Die ‚rätistische‘ Gefahr

Die IKS hat immer das Prinzip vertreten, ihre eigenen internen Debatten nach Außen hin von dem Zeitpunkt an zu veröffentlichen, wenn eine ausreichende Klärung eingetreten war, damit der gesamte Standpunkt der Organi­sation zum Ausdruck gebracht werden konnte. Die theo­retischen und politischen Debatten sind nicht für das interne Leben reserviert, genausowenig dienen sie ausschließlich der Reflexion. Eine revolutionäre Organi­sation, die diesen Namen verdient, verwirft ebenso sehr den Monolithismus, der die Debatten einschränkt und erdrückt, wie die Wortklauberei der Studierzirkel. Als militante Organisation des Proletariats faßt sich die Organisation der Revolutionäre als einen politischen Körper auf, der von der Klasse hervorgebracht wird, die sich nicht nur für den theoretischen und politischen Kampf der Organisation interessiert, sondern auch daran teilnimmt. Die Debatten in einer revolutionären Organisation dürfen kein Geheimnis sein, denn eine revolutionäre Organisation hat in der Arbeiterklasse keine Geheimnisse zu verstecken. Eine Geheimpolitik war für die bakunistischen Sekten im 19. Jahrhundert typisch, aber sie entsprach nie der Politik der mar­xistischen Organisationen. Der "geheime" Charakter dieser Sekten führte unvermeidbar zu einer Politik der Manöver. Die geheimen Organisationen der Allianz der sozialistischen Demokraten Bakunins drückten in der I. Internationale eine außerhalb des Proleta­riats stehende Haltung aus.

Die marxistischen Organisationen haben immer in ihren Publikationen die bestehenden Divergenzen widergespie­gelt, um zur allgemeinen verschärften Bewußtwerdung des Proletariats bei seinem Kampf um seine Befreiung beizutragen. Die Bolschewisten - zumindest bis 1921 bis zum Verbot des Bestehens von Tendenzen in ihren Reihen, die KAPD und die Italienische Kommunistische Linke haben immer dieses Ziel verfolgt. Nicht um ir­gendwelche Standpunkte zu veröffentlichen (so wie die entarteten Rätekommunisten dies tun), die nur passiv zur Kenntnis genommen werden müßten, sondern um ent­schlossen die Debatten zu orientieren und abzugrenzen, damit die Praxis der Klasse so viele Fehler und Zögerun­gen überwindet.

Diese Funktionsweise der marxistischen Organisationen geht natürlich aus ihrer Funktion in der Klasse hervor: ein aktiver Bestandteil in der Praxis des Prole­tariats zu sein. Die IKS verwirft sowohl die "Meinungs­gruppen" der Rätekommunisten (die nur zum Eklektizis­mus und zur Auflösung der Organisation und zur Passi­vität führen), als auch die monolithischen Organisatio­nen des Bordigismus, deren internes Leben erdrückt und erstarrt wird durch das Verbot des Bestehens von Min­derheitspositionen. In beiden Fällen kann das Unverständ­nis der Funktion der Organisation nur zum Auseinanderbrechen führen. Das Verschwinden der größten rätekom­munistischen Organisationen, dann das Auseinanderfallen der Internationalen Kommunistischen Partei (IKP) sind das Ergebnis dieses Unverständnisses.

Die IKS ist nicht rätekommunistisch

Im Gegensatz zu den Behauptungen Battaglia Comunistas und der Communist Workers' Organisation, die seit kurzem die Errungenschaften der KAPD über Bord wirft und ihre bordigistischen "Sympathien" entdeckt, nachdem sie nur mit größter Mühe von der IKS aus dem rätekommunistischen libertären Sumpf "Solidaritys" gezo­gen wurde, stammt die IKS nicht aus dem Rätekommunismus. Sie ist gegen ihn entstanden. Die Existenz von Internacionalismo in Venezuela war möglich und hat sich gegen Ende der 60er Jahre durch einen theoreti­schen und politischen Kampf gegen die Rätekommunisten von "Proletario" (1) gebildet.

Die Gründung von Revolution Internationale (RI) in Frankreich fand statt, indem man bewies, daß eine mi­litante revolutionäre Organisation und damit eine Umgruppierung der revolutionären Gruppen in Anbetracht eines libertären rätekommunistischen Milieus, das da­mals besonders präsent war, absolut erforderlich war. Nach einigen anfänglichen Zögerungen, die Notwendig­keit der revolutionären Partei zu begreifen, hat seit dem RI immerfort die Bedeutung einer Ligagruppierung hervorgehoben, ohne die die Grundlagen der Partei nicht geschaffen werden können (2). Die Umgruppierung zwischen RI, der Organisation der Rätekommunisten von Clermont Ferrand und den "Cahiers du Communisme des Conseils" (Rätekommunistischen Heften) war keine räte­kommunistische Umgruppierung, sondern eine Umgruppie­rung auf der marxistischen Grundlage der Anerkenntnis der marxistischen Rolle der Organisation in der Klasse (dies fand 1972 statt, und war nach langen Diskussionen, die die rätekommunistischen Verwirrungen der Gruppen aus Clermont und Marseille überwinden halfen, möglich). Mangels einer organischen Kontinuität mit der Deutschen und Italienischen Linken war es damals unvermeidbar, daß die Gruppen, die nach den Ereignissen von 1968 auftauchten, nach den Haupterrungenschaften der Kommu­nistischen Linke zu suchen anfingen. In Anbetracht des Stalinismus und der Existenz der Extremen Linke und unter dem Einfluß des antiautoritären, alles in Frage stellenden Milieus litten sie unter den Auswirkungen der organisationsfeindlichen, die Bolschewisten ableh­nenden rätekommunistischen Ideologie. Gegenüber den Gruppen in Frankreich, dann in GB und in den USA (dann in der IKS nach 1975) hat RI eine unnachgiebige Arbeit gegen diese Ideologie bewerkstelligt, die die auf der Suche befindlichen Diskussionsgruppen beeinflußte, und die schließlich als eine Reaktion gegen den Stali­nismus die gesamte Geschichte der Arbeiterbewegung ver­warfen. Nachdem sie das proletarische Wesen der russi­schen Revolution im Januar 1974 anerkannt hatte, brach die Gruppe "World Revolution" mit dem Rätekommunismus. Das Gleiche trifft für "Internationalism" in den USA zu, die nach Diskussionen mit RI (Frankreich) und In­ternacionalismo (Venezuela) den gleichen Schritt vollzogen.

