Aufstieg und Niedergang der Autonomia Operaia

Printer-friendly version

Aufstieg und Niedergang der  

Autonomia Ope­raia     /1. Teil

 Als nach 1989 die Weltbourgeoisie den Zusammenbruch der stalinistischen Regime Osteuropas zum Anlaß nahm, um den endgültigen Bankrott des Marxismus und der „traditionellen Vorstellung vom Klassenkampf“ bekanntzugeben, witterten nicht nur Anarchisten, sondern auch Operaisten Morgenluft. Habe der Operaismus sich nicht schon Ende der 60er Jahre von vermoderten Vorstellungen des Marxismus verabschiedet, wie etwa der Wirtschaftskrise und der Verelendung der Arbeiterklasse, dem imperialistischen Krieg und dem politischen Kampf dagegen, oder der Notwendigkeit politischer Organisationen der Klasse, welche im Klassenkampf intervenieren, ohne in diesen Kämpfen jeweils aufzugehen? Während also Ende der 80er Jahre die operaistische Bewegung nach zwei Jahrzehnten aktivistischer und zumeist erfolgloser Interventionen im Klassenkampf ziemlich erschöpft und lädiert dastand, glaubte man nach 1989 wieder an die Möglichkeit, Einfluss zu gewinnen. Und tatsächlich stieg im Laufe der 90er Jahre der Bekanntheitsgrad von operaistischen „Vordenkern“ wie Toni Negri oder Karl-Heinz Roth wieder an. Und dennoch waren die Ereignisse von 1989 eine Bestätigung der Thesen nicht der Arbeiterautonomie, sondern des Marxismus. Die Regime Osteuropas brachen zusammen als Ergebnis der von Marx vorhergesehenen historischen Krise des Kapitalismus. 

 In Anbetracht der Fortentwicklung der Krise, der imperialistischen Kriege sowie der politischen Verantwortung der Arbeiterklasse und der Revolutionäre seitdem, ist es nun höchste Zeit, die ursprünglichen Thesen nicht des Marxismus sondern des Operaismus kritisch, d.h. historisch zu hinterfragen. Haben die Schlussfolgerungen, welche die Autonomie in Italien Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre zogen, der Prüfung durch die Geschichte standgehalten? Der Leser soll selbst beurteilen. Wir veröffentlichen auszugsweise eine Kritik an Potere Operaio, welche die IKS bereits 1979 verfasste, und welche seitdem – meinen wir – an Aktualität eher gewonnen als eingebüßt hat. (Aus der International Review Nr. 16, engl., franz., span. Ausgabe)

  

Die Ursprünge der „Führungskrise“ –  

Die Verwerfung der marxistischen Krisenauffassung

 Obgleich die lange Phase des Wohl­stands am Ende des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Theorien entstehen ließ über einen schrittweisen Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus - ganz einfach durch das Anheben des Bewusstseins der Arbeiter - lieferte der Eintritt des Systems in seinen Nieder­gang mit der Auslösung des 1. Welt­kriegs die historische Bestätigung der alten „Katastrophenauffassungen“ von Marx über den unvermeidbaren Zusam­menbruch der Warenwirtschaft. Es wurde deutlich, dass es für die Mensch­heit nur eine Alternative gäbe: Revolu­tion oder Reaktion und „es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird.“(Marx, Die heilige Familie, MEW 2, S. 38)

