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Weltrevolution Nr. 117

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April 1917: Die grundlegende Rolle Lenins bei der Vorbereitung der Oktoberrevolution

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 Am 4. April kehrte Lenin aus seinem Exil in der Schweiz kommend nach Petrograd zurück und wandte sich direkt an die Hunderte von Arbeitern und Soldaten, die zum Bahnhof geströmt waren, um ihn zu empfangen: ‘Liebe Genossen, Soldaten, Matrosen und Arbeiter, ich bin glücklich, in euch die siegreiche russische Revolution begrüßen zu können, euch als Vorhut der weltweiten proletarischen Armee zu begrüßen.... Die von euch vollzogene Revolution hat eine neue Epoche eingeleitet. Es lebe die sozialistische Weltrevolution!. 80 Jahre später bemühen sich die Bourgeoisie, ihre in ihrem Dienst stehenden Historiker und Medien, die schlimmsten Lügen und Geschichtsverfälschungen über die in Rußland begonnene proletarische Weltrevolution zu verbreiten.

Der Haß und die Verachtung der herrschenden Klasse gegen diese gewaltige Bewegung der ausgebeuteten Massen zielt darauf ab, das kommunistische Projekt der Arbeiterklasse als lächerlich und unrealisierbar darzustellen und zu behaupten, die Arbeiterklasse sei grundsätzlich nicht dazu in der Lage, eine neue weltweite Gesellschaftsordnung zu errichten, deren einzige Träger sie aber nur sein kann. Der Zusammenbruch des Ostblocks 1989 hat diesen Haß der Herrschenden noch vergrößert. Seitdem wurde eine gewaltige Kampagne entfacht, um in alle Welt hinauszuposaunen, daß der Kommunismus gescheitert sei, weil der Stalinismus zusammengebrochen ist, und damit habe auch die Idee des Marxismus Schiffbruch erlitten, der Klassenkampf gehöre in die Mottenkiste der Geschichte und natürlich auch die Idee der Revolution selber, die ja nur immer nur zu neuem Terror und zu neuen Gulags führen könne. In den Mittelpunkt dieser stinkenden Propaganda wird die politische Organisation, die Verkörperung der gewaltigen Aufstandsbewegung von 1917, die bolschewistische Partei gerückt, auf die sich ständig die Verteidiger der Bourgeoisie einschießen. All diesen Anhängern der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, wozu auch die Anarchisten gehören, unabhängig von ihren jeweiligen abweichenden Meinungen, geht es darum aufzuzeigen, daß Lenin und die Bolschewiki eine Bande machthungriger Fanatiker waren, die alles unternahmen, um die demokratischen Errungenschaften der Februarrevolution (siehe Weltrevolution Nr. 81) kaputtzuschlagen und Rußland und die Welt einer der schrecklichsten Erfahrungen auszusetzen, die die Geschichte je erlebt hat.

Gegenüber all diesen unglaublichen Verleumdungen des Bolschewismus ist es die Aufgabe der Revolutionäre, die Wahrheit herzustellen und hinsichtlich der Bolschewistischen Partei eine Kernaussage in den Mittelpunkt zu stellen:

Diese Partei war nicht das Ergebnis der Barbarei und der Rückständigkeit Rußlands, oder eines Machthungers ihrer Führer. Der Bolschewismus war an erster Stelle das Ergebnis des Weltproletariats, das mit der marxistischen Tradition verbunden war; er war die Vorhut einer internationalen Bewegung für die Abschaffung jeder Ausbeutung und Unterdrückung. Die Positionen Lenins, die er nach seiner Rückkehr nach Rußland 1917 verfaßte und die unter dem Namen ‘Aprilthesen’ bekannt geworden sind, stellen einen ausgezeichneten Ausgangspunkt dar, um als die Unwahrheiten über die Bolschewistische Partei, ihr Wesen, ihre Rolle und ihre Verbindungen mit den proletarischen Massen zu widerlegen.


Die Kampfbedingungen bei der Rückkehr Lenins nach Rußland im April 1917

In einem früheren Artikel haben wir daran erinnert, daß die Arbeiterklasse in Rußland mit den Kämpfen im Februar 1917 den Weg zur kommunistischen Weltrevolution eröffnet hatte, indem sie den Zar stürzte, sich in Arbeiterräten (Sowjets) organisierte und sich immer mehr radikalisierte. Aus der Erhebung im Februar war eine Lage der Doppelmacht hervorgegangen. Die offizielle Macht war die bürgerliche ‘provisorische Regierung’, die anfänglich von den ‘Liberalen’ angeführt wurde, die aber später eine ‘sozialistische’ Färbung unter Führung Kerenskis annahm. Andererseits lag die wirkliche Macht schon in vielen Bereichen in den Händen der Arbeiter- und Soldatenräten. Ohne Erlaubnis der Sowjets konnte die Regierung kaum Hoffnung haben, daß ihre Anordnungen an die Arbeiter und Soldaten durchgeführt wurden. Aber die Arbeiterklasse hatte noch nicht die notwendige politische Reife erreicht, um die ganze Macht zu ergreifen. Trotz ihrer Aktionen und ihrer immer radikaleren Haltung, wurde die Mehrheit der Arbeiter und damit auch die Bauernmassen noch von den Illusionen über das Wesen der Bourgeoisie zurückgehalten, genauer, von der Idee, daß nur eine bürgerlich demokratische Revolution in Rußland auf der Tagesordnung stand. Die Vorherrschaft dieser Ideen in den Massen spiegelte sich wieder in der Vorherrschaft der Menschewiki und Sozialrevolutionäre in den Sowjets, die alles mögliche unternahmen, damit sie gegenüber dem neu errichteten bürgerlichen Regime hilflos waren. Diese Parteien, welche ins Lager der Bourgeoisie dabei waren überzuwechseln oder es schon getan hatten, versuchten mit allen Mitteln, die aufsteigende revolutionäre Bewegung der provisorischen Regierung zu unterwerfen, insbesondere hinsichtlich der Fortsetzung des imperialistischen Krieges. In dieser Situation, die voll von Gefahren und Verheißungen war, herrschte bei den Bolschewiki selbst, die die internationalistische Opposition gegen den Krieg angeführt hatten, eine nahezu vollständige Verwirrung, eine politische Orientierungslosigkeit. ‘Im Manifest des Zentralkomitees der Bolschewiki, das sofort nach dem siegreichen Aufstand verfaßt worden war, sagte man, daß ‘die Fabrikarbeiter und die aufständischen Truppen sofort ihre Vertreter für die revolutionäre provisorische Regierung wählen müssen“. Sie handelten nicht als Repräsentanten einer proletarischen Partei, die sich darauf vorbereitet, selbst den Kampf um den Macht eigenständig vorzubereiten, sondern um den linken Flügel der Demokratie...’ (Trotzki, Geschichte der russischen Revolution’). Schlimmer noch: als Stalin und Kamenew im März die Führung der Partei übernahmen, bezogen sie eine noch weiter nach rechts abweichende Haltung ein. Das offizielle Organ der Partei, die Prawda, bezog offen eine ‘Verteidigungsposition’ gegenüber dem Krieg. ‘Wir übernehmen nicht die haltlose Parole ‘Nieder mit dem Krieg’... Jeder bleibt auf seinem Kampfposten’. Die offene Aufgabe der Position Lenins zur Umwandlung des imperialistischen Kriegs in einen Bürgerkrieg rief Widerstand und gar die Wut in der Partei und unter den Arbeiterräten von Petrograd hervor, die das Herz des Proletariats waren. Aber diese radikalsten Elemente vermochten keine programmatische Alternative gegen diese Rechtswende anzubieten. Die Partei geriet also unter dem Einfluß des Nebels der demokratischen Euphorie, die nach der Februarrevolte entstanden war, in den Sog eines Kompromisses und des Verrates.

Lenins Aufgabe sollte es sein, sobald er aus dem Exil zurückgekehrt war, die Partei politisch ‘umzubewaffnen’ und die entscheidende Bedeutung der revolutionären Führung durch seine Aprilthesen hervorzuheben, die ‘wie eine Bome’ in der Partei einschlug. Das alte Programm der Partei war mittlerweile überholt; gegenüber den spontanen Aktionen der Massen hinkte es hinterher. Die Losung, ‘revolutionär-demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft’ die von den ‘alten Bolschewiki’ unterstützt wurde, war zu einer veralteten Formel geworden, die wie Lenin es ausdrückte, ‘ist schon Wirklichkeit geworden’.

‘Die Eigenart der gegenwärtigen Lage in Rußland besteht im Übergang von der ersten Etappe der Revolution, die infolge des ungenügend entwickelten Klassenbewußtseins und der ungenügenden Organisiertheit des Proletariats der Bourgeoisie die Macht gab, zur zweiten Etappe der Revolution, die die Macht in die Hände des Proletariats und der ärmsten Schichten der Bauernschaft legen muß’ (Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution’, 2.These, Bd. 24, S. 4).

Lenin war einer der ersten, dere die revolutionäre Bedeutung der Sowjets als eine Organ der politischen proletarischen Macht verstand. Ein weiteres Mal erteilte Lenin eine Lehre in marxistischer Methode, indem er bewies, daß der Marxismus alles anderes als ein totes Dogma war, sondern seinem innersten Wesen nach eine lebendige wissenschaftliche Theorie, die im Labor der gesellschaftlichen Bewegung ständig überprüft werden muß.

Gegenüber der Position der Menschewiki, derzufolge das rückständige Rußland für den Sozialismus noch nicht reif war, argumentierte Lenin wie ein wahrer Internationalist, daß die unmittelbare Aufgabe nicht die Einführung des Sozialismus in Rußland war (8. These). Während Rußland selber für den Sozialismus noch nicht reif war, hatte der imperialistische Krieg aufgezeigt, daß der Weltkapitalismus als ganzer wirklich mehr als reif dafür war.

