Wie wir im letzten Teil gesehen haben, wurde das Manifest
während der Teilnahme an einem kurz bevorstehenden revolutionären Ausbruch
geschrieben. Bei dieser Aussicht war es kein Ruf in der Wüste: ‘.. das Bewußtsein über die heraufziehende Revolution
was bezeichnenderweise nicht auf die Revolutionäre beschränkt, die es am
deutlichsten formulierten, und auch nicht auf die herrschenden Klassen, deren
Angst vor den verarmten Massen in Zeiten gesellschaftlicher Umwälzungen nie
verborgen bleibt. Die Armen selber spürten sie kommen. Die gebildeten Teile des
Volkes brachten sie auch zum Ausdruck. ‘Alle wohl informierten Leute’, schrieb der
amerikanische Konsul aus Amsterdam in der Hungerzeit von 1847, als deutsche
Auswanderer ihre Eindrücke nach ihrer Durchreise durch Holland schilderten, ‘glauben,
daß die jetzige Krise so tief mit den gegenwärtigen Ereignissen verbunden ist,
daß ‘sie’ der Anfang der großen Revolution ist, von der sie ausgehen, daß sie
früher oder später die augenblicklichen Verhältnisse sprengen werden’ (E.J. Hobsbawm,
‘Das Zeitalter der Revolution’ 1789-1848).
Im Vertrauen darauf, daß riesige soziale Umwälzungen kurz
bevorstanden, aber bewußt darüber, daß die Nationen Europas sich auf verschiedenen
Ebenen der historischen Entwicklung befanden, unterstrich der letzte Teil des
Kommunistischen Manifests bestimmte taktische Berücksichtigungen bei
der Intervention der kommunistischen Minderheit.
Der allgemeine Ansatz blieb wie in allen anderen Fällen
derselbe: Die Kommunisten "kämpfen
für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der
Arbeiterklasse, aber sie vertreten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die
Zukunft der Bewegung.......
die Kommunisten unterstützen
überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen
und politischen Zustände.
In allen diesen Bewegungen
heben sie die Eigentumsfrage, welche mehr oder minder entwickelte Form sie
auch angenommen haben möge, als die Grundlage der Bewegung hervor."
MEW4, S.492f)
Noch konkreter: mit der Anerkennung, daß die Mehrheit der
Länder in Europa noch nicht die Ebene einer bürgerlichen Demokratie erlangt
hatte, daß nationale Unabhängigkeit und Einheit noch immer eine zentrale Frage
in Ländern wie Italien, der Schweiz und Polen war, verpflichteten sich die Kommunisten
zum Kampf mit den demokratischen Parteien der Bourgeoisie und denen des
radikalen Kleinbürgertums gegen die Überbleibsel der feudalen Stagnation und
des Absolutismus.
Die Taktik wurde besonders detailliert angesichts Deutschlands
ausgesprochen: "Auf Deutschland
richten die Kommunisten ihre Hauptaufmerksamkeit, weil Deutschland am Vorabend
einer bürgerlichen Revolution steht und weil es diese Umwälzung unter fortgeschritteneren
Bedingungen der europäischen Zivilisation überhaupt und mit einem viel weiter
entwickelten Proletariat vollbringt als England im 17. und Frankreich im
18.Jahrhundert, die deutsche bürgerliche Revolution also nur das unmittelbare
Vorspiel einer proletarischen Revolution sein kann." (MEW4, S.493)
Also: Die Taktik hieß, die Bourgeoisie zu unterstützen,
sofern sie die anti-feudale Revolution ausführte, aber stets die Autonomie
des Proletariats zu verteidigen, vor allem weil die Hoffnung einer
"unmittelbar folgenden proletarischen Revolution" galt. Inwieweit
bestätigten die Ereignisse von 1848 diese Prognosen? Und welche Lehren zogen
Marx und seine `Partei' aus den Folgen der Ereignisse ?
Wie wir erwähnt haben, befand sich Europa 1848 auf einer
Vielzahl von verschiedenen sozialen und politischen Stufen. Lediglich in
Großbritannien war der Kapitalismus vollkommen entwickelt und die Arbeiterklasse
stellte die Mehrheit der Bevölkerung. In Frankreich hatte sich die Arbeiterklasse
durch ihre Teilnahme an einer Reihe von revolutionären Erhebungen einen
beachtlichen Schatz an politischer Erfahrung
seit 1789 angeeignet. Aber diese verhältnismäßige politische Reife war
zumeist völlig beschränkt auf das Pariser Proletariat, und selbst in Paris
befand sich großräumige Industrieproduktion noch in ihrem frühesten Stadium,
was bedeutete, daß die politischen Fraktionen der Arbeiterklasse (Blanquisten,
Proudhonisten, etc.) dazu neigten, den Einfluß der überholten Vorurteile und
Konzepte des Handwerkerstandes widerzuspiegeln. Im restlichen Europa -
Spanien, Italien, Deutschland, den zentralen und östlichen Regionen - waren
die sozialen und politischen Bedingungen noch weitaus rückständiger. Diese
Gebiete waren zumeist in ein Mosaik kleiner Königreiche aufgeteilt und existierten
als zentrale Nationalstaaten nicht. Feudale Überbleibsel hingen schwer an der
Gesellschaft und den Strukturen des Staates.
Daher war in der Mehrheit der Länder die Vervollständigung
der bürgerlichen Revolution der erste Punkt auf der Tagesordnung - das
Wegspülen der alten feudalen Überreste, die Etablierung einheitlicher Nationalstaaten,
die Installierung des politischen Regimes einer bürgerlichen Demokratie. Seit
den Tagen der `klassischen' bürgerlichen Revolution von 1789 haben sich bereits
viele Dinge geändert, die der Situation eine Reihe von Komplikationen und
Widersprüchen hinzugefügt haben. Von Anfang an waren die revolutionären
Erhebungen von 1848 nicht so sehr von `feudalen' Krisen provoziert, sondern
von einer der großen zyklischen Krisen des taufrischen Kapitalismus - die große
Depression von 1847, welche in einem Zug mit einer Reihe katastrophaler Ernten
daherkam und den Lebensstandard der Massen auf einen unerträglichen Stand
einschränkte. Zweitens waren es vor allem die urbanen, proletarischen oder
halb-proletarischen Massen von Paris, Berlin, Wien und anderen Städten, die
die Aufstände gegen die alte Ordnung anführten. Und wie das Manifest
hervorhob, war das Proletariat bereits zu einer viel ausgeprägteren Kraft
geworden als 1789; nicht nur auf der sozialen Ebene, sondern genauso auf der
politischen. Der Aufstieg der Bewegung der Chartisten hat dies bekräftigt.
