Diskussionsveranstaltung der IKS

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Der Hintergrund des Balkankonflikts

Heute herrscht weitgehend Blindheit und Unkenntnis in der Bevölkerung über die imperialistischen Machenschaften der Grossmächte im Jugoslawienkonflikt. Dafür sorgen die bürgerlichen Propagandisten und die bürgerliche “Erziehung“, welche uns die Lehren aus der Geschichte verschweigen. Denn die Rolle der Grossmächte in diesem Jahrhundert zu kennen, ist eine wesentliche Voraussetzung, um die Wurzeln des jetzigen Konfliktes zu begreifen. Diese Wurzeln lehrt uns, dass die Grossmächte nicht “gleichgültig“ sind gegenüber dem Jugoslawienkonflikt von heute (wie sie selbst gerne von sich behaupten) sondern denselben, heute verborgenen Kampf um die Kontrolle dieser Region austragen, welcher bereits zu zwei Weltkriegen geführt hat. Wir veröffentlichen hiermit Auszüge aus dem einleitenden Referat, welches wir bei unserer öffentlichen Diskussionsveranstaltung zum Balkankrieg vorgetragen haben. Welche Punkte in der darauffolgenden Diskussion aufkamen, haben wir in einem weiteren Artikel aufgegriffen.

Der Hintergrund des Balkankrieges

Im allgemeinen verneint die bürgerliche Propaganda keineswegs die Existenz von Konkurrenzverhältnissen, von Rivalitäten zwischen den “demokratischen“ Ländern des ehemaligen Westblocks. Offen spricht man von den konfliktbeladenen GATT-Verhandlungen, vom “Wirtschaftskrieg gegen Japan“ usw. Aber diese Konflikte seien rein wirtschaftlicher Natur und “deshalb“ friedlich auszutragen, mit Industrierobotern statt Gewehren. So wird behauptet.

Die strategische, militärische Dimension eines solchen “Wirtschaftskrieges“ wird entweder nicht erwähnt, oder auf wenige Aspekte wie die Verteidigung von Ölquellen reduziert. Aus der “Ölfrage“ kann man einen angeblichen “Kampf des Westens gegen die islamische Welt“ konstruieren, und damit den Gegensatz zwischen den führenden westlichen Mächten vertuschen. Die grossen Konflikte des 20. Jahrhunderts wie der 2. Weltkrieg oder der Ost-West-Gegensatz wurden auf ideologische Ursprünge zurückgeführt, Es sei nötig gewesen, die Welt vor den Folgen totalitärer Ideologien wie Faschismus oder “Kommunismus“ zu schützen. Jetzt aber, so heisst es, wo auch Länder wie Deutschland, Japan oder Russland zur “demokratischen Staatengemeinschaft“ beigetreten sind, seien Konzepte wie Imperialismus oder der Kampf der Grossmächte um die Weltherrschaft nichts als leeres Gefasel der ewiggestrigen Marxisten. Die Position des Marxismus sei umso abwegiger hinsichtlich des Balkankrieges, heisst es weiter, weil dort ein verarmtes, unterentwickeltes, und jetzt auch noch ausgebombtes Land wirtschaftlich von keinerlei Interesse für die Grossmächte sei.

Solche Argumente üben heute weltweit einen enormen Einfluss aus. Sie beeinflussen oder beherrschen das Denken von Millionen von Arbeitern. Denn die Massenmedien werden vollständig von der bürgerlichen Klasse beherrscht. Und dennoch sind diese Argumente von Grund auf falsch und verlogen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts bestätigt voll und ganz die Thesen des Marxismus. Diese Geschichte zeigt auf, dass der Balkan, so verarmt und unterentwickelt er auch ist, völlig unabhängig von den Ideologien der verschiedenen Grossmächte stets eines der wichtigsten Konfliktfelder des Imperialismus war. Dies war der Fall im 1. und im 2. Weltkrieg ebenso wie im Gesamtverlauf des Ost-West-Konfliktes. Und er bleibt es auch heute noch.