Sicher mußte die IKS bis in ihre Reihen hinein die bordigistischen Auffassungen ebenfalls bekämpfen, d.h. die Auffassungen hinsichtlich der Organisation, der Rolle der Partei und ihr Verhältnis zum Staat, der aus der Revolution hervorgeht (3). Seit der Bildung der Gruppe "Parti de classe" (Klassenpartei) 1972 bis hin zur Tendenz, die 1979 die GCI hervorbrachte, hat die IKS bewiesen, daß ihr Kampf gegen die falschen Organisationsauffassungen weder eine Regression zum Rätekommunismus noch ein Abgleiten zum Neo-Bordigis­mus à la Battaglia Communista und der CWO bedeutete. Unsere politischen und theoretischen Auseinandersetzungen in der Presse haben sich vor allem mit den Bordi­gisten und Neo-Bordigisten befaßt, weil das Verschwin­den des rätekommunistischen Milieus - das seinem Wesen nach organisationsfeindlich ist - der IKP das Feld überließ, die zudem einen Aufschwung nahm aufgrund ihrer opportunistischen Entwicklung. Die Entfaltung des "Bordigismus war, auf eine bestimmte Art der Preis, den das revolutionäre Milieu für das schrittweise Verschwinden der rätekommunistisch orientierten Gruppen bezahlen mußte, die in den Strudel der Verwir­rung hineingeraten und dort verschwunden waren. Aber andererseits wirkte der Bordigismus mit der IKP als wirkliche Abschreckung gegenüber neuen Elementen und entstehenden Diskussionsgruppen. Ihre Auffassung von der monolithischen Partei (die ihrer Terminologie zufolge "kompakt und mächtig" ist), die in der Revolution ihre Diktatur und ihren "roten Terror" ausüben sollte, hat dem Bild der Partei Schaden angetan. Unfähig das zu tun, was "Bilan" getan hatte, nämlich die Bilanz der Konterrevolution aufzustellen und daraus die Lehren für die Funktion und die Funktionsweise der Organisa­tion zu ziehen (die IKP zog es vor, mit den "Toten" und "Stalin Dialoge" zu führen (4)), hat die IKP und ihre bordigistischen Sprößlinge nur Wasser auf die organi­sationsfeindlichen rätekommunistischen Mühlen gegossen. Als Strömung verbreitet der Bordigismus die alten sub­stitutionistischen Auffassungen, die in der revolutio­nären Bewegung der Vergangenheit gängig waren. Die IKS hat diese Auffassungen immer bekämpft und wird dies wei­terhin tun. Die IKS befindet sich nicht auf der Seite der Rätekommunisten, weil diese zumindest auf theoreti­scher Ebene, denn auf organisierte politische Weise vermögen sie dies nicht zu tun, den Substitutionismus bekämpfen.

Die IKS ist in der Tat oft gezwungen gewesen, rätekom­munistische Fehler und Verwirrungen gar bis in unsere Reihen hinein zu bekämpfen. Als Reaktion gegen solche aktivistischen, die Arbeiter verherrlichenden Auffas­sungen, die sich vor allem in unserer Sektion in GB breit machten, war die IKS gezwungen, im Januar 1982 eine Außerordentliche Konferenz der gesamten Organi­sation einzuberufen, nicht um die Auffassung der IKS von der Funktion und der Funktionsweise der revolutio­nären Organisation neu zu schaffen, sondern sie einfach in Erinnerung zu rufen.

Leider kommen rätekommunistische Ideen weiterhin eher auf indirekte Weise - und dies ist umso gefährlicher - in unserer Organisation zum Ausdruck. So wurde Anfang des Jahres 1984 eine Debatte über die Rolle des Klas­senbewußtseins außerhalb der Zeiträume offener Kämpfe eröffnet. Zögerungen wurden damals offensichtlich, denen es schwer fiel, das Ende des Rückflusses nach Polen (1981-82) zu erkennen, die also das Wiederer­starken des Klassenkampfes im Herbst 1983 nicht scharf genug wahrnahmen. Dieser Wiederaufschwung verdeutlichte klar eine Reifung des Bewußtseins in der Klasse, die sich auf unterirdische Weise außerhalb der Zeiträume offener Kämpfe vollzog (5).

Obgleich diese Frage für die IKS nicht neu ist, haben wir in unserer Organisation eine Debatte über die Frage des Klassenbewusstseins eröffnet. Sie setzt auf militante Weise die in der Broschüre "Kommunistische Organisation und Klassenbewusstsein" angefangene Vertiefung fort. Die klassische Unterscheidung des Marxismus (6) wiederaufgreifend, unterscheidet die IKS die beiden Dimensionen des Bewusstseins: seine Tiefe und seine Ausdehnung. Auf diese Art will die IKS mehrere grundlegende Punkte verdeutlichen:

- die Kontinuität und die Entwicklung des Bewusstseins in der Klasse in seiner Ausdehnung und Vertiefung, die sich durch eine unterirdische Reifung ausdrückt und durch die Existenz eines kollektiven Bewusstseins erklärt werden kann;

- das Klassenbewusstsein hat notwendigerweise eine Form (politische Organisationen und die Einheitsorganisationen) und einen Inhalt (Programm und Theorie); sein höchst entwickelter, weil nie vollständig vollendeter Ausdruck sind die revolutionären Organisationen, die die Arbeiterklasse hervorbringt;

- dieses Bewußtsein reift nicht in den Reihen der Arbeiter als einzelne Individuen heran, sondern auf kollektive Weise. Es tritt nicht auf immediatistische, sondern auf historische Weise auf.

- im Gegensatz zu den größenwahnsinnigen Behauptungen der Bordigisten besitzt nicht die Partei alleine das Klassenbewußtsein. Es existiert notwendigerweise in der Klasse, denn wenn es dort nicht vorhanden wäre, könnte es keine revolutionären Organisationen geben.