Aber es war an erster Stelle der große Aufstand von Paris im Juni 1848, der
die Realität des Proletariats, wie sie im Manifest definiert wurde, bestätigte:
als eine unabhängige politische Kraft, die der Herrschaft des Kapitals
unwiderruflich entgegentrat.
Im Februar 1848 war die Pariser Arbeiterklasse die soziale
Hauptkraft auf den Barrikaden des Aufstands gewesen, mit dem die Monarchie von
Louis Phillippe gestürzt und die Republik errichtet wurde. Innerhalb von nur
einigen Monaten jedoch waren die sozialen Antagonismen zwischen dem Proletariat
und der `demokratischen` Bourgeoisie offensichtlich und akut geworden, war
klar geworden, daß letztere so gut wie gar nicht imstande war, das Proletariat aus dem wirtschaftlichen Elend zu befreien.
Der Widerstand des Proletariats wurde in die konfuse Forderung nach einem
`Recht auf Arbeit' gekleidet, als die Regierung die staatlichen Arbeitshäuser
schloß, welche den Arbeitern ein Minimum an Unterstützung angesichts der Arbeitslosigkeit
gewährt hatten. Nichtsdestotrotz standen hinter dieser unglücklichen
Forderung, wie Marx in Die Klassenkämpfe in Frankreich (1850
geschrieben) argumentierte, die Anfänge einer Bewegung für die Abschaffung
des Privateigentums. Sicherlich war
sich die Bourgeoisie selbst der Gefahr bewußt; als sich die Pariser Arbeiter
an die Barrikaden begaben, um die staatlichen Arbeitshäuser zu verteidigen,
wurde der Aufstand mit äußerster Grausamkeit niedergeschlagen. "Es ist bekannt, wie die Arbeiter mit beispielloser
Tapferkeit und Genialität, ohne Chefs, ohne gemeinsamen Plan, ohne Mittel, zum
größten Teil der Waffen entbehrend, die Armee, die Mobilgarde, die Pariser
Nationalgarde und die aus der Provinz hinzugeströmte Nationalgarde während
fünf Tagen in Schach hielten. Es ist bekannt, wie die Bourgeoisie für die
ausgestandene Todesangst sich in unerhörter Brutalität entschädigte und über
3000 Gefangene massakrierte." (MEW 7, S. 31).
Diese Erhebung bestätigte tatsächlich die schlimmsten
Befürchtungen der Bourgeoisie in ganz Europa, und ihr Ergebnis sollte
tiefgehende Auswirkungen auf die spätere Entwicklung der revolutionären Bewegung
hinterlassen. Traumatisiert vom Gespenst des Proletariats, verlor die Bourgeoisie
die Nerven; sie fühlte sich außerstande, mit ihrer eigenen Revolution gegen
die etablierte Ordnung fortzufahren. Dies alles wurde natürlich auch von
materiellen Faktoren verstärkt: In den Ländern, die vom Absolutismus
beherrscht wurden, war die Nervosität der Bourgeoisie auch das Resultat ihrer
verspäteteten ökonomischen und politischen Entwicklung. In jedem Fall aber
bestand das Ergebnis darin, daß die Bourgeoisie, statt an die Triebkräfte der
Massen in ihrer Schlacht gegen die Feudalmacht zu appellieren, wie sie es
1789 getan hatte, immer mehr Kompromisse mit der Reaktion einging, um die
Drohung `von unten' im Zaum zu halten. Dieser Kompromiß nahm mannigfaltige
Formen an. In Frankreich produzierte er die kuriose Anomalie des zweiten Bonaparte,
der in die Hinterzimmer der Macht schritt, weil die Mechanismen der
bürgerlichen `Demokratie' nur dafür da zu sein schienen, dem kalten Wind der sozialen Unruhe und der
politischen Instabilität die Tür zu öffnen. In Deutschland wurde der
Kompromiß durch eine besonders ängstliche und rückgratlose Bourgeoisie verkörpert,
deren Mangel an Entschlossenheit angesichts der absolutistischen Reaktion immer
und immer wieder von Marx gegeißelt wurde, besonders in dem am 15.Dezember
1848 in der Neuen Rheinischen Zeitung veröffentlichten Artikel Die
Bourgeoisie und die Konterrevolution: "Die deutsche Bourgeoisie hatte sich so träg, feig und langsam
entwickelt, daß im Augenblicke, wo sie gefahrdrohend dem Feudalismus und Absolutismus
gegenüberstand, sie selbst sich gefahrdrohend gegenüber dem Proletariat
erblickte und allen Schichten der
Bevölkerung, deren Interessen und
Ideen dem Proletariat verwandt waren". Dies machte sie "unentschlossen gegen jeden ihrer Gegner
einzeln genommen, weil sie immer beide vor oder hinter sich sah; von vornherein
zum Verrat gegen das Volk und zum Kompromiß mit dem gekrönten Vertreter der
alten Gesellschaft geneigt..... ohne Glauben an sich selbst, ohne Glauben an
das Volk, knurrend gegen oben, zitternd gegen unten..... ein vermaledeiter
Greis, der sich dazu verdammt sah, die ersten Jugendströmungen eines robusten
Volks in seinem eigenen altersschwachen Interesse zu leiten und abzuleiten -
ohn' Aug! ohn' Ohr, ohn' alles - so fand sich die preußische Bourgeoisie nach der Märzrevolution am Ruder des
preußischen Staates." (MEW 6, S. 108f).
Aber obgleich das Proletariat der Bourgeoisie einen
tödlichen Schrecken eingejagt hatte, war ersteres noch nicht reif genug, um,
historisch ausgedrückt, das politische Kommando über die Revolution zu ergreifen.