 Nach der Niederlage der revolutionären Welle in den 20er Jahren und nachdem die Kommunistische Internationale in den Dienst der Konterrevolution trat, haben die überlebenden revolutionären Gruppen weiterhin die marxistischen Prinzipen verteidigt, dass „eine neue revolutionäre Welle nur aus einer neuen Krise“ (Marx) hervorgehen werde. Nachdem es nach dem Ende des 2. Weltkriegs nicht zu einer proletarischen Erhebung wie im Roten Oktober 1917 kam, bewirkte die Phase kapitalistischer „Gesundheit“ während der Wiederauf­bauzeit in diesen kleinen Fraktionen eine Zerstreuung, wobei die meisten von ihnen von der Bildfläche verschwanden. Als ein Ergebnis dieser Periode entstan­den neue Theorien, die beanspruchten, über die marxistische Krisenauffassung hinausgegangen zu sein. So bestand die Gruppe Socialisme ou barbarie in Frankreich darauf, dass der Kapitalismus seine ökonomischen Widersprüche überwunden habe (1). Die anti-marxisti­schen Schlussfolgerungen von Socia­lisme ou barbarie wurden von einer ganzen Reihe von Gruppen aufgegriffen; eine der bekanntesten waren die Inter­nationalen SituationistenMai 1968 war der Altweibersommer dieser Position. Das Wiederauftauchen der Arbeiterkämpfe auf der Bühne der Geschichte zu einem Zeitpunkt, als die Wirtschaftskrise sich noch nicht voll entfaltet hatte, ließ diese Unglückseligen glauben, dass die Bewegung keinen ökonomischen Hintergrund habe: „Was die Überreste der alten nicht-trotzkisti­schen Linksradikalen angeht, müssen sie nun, nachdem sie anerkannt haben, dass es im Mai 68 eine revolutionäre Krise gab, beweisen, dass es eine unsichtbare Wirtschaftskrise im Frühjahr 68 gab. Ohne Angst, sich lächerlich zu machen, haben sie Prognosen gemacht über einen zu erwartenden Anstieg der Arbeitslosig­keit und der Preise.“ (Situationistische Internationale, Nr. 12, Dezember 1969)

 Die Theoretiker dieser „Gesellschaft des Spektakels“ konnten die Krise nur se­hen, als sie spektakulär wurde .... Aber Marxisten haben nicht solange warten brauchen, bis etwas offensichtlich wird, auf den ersten Seiten der Zeitungen erscheint und in die Köpfe der bürgerli­chen Führer vorgedrungen ist, bevor sie in der Lage sind, das Auftauchen und die Bedeutung der neuen Krise zu erkennen. Obgleich sie sich weit weg vom Zentrum der kapitalistischen Welt befanden, konnte eine Handvoll „linksradikaler“ Genossen in Venezuela in ihrer Zeit­schrift Internacionalismo im Januar 1968 schreiben: „Im Jahre 1967 fiel der Kurs des britischen Pfundes, im Jahr 1968 ergriff [Präsident] Johnson entsprechende Maßnahmen  .... Wir sind keine Propheten, und wir behaupten nicht zu wissen, wann wo was stattfinden wird. Aber wir sind uns sicher, dass man den Prozess nicht aufhalten kann, den das kapitalistische System mit diesen Reformen und anderen kapitalistischen Hilfsmitteln durchläuft, und dass dieser Prozess unaufhaltsam zu einer Krise führen wird. Der gegenteilige Prozess, die jetzige Entwicklung der Kampfbereitschaft, führt im Gegenzug das Proletariat in einen direkten und blutigen Kampf um die Zerstörung der bürgerlichen Staaten.“ Das Auftauchen der Arbeiterklasse auf der historischen Bühne nach 1968 machte es den Vertretern des „revolutionären Karnevals“ unmöglich, im Namen der Klasse zu sprechen. 1970 löste sich die Situationistische Interna­tionale in einer Orgie von gegenseitigen Ausschlüssen auf. Danach waren die verschiedenen periodischen Ausbrüche von Revolten, die den Zerfall des Klein­bürgertums widerspiegelten, unfähig, eine neue Situationistische Internatio­nale hervorzubringen. Das endete je­weils in einem Zirkus.

