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Weltrevolution Nr. 157

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Depression & Selbstmord - Zeichen einer kranken Gesellschaft?

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Innerhalb von 18 Monaten haben sich allein bei France-Telecom 23 Beschäftigte umgebracht (zudem gab es 13 weitere Selbstmordversuche). In den USA hat das Arbeitsministerium bekannt gegeben, dass „im Jahre 2008 die Zahl der Selbstmorde am Arbeitsplatz um 28% zugenommen hat“. Insgesamt wurden 251 Selbstmorde registriert, die höchste Zahl seit 1992. In China der gleiche Trend.

Wenn man dem Kapitalismus freien Lauf lässt, führt dieses System nur zur Erschöpfung der Arbeitskraft. Heutzutage werden nicht nur Arbeiter wie Zitronen ausgepresst, sondern auch Ingenieure, Abteilungsleiter in Verwaltungen, im Handel erfahren das gleiche Schicksal, nachdem die Krise und die Konkurrenz sie auch zu Lohnabhängigen gemacht haben. Die Arbeitsbedingungen aller Beschäftigten haben sich rasant verschlechtert. Und auf dem Lande treibt die Krise immer mehr Bauern in die Verzweiflung. Zwischen 1996 und 2006 sollen sich etwa 150.000 indische Bauern das Leben genommen haben. Allein 2007 waren es laut Medienberichten 16.632.

Das Phänomen des Selbstmords ist nicht neu. Die Welle von arbeitsbedingten Selbstmorden reiht sich ein in eine allgemeine Entwicklung. Seit den 1990er Jahren hat die Brutalität der Krise immer mehr Leute in Selbstmord getrieben. Dies spiegelt die Perspektivlosigkeit dieses Systems wider, welches nur noch mehr Misere, Barbarei und den Tod hervorbringen kann. Überall auf der Welt nimmt der arbeitsbedingte Stress zu. Immer mehr Menschen leiden unter dem burn-out Syndrom. Besonders betroffen sind Beschäftigte mit therapeutischen und erzieherischen Berufen (z. B. Heimerzieher, Lehrer, Pflegekräfte), aber auch im Bereich der Kundenbetreuung (z. B. Beschäftigte in Sozialämtern, Mitarbeiter in Call-Centern). Neuere Untersuchungen, besonders auf Intensiv-, Krebs- und AIDS- Stationen zeigen, dass 40 bis 60 % der Pflegekräfte und 15 bis 30 % der Ärzte an Burnout- Symptomen leiden. Bei den Lehrern sind nach einer neueren Studie in Deutschland etwa 30 % betroffen, weitere etwa 20 % der Lehrer befinden sich in einem Vorstadium zum Burnout. Hinzu kommen andere Erkrankungen, die durch den Kapitalismus begünstigt werden (z.B. Depressionen, die oft durch soziale Isolierung entstehen). In den letzten Jahren sind die psychischen Erkrankungen am stärksten angestiegen.

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass es weltweit etwa eine Million Suizide pro Jahr gibt und dass 10 bis 20 Mal so viele Suizidversuche scheitern.[3] [1] In der Europäischen Union begehen nach einer Meldung der EU-Kommission aus dem Jahr 2005 jährlich 58.000 Menschen Suizid.

Warum diese Entwicklung, welche Erklärungen und Zusammenhänge, welche Reaktionen – darauf wollen wir in unserer nächsten Diskussionsveranstaltung eingehen. Mehr dazu auf Seite 7.

Die Anarchisten und der Krieg (2) - Die Beteiligung der Anarchisten am Zweiten Weltkrieg

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In allen Ländern bereitete sich die Bourgeoisie, die durch die blinden Gesetze des Kapitalismus unabwendbar zum Militarismus gedrängt wurde, auf den Krieg vor, egal ob es sich um faschistische oder demokratische Staaten oder um die stalinistische UdSSR handelte. Die Sackgasse der Wirtschaftskrise ließ ihr keinen anderen Ausweg als die Flucht nach vorn in einen zweiten weltweiten Holocaust. Dieser beschleunigte Kurs auf den Krieg, wahrhaftige Lebensweise des Kapitalismus in seiner Niedergangsphase, brachte den Faschismus hervor. Dieser konnte sich in denjenigen Ländern durchsetzen, in denen es aufgrund der von der Arbeiterklasse erlittenen tiefen Niederlage nicht mehr nötig war, demokratische Institutionen aufrecht zu erhalten, deren Funktion gerade darin besteht, das Proletariat mit Illusionen zu umgeben, damit es sich unterwirft und geschlagen werden kann. Der Faschismus stellte sich als diejenige Regierungsform dar, die den Vorbereitungen am besten entsprach, die nötig waren auf dem beschleunigten Marsch in den Krieg.