Für Lenin wie auch die anderen echten damaligen Internationalisten war die Weltrevolution nicht nur ein frommer Wunsch, sondern eine konkrete Perspektive, die sich ausgehend von der internationalen proletarischen Revolte gegen den Krieg entwickelte - die Streiks in Großbritannien und Deutschland, die politischen Demonstrationen, die Meutereien und Verbrüderungen der Truppen in verschiedenen Ländern, und natürlich die sic erhebende revolutionäre Flutwelle in Rußland selber brachten dies an den Tag. Deshalb auch der Aufruf zur Schaffung einer neuen Internationale im Schlußteil der Thesen. Diese Perspektive wurde nach dem Oktoberaufstand vollkommen durch die Ausdehnung der revolutionären Bewegung auf Italien, Ungarn, Österreich und vor allem Deutschland bestätigt.


Die politische Umbewaffnung der Bolschewistischen Partei

Diese neue Definition der Aufgaben des Proletariats beinhalteten auch eine neue Auffassung von der Rolle und der Funktionsweise der Partei. Auch hier erhoben sich zunächst die ‘alten Bolschewiki’ wie Kamenew gegen die Auffassungen Lenins, seiner Idee der Machtübernahme durch die Sowjets einerseits und andererseits durch die Betonung der Selbständigkeit der Arbeiterklasse gegen die bürgerliche Regierung und den imperialistischen Krieg, selbst wenn dies hieß, eine Zeitlang in der Minderheit zu bleiben und nicht, wie es Kamenew wollte, ‘bis zum Ende die Partei der revolutionären Massen des Proletariats zu bleiben’. Kamenew stellte die ‘Massenpartei’ der Auffassung Lenins von einer entschlossenen Partei gegenüber, die ein klares Programm hat, vereint, zentralisiert, eine Minderheit darstellt, aber den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Lockrufen und den Illusionen innerhalb der Arbeiterklasse widersteht. Diese Auffassung von der Partei hat nichts mit der Auffassung einer blanquistischen, terroristischen Sekte zu tun, wie Lenin vorgeworfen wurde, oder daß sie gar anarchistisch sei, weil sie sich der Spontaneität der Massen unterwerfe. Im Gegenteil: sie stützte sich auf die Erkenntnis, daß in einem Zeitraum massiver revolutionärer Erschütterungen, der Entwicklung des Bewußtseins in der Klasse, die Partei die Massen weder organisieren noch planen könnte, wie das die Geheimbünde des 19. Jahrhunderts noch machen konnten. Aber dies ließ die Bedeutung der Rolle der Partei noch mehr wachsen. Lenin schloß sich damit der Auffassung Rosa Luxemburgs an, die sie in ihrer meisterhaften Analyse des Massenstreiks im Zeitraum der Dekadenz entwickelt hatte: ‘Verlassen wir nämlich das pedantische Schema eines künstlich von Partei und Gewerkschaft wegen kommandierten demonstrativen Massenstreiks der organisierten Minderheit und wenden wir uns dem lebendigen Bild eienr aus äußerster Zuspitzung der Klassengegensätze und der politischen Situation mit elementarer Kraft entstehenden wirklichen Volksbewegung zu, die sich sowohl in politischen wie in ökonomischen stürmischen Massenkämpfen, Massenstreiks entladet, so muß offenbar die Aufgabe der Sozialdemokratie nicht in der technischen Vorbereitung und Leitung des Massenstreiks, sondern vor allem in der politischen Führung der ganzen Bewegung bestehen’ (Rosa Luxemburg, Massenstreik, Partei und Gewerkschaften’, Bd 2, S. 147).


Die ganze Energie Lenins richtete sich somit auf die Notwendigkeit aus, die Partei von diesen neuen Aufgaben zu überzeugen, und gegenüber der Arbeiterklasse war die zentrale Achse die Entwicklung des Klassenbewußtseins. In der 4. These wird dies alles sehr klar umrissen: ‘Aufklärung der Massen darüber, daß die Sowjets der Arbeiterdeputierten die einzig mögliche Form der revolutionären Regiereung sind und daß daher unsere Aufgabe, solange sich diese Regierung von der Bourgeoisie beeinflussen läßt, nur in geduldiger, systematischer, beharrlicher, besonders den praktischen Bedürfnissen der Massen angepaßter Aufkläruhg über die Fehler ihrer Taktik bestehen kann’ (ebenda, S. 5).

So war diese Vorgehensweise, dieser Wille, die klaren und präzisen Klassenprinzipien zu verteidigen, und zu wissen, daß man dazu auch gegen den Strom schwimmen und in der Minderheit bleiben müsse, war keineswegs ein Reinheitsfimmel oder Sektierertum. Im Gegenteil, sie stützten sich auf ein Begreifen der wirklichen Bewegung, die sich in der Klasse entwickelte, auf die Fähigkeit, den radikalsten Teilen innerhalb der Klasse eine Stimme und Führung zu verleihen. Der Aufstand war solange unmöglich wie die revolutionären Positionen der Bolschewiki, die sich während des ganzen revolutionären Prozesses weiterentwickelten, noch nicht bewußt die Sowjets erobert hatten. Von den bürgerlichen Lügen einer angeblich putschistischen Haltung der Bolschewiki keine Spur. Wie Lenin unterstrich: ‘Wir sind keine Scharlatane... Nur müssen uns nur auf das Bewußtsein der Massen stützen’ (von Trotzki zitiert).

Das Beherrschen der marxistischen Methode durch Lenin, der über das Erscheinungsbild und die Oberfläche der Ereignisse hinwegsah, ermöglichte es ihm zusammen mit den besten Elementen der Partei die wirkliche Dynamik der Bewegung, die sich unter seinen Augen entfaltete zu begreifen und auf die tiefsten Regungen der Massen einzugehen, indem er ihnen die theoretischen Mittel bot, mit denen sie ihre Positionen verteidigen und ihre Aktionen erklären konnten. Sie erlaubten ebenfalls, sich in der Konfrontation mit der Bourgeoisie zurechtzufinden, indem die Fallen aufgezeigt und umgangen wurden, die diese der Arbeiterklasse stellte, wie das im Juli 1917 der Fall war. Deshalb heben wir im Gegensatz zu den Menschewiki der damaligen Zeit und ihren zahlreichen anarchistischen, sozialdemokratischen und rätistischen Nachfolgern, die einige wirkliche Fehler Lenins bis aufs äußerste karikieren (1), um das proletarische Wesen der russischen Revolution zu verwerfen, die fundamentale Role hervor, die Lenin bei der Wiederaufrichtung der Bolschewistischen Partei gespielt hat, und ohne die das Proletariat im Oktober 1917 die Macht nicht hätte ergreifen können.

Lenins lebenslanger Kampf für den Aufbau der revolutionären Organisation ist eine historische Errungenschaft der Arbeiterbewegung. Er hat den heutigen Revolutionären eine unabdingbare Grundlage für den Wiederaufbau der Klassenpartei hinterlassen sowei für das Begreifen der Rolle der Klassenpartei innerhalb der Klasse insgesamt. Der siegreiche Aufstand des Oktober 1917 stellte die Auffassungen Lenins als richtig heraus.

Die Isolierung der Revolution nach dem Scheitern der revolutionären Schübe in den anderen Ländern Europas unterbrach die Dynamik der internationalen Revolution, die als einzige eine Garantie für einen örtlichen Sieg in Rußland liefern konnte. Der sowjetische Staat begünstigte den Aufstieg des Stalinismus, der zum Henker der Revolution und der wirklichen Bolschewisten wurde. Wesentlich bleibt, daß im Laufe der ansteigenden revolutionären Welle in Rußland der Lenin der April-Thesen nie ein isolierter Prophet blieb, kein Schöpfer der Welt, der erhaben über den vulgären Massen thronte, sondern die klarste Stimme der am meisten revolutionären Tendenz innerhalb des Proletariats; eine Stimme, die den Weg aufzeigte, welcher zum Sieg in der Oktoberrevolution 1917 führte. ‘In Rußland konnte das Problem nur gestellt werden. Es konnte nicht in Rußland gelöst werden, es kann nur international gelöst werden. Und in diesem Sinne gehört die Zukunft überall dem ‘Bolschewismus’’ (Rosa Luxemburg, Zur russischen Revolution’). SB

(1) Zu den Fehlern gehörte: die Rätisten sprechen gerne von der ‘Theorie des in die Klasse von Außen eingebrachten Bewußtseins’, die in ‘Was tun?’ entwickelt wird. Später jedoch hat Lenin diesen Fehler eingestanden und in der Praxis eindeutig bewiesen, daß er eine richtige Auffassung des Prozesses der Entwicklung des Bewußtseins innerhalb der Arbeiterklasse entfaltet hatte.

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1917 - Russische Revolution [1]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [2]

Die imperialistischen Rivalitäten zwischen den Großmächten treten offen zutage

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Obgleich ihr Ausgang noch nicht feststeht, kann man jetzt schon sagen, dass die gegenwärtige Irakkrise eine enorme Zuspitzung der imperialistischen Spannungen und eine neue Etappe derselben darstellt.