  

Der Voluntarismus in den Farben der Arbeiterklasse und die „Führungskrise“

 Das Wiederauftauchen der Klasse auf der Bühne der Geschichte und das Ver­schwinden der Situationisten und ande­rer „Protestler“ verlangte, dass die Theorie, der Kapitalismus sei in der Lage, die Krise zu kontrollieren, angepasst werden müsste, wobei der neuen Wirklichkeit Rechnung getragen werden musste. Anstatt einfach die Möglichkeit der Krise zu leugnen (das war zum damali­gen Zeitpunkt schon unmöglich) wurde der aktive Aspekt der Theorie aufgewer­tet: da der Kapitalismus die Krise kon­trollieren könnte, sei die wirkliche Wirt­schaftskrise durch eine Krise der Kon­trolle selber hervorgerufen worden, und dies sei wiederum durch die Aktionen der Arbeiterklasse bewirkt worden. (2)  

Dieses Thema, das schon in den letzten Texten der Situationisten neben Hirten­gedichten über die Kritik am Alltagsle­ben aufgetaucht war, wurde ein Aus­gangspunkt der Positionen der neuen Kritiker der „sozialen Barbarei“, die sich nunmehr als „Marxisten“ und Anhänger der „Arbeiterklasse“ betrachteten. In Frankreich war es typisch, dass Anstren­gungen zur Schaffung einer „Marxistischen Linken für die Macht der Arbeiterräte“ (Gauche Marxiste pour le Pouvoir des Conseils des Travailleurs) auf dieser Grundlage 1971 von der Gruppe Arbeitermacht (Pouvoir Ouvrier) unter­nommen wurden, die selbst ein „marxistischer“ Ableger von Sozialis­mus oder Barbarei war.  

In Italien wurden diese Positionen haupt­sächlich durch die Gruppe Potere Ope­raio (Arbeitermacht) entwickelt. Wir wollen uns mit deren Positionen befas­sen (3).  

Die Gruppe stützte sich auf die Aner­kennung der Allmacht des „theoretischen Gehirns des Kapitals“, das ein erfahre­ner Manipulator der krisenlosen Gesell­schaft sei: „nach 1929 hat das Kapital gelernt, wie es die Wirtschaftszyklen kontrollieren, die Krisenmechanismen überwinden und vermeiden kann, von ihnen erdrückt zu werden, um sie poli­tisch gegen die Arbeiterklasse einzuset­zen.“ Sie schlugen deshalb folgende Lösung vor: „Das strategische Ziel der Arbeiterkämpfe – mehr Geld und weni­ger Arbeit – die gegen die Entwicklung des Kapitals durchgeführt werden, hat den theoretischen Ausgangspunkt bestä­tigt, von dem wir vor 10 Jahren ausgin­gen: die Einführung eines neuen Konzep­tes der Krise des Kapitals, die keine spontane Wirtschaftskrise mehr ist, welche von inneren Widersprüchen hervorgerufen wird, sondern eine politi­sche Krise, die von den subjektiven Bewegungen der Arbeiterklasse, durch ihre Forderungskämpfe hervorgerufen wird.“ (4)  

Nach der Leugnung, dass eine „neue revolutionäre Welle nur aus einer neuen Krise hervorgehen werde“, musste jetzt jedoch erklärt werden, warum diese Subjektivität der Arbeiter sich dazu durchgerungen hatte, 1968-69 wieder durchzubrechen und nicht 1954 oder 1982. Ihre Erklärung des Ursprungs dieses Kampfzykluses legt all das man­gelnde Begreifen von Potere Operaio bloß, oder vielmehr deren Ignoranz der Geschichte der Arbeiterbewegung.  

