1933: Demokratie als Wegbereiter des Faschismus

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Im Jan. 1933 übernahmen die Nazis die Macht in Deutschland - demokratisch und frei gewählt im Reichstag. Programm und Ziel der Nazis: Deutschland aus der Krise von 1929 herauszuführen, und dies ging nur - dessen waren sich die Nazis von Anfang an bewußt - durch Krieg. Den bereiteten sie dann auch systematisch und planvoll vor. Was daraus geworden ist, wissen wir: KZs, der 2. Weltkrieg usw.

Heute rufen uns alle "guten Demokraten" dazu auf, daß wir uns gegen die "neue Nazi-Gefahr", gegen "Rechts" und hinter die Demokratie stellen. Die Demokraten wollen uns verkaufen, daß der Faschismus der eigentliche Feind sei, und wir uns alle gegen ihn mobilisieren sollten. Tatsächlich sind Demokratie und Faschismus aber zwei Gesichter der gleichen kapitalistischen Barbarei (siehe dazu WR 56). Es gibt keinen grundsätzlichen Gegensatz zwischen den beiden. Die Geschichte hat bewiesen, daß die Demokratie zu genauso viel Bluttaten und Barbarei zur Verteidigung des Kapitalismus fähig ist wie ihre Zwillingsbrüder Faschismus oder Stalinismus. Unsere Position ist: wir dürfen uns nicht von dieser falschen Polarisierung Antifaschismus gegen Faschismus aufsaugen lassen. Stattdessen müssen wir resolut den Standpunkt der Arbeiterklasse vertreten , die gegen alle Formen der bürgerlichen Herrschaft, ob faschistisch oder demokratisch ankämpfen muß. Nachfolgend wollen wir uns damit auseinandersetzen, warum der Faschismus in Deutschland seinen Einzug halten konnte.

DIE WIRKLICHEN URSACHEN:

DIE NIEDERLAGE DER ARBEITERKLASSE IN DEN 20er JAHREN

1914 war die Welt in einen Krieg gest

So steckte in den 20er Jahren der Arbeiterklasse ihre Niederlage tief in den Knochen. Alle ihre fr

ürzt worden - mit Unterstützung aller hurrapatriotischen bürgerlichen Parteien versteht sich - aber auch der meisten sozialdemokratischen Parteien. Der 1. Weltkrieg wurde nur durch die revolutionäre Erhebung der Arbeiter in Rußland und Deutschland zu Ende gebracht, denn im Verlaufe des Krieges entfesselte sich ein Widerstand in den Reihen der Arbeiter mit Streiks, Protestdemos, Meutereien bis hin zur revolutionären Erhebung. Um den Frieden durchzusetzen, um nicht zu verhungern, mußten die Arbeiter in Rußland die Macht ergreifen. Auch in Deutschland kam es zu mächtigen revolutionären Erschütterungen. Aber vor allem dank der Drecksarbeit der SPD und der Gewerkschaften, die sich schützend vor den bürgerlichen Staat stellten, kam die Ausdehnung der Revolution in Deutschland nicht voran. Mehr als 20.000 Arbeiter wurden 1919 umgebracht, regierungsverantwortlicher Bluthund war die SPD gewesen. Ergebnis der Niederschlagung und Versandung der Bewegung in Deutschland: die Arbeiter in Rußland blieben weitgehend isoliert. So mußten sie im Folgenden der Offensive einer imperialistischen Armee von 22 Staaten - an deren Spitze die großen Demokratien - entgegentreten, die sie zwar militärisch gewannen, aber in der sie politisch die Macht verloren. Anfang der 20er Jahre, spätestens 1923 war der revolutionären Bewegung, die ein Echo in vielen Ländern gefunden hatte, die Spitze gebrochen. Das Kapital entfaltete eine blutige Konterrevolution. Die Arbeiterklasse war physisch zu Boden gestreckt, ihre Kampfmoral untergraben, vor allem war sie politisch desorientiert. In Rußland, wo die Arbeiter infolge der Isolierung der Revolution in einem schmerzvollen Prozeß mittlerweile die Macht verloren hatten, hatte sich eine neue Herrscherclique eingenistet, die ihr Terrorregime gegen die Arbeiterklasse auszuüben begann. Der Stalinismus gab vor, die Fortsetzung der Oktoberrevolution zu sein, obwohl er tatsächlich der Totengräber derselben war. Der Kommunistische Internationale, vormals Weltpartei des Proletariats, unterwarf sich den Interessen des russischen nationalen Kapitals, kapitulierte vor dem Stalinismus, wurde zu ihrem Instrument. In Deutschland war die SPD am Ruder, deren Apparat seit 1914 in den Staat integriert war. Es war gerade die SPD gewesen, mit deren Hilfe das Kapital den Krieg hatte führen können. Und es war vor allem die Heldentat der SPD und der Gewerkschaften, die Gefahr der Ausdehnung der Revolution gebannt zu haben. Diese feinen Demokraten hatten die Arbeiter niedergestreckt, und nicht die Nazis, die erst viel später ihre Drecksarbeit ausrichten konnten. Hätten SPD und Gewerkschaften sich nicht schützend vor das Kapital gestellt, nicht dessen Terrorherrschaft ausgeübt, wäre alles ganz anders gekommen. üheren Massenorganisationen waren in das Lager des Kapitals übergewechselt: SPD, Gewerkschaften. Und diese Niederlage der Arbeiter sollte dem Kapital freie Hand geben, denn das Kapital stand nunmehr keinem mächtigen Gegner mehr gegenüber. Es konnte seine barbarischen, kriegerischen Tendenzen in einem "neuen Ausmaß" ausleben.