Gegenüber einer Welt, die von der Dynamik des ‚Jeder für sich' beherrscht wird, und wo insbesondere die früheren Vasallen des amerikanischen Gendarms danach streben, sich so weit wie möglich aus der er-drückenden Vorherrschaft dieses Gendarmen zu befreien, die sie wegen der Bedrohung durch den gegnerischen Block ertragen mussten, besteht für die USA das einzige Mittel zur Aufrechterhaltung ihrer Autorität darin, sich auf das Instrument zu stützen, bei dem sie gegenüber allen anderen Staaten eine haushohe Überlegenheit besitzen: die militärische Gewalt. Aber aufgrund dieses Einsatzes geraten die USA selbst in einen Widerspruch:

- einerseits, falls sie auf den Einsatz oder die Zurschaustellung ihrer militärischen Überlegenheit verzichten, kann das die anderen, sie herausfordernden Staaten nur ermuntern, noch weiter vorzudrängen bei dieser Herausforderung;

- andererseits, falls sie diese rohe Gewalt anwenden, und selbst und vor allem wenn sie es dank dieses Mittels schaffen, die imperialistischen Appetite ihrer Gegner vorübergehend zurückzudrängen, werden diese aber danach streben, die erstbeste Gelegenheit zu ergreifen, um sich zu revanchieren und wieder versuchen, aus der US-Vorherrschaft auszubrechen" (Resolution zur internationalen Situation, 1997, Internationale Revue Nr. 19).

Dieser seit dem Zusammenbruch des Ostblocks aufgetretene Widerspruch ist auch dafür verantwortlich, dass es seitdem zu einer Pendelbewegung gekommen ist zwischen der Offensive der USA, die die Herausforderer zum Schweigen bringt, und dann als Gegenbewegung wieder eine Infragestellung der USA in einem viel stärkeren Ausmaß nach sich zieht. Solch eine Bewegung wiederholt sich nicht einfach, sondern sie nimmt immer gewaltigere Ausmaße an. Im Frühjahr stellte die IKS dazu fest, dass "dies das Potenzial in sich birgt, dass das Ganze außer Kontrolle gerät. Die USA werden sich gezwungen sehen, immer stärker zu intervenieren, um ihre Autorität durchzusetzen, aber dadurch erhalten jeweils die Kräfte Auftrieb, die bereit sind, für ihre eigenen Interessen einzutreten und diese Autorität infragezustellen. Das trifft auch für die Hauptrivalen der USA zu" (Resolution zur internationalen Situation, März 2002).

Der 11. September und der von den USA inszenierte Kreuzzug gegen den Terrorismus stellte einen Wendepunkt dar. Nicht nur wurden gewaltige Mittel locker gemacht für die Aufrüstung, sondern die USA erklärten immer unverhohlener ihre Entschlossenheit, auch ohne die UNO loszuschlagen. Gleichzeitig erklärten die USA, dass dieser Kampf gegen den Terrorismus nicht von kurzer Dauer sein werde, mit genau definierten, auf eine Region beschränkten Zielen, sondern es werde ein ständiger, quasi endloser, weltweiter Kampf geführt. Aber es dauerte nicht lange, bis sich gegen diese neue Strategie der USA entschlossener Widerstand entfaltete.

Nachdem vor allem Frankreich jahrelang dadurch aufgefallen war, dass es sich lauthals gegen die US-Politik zu wehren versuchte und Deutschland eher im Hintergrund agierte, hat Deutschland in der letzten Zeit eine herausragende Rolle bei der Organisierung der Untergrabung der US-Führungsrolle übernommen. Ja, es stellt gar das Rückgrad dieses Widerstands dar. Dies ist kein Zufall, nimmt der Irak doch für Deutschland eine zentrale Stellung auf dem imperialistischen Schachbrett ein. Darüber hinaus hat die deutsche Bourgeoisie eine große politische Schwäche der US-Offensive ausnutzen können.

Die geostrategische Bedeutung des Irak

Die USA wollen die Politik der 'Eindämmung' Europas fortsetzen, nachdem sie wichtige Stellungen im Kosovo eingenommen und Afghanistan besetzt haben. Die USA wollen ihre Finger nach den Erdölreserven im Nahen Osten ausstrecken, von denen Japan zu 60% und auch einige Länder Europas stark abhängig sind, womit diese Länder bei einer internationalen Krise sehr leicht erpressbar werden würden. Abgesehen von den beiden oben genannten Faktoren nimmt der Irak seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bis heute eine herausragende strategische Stellung ein. Der Zusammenbruch des osmanischen Reiches (‚des kranken Mannes Europas'), der sich Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschleunigte, trieb die damaligen Großmächte dazu, verstärkt nach den Gebieten zu greifen, die vorher unter osmanischer Kontrolle standen, insbesondere der Balkan (auf dem der 1. Weltkrieg ausgelöst wurde) und der Nahe Osten, der eine strategische Schlüsselstellung zwischen verschiedenen Kontinenten einnimmt. Während Frankreich und Großbritannien über das Mittelmeer eine Kontrolle dieser Region anstrebten (Frankreich errichtete 1869 den Suez-Kanal und England von Indien aus via Afghanistan und Persien), verfolgte Kaiser Wilhelm II. das gleiche Ziel - jedoch über den Landweg durch die Errichtung einer Achse Berlin-Istanbul-Bagdad. So finanzierte Deutschland den Bau der Badgad-Bahn, deren Bau 1903 begann, und die Berlin mit dem Persischen Golf (über die ‘Orient-Express-Route’ und die Türkei) verbinden sollte. Natürlich gewann diese Region Anfang des 20. Jahrhunderts noch mehr Bedeutung (und das Bestreben der Großmächte, die Kontrolle über sie zu erlangen), als dort Erdöl entdeckt wurde. Am Vorabend des 1. Weltkriegs fing das schwarze Gold im Iran und im Irak (der damals noch vom osmanischen Reich beherrscht wurde) an zu fließen. Nach der Niederlage Deutschlands im 1. Weltkrieg wurden die imperialistischen Interessen Deutschlands gebremst, England übernahm nach 1920 das Protektorat über den Irak. Bis zum Sturz der Haschemitischen Monarchie durch einen Staatsstreich am 14. Juli 1958 blieb die englische Vorherrschaft über den Irak praktisch nahezu unangefochten. Aber nach diesem Staatsstreich entglitt der Irak englischer Kontrolle, nachdem er politische, ökonomische und militärische Abkommen mit der damaligen UdSSR, Frankreich und Deutschland schloss. Der Zusammenbruch des Ostblocks bewirkte schließlich, dass die beiden letztgenannten Länder den größten ausländischen Einfluss im Irak ausübten; dieser Einfluss wurde auch nicht durch den Golfkrieg 1991, das Embargo und die seit 1991 stattfindenden britisch-amerikanischen Bombardierungen aus der Welt geschafft. Dies liefert die Erklärung dafür, dass Frankreich und Deutschland im Gegensatz zu Großbritannien und den USA (die mit dem Sturz des Irans 1979 einen wichtigen Verbündeten in der Region verloren haben) sehr an der Aufrechterhaltung des Status Quo im Irak interessiert sind.

Für die USA stellt der Irak ein Schlüsselglied dar, das sie unbedingt für sich vereinnahmen wollen, um die Kontrolle in der ganzen Region auszuüben. Die direkte Kontrolle des Iraks (ein Schlüsselland für die Beherrschung des gesamten Mittleren Ostens) stellt eine notwendige Etappe bei der Verstärkung der Stellung der USA in der Region dar, insbesondere durch die ‚Normalisierung' der Lage in Saudi-Arabien und die Unterwerfung des Irans, der sehr wohl zur nächsten Zielscheibe der US-Offensive werden könnte. Hinter dem Versuch der Unterwerfung des Iraks durch die USA verbirgt sich also eine Umkrempelung der geopolitischen Karte des Mittleren Ostens, mit der Perspektive der ‚Regelung' der Palästinenserfrage. Damit wird in Wirklichkeit nichts Anderes verfolgt als die Schaffung eines großen Israels, das Sharon so wichtig ist, indem die Bevölkerung aus den besetzten Gebieten vertrieben wird. Dieses Mal würden sie über den Jordan hinaus nach Jordanien vertrieben . Diese Elemente für sich genommen erklären schon, warum der Irak nach Afghanistan die Hauptzielscheibe der USA geworden ist. Es gibt ebenso andere strategische Prioritäten der USA. Indem sie den Irak als nächste Zielscheibe ihrer militärischen Operationen auswählten, waren sich die USA darüber im klaren, dass sie Großbritannien für sich gewinnen würden, das auch seinen Einfluss im Irak nicht mehr wiederherstellen kann, solange dort Saddam Hussein an der Macht ist.

Deutschland hat seine Strategie, von der verdeckten zur offenen Opposition gegen die USA überzugehen, also zunächst wegen der enormen strategischen Bedeutung des Irak gewechselt. Wenn Deutschland nicht an die Spitze der Herausforderer der USA getreten wäre, hätte Frankreich vielleicht längst einen Rückzieher gemacht und wäre umgeschwenkt. Und Moskau und Beijing hätten nicht so offen den USA die Stirn geboten. Aber die Schwäche der ideologischen Rechtfertigung der US-Kriegspläne gegen den Irak hat auch zugunsten Deutschlands gewirkt.

