Verkehrschaos – Spiegelbild kapitalistischer Anarchie

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 Das alltägliche Verkehrschaos - und damit verbunden Staus, Smog, Streß, Umweltzer­störung usw. Jeder kennt es, wir brauchen es hier nicht weiter zu beschreiben. Natür­lich fühlt sich jeder hilflos, meint, man könne nichts ausrichten. Wir aber sagen: diese Anarchie im Verkehr, das alltägliche Chaos sind keine Naturgegebenheiten, denen wir hilflos ausgeliefert zu sein brau­chen. Wir meinen, dieser Verkehrsinfarkt ist das Spiegelbild der kapitalistischen Ver­hältnisse selbst. D.h. eine wilde, chaotische Verkehrsform, die notwendigerweise in ei­nem zerstörerischen Chaos enden muß. Um aus dieser Anarchie im Verkehrswesen her­auszukommen, gibt es nur einen Weg: die Überwindung dieser Gesellschaft.

Wir wollen nachfolgend die Ursachen für dieses Verkehrschaos im Kapitalismus auf­zeigen, und warum eine Lösung innerhalb dieses Systems nicht denkbar ist.

DIE TECHNISCHE REVOLUTIO­NIERUNG DER TRANSPORTMIT­TEL IM KAPITALISMUS

Zunächst ein Rückblick auf das Ver­kehrsaufkommen in der Geschichte. Denn die Transportbedürfnisse in der Gesell­schaft haben sich in der Geschichte ge­waltig verändert. Während der Antike und im Römischen Reich gab es größere Transportbewegungen meist nur in Erobe­rungsfeldzügen, ansonsten war der Wa­ren- und Personenverkehr nur sehr be­schränkt; die Produktion erfolgte lange Zeit nur für lokale Käufer, Sklaven stell­ten Sachen für ihre jeweiligen Herren und für keinen Markt her.

Die Transportmittel und die Technik blie­ben jahrhundertelang im Wesentlichen un­verändert. Selbst im Mittelalter kam es bis zum 15./16. Jahrhundert zu keinen größeren Warenbewegungen über örtliche Märkte hinaus. Die Bauernwirtschaft und damit Subsistenzwirtschaft, Abgaben an Lehnsherren und Adlige - all das ver­langte noch keine umfassenden qualitativ neuen Verkehrsmittel. Die Märkte be­fanden sich jeweils in unmittelbarer Nähe der Produktionsstätten - eine Umwälzung der alten, mehr als Tausend Jahre lang bewährten Transportmittel war noch nicht erforderlich.

Erst mit dem aufkommenden Handel im Kapitalismus und der sich dahinter ver­steckenden Notwendigkeit für das Kapital, ständig seine Produktion auszudehnen und neue Absatzmärkte zu suchen, war eine neue Triebfeder für die Entwicklung des Transportes entstanden. Die Kapitalakku­mulation, der wirtschaftliche Expansions­drang sorgten für eine Revolutionierung im Transportwesen. Die aufkommende Dampfschifffahrt, die Entwicklung und weltweite Ausdehnung der Eisenbahnen, neue Schiffahrtskanäle und Straßensy­steme, all das waren technische Wunder­werke, die der Kapitalismus neben vielen anderen technischen Erneuerungen inner­halb kürzester Zeit in der industriellen Revolution aus dem Boden sprießen ließ. In diesem Prozeß errichtete er im letzten Jahrhundert einen Weltmarkt; neue Konti­nente wurden der Kapitalsherrschaft un­terworfen. All diese neuen kapitalistischen Eroberungen, die in Westeuropa damit einhergehende Industrialisierung erfor­derte eine Umwälzung der Verkehrsver­hältnisse. Insofern hat der Kapitalismus durch seinen ihm innewohnenden Drang zur ständigen Eroberung neuer Märkte eine wahre technische Revolution, einen gewaltigen Fortschritt für die Menschheit gebracht. Das Kapital erforderte und er­möglichte eine neue Mobilität der Waren (ob Arbeitskraft oder als Güter).

Aber da der Kapitalismus auch eine auf Ausbeutung basierte Gesellschaft ist, in der wirtschaftliche Anarchie, Krise, Zer­störung und Chaos verankert sind, brachte der Kapitalismus damit auch ein neues Maß, eine neue Dimension an Anarchie und Chaos im Transportwesen mit sich.