DER KRIEG WIRD ZUR ÜBERLEBENSART

DIE NAZIS DIE KRIEGSPARTEI

Denn der 1. Weltkrieg hatte eine neue Periode eingeläutet. Der Kapitalismus konnte nunmehr nur noch

Auch war Deutschland der große Verlierer des 1. Weltkriegs gewesen. Stark angeschlagen und mit Reparationszahlungen belastet, blieb f

Auf diesem Hintergrund waren die Nazis die konsequenteste Kriegspartei. Auch wenn sie unter den verzweifelten Kleinb

- Verstärkung des Staatskapitalismus, forcierte Militarisierung, kurzum Mobilisierung aller Ressourcen f

- und das erforderte die vollständige Unterwerfung der Arbeiterklasse, nachdem die SPD und die Gewerkschaften in den Kämpfen von 1918-23 schon die unabdingbare Vorarbeit geleistet hatten.

Erst als die Arbeiterklasse schon besiegt war und damit der Weg frei war f

Nun sagen viele, vor allem Linke, daß man den Faschismus hätte verhindern können, "wenn sich alle linken Kräfte zusammengeschlossen hätten. Wenn eine Einheitsfront aller Demokraten zustandegekommen wäre, dann hätte man den Aufstieg der Nazis vermeiden können".

 

überleben durch einen Zyklus von Krieg - Wiederaufbau - Krise - Krieg - Wiederaufbau... Nach einer kurzen Wiederaufbauphase versank die Weltwirtschaft 1929 erneut in einer Krise. Zuvor schon hatte in Deutschland die Inflation von 1923 für eine Enteignung des Mittelstandes und ein Wegschmelzen der letzten Sparguthaben der Arbeiter gesorgt. ür Deutschland kein anderer Weg, als am aggressivsten aufzutreten und den anderen Ländern deren Märkte und Rohstoffgebiete abzujagen. Aber die Krise von 1929 trieb alle Länder in diese Konfrontation - der fatalen kapitalistischen Logik folgend, blieb keine andere Lösung als die Kriegsvorbereitung auf allen Seiten. Der Krieg war zur Überlebensform schlechthin geworden. ürgern den größten Anhang fanden, wurden sie tatsächlich zur Partei des Großkapitals. Der Faschismus war nie das Kind eines deutschen Kleinbürgertums, sondern er wurde zur Trumpfkarte des deutschen Großkapitals. Die Aufgabe, die die Nazi-Partei im Namen des Kapitals zu erfüllen hatte, hieß:ür den Krieg,ür die Logik des Kapitals, konnten die Nazis aufmarschieren. D.h. erst als die Arbeiterklasse in der großen Krise von 1929, die zu einer ungeheueren Verarmung der Arbeiter führte, keinen wesentlichen Widerstand mehr leistete, brach die Nazipest herein. Der Aufstieg der Nazis zur Macht war also erst möglich geworden, nachdem die Arbeiter geschlagen waren - dann war aber auch der Faschismus nicht mehr aufzuhalten. Zu gründlich und zu brutal hatte die Demokratie der Arbeiterklasse das Blut ausgesaugt.

DER MYTHOS VOM "AUSGEBLIEBENEN WIDERSTAND"

Ihr Grundgedanke ist, der Faschismus sei etwas Schlimmeres als die Demokratie, wobei der Faschismus gerade die notwendige Etappe zum Krieg und Militarisierung der Arbeiterklasse ist, die erst möglich wurde, nachdem die Demokratie die Arbeiter entwaffnet hatte. Die Linken l

Widerstand von wem?