Schon die mächtige britische Arbeiterklasse war etwas isoliert von den Ereignissen
im kontinentalen Europa gewesen; und der Chartismus zielte trotz der Existenz
einer Tendenz zur `physischen Gewalt' innerhalb seines linken Flügels vor allem
darauf ab, einen Platz für die Arbeiterklasse innerhalb der `demokratischen',
d.h. bürgerlichen, Gesellschaft, zu finden. Vor allen Dingen war die
britische Bourgeoisie intelligent genug, einen Weg zu finden, die Forderung
nach allgemeinem Wahlrecht auf eine Weise allmählich aufzunehmen, die, weit
entfernt davon, die politische Herrschaft des Kapitals zu bedrohen, wie auch
Marx gedacht hatte, das Wahlrecht immer mehr zu einer seiner Hauptstützen
machte. Abgesehen davon, war der britische Kapitalismus just zu jener Zeit,
als sich Kontinentaleuropa inmitten seiner Aufstände befand, bereits dicht
vor einer neuen Expansionsphase. In Frankreich war die Arbeiterklasse, obwohl
sie politisch die größten Fortschritte gemacht hatte, außerstande, sowohl
die Fallen der Bourgeoisie zu umgehen als auch, und noch weniger, selbst als der Geburtshelfer eines neuen
sozialen Projekts hervorzutreten. Der Juni-Aufstand von 1848 ist in all
seinen Inhalten und Absichten von der Bourgeoisie provoziert worden, und die
kommunistischen Bestrebungen innerhalb des Aufstands waren eher verborgen
als offen. Wie Marx es in Die Klassenkämpfe in Frankreich (Kap.: Die
Niederlage vom Juni 1848) formulierte:
"Von der Bourgeoisie wurde das
Pariser Proletariat zur Juniinsurektion gezwungen.
Schon darin lag sein Verdammungsurteil. Weder sein unmittelbar eingestandenes
Bedürfnis trieb es dahin, den Sturz der Bourgeoisie gewaltsam erkämpfen zu
wollen, noch war es dieser Aufgabe gewachsen. Der 'Moniteur' mußte ihm offiziell
eröffnen, daß die Zeit vorüber, wo die Republik vor seinen Illusionen die Honneurs
zu machen sich veranlaßt sah, und erst seine Niederlage überzeugte es von der
Wahrheit, daß die geringste Verbesserung seiner Lage eine Utopie bleibt innerhalb der bürgerlichen Republik, eine Utopie, die zum Verbrechen
wird, sobald sie sich verwirklichen will.".(MEW 7, S. 33)
Somit mündete die Bewegung von 1848, weit davon entfernt,
schnell in eine proletarische Revolution überzugehen, wie das Manifest
gehofft hatte, nicht einmal in der
Vervollständigung der bürgerlichen Revolution.
Die 1848er Revolutionen verschafften dem Bund der Kommunisten
(BdK) eine sehr frühe Feuerprobe. Selten ist einer kommunistischen Organisation
so früh nach ihrer Geburt die etwas zweifelhafte Belohnung zuteil geworden, in
den Strudel einer gigantischen revolutionären Bewegung gestürzt zu werden.
Marx und Engels, die das politische Exil vor dem lächerlich gemachten
Junker-Regime gewählt hatten, kehrten nach Deutschland zurück, um in den
Ereignissen die Rolle zu spielen, zu welcher ihre Überzeugungen sie notwendig
geführt hatten. Entsprechend dem vollkommenen Mangel des BdK an Erfahrungen
mit Ereignissen solchen Ausmaßes, wäre es erstaunlich gewesen, wenn die Arbeit,
die die Organisation während dieser Phase ausgeführt hatte - einschließlich
der Arbeiten ihrer theoretisch am fortgeschrittendsten Elemente -, frei von
manchmal ganz bösen Irrtümern gewesen wäre. Aber die grundsätzliche Frage
lautet nicht, ob der Bund der Kommunisten Fehler machte, sondern ob ihre
allgegenwärtige Intervention mit den fundamentalen Aufgaben übereinstimmten,
welche sie sich selbst in ihrer Stellungnahme zu den politischen Prinzipien
und Taktiken gestellt hatte, dem Kommunistischen Manifest.
Eine der bemerkenswertesten Eigenschaften bei der
Intervention des Bundes der Kommunisten in der deutschen Revolution von 1848
war ihre Opposition gegen den oberflächlichen
revolutionären Extremismus. In den Augen der Bourgeoisie - oder zumindest
in ihren Propagandaorganen - waren die Kommunisten das`Nonplusultra' des Fanatismus und
Terrorismus, grimmige Agenten der Zerstörung und der unnatürlichen sozialen Gleichmacherei. Marx selbst wurde
während dieser Periode als "Doktor des roten Terrors" erwähnt und
ständig beschuldigt, abwegige Attentatspläne gegen die gekrönten Häupter
Europas auszuhecken. In der praktischen Wirklichkeit war die Aktivität der
`Marx-Partei' in dieser Periode bemerkenswert zurückhaltend.
In den frühen, berauschenden Tagen der Revolution bezog Marx
als erstes öffentlich Stellung gegen die revolutionäre Romantik der in
Frankreich aus expatriierten Revolutionären zusammengestellten `Legionen', die
beabsichtigten, die Revolution mit dem Bajonett nach Deutschland
zurückzutragen. Demgegenüber hob Marx hervor, daß die Revolution nicht eine
primär militärische Frage ist, sondern eine soziale und politische; er stellte
trocken fest, daß die `demokratische' französische Bourgeoisie sich schon
darauf freute, diese lästigen deutschen Revolutionäre in den Kampf gegen die
feudalen Tyrannen Deutschlands ziehen
zu sehen - und daß sie es nicht versäumen würde, den deutschen Amtsgewalten
eine Warnung über ihren Anmarsch zukommen zu lassen. In die gleiche Kerbe
schlug Marx, als er gegen den isolierten und unpassenden Aufstand in Köln in
der Zerfallsphase der Revolution auftrat, da dieser wieder einmal die Massen
in die ausgebreiteten Arme der Reaktion führen würde, die offen Maßnahmen
ergriffen hatte, um den Aufstand zu provozieren.
Auf der allgemeineren politischen Ebene mußte Marx auch jene
Kommunisten bekämpfen, die glaubten, daß die Arbeiterrevolution und die Ankunft
des Kommunismus kurz bevor stünden; die den Kampf für die bürgerliche
politische Demokratie verschmähten und meinten, daß Kommunisten nur über die
Bedingungen der Arbeiterklasse und die Notwendigkeit des Kommunismus sprechen
sollten. In Köln, wo Marx die meiste Zeit der revolutionären Periode als
Herausgeber der radikal-demokratischen Zeitung Die Neue Rheinische Zeitung
(NRZ) verbrachte, war der Hauptbefürworter dieser Sichtweise der gute Dr.