Die politische Schwächung der USA verstärkt die Untergrabung ihrer Führungsrolle

1991 war es den USA noch gelungen, der zunehmenden Herausforderung ihrer Führungsposition entgegenzutreten, indem sie eine internationale Kampagne im Namen der Verteidigung des 'Völkerrechts' aufzwingen konnten. Im Kovosokrieg beriefen sich die USA nicht auf das Völkerrecht und die damit eng verbundene Institution - die UNO, sondern sie griffen direkt mittels der NATO ein, was vom Standpunkt des Völkerrechts aus gesehen illegal war. Aber dieser Winkelzug konnte aus 'humantiären' Gründen gerechtfertigt werden: man musste die Kosovoalbaner vor dem Völkermord retten. In Afghanistan griffen die USA ebenso `illegal´ein; neu war jedoch, dass sie diesesmal alleine entschieden und völlig eigenmächtig handelten. Damals konnte das den USA noch gelingen, da es auf dem Hintergrund des 11. Septembers schwierig gewesen wäre, den Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus infragezustellen. In der gegenwärtigen Irakkrise jedoch sind nicht nur die Argumente zugunsten einer militärischen Intervention nicht stichhaltig, sondern ihre Gegner können sie sogar leicht gegen die USA wenden. Wenn die USA zunehmend gezwungen sind, sich direkt mit militärischen Mitteln durchzusetzen, führt dies dazu, dass die USA jede ideologische Rechtfertigung für ihr Handeln verlieren. Die gegenwärtige Lage verdeutlicht dies kristalklar. Einerseits haben die USA ihre militärische Überlegenheit gegenüber ihren Rivalen seit Anfang der 90er Jahre noch weiter ausbauen können. Aber diese noch nie dagewesene militärische Überlegenheit und die noch nie dagewesene gleichzeitige politisch-ideologische Schwächung sind ein Novum seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Man kann kein Reich einzig und allein auf Gewaltanwendung aufbauen, denn “man kann zwar alles mit Bajonetten machen, aber man kann sich nicht auf sie setzen!" Mehr als ein halbes Jahrhundert lang war die imperialistische Vorherrschaft der USA durch eine gewaltige militärische und ökonomische Überlegenheit abgesichert, aber dies galt auch vor allem für eine politisch-ideologische Vorherrschaft, die nie infragegestellt wurde. Diese politisch-ideologische Vorherrschaft der USA beruhte auf folgenden Faktoren:

- sie stützte sich weder auf eine Kolonialherrschaft (wie bei Großbritannien oder Frankreich der Fall) noch auf eine direkte und unmittelbare Kontrolle der Länder in ihrem Machtbereich, wie im Falle der Sowjetunion.

Im Gegenteil: Sie wurde 'demokratisch' ausgeübt, die Staaten willigten 'freiwillig' ein; indem sie sich dem großen Bruder unterwarfen, konnten sie von ihm 'Schutz' oder wirtschaftlich-militärische oder andere Vorteile erhalten. Sie wurde durch eine Ideologie unterstützt und verstärkt, die sich auf den freien 'Zusammenschluss' der Länder, die Verteidigung 'demokratischer Werte', die 'Freiheit' und die 'Verteidigung der Menschenrechte' berief.

Die alte Politik des 'Zusammenschlusses der Nationen', die dem US-Imperialismus nahezu ein halbes Jahrhundert lang enorme Vorteile gebracht hatte, hat heute keinen Bestand mehr. Zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert werden die USA den 'Bösen' zugerechnet, und ihre Rivalen können es sich erlauben, ihnen eine Lektion auf dem Gebiet der Ideologie zu erteilen, das die USA vorher beherrschten und so erfolgreich ausgenutzt hatten. Ihnen wird vorgeworfen, nicht dem Willen der Nationen zu folgen, nicht demokratisch zu handeln, sich über die Weltordnung hinwegzusetzen. Schlimmer noch: Bush wird mit Hitler verglichen.

Heute lässt das amerikanische Wirtschaftsmodell nicht mehr träumen (auch wenn die USA weiterhin die Nummer Eins auf wirtschaftlicher Ebene bleiben) und vor allem die politische Vorherrschaft der USA bröckelt immer mehr weg. Ihnen bleibt nur die Anwendung brutaler Gewalt.

Das imperialistische Kräfteverhältnis

Wie oben erwähnt, bot der entschlossene Widerstand Deutschlands anderen Mächten die Möglichkeit, sich so offen und bisher ungebrochen gegen die USA zu äußern. Deutschland hat es verstanden, seine Karten auszuspielen. Dieses Mal war es nicht durch seine extreme Schwäche auf militärischer Ebene behindert, sondern es hat zunehmend die politische Schwäche der USA auszunutzen verstanden. So ist es der Hauptdrahtzieher hinter dem enormen Fiasko, das die USA haben hinnehmen müssen, und das auf die seit Monaten fortdauernde Unfähigkeit der USA zurückzuführen ist, sich international politisch durchzusetzen. Die USA sind nicht zum ersten Mal gezwungen, vorübergehend auf das zu verzichten, was sie geplant und angekündigt hatten. Aber jetzt haben sie zum ersten Mal solch eine enorme politische und diplomatische Niederlage einstecken müssen. Und zum ersten Mal seit den 90er Jahren ist das imperialistische Wesen der US-Politik so deutlich zum Vorschein gekommen, und vor allem werden sie zum ersten Mal so entschlossen von einer Reihe von Mächten bekämpft, die von Deutschland angeführt wird. All das geschieht nur kurz nach den inszenierten Attentaten auf die Twin Towers, obgleich diese dazu dienen sollten, diese Art Politik der USA zu legitimieren.

Dies verdeutlicht, dass Deutschland ein potenzieller Blockführerkandidat ist, der den USA entgegentreten könnte, dass gleichzeitig aber Deutschland gegenwärtig überhaupt noch nicht in der Lage ist, dieser Rolle gerecht zu werden.

Auch wenn wir noch nicht wissen, wie die Irak-Krise sich schließlich weiterentwickeln wird, steht jetzt jedenfalls schon fest, dass es den USA gelungen ist, Deutschland und Frankreich von der Mehrzahl der Staaten Europas zu isolieren. So haben sich einige ‘befreundete’ Länder wie Spanien und Italien von den beiden abgewandt. Für Deutschland erscheinen die Schäden, die die US-Politik ihm zugefügt hat, am größten. Seit der Wiedervereinigung hatte Deutschland versucht, Richtung Osteuropa sein Einflussgebiet auszudehnen. Jetzt aber haben Länder wie Ungarn oder die Tschechische Republik, in denen Deutschland eine wichtige ökonomische Rolle spielt, ihm die Gefolgschaft versagt. Wenn sich einige Länder von Deutschland abgewandt haben, dann sicher nicht, weil die USA aus ihrer Sicht attraktiver erscheinen. Vielmehr haben sie dies zum Teil aus Angst vor Repressalien durch die USA getan, aber auch aus Angst vor einem zu großen Erstarken der Nachbarn Deutschland und Frankreich, die sie vereinnahmen könnten. Sie haben somit ihre Interessen auf dem imperialistischen Schachbrett zu verteidigen versucht.

In dieser Hinsicht hat Deutschland also einen herben Rückschlag erleiden müssen. Viel ‚tragischer' für das deutsche Kapital als in der Vergangenheit, als ähnliche Bedingungen es in den Krieg trieben, findet es sich heute in seinen Grenzen eingeschränkt, ohne Hoffnung, kurzfristig aus seinem begrenzten Territorium ausbrechen zu können, während die wirtschaftliche Potenz des Landes eigentlich verlangt, dass sie über die ganze Welt als ihr Betätigsungfeld verfügt. Die Interessen Frankreichs werden jetzt schon vor allem in Afrika untergraben, wo die USA zum Beispiel in der Elfenbeinküste gegen Frankreich agieren. Großbritannien wird von verschiedenen Seiten entweder als Schoßhund Amerikas oder als Amerikas treuester Verbündeter verhöhnt bzw. gelobt. In Wahrheit unterstützt es den Krieg, um seine eigenen Interessen zu fördern. Mit einem Sturz Saddams verbindet es die Hoffnung, einen Teil seines einstigen Einflusses in der Region wiederzuerlangen und damit einer völligen Beherrschung durch die USA entgegenzutreten. Diese Strategie verfolgte GB bereits gegenüber dem Kosovo, wo es ihm unter dem Deckmantel einer zur Schau gestellten Loyalität gegenüber den USA gelang, wichtige strategische Stellungen einzunehmen und damit den USA zu entziehen. Die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der britischen Bourgeoisie sind darauf zurückzuführen, dass GB eine Zwischenstellung zwischen den USA und Deutchland & Frankreich einzunehmen versucht, wobei es verschiedene Ansichten darüber gibt, welche Nähe bzw. Distanz gegenüber diesen Hauptpolen eingenommen werden sollten. 12.03.03

Irak-Krise:

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Wie die 'neutrale' Schweiz ihre imperialistischen Interessen wahrnimmt

