Ethnische Säuberungen durch Demokratie

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Die in Paris erscheinende großbürgerliche Zeitung "Figaro" brachte am 28.07.95 folgenden Kommentar zur Lage im ehemaligen Jugoslawien:

"Wie die Vergewaltigungen und Massenhinrichtungen an den Moslems nach dem Fall von Srebrenica noch einmal gezeigt haben, ist die "ethnische Säuberung" ein nicht hinnehmbarer Horror. Aber der Austausch von Bevölkerungen, wenn das Zusammenleben unmöglich geworden ist, ist nicht unbedingt verwerflich. 1918 und 1945 hat diese Methode es ermöglicht, in Europa Minderheitenkonflikte abzuschwächen. Selbst wenn diese erzwungenen Evakuierungen besonders brutal waren, selbst wenn die Sudetendeutschen und die Schlesier die Erinnerung an ihre alte Heimat wachhalten, ist Bonn genausowenig wie Prag oder Warschau daran interessiert, auf die Vergangenheit unter dem Vorwand, sie auszulöschen, zurückzukommen. Als Zepa zwei Wochen nach Srebrenica sich ergeben mußte, haben die Blauhelme geholfen, die Einwohner zu den bosnischen Linien zu bringen. Anders ausgedrückt: Die Vereinten Nationen haben ihrerseits die Vorgehensweise, die nach den beiden Weltkriegen benutzt wurde, angewandt. Bleibt abzuwarten, ob die westlichen Diplomaten es wagen anzuerkennen, daß eine solche Vereinfachung der Landkarte eine bessere Chance bietet, den Kriegsparteien einen Kompromiß abzuringen."

Nicht nur in Frankreich entdeckt die Bourgeoisie wieder die Vorzüge der ethnischen Vertreibungen. Als am 4. August die kroatische Armee zum Sturm auf die Krajina ansetzte und damit zehntausende Serben aus der Region verjagte, fragte der Moderator des "Heute Journal" scheinheilig den Korrespondenten in Zagreb, ob nicht durch die Flucht der Serben wenigsten die "Landkarte des Balkans geordnet" werden könne? Denn durch die kroatische Offensive mit angestrebter Säuberung der Krajina sind allein ca. 150.000 Krajina-Serben in die Flucht getrieben worden. Es handelt sich um die größte Menschenvertreibung seit Beginn dieses Krieges.

Wer die bürgerlichen Medien aufmerksam und kritisch verfolgt, wird längst gemerkt haben, daß immer wieder Sprecher der herrschenden Klasse in den westlichen "Demokratien" der Notwendigkeit des "Ordnens" und des "Aufräumens" des "ethnische Chaos" auf dem Balkan das Wort reden. Zwar werden die Politiker, wenn sie zum Fenster hinaus reden, nicht müde, wenn es um die öffentliche Verurteilung ethnischer Vertreibungen geht. Sie tun so, als ob diese Verbrechen lediglich auf das Konto der "verrückt gewordenen Barbaren" vor Ort, der Karadzics und Tudjmanns gehen.

Die Vertreibung: eine alte gutbürgerliche Tradition

Tatsächlich ist die Vertreibung wie auch die Ermordung ethnischer Minderheiten ein gerade im diesem Jahrhundert bewährtes und häufig angewandtes Mittel der bürgerlichen Staatsräson. Dabei ist der ethnische Haß zumeist nicht die Ursache der Vertreibungen, sondern deren Mittel. Vertreibungen oder "Umsiedlungen" sind eine Politik des Staates, welche ganz konkreten politischen und strategischen Zielen dient. Unter Hitler betrieb Deutschland eine gigantische "Umsiedlungspolitik" im kontinentalen Maßstab, um ein möglichst großes und homogen besiedeltes Staatsgebiet zu schaffen. Denn: je 'homogener' das Gebiet eines Staates, desto besser kann es militärisch verteidigt werden. Je 'homogener' die eigene Bevölkerung, desto schwerer wird es feindlichen Staaten fallen, Teile davon gegen die eigene Regierung aufzustacheln.