Der Balkan: schon 1914 ein Kriegsschauplatz

Vor dem 1. Weltkrieg war der Gegensatz zwischen England und Deutschland am wichtigsten. Dieser Gegensatz ist auch heute, gerade im Jugoslawienkonflikt von grosser Bedeutung. Damals war England nicht die einzige, aber mit Abstand die grösste Kolonialmacht. Der Konflikt um Kolonien führte solange nicht zum Weltkrieg, wie das aufstrebende, fortschrittliche kapitalistische System noch in immer neue vorkapitalistische Weltgegenden expandieren konnte. Solange gab es neben England auch für andere führende kapitalistische Nationen genug Beute. Diese Lage änderte sich um die Jahrhundertwende schlagartig, als die Expansion des kapitalistischen Markts ihre Grenzen zu erreichen begann, und die Kolonien bereits aufgeteilt waren. Vor allem die verspätet auf dem Weltmarkt auftretenden Grossmächte wie Deutschland, Japan und Italien waren ohne nennenswerten Kolonialbesitz und somit von einem wichtigen Teil des Welthandels sowie von vielen wichtigen Rohstoffen und Agrarerzeugnissen abgeschnitten. Diese zunehmende Unfähigkeit des kapitalistischen Systems, weiter ausreichend zu expandieren, um die Existenzgrundlage auch nur der wichtigsten Grossmächte zu garantieren, leitete die Niedergangsphase des Kapitalismus ein. Diese Phase, durch ständige Wirtschaftskrisen, Weltkriege und “lokale“ Kriege gekennzeichnet, dauert bis zum heutigen Tag an.

Und diese Dekadenzphase zeichnet sich dadurch aus, dass der Krieg zur Überlebensform des Kapitals schlechthin geworden ist. Alles wird den Überlegungen, den Vorbereitungen des Krieges untergeordnet.

Die imperialistischen Ambitionen Deutschlands

Da zur zeit des 1. Weltkrieges Europa und nicht Amerika quasi allein im Mittelpunkt der Weltpolitik stand, und Deutschland zur führenden Macht in Europa aufgestiegen war, wurde Berlins Gegensatz zur Weltmacht England bestimmend. Schon vor 1914 gab es drei grosse Konfliktachsen zwischen England und Deutschland. Erstens der Wettlauf der Kriegsflotten beider Länder. Zweitens die Kontrolle über das Mittelmeer, wo England noch vorherrschend war. Deutschland war am Mittelmeer nur indirekt präsent mittels seines Verbündeten Österreich-Ungarn, zu dem die dalmatinische Küste des späteren Jugoslawiens gehörte. In anderen Gebieten, z.B. im Marokko, versuchte Deutschland auch direkt am Mittelmeer Fuss zu fassen. Drittens der Nahe Osten, wo die ersten grossen Ölquellen entdeckt wurden; der Nahe Osten war zugleich für Deutschland das Einfallstor nach Asien. Das Bagdadbahnprojekt (die Eisenbahnverbindung Berlin – Konstantinopel – Bagdad) dokumentierte die Expansion Deutschlands in dieser Region. Und diese Expansionsschneise verlief quer über den Balkan. Um Deutschland sowie Österreich vom Mittelmeer und auf dem Balkan zurückzudrängen, unterstützte England (aber auch Russland und Frankreich) genau wie heute den serbischen Nationalismus. Deutschland hingegen pflegte ebenso wie heute möglichst enge Beziehungen zu den österreichischen Provinzen Slowenien und Kroatien sowie zur Türkei. Das berühmte Attentat von Sarajevo, an dem scheinbar vom englischen Geheimdienst unterstützte serbische Terrorgruppen beteiligt warn, löste schliesslich den 1. Weltkrieg aus. Die nach 1919 von den Siegermächten (jetzt unter Beteiligung der USA) in Versailles festgelegte Neuordnung Europas zielte nicht zuletzt durch die Schaffung von neuen Nationalstaaten wie der Tschechoslowakei, vor allem aber Jugoslawiens darauf ab, Deutschland sowie seine traditionellen Verbündeten Österreich und Ungarn vom Balkan und somit vom Mittelmeer bzw. vom Nahen Osten abzuschneiden. Keine Überraschung also, wenn es zu den wichtigsten Kriegszielen Hitler-Deutschlands im 2. Weltkrieg gehörte, Jugoslawien zu zerschlagen und einen von Deutschland abhängigen Staat Kroatien zu schaffen. Genau so wie heute. Die “Neuordnung“ der Welt durch die Siegermächte des 2. Weltkriegs wiederum, welche in Teheran, Jalta und Potsdam festgelegt wurde, war wie schon Versailles nicht zuletzt eine Regelung gegen Deutschland. Durch die Teilung Deutschlands ging sie sogar über Versailles hinaus. Von daher darf es ebensowenig überraschen, dass zu dieser “Friedensregelung“ die Wiederherstellung Jugoslawiens als Pufferzone gehörte.

