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Weltrevolution Nr. 104

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Kommunismus oder Anarchismus: Welche Perspektive für die Arbeiterklasse?

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 Mitte Dezember hielt die IKS in Zürich eine öffentliche Veranstaltung ab zum Thema: ”Welche Alternative zum Kapita­lismus? Anarchismus oder Kommunis­mus?”

Der Anarchismus findet in letzter Zeit wieder vermehrten Zulauf, insbesondere von jüngeren Menschen. Dies findet in einer Situation statt, wo der Kapitalismus immer offensichtlicher auf die Zerstörung der Menschheit zusteuert. Viele Leute, die sich Gedanken über eine Alternative zu diesem zerstörerischen System machen, wissen heute nicht, wo sie ansetzen sollen. Der Marxismus scheint gescheitert zu sein, die Arbeiterklasse ist nicht wahr­nehmbar als eine Klasse, die der Mensch­heit eine neue Perspektive geben kann. So stösst man am ehesten noch auf den Anar­chismus, der in seiner Radikalität und Unbeflecktheit sich scheinbar als Alterna­tive zum Kapitalismus anbietet. Ist der Anarchismus aber tatsächlich eine Alter­native zum Kapitalismus?

Zur Veranstaltung kamen Leute mit sehr verschiedenen Auffassungen und Vorstel­lungen.

Was tun?

Anarchistische Elemente und Gruppierun­gen engagieren sich heute stark in den sogenannten antikapitalistischen Bewegun­gen, die an verschiedenen Brennpunkten der Welt gegen die WTO, die EU oder allgemein gegen die ”Globalisierung” auftreten.

Die ”Globalisierung” ist aber schon seit Anbeginn ein permanentes Merkmal des Kapitalismus gewesen. Der Wunsch nach dem Schutz von kleinen Betrieben und Entwicklungsländern drückt zwar die Hoffnung von bestimmten kleinbürgerli­chen Schichten innerhalb des Kapitalismus aus, einen vernünftigen Kapitalismus zu errichten, entspricht aber keineswegs dem Werdegang und der Entwicklung des Ka­pitalismus. Ein Kapitalismus ohne Aus­schaltung der Konkurrenten, ohne Zentra­lisierung bis zur heutigen Entwicklung und Stufe des allesfressenden Staatskapitalis­mus ist eine bare Illusion.

Die von den Anarchisten hochgehaltene ‚Propaganda der Tat‘ als politisches Pro­gramm bietet der Menschheit keineswegs einen gangbaren Weg, um den Kapitalis­mus zu verändern. Die aus dem Mittelalter entlehnten Konzepte der Bauernaufstände zur Zeit der kleinwirtschaftlichen Produk­tion oder des auslaufenden Handwerker­tums im 18. und 19. Jahrhundert werden als die letzten Errungenschaften der revo­lutionären Theorie und Praxis verkauft.

Die Arbeiterklasse und ihre politischen Bewegungen, die sich vor allem in ihren internationalen Organisationen manifestie­ren (Erste, Zweite und Dritte Internatio­nale, besonders ihre linken Flügel) haben diese Konzepte und Auffassungen aber schon längst auf den Müllhaufen der Ge­schichte geworfen.

Dass der Anarchismus mit seinen über­holten Entwürfen der Theorie und Praxis der Arbeiterklasse nichts anbieten kann, war der Ausgangspunkt unserer Veran­staltungen.i [1] Wir halten weiterhin an der Arbeiterklasse als der einzig revolutionä­ren Klasse im Kapitalismus fest, die auch eine Alternative zum Kapitalismus er­kämpfen kann.

Mit unseren Veranstaltungen in mehreren Ländern bieten wir den politisierten Men­schen eine Möglichkeit, die einzig wirkli­che, historische Perspektive kennenzuler­nen. Der Gleichsetzung von Stalinismus und Kommunismus, wie das die herr­schende Klasse propagiert und auch von den Anarchisten unterstützt wird, setzen wir unsere Auffassung des Kommunismus entgegen, die mit diesen ideologischen Verzerrungen aufräumt.

Lebendige Diskussion als ein Mittel der politischen Klärung

Die IKS eröffnete die Veranstaltung mit einer ausführlichen Einleitung über die Geschichte des Anarchismus.