Mit dem Ersten Weltkrieg ist der Kapitalismus in seine dekadente Phase getreten, in der Krieg und Militarismus zur Lebensform dieser Gesellschaftsordnung schlechthin geworden sind: “Wenn der Imperialismus, der Militarismus und der Krieg so stark mit dem Zeitraum der Dekadenz gleichgesetzt werden, dann deshalb weil die kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu einer Fessel für die Entwicklung der Produktivkräfte geworden sind. Der vollkommen irrationale Charakter der ganzen Wirtschaft, der Rüstungsausgaben und der Krieg spiegeln nur die Abartigkeit wider, den die Aufrechterhaltung dieser Produktionsverhältnisse bedeuten” (Militarismus und Zerfall, in: Internationale Revue, Nr. 13, S. 17f.). Bereits damals hat Lenin, der sich in der Schweiz im Exil aufhielt, über dieses Land geschrieben, dass es “bei jeder denkbaren Situation in diesem Kriege nicht gegen den Imperialismus kämpfen wird, sondern an der Seite der einen oder der anderen imperialistischen Mächtekoalition, also tatsächlich als Helfershelfer der einen oder der anderen grossen Raubmächte, dass die schweizerische Bourgeoisie schon längst durch tausend Fäden imperialistisch ‘interessiert’ ist, sei es durch ein Netz von Beziehungen und ‘Beteiligungen’ zwischen den Grossbanken, sei es durch Export von Kapital...” (Lenin, Werke, Bd. 23, S. 161). Und weiter: “Die imperialistischen Interessen lassen sich ... nicht nur durch territoriale Erwerbungen wahr machen, sondern auch durch finanzielle. Die schweizerische Bourgeoisie exportiert Kapital, beutet also zurückgebliebene Völker imperialistisch aus.” (Ebd., S. 272). Während die Bourgeoisie danach trachtet, dem Volk im allgemeinen und der Arbeiterklasse im speziellen durch ein ideologisches Sperrfeuer die wahren imperialistischen Absichten zu verschleiern, muss es Aufgabe der Revolutionäre sein, diese “wirkliche Politik ‘seiner’ Bourgeoisie ohne Illusionen und unbarmherzig zu entlarven” (Ebd., S. 272). Dies gilt in der heutigen Situation der zugespitzten imperialistischen Interessengegensätze mehr denn je, kaschiert die Schweizer Bourgeoisie ihre imperialistischen Interessen doch mit so scheinbar positiven Attributen wie humanitär, pazifistisch und demokratisch. Die Aussenpolitik des Kleinstaates Schweiz seit dem Ersten Weltkrieg zeichnet sich dadurch aus, dass sie immer darauf abzielte, sich möglichst lange einen möglichst grossen Handlungsspielraum in der Wahrung ihrer Interessen zu wahren. Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg hat sich die Schweiz nie offen einer kriegführenden Partei angeschlossen, hat aber hinter den Kulissen beste (z.T. auch militärische) Kontakte mit beiden Seiten gepflegt und auch von ihnen profitiert. Diese Politik kann ins Auge gehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste die Schweiz auf Druck der USA 250 Millionen Franken in Gold quasi als Strafe für die Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Deutschland zahlen. Dieser Betrag wäre höher ausgefallen, hätte der sich nun herausbildende Kalte Krieg die USA nicht dazu veranlasst, die Schraube gegenüber der Schweiz zu lockern. Auch in der bipolaren Weltordnung bis 1989 ist die Schweiz ihrer auf weitgehende Unabhängigkeit abzielende Politik treu geblieben: Als neutraler Staat konnte sie die grössten Vorteile aus der Blockkonstellation ziehen, während sie faktisch in die militärische und ökonomische Struktur des Westblocks, mit dem sie auch die ideologischen ‚Werte‘ teilte, eingebunden war.

Nach dem Zerfall des Ostlocks: Jeder gegen jeden

Der Zusammenbruch des Ostblocks, der selbst eine Folge des Zerfalls des Kapitalismus war, bedeutete gleichzeitig, dass der Zerfall von nun an die prägende Kraft der globalen gesellschaftlichen Entwicklung werden sollte. Auf imperialistischer Ebene führte dies in allererster Linie zur Entfesselung des “Jeder gegen jeden”, mussten sich nun vor allem die Länder des ehemaligen westlichen Bündnisses der bröckelnden Blockdisziplin kaum mehr unterordnen, was sie in die Lage versetzte, ihre eigenen imperialistischen Interessen wieder unverblümter und zielgerichteter zu verfolgen. Für die Schweiz begann ein tiefer Fall, verlor sie doch ihr Ansehen, das sie zur Zeit des Kalten Krieges als Vermittlerin genossen hatte, grosse Teile des sorgsam gehegten Selbstbildes sind somit obsolet geworden. Besonders schmerzlich bekam dies die Schweizer Bourgeoisie zu spüren, als ihr Land erneut wegen ihres Verhaltens gegenüber dem Nationalsozialismus zur Zeit des Zweiten Weltkriegs ins Visier der USA geriet. Die USA ritt eine heftige Attacke gegen die Schweiz, weil sie zu stark ihre eigenen Interessen wahrnahm und somit zunehmend in einem Gegensatz zur USA stand (siehe dazu unsere Artikel in: Weltrevolution, Nr. 79, 83, 84.). Die Attacke der USA zielte darauf ab, die Schweiz zu disziplinieren, zu zeigen, wer Herr im Haus sei. Die Schweizer Grossbanken mussten 1,25 Milliarden Dollars bezahlen, das Bankgeheimnisses gegenüber der USA lockern.

Die Schweiz hätte vielleicht dem Druck der USA eher standhalten können, wäre sie Mitglied der EU gewesen, aber die obenerwähnte Konstante der möglichst langen Wahrung der eigenen Unabhängigkeit blieb bestehen, hätte ihr doch auch die EU ein blaues Auge zugefügt. Dies ist kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die Schweiz bezüglich der Auslandinvestitionen an 9. Stelle und pro Kopf an 3. Stelle (hinter Hongkong und Belgien) steht und sie aufgrund des sehr kleinen Binnenmarktes stärker als andere Länder auf den Export angewiesen ist, wobei auch hier (wie bei den Direktinvestitionen) die USA und die EU die grössten Stücke des Kuchens ausmachen. Und weshalb der EU beitreten, über die in der Schweizer Bourgeoisie “Zweifel da sind, ob (sie) nicht auch schon in den nächsten 50 Jahren Schiffbruch erleiden könnte ... “ (Bundesrat P. Couchepin in: Tages-Anzeiger, 3.1.2003) ?

Pazifismus als nationalistische Waffe gegen die USA

In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um eine Intervention im Irak stellt sich die Schweiz klar gegen die Bemühungen der USA, endlich Krieg gegen den Irak zu führen. Diese Politik der Schweiz ist auch als Retourkutsche für den obenerwähnten Angriff der USA aus der Mitte der 90er Jahre zu verstehen, sie will sich gegenüber der Weltmacht wieder mehr Respekt verschaffen. Die seit Beginn des Jahres 2003 amtierende sozialdemokratische Aussenministerin Calmy-Rey hat als erstes am Davoser Weltwirtschaftsforum dem US-Aussenminister Powell die Leviten gelesen, dann eine sog. humanitäre Konferenz über die Folgen eines allfälligen Irak-Krieges (an der die USA nicht teilnahmen) unter der Leitung des Departementes für Entwicklung und Zusammenarbeit (!) durchgeführt und schliesslich einer Anfrage der USA zu Überflügen über die Schweiz für den Fall eines Krieges gegen den Irak eine Absage erteilt. Die Schweiz stellt sich somit hinter die Politik von Frankreich und Deutschland u.a., die eine Fortführung der UNO-Waffeninspektionen verlangen und in erster Linie die USA aufgrund andersgearteter imperialistischer Interessen an der Umsetzung ihrer Kriegspläne hindern möchten, wobei die Schweiz v.a. mit der Betonung der strikten Respektierung des humanitären Rechts sowie des internationalen Völkerrechts zur Unterstreichung ihrer Eigenständigkeit eine andere Tonart spielt und auch eigene Initiativen ergreift. Die Schweizer Bourgeoisie weiss, dass sich die Gegensätze und Konflikte zwischen den grossen imperialistischen Mächten ständig zuspitzen, sie bleibt dabei ihrer Linie treu und schliesst sich keinem der beiden Lager vollständig ein, da sie sonst ihren eigenen Handlungsspielraum einschränken würde. Gemeinsam mit Frankreich und Deutschland zeigt sie mit dem Finger auf den “bösen Buben” USA, die ihrer Rolle als Hüterin der Demokratie nicht mehr gerecht würden, sondern immer offener mittels Rückgriff auf nackte Waffengewalt ihre eigenen Interessen wahrnehmen, während eben ihre Gegner, und mit ihnen die Schweiz, sich als die guten demokratischen und friedliebenden Staaten darstellen. Wer kann eine solche Botschaft besser verkaufen als in der Schweiz eine Sozialdemokratin oder in Deutschland der Grüne Joschka Fischer?

Die Arbeiterklasse darf sich von solchen Manövern nicht blenden lassen, sie darf sich nicht hinter den Staat mobilisieren lassen, denn sie würde so in imperialistische Manöver eingespannt werden, die einzig dazu dienen, in einer Welt, in der alle Länder zueinander in einem Konkurrenzverhältnis stehen, für den eigenen Staat möglichst viel heraus zu holen. Dies gelingt dem helvetischen Kapital am besten mit der Ideologie der Neutralität.

Solange diese Gesellschaftsordnung existiert, solange wird es Krieg geben; und der Pazifismus, der die Ideologie eines Kapitalismus ohne Krieg vertritt, ist ein Wegbereiter weiterer Kriege. Lenin hat dies bereits im Ersten Weltkrieg denunziert. Tatsächlich ist der Krieg eine schlimme Geissel der gegenwärtigen Gesellschaft, sie kann aber nur beseitigt werden durch die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung, und diese wiederum muss das gemeinsame Werk der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt sein. Dazu muss sie auf ihrem eigenen Terrain kämpfen, was gerade durch die gegenwärtigen interklassistischen Antikriegsmobilisierungen verhindert werden soll.

Kampf gegen den Krieg heißt Kampf gegen den Kapitalismus

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Erneut bringen die USA und Großbritannien ihr mörderisches Waffenarsenal zum Einsatz. 250.000 Soldaten – mit allem möglichen high-tech Kriegsgerät für den Kampf in der Luft, zur See und auf dem Lande ausgerüstet – werden losgeschickt, um ‘Saddam Hussein zu entwaffnen’.

Auch wenn die Herrschenden noch so heuchlerisch behaupten, die Zivilbevölkerung werde geschont, steht jetzt schon fest, dass, wie bei allen anderen Kriegen während der letzten Hundert Jahre, die Hauptopfer unter der Zivilbevölkerung zu beklagen sein werden. Wie vor 12 Jahren im letzten Golfkrieg, wie vor 4 Jahren auf dem Balkan, wie vor mehr als einem Jahr in Afghanistan, werden sie von Kollateralschäden sprechen, wenn ihre Bomben und Raketen unzählige Tote und Verletzte hinterlassen. Auch die unzähligen Opfer unter den Soldaten - egal auf welcher Seite - sind zumeist Proletarier in Uniform, die, wie auf irakischer Seite zwangsrekrutiert, oder auf amerikanischer und britischer Seite durch materielle Not ins Militär gedrängt, werden als Kanonenfutter für die Kriegsmaschinerie verheizt.