Gottschalk, der sich selbst als wahren Mann des Volkes betrachtete und Marx
anprangerte nichts besseres als ein Stubentheoretiker
zu sein, weil dieser so hartnäckig argumentierte, daß Deutschland noch nicht
reif für den Kommunismus sei, daß zunächst die Bourgeoisie an die Macht kommen
und Deutschland aus der feudalen Rückständigkeit drängen müsse; und daß es
folglicherweise die Aufgabe der Kommunisten
sei, die Bourgeoisie `von links' zu unterstützen, an der Volksbewegung
teilzunehmen, um sicherzustellen, daß die Volksbewegung die Bourgeoisie beständig dazu treibt, an die
äußersten Grenzen ihrer Opposition gegenüber der feudalen Ordnung zu gehen.
In der praktischen Organisation bedeutete dies die Teilnahme
an der Demokratischen Union, die gegründet wurde, um, wie der Name schon sagt,
all jene zusammenzubringen, die unbeirrbar und aufrichtig gegen den
Absolutismus und für die Etablierung bürgerlich-demokratischer politischer
Strukturen kämpften. Jedoch kann festgestellt werden, daß Marx in seiner
Reaktion gegen die voluntaristischen Exzesse jener, die die
bürgerlich-demokratische Phase in einem Satz
überspringen wollten, zu weit in die andere Richtung ging und einige der
im Manifest aufgestellten Prinzipien vergaß. In Köln befand sich
Gottschalks Tendenz in der Mehrheit innerhalb des Bundes, und um ihrem
Einfluß entgegenzutreten, löste Marx an einem bestimmten Punkt den Bund
kurzerhand auf. Politisch verlor die NRZ eine ganze Periode lang überhaupt kein
Wort über die Bedingungen der Arbeiter und insbesondere über die Notwendigkeit
für die Arbeiter, ihre politische Autonomie gegenüber allen Fraktionen der Bourgeoisie
und des Kleinbürgertums zu wahren. Dies war kaum vereinbar mit den Bemerkungen
zur proletarischen Unabhängigkeit , die im Manifest gemacht wurden,
und, wie wir sehen werden, übte Marx auch Selbstkritik in dieser besonderen
Frage bei seinen ersten Versuchen, eine Bilanz der Aktivitäten des Bundes der
Kommunisten in der Bewegung zu ziehen. Aber es bleibt dabei: Was Marx in dieser
Periode wie auch in seinem gesamten Leben leitete, war die Anerkennung, daß
der Kommunismus mehr sein muß als eine Notwendigkeit im Sinne fundamentaler
menschlicher Bedürfnisse: Er mußte auch eine realistische Möglichkeit sein,
gegeben durch objektive Bedingungen, die durch die soziale und historische
Entwicklung erreicht wurden. Diese Debatte sollte auch im Bund während der
Nachwehen der Revolution erneut ausbrechen.
In vielerlei Hinsicht sind die in den Nachwehen der 1848er
Bewegung verfaßten Dokumente, die `Bilanz', die die Organisation bezüglich
ihrer eigenen Teilnahme in den Revolten zogen, die, abgesehen natürlich vom Manifest,
wichtigsten politischen Beiträge des Bundes der Kommunisten . Dies trifft zu, auch wenn die
Debatten, die diese Dokumente ausdrückten oder hervorriefen, zu einer grundsätzlichen
Spaltung und zu der faktischen Auflösung der Organisation führen sollten.
Im Rundschreiben des Exekutivkomitees des BdK,
veröffentlicht im März 1850, gibt es eine Kritik - tatsächlich eine Selbstkritik,
da Marx selbst sie schrieb - über die Aktivitäten des Bundes während der revolutionären
Ereignisse. Während das Dokument ohne Zögern bekräftigt, daß die allgemeinen
politischen Prognosen des Bundes weitgehend von den Ereignissen bestätigt
worden sind, und während ihre Mitglieder immer am entschlossensten für die revolutionäre
Sache gekämpft haben, hat die organisatorische Schwächung des Bundes - im Endeffekt
ihre Auflösung während der ersten Schritte der Revolution in Deutschland -
bedenklicherweise zu einer Auslieferung der Arbeiterklasse an die politische
Vorherrschaft der kleinbürgerlichen Demokraten geführt: "Zu gleicher Zeit wurde die frühere feste
Organisation des Bundes gelockert. Ein großer Teil der Mitglieder, in der revolutionären
Bewegung direkt beteiligt, glaubte die Zeit der geheimen Gesellschaften vorüber
und das öffentliche Wirken allein hinreichend. Die einzelnen Kreise und Gemeinden
ließen ihre Verbindungen mit der Zentralbehörde erschlaffen und allmählich
einschläfern. Während also die demokratische Partei, die Partei der
Kleinbürgerschaft, sich in Deutschland immer mehr organisierte, verlor die
Arbeiterpartei ihren einzigen festen Halt, blieb höchstens in einzelnen Lokalitäten
zu lokalen Zwecken organisiert und geriet dadurch in der allgemeinen Bewegung
vollständig unter die Herrschaft und
Leitung der kleinbürgerlichen Demokraten. Diesem Zustand muß ein Ende gemacht,
die Selbständigkeit der Arbeiter muß hergestellt werden". (MEW 7, S.
244). Und es gibt keinen Zweifel darüber, daß das wichtigste Element in diesem
Text seine klare Verteidigung der Notwendigkeit ist, für die völlige
politische und organisatorische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse selbst in
von anderen Klassen angeführten Revolutionen zu kämpfen.
Dies war aus zwei Gründen notwendig.
Zuallererst mußte das Proletariat, wenn, wie in Deutschland,
die Bourgeoisie sich als unfähig erwies, ihre eigenen revolutionären Aufgaben
zu erfüllen, unabhängig handeln und sich organisieren, um das revolutionäre
Moment trotz des Widerstrebens und Konservatismus der Bourgeoisie voranzutreiben:
Das Modell hierfür war in gewisser Weise die erste Pariser Kommune 1793, als
die `Volks'massen sich selbst in lokalen Versammlungen und Sektionen organisiert
hatten, die auf Stadtebene in der
Kommune zentralisiert wurden, um die jakobinische Bourgeoisie zur Fortsetzung
des Impetus der Revolution zu treiben.