Nach einigen Diskussionsbeiträgen zeigte sich, dass Teilnehmer mit unterschiedli­chen Interessen anwesend waren. Die meisten von ihnen aber stellten die Frage in den Vordergrund: ”Wie soll man den Kapitalismus bekämpfen?” Es lag auch auf der Hand, dass nicht alle mit unseren Positionen und Ausführungen einverstan­den waren. Es dauerte nicht lange, bis ein Teilnehmer engagiert andere Ansichten über den Anarchismus in die Diskussion einbrachte. Wir fanden es wichtig, dass einer der ersten Beiträge die Position der Anarchisten verteidigte. Solche Interven­tionen beleben Diskussionsveranstaltungen und zeigen, dass es in der Arbeiterklasse üblich ist, kontroverse politische Auffas­sungen einander gegenüberzustellen.

Es gab aber auch ganz grundsätzliche Fragen. Einige Teilnehmer wollten wis­sen, was den Anarchismus vom Kommu­nismus unterscheidet. Die IKS hob hervor, dass das Ziel einer humanen und klassen­losen Gesellschaft sowohl dem Anarchis­mus als auch dem Kommunismus eigen ist. Was uns allerdings von den Anarchi­sten unterscheidet, ist die Einsicht in die Notwendigkeit einer Übergangsphase nach dem Sturz des Kapitalismus. Diese Über­gangsgesellschaft hat noch Merkmale der alten Gesellschaft, wie Marx festgestellt hatte. Sie hat aber nichts zu tun mit den stalinistischen staatskapitalistischen Mon­stren des ehemaligen Ostblocks. Ganz anders als diese totalitären Bürokratien muss der Staat in der Übergangsperiode absterben.

Schon der historische Anarchismus hat nie begriffen, weshalb es eine Übergangs­phase nach der proletarischen Machtüber­nahme braucht. Die Diktatur des Proleta­riats bedeutet nicht die Unterdrückung der ganzen Gesellschaft, sondern vor allem die Unterdrückung der ehemals herrschenden Klasse, der Bourgeoisie. Das Ziel ist letztlich die Auflösung der Klassen, somit auch des Übergangsstaates, der nur ein notwendiges Übel auf dem Weg zum Kommunismus ist.

Die Isolierung der proletarischen Bastion in Russland und der daraus folgende Nie­dergang der Russischen Revolution brachten einen neuen Staat hervor, der nichts mit dem eben beschriebenen abster­benden Übergangsstaat zu tun hatte. Im Gegenteil, der neue Staat in Russland begann sogleich die Bevölkerung und insbesondere die Arbeiterklasse mehr und mehr zu kontrollieren und zu terrorisieren.

Das war Wasser auf die Mühlen der anti-kommunistischen Propaganda, die sich die Anarchisten vor allem heute, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, wieder zu Nutze machen.

Jedem nach seinen Bedürfnissen statt Kleinhandel

Ein anderer Unterschied zu den anarchisti­schen Vorstellungen liegt in der Frage, wie der Kommunismus organisiert sein wird, bzw. ob schon innerhalb des Kapi­talismus ‚Inseln‘ des Kommunismus er­richtet werden könnten. Ein Teil der An­archisten ist der Auffassung, dass die Produktion in möglichst kleinen und von­einander unabhängigen Kollektiven orga­nisiert sein soll.

Der Kapitalismus ist eine weltumfassende Produktionsweise, die keine andere neben sich duldet. Solange dem so ist, wird es nicht möglich sein, andere ökonomische Produktionsweisen zu etablieren. Etliche historische Versuche haben das bewiesen. Bereits Marx und Engels haben dies in ihren Auseinandersetzungen mit Proudhon und Owen dargelegt. Zum Beispiel sind die Konsumgenossenschaften (wie Coop in der Schweiz), die damals von der Arbei­terbewegung gegründet wurden, heute normale bürgerliche Betriebe.

Das 20. Jahrhundert ist voller Beispiele, die belegen, dass weder die regionale und nicht einmal die landesweite Besetzung von Fabriken und Betrieben den Kapita­lismus erschüttern kann, solange er welt­weit das herrschende System ist.

Die politisch wichtigsten Beispiele, die aufzeigen, dass die Selbstverwaltung im Kapitalismus nicht funktioniert, kommen aus dem 20. Jahrhundert. Alle Versuche von Fabrikbesetzungen, wie anfangs der 20er Jahre in Italien oder in Deutschland, wo die Arbeiter vermeinten, es genüge, Betriebsrätegesetze zu entwickeln, sind kläglich gescheitert.

Das wohl bei den Anarchisten bekannteste Beispiel - die Kollektivierung in Spanien Mitte der 30er Jahre - endete gleichsam in einem Debakel.