Welche weiteren Folgen durch diesen Krieg für die gesamte Welt entstehen, ist heute noch nicht abzusehen. Nicht nur wird es möglicherweise zu Vergeltungsangriffen gegen die USA in der Region kommen, sondern Terror und Gewalt werden weltweit zunehmen. Der Kapitalismus hat der Menschheit nichts Anderes mehr als Zerstörung, Vernichtung, einen Abstieg in der Barbarei anzubieten!

Ein Kampf zur Eindämmung des Militarismus?

Die USA behaupten diesen Krieg zu führen, um Saddam Hussein zu entwaffnen, die Massenvernichtungswaffen, die angeblich die USA und die ganze Welt bedrohen, zu vernichten. Tatsache ist: nicht nur gehören die USA selbst zu den größten Produzenten und Lieferanten von Massenvernichtungswaffen, sondern sie werden ihre eigenen Waffenarsenale in der Region errichten. Sie werden nicht weniger Terror und Vernichtung bringen als der barbarische irakische Diktator während seiner langjährigen Terrorherrschaft. Den USA geht es nicht um die Entwaffnung dieses “Tyrannen”, den sie selbst jahrelang mit finanziert und hochgerüstet haben. Ihnen geht es darum, ihre eigenen imperialistischen Interessen in der Region und weltweit zu verfechten.

Die Kontrolle über den Irak gibt ihnen ein Erpressungsmittel in die Hand, indem sie den Ölhahn auf- und zudrehen können, wie und wann sie wollen.

Aber der Irak ist nicht nur wegen seiner Ölvorkommen und -reserven von Bedeutung, sondern er ist vor allem ein wichtiger Brückenkopf, von dem aus eine ganze Region beherrscht werden kann.

Indem sie den Irak besetzen, bringen sich die USA in der Region in Position. Damit können sie die direkten Nachbarn des Iraks auf die vielfältigste Weise unter Druck setzen – z.B. Saudi-Arabien, Syrien, die Türkei, Iran, die Anrainerstaaten des Persischen Golfs. Nachdem sie sich schon in Afghanistan niedergelassen haben, verfügen sie nun über einen noch größeren Operationsradius. Sie können Russland vom Süden, China vom Westen her bedrohen und gegenüber den beiden Rivalen Indien und Pakistan zusätzliche Druckmittel einsetzen.

Vor allem aber, indem sie sich dieses strategisch wichtige Schlüsselland zwischen Europa, Asien und Afrika einverleiben, wollen sie die europäischen Rivalen Frankreich, Deutschland und Russland aus der Region verdrängen.

Nicht nur haben diese drei Länder traditionell intensivere Handelsbeziehungen mit dem Irak unterhalten (siehe dazu Artikel auf S. 2), sondern der Irak ist vor allem für Deutschland ein wichtiges Glied in einer geo-strategischen Kette. Denn historisch hat der deutsche Imperialismus sein Einflussgebiet Richtung Mittleren Osten über ein Jahrhundert lang auszudehnen versucht, indem er auf ein Bündnis mit der Türkei, dem Irak und Iran setzte, um mit Hilfe dieser Länder die jeweiligen großen Rivalen vor Ort herauszufordern. So prallte Deutschland vor dem 1. Weltkrieg mit England, dann vor und während des 2. Weltkriegs erneut mit England und den damals erst in der Region ihren Einzug haltenden USA und natürlich mit Russland aufeinander. Deshalb hat gerade der deutsche Imperialismus viel zu verlieren, wenn die USA nun zum ersten Mal wieder seit dem Vietnam-Krieg ein Land mit solch einem Aufwand besetzen.

Und somit ist es kein Zufall, dass die drei großen europäischen Kontinentalmächte – Deutschland, Frankreich und Russland- , sich heftigst und bis zum letzten Augenblick den US-Ambitionen widersetzten, und wenn Kanzler Schröder den USA “jede Rechtfertigung zur Auslösung eines Krieges” abspricht.

Dem Irak-Krieg wird eine Zuspitzung der imperialistischen Rivalitäten folgen

Auch wenn die USA durch den Krieg ihre Position in der Region verstärken und die anderen Staaten aufgrund ihres militärischen Drucks zum Nachgeben zwingen können, wird diese Verstärkung der USA nicht zu einer Stabilisierung ihrer Vorherrschaft führen.

Wie wir in einem anderen Artikel in dieser Zeitung dargestellt haben, können die USA durch ihre Politik der kriegerischen Eskalation die imperialistischen Ambitionen ihrer Rivalen und die weltweite Untergrabung ihrer Vormachtstellung nicht aus der Welt schaffen. Kaum waren die Waffen nach dem Golfkrieg im Frühjahr 1991 verstummt, zettelte Deutschland schon im Sommer 1991 auf dem Balkan einen Krieg an. So steht heute schon fest – auch wenn die Gegner der USA sich heute vor ihrer militärischen Übermacht ‚ducken‘ müssen, werden sie zur Gegenoffensive antreten. Dadurch wird der weltweite Rüstungswettlauf weiter angefacht, vor allem aber werden die europäischen Hauptherausforderer der USA – Deutschland, Frankreich, Russland - , die diesen jetzt so offen die Stirn geboten haben, dazu getrieben, ihre Herausforderung der USA nicht nur auf diplomatischer Ebene zu intensivieren. Man kann davon ausgehen, dass jetzt überall schon Pläne geschmiedet werden, wie man den USA ‚nach dem großen Überfall auf den Irak‘ auch durch das Schüren neuer Kriege entgegensteuern kann.

Die Rivalitäten zwischen den Großmächten werden durch diesen Erfolg der USA nicht abnehmen. Im Gegenteil: Jetzt schon steht fest, dass sich die Spirale der Gewalt dadurch nur noch schneller drehen wird. Vor allem die Zusammenstöße zwischen den Großmächten werden an Schärfe zunehmen.

Und wenn die USA dank ihrer militärischen Überlegenheit durch die Auslösung des Krieges einen wichtigen Sieg davongetragen haben, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die USA politisch ein Debakel, erlebt haben. Vor allem das politische und ideologische Ansehen der USA als Führungsmacht bzw. als ‘Verteidiger der Freiheit’ ist dadurch schwer angeschlagen, dass sie es nicht geschafft haben, ihren Angriff gegen den Irak durch den UNO-Sicherheitsrat “demokratisch” legitimiert zu bekommen. Deutschland und Frankreich trugen entscheidend zu diesem politischen Fiasko bei.

Dabei ist es historisch besonders wichtig, dass sich Deutschland, dem seit dem 2. Weltkrieg die Bürde der Nazi-Vergangenheit immer wieder angelastet wurde, sich nunmehr als Friedensengel darstellt. Das erleichtert es dem deutschen Imperialismus, die eigenen imperialistischen Ambitionen, seine Aufrüstung als ‘Friedensbeitrag’ zu präsentieren und sich als ‚Unschuldiger‘ darzustellen.

Die Arbeiterklasse soll wieder für den Krieg zahlen

Krieg ist eine der schlimmsten Abscheulichkeiten, die der Kapitalismus der Menschheit aufzwingt. Wie bei allen früheren Kriegen wird die Arbeiterklasse den höchsten Preis dafür zu zahlen haben. Aber wir müssen es klar aussprechen. Pazifistische Mobilisierungen werden nie imperialistische Kriege aufhalten können. Die zentrale Aussage des Pazifismus, dass es im Kapitalismus Frieden gebe könne, ist eine ungeheuerliche Lüge, die dazu beiträgt, weitere Massaker vorzubereiten.

Auch wenn in diesem Krieg die USA das Krieg auslösende Land sind, steht fest, dass der Krieg in seiner jetzigen Form seit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Phase der Dekadenz zur Überlebensform des Kapitailsmus schlechthin gehört. Wie Rosa Luxemburg schon im 1. Weltkrieg schlussfolgerte: “Die imperialistische Politik ist nicht das Werk irgendeines oder einiger Staaten, sie ist das Produkt eines bestimmten Reifegrads in der Weltentwicklung des Kapitals, eine von Hause aus internationale Erscheinung, ... dem sich kein einzelner Staat zu entziehen vermag.” (Junius-Broschüre, 1915). Frieden ist im Kapitalismus unmöglich, Friedensphasen sind nur Augenblicke, in denen weitere Kriege vorbereitet werden.

Deshalb nützen keine symbolischen, von Verzweiflung getragenen Aktionen – wie sie von den Pazifisten immer wieder vorgeschlagen werden (siehe dazu Artikel in dieser Ausgabe), sondern das kapitalistische System selbst muss überwunden werden, um die Wurzeln des Krieges auszureißen.

Der Krieg ist ein Ausdruck der Sackgasse des kapitalistischen Systems. So ist es kein Zufall, dass gegenwärtig die Weltwirtschaft unter einer Rezession stöhnt und die Arbeiter über -all mit den gleichen Angriffen durch das Kapital konfrontiert werden. Massenentlassungen, explodierende Arbeitslosigkeit in allen Industriestaaten, Firmenpleiten usw. stehen überall auf der Tagesordnung.

Fest steht: Die Kriegsausgaben werden von niemand anders getragen als von der Arbeiterklasse. Auch in Deutschland hat die Rot-Grüne Regierung mit den jüngsten Sparbeschlüssen klargemacht, dass sie den Arbeitern tief in die Tasche greifen wird, nicht zuletzt um ihre Kriegskasse aufzufüllen.