Abermals wurde Deutschland vom Mittelmeer abgeschnitten. Seitdem ist die Bundesmarine auf das Wohlwollen anderer westlicher Mächte angewiesen, um logistische Unterstützung zu erhalten, wenn sie (bislang noch selten) im Mittelmeer operieren will.

Am Ende des 2. Weltkriegs setzten darüber hinaus die USA und England gegenüber ihrem schwächeren, neuen Rivalen um die Weltherrschaft, der UdSSR, durch, dass Jugoslawien, obwohl von “kommunistischen“ d.h. von stalinistischen Partisanen unter Tito regiert, im Ost-West-Konflikt als neutrale Pufferzone zu betrachten war. Damit wollten Washington und London auch die Sowjetunion vom Mittelmeer fernhalten. Dieses Abkommen bedeutet, dass eine Infragestellung des status quo in Jugoslawien, ob von östlicher oder westlicher Seite, nur im Falle eines 3. Weltkrieges denkbar war. In der Tat, und wie wir heute wissen, sahen die Weltkriegsplanungen beider Seiten immer die militärische Besetzung Jugoslawiens schon in der Anfangsphase vor.

Nach diesem historischen Rückblick, der die strategische Bedeutung des immer umkämpften Balkans im Zusammenprall der Grossmächte gezeigt hat, wird klar: Der Ausbruch des Krieges in Jugoslawien vor zwei Jahren ist keineswegs mit einem plötzlichen Anfall von politisch-ethnischer Tollwut erklärbar, wie die bürgerliche Propaganda uns weismachen will. Er erklärt sich vielmehr durch de Auflösung zuerst des östlichen und dann des westlichen Blockes. Plötzlich war es wieder möglich, den status quo in Jugoslawien anzutasten, ohne einen Weltkrieg auszulösen. Die erste grosse, eigenständige Handlung des wiedervereinigten Deutschlands bestand darin, gegen den Willen der ehemaligen Verbündeten, durch die Unterstützung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens die Auflösung Jugoslawiens zu betreiben, um den jugoslawischen Staat zu zerstören, der als Puffer gegen eine deutsche Expansion auf dem Balkan gedient hatte.

Die Grossmächte und ihr Stellvertreterkrieg

Washington, London, Paris eilten nun herbei, um Serbien wie schon so oft zuvor im Konflikt gegen Kroatien und Slowenien zu unterstützen. Als der Konflikt auf Bosnien übergriff, wurde die Lage noch viel komplizierter. Einerseits weil dort nicht zwei, sondern drei ethnische Gruppen aufeinanderstiessen. Andererseits ist aber auch die Tendenz, dass jeder für sich kämpft, und sich keineswegs mehr den Interessen der USA oder einer anderen Grossmacht unterwerfen will, derart stark geworden, dass die ehemaligen Verbündeten der USA, die sich 40 Jahre lang der Blockdisziplin unterworfen hatten, nunmehr eigenständig ihre Interessen verfolgen. Diese Bestrebungen haben mittlerweile nach dem Golfkrieg viel grössere Ausmasse angenommen.

Während Deutschland weiterhin hinter den Kroaten steht, habe sich England, Frankreich, Russland hinter die Serben gestellt, während wiederum die USA für die Bosnier Partei ergriffen haben. Somit bedeutet die Unfähigkeit Washingtons, militärisch einzugreifen, um die bosnischen Moslems als ihren Verbündeten gegen die europäischen Rivalen einzusetzen, einen schweren Rückschlag für das weltweite Ansehen der USA in der imperialistischen Welt…

Wie sich das auf die anderen Konfliktherde auswirkt, haben wir in einem weiteren Artikel diese Zeitung dargestellt.