Jener Teilnehmer, der die anarchistischen Positionen verteidigte, setzte die stalinisti­sche Planwirtschaft mit dem Kommunis­mus gleich und meinte, dass dies die ab­gehobene Sichtweise der Marxisten be­weise. Abgesehen davon, dass gerade in den 30er Jahren grosse Teile der anarchisti­schen Bewegung mit den Stalinisten zu­sammen die spanischen Republik anführ­ten, hat die staatskapitalistische Planung, die von zentralen Organen der Bourgeosie geleitet wird, nichts mit der Diktatur des Proletariats zu tun.

Die Diktatur des Proletariats, d.h. die Leitung der Übergangsgesellschaft von der unteren Phase des Kommunismus in die höhere Phase, wird von den Arbeiterräten ausgeübt. Die Planung findet also nicht etwa in abgehobenen Organen statt, wie das die Anarchisten behaupten, sondern wird durch die Arbeiterräte aufgestellt (siehe hierzu auch unsere Broschüre Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus).

Was aber klar sein muss: Eine Gesell­schaft, die nach den Bedürfnissen der Menschheit produziert (eben der Kommu­nismus, die klassenlose Gesellschaft), kann nicht aus autarken Kollektiven beste­hen. Im Kommunismus gilt: Jeder arbeitet nach seinen Fähigkeiten (so dass “Arbeit” auch nicht mehr mit dem gleichzusetzen ist, was wir heute als solche bezeichnen), und jedem wird gegeben, was er braucht. Die autarken Kollektive (wie sie vielen Anarchisten vorschweben) würden weiter­hin eine auf Tausch basierende Waren­wirtschaft aufrechterhalten, was ja letztlich auch die Grundlage des Kapitalismus ist. Man würde letztlich versuchen, das Rad der Geschichte ins Mittelalter zurückzu­drehen, wo diese kleinwirtschaftliche, kleinbürgerliche Produktionsweise ent­standen und die Geburtsstätte des Kapita­lismus gewesen war.

Ein Ort der Debatte

Ein wichtiger Teil der Diskussion berührte die Frage, wie man über solche kontro­versen Themen und historischen Positio­nen diskutiert. Ein Teilnehmer meinte, dass wir alle stalinistische Umgangsfor­men hätten, indem wir immer das Nega­tive der anderen Position hervorheben. Wir unterstützen die Sorge des Teilneh­mers insofern, als sie das Verlangen nach Diskussionsbereitschaft und Offenheit gegenüber anderen Position ausdrückt. Die marxistische Methode konfrontiert die unterschiedlichsten Positionen, aber sie vereint nicht Unvereinbares unter einem Hut. In diesem Sinne konnten in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts auch nur die Marxisten, namentlich die marxi­stische Linke, die richtigen Kritiken und Lehren aus dem Niedergang der Russi­schen Revolution und der revolutionären Welle ziehen. Die tragischen Fehler z. B. im Kronstädter Aufstand konnten nur von der Kommunistischen Linken in den 30er Jahren in den richtigen Rahmen gestellt werden.

Die anarchistischen Strömungen versu­chen, den Niedergang der Russischen Revolution, die negativen Entwicklungen und Erfahrungen, die in den 30er Jahren in Spanien gemacht wurden, dem angeb­lich autoritären Charakter des Marxismus unterzuschieben.

Dagegen analysierten die Marxisten ge­nauestens das Kräfteverhältnis zwischen Weltbourgeoisie und Proletariat. Daraus zogen sie den Schluss, dass im Falle Kronstadts die Partei sich auf die Seite des Proletariats hätte stellen müssen, weil der Staat sich verselbständigt hatte. Bezüglich des spanischen Bürgerkriegs war den Linkskommunisten klar geworden, dass dieser zwar noch ein letztes Aufbäumen der revolutionären Welle nach 1923 dar­stellte (wie in China der ”Aufstand von Schanghai” 1927), dass aber die Revolu­tion nicht mehr auf der Tagesordnung stand, weil in den wichtigsten Ländern des Kapitalismus die Arbeiterklasse niederge­schlagen war. So wie es einem weit grösseren Land wie der Sowjetunion nicht möglich gewesen war, den ”Sozialismus in einem Land” zu errichten, so unmöglich war es, ohne Rücksicht auf das internatio­nale Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoi­sie und Proletariat in Spanien autarke Kollektive aufzubauen. Die Genossen von Bilan beteiligten sich nicht an der Sack­gasse der ”Kollektive”, sondern hielten konsequent an den marxistischen Prinzi­pien fest: ”(...) da es nicht die Machtfrage stellen kann, muss sich das Proletariat in seinen Tageskämpfen um begrenztere, aber immer noch klassenmässige Ziele scharen (...) Statt sich der langfristigen Änderung der Arbeiterforderungen zu widmen, ist es die vordringliche Pflicht der Kommuni­sten, die Umgruppierung der Arbeiter­klasse um ihre Klassenforderungen und innerhalb ihrer Klassenorganisationen, den Gewerkschaftenii [1], zu betreiben.”