Wenn nun die Grünen und andere Parteien "alternative Verkehrssysteme" anpreisen, dann mag sich zwar hier und da eine nützliche Verbesserung daraus ergeben, aber an den wahren Ursachen dieses Chaos wird nicht gerüttelt. Denn diese Anarchie im Verkehr hat ihre Wurzeln in den Grundwidersprüchen der kapitalisti­schen Produktionsweise selber. Aus Platzgründen können wir hier nicht näher auf die ökonomischen Grundwidersprüche dieses Systems insgesamt eingehen. Wir wollen uns nur auf die für das "Verkehrswesen" direkt relevanten be­schränken.

DIE WURZELN DES CHAOS UND DER ANARCHIE

Wenn ein Unternehmer eine Firma auf­macht, fragt er nicht nach dem Nutzen und den Konsequenzen für die Gesell­schaft. Bei der "Standortwahl" sind für ihn einzig und allein billige Produktions­bedingungen und günstige Wege zum Markt ausschlaggebend. Die Bedürfnisse der Menschen, der Natur, all das wird nicht berücksichtigt - nur finanzielle Aspekte spielen bei der Standortwahl und den damit verbundenen Warenbewegun­gen eine Rolle.

Das Beispiel der Milch, die morgens aus den bayerischen Alpen mit dem LKW nach Italien transportiert wird, um dort nach der Verarbeitung zu Joghurt wieder zu­rück über die Alpen auf den deutschen Markt befördert wird, ist mit am bekann­testen.

Anhand dieses Beispiels läßt sich aufzei­gen, daß es im Kapitalismus viele völlig überflüssige Transportbewegungen gibt, die gesellschaftlich und technisch absolut sinnlos und verschwenderisch sind, weil das Wesen des Produktes dieses Hin- und Herverschieben nicht erfordert - sondern nur billiger Arbeitskräfteeinsatz diese chaotischen Güterbewegungen erklären kann. Unterschiedliche Löhne, die best­mögliche Ausnützung von Preisen (Gütern oder Arbeitskraft) erklärt so einen Teil des Transportaufkommens.

Diese Anarchie und Willkür der Stand­ortwahl bzw. seine Festlegung nach rein kapitalistischen Kriterien, der Anteil der technisch überflüssigen und daher rein profitbedingten Transporte kann nicht in­nerhalb des Kapitalismus überwunden werden!

Neben diesem Aspekt des völlig überflüs­sigen Verkehrsanteils ergab sich so aber auch im Laufe der Zeit die Entwicklung, daß sich Produktionsstandort, Wohnort der Beschäftigten und Absatzmarkt immer weiter voneinander entfernten. Während z.B. früher der Bauer in der Subsistenz­wirtschaft auf seiner Scholle arbeitete und lebte, und selbst im Frühkapitalismus noch die ersten Industriearbeiter in un­mittelbarer Fabriknähe lebten (Stichwort Black Country in England und Ruhrgebiet in Deutschland), reisen heute die Be­schäftigten oft stundenlang zur Arbeit. Viele Innenstädte sind nachts ganz entvöl­kert, Pendler kommen tagsüber und ver­doppeln oft die Zahl der Menschen in der Stadt. Dahinter steckt die ganze Entwick­lung des Widerspruchs zwischen Stadt und Land, auf den wir hier auch aus Platzgründen nicht näher eingehen kön­nen, der aber auch ein typisches Kind des Kapitalismus ist. Auch diese Entwicklung kann nicht innerhalb des Kapitalismus ge­bremst oder umgelenkt werden. Erst in einer anderen Gesellschaft ist eine andere Organisierung möglich.

DIE UNTERNEHMER: RAUBTIERE AN DER GESELLSCHAFT

Die unüberwindbaren Interessensgegen­sätze zwischen den Interessen eines ein­zelnen Unternehmers und der Gesellschaft schlagen sich im Transportbereich auch weiter folgendermaßen nieder:

Während die Gesellschaft im Interesse ei­nes rationellen Einsatzes der Produkti­onsmittel, des Schutzes der Natur, des möglichst geringen Materialaufwandes usw. danach strebt, den Transportaufwand bei Produktion und Verkauf möglichst ge­ring zu halten, kämpft jeder Transportun­ternehmer für einen möglichst hohen Transportanteil. So reibt sich jede Flugge­sellschaft die Hände über die Kiwis und Äpfel, die sie von Neuseeland und Chile nach Europa fliegen können. Oder jeder Spediteur jubelt, wenn er Autoteile quer durch Europa herumtransportieren kann.