Indem die Arbeiter ihre Lebensinteressen gegen die Angriffe des Kapitals verteidigen, führen sie den einzigen effektiven Kampf gegen die Ursachen des imperialistischen Krieges - nämlich gegen das kapitalistische System insgesamt.

Sie müssen dabei begreifen, dass sie in ihrem Abwehrkampf gegen diese Sparprogramme der Regierungen bewusst die Verbindung herstellen müssen zwischen der Kriegsfrage und dem Kampf gegen das System. Das heißt, es muss über den tag- täglichen Verteidigungskampf hinaus zunehmend die Systemfrage durch die Arbeiterklasse gestellt werden. Dies ist der Weg, um sich die alten Grundpositionen der Arbeiterklasse wieder anzueigenen -d.h. der proletarische Internationalismus, insbesondere gegenüber dem Krieg und die Notwendigkeit für die Arbeiterklasse, eine neue klassenlose kommunistische Gesellschaft auf den Trümmern des Kapitalismus zu errichten.

18.03.03

 

Wölfe im pazifistischen Schafspelz

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Am 15. Februar gingen Millionen von Menschen auf allen Kontinenten gegen den bevorstehenden Krieg im Irak auf die Strasse. Die Organisatoren behaupten, dass 20 Mio. Menschen in 600 Städten in 60 Ländern in der größten Anti-Kriegsdemonstration der Geschichte daran teilgenommen haben. Viele finden das ermutigend. Auch die bürgerliche Presse berichtet mit Wohlwollen über diese Kundgebungen gegen den Krieg. Doch sind diese Demos wirklich positiv? Werden sie den Krieg verhindern? Ist der Krieg überhaupt zu verhindern? Und wenn ja, wie?

Ohnmächtiger Pazifismus

Der gemeinsame Nenner derjenigen, die sich für diese Massenkundgebungen mobilisieren lassen, ist der Frieden, die Ablehnung des Krieges. Schon vor 30 Jahren, zur Zeit des Vietnamkrieges, oder vor 20 Jahren, als es um die Stationierung der Cruise Missiles und Pershing Raketen in Westeuropa ging, versammelten sich Millionen zu Friedensdemos. So vereinigend die Forderung für den Frieden über alle Klassen hinweg ist, so ohnmächtig ist sie gleichzeitig. Die Friedensbewegung richtet sich mit Appellen an die Regierungen, den Krieg gegen den Irak nicht zu unterstützen, den USA keine Überflugrechte zu gewähren und stattdessen humanitäre Hilfe zu leisten etc. - Appelle an Regierungen, die selber Armeen unterhalten, aufrüsten und auch einsetzen. Es sind Appelle, die nicht mit der kapitalistischen Logik brechen, mit diesem System, das notwendigerweise immer noch mehr Kriege hervorbringt.

Die Pazifisten wollen den Krieg verhindern, ohne den Kapitalismus zu bekämpfen. Anstatt die wirklichen Zusammenhänge zu erkennen und anzuprangern, appellieren die Leute der Friedensbewegung an die Vernunft und die Moral der Politiker, an den Staat schlechthin, also gerade an die, die ständig weiter rüsten und Waffen in andere Länder exportieren, während sie gleichzeitig unsere Lebensbedingungen angreifen. Seitdem der Kapitalismus entstanden ist und sich ausgebreitet hat, zieht er eine blutige Spur von Kriegen und Zerstörung über den ganzen Planeten. Von der Ausrottung der Indianer durch die spanischen und portugiesischen, später französischen und englischen Kolonisten über die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts bis zu den Massakern in Ruanda, Srebrenica und Osttimor in den letzten 10 Jahren - immer hat der Kapitalismus Krieg geführt, zunächst zur Eroberung von Märkten und Handelsrouten, später zur Bekämpfung der Konkurrenten, schlie ßlich zur Verteidigung strategisch wichtiger Positionen im Kampf mit dem militärischen Gegner. Der Krieg ist nicht auf verrückte Politiker zurückzuführen, das System ist längst selber verrückt geworden. Insbesondere seit 1989, seit dem Zusammenbruch der beiden Blöcke und dem Eintritt des Kapitalismus in seine Zerfallsphase gibt es selbst nach der Logik des Profits je länger je weniger eine rationelle Begründung für die sich ständig mehr ausbreitenden Kriege. Sie führen meist auch für den Sieger zu wirtschaftlichen Verlusten. Und sogar dort, wo die Kriege nicht offen geführt, sondern nur vorbereitet werden, erdrückt der Militarismus die Gesellschaft. Der Ostblock ist daran zugrunde gegangen, dass er im Aufrüstungswettkampf mit dem Westblock nicht mithalten konnte und seine Wirtschaft damit buchstäblich erstickte.

Die Pazifisten sind der Meinung, dass die Bevölkerung massiven Druck auf die Politiker ausüben sollten, damit diese eine friedliche Politik betreiben. Mit den großen Demonstrationen und zusätzlichen Meinungsumfragen über die Stimmung in der Bevölkerung (je nach Land 70-90% gegen den Krieg) soll der Eindruck vermittelt werden, dass die Regierungen nun durch ”das Volk” gezwungen würden, nachzugeben und auf den Krieg zu verzichten. Die Pazifisten verkennen (oder verschweigen) die Tatsache, dass die Regierungen und der Staat insgesamt sich um die Meinung der ”Bürger” einen Dreck scheren. Ob es sich um Wahlen oder um Demonstrationen für den Frieden handelt, die Entscheidungen werden getroffen, ohne den ”Volkswillen” zu berücksichtigen. Vor dem I. Weltkrieg gab es auch zahlreiche Friedensdemonstrationen, die aber nichts ausrichten konnten. Erst vier Jahre später, als 1917 in Russland und 1918 in Deutschland, Österreich und Ungarn die Arbeiterklasse gegen den Krieg aufstand, beendete die Bourgeoisie das Massaker. Und die Friedensbewegung vor 20 Jahren verhinderte die Stationierung der Pershing und der Cruise Missiles ebensowenig. Diese wurden erst wieder abgebaut, als sie aus der Sicht der westlichen Regierungen nicht mehr nötig waren, weil dem gegnerischen Ostblock im Wettrüsten die Luft ausging und sich dieser die Stationierung seiner Raketen nicht mehr leisten konnte.

Pazifistische Kriegstreiberei

Doch gerade die gegenwärtigen Friedenskundgebungen enthüllen, dass der Pazifismus nicht nur ohnmächtig ist (und dies oft bis zur Lächerlichkeit), sondern ein Teil der Vorbereitung auf den Krieg. Diese Seite des Pazifismus hat heute zahlreiche Facetten, die es sich lohnt je einzeln zu betrachten:

a) Zunächst einmal verbreitet der Pazifismus die Illusion, dass ein Frieden im Kapitalismus möglich sei. Dadurch versucht er, diesem todgeweihten System weiteres Leben einzuhauchen. Es ist der x-te Versuch, die kapitalistische Gesellschaftsordnung mit ihrer Profit- und Unterdrückungslogik, statt zu überwinden, zu reformieren.

Es ist nicht nur naiv, sondern zynisch, wenn Teile der Friedensbewegung heute dem Krieg die ”Menschenrechte” und die ”humanitäre Hilfe” entgegensetzen und dabei vergessen, oder besser gesagt: verschleiern, dass praktisch alle Kriege seit Reagan und erst recht seit dem Zusammenbruch des Ostblocks von Seiten der westlichen Grossmächte im Namen der Menschenrechte und als humanitäre Interventionen geführt worden sind.

Mit solchen Parolen werden diejenigen, die sich gegen den Krieg stellen wollen, ideologisch an das System gebunden. Es sind diese systemerhaltenden Augenwischereien, die Lenin, Luxemburg, Liebknecht, Trotzki und die anderen Revolutionäre der Zimmerwalder Linken während des I. Weltkrieges denunziert und bekämpft haben.

Mit dieser Logik des kapitalistischen Systems brechen auch diejenigen nicht, die für ”radikalere Aktionen” plädieren und Strassen für Waffen- und Truppentransporte blockieren, Häfen oder Militärbasen belagern, individuell desertieren etc. All dies bleibt im Korsett des Bürgerwiderstands, des zivilen Ungehorsams stecken, der letztlich das System akzeptiert und nur seine Fehler bekämpfen will.

b) Ein Teil der Pazifisten beruft sich heute auf die Notwendigkeit einer neuen Entscheidung im UNO-Sicherheitsrat. Der Krieg sei nicht legitim, weil er nicht von der UNO abgesegnet worden sei. Welche Heuchelei! Ein Krieg soll deshalb in Ordnung sein, weil er von einer ganzen Gangsterbande beschlossen wird, statt nur von einem oder zwei Schurken?