Auch in einer solchen Situation, wo die Arbeiterklasse zerschlagen war und die Tendenz Richtung Weltkrieg wies, konn­ten allein die Marxisten, die sich als Op­position in der Komintern, als Linkskom­munisten, gesammelt hatten, dem Proleta­riat die richtigen Antworten geben. Es ging zu dieser Zeit um die ‚Bilanzierung‘ der Niederlage der Arbeiterklasse und um die Verteidigung der unmittelbaren Le­bensverhältnisse des Proletariats.

Die Verkennung der Situation führte die Anarchisten wie schon so oft auf die Seite der Bourgeoisie. An der Führung der bürgerlichen Republik war ihr früherer politischer Erzfeind, der Stalinismus, mit beteiligt. Indem sie die bürgerliche Repu­blik gegen Franco verteidigten, verteidig­ten sie die stalinistischen Henker, die mit an der Spitze der Republik standen.

Die ”Propaganda der Tat”, der blinde Aktionismus, der nicht erkennt, wer Freund, wer Feind ist, führte die Anarchi­sten immer wieder in die Arme der Bour­geoisie. Die Lehren aus der Geschichte können uns nicht egal sein. Es kommt darauf an, die Geschichte nicht als etwas Abstraktes, sondern im Sinne einer Hand­lungsanleitung für das Proletariat gegen den Kapitalismus zu verwenden. Darum ist es äusserst wichtig, gerade in einer solchen Veranstaltung die historische Di­mension miteinzubeziehen.

Es ist uns klar, dass wir viele dieser Aus­führungen erst in diesem Bericht über die Veranstaltung machen können. Auch sind andere Themen, die sehr wichtig sind, wie ”Was tun?”, hier nicht mehr aufgegriffen und in der Veranstaltung selbst nicht gross diskutiert worden. Wir gehen aber wie Liebknecht davon aus, dass man ”zuerst Klarheit, dann Einheit” anstreben muss. In diesem Sinne freute uns natürlich der zum Platzen voll gefüllte Raum. Das zeigt auf, dass es viele suchende Menschen gibt, die eine Alternative zum Kapitalismus disku­tieren wollen. Dies wurde dann auch in der „Schlussrunde“ deutlich, die wir je­weils am Ende einer Veranstaltung ma­chen und wo die Teilnehmer ihre Ansicht über die Veranstaltung äus­sern können.

Es wurde ausnahmslos geäussert, dass das Diskussionsklima sehr gut gewesen sei. Andere bemängelten, dass man zu wenig über die aktuellen Entwicklungen disku­tiert habe.

Für uns ist klar, dass die historischen Lehren der Kämpfe und Niederlagen der Arbeiterklasse der politische Kompass für die zukünftigen Klassenkämpfe sein müs­sen. Die Klassenautonomie kann nur mit diesem politischen Kompass aufrechter­halten bleiben. 2.1.01, Re/Ko

  • i [1] Zum gleichen Thema fanden und finden öffentliche Veranstaltungen der IKS auch in anderen Städten in verschiedenen Ländern statt.
  • ii [1] Die Italienische Linke hatte ihre Position zu den Gewerkschaften noch nicht so weit geklärt wie die Deutsch-Holländische-Linke. Letztere ging davon aus, dass die Gewerkschaften Organe des Kapitals geworden waren, was auch unserer Position entspricht. Wichtig ist aber die Aussage von Bilan, nicht das Klassenterrain des Proletariats mit dem bürgerlichen Terrain zu vertauschen.

Revolutionäre Stimmen gegen die bürgerliche Antifaschismus-Kampagne

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 Alljährlich finden Mitte Januar in Berlin - anlässlich des Jahrestages der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg 1919 durch die sozialdemokratische Konterrevolution - politische Veranstaltungen statt, welche politisierte, „linksgerichtete“ Menschen aus ganz Deutschland anziehen. Obwohl die meisten der dort stattfindenden Veranstaltungen mit der revolutionären Tradition der Spartakisten um Liebknecht und Luxemburg nicht das geringste zu tun haben, so liefert dieses Wochenende doch eine der wenigen Gelegenheiten für an revolutionärer Klärung Interessierte, einander kennenzulernen.