Die ideologische Unterwerfung für den imperialistischen Krieg unter die Fahne des Faschismus, des Nationalsozialismus oder des stalinistischen „Vaterlandes des Sozialismus“ wurde mit dem Mittel des gnadenlosen Terrors erreicht. Doch in den Ländern, die „demokratisch“ geblieben waren, brauchte die Bourgeoisie ein besonderes Mittel, um die Arbeiter, die nicht die Niederschlagung von revolutionären Bewegungen erlitten hatten, zu unterwerfen: die Verschleierung durch den Antifaschismus. Er wurde den Arbeitern angeboten als Ausgangspunkt der Mobilisierung, damit man sich schützen könne gegen die Schreckensherrschaft des Faschismus; er war das Mittel, mit dem sie sich als Kanonfutter im Krieg gewinnen ließen im Dienste des einen imperialistischen Lagers gegen ein anderes, zur Verteidigung des demokratischen Staats. Um dieses Ziel zu erreichen, bediente sich die Bourgeoisie namentlich in Frankreich und Spanien der „Volksfronten“ und der linken Parteien, die die Regierungen übernahmen.

Der Anarchismus vom Antifaschismus befallen

Im Gegensatz zum proletarischen Internationalismus, der der vereinigende Ruf der Arbeiterklasse war, mit dem sie in der Gestalt der proletarischen Revolution der Barbarei des ersten weltweiten Gemetzels ein Ende setzte, ist der Antifaschismus keineswegs ein Mittel für das Proletariat zur Verteidigung seiner Klasseninteressen, sondern das Mittel, um sich gefesselt und geknebelt der demokratischen Bourgeoisie auszuliefern. Die herrschende Lage einer Konterrevolution, die das Resultat der Niederlage des Proletariats war und jede Aussicht auf eine revolutionäre Erhebung versperrte, hätte auf keinen Fall ein Grund sein dürfen, die fundamentalen Grundsätze des proletarischen Internationalismus angesichts des Zweiten Weltkrieges in Frage zu stellen. Es gab keine Wahl zu treffen zwischen den verschiedenen Lagern. Es gab nur einen Kampf - gegen die Bourgeoisie sowohl im faschistischen wie im demokratischen Lager.

Gefangen in der Logik der Verteidigung der „Freiheit“ gegen den „Autoritarismus“ kapitulierte der Anarchismus vollständig vor dem Antifaschismus. In der Zeit vor dem Krieg gehörten die verschiedenen anarchistischen Strömungen zu den wichtigsten Verfechtern des Antifaschismus. Dieser sollte die große Mehrheit der Anarchisten dazu führen, sich im Zweiten Weltkrieg unverbrüchlich auf die Seite der Alliierten zu schlagen. Der Anarchismus hatte keinen Klassenbegriff, der auf den realen, im Kapitalismus herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen beruht hätte, und es zog ihn unweigerlich in die vollständige Unterwerfung unter die Demokratie, diese besonders hinterlistige Art der kapitalistischen Diktatur. Gewisse Internationalisten von 1914, wie Rudolf Rocker, verteidigten 1940 auf einmal die Beteiligung am imperialistischen Krieg mit dem Argument, im Gegensatz zu 1914 gehe es jetzt um zwei Systeme, die sich radikal unterschieden, so dass der Kampf gegen den Faschismus die Unterstützung der demokratischen Staaten rechtfertige. Diese Sichtweise bestimmte die allermeisten Anarchisten dazu, physisch am Krieg teilzunehmen, und zwar vor allem in den nicht uniformierten imperialistischen Partisanen-Armeen (französisch: „Maquis“) der Résistance (1).