Ein Redner an einer Friedenskundgebung in Zürich forderte, die Schweiz müsse die Rüstungszusammenarbeit mit den USA abbrechen, wenn diese einen Krieg gegen den Irak ohne UNO-Mandat beginnen würden. Anders gesagt: Mit UNO-Mandat darf ruhig Krieg geführt und Waffenhandel getrieben werden. Und bei einem Krieg ohne UNO-Mandat darf halt die Rüstungszusammenarbeit nur noch mit anderen Regierungen (wahrscheinlich den ”friedliebenden” Chirac, Schröder und Konsorten) fortgesetzt werden. In jedem Fall ist aus der Sicht dieses Pazifisten gar nichts gegen die Landesverteidigung an sich und die entsprechende militärische Rüstung einzuwenden.

c) Und hier wird deutlich, dass diese Pazifisten durchaus Teil der Kriegstreiberei sind. In Europa (und eigentlich überall auf der Welt außer in den USA) kommt der Pazifismus heute im Mäntelchen des Antiamerikanismus daher. Die USA werden als blutrünstige Kriegstreiber hingestellt, während die europäischen Staaten völlig aus der Schusslinie genommen werden und sich in blütenweißer Weste präsentieren können. Dabei stellen sich gerade Deutschland, Frankreich und Russland aus ihrer eigenen imperialistischen Interessenlage heraus gegen diesen Krieg. Der Feldzug der USA gegen den Irak richtet sich denn auch nicht primär gegen die Person Saddam Husseins oder gegen die irakischen Massenvernichtungswaffen, sondern gegen den strategischen Vormarsch Deutschlands Richtung Osten (Balkan, Naher Osten, Zentralasien). Bei der Besetzung Iraks (wie auch schon bei derjenigen Afghanistans) durch die USA werden unvermeidlich auch strategische Positionen Russlands und Frankreichs tangiert. Der Antiamerikanismus ist also genau das, was die Herausforderer der USA, allen voran die deutsche Bourgeoisie brauchen, um ihre Position zu stärken. An der Demo in Berlin beteiligten sich nicht von ungefähr deutsche Minister. Und Le Pen gratulierte Chirac zur Kundgebung in Paris. Von Links bis Rechts freut sich die französische und deutsche Bourgeoisie über die antiamerikanischen Massenmobilisierungen. Der Pazifismus ist somit eine ideologische Waffe des deutschen und des französischen Imperialismus.

Doch auch in Übersee kommt die Unterstützung der eigenen Bourgeoisie teilweise im pazifistischen Schafspelz daher: ”Der Frieden ist patriotisch!” heißt es da. Die Pazifisten und die offenen Kriegsgurgeln machen sich gegenseitig den Anspruch auf die wirklich patriotische Haltung streitig.

Ist der Krieg zu verhindern?

Im Kapitalismus, der mit dem I. Weltkrieg 1914/18 in seine dekadente Phase, in das Zeitalter der Kriege und Revolutionen eingetreten ist, für den Frieden zu kämpfen, ohne den Kapitalismus selbst politisch in Frage zu stellen, heißt die Idee zu vertreten, dass es einen menschlichen und friedlichen Kapitalismus geben könne. Das ist Augenwischerei. Für die Menschheit gibt es nur eine Perspektive, und das ist die kommunistische Gesellschaft: In dieser Gesellschaft gibt es keine Nationalstaaten mehr, die Produktionsmittel gehören der ganzen Gesellschaft, und sie bestimmt gemäss dem Prinzip der Befriedigung der Bedürfnisse und nicht gemäss dem Profit, was produziert wird. Der Gegensatz zwischen kollektiver Produktion und individueller Aneignung wird aufgehoben. Mit den Klassengegensätzen und den Nationalstaaten verschwinden auch die Grundlagen für den Krieg.

Aber kann man den unmittelbar nichts gegen diesen Krieg machen? - Nein, wir müssen mit kühlem Kopf klar aussprechen, dass der Krieg, der ja heute mit Berufsarmeen, und nicht mit Zwangsrekrutierten und der Militarisierung der Fabriken geführt wird, unmittelbar und kurzfristig nicht verhindert werden kann. Die Kriegsmechanismen können auf der Ebene ”Krieg oder Frieden” nicht unterbrochen werden. Die Reaktion gegen den Krieg und sein mörderisches Werk darf keine hauptsächlich moralische sein, wie das bei so vielen Menschen der Fall ist. Es geht vielmehr darum, ein Kräfteverhältnis zu entwickeln, das das Kapital und seine Regierungen daran hindert, Kriege auszulösen, oder es zum Abbruch eines Krieges zwingt. Um aber dieses Kräfteverhältnis zwischen den Klassen aufzubauen, muss ein entsprechender Druck der Arbeiter entfaltet, ein Abwehrkampf gegen alle Angriffe auf unsere Lebensbedingungen entwickelt werden. Dieser Druck lässt sich nicht dekretieren, sondern kann nur das Ergebnis der Kampfbereitschaft der Arbeiter sein, ihre Klassen interessen zu verteidigen. Und in diesen Kämpfen muss der Zusammenhang zwischen dem Krieg und der Krise klar aufgezeigt werden. Der Kampf gegen den Krieg kann ohne Kampf gegen die Krise und die Angriffe auf unsere Lebensbedingungen gar nicht geführt werden. Gerade das Beispiel des I. Weltkriegs zeigt auch dies: Es gibt keine Abkürzungen, die am Aufbau dieses Kräfteverhältnis vorbeiführen. Die Friedensdemonstrationen sind im besten Fall machtlos, in der Regel aber sogar Wasser auf die Mühlen mindestens einer der kriegsführenden Parteien. Der Druck aus der Betrieben war erforderlich, um die Bourgeoisie schließlich zum Abbruch des Krieges zu zwingen, der sich ab 1916 entwickelnde Klassenkampf, der den Zusammenhang zwischen Hunger und Krieg aufgriff und dagegen antrat. Dabei spielten die Revolutionäre eine wichtige Rolle, indem sie als erste - eben als Vorhut - diese Erfordernisse aussprachen und aktiv propagierten.

Wir sind heute nicht am selben Punkt. Das Bewusstsein über den Zusammenhang von Krieg und Krise ist noch nicht verbreitet. Die Arbeiterklasse ist aber auch nicht geschlagen, wir befinden uns nicht in einem Weltkrieg, sondern in einer Zeit, in der die Kriege von Seiten der Großmächte mit Berufsarmeen geführt werden. Bis jetzt ist es der Bourgeoisie nicht gelungen, die großen Proletariermassen in den Industriestaaten für eine aktive Beteiligung am Krieg zu mobilisieren. Diese passive Haltung reicht aber umgekehrt auch nicht aus, um die Fortsetzung der lokalen Kriege wie in Afghanistan, an der Elfenbeinküste oder am Persischen Golf zu verhindern. Der Krieg zeigt die Ausweglosigkeit, die mörderische Sackgasse des kapitalistischen Systems auf. Es ist deshalb heute die erste Aufgabe der Revolutionäre, diese Ausweglosigkeit aufzuzeigen. Wir müssen über das System reden, die Kriegsursachen aufzeigen, diejenige Waffe schmieden, ohne die das System nie gekippt werden kann: das Bewusstsein der Arbeiterklasse.

Die Auswirkungen der Lage auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse

Zum ersten Mal seit Anfang der 90er Jahre können die Konflikte zwischen den Großmächten nicht mehr glaubhaft als ein ‘Kampf um die gerechte Sache’ verkauft werden. Jedoch erscheinen in der jetzigen Lage die USA als einziger Kriegstreiber; eine Tatsache, die die Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse erschwert. Tatsächlich kann diese Situation ausgenutzt werden wie seinerzeit der Faschismus durch die Demokratie, womit bestimmte, dem Zerfall des Kapitalismus besonders ausgesetzte Teile der Arbeiterklasse verstärkt Opfer des Nationalismus werden können. Dies stellt ein umso größeres Hindernis für das Proletariat dar in Ländern wie Deutschland, Belgien oder Frankreich, deren Bourgeoisie (wenn sie keinen Rückzieher machen) als Kriegsgegner auftreten. Diese Schwierigkeit findet ihren Widerhall darin, dass auf der pazifistischen Demonstration am 15. Februar in Amsterdam belgische Fahnen geschwenkt wurden - in Anlehnung an die angebliche Friedenspolitik Belgiens. Jedoch ist diese Lage weit entfernt von den politischen Bedingungen der Vorbereitung des 2. Weltkriegs, da

- die Arbeiterklasse noch nicht geschlagen ist und das Versinken in die Rezession sowie die damit verbundenen Angriffe gegen die Arbeiterklasse als auch die zusätzliche Bürde der Kriegskosten ein Faktor der Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse sind.

- im Gegensatz zum Deutschland der 30er Jahre berufen sich die USA, das Land, welches heute ‘das Böse’ zu verkörpern scheint, weiterhin auf die Demokratie und hält genauso wie seine Rivalen bestimmte ‘demokratische’ Praktiken ein.

- es gibt nicht mehr zwei Blöcke, die jeweils um eine bestimmte Ideologie organisiert sind, sondern das ‘Jeder für sich’ herrscht vor, dessen Auswirkungen auf der imperialistischen Ebene notwendigerweise die Illusion der Existenz zweier Lager untergraben muss, von denen das eine Lager angeblich ‘demokratisch’ und das andere nur ‘schein-demokratisch’ wäre.

- die Lage wird Deutschland dazu zwingen, seine Militärausgaben mittels einer verstärkten Ausbeutung der Arbeiterklasse zu erhöhen, auch dies wird ein Faktor der Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse sein.

- die Kriegsziele bestimmter nationaler Bourgeoisien sind so offensichtlich, dass sie nicht verneint werden können. Deshalb ist die Bourgeoisie gezwungen, davon abzulenken, indem sie eine Karikatur dieser materiellen Kriegsziele hochhält (‘Krieg ums Öl’).

Darüber hinaus bilden sich innerhalb der Arbeiterklasse zur Zeit politisierte Minderheiten, die sehr wohl in der Lage sein werden, viel mehr als die Klasse insgesamt von der Entwicklung auf imperialistischer Ebene zu profitieren, um eine politische Klärung voranzutreiben, was auch unsere Organisation während der pazifistischen Demonstrationen feststellen konnte anhand einer erhöhten Aufnahmebereitschaft gegenüber unserer Presse und eine regere Teilnahme an unseren Diskussionsveranstaltungen.

25.02.03


Source URL:https://de.internationalism.org/en/node/1007

Links
[1] https://de.internationalism.org/en/tag/geschichte-der-arbeiterbewegung/1917-russische-revolution [2] https://de.internationalism.org/en/tag/2/29/proletarischer-kampf