Die Schändung des Andenkens an die ermordeten Revolutionäre

Am Sonntagmorgen den 14. Januar wurde der traditionelle Gang zu den Grabstätten der ermordeten Marxisten von den Heerscharen der DDR-Veteranen absolviert. Was hier in einer Atmosphäre der Niedergeschlagenheit und Wehmut zelebriert wird, ist nicht der revolutionäre Marxismus, sondern eine nostalgische Erinnerung an den gescheiterten Stalinismus. So wurden die Presseverkäufer unserer Organisation manches mal beschimpft oder verhöhnt wegen des Namens unserer Zeitung: „Weltrevolution“. Diese Anhänger der PDS - der ehemaligen Regierungspartei des ostdeutschen Staatskapitalismus und der heutigen Regierungspartei des gesamtdeutschen Imperialismus im Wartestand - pilgern zu Karl und Rosa und wissen nicht mal, dass diese beiden großen Revolutionäre ihr Leben für die Weltrevolution hergegeben haben.

Später stieß der lärmende „revolutionäre Block“ dazu, welcher sich aufgrund der den Block begleitenden Polizeieskorte rühmen zu können glaubte, die umstürzlerische Tradition von Liebknecht und Luxemburg fortzusetzen. Doch dieser Block war zusammengesetzt aus Anhängern von „Linksruck“ und anderen trotzkistischen Organisationen, welche vor zwei Jahren die Arbeiter dazu aufgerufen haben, die SPD, den Henker von Karl und Rosa, zu wählen, aus Militanten der stalinistischen MLPD, welche die Ermordung von Lev Trotzki und anderen Weggefährten von Karl und Rosa gutheißen; sowie von Antifa-Aktivisten, welche die bürgerliche Demokratie weniger unmenschlich und weniger gefährlich empfinden als den Faschismus. Dabei gehört es doch unbestreitbar zum politischen Vermächtnis von Liebknecht und Luxemburg aus der Zeit der Deutschen Revolution, dass gerade die bürgerliche Demokratie der gefährlichste Feind des revolutionären Proletariats ist!

Dazu gesellte sich ein selbsternannter „unabhängiger Block“, dessen Kern aus fanatischen kurdischen und anderen Nationalisten zu bestehen schien, sowie aus „Anti-Imps“ und „Trikont“-Kämpfern, welche die Befürwortung von „nationalen Befreiungsbewegungen“ auf ihre politische Fahne geschrieben haben. Auch sie beriefen sich auf Rosa Luxemburg, obwohl bekannt ist, dass Rosa die erste Marxistin war, die bereits während des 1. Weltkrieges erkannte, dass im Zeitalter des Imperialismus jede Form des Nationalismus und jede nationale Befreiungsbewegung unweigerlich reaktionär und zu einem Teil der imperialistischen Barbarei geworden sind.

Kurzum: diese ganze ritualisierte „3 L“ (Liebknecht-Luxemburg-Lenin) Demonstration und der Friedhofsgang haben mit der Tradition des revolutionären Marxismus nicht das Geringste gemein. Sie stellen vielmehr eine von den bürgerlich-linken Feinden der Arbeiterklasse zu verantwortende Schändung des Andenkens dieser Revolutionäre dar.

Dies galt ebenfalls für die meisten der politischen Veranstaltungen, welche am Vortag abgehalten wurden. So z.B. die angebliche „öffentliche Debatte“ über „den Trotzkismus im 21. Jahrhundert“, welche am Nachmittag im Mehringhof abgehalten wurde. Dort warfen sich die trotzkistischen Sekten wie immer gegenseitig vor, den Trotzkismus verraten zu haben. Sie verschleiern damit nur, dass der Trotzkismus insgesamt durch seine Teilnahme am 2. imperialistischen Weltkrieg den proletarischen Internationalismus und damit auch das Lebenswerk von Trotzki und seiner Weggefährten verraten hat und seitdem eine linksbürgerliche Strömung geworden ist.

Die zur selben Zeit im großen Hörsaal der Humboldt Universität von der „gewendeten“ stalinistischen „Jungen Welt“ gesponserte Podiumsdiskussion über „Die Linke und den Krieg“ zog wesentlich mehr Interessierte an. Doch abgesehen davon, dass sogar ein Sprecher der Rote-Grünen Regierung des deutschen Imperialismus, welcher jüngst Jugoslawien mit in Schutt und Asche gelegt hat, als Redner dort auftreten durfte, zeigte allein schon durch die Form einer ‚Podiumsdiskussion‘ den antiproletarischen Charakter dieser Veranstaltung. Da werden die Veranstaltungsbesucher von ‚Podiumsdiskussionen‘ in die Rolle des andächtig den Ausführungen der „Experten“ Lauschenden gedrängt, welche am Ende vielleicht sogar knappe Fragen stellen dürfen.