- im Gegensatz zu der "ultra-demokratistischen" Dema­gogie der Rätekommunisten behauptet die IKS, daß der höchstentwickelte Ausdruck des Bewußtseins nicht die Arbeiterräte sind, - wo es sich nur sehr ungleichmäßig und mit vielen Fehlern behaftet entfaltet - son­dern die revolutionären politischen Organisationen, die der Ort sind, wo sich der gesamte Schatz der histo­rischen Erfahrung des Proletariats zusammengebündelt wiederfindet. Sie sind die höchst entwickelte Form, deren Funktion darin besteht, das kollektive Gedächt­nis des Proletariats in sich zu bündeln, denn dieses besteht in der Periode vor der Revolution nur in einem diffusen Zustand in der Klasse. In der revolutionären Periode selber eignet es sich die Klasse mit größter Klarheit an.

Im Verlaufe dieser Debatte mußte die IKS Positionen bekämpfen, die entweder die Idee einer unterirdischen Reifung verwarfen, oder die unabdingbare Rolle der re­volutionären Organisationen bei diesem Prozeß der Reifung, den sie anerkennen, unterschätzen, indem die Dimensionen des Klassenbewußtseins nicht zur Kenntnis genommen werden (7). Die Mehrheit der IKS, die betont, daß es ohne Partei keine Revolution geben kann, weil die Revolution notwendigerweise revolutionäre Parteien hervorbringt, behauptet weiterhin, daß diese Parteien keine Nachtrabpolitik gegenüber den Arbeiterräten betreiben dürfen, sondern sie deren bewußteste Avant­garde zu sein haben. Eine Avantgarde zu sein, verleiht ihnen keine Rechte, sondern bedeutet die Pflicht, ihre Verantwortung aufgrund ihres theoretischen und program­matisch höchst entwickelten Klassenbewußtseins zu erfüllen.

Nach dieser Debatte - die bislang noch nicht abgeschlossen ist - hat die IKS bei Genossen, die der Minderheit angehören, eine Tendenz der versöhnlichen Haltung gegenüber dem Rätekommunismus festgestellt ("zentristische" Schwankungen gegenüber den rätekommunistischen Ideen). Obgleich die Minderheitsgenossen das Gegenteil behaup­ten, sind wir der Ansicht, daß der Rätekommunismus heute schon die größte Gefahr für das revolutionäre Milieu darstellt, und daß er mehr noch als der Substi­tionismus eine große Bedrohung für die Intervention der Partei in den zukünftigen revolutionären Kämpfen sein wird.

 

Ist der Substitutionismus in der Zukunft die größte Gefahr?

A. Die objektiven Grundlagen des Substitutionismus

Wenn wir von Substitutionismus sprechen, meinen wir damit die Praxis revolutionärer Gruppen, die vorgeben, die Klasse zu führen und die Macht in ihrem Namen zu übernehmen. Aus dieser Sicht sind die Gruppen der Extremen Linke keine substitutionistischen Organisationen; ihre Aktivitäten zielen nicht darauf ab, sich der Klasse zu substituieren, sondern sie von innen her zu zerstören, die Kontinuität und die Entwicklung des Bewußtseins stören, um die Herrschaft des Kapitalismus weiter aufrechtzuerhalten. Deshalb begehen sie als solche keine substitutionistischen Fehler, sondern zielen darauf ab, die Führung der Kämpfe an sich zu reißen, um sie in Sackgassen zu drängen und der bürgerlichen Ordnung zu unterwerfen (Parlamentarismus/Gewerkschaftliche Arbeit). Der Substitutionismus ist der tödliche Fehler, der sich im Lager der Arbeiterklasse vor 1914 entwickelte und später nach 1920 in der Kommunistischen Internationale. Von dem Anspruch, die Klasse auf militärische Weise zu dirigieren (siehe z.B. die stark betonte "militärische Disziplin" auf dem 2. Kongreß der Komintern 1920), gab es nur einen Schritt bis hin zur Auffassung von der Diktatur der Einheitspartei, die die Arbeiterklasse ihrer Substanz beraubte. Aber dieser langsam zur Konterrevolution hinführende Schritt konnte nur unter bestimmten historischen Bedingungen vollzogen werden. Diese außer Acht zu lassen und zu vergessen, daß solche Auffassungen bis in die Reihen der Deutschen Linken hinein vorhanden waren, bedeutet, nicht die Wurzel des Substitutionismus zu begreifen.

a)     Das Ende der sozialdemokratischen Auffassung von der Partei, die als einzige Trägerin des Bewusstseins aufgefasst wurde, - ein Bewusstsein, das "bürgerliche Intellektuelle" von außen her in die Klasse einflößen müßten (siehe Kautsky und Lenin "Was tun") bis hin zur "disziplinierten Armee" des Proletariats, lastete schwer auf der Arbeiterbewegung. Es hatte schwerwiegende Auswirkungen, weil es in den unterentwickelten Ländern schnell Verbreitung fand, wie in Rußland und Italien, wo die Partei als "Stabschef aufgefaßt wurde, der die Klasseninteressen repräsentierte und damit auch die Macht in ihrem Namen zu übernehmen habe.

b)     Solche Fehler haben in einem Zeitraum des zahlenmäßigen Wachsens des Proletariats einen Aufschwung erfahren können, als diese gerade die Illusion der ländlichen und handwerklichen kleinbürgerlichen Auffassungen hinter sich gelassen hatte und politisch durch die Aktionen der politischen Organisationen des Proletariats gebildet wurde. Weil eine reiche revolutionäre Erfahrung fehlte, die es politisch hätte reifen und es eine politische Kultur erwerben lassen, nahmen die Organisationsaufgaben und die Erziehung durch die Partei vor 1914 einen beträchtlichen Platz ein. Die Auffassung, daß die Partei der "Stabschef" der Klasse sei und den Arbeitern das politische Bewußtsein vermittele, stieß vor allem in den Ländern auf ein Echo, wo es der revolutionären Bewegung noch an Reife fehlte, vor allem weil die Aktionen der Klasse im Geheimen stattfanden, die alle eine strenge Zentralisierung und Disziplin erforderlich machten.

c)     Diese substitutionistischen Ideen waren vor 1914 noch ein Fehler innerhalb der revolutionären Bewegung. Schon die Ereignisse von 1905, als die schöpferische Spontanität der Klasse unglaublich schnell durch die Entfaltung der Massenstreiks zum Ausdruck kam, bewiesen die Unrichtigkeit solcher Auffassungen. Lenin selber zögerte nicht, die These aufzugeben, die er in "Was tun" verteidigt hatte. Die Revolution von 1905 bewirkte in der kommunistischen Linken Europas, vor allem bei Pannekoek, eine Infragestellung der Auffassung Kautskys. Sie bewies die entscheidende Bedeutung der Selbstorganisation des Proletariats, die auch keine noch so gut ausgebildeten Pläne des Stabschefs der Sozialdemokratie oder der Gewerkschaften ersetzen können. Die Änderung der Taktik, die Pannekoek bei der gewerkschaftlichen und parlamentarischen Taktik hervorgehoben hatte, weil sie nunmehr in den Hintergrund rücken sollten, verdeutlichte eine tiefgreifende Veränderung der Funktion  der revolutionären Organisation.