In Frankreich stellte sich die Gruppe CNT/Netzwerk Vidal in den Pyrenäen „vom Anfang des Krieges an in den Dienst der Résistance und arbeitete aktiv mit dem Geheimdienst und mit dem Zentralen Büro für Nachrichten und Aktionen (Bureau Central de Renseignement et d’Action BCRN) von de Gaulle zusammen, aber auch mit dem Netzwerk Sabot und der Gruppe Combat. (…) Mangels nationaler Widerstandsorganisation erschienen die Anarchisten als kleine Anzahl, obwohl sie sehr präsent waren. Lasst uns dennoch die Partisanen des Staudamms von l’Aigle zitieren (…), Hochburg des Wiederaufbaus der CNT im Exil und eine der aktivsten Partisanengruppen der Résistance. Diese Guerilla ist praktisch zu 100% konföderal (ein Bund), wie auch die Partisanen von Bort-les-Orgues. Allgemein haben die Partisanen des Massif Central einem hohen Anteil an spanischen Anarchisten (…)“ (2) Die Anarchisten waren „Präsent in den Partisanenverbänden in Südfrankreich, in den Gruppen FFI, FTP, MUR oder in den autonomen Gruppen (das Bataillon Libertad im Cantal, der Verband Bidon 5 in Ariège, in Languedoc-Roussillon) (…) und setzten zu Hunderten auf französischem Boden den Kampf fort, den sie gegen den spanischen Faschismus geführt hatten“ (3). Das Bataillon „Libertad“ „befreite le Lot und Cahors. (…) In Foix sind es die anarcho-syndikalistischen Partisanen der CNT-FAI, die die Stadt am 19. August befreien.“ (4)

Gleiches Bild in Italien. Als die italienischen Truppen sich am 8. September 1943 den Alliierten ergaben, blieben die Regionen des Zentrums und des Nordens in den Händen der Deutschen und der faschistischen Republik von Salò. „Die Anarchisten warfen sich sofort in den bewaffneten Kampf, errichteten dort, wo dies möglich war (Carrara, Genua, Mailand), autonome Formationen oder - was mehrheitlich der Fall war - schlossen sich anderen Formationen an wie den sozialistischen „Matteotti“-Brigaden, den kommunistischen „Garibaldi“-Brigaden oder den „Giustizia-e-Libertà“-Einheiten der Aktionspartei“ (5).

An zahlreichen Orten traten die Libertären dem Komitee zur Nationalen Befreiung bei, das ein breites Spektrum von antifaschistischen Parteien zusammenfasste, oder organisierten Patriotische Aktionsgruppen (sic). Die Anarchisten waren zahlenmäßig stark in der 28. Garibaldi-Brigade vertreten, die Ravenna befreite. „In Genua operierten anarchistische Kampfgruppen unter den Namen von „Pisacane“-Brigade, „Malatesta“-Formation, SAP-FCL, SAP-FCL Sestri Ponente und Anarchistische Aktionsschwadrone d’Arenzano. (…) Diese Aktivitäten wurden von der Kommunistisch-Libertären Föderation (FCL) und von der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft der USI bevorzugt, die soeben in den Fabriken wiederaufgetaucht war. (…) Die Anarchisten gründeten die Brigaden „Malatesta“ und „Bruzzi“, die bis zu 1300 Partisanen umfassten: diese operierten unter der Aegide der Formation „Matteoti“ und spielten eine Vorreiterrolle bei der Befreiung Mailands.“ (6)

Die Beispiele von Bulgarien, wo die bulgarische KP nach der Invasion der UdSSR 1941 „die Guerilla organisierte, an der sich zahlreiche Anarchisten beteiligten“ (7), oder der anarchistische gegen Japan gerichtete Guerilla in Korea in den 1920er und 30er Jahren, zeugen davon, dass die Beteiligung der Anarchisten am imperialistischen Krieg einen allgemeinen Charakter hatte.

Und viele waren nicht einmal angewidert von der Uniform der demokratischen imperialistischen Armeen: „Die spanischen Libertären (…) beteiligten sich zu Tausenden am Widerstand gegen den Nationalsozialismus und einige von ihnen stießen in den Bataillonen des Freien Frankreich im Kampf bis nach Deutschland vor“ (8). „Einige Genossen meldeten sich bei den Regimentern der Fremdenlegion und kämpften in ihren Reihen an vorderster Front“ (9). „Sie wurden sowohl nach Nordafrika geschickt wie auch nach Schwarzafrika (Tschad, Kamerun). Die Letzteren wurden 1940 in die Freien Französischen Streitkräfte aufgenommen. Sie wurden Teil der Truppen des Generals Leclerc.“ Bei der berühmten 2. Panzerdivision, die zu mehr als 60% aus Spaniern bestand, waren viele Anarchosyndikalisten, so dass eine ihrer Kompanien „vollständig aus spanischen Anarchisten zusammengesetzt war“. In den Panzern „Ascaso“, „Durruti“, „Casas Viejas“ waren sie „bei den ersten, die am 24. August 1944“ bei der Befreiung von Paris „in die Hauptstadt fuhren“ (10) und den Lumpen der Trikolore auf dem Stadthaus hissten!