Das Wiederaufleben der Tradition der öffentlichen und freimütigen politischen Debatte

Doch es fand an diesem Wochenende wenigstens eine Veranstaltung statt, welche tatsächlich an der revolutionären Tradition der Spartakisten anknüpfte und mittels einer radikalen, freimütigen marxistischen Debatte das Andenken an Liebknecht und Luxemburg wirklich ehrte. Dies war die Debatte zum Thema „Die Kinderkrankheit stellt sich vor. Links ist uns nicht links genug: Die revolutionäre Perspektive muss auch gegen linke Realpolitik gerichtet sein!“, welche die Zeitschrift „Aufbrechen“ am Abend im Mehringhof abhielt. Das interessante und kämpferische Einleitungsreferat zu dieser Veranstaltung ist als Sondernummer von „Aufbrechen“ erschienen und kann von der Gruppe angefordert werden. Darin haben die Genossen einiges zur Geschichte der Kommunistischen Linken erläutert und viele der Grundprinzipien dieser revolutionären Strömung aufgezeigt.

Die anschließende Debatte gewann einen Teil ihrer Lebendigkeit dadurch, dass eine Gruppe der kapitalistischen Linken - die Maoisten von „Trotz Alledem“ - gekommen war, um den Einfluss des Linkskommunismus zu bekämpfen. Diese Gruppe ist anscheinend darüber aufgeschreckt, dass ehemalige, „stadtbekannte“ Weggefährten des Stalinismus nunmehr mit dieser konterrevolutionären Staatsdoktrin brechen und nicht davor zurückschrecken, sich öffentlich zum Linkskommunismus zu bekennen. So wurde von dieser Seite groß bedauert, dass „Genossen“, welche einst „eine so gute Politik betrieben haben“, nun ins Lager der „Kinderkrankheit des Kommunismus“ (sprich auf die Seite der proletarischen Internationalisten) übergelaufen sind. Um zu verhindern, dass weitere Kämpfer diesem Beispiel der „Aufbrechen“-Genossen folgen, haben sie die üblichen Vorwürfe gegen den Linkskommunismus vorgetragen, welche Herman Gorter Anfang der 20er Jahre in seiner „Antwort an den Genossen Lenin“ bereits auseinandergenommen hatte. Anstatt über politische Prinzipien zu debattieren und die Lehren aus der Geschichte zu ziehen, wollten die Maoisten von den Genossen von „Aufbrechen“ wissen, welche konkrete Aktionen diese Gruppe plane, um „die Massen zu erobern“ und welchen strategischen „Stufenplan“ sie erstellen wollen, um diese „Massen“ zur Revolution zu führen.

Im Laufe einer recht lebendigen Debatte wurde sehr überzeugend darauf geantwortet, dass die erste Verantwortung der Revolutionäre nicht darin bestehen kann, irgend welche „Aktionen“ oder „Bündnisse“ zu stiften, welche nur den Anschein von Radikalität und von „Masseneinfluss“ erwecken und aus Ermangelung an proletarischen Prinzipien in einer Unterstützung der Bourgeoisie enden. Statt dessen ist es die erste Pflicht der Revolutionäre, politische Klarheit zu erlangen und diese Klarheit gegenüber dem Rest der Arbeiterklasse zu verteidigen. Es ist diese Klarheit und proletarische Prinzipientreue, welche die Marxisten am Ende einen „Masseneinfluss“ gewinnen lassen können, und zwar dann, wenn die Klasse aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen und ihrer eigenen, selbstorganisierten Kämpfe selbst sich in eine revolutionäre Richtung bewegt und somit die Positionen der Revolutionäre als ihre eigenen, als die Lehren ihrer eigenen Geschichte erkennt.

Bedeutsam an dieser Debatte war vor allem, dass die Vertreter von vier verschiedenen politischen Gruppen, welche sich mit den Positionen des Linkskommunismus identifizieren, gemeinsam an einem Strang zogen, so dass die Maoisten sich geschlagen geben mussten und nach der Pause nicht mehr wieder kamen. Diese Vier waren neben der IKS und „Aufbrechen“ „Revolution Times“ und „Soziale Befreiung“. Diese vier Gruppen verteidigten nicht nur gemeinsam das Erbe des Linkskommunismus bei dieser Veranstaltung, sondern unterstützten sich gegenseitig beim Verkauf der jeweiligen Presse an diesem Wochenende.