d) Es ist falsch, Lenin und die Bolschewisten als die Theoretiker des Substitutionismus von 1917 oder gar von 1920 zu betrachten. Die Bolschewisten wurden 1917 mit den linken Sozialrevolutionären von den Arbeiterräten an die Macht gebracht. Der Aufstand, an dem viele Anarchisten in den Roten Garden teilnahmen, fand unter der Führung und Kontrolle der Arbeiterräte statt. Erst viel später, nämlich mit der Isolierung der russischen Revolution und dem Beginn des Bürgerkrieges, wurde die Theorie der Diktatur der Partei in Gestalt des Leninismus theoretisiert. Der Substitutionismus war in Russland, wo den Arbeiterräten immer mehr die Luft ausging, je mehr die Einheitspartei ihnen diese abschnitt, weniger das Ereignis einer schon vorhandenen Absicht der Bolschewisten, als vielmehr der tragischen Isolierung der Russischen Revolution von Westeuropa.                                                                                                                           

e) 1920 verwarf die Strömung der italienischen Linkskommunisten um Bordiga - die im Gegensatz zu den Behauptungen der Rätekommunisten die "Leninisten" und "Bordigisten" in einen Topf schmeißen (der bordigistische Leninismus) - entschlossen die Auffassung von einem von Außen durch "bürgerliche Intellektuelle" in das Proletariat eingeflößten Bewußtsein. Aus Bordigas Sicht war die Partei vor allem ein "Teil der Klasse"; die Partei ist das Ergebnis eines organischen Wachstums der Klasse, in dem das Programm und der militante Willen in einem Ganzen zusammenfließen. In den 30er Jahren hat "Bilan" die auf dem 2. Kongreß der Komintern (1920) vertretene Auffassung von der "Diktatur der Partei" verworfen. Erst eine tiefgreifende Regression der Italienischen Linke nach 1945, die auch unter dem Einfluß Bordigas stattfand, führte zu einer Rückkehr der Theorie des Substitutionismus, die nach 1923 unter dem Begriff "Leninismus" zusammengefasst worden war. Gerade die Verwerfung der Auffassung von der "Diktatur der Partei" war im Herbst 1952 einer der Gründe für die Spaltung, die die heute noch bestehende Gruppe "Battaglia Comunista" hervorbrachte.  

B. Eine geringere Gefahr

Heute stellen die substitutionistischen Auffassungen eine geringere Gefahr als früher dar, weil eine theoretische Vertiefung in der deutschen, italie­nischen und holländischen kommunistischen Linke in den 30er Jahren stattgefunden hat, selbst wenn dies nur teilweise in den verschiedenen Linken geschehen ist. Diese Vertiefung stützt sich auf eine Bilanz der Rus­sischen Revolution, die es ermöglichte, die Wurzeln der Konterrevolution zu begreifen.

- die stalinistische Konterrevolution in dem Proleta­riat vor allem der entwickelten Länder einen geschärf­ten Blick für die Kritik an den politischen Organisatio­nen geschaffen hat, die aus seinen Reihen hervorgehen; auch kann die Arbeiterklasse heute leichter die Gefah­ren erkennen, die zum Verrat der politischen Organisa­tionen führen können. Gestärkt durch seine historische Erfahrung wird das Proletariat den politischen Organi­sationen, die sich auf die Arbeiterklasse berufen, nicht mehr blind und naiv sein Vertrauen schenken.

- weil die Revolution in den rückständigen Ländern un­möglich ist, solange sich das Hauptzentrum der Weltrevolu­tion nicht in dem Herzen der westlichen Industrielän­der Europas in Bewegung gesetzt hat. Das Schema ei­ner isolierten Revolution, die aus dem imperialistischen Krieg in einem Land entsteht, wo die Bourgeoisie wie in Rußland 1917 in einem Zustand der Schwäche war, wird sich nicht mehr wiederholen. Die kommunistische Revolu­tion wird aus der Wirtschaftskrise, die alle Länder ergreift - und nicht nur die besiegten wie 1918 - hervorgehen, am schnellsten und bewußtesten dort, wo das Proletariat am konzentriertesten und politisch am gebildesten ist. Das Proletariat kann sich nur inter­national organisieren und erkennt die Parteien nur an, wenn sie Teil der internationalen Arbeiterräte sind, die nicht aus einer "französischen" oder "deutschen" Revolution hervorgehen, sondern aus einer wirklich in­ternationalen Revolution. Die geographische Isolierung der Revolution in einem Land, die ein objektiver Faktor des Substitutionismus war, ist heute nicht mehr möglich. Die wirkliche Gefahr wäre ihre Isolierung auf einen Kon­tinent. Aber selbst in diesem Fall könnte es eine Vor­herrschaft einer nationalen Partei wie in Rußland nie geben. Die Internationale (kommunistische Weltpartei) wird sich in den internationalen Arbeiterräten ent­wickeln.

 

Das bedeutet natürlich nicht, daß die Gefahr des Sub­stitutionismus für immer verschwunden sei. In den Rück­flußphasen des revolutionären Kurses - der sich über eine gewisse Zeit lang erstrecken wird, wie das Beispiel der deutschen Revolution zeigt - können die unvermeidbaren Zögerungen oder gar die vorübergehende Erschöpfung des Proletariats im Verlaufe eines langen und zerstörerischen Bürgerkrieges ein fruchtbarer Boden sein, auf dem die giftige Pflanze des Substitutionismus oder des Putschismus zu wachsen beginnen mag, die der blanquistisch substitutionistischen Auffassung nahestehen. Andererseits wird die Reife des revolutio­nären Milieus, in dem vorher eine gnadenlose Auswahl unter den Organisationen stattfinden wird, die sich als das "Gehirn" oder den "Stabschef" der Klasse be­zeichnen, ein entscheidender Faktor bei dem energi­schen Kampf gegen diese Gefahr sein.