In Rußland wurden unter Stalin ganze Volksgruppen oft Tausende von Kilometern weit aus politischen Gründen deportiert, z.B. die "Volksdeutschen", damit sie nicht mit den deutsche Invasoren im 2. Weltkrieg kollaborieren konnten. Am Kriegsende wurden dann ca. 15 Millionen Deutsche aus Osteuropa vertrieben, um ethnisch gereinigte Nationalstaaten herbeizuführen. Diese Vertreibungen durch die Stalinisten wurden von den ach so demokratischen westlichen Siegermächten des 2. Weltkriegs durch Absprachen sanktioniert und öffentlichen gutgeheißen.

Dieses Beispiel erinnert daran, daß neben dem Faschismus und den westlichen Demokratien gerade auch der Stalinismus über eine große, jahrzehntelange Tradition der Vertreibung von Menschen aus ethnischen und nationalistischen Gründen verfügt. In Bulgarien vertrieb das stalinistische Regime Anfang 1989 noch Hunderttausende Türken. Das ‘demokratisch’ gewählte Nachfolgeregime legitimierte diese Pogrome nachträglich. Im ehemaligen Jugoslawien sind es dieselben alten chauvinistischen, stalinistischen Henker, die heute unter bürgerlich demokratischen Cover ihre nationalistische Hetzpolitik fortführen. Milosevic, Tudjmann und Konsorten hatten in Stalin ihren Ziehvater und setzen nur dessen Tradition fort.

Im Konflikt auf dem Balkan verfolgen alle Kriegsparteien ähnliche Ziele. Sie wollen einerseits ihre eigenen Gebiete ethnisch "reinhalten", um ihre Macht über Land und Leute zu steigern. Andererseits versuchen sie ihre "Landsleute", welche auf dem Territorium des Gegners als ethnische Minderheit leben, möglichst lange dort zu halten, um sie als "5. Kolonne hinter den Feindeslinien" zu mißbrauchen. So werden ganze Bevölkerungsgruppen zu ständigen Geiseln der imperialistischen Rivalitäten der bürgerlichen Staaten. Dies gilt nicht nur für die Balkanvölker, sondern bereits heute auch für die Russen außerhalb Rußlands, für die Algerier in Frankreich, die Türken und Kurden in der Bundesrepublik usw.. Türken und Kurden dienen heute als Mobilisierungsmasse und Zielscheibe politisch-militärischer Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und der PKK,; sondern auch zwischen Deutschland und den USA.

Die Großmächte sind an den Vertreibungen mit beteiligt

Auf dem Balkan verfolgen die Großmächte, gerade weil sie nationale Gruppen vor Ort benutzen, um ihre eigenen Interessen zu wahren, ebenfalls die Politik der Vertreibungen. Man braucht etwa nicht zu glauben, daß die deutsche Regierung, konsequenter Verbündeter Zagrebs und Feind Serbiens, ein Interesse daran hat, daß nach der Rückeroberung der Krajina durch Kroatien, einige Hunderttausend Serben dort wohnen bleiben.

Dort, wo die angeblichen Verteidiger der Menschlichkeit, die westlichen Demokratien, selber auf dem Balkan Truppen stationiert haben, nehmen sie an den Vertreibungen zusammen mit ihren Verbündeten vor Ort direkt teil. So brachte etwa der Kommandant des niederländische Blauhelmkontingentes in Ostbosnien, Karremann, die Regierung in Den Haag sichtlich in Verlegung, als er öffentlich die ausgezeichnete Zusammenarbeit seiner Truppen mit den serbischen Kräften bei der Eroberung der "UN-Schutzzone" Srebrenica lobte.

Dieser Kommandant 'bekannte sich dazu, daß er sich "nachdrücklich für das Mitwirken an dem Abzug von Flüchtlingen" entschieden habe. Dadurch sei "viel Elend" in dem niederländischen UN-Stützpunkt verhindert worden. "Zugleich haben wir gelernt, daß die Parteien in Bosnien nicht in gute und schlechte Kerle eingeteilt werden können" sagte der holländische Oberst, der zuvor so anerkennende Worte für die serbischen Aggressoren gefunden hatte" wie die FAZ aus der Sicht der deutschen Bourgeoisie zornig berichtete (26.07.95).