Die Niederlagen der 20er Jahre, der Ausschluss und schließlich die Aus­löschung der revolutionären Genossen durch die Kommunistische Internatio­nale, nachdem diese für das Lager der Konterrevolution wirkte, all das hat es aus der Sicht von Potere Operaio nie gegeben, da sich alles außerhalb der Fabriktore abspielte. Potere Operaio (PO) zufolge war die Einführung des Fließbandes ausschlaggebend, das „alle Arbeiter entqualifizierte und die revolu­tionäre Welle zurücktrieb“. Erst in den 30er Jahren übernahmen die historischen Organisationen der Klasse „das Projekt des Kapitals“, und dies geschah, weil sie die Umstrukturierung des Produktions­apparates gemäß den Wirtschaftstheorien von Keynes nicht verstanden hätten. Nachdem sie das Problem auf diese Weise gestellt und die historische Erfah­rung der Arbeiterklasse verworfen hat­ten, gab es keinen Anlass zu fragen, warum die Arbeiter erst 1968 erfuhren, dass „eine neue Gesellschaft und ein neues Leben möglich waren, dass eine neue, freie Welt durch die Kämpfe eröff­net wird.“ Es reichte aus zu antworten: „Wo sind die objektiven Bedingungen, die den subjektiven politischen Willen ermöglichen werden, sobald die Arbei­terklasse organisiert ist, um das revolu­tionäre Ziel zu erreichen?“ (PO, Nr. 38-39, Mai 1971). Dieser organisatorische Vorschlag von PO an die fortgeschritte­nen Arbeiter ging von einem tiefsitzen­den Misstrauen gegenüber der wirkli­chen Selbständigkeit der Arbeiterklasse aus, die als eine leicht formbare Masse in den Händen der Partei angesehen wurde, welche (zum Trost) „innerhalb der Klasse“ stand:  Wir haben immer gegen diejenigen Opportunisten ge­kämpft, die Spontaneität „Spontaneismus“ nennen, anstatt ihre eigene Machtlosigkeit zuzugeben, wenn sie diese Spontaneität nicht anführen und in ein organisatorisches Projekt, in eine Führung der Partei, einbinden können.“ (PO, Nr.38-39, S. 4)

 Im Mittelpunkt der Widersprüche von PO ragt die Tatsache heraus: wenn PO von der Partei als einem Teil der Klasse spricht, meint sie damit nicht eine Or­ganisation, die um ein klares Programm und somit auf einer klaren politischen Grundlage die bewusstesten Elemente zusammenfasst, die in den Arbeiter­kämpfen gebildet wurden, ungeachtet ihres sozialen Ursprungs. Sondern sie spricht von einer Schicht, einem Teil der Klasse, der aus soziologischer Sicht direkt den Massenarbeitern und der „Massenvorhut im Kampf gegen die Arbeit“ angehört. Gegenüber Lenin, dem Bolschewik, verteidigte Martow, der Menschewik, die These, dass „jeder Streikende ein Mitglied der Partei“ sein könne. Die „Bolschewiki“ von PO ha­ben Martow ein wenig „aufgemöbelt“: „Jeder entschlossen Streikende ist Mit­glied der Partei.“ Die Partei ist einfach ein großes Basiskomitee und ihr einziges Problem besteht im Erreichen der He­gemonie der Massenarbeiter über die Passivität und den Widerstand bestimm­ter Schichten der Klasse. Um die Arbeiter wieder zu beleben, muss man ihnen einen voll ausgearbeite­ten Organisationsplan aushändigen: „Warum üben die Gewerkschaften noch die Kontrolle über den Ablauf der Kämpfe aus? Einfach wegen ihrer orga­nisatorischen Überlegenheit. Es handelt sich um ein „Management“-Problem. Ein Problem, wie man ein Mindestmaß an Organisation erreicht, wie man die Kämpfe glaubwürdig und annehmbar führt.“ Wenn man die Partei den kämp­ferischen Fraktionen der Klasse auf­zwingt, ist es unvermeidlich, wenn die Kampfbereitschaft nachlässt, dass die Partei sich mehr und mehr den Arbeitern substituiert, für sie stellvertretend han­delt, in einem „vollkommen subjektiven“ Weg hin zur Askese und zum Militaris­mus.  

