Bert Brecht: Barde der GPU

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 Anläßlich des 80. Jahrestages der Oktoberrevolution von 1917 in Rußland übertraf sich die herrschende Klasse selbst in ihrer hysterischen Verleumdungskampagne. Diese erste siegreiche proletarische Revolution der Geschichte sei der direkte Wegbereiter des stalinistischen, aber indirekt auch des faschistischen Terrors im 20. Jahrhundert gewesen; ihre bekanntesten Vertreter wie Lenin und Trotzki seien nicht viel besser als Stalin oder Hitler usw.

Als es aber darum ging, 1998 das „Brecht-Jahr“ zu feiern, und somit Leben und Werk des angeblich „größten Dichters des Kommunismus“ zu würdigen, schlugen die Machthaber ganz andere Töne an. Von Rechtskonservativ bis Linksaußen wurde nicht nur das literarische, sondern auch das politische Erbe Bert Brechts in den höchsten Tönen gewürdigt. Anläßlich Brechts 100. Geburtstag wurde die Laudatio auf den berühmten Dichter in seiner Heimatstadt Augsburg von dem bayrischen Ministerpräsidenten Stoiber, in Berlin von Bundespräsident Herzog gehalten.

Wie erklärt sich diese Unterschiedlichkeit der Behandlung von Seiten der Bourgeoisie? Während Lenin, Trotzki und die Oktoberrevolution haßerfüllt verleumdet werden, wird Brecht, obwohl angeblich ebenfalls ein Klassenfeind des Kapitals, umjubelt? Ist die herrschende Ausbeuterklasse also doch zur Großzügigkeit gegenüber ihren Feinden fähig? Oder bringt ihre Begeisterung gegenüber Brecht etwa einen sich über alle Klassengräben hinwegsetzenden Respekt der Bürgerlichen vor der menschlichen Kultur schlechthin zum Ausdruck?

Die Legende von Brecht als Dichter und Denker des Marxismus

Auch die bürgerliche und kleinbürgerliche Linke beteiligt sich nach Kräften an der Verleumdung der russischen Revolution sowie an der Glorifizierung Brechts, der als wahrer „Vordenker des Marxismus“, als „beispielhaft politisch engagierter Künstler“ - ja sogar als versteckter Stalinismusgegner hingestellt wird.

Diese linken Intellektuellen, deren Vorläufer sich schon in den 30er Jahre schamlos an den Stalinismus verkauften, wollen sich heute reinwaschen, indem sie „Dichter und Denker“ der damaligen Zeit wie Brecht, Lukacs oder Gramsci, welche sich mehr oder weniger dem Stalinismus unterwarfen, als die Antwort der Gegenwart auf den Stalinismus präsentieren.

Es ist aber vor allem der gewendete Stalinismus selbst, der sich dieser Tricks bedient, um sein eigenes geschichtliches Wesen zu verschleiern. So z.B. ‘Arbeiterkampf’ (12.2.98), der den Auftakt zum Brecht-Jahr feiert mit dem Artikel „Brecht und Gramsci: Kampf gegen Ökonomismus und Wiedergewinnung der Dialektik“ (1). Hier lebt die alte stalinistische Geschichtsfälschung wieder auf: die Legende von Brecht als Alternative zum Stalinismus

Die deutsche Bourgeoisie schließt ihren verlorenen Sohn Brecht wieder an die Brust

In Wahrheit ehrt die deutsche Bourgeoisie in Bert Brecht keinen Klassenfeind, sondern einen der ihren. Die (west)deutsche Bourgeoisie hat Brecht vergeben, daß er sich im Kalten Krieg auf die Seite der DDR geschlagen hat. Denn heute ist der Kalte Krieg zu Ende. Nicht zu Ende aber ist der Klassenkrieg zwischen Lohnarbeit und Kapital. Und in diesem Krieg stand Brecht auf der Seite der Ausbeuter, der Konterrevolution, der bürgerlichen Nation.