Gleichzeitig wären die radikalsten demokratischen Elemente,
selbst wenn sie an die Macht kämen, durch die Logik ihrer Stellung genötigt,
die Arbeiter anzugreifen und sie der bürgerlichen Ordnung und Disziplin zu
unterwerfen, sobald sie die neuen Steuermänner des Staates waren. Dies hat
sich 1793 und auch danach als wahr herausgestellt, als die Bourgeoisie immer
mehr `Feinde auf der Linken' zu entdecken vermeinte; es wurde blutig demonstriert
in den Ereignissen vom Juni 1848 in Paris; und nach Marxens Auffassung würde
es mit der nächsten Runde der Revolution in Deutschland aufs neue passieren.
Marx sah voraus, daß infolge des Scheiterns der liberalen Bourgeoisie, ihrer
Unfähigkeit, der absolutistischen Macht zu entgegenzutreten, die kleinbürgerlichen
Demokraten zur Führerschaft der nächsten
revolutionären Regierung getrieben würden, aber daß sie auch unverzüglich
versuchen würden, die Arbeiterklasse zu entwaffnen und anzugreifen. Und aus
diesem Grund könnte sich das Proletariat gegen solche Angriffe nur mittels
der Aufrechterhaltung ihrer Klassenunabhängigkeit verteidigen. Diese
Unabhängigkeit hatte drei Dimensionen:
- Die Existenz und
Tatkraft einer kommunistischen Organisation als entwickeltste politische
Fraktion in der Klasse:
"Im gegenwärtigen
Augenblicke, wo die demokratischen Kleinbürger überall unterdrückt sind,
predigen sie dem Proletariat im allgemeinen Einigung und Versöhnung, sie
bieten ihm die Hand und streben nach der Herstellung einer großen Oppositionspartei,
die alle Schattierungen in der
demokratischen Partei umfaßt, das heißt, sie streben danach, die Arbeiter in
eine Parteiorganisation zu verwickeln, in der allgemein demokratischen Phrasen
vorherrschend sind, hinter welchen ihre besonderen Interessen sich
verstecken, und in der die bestimmten Forderungen des Proletariats um des
lieben Friedens willen nicht vorgebracht werden dürfen. Eine solche
Vereinigung würde allein zu ihrem Vorteile und ganz zum Nachteile des Proletariats
ausfallen. Das Proletariat würde seine ganze selbständige, mühsam erkaufte Stellung
verlieren und wieder zum Anhängsel der offiziellen bürgerlichen Demokratie
herabsinken. Diese Vereinigung muß also auf das entschiedenste zurückgewiesen
werden. Statt sich abermals herabzulassen, den bürgerlichen Demokraten als
beifallklatschender Chor zu dienen, müssen die Arbeiter, vor allem der Bund,
dahin wirken, neben den offiziellen Demokraten eine selbständige geheime und
öffentliche Organisation der Arbeiterpartei herzustellen und jede Gemeinde zum
Kern und Mittelpunkt von Arbeitervereinen zu machen, in denen die Stellung
und die Interessen des Proletariats unabhängig von bürgerlichen Einflüssen
diskutiert werden."(MEW 7, S. 248f).
- Die Aufrechterhaltung von autonomen Klassenforderungen,
abgestützt von Einheitsorganisationen der Klasse, d.h. Organen, um die sich
die Arbeiter als solche sammeln: "Während
des Kampfes und nach dem Kampf müssen
die Arbeiter neben den Forderungen der bürgerlichen Demokraten ihre eigenen
Forderungen bei jeder Gelegenheit aufstellen. Sie müssen Garantien für die
Arbeiter verlangen, sobald die demokratischen
Bürger sich anschicken, die Regierung in die Hand zu nehmen. Sie müssen sich
diese Garantien nötigenfalls erzwingen und überhaupt dafür sorgen, daß die
neuen Regierer sich zu allen nur möglichen Konzessionen und Versprechungen
verpflichten -das sicherste Mittel sie zu kompromittieren. Sie müssen überhaupt
den Siegesrausch und die Begeisterung
für den neuen Zustand, der nach jedem siegreichen Straßenkampf auftritt, in
jeder Weise durch ruhige und kaltblütige Auffassung der Zustände und durch
unverhohlenes Mißtrauen gegen die neue Regierung so sehr wie möglich zurückhalten.
Sie müssen den neuen offiziellen Regierungen zugleich eigene revolutionäre
Arbeiterregierungen, sei es in der
Form von Gemeindevorständen, Gemeinderäten, sei es in durch Arbeiterklubs
oder Arbeiterkomitees, errichten, so daß die bürgerlichen demokratischen
Regierungen nicht nur sogleich den Rückhalt an den Arbeitern verlieren,
sondern sich von vornherein von Behörden überwacht und bedroht sehen, hinter
denen die ganze Masse der Arbeiter steht. Mit einem Worte: Vom ersten Augenblicke des Sieges an muß
sich das Mißtrauen nicht mehr gegen die besiegte reaktionäre Partei, sondern
gegen ihre bisherigen Bundesgenossen, gegen die Partei richten, die den
gemeinsamen Sieg allein exploitieren will." (MEW 7, S. 249f).
- Diese Organe
müssen bewaffnet sein; das Proletariat darf sich an keinem Punkt zur Übergabe
ihrer Waffen an die offizielle Regierung verleiten lassen: "Um aber
dieser Partei, deren Verrat an den Arbeitern mit der ersten Stunde des Sieges
anfangen wird, energisch und drohend entgegentreten zu können, müssen die
Arbeiter bewaffnet und organisiert sein. Die Bewaffnung des ganzen
Proletariats mit Flinten, Büchsen, Geschützen und Munition muß sofort
durchgesetzt, der Wiederbelebung der
alten, gegen die Arbeiter gerichteten Bürgerwehr muß entgegengetreten werden.
Wo dies letztere aber nicht durchzusetzen ist, müssen die Arbeiter versuchen,
sich selbständig als proletarische Garde, mit selbstgewählten Chefs und
eigenem selbstgewählten Generalstabe zu organisieren und unter den Befehl,
nicht der Staatsgewalt, sonden der von den Arbeitern durchgesetzten
revolutionären Gemeinderäten zu treten. Wo Arbeiter für Staatsrechnung beschäftigt werden, müssen
sie ihre Bewaffnung und Organisation in ein besonderes Korps mit
selbstgewählten Chefs oder als Teil der proletarischen Garde durchsetzen. Die
Waffen und die Munition dürfen unter keinem Vorwand aus den Händen gegeben,
jeder Entwaffnungsversuch muß nötigenfalls mit Gewalt vereitelt werden."
(ebenda, S. 250).