Die Bildung des Bereichs der Autonomia und die Auflösung von Potere Operaio

 Die Arbeiterkämpfe im Herbst 1972, die mit der Besetzung des Fiat-Werkes Mirafiori im März 73 abschlossen, bewirkten einerseits einen Verlust der Glaubwürdigkeit der linksextremen Gruppen unter den Arbeitern (und somit zur Ausdehnung der selbständigen Organe), und andererseits entstand dadurch eine interne Krise bei PO. Die ausgesprochen den Willen betonende, militaristisch ausgerichtete Linie wurde kritisiert, da „die militärische Struktur als einzige dazu in der Lage ist, eine revolutionäre Rolle zu erfüllen, indem der Klassenkampf und die politische Rolle der Arbeiterkomitees verneint wird.“ (PO Nr. 50, November 73). Aber diese Verwerfung stieß nicht bis zu den theoretischen Grundlagen dieser Entartung vor, und sie wurde eher als eine Bestätigung der Thesen von PO verfasst als eine Kritik derselben. In Wirklichkeit wurde eine Neuauflage der alten These präsentiert, um irgendwie zu erklären, dass beim Ausbleiben von Arbeiterkämpfen die Krise sich in allen Ländern zuspitzen würde. Während man vorher betonte, dass die Krise durch die Avantgarde hervorgerufen worden sei, vertrat man nun die Auffassung, die mehr Anerkennung finden würde, dass  die Krise absichtlich von den Kapitalisten ausgelöst worden sei. „Die Kapitalisten lösen die Wirtschaftskrise aus und schaffen sie sooft aus der Welt, wie sie es für nötig halten, jeweils um die Arbeiterklasse zu schlagen.“ („Von den Kämpfen zur Entwicklung der Arbeiterautonomie“ der Autonomen Versammlungen von Alfa-Romeo und Pirelli und dem Kampfkomitee von Sit-Siemens, Mai 1973). Erneut weigert man sich, eine Bilanz der historischen Erfahrung des Proletariats zu ziehen, indem man einfach „berechtigterweise über die Form der Partei lachte, die die 3. Internationale entwickelt hatte“. Aber wenn die Arbeiterklasse über ihre eigene Vergangenheit nachdenkt, geschieht das nicht, um darüber zu lachen oder zu weinen, sondern um ihre Fehler zu begreifen, und um anhand dieser Erfahrung eine Klassenlinie festzulegen und um sich vom Klassenfeind abzugrenzen. Das revolutionäre Proletariat „lacht“ nicht über den „überholten Marxismus-Leninismus Stalins“, um besser den von Mao-Tse-Tung „erneuerten“ zu verherrlichen, sondern verwirft sie beide als Waffen der Konterrevolution. Aber genau das wollen die Neo-Autonomen nicht machen: „Aus dieser Sicht verwerfen wir jede dogmatische (?!) Unterscheidung zwischen Leninismus und Anarchismus: Unser Leninismus ist der von „Staat und Revolution“, und unser Marxismus-Leninismus ist der der chinesischen Kulturrevolution.“ (PO Nr. 50, S. 3). Worin besteht schlussendlich die Rolle der Revolutionäre? „Wir müssen dazu in der Lage sein, die Kraft der Arbeiterklasse zu vereinigen und zu organisieren; wir dürfen nicht stellvertretend für sie handeln.“ (Alle Avanguardie per il Partito, PO, Dez. 1970). Diese Aussage stelle die unüberwindbare Grenze dar, über die Autonomia Operia nie hinausgehen konnte, d.h. nur die Auffassungen als substitutionistisch zu betrachten, denen zufolge die Revolution von den Abgeordneten mit Reformen gemacht wird oder von den „militarisierten“ Studenten mit Molotov-Cocktails. Aber derjenige ist substitutionistisch, der das revolutionäre Wesen der Arbeiterklasse leugnet, mit all dem, was dies bedeutet. Wenn man behauptet, die Aufgabe der Revolutionäre bestünde in der Organisierung der Arbeiterklasse, leugnet man gerade die Fähigkeit der Klasse, sich gegenüber allen anderen Klassen der Gesellschaft selbst zu organisieren. Die Arbeiterräte der ersten revolutionären Welle wurden von den Arbeitermassen spontan gebildet; Lenin hat diese 1905 nicht organisiert, sondern sie anerkannt und in ihren Reihen die revolutionären Positionen der Partei verteidigt.  Wenn „die Organisation, die Partei, heute im Kampf gegründet wird“, wie kann man dann, sobald die Kämpfe beendet sind, das Überleben dieser Partei rechtfertigen, ohne in Substitutionismus zu verfallen? Die Avantgarden, die Revolutionäre schließen sich nicht um diesen oder jenen Kampf, sondern um ein politisches Programm zusammen. Auf der Grundlage desselben und als Ergebnis des Kampfes werden sie wiederum zu einem aktiven Faktor der Kämpfe, ohne jedoch von den Höhen und Tiefen der Bewegung abhängig zu sein, oder diese durch wohlgemeinte „Organisationsarbeit“ auszugleichen. Die Unfähigkeit zu begreifen, dass  Klasse und revolutionäre Organisation zwei unterschiedliche aber nicht entgegengesetzte  Wirklichkeiten sind, liegt an der Wurzel der substitutionistischen Auffassungen, die alle Partei und Klasse gleichsetzen. Wenn die Leninisten die Klasse mit der Partei gleichsetzen, kehren die Autonomen (unbewusste Nachkömmlinge des entarteten Rätekommunismus) nur die Sache um, indem sie die Partei mit der Klasse gleichsetzen. Diese Unfähigkeit ist das Symptom eines unvollständigen Bruchs mit den Gruppen der extremen Linke. Dies kommt durch die Autonome Versammlung von Alfa-Romeo gut zum Ausdruck, in der eine Aufgabenteilung theoretisiert wird, derzufolge die politischen Gruppen politische Kämpfe betreiben (d.h. politische und Bürgerrechte, Antifaschismus, kurzum das ganze arbeiterfeindliche Verschleierungsarsenal) und die autonomen Organe, die Kämpfe in den Fabriken und den Büros. All das ist logisch aus der Sicht derjenigen, die meinen „die Fähigkeit, Valpreda mit einer Abstimmung aus dem Gefängnis zu holen, war ein Teil des siegreichen Kampfes gegen den bürgerlichen Staat(!)“(Alfa-Romeo, Arbeiterzeitung des Kampfes 1972-73, Autonome Versammlung, Oktober 1973).