 

Bedingungen für das Erscheinen und Kennzeichen des Rätekommunismus

   

Aber während der Substitutionismus vor allem eine Ge­fahr in der Rückflußphase der revolutionären Welle war, ist der Rätekommunismus eine viel größere Gefahr, vor allem in dem Zeitraum der ansteigenden revolutionären Welle und hauptsächlich auf ihrem Höhepunkt, wenn das Proletariat schnell und mit größter Entschlossenheit handeln muß. Diese schnelle Reaktionsfähigkeit und die gesteigerte Entscheidungsfähigkeit gipfeln in dem Vertrauen, das es in das Programm und die Losungen der Parteien hat.

Deshalb sind die Angst vor Entscheidungen und die Nach­trabpolitik der Rätekommunisten, die jede Aktion der Arbeiter preisen, in diesem Zeitraum besonders gefähr­lich. Die rätekommunistischen Tendenzen, die sich zwi­schen 1919 und 1921 im deutschen Proletariat äußerten, sind keine Ausdrücke der Stärke der Klasse. Obgleich sie nicht direkt für die Niederlage verantwortlich sind, spiegeln sie dennoch eine große Schwäche der Klasse wider. Aus diesen Schwächen eine Tugend zu machen - so wie das die Rätekommunisten tun, ist der sichere Weg, um in der Zukunft die Revolution in eine Nieder­lage zu führen.

Entgegen eines ersten oberflächlichen Eindrucks erscheint der Rätekommunismus nicht als eine Variante des Anarchismus, der vor allem in den unterentwickel­ten Ländern Wurzeln schlug, d.h. dort, wo das Prole­tariat gerade die Stufe des Lebens auf den Lande oder das handwerkliche Leben hinter sich gelassen hatte. Er entstand in den Reihen eines Proletariats, das schon über eine längere Geschichte verfügte und durch die Klassenkämpfe gestärkt und ziemlich politisiert worden war, und zudem kollektiv handelte und den kleinbürgerlichen Individualismus hinter sich gelas­sen hatte.

Die rätekommunistischen Tendenzen entfalteten sich zunächst in der KPD (Spartakus), dann in der KAPD, als sie im April 1920 gegründet wurde. Obgleich Rühle (ehemals IKD) das Sprachrohr dieser Tendenz war, die relativ isoliert innerhalb der KAPD außerhalb Sachsens blieb, stießen die rätekommunistischen Ideen in dem radikalisierten Proletariat überall in Deutschland auf Widerhall. Der Ausschluß Rühles sowie seiner Gesinnungsgenossen im Dez. 1920 aus der KAPD verhinderte die schnelle Ausdehnung der rätekommunistische Ideen aber nicht, denn sie wurden von der AAU-E übernommen, welche teilweise Hunderttausende Arbeiter umfaßten.

Die Charakteristiken des deutschen Rätekommunismus, die man heute zum großen Teil wiederfindet, sind:

- die Verwerfung jeder politischen Partei des Prole­tariats, da sie allemal "bürgerlich" seien. “Die Partei ist ihrem Wesen nach bürgerlich. Sie stellt die klassische Organisationsform für die Repräsentation der Interessen der Bourgeoisie dar. Sie entwickelte sich in einen Zeitraum, als die Bourgeoisie an die Macht kam. Die Parteien entstanden mit dem Parlamentarismus" (Von der bürgerlichen zur proletarischen Revolution, 0. Rühle, 1924).

Hier bringt Rühle den berechtigten Haß des Proletariats gegen den Parlamentarimus zum Ausdruck; dabei versteht er aber nicht, daß die Funktion der revolutionären Par­tei im dekadenten Kapitalismus sich ändert, was dagegen die KAPD durchaus verstanden hatte.

- die Verwerfung des Zentralismus als Ausdruck der Dik­tatur der Klasse. "Das bürgerliche Wesen wird organisch durch den Zentralismus ausgedrückt" (O.Rühle, ebenda).

Die Rätekommunisten greifen hier die Formen als solche an und glauben so das Auftauchen einer neuen "Kaste von Chefs" verhindern zu können. Indem sie die Dezentralisierung hochloben und den Antiautoritarismus fördern, unterstützen sie nur den Mangel an wirklicher Kontrolle der Arbeiter über die Organisationen, die sie gründen. Der Antizentralismus, der von den "Einheitsanhängern" Rühles unterstützt wurde, hinderte die AAU-E nicht daran, unter den Einfluß einer Handvoll von Intellek­tuellen und Künstler um "Die Aktion" zu gelangen (Franz Pfempfert insbesondere), die tatsächlich selbsternann­te Chefs waren.

- Der Lokalismus, das Gegenstück zum Antizentralismus, führt notwendigerweise zur Beschränkung des Horizonts auf eine Fabrik. Die Fabrik wird zum begrenzten Uni­versum der Unionen-Anhänger (AAU, der KAP nahestehend, sowie die AAU-E), die diese nur als einen Stützpunkt gegen den Einfluß der Parteien auffaßten. Der Arbei­terkult in "seinen" Betrieb geht einher mit dem Anti­intellektualismus; gegenüber nicht intellektuellen Arbeitermilitanten der KAPD wurde der Verdacht gehegt, daß diese die Rolle der Chefs übernehmen wollten, indem sie sich der spontanen Initiative der Arbeiter substituierten.

- Die Verwechslung der Arbeiterräte und politischer Organisationen wirft die Arbeiterbewegung um einige Jahrzehnte zurück, als nämlich in der I. Internatio­nale Gewerkschaften, Parteien, Genossenschaften Mitglieder waren. So haben die Unionen ein revolutionäres Programm, das sich übrigens auf das der KAP stützt, aber sie sind weder das  eine noch das andere, sie sind halbpolitische, halb gewerkschaftliche Organisationen. Solch eine Verwirrung führte notwen­digerweise zur "neuen revolutionären Gewerkschaftsarbeit". Es ist kein Zufall, daß die AAU-E - die Rühle und Pfempfert nahestand - schnell anfing, mit den Anarchosyndikalisten der AUD zusammenzuarbeiten.

- Schließlich sackt der politische Rätekommunismus auf fatale Weise in einen halben Anarchismus und zu seiner schlimmsten Form, dem Individualismus, ab. Rühle selbst bewegte sich immer mehr auf einen anar­chisierenden Antimarxismus zu; im Vergleich zu Bakunin hielt er Marx nur für einen grimmigen Unverbesserlichen. Sein Individualismuskult führt zur "Pädagogie" des ein­zelnen Arbeiters, dessen Geist der des "Fabrikschorn­steins" ist, um den ironischen Ausdruck der KAPD, als sie so den sächsischen Individualismus bezeichneten, wieder aufzugreifen.