Diese Schlußfolgerungen daraus, was Klassenunabhängigkeit
in einer revolutionären Situation praktisch beinhaltet, sind nicht so sehr
als ein unmittelbares Rezept für einen Typus von Revolution wichtig, der
nicht mehr wirklich auf der Tagesordnung war, sondern als leicht erkennbare historische Vorahnungen der
Zukunft - der folgenschweren revolutionären Konflikte von 1871, 1905 und 1917,
als die Arbeiterklasse ihre eigenen Organe des politischen Kampfes bilden und
sich selbst als einen lebensfähigen Kandidaten um die Macht repräsentieren
sollte. Hier, im Rundschreiben des Bundes, ist schon eine Vorstellung von der
Doppelherrschaft enthalten, einer sozialen Situation, in welcher die Arbeiterklasse
solch einen Grad an politischer und organisatorischer Autonomie zu erlangen
beginnt, daß sie eine direkte Bedrohung des gesellschaftlichen Managements
der Bourgeoisie darstellt; und über die innewohnende instabile Situation der
Doppelherrschaft hinaus enthält es den Begriff der Diktatur des Proletariats,
der Ergreifung und Ausübung politischer Macht durch die organisierte Arbeiterklasse.
Aus dem Text des Bundes wird ersichtlich, daß die embryonalen Formen dieser
proletarischen Macht außerhalb und im Gegensatz zu den offiziellen Organen des
bürgerlichen Staates entstehen müssen. Sie sind (Marx bezieht sich hier
spezifisch auf die Arbeitervereine) "eine
Koalition der gesamten Arbeiterklasse gegen die gesamte Bourgeoisklasse, die
Bildung eines Arbeiterstaats gegen Bourgeoisstaat" (Klassenkämpfe
in Frankreich, MEW 7, S. 54)). Konsequenterweise enthalten diese Zeilen
bereits den Kern der Position, wonach die Machtergreifung durch die Arbeiterklasse
nicht die Inbesitznahme des existierenden Staatsapparates beinhaltet, sondern
seine gewaltsame Zerstörung durch die Machtorgane der Arbeiter. Nur den Kern,
denn diese Position wurde in keiner Weise durch entscheidende historische
Erfahrungen geklärt: Obwohl Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte,
wenn er dieses Thema streift, ausschließlich Bezug auf die Notwendigkeit
nimmt, den Staat zu zerstören, statt die Kontrolle über ihn zu übernehmen
("Alle bisherigen Revolutionen vervollkommneten diese Maschine statt sie zu brechen"
(MEW 8, S. 197, 18. Brumaire)), war Marx in derselben Periode immer noch
davon überzeugt, daß die Arbeiter in
einigen Ländern (z.B. Großbritannien) durch das allgemeine Wahlrecht an die
Macht kommen könnten. Die Angelegenheit
wurde mehr mit dem Blick auf die besonderen nationalen Bedingungen denn als
ein allgemeines Problem des Prinzips behandelt.
Diese Frage blieb solange ungeklärt, bis die reale
historische Bewegung des Proletariats entscheidend in die Diskussion eingegriffen
hatte: Es war die Pariser Kommune, die dies klärte. Wir können jedoch bereits
den Zusammenhang zwischen den Schlußfolgerungen erkennen, die aus der Kommune
gezogen wurden - daß die proletarische politische Macht das Dasein eines neuen
Netzwerks von Klassenorganen erfordert, einen zentralisierten revolutionären
`Staat', der nicht einträchtig neben dem existierenden Staatsapparat leben
kann. Marxens `prophetischer' Blick ist
offensichtlich hier; aber diese Voraussagen sind nicht mehr Spekulationen. Sie
basieren fest in der Realität vergangener Erfahrung: die Erfahrung der ersten
Pariser Kommune, der revolutionären Vereine und Sektionen von 1789-95 und vor
allen Dingen die der Junitage in Frankreich 1848, als das Proletariat sich
bewaffnete und sich als eine besondere soziale Kraft erhob, aber großenteils
niedergeschlagen wurde, weil es politisch unzureichend gewappnet war. Unbenommen
aller historischer Beschränkungen, innerhalb derer diese Texte des Bundes
geschrieben wurden, bleiben die Lehren, die sie über die Notwendigkeit einer
unabhängigen Aktion und Organisation der Arbeiterklasse enthalten, heute so
wichtig wie damals. Ohne sie käme die Arbeiterklasse nie an die Macht, und der
Kommunismus würde nicht mehr sein als ein Traum.
Nichtsdestotrotz können wir nicht die Tatsache ignorieren,
daß diese Rufe nach proletarischer Autonomie mit einer besonderen historischen Perspektive
verbunden waren - jener der `permanenten Revolution'.
Das Manifest hatte einen schnellen Übergang von der
bürgerlichen zur proletarischen Revolution in Deutschland ins Auge gefaßt. Wie
wir erwähnten, hatte die aktuelle Erfahrung von 1848 Marx und seine Tendenz
davon überzeugt, daß die deutsche Bourgeoisie von Natur aus ungeeignet war,
ihre eigene Revolution zu machen; daß im nächsten revolutionären Ausbruch,
welchen der Rundbrief vom März 1850 immer noch als kurzfristig in Aussicht betrachtete,
die kleinbürgerlichen Demokraten, die `Sozial-Demokraten', als die sie zu
dieser Zeit manchmal erwähnt wurden, an die Macht kommen würden. Aber diese
soziale Schicht würde sich auch als unfähig erweisen, eine vollständige
Zerstörung feudaler Verhältnisse durchzuführen, und würde in jedem Fall dazu
gezwungen werden, das Proletariat anzugreifen und zu entwaffnen, sobald sie
die Regierungsämter übernommen hat. Die Aufgabe, die bürgerliche Revolution
wirklich zu erfüllen, würde somit auf das Proletariat fallen, aber indem es das
tut, würde es gezwungen sein, die
Bewegung vorwärts zur eigenen, zur kommunistischen Revolution
weiterzutreiben.