Die Ablehnung des staatlichen Antifaschismus

Den Presseorganen dieser Gruppen gemeinsam ist derzeit vor allem die öffentliche Bekämpfung des Antifaschismus, welcher in Deutschland nun unter Rot-Grün zur Staatsideologie Nr. 1 avanciert. Es ist äußerst wichtig, dass gerade jetzt proletarische Stimmen gegen die bürgerliche Demokratie erhoben werden, da der Antifaschismus, nachdem er bereits als ideologische Rechtfertigung des Kosovokrieges diente, nun unter dem Schlagwort „Aufstand der Anständigen“ auch noch zur Verstärkung des Staates gegen die Arbeiterklasse massiv eingesetzt wird.

Die Gruppen „Revolution Times“ und „Soziale Befreiung“ werden von Genossen getragen, die mit dem Trotzkismus gebrochen haben und sich nunmehr „rätekommunistischen“ Positionen annähern. Da es gerade für Genossen, die aus einem linkskapitalistischen Milieu stammen, besonders schwer, aber entscheidend wichtig ist, mit ihrer politischen Vergangenheit vollständig zu brechen, finden wir es besonders verdienstvoll, dass die zweite Ausgabe der Zeitschrift „Soziale Befreiung“ sich eingehend mit einer Kritik des Trotzkismus befasst. Diese Broschüre fand übrigens in Berlin einen reißenden Absatz und kann somit vielleicht weiterhelfen, um auch andere Genossen aus den Klauen des Trotzkismus zu befreien.

Beide Zeitschriften jedenfalls haben öffentlich auf die antifaschistische Kampagne der Bourgeoisie geantwortet. „Revolution Times“ mit der dritten Broschüre aus der Reihe „Bibliothek des Widerstandes“ mit dem Titel „Auschwitz als Alibi. Kritik des bürgerlichen Antifaschismus“. Darin wird auch der Text „Auschwitz als Alibi“ von Amadeo Bordiga wieder veröffentlicht - ein „Klassiker“ des Linkskommunismus. Die Nummer 3 der „Sozialen Befreiung“ behandelt ebenfalls die Frage des Antifaschismus wie auch des Nationalismus.

Die Verwerfung der Ideologie des Antifaschismus durch diese Zeitschriften knüpft an der Verteidigung des proletarischen Internationalismus während des 2. Weltkriegs durch die Linkskommunisten an.

„Hitlers Wahnideen entsprachen [...] der Irrationalität der kapitalistischen Produktionsweise und den materiellen Interessen der deutschen Bourgeoisie. Der deutsche Kapitalismus kam zu spät. Die Welt war schon aufgeteilt. Hitlers Phrasen vom Überlebenskampf des Ariers entsprach dem imperialistischen Hunger der deutschen Bourgeoisie. Der Zweite Weltkrieg war von allen beteiligten Nationalstaaten ein imperialistischer Krieg. Die deutsche Bourgeoisie kämpfte für eine Neuaufteilung der Welt, während Großbritannien die alte Welt (einschließlich seiner Kolonien) verteidigte. Die USA und die UdSSR wurden durch den zweiten Weltkrieg zu Supermächten.“ (Soziale Befreiung Nr. 3, S. 8).

Welche Klasse von dieser Ideologie profitiert, ist klar: „Der bürgerliche ‚Antifaschismus‘ war und ist nationalistisch, er ist die ideologische Verschleierung des demokratischen Kapitalismus. Die deutsche Bourgeoisie, die Bourgeoisie von Auschwitz, ist jetzt demokratisch und ihre Vergangenheit dient der demagogischen Verschleierung ihrer Gegenwart. ‚Nie wieder Auschwitz!‘ wurde zur staatstragenden Parole der deutschen Klassengesellschaft. Mit ihr wird die ‚demokratische‘ Ausbeutung von Lohnarbeit gefestigt und legitimiert. ‚Nie wieder Auschwitz!‘ war das verlogene Geschrei von Scharping und Fischer im imperialistischen Feldzug gegen Jugoslawien“. (ibid S. 8).

Mit gewaltigen Worten prangert auch „Revolution Times“ die bürgerliche Demokratie an, die sich mittels des Antifaschismus reinzuwaschen versucht.

„Da die kapitalistische Gesellschaft - sowohl unter der politischen Form der Demokratie als auch unter der Form des Faschismus - eine Organisation von Herrschaft und Gewalt ist, stellt der Faschismus nichts Eigenständiges dar. Weder der Rassismus, noch der Massenmord, noch der Mord durch Arbeit stellten etwas Neues dar.

Es ist der Wahn der Vernunft, der die großen Verbrechen von Auschwitz, Hiroshima und Dresden bestimmt. Alle diese Grauen, die dem Moralisierenden als „Machwerk von Irren“ erschienen, waren vernünftig geplant und vernünftig-wissenschaftlich begründet. Die Irrationalität prägt den Kapitalismus als ganzes (erinnert sei nur an die kapitalistische Konkurrenz, Produktion um des Profits wegen, Vergeudung von Ressourcen, Vernichtung von Lebensmitteln und Waren, Rassismus, Auschwitz, Krieg etc.), in kleinen Teilbereichen hingegen ist der Kapitalismus äußerst rational...“

Die Notwendigkeit, den Bruch mit der kapitalistischen Linken zu vollenden

Wir begrüßen diese mutigen Annäherungen an diese und andere Positionen des Linkskommunismus. Dennoch meinen wir, dass diese energischen Verwerfungen der bürgerlichen Demokratie noch an einer bedeutenden Schwäche leiden, an einer Unklarheit über die Klassennatur der staatskapitalistischen Linken (der radikalsten Verteidiger der bürgerlichen Demokratie). Diese Unklarheit verleitet die Genossen dazu, zwischen einem Staatsantifaschismus und einem vermeintlichen echten, proletarischen Antifaschismus zu unterscheiden.

„Wir RätekommunistInnen sind zu jedem militanten antifaschistischen Bündnis, das auch dazu bereit ist, den Faschisten ein paar auf das Maul zu geben, bereit.“ Und weiter:

„Aber trotz dieser Differenzen sehen wir in der militanten Antifa, die sich nicht hinter dem Staat versteckt, eine Bündnispartnerin gegen den Neofaschismus“. (Soziale Befreiung Nr. 3, S. 11)

„Der Großteil der Antifa und der Restlinken befanden sich im Schlepptau der Regierung und der Parteien. Sie haben es jahrelang versäumt, eigene Akzente im Kampf gegen die Nazis zu setzen.“ („Auschwitz als Alibi – Kritik des bürgerlichen Antifaschismus“ S. 29, herausgegeben von Revolution Times)

Hier merkt man, meinen wir, dass die Genossen noch nicht den Kerngedanken des Linkskommunismus hierzu erfasst haben, welchen Bordiga in dem bekannten Ausspruch zusammenfasste, das schlimmste Produkt des Faschismus sei der Antifaschismus. Der Stalinismus etwa oder der Trotzkismus auch in Form der heutigen „Restlinken“ ist nämlich genau so wie der Faschismus ein Produkt der Konterrevolution. Mehr noch: diese linkskapitalistischen Strömungen, weit entfernt, potenzielle Bündnispartner darzustellen, stellen für den Befreiungskampf des Proletariats eine weitaus gefährlichere Hürde dar als der Faschismus, der heute ohnehin nicht auf der Tagesordnung steht.

Doch diese Meinungsunterschiede liefern aus unserer Sicht nur noch einen weiteren Grund, um die öffentliche Debatte zwischen diesen Gruppen um die Frage des Antifaschismus voranzutreiben. Denn es gibt nichts anderes, was den politischen Klärungsprozess unserer Klasse so sehr vorantreibt. So nähert sich beispielsweise „Aufbrechen“, welche unserer Ansicht nach die Unklarheiten der anderen Gruppen über die kapitalistische Linke teilt, scheinbar jetzt der linkskommunistischen Haltung in dieser Frage. Am Ende der bereits erwähnten Januar 2001 Sonderausgabe lesen wir jedenfalls: „Egal, ob den demokratischen Sozialisten an den Gräbern der ermordeten kommunistischen Revolutionäre ein beredtes Schweigen verordnet oder der Demonstrationszug lautstark vom antifaschistischen Block angeführt wird. Das Ziel, „Politik“ zu machen verbindet beide. (...) Sie sind nichts anderes als der linke Flügel des kapitalistischen Systems.“ Weltrevolution

Adressen o.g. Gruppen

  • „Soziale Befreiung“ Postlagernd, 36433 Bad Salzungen,
  • „Revolution Times“, Postlagernd, 23501 Lübeck,
  • „Aufbrechen“, c/o Lunte, Weisestr. 53, 12049 Berlin-Neukölln.


Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die "Einheitsfront" [2]

Source URL:https://de.internationalism.org/en/node/1216

Links
[1] https://de.internationalism.org/content/1217/kommunismus-oder-anarchismus-welche-perspektive-fuer-die-arbeiterklasse [2] https://de.internationalism.org/en/tag/2/32/die-einheitsfront