In Wahrheit ist Brecht niemals ein wirklicher Kommunist gewesen. Solange in Deutschland am Ende des 1. Weltkriegs der Bürgerkrieg zwischen Proletariat und Bourgeoisie tobte, blieb Brecht der Arbeiterbewegung fern. Der Held seines ersten Dramas Trommeln in der Nacht, ein totgeglaubter, spät heimgekehrter Frontsoldat, zieht das weiche Bett seiner Vorkriegsverlobten dem Straßenkampf an der Seite der Spartakisten vor. In den zwanziger Jahren fühlt sich Brecht nicht durch die proletarische Revolution angezogen, sondern durch den rasanten sozialen Zerfall der zukunftslosen Zwischenschichten. Der bekannte Spruch aus seiner Dreigroschenoper „erst kommt das Fressen, und dann kommt die Moral“, welchen die bürgerlichen Linken von heute für das letzte Wort des Marxismus halten, formuliert in Wirklichkeit den Nihilismus der Deklassierten, vor allem des kriminellen Lumpenproletariats.

Brecht wurde erst 1930 Mitglied der KPD - zu einer Zeit also, als die stalinistische Zerstörung dieser einst wichtigsten kommunistischen Arbeiterpartei außerhalb Rußlands in vollem Gang war. Als versuchte Ehrenrettung für Brecht wird heutzutage oft betont, daß das Leiden des Proletariats durch die Weltwirtschaftskrise ab 1929 Brecht zur KPD brachte, und daß seine „Lehrer“ in Sachen Marxismus (er lernte „politische Ökonomie“ bei Fritz Sternberg und „Philosophie“ bei Karl Korsch) keine Stalinisten waren. Tatsächlich aber wurde der nihilistische, durch den Weltkrieg haltlos gewordene, ruhmsüchtige Individualist Brecht, der sich in der wirklich kollektiven, solidarischen Gemeinschaft der Arbeiterbewegung einzufügen außerstande sah, gerade durch den Stalinismus angezogen. Gerade der blinde Gehorsam, den der Stalinismus als Ausdruck des bürgerlichen Totalitarismus verlangte, gab ihm den fehlenden Halt. „Aus dieser totalen Verneinung, dieser zynischen Abkehr von allen Werten, dieser nihilistischen Leere fiel Brecht ins Entgegengesetzte, in die Bewunderung der Disziplin und der hierarchischen Ordnung der deutschen Kommunistischen Partei“, schrieb später Ruth Fischer. „Fasziniert von ihren totalitären und terroristischen Zügen wurde er der originellste Dichter, den die Partei gehabt hat.“ (2)

Die Maßnahme - Ein Lehrstück, 1929-30 entstanden, zeigt am deutlichsten Brecht als Dichter des Stalinismus. Es handelt sich dabei um ein junges Parteimitglied während der niedergeschlagenen chinesischen Arbeiterrevolution von 1925-27, das aufgrund von Feinfühligkeit - so Brecht - die Disziplin verletzt und zur Gefahr für die Partei und deswegen von seinen eigenen Parteigenossen hingerichtet wird. Indem das Opfer seiner eigenen Vernichtung vorher noch zustimmt, nimmt Brecht die Methoden des stalinistischen Terrors der 30er Jahre vorweg. Die Musik dazu komponierte Hans Eisler, dessen Bruder Gerhard 1929 nach China entsandt wurde, um nach der dort von Stalin organisierten Niederlage die proletarische Opposition innerhalb der chinesischen KP zu liquidieren.

Zugegeben: auf dem Höhepunkt der Moskauer Prozesse, als andere westliche Literaten und Intellektuelle (wie Lion Feuchtwanger) Stalin zu Füßen lagen, zog Brecht es vor zu schweigen. Er schwieg auch, als befreundete Künstler vernichtet wurden. Obwohl ihm damals sogar heimliche Sympathien gegenüber Trotzki und der proletarischen Opposition nachgesagt wurden, schwieg er. Damit kam neben seiner Faszination für den Staatskapitalismus à la Stalin ein zweiter Wesenszug Brechts wie auch anderer bürgerlicher Intellektuellen der damaligen (wie heutigen) Zeit zum Vorschein: seine abgrundtiefe Feigheit. In seinem Leben des Galilei ist er bemüht, diese Feigheit zu rechtfertigen. Während Giordano Bruno, der Trotzki und die ganze proletarische Opposition gegen den Stalinismus symbolisieren soll, sinnlos verbrannt wird, überlebt Galilei, indem er seine wirkliche Gesinnung verinnerlicht, also gegenüber Rom (sprich Moskau) verheimlicht.