 Wie wir gesehen haben, ging die Autonomia Operaia von noch ein wenig konfuseren Grundlagen als PO  aus, während die Lage viel klarere Grundlagen erforderte. All diese proletarischen Bestrebungen, die zwar eine verwirrte aber gesunde Reaktion gegen die elende Praxis der extremen Linke darstellten, drehten sich nur im Kreise herum und versickerten, wenn sie weiter in diesem verwirrten Rahmen steckenblieben.         (Fortsetzung folgt).

 (Auszug aus Internationale Revue Nr. 16, englische, französische, spanische Ausgabe, 1979).  

Aufstieg und Niedergang der Autonomia Operaia 2. Teil

 

Ende der 60er Jahre entstand der Operaismus in Italien als Neuauflage der alten Arbeiterkultideologie der ‚Militanz am Arbeitsplatz‘. Als nach 1989 der Marxismus allgemein für bankrott erklärt wurde, witterte der Operaismus Morgenluft, da er seit jeher die klassischen Thesen des Marxismus wie etwa der Wirtschaftskrise des Kapitalismus oder die Unvermeidbarkeit des imperialistischen Krieges verworfen hatte. In Anbetracht der Fortentwicklung der Krise sowie des imperialistischen Krieges ist es nun höchste Zeit, die ursprünglichen Thesen nicht des Marxismus sondern des Operaismus kritisch, d.h. historisch zu hinterfragen.  Haben die Schlussfolgerungen, welche die Automia in Italien damals zog, der Prüfung durch die Geschichte standgehalten. Wir veröffentlichen nachfolgenden in Auszügen den zweiten Teil einer Kritik an Potere Operaio, die die IKS bereits 1979 verfasste (International Review, engl./franz./span. Ausgabe, Nr. 16). Der erste Teil des Artikels erschien in Weltrevolution Nr. 95. egenüber dem Rückfluss [des Klassenkampfes Anfang der 70er Jahre] liefert die Autonomia vor allem zwei Arten von Antworten: 

 G

1)       den voluntaristischen Versuch, dem Rückfluss gegenzusteuern, indem man einen immer frenetischeren und immer substitionistischeren Kurs gegenüber der Klasse einschlägt. 

2)       Die schrittweise Verlagerung des Fabrikkampfes auf neue Kampfgebiete, die natürlich “höherstehend” seien.