Der Standpunkt des Krieges - in konsequenter Fortsetzung der Haltung von 1936 in Spanien

Die Haltung der Anarchisten während dem Zweiten Weltkrieg ist auf der gleichen Linie wie diejenige, die sie schon während der „Hauptprobe“ im Krieg in Spanien eingenommen hatten. Dieser stellte brutal die Rolle bloß, die die Anarchisten in diesem Krieg spielten, der weder ein „Klassenkrieg“ noch eine „Revolution“ war, sondern ein Krieg zwischen zwei Fraktionen der spanischen Bourgeoisie, der im Weltkrieg mündete.

Im Juli 1936 erbrachte die CNT in Befolgung des antifaschistischen Paktes, den sie mit den Parteien der Volksfront geschlossen hatte, der republikanischen Regierung ihre Unterstützung, indem sie die Reaktion des Proletariats gegen den Staatsstreich Francos auf das Terrain des Antifaschismus lenkte (11). Die CNT verlagerte die Auseinandersetzung eines gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Kampfes des Proletariats gegen die Gesamtheit der Kräfte der Bourgeoisie auf die Ebene der militärischen Konfrontation mit Franco allein und schickte die Arbeiter an die Fronten, damit sie sich als Teil der antifaschistischen Milizen abschlachten ließen für Interessen, die nichts mit ihnen zu tun hatten.

Die Beteiligung der Libertären an der bürgerlichen republikanischen Regierung in Katalonien und Madrid zeigt die Entwicklung des Anarchismus hin zur Unterstützung des bürgerlichen Staats. „Nach dem ersten Sieg über die abtrünnigen Generäle und angesichts des sich abzeichnenden lang andauernden und enorm wichtigen Krieges verstanden wir, dass die Stunde noch nicht gekommen war, die Funktion der Regierung, des Regierungsapparats für beendet zu betrachten. So wie der Krieg einen passenden Apparat braucht, damit er überhaupt erfolgreich geführt werden kann - die Armee -, so braucht es auch ein Organ der Koordination, der Zentralisierung aller Ressourcen und Energien des Landes, d.h. den Mechanismus eines Staats. (…) Solange der Krieg dauert, müssen wir im blutigen Kampf handeln und in der Regierung intervenieren. Tatsächlich muss diese eine Kriegsregierung sein, zum Zweck, den Krieg zu führen und zu gewinnen. (…) Wir denken, dass der Krieg die erste Sache ist, dass der Krieg gewonnen werden muss als Vorbedingung für irgendwelche neue Bedingung …“ (12). Als sich die Arbeiter von Barcelona im Mai 1937 erhoben, waren die Anarchisten Komplizen der Repression durch die Volksfront und die Regierung von Katalonien (an der sie teilnahmen), während die Frankisten vorübergehend ihre Kampfhandlungen einstellten, um den linken Parteien die Niederschlagung des Aufstands zu erleichtern.

Indem die CNT den totalen Krieg unterstützte, indem sie das Proletariat mit Hilfe der anarchistischen Kollektive und der antifaschistischen Milizen militarisierte, indem sie den Burgfrieden mit der republikanischen Bourgeoisie ausrief und Streiks verbat, beteiligte sie sich an der Mobilisierung des Proletariats für einen Krieg, der ohne wenn und aber einen imperialistischen Charakter angenommen hatte mit der Teilnahme der Demokratien und der UdSSR auf der republikanischen beziehungsweise Deutschlands und Italiens auf der frankistischen Seite. „Gegenwärtig ist das kein Bürgerkrieg, den wir führen, sondern ein Krieg gegen die Eindringlinge: Mauren, Deutsche, Italiener. Nicht eine Partei, eine Organisation, eine Theorie sind in Gefahr. Es geht um die Existenz Spaniens selber, eines Landes, das Herr über sein Schicksal sein will und zu verschwinden droht“ (13). Der Nationalismus der CNT ging so weit, dass sie ausdrücklich zum Weltkrieg aufrief, um die „spanische Nation“ zu retten: „Das freie Spanien wird seine Aufgaben erfüllen. Angesichts dieser heroischen Haltung - was werden die Demokratien tun? Es ist zu hoffen, dass das Unabwendbare nicht lange auf sich warten lässt. Die provokative und primitive Haltung Deutschlands wird schon unerträglich. (…) Die einen und die anderen wissen, dass schließlich die Demokratien mit ihren Schwadronen und mit ihren Armeen intervenieren werde müssen, um diesen Horden von Wahnsinnigen den Weg zu versperren …“ (14).