Der SPD?: Seit 1914 war ihre ganze Ausrichtung gewesen, die Arbeiterklasse an den Staat zu binden: ob im 1. Weltkrieg, ob 1918/1919, ob in den 20er Jahren, wenn immer sie an der Regierung stand. Und jedesmal wenn die SPD f

Die GEWERKSCHAFTEN?: Sie waren seit 1914 zur Polizei im Betrieb geworden, hatten einen Burgfrieden (Streikverbot) beschlossen, wirkten als Staudamm gegen die revolutionäre Erhebung 1918/19, wurden in den 20er Jahren vollends in den Staatsapparat integriert, sorgten daf

Von diesen beiden Organisationen also Widerstand zu erwarten, hieße als ob man von der Polizei Widerstand gegen eine Regierung erwartet. F

Die KPD?: Während sie in den Kämpfen von 1918/19 noch an der Spitze der Bewegung gestanden und resolut die Interessen der Arbeiter verteidigt hatte, war sie in den 20er Jahren fr

ügen uns etwas vor von einem nicht vorhandenen Gegensatz zwischen Demokratie und Faschismus. Und sie verlangen Widerstand von Organisationen, die längst in den Staat integriert worden waren, denen viel Blut an den Fingern klebte, und die sich alle durch ihre Feindschaft gegenüber der Arbeiterklasse in den revolutionären Kämpfen ausgezeichnet hatten, ür ein Massaker an den Arbeitern verantwortlich war, rechtfertigte sie dies, indem sie sagte, alles müsse der Verteidigung der Demokratie (d.h. der Herrschaft des Kapitals) untergeordnet werden. ür, daß kein wesentlicher Widerstand in der Krise von 1929 aufkam. Zwar wurden im Jan. 1933 Gewerkschaftsführer für eine Zeit in Haft genommen, aber kurz danach wieder freigelassen. Der Apparat stellte sich den Nazis zur Verfügung. Auch wenn die Nazis zwar schauträchtig einige Gewerkschaftshäuser anzündeten, ändert das nichts daran, daß der Gewerkschaftsapparat für sie ein unverzichtbares Instrument war. Dieser Apparat ging nämlich nahtlos über in die Deutsche Arbeitsfront, die "Nazi-Gewerkschaft". Kein Zufall, daß die Gewerkschaften am 1. Mai 1933 unter Nazi-Fahnen mitmarschierten. ür sie spielt es nämlich keine Rolle, welche Partei an der Regierung ist, ihre Aufgabe besteht darin, das System zu verteidigen!üh zum Vasallen Moskaus geworden. Sie schlug als erste den Kurs der rückhaltlosen Unterwerfung unter die Interessen des russischen Kapitals ein, ihre Stalinisierung war am schnellsten vorangeschritten. Auch stützte sie sich bei ihrer Arbeit auf die Gewerkschaften (z.B. revolutionäre Gewerkschaftsopposition) und den Parlamentarismus, ("Haltet Hitler auf, wählt Thälmann") d.h. gerade die Waffen, mit Hilfe derer die Arbeiter geschwächt, gefesselt und niedergestreckt worden waren. Schlimmer noch mit ihrem Schlachtruf der nationalen Befreiung des "unterdrückten Deutschlands" trat sie auf nationalistischem Parkett in einen Wettlauf mit den Nazis, der die Arbeiter genau von ihren Interessen ablenkte.

DER FASCHISMUS STÜTZTE SICH AUF DIE BLUTIGE VORARBEIT DER DEMOKRATIE

Man darf also nicht "

So ist der Faschismus kein besonders reaktionäres Phänomen, sondern eine Stufe in der Logik des Kapitals, der Kriegsvorbereitung, bei niedergeschlagener Arbeiterklasse.