Aber über diese schrittweise Unterscheidung zwischen denen, die “durchhalten” wollen  und den “alternativen” Erneuerern stolpert und zerbricht das Projekt der Zentralisierung des “Bereichs der Autonomia”, welches mit großen Ansprüchen zu dem Zeitpunkt formuliert worden war, als Potere Operaio (PO)versuchte, innerhalb der Nationalen Koordination seine Politik durchzusetzen. Diese beiden Linien haben im großen und ganzen die beiden symmetrischen Abweichungen hervorgebracht, den Terrorismus und den Marginalismus, die sich beide überschnitten und ergänzten.  

Ohne hier diese beiden “Fäden” näher untersuchen zu können, ist es dennoch wichtig aufzuzeigen, dass sie die logische Fortentwicklung ihres Ursprungs aus der Arbeiterkultszene sind und keineswegs eine Ablehnung desselben.  

Wenn der Arbeiterkampf das Kapital in die Krise und Defensive treibt, muss die Arbeiterorganisation schon technisch vorbereitete, solide Instrumente zu ihrer Verfügung haben, mit Hilfe derer man den Willen zum Angriff seitens der Arbeiter ausdehnen, verstärken und vorantreiben kann... Die ununterbrochene Revolution gegen die Arbeit herbeiführen und organisieren, Momente der Befreiung sofort festlegen und leben.. Dies ist die Aufgabe der Arbeiteravantgarde und unsere Auffassung von der Diktatur.” (4)  

Wie man sieht, bringt PO hier die Grundsatzpositionen zum Ausdruck, die die Wurzel seiner terroristischen “Linie” bilden.  

1)       Einerseits die Auffassung, die Krise sei erst durch den Druck des Klassenkampfes entstanden.  

2)       Andererseits die Auffassung der Revolutionäre als technische Organisatoren des Klassenkampfes. Deshalb müsse man eine “bestimmte Organisationsform” erreichen, um gegenüber der Arbeiterklasse glaubwürdig zu sein und mit den Gewerkschaften konkurrieren zu können  bei der “Verwaltung” der Kämpfe.  

In dem Maße, wie die Welle von Kämpfen von 68 nachließ, entwickelte man “Tricks”, die ein guter Techniker der Guerilla in den Fabriken kennen müsse, um seine Genossen am Arbeitsplatz zum “versprochenen Paradies” zu führen. So entstand und entfaltete sich die ganze mystische Herangehensweise der “Arbeiteruntersuchung”, d.h. der Untersuchung der Fabrikstrukturen – und der Produktionszyklen - durch die Avantgarden, um deren Schwachpunkte zu entdecken: Es würde dann ausreichen, an diesen Schwachpunkten anzusetzen, um den ganzen Zyklus zu blockieren und die Bosse “in die Enge zu treiben”. (...) Die Idee, ohne Vorwarnung zu dem Zeitpunkt und an dem Ort zuzuschlagen, wenn dies den Bossen am meisten wehtut, ohne dass dadurch gleichzeitig große Verluste für die Arbeiter entstehen, ist kein bloßer Einfall, sondern eine praktische Erkenntnis der Arbeiterklasse und wird  als “wilder Streik” bezeichnet. Das Neue ist die Idee (und dies ist tatsächlich  eine fixe Idee), dass der wilde Streik von den Avantgarden programmiert werden könnte, was aber ein Widerspruch in sich ist.  

Man könnte uns erwidern, dass dies alles stimme, aber wenn man nicht die Fabriken kenne, könnte man die Kämpfe verschiedener Sektoren nicht vereinigen, man würde sich verlieren und verlaufen etc.. Das stimmt. Aber es steht keineswegs fest, dass es dank der nächtelangen “Untersuchungen” einiger Militanter den Arbeitern, z.B. denen der Lackiererei, gelingen würde, sich zum Fließband, wo  Karosserien montiert werden, oder zur Stahlpresse zu begeben. Im Verlaufe ihres Kampfes löst die Klasse in der Praxis das Problem der Absperrungen und der Gitter, in- dem sie diese niederreißt.  