Brecht: ein deutscher Patriot

Brecht war nicht nur Konterrevolutionär, sondern auch Patriot. Wie viele andere deutsche intellektuelle Stalinisten ging Brecht während der Hitlerzeit nicht in die Sowjetunion ins Exil sondern in den Westen. Er verbrachte den 2. Weltkrieg in den USA. Stalin erblickte darin zu Recht eine gewisse Opposition gegen die Vorherrschaft des „sowjetischen“ Imperialismus. Im kalifornischen Exil träumten Brecht und seine Freunde von einem gegenüber dem russischen Stalinismus unabhängigen, kulturell höherstehenden, echten deutschen Stalinismus. Als nach 1945 die Staatsmacht in der DDR in die Hände der stalintreuen Gruppe-Ulbricht überging, schlug die Enttäuschung dieser aus den USA oder Mexiko zurückkehrenden deutsch-patriotischen Intellektuellen in einen tiefen Zynismus um. Auch dieser Zynismus, welcher das Nachkriegsschaffen Brechts kennzeichnet, wird heute oft als Beweis für die Oppositionshaltung Brechts gegenüber dem Stalinismus angeführt. In Wahrheit wußte die rote Bourgeoisie der DDR sehr gut, sich dieses Zynismus zu bedienen. Wenn nicht Brecht selbst, so dienten der Zynismus und die intellektuellen Fähigkeiten dieser Patrioten dazu, den Staatssicherheitsdienst aufzubauen und zu leiten. Dieser Personentyp und deren Geisteshaltung wird heute noch von Markus Wolff sehr gut verkörpert.

Die letzten Jahre und Werke Brechts sind durch Enttäuschung, Verbitterung und zunehmende Vereinsamung des Dichters gekennzeichnet. Auslöser dieser letzten, düsteren Stimmungen war nicht das schreckliche Leiden des Proletariats nach dem Krieg, sondern im Gegenteil das Aufbegehren der Arbeiterklasse gegen ihre Ausbeutung. Angesichts des Arbeiteraufstands vom 17. Juni 1953 in der DDR zog sich Brecht immer mehr auf seine Luxusdatscha außerhalb Berlins zurück, unfähig, die ‘Undankbarkeit’ des Volkes gegenüber seinen Ausbeutern zu begreifen.

Es ist also nur folgerrichtig, wenn die Bourgeoisie heute dieses Lebenswerk als das ihre ehrt. Seine Parteinahme für die Konterrevolution, sein früher Nihilismus und später Zynismus, seine Glorifizierung der militärischen Hierarchie, seine Feigheit, seine Empörung wegen der ‘Undankbarkeit’ der Arbeiter, welche er zu verteidigen vorgab, sind eine Wiederspiegelung der Seele des Bürgertums. Vor allem ist es aber sein Patriotismus - das glatte Gegenteil des proletarischen Internationalismus -, den die Herrschenden heute loben. So hoben alle Festredner positiv hervor, daß sich Brecht im Gegensatz etwa zu Thomas Mann 1945 gegenüber den Siegermächten „für Deutschland“ einsetzte.

Hier wird deutlich, wie das Brecht-Jahr dazu dient, die häßliche, konterrevolutionäre Fratze des Stalinismus zu liften.

Nicht nur als Politiker, auch und gerade als Künstler diente Brecht dem Stalinismus; dienen die Brecht-Feierlichkeiten dazu, die größte Lüge des 20. Jahrhunderts weiter zu legitimieren: daß der Stalinismus irgendwo doch der legitime Nachfolger des Marxismus sei. Der Künstler Brecht dient in besonderer Weise dazu, weil er den Anspruch des Stalinismus vor allem mit den Mitteln der Kunst zu untermauern versuchte.