Die ‚rätekommunistische‘ Gefahr in der Revolution

Der Rätekommunismus spiegelt nur die Schwächen der Ar­beiterklasse wider. Er ist zunächst eine negative Reaktion; die Klasse schwenkt über von einer Stufe des blinden Vertrauens in die alten Organisationen - die längst vom Opportunismus erobert wurden, um schließlich in der Konterrevolution zu verrecken - zu einem Zustand des Mißtrauens gegenüber jeder politischen Organisation. Die rätekommunistischen Tendenzen in Deutschland ent­sprachen proportional direkt dem naiven Vertrauen, das die in den Räten organisierten Arbeiter im November-Dezember 1918 der Sozialdemokratie entgegenbrachten, welche dann 3 Jahre lang die Arbeiter massakrierte. In Anbetracht dessen, was die Arbeiter nur für einen Verrat der "Führer" hielten, wobei jede Organisation das "Gift" der Führer hervorbringt, sprossen die parteifeindlichen und antiautoritären (Antibonzen) Tendenzen hervor. Der Rückzug der Industriearbeiter auf die örtliche Betriebsorganisation der Unionen und der Branchengewerkschaften (Bergarbeiter- und Seeleuteunionen 1920), war nicht der Ausdruck einer zunehmenden Stärke der Klasse, die sich nach den Massakern vom Januar 1919 wieder fing, sondern das Ergebnis einer enormen Schwäche, einer gewaltigen Orientierungslosigkeit. Weil er in einem hochindustrialisierten Land, das ein Schlüsselland für die Weltrevolution war, stattfand, war der Klassenkampf in Deutschland viel charakteristi­scher für die zukünftige kommunistische Revolution als die, die in Rußland einsetzte. Die rätekommunistischen Reaktionstypen, wo das Proletariat in den Räten das größte Mißtrauen gegenüber jeder revolutionären Organisation haben wird, sind Reaktionen, der eine revolu­tionäre Partei mit größter Entschlossenheit entgegentreten muß. Diese Reaktionen werden um so stärker sein, weil die stalinistische Konterrevolution und das Gewicht der Einheitsparteien in den Ostblockstaaten - neben einem gesunden Mißtrauen der Arbeiter  gegenüber den linken Parteien - die Klasse gegenüber jeder revolutionären Organisation grundsätzlich hat mißtrauisch werden lassen. Solche Reaktionen erklären - neben dem staatli­chen Totalitarismus, der jede revolutionäre Massenorganisation unmöglich macht -, den Mangel an militan­tem, politischem Engagement in der Klasse. Trotz des sich verstärkenden Einflusses ihrer Positionen und Interventionen stoßen revolutionäre Militanten un­weigerlich auf solche Vorurteile wie: "Die Revolu­tion mit einer Partei, selbst wenn sie revolutionäre Parteien sind, führt zur Diktatur". Es stimmt, daß der Bordigismus mit seiner Auffassung von der Ein­heitspartei, die den "roten Terror" durch die Klas­sengewalt ausüben wird, und die verabscheuenswürdige Unterstützung des Massakers an den Arbeitern und Matrosen von Kronstadt, nur die rätekommunistischen Reflexe in der Klasse verstärken kann. Man kann gar behaupten, daß der Bordigismus und der Neo-Bordigismus die besten Ziehväter des Rätekommunismus sind. Die revolutionären Organisationen, und die IKS insbe­sondere, müssen sich dessen bewußt sein, daß ihre or­ganisierten Aktionen in den zukünftigen Räten auf Schwierigkeiten stoßen werden. Weil sie in Parteien or­ganisiert sind, werden sie oft nicht mehr das Wort in Versammlungen ergreifen dürfen. Die Bourgeoisie wird es übrigens mit Hilfe ihrer gefährlichsten Agen­ten, den Basisgewerkschaftern, nicht unterlassen, die organisationsfeindlichen Gefühle der Arbeiter zu verstärken, d.h. ihre auf die Fabrik und deren Horizont beschränkte Ausrichtung zu zementieren. Dabei werden sie die revolutionären Organisationen als "Intellektuellenorganisationen" darstellen, die die "Klasse führen" wollen, um selbst die Macht zu übernehmen. Wie es Rosa Luxemburg 1918 erging, kann es sein, daß die Mitglieder der Partei, die keine Arbeiter sind, keine Re­deerlaubnis in den Räten erhalten, alles unter dem Vorwand, daß sie keine Arbeiter seien. Die rätekommu­nistische Gefahr darf deshalb in den Räten nicht un­terschätzt werden, denn sie kann tödliche Auswirkungen haben. In dem Maße wie organisationsfeindliche Ideen überwiegen, kann das Proletariat den schlimmsten Provokationen der Bourgeoisie ausgesetzt sein. Die Ver­herrlichung der handelnden, antiautoritären Minder­heiten kann zum furchtbarsten Putschismus der Klasse führen. Das Mißtrauen gegenüber dem Programm und der revolutionären Theorie, die angeblich das Bewußtsein des einzelnen Arbeiters vergewaltige, kann nur die kleinbürgerliche, individualistische Theorie fordern, die durch die gewaltige Menge durch die Krise und die Arbeitslosigkeit proletarisierter Kleinbürger ge­tragen wird. Schlimmer noch, dieses Mißtrauen dient dem Einfluß der bürgerlichen Ideologie, die die herr­schende Ideologie ist.

Schon heute eine wirkliche Gefahr im revolutionären Milieu

Die Gefahr des Rätekommunismus -die zwar erst während der revolutionären Ereignisse sel­bst voll ans Licht tritt- ist aber schon heute vorhanden. Sie bedroht das schwache revolutionäre Milieu, weil es diesem an organischer Kontinuität mit den revolutionären Organi­sationen der Vergangenheit fehlt. Sie zeigt verschie­dene negative Erscheinungsweisen:

- den immediatistischen Aktionismus, der unweigerlich zum libertären Sumpf der Extremen Linke führt. "Infor­mations Correspondances Ouvrieres" (ICO) in Frankreich, "Arbetarmakt" (Arbeitermacht) in Schweden sind letztendlich wegen ihres Aktionismus, der der Praxis der Extremen Linke verwandt ist, verschwunden. Eine Gruppe wie "Arbetarmakt" zerfiel unter dem Druck der kleinbürgerlichen, dann bürgerlichen Ideologie, als sie sich auf die Ebene der basisgewerkschaftlichen Arbeit begab.