Dieser Punkt, der vielleicht als widersprüchlich erscheint, zeigt klar auf, dass hinter solch einer technisch-militärischen Auffassung des Klassenkampfes eine falsche Herangehensweise steckt. Die Vereinigung der Kämpfe wird nicht dadurch möglich, indem in jeder Gruppe Genossen die Pläne der Fabriken auswendig kennen. Aus dem Bedürfnis, die Kämpfe zu vereinigen, um aus den irreführenden Sackgassen der auf einzelne Bereiche beschränkten Kämpfe herauszukommen, wird die Klasse gezwungen, die Hindernisse auf dem Weg dieser Vereinigung beiseitezufegen. Um durch eine Demonstration die Arbeiter anderer Betriebe zur Teilnahme aufzurufen, ist es keinesfalls wichtig zu wissen, wo der Aus- oder Eingang eines Betriebes ist, sondern man muss verstanden haben, dass nur die Ausdehnung des Kampfes zum Sieg führen kann. In Wirklichkeit sind nämlich die schlimmsten Hindernisse keineswegs die Absperrungen, sondern diejenigen, die sich innerhalb der Arbeiterklasse mit viel Demagogie der Reifung der Klasse entgegenstellen. Die wirkliche Mauer, die niedergerissen werden muss, ist die, die jeden Tag von den Gewerkschaftsaktivisten, den Parteien und den “Arbeitergruppen” errichtet wird, die nämlich eine nahezu unsichtbare aber hohe Mauer aufbauen, welche das Proletariat innerhalb des “italienischen Volkes” einsperren und es von seinen Klassenbrüdern auf der Welt abspalten wollen. Das ist die Fußfessel, die es an die in Schwierigkeiten geratene Volkswirtschaft binden soll. Die demagogische und radikale “Verkleidung” dieser Hindernisse zu entblößen, deren konterrevolutionäres Wesen aufzuzeigen, das ist die besondere Rolle der Revolutionäre inner- und außerhalb der Betriebe, das ist ihr unersetzlicher Beitrag zur Herausbildung des Klassenbewusstseins und der Einheit der Klasse, die ganz andere Fabriktore aufbrechen wird als die von Fiat (...)  

Mittlerweile ist es schon zu einem Allgemeinplatz in den Publikationen von Autonomia geworden, dass sie den “Roten Brigaden” “Übertreibungen” des Militarismus und  Loslösung von den Massen vorwerfen. Die Brigaden haben deren Weg des Voluntarismus eigentlich nur konsequent zu Ende beschritten (...) Die Tatsache, dass all die Kritik der Arbeiterautonomie an den Roten Brigaden nie über das übliche opportunistische Jammern, einige Aktionen seien verfrüht, hinausgeht, und nie zum Wesentlichen vordringt, ist sicherlich kein Zufall, denn die Wurzeln dieses Tatbestandes liegen in der Theorie der Arbeiterautonomie selber.  

Man kann keine ‚klassische‘ Aufstandstheorie mehr in den kapitalistischen Metropolen anwenden. Sie hat sich als überholt erwiesen; genauso wie sich das Verständnis der Krise als ein Zusammenbruch als überholt erwiesen hat... Der bewaffnete Kampf entspricht der neuen Form der Krise, die von der  Arbeiterautonomie aufgezwungen wurde, genauso wie der Aufstand der logische  Abschluss der alten Krisentheorie als wirtschaftlicher Zusammenbruch war.” (Potere Operaio, März 1973)  

Man kann nicht den Marxismus auf dem Altar  des subjektiven Willens der Massen opfern und dann ernsthaft diejenigen kritisieren (...), die den Lauf der Geschichte zu beschleunigen versuchen, indem sie den Massen ihren eigenen “Willen” aufzuzwingen versuchen. Der Militarismus der “Roten Brigaden” ist nur die konsequente und logische Weiterentwicklung des Arbeiteraktivismus der berühmt berüchtigten “Arbeiteruntersuchungen”.  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Politische Strömungen und Verweise: 

Theoretische Fragen: 

Erbe der kommunistischen Linke: