Ankündigung einer Buchveröffentlichung: Dietmar Lange: Revolution und Massenstreik – Berlin im März 1919

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Proletarische Revolutionen in entwickelten kapitalistischen Industriegesellschaften, wie sie noch von Karl Marx erwartet wurden, scheinen heute ein Anachronismus zu sein. Gerne wird hier die Russische Revolution als historischer Gegenbeweis angeführt. Dabei lässt sich diese jedoch auch als Ausläufer einer ganzen Epoche aufsteigender internationaler Klassenkämpfe einordnen, die mit den Revolutionen im Zuge des Ersten Weltkrieges ihren Höhepunkt erreichten. Friedrich Engels schrieb bereits 1887 mit Blick auf den drohenden Krieg in Europa: „Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen; rettungslose Verwirrung unsres künstlichen Getriebs in Handel, Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankerott; Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, daß die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich findet, der sie aufhebt; absolute Unmöglichkeit, vorherzusehn, wie das alles enden und wer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen wird; nur ein Resultat absolut sicher: die allgemeine Erschöpfung und die Herstellung der Bedingungen des schließlichen Siegs der Arbeiterklasse.“[1]

 

In der Tat stellten die Verwerfungen des Krieges in allen Ländern die an ihm teilgenommen hatten, die Bedingungen für vielfältige soziale Unruhen, Massenstreiks und Revolutionen her, zeigten aber auch die Grenzen der alten Arbeiterbewegung auf. Ein besonders symptomatisches Beispiel hierfür ist die Revolution von 1918/19 in Deutschland, eines der am stärksten industrialisierten Länder in Europa mit der größten sozialistischen Massenpartei und Gewerkschaftsbewegung.

Zumeist wird mit Verweis auf die anfänglich dominante Position der im Krieg kollaborierenden Mehrheitssozialdemokratie und die schnelle Niederlage revolutionärer Kräfte im „Spartakusaufstand“ vom Januar 1919, ein sozialrevolutionärer oder gar „sozialistischer“ Charakter der Revolution abgesprochen. Bisher weniger beachtet wird dabei jedoch eine breite Streikbewegung im Frühjahr 1919, welche die industriellen Zentren in Deutschland erschütterte. Getragen wurde sie von den im November 1918 entstandenen Arbeiterräten, welche als Organisationsformen proletarischer Selbstermächtigung revitalisiert wurden. Erstmals erhielten dabei Sozialisierungsforderungen einen zentralen Stellenwert in der Bewegung und drückten damit die eigentliche sozialrevolutionäre Komponente der Revolution aus. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Bewegung im Generalstreik vom März 1919 in Berlin, der schließlich im bis dahin größten Blutbad, durch Freikorps und sozialdemokratische Führungsebene, ertränkt wurde.

In „Massenstreik und Schießbefehl“ werden diese Ereignisse in Berlin vom März 1919 unter Auswertung der verfügbaren Quellen rekonstruiert. Dabei geht es vor allem um eine Analyse der Streikbewegung auf lokaler Ebene und ihrer Verknüpfung mit der Berliner Rätebewegung seit November 1918. Die Hauptthese besteht darin, dass sich in der Streikbewegung vom Frühjahr 1919 die sozialrevolutionären Erwartungen der Arbeiter und Soldaten vom November 1918 nun gegen die neuen parlamentarischen Institutionen und die alte sozialdemokratische Parteiführung ausdrückten. Der politische Radikalisierungsprozess vollzog sich allerdings parallel zur Restauration  bürgerlicher und monarchistischer Kräfte in Heer und Verwaltung und traf daher bei seiner Eruption auf eine bestens vorbereitete Gegenrevolution. Dennoch bestand, so die These, für einen kurzen Zeitraum die Möglichkeit die gegenrevolutionäre Entwicklung aufzuhalten oder wieder in die Richtung einer sozialrevolutionären Perspektive zu lenken. Die Bedingungen hierfür und die Gründe für das Scheitern dieser Möglichkeiten sind der Gegenstand des Buches.

 

Titel: Dietmar Lange, Massenstreik und Schießbefehl. Generalstreik und Märzkämpfe in Berlin 1919, Edition Assemblage, Münster 2012.



[1]Friedrich Engels, Einleitung zu Sigismund Borkheims Broschüre "Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten. 1806-1807", in: Karl Marx; Friedrich Engels, Werke, Band 21, 5. Auflg., Berlin 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 346-351, Zitat S. 351. 

 

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