- die Auffassung von Arbeits- und Studiengruppen führt zu einer Infragestellung der militanten Rolle der Re­volutionäre; man betrachtet sich eher als Studierzirkel, der den Klassenkampf von "Oben herab" betrachtet. Diese Gruppen verwerfen letztendlich die revolutionäre Rolle des Proletariats und verfallen leicht dem Pessimismus oder dem Modernismus. Der Entwicklungsweg des Kreises um Barrot ("Le mouvenent communiste") beweist dies. Solche Zirkel haben mit dem revolutionären Milieu nichts gemeinsam. Sie irren nur umher in einem im Zerfall be­findlichen Milieu der Kleinbourgeoisie, die unaufhalt­sam Konfusionen verbreitet.

- die anti-bolschewistische Ideologie – von der die gesamte revolutionäre Vergangenheit der Bolschewisten bewußt geleugnet wird - kann nur zu einer Infragestellung des Marxismus selber führen. Die Entwicklung der Gruppe "Pour une intervention communiste" in Frankreich (PIC) ist symptomatisch. Vom primitivem Aktivismus wechselte man über, um nun voll mit einem Geist der akademischen Studierzirkel zu arbeiten. Bald wird die revolutionäre Bewegung so dargestellt, als ob sie von dem Parteienstre­ben beherrscht sei. Marx selbst wird verantwortlich ge­macht für all die Fehler der Arbeiterbewegung, weil er das Konzept der Partei erfunden hat (sic!). Diese anti­bolschewistische Reaktion kann nur zu Kompromissen mit dem Linkssozialismus führen.

- die Unterschätzung der Rolle der Organisation, wenn man das Bewußtsein der Arbeiter als eine Vielzahl von Bewußtsein nimmt, die ebenso bewußt wie, wenn nicht gar bewußter als die Organisation sein können, führt zur Verneinung derselben; man betrachtet sie dann nicht mehr als militanten Teil der Klasse.

Diese Unterschätzung ist ein Selbstmord für die Mili­tanten, die in diesen Organisationen oder Zirkeln räte­kommunistische Ideen verteidigen. Dies ist die Gefahr, von der die Gruppen, die sich auf "Rätekommunistische Positionen" berufen, stehen.

Selbst wenn der Rätekommunismus zerfallen ist - in Westeuropa ist er eine vielschichtige Ansammlung von Zirkeln oder sehr unklaren und zutiefst organisations­feindlichen Positionen - bleibt seine Ideologie noch weiterbestehen. Diskussionsgruppen, die in den letz­ten Jahren in Skandinavien (Dänemark) und in Mexiko entstanden sind, sind besonders diesen Positionen gegenüber anfällig. Es ist selbstverständlich, daß die IKS solche Gruppen nicht außer Acht lassen darf und tatenlos mit ansieht, wie diese Gruppen sich in ihrer Verwirrung verrennen. Wir sind uns bewußt, daß der organische Bruch mit den Organisationen der Kommu­nistischen Linken viele sehr konfuse Gruppen hervorbringen wird, die sich auf den Rätekommunismus berufen, und von einer individualistischen, kleinbürgerlichen rätekommunistischen Ideologie gebrandmarkt sein werden. Weil die IKS mit dem Zusammenbruch der IKP der einzige wirklich revolutionäre Pol der Umgruppie­rung auf internationaler Ebene geworden ist, ist es unsere Pflicht und entspricht es unserer Verantwortung, diese Zirkel hin zur Entwicklung einer mili­tanten marxistischen Weltanschauung zu drängen. Sol­che Zirkel, die oft aus der Kleinbourgeoisie mit all ihren Vorurteilen und akademischen Neigungen des studentischen Milieus hervorgegangen sind, sind gegenüber dem rätekommunistischen Gedankengut besonders anfällig. Die IKS kann diese Elemente nur zur Übernahme einer proletarischen revolutionären Auffassung bewe­gen (wie wir dies in Schweden und Holland gemacht ha­ben), indem wir unnachgiebig bleiben bei der Frage der Organisation hinsichtlich der Zentralisierung derselben und ihrer militanten Aufgaben. Auch müssen wir dabei die rätekommunistischen Ideen mit größter Ent­schlossenheit und ohne Zögern und Schwankungen bekämp­fen.

Diese rätekommunistische Gefahr stellt nicht nur eine Bedrohung für die konfusen Gruppen oder die Diskussions­kreise dar; sie kann gar bis in die Reihen der Gruppen auftreten, die sich auf die Italienische Linke berufen, wie "Battaglia Comunista" und dem Meister der Kehrtwen­dungen: die Communist Workers' Organisation (CWO). Ihre Auffassung einer politischen Doppelorganisation -d.h. die Partei (Größenwahnsinn zwingt dazu!) und der Fabrik­gruppen (Geistergruppen) - ähnelt sehr der Auffassung der KAPD von den Fabrik-/Betriebsorganisationen, wobei die CWO und BC nur einen Bluff vollziehen und im Verhält­nis dazu eher wie Zwerge gegenüber den Riesen aussehen, wenn sie sich mit der KAPD vergleichen. In der Zukunft kann die Logik des Bluffs der Fabrikgruppen sie dazu führen, aus Nachläufertum ihre politischen Organisatio­nen aufzulösen, um aus ihnen ein einfaches Anhängsel dieser Gruppen zu machen, nur damit sie in der Klasse auf ein größeres Echo stoßen. Obgleich beide der KAPD feindlich gegenüber eingestellt sind - bei BC mehr aus Unwissenheit und bei der CWO mehr aus Opportunis­mus (die CWO ist der Champion der politischen Kehrtwen­dungen) - wären diese beiden wichtigtuerischen Organi­sationen gut damit beraten, die Geschichte der KAPD näher zu untersuchen. Nachdem sie sich lange für Doppel­organisationen ausgesprochen hatte, fing die KAPD 1929 an, sich aufzulösen, wobei der größte Teil sich in einer aktivistischen Union (Kommunistische Arbeiter Union-KAU) organisierte, während der Rest der KAP - der nunmehr gegenüber der Doppelorganisation mißtrauisch geworden war - als ein kleines Grüppchen weiterbestand. Das Nachläuftertum Battaglias und der CWO gegenüber natio­nalistischen iranischen Organisationen wie "Komala" und der "Kommunistischen Partei Irans" wirft kein gutes Licht auf die Fähigkeit dieser Organisation, einen programmatischen und organisatorischen Rahmen unnachgiebig zu verteidigen.