Auch der Künstler Brecht, das von ihm hinterlassene „Modell“ des „realistischen“ und „politisch engagierten“ Künstlers - der am besten dabei auch noch der Linie „der Partei“ folgt - steht für den Kampf des Stalinismus gegen das Proletariat und gegen die Kunst. Wie wenig der Marxismus die Aufgabe der Kunst darin sieht, eine bestimmte parteipolitische Linie propagandistisch zu unterstützen, zeigt bereits Friedrich Engels in einem 1888 geschriebenen Brief an Margaret Harkness: „Ich bin weit davon entfernt, darin einen Fehler zu sehen, daß Sie nicht einen waschechten sozialistischen Roman geschrieben haben (...) Je mehr die Ansichten des Autors verborgen bleiben, desto besser für das Kunstwerk.“ (3)

Das heißt keineswegs, daß der Künstler sich nicht politisch engagiert. Aber die soziale Anteilnahme des Künstlers liegt vor allem in der tiefen, objektiven Wahrheit seines Kunstwerks selbst, nicht in den subjektiven politischen Ansichten des Autors. So schrieb Rosa Luxemburg über die klassische russische Literatur: „Dostojewski ist, zumal in seinen späteren Schriften, ausgesprochener Reaktionär, frömmelnder Mystiker und Sozialistenhasser (...) Tolstois mystische Lehren schillern zum mindesten in reaktionären Tendenzen. Und doch wirken auf uns beide in ihren Werken aufrüttelnd, erhebend, befreiend. Das macht: nicht ihr Ausgangspunkt ist reaktionär, nicht sozialer Haß, Engherzigkeit, Kastenegoismus, Festhalten an dem Bestehenden beherrschen ihr Denken und Fühlen, sondern umgekehrt: weitherzige Menschenliebe und tiefstes Verantwortlichkeitsgefühl für soziales Unrecht.“ (4).

Das Beispiel Brechts mit seinen Agit-Prop „Lehrstücken und Schulopern“ im Dienste der (stalinistischen) Partei dient heute vor allem dazu, den Marxismus zu pervertieren und zu diskreditieren. Die marxistische Tradition der Verteidigung der Unabhängigkeit der Künste vor politischer Gängelung wurde vor allem von Trotzki im proletarischen Kampf gegen die stalinistische Konterrevolution verteidigt. Während Brecht 1938 auf dem Höhepunkt des stalinistischen Terrors schwieg, verfaßte Trotzki zusammen mit dem Surrealisten André Breton ein Manifest „Für eine unabhängige revolutionäre Kunst“, worin stand: „Jede fortschrittliche Tendenz in der Kunst wird vom Faschismus als Entartung gebrandmarkt. Jede freie Schöpfung wird von den Stalinisten für faschistisch erklärt.“(5)

Wenn das Proletariat gegenüber der Kunst eine Zwangsjacke anlegen würde, würde es sich damit selbst Hindernisse auf seinen Weg in die kommunistische Gesellschaft legen und damit seinen eigenen Klasseninteressen widersprechen. Kr.

(1) Dieser Artikel ist ein Auszug aus Sabine Kebir´s Buch „Gramscis Zivilgesellschaft“.

(2) Ruth Fischer: Stalin und der deutsche Kommunismus Band 2, S. 283. Fischer nannte Brecht „Den Sänger der GPU“ (d.h.der stalinistischen Geheimpolizei).

(3) Marx-Engels-Werke Band 37, S. 43.

(4) Einleitung zu Korolenko: Geschichte meines Zeitgenossen in Luxemburg Werke Band 4, S. 306).

(5) Julijana Ranc: Trotzki und die Literaten, S. 192. Wie wichtig Trotzki diese Frage nahm, zeigt die Entstehungsgeschichte dieses Manifests. In der ersten Fassung schrieb Breton, daß der Kunst volle Freiheit auch unter der proletarischen Diktatur gewährt werden muß, außer wenn sie sich gegen die Revolution richtet. Trotzki bestand darauf, diese Einschränkung aus dem Text zu streichen.