asylanten sind heute in dieser Hinsicht das, was die 'Gastarbeiter' der Nachkriegsjahre waren.

Also: Nicht die 'Gastarbeiter', Aussiedler und Asylanten nehmen 'uns' Wohnraum und Arbeitsplätze weg - sondern das Kapital. Dieses verfaulende System ist immer weniger imstande, Arbeitern (egal welcher Herkunft) überhaupt solche minimalen Lebensgrundlagen zur Verfügung zu stellen.

Falkenhayn

 

PS: Das für diese Nummer versprochene Kapitel über die internationale Auswanderung von Arbeitern heute im Vergleich zum vorigen Jahrhundert erscheint stattdessen in der nächsten Ausgabe.