Wenn der Faschismus 1933 aber nicht aufgehalten werden konnte, weil die Arbeiterklasse längst geschlagen war, wie sieht es denn heute aus? Wir sagen: die in der Krise verfaulende Gesellschaft wird immer mehr verzweifelte Elemente hervorbringen, die sich durch faschistische Ideen angezogen f

überrascht" sein, daß es keinen umfassenden Widerstand gegen die Nazis gegeben hat. Erstens sind sie selbst in bürgerlichen Begriffen legal an die Macht gekommen, mit demokratischen Abstimmungen, und vor allem steckt dahinter die Erwartung eines Widerstandes von diesen "demokratischen Kräften". Man glaubt damit, daß es einen Widerspruch zwischen Demokratie und Faschismus gebe. Tatsächlich war es so: indem die Demokratie der Arbeiterklasse die entscheidende Niederlage in den revolutionären Kämpfen von 1919-23 beigefügt hatte, war sie selbst zum Steigbügelhalter des Faschismus geworden. Die Demokratie ist nicht der Feind, der Staudamm gegen den Faschismus, sondern nur ihr Wegbereiter, sobald die Arbeiterklasse geschlagen ist. 1933 war ein Aufbäumen der Arbeiterklasse unmöglich geworden, weil das Kräfteverhältnis längst zugunsten des Kapitals gekippt war. ühlen. Und sie werden umso stärker, wenn die Arbeiterklasse es nicht schafft, sich auf ihrem Boden zur Wehr zu setzen. Wenn die Arbeiterklasse sich hinter die Demokratie, den Staat ziehen läßt, dann wäre langfristig das Tor zu einer Niederlage der Arbeiterklasse aufgestoßen. Aber heute ist dies noch nicht der Fall. Deshalb ist es so entscheidend, daß die Arbeiterklasse sich heute auf ihrem eigenen Boden gegen die Krise zur Wehr setzt. Wie das geht, und welche Bedingungen dafür existieren, haben wir in anderen Artikeln dieser Zeitung aufgezeigt. Dav. 12/92

DIE FRAGE DES SOZIALFASCHISMUS

Damals hat sich Trotzki insbesondere mit der Forderung identifiziert, SPD und KPD sollten sich zusammenschließen, um Hitler zu stoppen. Aber die Sozialdemokraten, die Henker der deutschen Revolution, dachten nicht im Traum daran, sich mit einer KPD zusammenzutun, die trotz ihrer späteren Entartung als ein Produkt eben dieser Revolution angesehen wurde, um eine NSDAP zu stoppen, welche sich bei Militär und Arbeitgebern einer wachsenden Beliebtheit erfreute.

Die Hauptzielscheibe von Trotzkis Kritik war jedoch die KPD bzw. die politische Linie der durch die stalinistische Konterrevolution zum Leichnam gewordenen Kommunistischen Internationale. Unter der Parole des Sozialfaschismus erklärte die Komintern bzw. die KPD die Sozialdemokraten zum Hauptfeind der Arbeiterklasse, mit der jegliche B

ündnispolitik ausgeschlossen sei. Trotzki polemisierte gegen diese Position. Dabei berief er sich auf Lenins Kritik an der Weigerung der deutsch-holländischen Linken (KAPD, KAPN) sowie der Führung der KP-Italiens Anfang der 20er Jahre (unter Bordiga), sich mit bürgerlichen "Demokraten" gegen Rechts zu verbünden. Sich auf Lenins Schrift "Der Linksradikalismus -eine Kinderkrankheit des Kommunismus" berufend, behauptete nun Trotzki, die stalinistische Politik der "Bekämpfung des Sozialfaschismus" sei identisch mit der Ablehnung der bürgerlichen Demokratie durch die kommunistische Linke. Diese Behauptung, welche von allen Trotzkisten bis auf den heutigen Tag wiederholt wird, war nichts als eine bösartige Verleumdung. Die Kommunistische Linke kämpfte für einen Zusammenschluß der Arbeiterklasse außerhalb und gegen alle bürgerlichen Institutionen, welche die Klasse stets zu spalten versuchen. Der Stalinismus dagegen wollte mit seiner "Bekämpfung des Sozialfaschismus" die SPD von der Führung eben dieser bürgerlichen Institutionen (vor allem die Gewerkschaften) verdrängen und ablösen. Diese stalinistische Anfeindung der SPD schloß eine Zusammenarbeit mit anderen bürgerlichen Parteien ausdrücklich nicht aus. So arbeitete die KPD zusammen mit den Betriebsorganisationen der NSDAP 1932 während des Berliner Verkehrsbetriebsstreiks. Dies war eine Vorwegnahme des Hitler-Stalin-Paktes von 1939. Danach - und bis zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 erklärten die Stalinisten, der Hauptfeind des internationalen Proletariats sei der englische und französische Imperialismus. Und während die KPD 1932 behauptete, die bevorstehende Reichskanzlerschaft Hitlers sei der unmittelbare Auftakt zur proletarischen Machtübernahme in Deutschland, verkündeten die Marxisten als einzige die bittere Wahrheit, daß Hitler den Weg zum 2. imperialistischen Weltkrieg ebnete.