Die rätekommunistische Gefahr tritt damit nicht nur ge­genüber den Gegnern der Partei auf. Sie kann gar eine politisch so gut bewaffnete revolutionäre Organisation wie die IKS bedrohen. Sie ist um so gefährlicher, weil der Rätekommunismus sehr oft nicht die Dinge beim Name nennt, nicht offen auftritt und hinter der formellen Anerkennung des zentralisierten organisatorischen und programmatischen Rahmens sich versteckt.

Die IKS wacht weiterhin darüber, daß wir unsere militante Funktion in der Klasse erfüllen. Wir sind davon überzeugt, daß unsere Funktion unersetzbar ist und wir die klarste Form des Klassenbewußtseins zum Ausdruck bringen. Unsere zentralisierte Funktionsweise ist entscheidend für die Aufrechterhaltung unseres programmatischen Rahmens, den uns die Kommunistische Linke hinterlassen hat.

Die IKS ist wie die KAPD und "Bilan" von der entschei­denden Rolle der Partei in der Revolution überzeugt. Ohne revolutionäre Partei, die das Ergebnis einer lan­gen Umgruppierungsarbeit und von politischen Schlach­ten ist, kann die proletarische Revolution nicht siegreich ausgehen. Heute kann jede Unterschätzung der Rolle der Organisation, jede Verneinung der Notwendig­keit der Partei in der Revolution nur zum Zerfall des ohnehin schon schwachen revolutionären Milieus beitra­gen. Die rätekommunistische Gefahr ist eine Bedrohung, gegenüber der die IKS besonders entschlossen und gut bewaffnet auftreten muß. Indem wir auf die Gefahr rätekommunistischer Schwankungen aufmerksam machen, die nicht offen auftreten, verfällt die IKS nicht in eine Art "Bordigismus" oder "Leninismus".

Das Bestehen der IKS ist das Ergebnis aller kommunistischer Fraktionen der Vergangenheit. Wir werden deren positiven Errungenschaften sowohl gegen die rätekommunistischen wie auch gegen die bordigistischen Gruppen verteidigen, ohne die negativen Seiten zu übernehmen: ihr Substitutionismus in der Russischen Revolution, Verneinung der Partei durch die Holländische Linke, Doppelorganisation der Deutschen Linke. Die IKS ist keine der Vergangenheit nachlaufende Organisation.

Wir sind weder "rätekommunistisch", noch "bordigistisch", sondern das Ergebnis der langen Geschichte der inter­nationalen Kommunistischen Linken. Nur durch einen un­nachgiebigen politischen Kampf gegen alle Zögerungen, die unsere Funktion und unseren Platz im Klassenkampf infragestellen, werden wir ihren Aufgaben, die ihre Vorgänger verantwortungsvoll erfüllten, gewachsen sein und gar über unsere Vorgänger hinausgehen. Chardin

aus International Review, Nr. 40, 1985, auf Deutsch erschienen in Internationale Revue Nr. 9

Fußnoten

(1)     Siehe Bulletin d'Etudes et de Discussion 1974

(2)     Die erste Nummer von Révolution Internationale zeigt rätistische Tendenzen. Aber 1969 wurde auf der nationalen Konferenz von ICO ein sehr klarer Text über die Notwendigkeit einer Partei vorgelegt, siehe R.I., Nr. 3

(3)     siehe die Broschüre "Kommunistische Organisation und Klassenbewußtsein"

(4)     "Dialog mit den Toten" und "Dialog mit Stalin" (sic) sind die Titel der Broschüre Bordigas.

(5)     Resolution der IKS vom Jan. 1984 "Zwischen den Phasen offener Kämpfe vollzieht sich eine unterirdische Reifung des Klassenbewußtseins (der "alte Maulwurf" Marx zufolge), die sowohl durch die Vertiefung und Klärung der poli­tischen Organisationen zum Ausdruck kommen kann als durch eine Reflexion und einen Herauslösungsprozeß in der gesamten Klasse, eine Loslösung von den bürgerlichen Mystifizierungen".

(6)     siehe Marx "Die deutsche Ideologie". Marx spricht von der Notwendigkeit einer tiefgreifenden Revolution. "Zur massenhaften Erzeugung dieses kommunistischen Bewußtseins ist eine massenhafte Verände­rung der Menschen nötig, die nur in einer praktischen Bewegung, in einer Revolution vor sich gehen kann" (MEW, Dt. Ideologie, Bd 3, S. 70).

(7)     Hier sind einige Auszüge aus unserer Resolution vom Januar 84, die von einigen Genossen mit "Reserven" angenom­men oder abgelehnt wurde. "Selbst wenn sie Teil einer gleichen Einheit sind, wobei das eine auf das andere wirkt, ist es falsch, das Klassenbewußtsein mit dem Bewußtsein der Klasse gleichzusetzen, d.h. seine Ausdehnung zu einem gegebenen Zeitpunkt... Man muß zwischen dem unterscheiden, was auf eine Kontinuität der historischen Bewegung des Proletariats zurückzuführen ist - die fortschreitende Ausarbeitung der politischen Positionen und ihr Programms - und dem, was auf die jeweiligen Umstände zurückzuführen ist - die Ausdehnung und die Assimilierung und ihr Einfluß in der Klasse".

(8)     Diese Genossen beweisen, daß sie die Geschichte nicht gut kennen: die bolschewistische Partei, der sie vorwerfen zu zentralisiert gewesen zu sein, war in Wirklichkeit noch viel weniger zentralisiert als die polnische Linke SDKPIL.

 

 

++ In den Artikel werden die Begriffe "rätistisch" und "rätekommunistisch" oft deckungsgleich verwandt. Dies führt zu einer Ungenauigkeit, da die rätistischen Tendenzen einen Bruch mit der rätekommunistischen Bewegung der 20er und 30er Jahre darstellen. Wir hoffen dennoch, daß für den Leser die Unterschiede nicht zu verschwommen sind.