Die Umsetzung von ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien ist sogar einer der wenigen Punkte, worauf die europäischen Großmächte sich im Laufe des Krieges einen Augenblick lang einigen konnten. Nach der diplomatischen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens 1991 veröffentlichte die Europäische Union eine Art Katalog der Bedingungen, unter denen auch andere jugoslawische Republiken die diplomatische Anerkennug der Europäer erreichen könnten. Dort stand, daß in umstrittenen Gebieten per Volksabstimmung entschieden werden sollte, zu welcher Nachfolgerepublik ein Gebiet gehören sollte. Dies war nichts anderes als die Aufforderung an die lokalen Machthaber, durch ethnische Vertreibungen die Mehrheitsverhältnisse, die sie brauchten, herbeizuführen. In Bosnien wurde diese Politik denn auch sofort von der lokalen Bourgeoisie vor Ort, von Serbien, Kroatien wie auch von den moslemischen Machthabern sofort in die Tat umgesetzt.

Was die Bourgeoisie des In- und Auslands der jugoslawischen Arbeiterklasse angetan hat, darf nie vergessen werden.

"Innerhalb kurzer Zeit sind große Teile der Bevölkerung in allen Teilrepubliken verarmt, den Mittelstand gibt es praktisch nicht mehr. Die Mehrheit der Bevölkerung - über 90% - kämpft ums nackte Überleben. Hunderttausende sind aus ihren Häusern und Dörfern vertrieben worden und leben nun weit verstreut, als Flüchtlinge in Kroatien, Serbien und Bosnien. Sie sind eine große Belastung für die übrigen Bewohner dieser Gebiete, deren Lage ohnehin schon schwierig genug ist. Das gesamte soziale Gefüge ist ins Wanken geraten. Sowohl in Serbien als auch in Kroatien und Bosnien steht jetzt eine kleine Schar Kriegsgewinnler an der Spitze. Diese schmale Schicht hat sich schamlos bereichert und hat in der zerfallenden Gesellschaft die beherrschende Rolle übernommen. Es sind durchweg Mitglieder der jeweiligen national gesinnten Führungsschicht, die nicht nur über den Reichtum des Landes verfügen." (Le Monde Diplomatique, Juli 1995).

 

Angesichts der antiserbischen Hetztiraden vor allem der deutschen Medien wollen wir zudem betonen, daß es die serbische Arbeiterklasse ist und nicht die Bourgeoisie, die Hunderttausende von Kriegsflüchtlingen miternährt und die entsetzlich zu leiden hat unter dem Wirtschaftsboykott der "internationalen Gemeinschaft".

Darüberhinaus aber haben die kapitalistischen Kriegsverbrecher die jugoslawische Arbeiterklasse physisch und politisch zerrissen.

Die Großmächte stacheln zum Haß an

In Bosnien ist dies besonders grausam gewesen, wo über 80% aller Ehen "ethnisch gemischt" waren. Hier sind Strassenzüge, Dörfer, ja Familien brutal gesprengt worden. Rekrutiertrupps der verschiedenen lokalen Ausbeuter haben junge Männer verschleppt, in Militäruniformen gesteckt und willkürlich als "Serbe" oder "Kroate" deklariert. So wurden Brüder gegen Brüder, Väter gegen Söhne in den Krieg geschickt. Viele solcher Soldaten, nachdem sie wiederholt desertiert waren und wieder aufgegriffen wurden, haben bereits zwangsweise 3 oder 4 verschiedenen Armeen gedient. Ein "bosnischer Moslem" unterscheidet sich nämlich nicht mal vom Akzent her, geschweige denn vom Aussehen von einem "bosnischen Serben". Dies hindert die bürgerliche Propaganda aber keineswegs daran weiter munter zu behaupten, der Konflikt in Bosnien sei durch den Haß der dortigen Bevölkerungsgruppen aufeinander hervorgerufen.

Seit Jahrzehnten behauptet diese Propaganda außerdem, Pogrome, Vertreibungen und Völkermord seien nicht das Ergebnis des kapitalistischen Systems mit seinem Konkurrenzprinzip zwischen den Nationalstaaten, sondern dies komme nur im Faschismus vor. Die Barbarei auf dem Balkan lehrt uns wieder einmal das Gegenteil. Der "demokratische" Kapitalismus hält noch viele solcher "Säuberungen" und "Vereinfachungen" der europäischen und anderer Landkarten bereit. 05.08.95 BS