So ist natürlich der Transportsektor ein riesiger Markt. Während die öffentlichen Verkehrsmittel zwar auch gewaltige Inve­stitionsmittel anziehen, ist es jedoch ty­pisch, daß für das Kapital das Auto das Mittel ist, das für viele Wirtschaftsbran­chen am meisten "einfährt". Ein Anschaf­fungswert für jeden Kunden von ca. 30.000 DM, mit daran hängender Mine­ralölindustrie, Straßenbau, Versiche­rungsparasiten, Reparaturwerkstätten usw. - so ist der Autokunde eine riesige Quelle, die jeder einzelne Unternehmer anzapfen möchte. Anstatt daß jeder Ein­zelne entsprechend öffentliche Verkehrs­mittel benutzt, ist es eine typische Ausge­burt kapitalistischer Verhältnisse, daß je­der einzelne Verkehrsteilnehmer im Inter­esse der Industrie eher ein "Autokunde" ist. Pervers mögen die einen sagen, die Kapitalsvertreter antworten: "so ist das mal im Kapitalismus". Wie gesagt - wie viel gesellschaftliche Ressourcenver­schwendung, wie viel Umweltzerstörung, Lärm, Abgase, Verkehrstote usw. damit produziert werden - all das spielt keine Rolle - Hauptsache Umsatz wird ge­macht...

DER WAHNSINN DER KONKUR­RENZ

Da alles durch den Markt und die Kon­kurrenz bestimmt wird, stehen damit auch die verschiedenen Verkehrsträger in einem absurden Wettkampf gegeneinander. An­statt die artspezifischen Vorteile der je­weiligen Vekehrsträger sinnvoll abge­stimmt aufeinander einzusetzen, bekämp­fen sie sich ruinös. PKW, LKW und Busse gegen Bahn, Bahnen untereinander, Bahn gegen Schiff usw...

Daß dabei jeweils Lobbies gebildet wer­den, um die Interessen besser durchzuset­zen, liegt ebenso in der Natur der kapita­listischen Gesetze wie der Krieg selbst. Und wenn die Autoindustrie als Gewinner die Eisenbahnen als Verlierer ins Abseits drängt, so zählt dies zum normalen gesell­schaftlichen Irrsinn in dieser Gesellschaft.

Diese Ausgangsbedingungen der kapitali­stischen Produktion, die Anarchie bei der Wahl des Produktionsstandortes, die Konkurrenz der Verkehrsträger unterein­ander, die Profitinteressen der Transport­unternehmen und deren Bestreben nach hohen Transportanteilen, die Auseinande­rentwicklung zwischen Stadt und Land - all das hat im Transportwesen einen Wahnsinn, ein grenzenloses Chaos entste­hen lassen. Auch hier obsiegt das typische kapitalistische Motto. Jeder muß für sich sehen, wie er irgendwie irgendwo hin­kommt. Anstatt sich mit rationell und ge­sellschaftlich nützlich geplanten, aufein­ander abgestimmten Transportmitteln fortzubewegen, die allen Menschen leicht zugänglich zur Verfügung stehen, ist jeder im Kapitalismus auf "sich allein gestellt".

Fehlende Planung des gesamten Trans­portwesens, fehlende Zentralisierung, Wirtschaftskrieg zwischen den Verkehrs­systemen - all das hat aber in diesem Jahrhundert neue Dimensionen erreicht.

DER ZUSAMMENPRALL ZWI­SCHEN DEM TECHNISCH MÖGLI­CHEN UND DER GESELLSCHAFT­LICHEN WIRKLICHKEIT

Denn nachdem der Kapitalismus zunächst mit dem ausklingenden letzten Jahrhun­dert einen Weltmarkt hergestellt hatte, ist er seitdem auf die Grenzen seines Systems gestoßen - und überlebt seitdem nur noch durch Zerstörung.

Die damals wirtschaftlich zurückgebliebe­nen Länder, die sog. Kolonien, waren seinerzeit schon zu wirtschaftlichen Krüp­peln geschlagen waren, denn sie sollten daran gehindert werden, eine umfassende Industrialisierung im Umfang der sog. In­dustrieländer zu durchlaufen, um so neue Konkurrenten fernzuhalten. Dies schlug sich so nieder, daß es die absurdesten Kontraste zwischen den seitdem wirt­schaftlich unterentwickelt gebliebenen Ländern und den sog. Industrieländern gibt.