Die Preisgabe der Interessen des Proletariats und die Haltung der CNT zum imperialistischen Krieg riefen im anarchistischen Lager lauten Widerspruch hervor (Berneri, Durruti). Aber die Unfähigkeit der Opposition, mit dem Standpunkt zu brechen, laut dem es sich um einen Krieg handle, der Hand in Hand mit der Revolution gehe, lieferte sie der Politik der Niederlage und der Rekrutierung des Proletariats aus. So waren diejenigen, die versuchten, gegen den Krieg und für die Revolution zu kämpfen, unfähig, den Ausgangspunkt für einen wirklich revolutionären Kampf zu finden: den Aufruf an die Arbeiter und Bauern (die von beiden Lagern - dem republikanischen und dem frankistischen - rekrutiert worden waren) zu desertieren, ihre Gewehre auf ihre Offiziere zu richten, von der Front heimzukehren und mittels Streiks zu kämpfen, mit Demonstrationen, auf dem Terrain der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus insgesamt.

Winzige internationalistische Flämmchen

Doch als der Weltkrieg ausbrach erhoben sich gegen den Hauptstrom des antifaschistischen Kriegstaumels einige Stimmen aus dem anarchistischen Milieu, die den Antifaschismus ablehnten und die einzig wirklich revolutionäre Position vertraten - die des Internationalismus. So erklärte 1939 in Großbritannien die Glasgow Anarchist-Communist Federation, dass „der gegenwärtige Kampf die imperialistischen Rivalen zum Schutz ihrer schnöden Interessen gegenüberstellt. Die Arbeiter aller Länder gehören zur unterdrückten Klasse, haben nichts gemein mit diesen Interessen und den politischen Zielen der herrschenden Klasse. Ihre Front ist nicht die Maginot-Linie, wo sie demoralisiert und getötet werden, während ihre Meister betrügerische Gewinne anhäufen“ (15). In Südfrankreich entfaltete die winzige Gruppe um Volin (16) eine Intervention gegen den Krieg auf einer klar internationalistischen Grundlage: „Der gegenwärtige Konflikt ist das Werk der Mächte des Geldes einer jeden Nation, der Mächte, die ausschließlich und international von der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen leben. (…) Die Staatschefs, die militärischen Chefs aller Farben und Nuancen, wechseln das Lager, zerreißen Verträge, unterschreiben andere, dienen einmal der Republik, dann wieder der Diktatur, kollaborieren heute mit jenen, mit denen sie gestern Krieg geführt haben, und umgekehrt, und wieder umgekehrt. (…) das Volk dagegen bezahlt die Rechnung: es wird mobilisiert für die Demokratien, gegen die Demokratien, für die Faschisten, gegen die Faschisten. Aber sei es in Afrika, in Asien, in Europa, es ist das einfache Volk, das die Rechnung bezahlt für diese ‚widersprüchlichen Erfahrungen’ und sich das Maul verhauen lässt. (…) Es geht nicht nur darum, gegen den Hitler-Faschismus zu kämpfen, sondern gegen alle Faschismen, gegen alle Tyranneien, seien es rechte, der Mitte oder linke, seien sie royalistisch, demokratisch oder sozial, denn keine Tyrannei wird die Arbeit emanzipieren, keine wird die Welt befreien, keine wird die Menschheit auf einer wahrhaft neuen Grundlage organisieren“ (17). Diese Stellungnahme zeigt, dass diese Anarchisten ein Ausdruck der Arbeiterklasse waren. Doch auch hier: Wenn sie zu einer solchen Klarheit vordrangen, so deshalb, weil sie sich den Klassenpositionen des Proletariats anschlossen.