Daß dieses Schema auf die sehr rückständigen Bedingungen
in Deutschland nicht anwendbar war, wurde, wie wir sehen werden, bald darauf
von Marx anerkannt, als klar wurde, daß sich der europäische Kapitalismus noch
allzusehr in seiner aufstrebenden Phase befand. Dies kann auch von linken
Kommentatoren und Historikern anerkannt werden. Doch gemäß den letzteren
" konnte die Taktik der permanenten
Revolution, die zwar in Deutschland 1850 nicht angewandt werden konnte, ein wertvolles
politisches Erbe für die Arbeiterbewegung. Trotzki schlug sie Rußland 1905 vor,
obgleich Lenin es damals noch für verfrüht hielt, die bürgerlich demokratische
Revolution in eine proletarische überzuleiten. 1917 jedoch wandten Lenin und
die Bolschewistische Partei auf dem Hintergrund der europaweiten Krise, die der
1. Weltkrieg hervorgebracht hatte, die Taktik der permanenten Revolution an,
die die russische Revolution des Jahres 1917 vom Sturz des Zarismus zum Sturz
des Kapitals selber brachte’ (David Fernbach, ‘The Revolution of 1848’).
In Wirklichkeit fußte der ganze Begriff der permanenten
Revolution auf einem unlösbaren Rätsel: dem Gedanken, daß, während die
proletarische Revolution in einigen Ländern möglich ist, andere Teile der
Welt immer noch unerledigte bürgerliche Aufgaben hatten (oder haben) oder sich
noch auf darunterliegenden Ebenen befanden. Dies war ein echtes Problem für
Marx, aber es wurde überwunden durch die historische Entwicklung selbst, die
aufzeigte, daß der Kapitalismus die Bedingungen für eine proletarische
Revolution nur auf weltweiter Ebene schaffen kann. Es war ein einziges, internationales
System, das der Kapitalismus mit dem Ausbruch des I.Weltkrieges in seiner
dekadenten Phase betrat, seiner "Epoche
der Kriege und Revolutionen". Die Aufgabe, der das russische
Proletariat 1917 gegenüberstand, war nicht die Komplettierung irgendeiner
bürgerlichen Stufe, sondern die Ergreifung der politischen Macht als einem
ersten Schritt zur Revolution des Weltproletariats. Im Gegensatz zu ihrem
Erscheinungsbild handelte es sich im Februar 1917 nicht um eine `bürgerliche
Revolution' oder um den Machtantritt irgendwelcher sozialer
Zwischenschichten. Februar 1917 war eine proletarische Erhebung, gegen die
sämtliche Kräfte der Bourgeoisie alles taten, um sie von ihrem Weg abzubringen
und sie zu zerstören; was sehr schnell
bewies, daß alle Fraktionen der Bourgeoisie, weit entfernt davon, `revolutionär'
zu sein, völlig dem imperialistischen Krieg und der Konterrevolution verschrieben
waren und daß das Kleinbürgertum und andere Zwischenschichten kein autonomes
soziales oder politisches Programm besaßen , sondern dazu verdammt waren,
sich hinter die eine oder der andere der beiden Klassen in der Gesellschaft zu
stellen.
Als Lenin die April-Thesen 1917 schrieb, liquidierte
er all die überholten Begriffe irgendwelcher Zwischenetappen zwischen
bürgerlicher und proletarischer Revolution, all die Überbleibsel rein nationaler
Konzepte des revolutionären Wechsels. Die Thesen verzichten
letztendlich auf das zwiespältige Konzept der permanenten Revolution und
bekräftigen, daß die Revolution der Arbeiterklasse kommunistisch und
international oder gar nichts ist.
Die wichtigsten Klärungen über die Perspektive des
Kommunismus kamen durch die Debatte zustande, welche nicht lange nach der
Veröffentlichung dieses ersten kommunistischen Rundbriefes nach der 48er
Revolution im Bund ausgebrochen war. Es
wurde Marx und jenen, die ihm politisch nahestanden, schnell klar, daß die
Konterrevolution überall in Europa triumphiert hatte und daß es tatsächlich
keinerlei Aussicht auf einen nahe bevorstehenden revolutionären Kampf gab.
Was ihn mehr als alles andere davon überzeugt hatte, waren nicht einfach die
politischen und militärischen Siege der Reaktion, sondern seine auf einer
gewissenhaften ökonomischen Untersuchung unter seinen neuen Exilbedingungen
in Großbritannien basierenden Anerkennung, daß der Kapitalismus in eine neue
Wachstumsperiode eintrat. So schrieb er in Die Klassenkämpfe in
Frankreich:
"Bei dieser
allgemeinen Prosperität, worin die Produktivkräfte der bürgerlichen Gesellschaft
sich so üppig entwickeln, wie dies innerhalb der bürgerlichen Verhältnisse
überhaupt möglich ist, kann von einer wirklichen Revolution keine Rede sein.
Eine solche Revolution ist nur in den Perioden möglich, wo diese beiden Faktoren, die modernen Produktivkräfte und die bürgerlichen Produktionsformen, miteinander
in Widerspruch geraten. Die verschiedenen
Zänkereien, in denen sich jetzt die Repräsentanten der einzelnen Fraktionen
der kontinentalen Ordnungspartei ergehen und gegenseitig kompromittieren,
weit entfernt zu neuen Revolutionen Anlaß zu geben, sind im Gegenteil nur
möglich, weil die Grundlage der Verhältnisse momentan so sicher sind und, was
die Reaktion nicht weiß, so bürgerlich
ist. An ihr werden alle die bürgerliche Entwicklung aufhaltenden Reaktionsversuche
ebensosehr abprallen wie alle sittliche Entrüstung und alle begeisterten
Proklamationen der Demokraten. Eine
neue Revolution ist nur möglich im Gefolge einer neuen Krisis. Sie ist aber
auch ebenso sicher wie diese."
(MEW 7, S. 98).
Folglicherweise war die Aufgabe, der sich der Bund der
Kommunisten gegenübersah, nicht die unmittelbare Vorbereitung auf die
Revolution, sondern vor allem das theoretische Verständnis der objektiven
historischen Situation, des wirklichen Schicksals des Kapitals und somit der
wirklichen Basis für eine kommunistische Revolution.
Diese Perspektive traf auf heftige Gegenwehr bei den mehr
immediatistischen Elementen in der Partei, der Willich-Schapper-Tendenz, die
auf dem schicksalhaften Treffen des Zentralkomitees des Bundes der Kommunisten im
September 1850 behauptete, der Streit verliefe zwischen jenen, "die das Proletariat organisieren"
(d.h. sie selbst, die wirklichen Arbeiter-Kommunisten) und "die, welche
mit der Feder wirken" (MEW 8, S. 597) (d.h. Marx und seine Stubenzimmer-Terroristen).