Weil nur Geld, d.h. ein kaufkräftiger Markt auch neue Transportmittel anzieht, die meisten Länder der sog. 3. Welt aber wirtschaftlich zurückgeblieben sind, und eine umfassende Industrialisierung dort ausgeblieben ist, sind große Teil dieser Länder von modernen Transportmitteln überhaupt abgeschnitten, bzw. es überle­ben die anachronistischsten Transport­mittel. Wenn es überhaupt Straßen, Wege und Schienen gibt, dann beherrschen oft noch Fuhrwerke, Esel, Kamel usw. die Straße. Alte, klapprige, gifte Abgase aus­spuckende LKWs und Busse, das ist das typische Straßenbild. In den Megastädten wie Mexiko, Kairo, Calcutta usw. wird die Luft bis zum Umfallen verpestet. Aber nicht nur Lärm- und Abgasterror gehören dort zum Alltag. Die Widersprüche sind noch absurder: so sehen die somalischen Flüchtlinge, die von Krieg und Dürre in den Tod gejagt werden, und wo es wegen der Kriegswirtschaft an zivilen Trans­portmitteln und -wegen fehlt, jeden Tag am Himmel über sich Flugzeuge. Sie flie­gen von und nach Europa - mit Touristen nach Kenia in die Safaris und die Billig­bordells, und Maschinen mit südafrikani­schen Trauben für den europäischen Markt. Kontraste und Absurditäten für das Geschichtsbuch.

All das nur, weil Löhne und Preise welt­weit so auseinanderklaffen. Riesige Mas­sen von Industriegütern, Nahrungsmitteln usw. werden beispielsweise aus Fernost nach Europa oder Amerika ver­schifft. Dabei fahren die Schiffe an Afrika oder Südamerika vorbei - obgleich die Men­schen dort diese Güter wirklich bräuchten. Aber weil ihre Kaufkraft nicht ausreicht, läuft der "Verkehr" an ihnen vorbei - stattdessen fließt er in die über­füllten und umkämpften kaufkräftigeren Märkte.

Auf der einen Seite also technische Rück­ständigkeit in vielen Gegenden; in den Hochburgen der Landflucht, den bekann­ten Megastädten Abgaskonzentrationen und Verkehrschaos so häufig und weit ge­diehen, so wild und dicht wie Fliegen auf der Scheiße. Andererseits eine absurde Situation in den Industrieländern, wo es die höchst entwickelte Technik, high-tech überall gibt, wo aber ein Verkehrsinfarkt die Gesellschaft jeden Tag terrorisiert. Gerade in den Industriezentren selber, wo der Kontrast zwischen den technisch vor­handenen Möglichkeiten und der tatsäch­lichen Organisationsform der Gesellschaft (hier die Organisationsform des Ver­kehrswesens) am deutlichsten auffällt, ist das Verkehrschaos mittlerweile zum All­tag geworden.

Hier wird auch am deutlichsten, daß zwar die technischen Mittel zu einer wirklich "vernünftigen" Verkehrsgestaltung vor­handen sind, daß aber der Raubtier- und Anarchiecharakter der kapitalistischen Verhältnisse dies unmöglich macht.

So ist eine wirkliche Umorganisie­rung, eine den Interessen der Menschen die­nende Transportgestaltung der Gesell­schaft nur möglich, indem diese Gesell­schaft umgekrempelt wird.

Deshalb sagen wir: jede auch noch so kleine Reform im Verkehrswesen kriegt das wirkliche Problem - die Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise selber - nicht zu packen. Sie kann deshalb nur Flickwerk sein und verbreitet meist die Illusion, es sei "möglich etwas zu verbes­sern".

Genauso wie die Gesellschaft insgesamt nur noch mehr Wirtschaftskrieg, Explo­sion von nationalistischen Konflikten usw. anzu­bieten hat, so kann auch die Anarchie im Verkehrswesen nur noch zunehmen. Erst in einer neuen Gesellschaft, in der nicht für Profit, sondern für die Bedürf­nisse der Menschen produziert wird, ist eine ver­nünftige, den Menschen dienende Organi­sation des Transportes möglich. Dv, 9/92