Aber die harte Probe der Abgeschiedenheit gegenüber den anderen Gruppen, die internationalistisch geblieben waren, und gegenüber der Klasse unter den Bedingungen des Triumphs der Konterrevolution über die Massen, wie auch der enorme Druck des Antifaschismus („wir waren täglich konfrontiert mit den Antifaschisten. Sollten wir uns mit ihnen zusammen tun oder gegen den Strom schwimmen? Die Frage war im Alltag oft erdrückend“) (18) erstickten diesen Funken bald. Der Tod von Volin (September 1945), die Unfähigkeit der Anarchisten, die Lehren aus ihren Erfahrungen zu ziehen, führten die Leute seiner Gruppe zurück in den Schoß der CNT, zurück zum vorübergehenden Anschluss an die antifaschistischen Komitees und schließlich zur Beteiligung am Wiederaufbau der Anarchistischen Föderation auf politischen Grundlagen, die vollständig bürgerlich waren.

Welche politische Zukunft für die militanten Arbeiter der anarchistischen Bewegung?

Aus der geschichtlichen Untersuchung des Anarchismus in der Zeit der beiden Weltkriege kann man eine doppelte Schlussfolgerung ziehen:

- Der Anarchismus offenbarte nicht nur seine Unfähigkeit, dem Proletariat eine brauchbare Alternative und eine revolutionäre Perspektive anzubieten, sondern stellte ein direktes Mittel zur Mobilisierung der Arbeiterklasse für den imperialistischen Krieg dar. 1936/37 war die Kapitulation des Anarchismus vor der ideologischen Verschleierung des Antifaschismus und der bürgerlichen Demokratie, die als das „geringere Übel“ als der Faschismus betrachtet wurden, ein Mittel für den Kapitalismus, die Front der politischen Kräfte, die für den Krieg agierten, zu erweitern, indem sich die Anarchisten in diese Front einreihten. Der Spanische Krieg war nach dem Ersten Weltkrieg der zweite entscheidende Schritt des Anarchismus, der seine Entwicklung hin zur Unterstützung des kapitalistischen Staats besiegelte. Diese Unterwerfung unter die bürgerliche Demokratie drückte sich in der Integration der offiziellen Strömungen des Anarchismus in die politischen Kräfte des kapitalistischen Staats aus. So wurde der Anarchismus zwischen 1914 und dem Krieg in Spanien 1936/37 in zwei Phasen zu einer Ideologie der Verteidigung der bürgerlichen Ordnung und ihres Staats.

- In zweiter Linie ist es aber auch nötig festzustellen, dass die anarchistische Bewegung sich nicht auf ihre offiziellen Strömungen reduzieren lässt und ein sehr heterogenes Milieu bleibt. Zu allen Zeiten hat ein Teil dieses Milieus ehrlich zur Revolution und zum Sozialismus gestrebt, einen wirklichen Willen zum Ausdruck gebracht, dem Kapitalismus ein Ende zu bereiten, und sich für die Abschaffung einer jeden Ausbeutung engagiert. Diese Militanten befinden sich tatsächlich auf dem Boden der Arbeiterklasse, wenn sie sich als Internationlisten verstehen und daran sind, in den revolutionären Kampf einzutreten. Doch ihre Zukunft hängt wesentlich von einem Dekantierungsprozess ab, dessen Richtung und dessen Breite vom Kräfteverhältnis zwischen den beiden Hauptklassen abhängig sind, demjenigen zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat.

Diese Dekantierung kann je nachdem eher ins Nichts oder sogar zur Bourgeoisie führen, wie in den schwarzen Jahren der Konterrevolution nach 1940. Ohne den Kompass des Klassenkampfes des Proletariats und den Sauerstoff der Diskussion und der Debatte mit den revolutionären Minderheiten, die der Klassenkampf hervorbringt, gingen sie in die Fallen der dem Anarchismus innewohnenden Widersprüche, welche die Anarchisten politisch entwaffnet und sie auf dem Terrain der bürgerlichen Ordnung festsetzt.