Der wirkliche Punkt wurde von Marx in seiner Antwort aufgegriffen:
"Grade in der letzten
Debatte über die Frage `die Stellung des deutschen Proletariats in der
nächsten Revolution' sind von Mitgliedern der Minorität der Z.B. [Zentralbehörden]
Ansichten ausgesprochen worden, die direkt dem vorletzten Rundschreiben, sogar
dem `Manifest' widersprechen. An die Stelle der universellen Anschauung des
`Manifestes' ist die deutsche nationale getreten und dem Nationalgefühl der
deutschen Handwerker geschmeichelt. Statt der materialistischen Anschauung
des `Manifestes' ist die idealistische hervorgehoben worden. Statt der
wirklichen Verhältnisse der Wille als Hauptsache in der Revolution hervorgehoben
worden. Während wir den Arbeitern sagen: Ihr habt 15, 20, 50 Jahre Bürgerkrieg
durchzumachen, um die Verhältnisse zu ändern, um euch selbst zur Herrschaft zu
befähigen, ist statt dessen gesagt worden: Wir müssen gleich zur Herrschaft
kommen, oder wir können uns schlafen legen." (MEW8, S.598)
Diese Debatte mündete in der faktischen Auflösung des
Bundes. Marx schlug vor, das Hauptquartier nach Köln zu verlegen und die beiden
Tendenzen in getrennten lokalen Sektionen arbeiten zu lassen. Die Organisation
existierte bis nach dem berüchtigten Kölner Kommunisten-Prozeß 1852 weiter,
aber es handelte sich dabei immer mehr um eine rein formale Existenz. Die
Nachfolger von Willich-Schapper verwickelten sich zusehends in verrückte Komplotte
und Verschwörungen, die darauf abzielten, den proletarischen Sturm zu
entfesseln. Marx, Engels und ein paar andere zogen sich immer mehr aus den
Aktivitäten der Organisation zurück (ausgenommen, wenn sie zur Verteidigung
ihrer in Köln inhaftierten Genossen kamen) und widmeten sich der Hauptaufgabe
der Stunde - die Erarbeitung eines tieferen Verständnisses für die Wirkungsweisen
und Schwächen der kapitalistischen Produktionsweise.
Dies war die erste deutliche Demonstration der Tatsache,
daß eine proletarische Partei in einer Periode der Reaktion und Niederlage
nicht als solche existieren kann; daß in solchen Perioden Revolutionäre nur
als Fraktion arbeiten können. Aber die Nicht-Existenz einer organisierten
Fraktion um Marx und Engels in der darauffolgenden Periode war keine Stärke;
sie drückte die Unreife der politischen Bewegung des Proletariats, des
Konzeptes der Partei selbst aus (s. die Artikelsammlung ‘Das Verhältnis
Fraktion - Partei in der marxistischen Tradition’)
Dennoch hinterläßt uns die Debatte mit der
Willich-Schapper-Tendenz ein fortdauerndes Vermächtnis: die deutliche Bekräftigung
durch die `marxistische Tendenz', daß die Revolution erst dann herannahen wird,
wenn die "modernen Produktivkräfte"
in einen Gegensatz zu den "bürgerlichen
Produktionsformen" getreten sind; wenn der Kapitalismus zu einer Fessel
für die Entwicklung der Produktivkräfte geworden ist, zu einem dekadenten
sozialen System. Dies war die wesentliche Antwort auf all jene, die, indem sie
die Revolution von ihren objektiven historischen Bedingungen trennten, die
kommunistische Revolution auf eine simple Frage des Willens reduzierten. Und
es ist eine Antwort, die ständig in der Arbeiterbewegung wiederholt werden muß
- gegen die Bakunisten in der Ersten Internationalen, die denselben Mangel
an Interesse für die Frage der materiellen Bedingungen zeigten und die
Revolution von dem Flair und Enthusiasmus der Massen (und ihrer
selbsternannten geheimen Vorhut) abhängig machten; oder gegen Bakunins
späten Aufstieg im heutigen proletarischen Milieu bei- Gruppen wie Communiste
Internationaliste und Wildcat, die von Anfang an die marxistische Auffassung
von der Dekadenz des Kapitalismus verneinten und darin endeten, alle Begriffe
des historischen Fortschritts abzulehnen und zu behaupten, daß der
Kommunismus seit Beginn des Kapitalismus, ja sogar seit der ersten Dämmerung
der Klassengesellschaft möglich gewesen sei.
Es ist wahr, daß die Debatte 1850 diese Frage der Dekadenz
nicht endgültig klärte; es gibt durchaus Raum in den Worten von Marx über die
"nächste Revolution, die aus der
nächsten Krisis hervorgeht", um daraus zu schließen, daß Marx die
revolutionäre Möglichkeit nicht so sehr als das Ergebnis einer Periode ansah,
in der die bürgerlichen Verhältnisse zu einer permanenten Fessel der
Produktivkräfte geworden sind, sondern als
Resultat einer der zyklischen und zeitweiligen Krisen, welche das
kapitalistische Leben während des 19.Jahrhunderts unterbrachen. Einige
Strömungen innerhalb der proletarischen Bewegung - insbesondere die
Bordigisten - haben versucht, in Übereinstimmung mit der Kritik von Marx am
Voluntarismus zu bleiben und trotzdem den Begriff einer permanenten Krise der
kapitalistischen Produktionsweise, den Begriff der Dekadenz abzulehnen.
Obgleich aber das Konzept der Dekadenz nicht völlig geklärt werden konnte, bis
der Kapitalismus tatsächlich seine dekadente Phase betrat, behaupten wir, daß
jene, die diesen Begriff vertreten, die wirklichen Erben der marxistischen
Methode sind. Dies wird eines der Elemente sein, die wir im nächsten Artikel
dieser Reihe untersuchen werden, wenn wir Marxens theoretisches Werk in der Periode,
die der Auflösung des Bundes folgte, aus einem Blickwinkel betrachten, der am
relevantesten für diese Reihe ist: als
einen Schlüssel zum Verständnis für die Notwendigkeit und Möglichkeit des
Kommunismus.
Links
[1] https://de.internationalism.org/tag/1/194/kommunismus-keine-schoene-utopiesondern-eine-notwendigkeit
[2] https://de.internationalism.org/tag/geschichte-der-arbeiterbewegung/1848
[3] https://de.internationalism.org/tag/entwicklung-des-proletarischen-bewusstseins-und-der-organisation/bund-der-kommunisten
[4] https://de.internationalism.org/tag/3/45/kommunismus
[5] https://de.internationalism.org/tag/2/26/proletarische-revolution