Umgekehrt führt die Dekantierung aber zur Arbeiterklasse, wenn diese als revolutionäre Kraft in Erscheinung tritt. So ermöglichten es den Anarchisten, die internationalistisch geblieben waren, genau die revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse, der Ausbruch der Weltrevolution und der proletarische Aufstand in Russland (mit der Zerstörung der bürgerlichen Staatsapparats durch die Sowjets und der einseitigen Einstellung der Beteiligung am imperialistischen Krieg durch das russische Proletariat und die Bolschewiki), dass sie 1914-18 eine konsequente internationalistische Haltung einnahmen. Sie schlossen sich in der Folge der historischen Bewegung der Arbeiterklasse an, indem sie sich der kommunistischen Bewegung annäherten, die aus der Linken der Sozialdemokratie hervorgegangen und gegen den Krieg eingestellt war: die Bolschewiki und die Spartakisten, die einzigen, die fähig waren eine brauchbare und realistische Alternative vorzuschlagen - die Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg und die proletarische Weltrevolution.

Scott

Fußnoten:

1) Die Verbündung des Anarchismus mit dem Staat konnte sich in verschiedene Richtungen, je nach Fraktion der herrschenden Klasse, bewegen: Gewisse Militante ließen sich von der Arbeits-Charta („Charte du Travail“) verführen, andere - z.B. Pazifisten - vom Waffenstillstand, und arbeiteten mit am Programm der Nationalen Revolution von Pétain und der Vichy-Regierung, wie Louis Loréal, oder befanden sich plötzlich im französischen Staatsapparat wie P. Besnard.

2) Les Anarchistes espagnols et la Résistance, in l’Affranchi Nr. 14, Frühling/Sommer 1997, auf CNT-AIT.info.

3) E. Sarboni, 1944 : les Dossiers noirs d’une certaine Résistance, Perpignan, Ed. du CES, 1984.

4) Les Anarchistes espagnols et la Résistance, in l’Affranchi Nr. 14, Frühling/Sommer 1997, auf CNT-AIT.info.

5) 1943-45 : Anarchist partisans in the Italian Resistance, auf libcom.org (Übersetzung von uns)

6) 1943-45 : Anarchist partisans in the Italian Resistance, auf libcom.org (Übersetzung von uns)

7) Nachwort zu Max Nettlau, Geschichte der Anarchie, S. 281 (der französischen Ausgabe)

8) E. Sarboni, 1944: Dossiers noirs d’une certaine Résistance, Perpignan, Ed. du CES, 1984.

9) Pépito Rossell, Dans la Résistance, l’apport du mouvement libertaire (« In der Résistance, der Beitrag der libertären Bewegung »)

10) Le Monde diplomatique, August 2004

11) Zum Werdegang der CNT vgl. unsere Artikelfolge in der International Review, insbesondere die Artikel Das Scheitern des Anarchismus beim Verhindern der Integration der CNT in der bürgerlichen Staat (1931-34) und Der Antifaschismus, der Weg zum Verrat der CNT (1934-36), Nr. 132 und 133 der franz./engl./span. Ausgabe.

12) D.A. de Santillan, in Solidaridad obrera, 16. April 1937.

13) D.A. de Santillan, in Solidaridad obrera, 21. April 1937.

14) Solidaridad obrera, 6. Januar 1937, zitiert nach Révolution prolétarienne Nr. 238, Januar 1937.

15) Zitiert nach P. Hempel, A bas la guerre, S. 210.

16) Wsewolod Michailowitsch Eichenbaum, bekannt unter dem Namen Volin, lebte von 1882 bis 1945; er war während der Revolution von 1905 Mitglied der Sozialrevolutionären Partei und beteiligt sich an der Gründung des Sowjets von St. Petersburg. Er wurde verhaftet, floh und erreichte Frankreich 1907, wo er Anarchist wurde. 1915 drohte die französische Regierung ihn wegen seines Widerstands gegen den Krieg zu verhaften, und er floh in die Vereinigten Staaten. 1917 kehrte er nach Russland zurück und kämpfte bei den Anarchosyndikalisten. In der Folge nahm er Kontakt zur Machno-Bewegung auf und stand zunächst an der Spitze der Abteilung Kultur und Bildung der Aufstandsarmee, 1919 wurde er Vorsitzender ihres Militärrates. Er wurde mehrere Male verhaftet, verließ Russland nach 1920 und flüchtete nach Deutschland. Nachdem er wieder in Frankreich angekommen war, redigierte er auf Anfrage der spanischen CNT deren Zeitung in französischer Sprache. Er sprach sich offen gegen die Politik der Klassenkollaboration der CNT-FAI in Spanien aus. 1940 befand er sich in Marseille und schrieb Die unbekannte Revolution fertig. Die Entbehrungen und die schrecklichen materiellen Bedingungen des Lebens im Untergrund schwächten ihn so sehr, dass er 1945 in Paris an Tuberkulose starb.

17) Auszüge aus dem Flugblatt: A tous les travailleurs de la pensée et des bras, (« An alle Kopf- und Handarbeiter »), 1943

18) Les Anarchistes et la résistance, CIRA

Politische Strömungen und Verweise: 

  • "Offizieller" Anarchismus [2]

Historische Ereignisse: 

  • Anarchisten Krieg [3]
  • Anarchisten Internationalismus [4]

Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit - ein paar Maultaschen klauen...

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Wer in der Firma klaut, begeht einen Vertrauensbruch und kann damit rechnen, fristlos entlassen zu werden. Diese Tatsache ist uns Arbeitern hinlänglich bekannt. Nun, haben wir bis jetzt unter stehlen uns schon eine Entwendung von Waren von irgendeinem Wert oder eine Entwendung von Geld vorgestellt. Hat jemand im Abfall in seiner Firma etwas entdeckt, was er gebrauchen kann, und das an sich genommen, so ist ihm nicht so recht das Gefühl aufgekommen, er wäre ein Dieb und würde seinen ‚Arbeitgeber’ beschädigen. Jetzt werden wir in der Tageszeitung von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht eines Besseren belehrt. Es wäre nicht der Betrag oder die geringwertige Sache allein ausschlaggebend, als zuletzt eine Altenpflegerin acht übrig gebliebene Maultauschen mit nach Hause nahm, sie damit vor der Mülltonne im Altersheim bewahrend. Das Arbeitsrecht, so das Argument, richte den Blick nicht nur in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft. Würde ein ‚Arbeitnehmer’ sich einmal eines Vergehens gegen seinen ‚Arbeitgeber’ schuldig machen, wäre das ‚Vertrauensverhältnis’ zerrüttet und eine ‚Zusammenarbeit’ nicht mehr zumutbar.

 

Mit Erstaunen können wir aus den Medien entnehmen, was alles in den normalen Alltag eines Lohnabhängigen den Tatbestand einer Straftat erfüllt. Nur ein paar Beispiele, etwas aus dem Abfall nehmen, sein Handy laden (der Strom gehört dem ‚Arbeitgeber’), ein privates Telefongespräch führen (der Strom gehört dem ‚Arbeitgeber’, sowie die Arbeitszeit, die für das Gespräch gebraucht wird). Jetzt schießen einige Gedanken durch unseren Kopf. Wenn wir in der Firma ankommen und unsere Arbeit beginnen, verwandeln wir uns nicht in Maschinen, ohne menschliche Bedürfnisse. Wir müssen während der Arbeitszeit, essen, trinken, auf die Toilette gehen, auch mal inne halten und überlegen, wie wir eine gewisse Aufgabe lösen und erledigen können. Uns schwant, wir könnten jeder Zeit nach Bedarf eines Verbrechens gegen unseren ‚Arbeitgeber’ überführt werden. Aber, bedenken wir, das Gesetz ist ja auch für uns da, es herrscht keine Willkür.

 

Es ist also im Arbeitsrecht geregelt, welches Verhalten seitens der Arbeiter zu Kündigung führen kann. In diesem selben Recht sind gewiss auch die Verpflichtungen des ‚Arbeitgebers’ festgelegt. Es wird aber nirgendwo festgehalten und „geahndet“, was wir Arbeiter den ‚Arbeitgebern’ an mehr geben und welche Misere sich bei uns im Laufe der Zeit anhäuft. Zunächst einmal gilt festzustellen, dass der Profit des Kapitalisten von der unbezahlten Mehrarbeit der Lohnabhängigen herrührt. Damit nicht genug: Viele von uns arbeiten am Tag mehr, als mit dem Arbeitgeber vereinbart, einfach, weil wir das ganze Arbeitspensum sonst nicht schaffen. Wenn wir nach Feierabend müde nach Hause gehen, bleiben die Sorgen, Gedanken, Ängste und Ärger nicht in der Firma, sie kommen mit uns nach Hause. Sie sind da, wenn wir uns bemühen, uns um die Familie zu kümmern, um unseren Kindern gute Eltern zu sein. Weil wir von der Arbeit dermaßen kaputt sind, sind unsere Fähigkeiten beschränkt, unser Leben gut und sinnvoll zu gestallten. Unsere Suche nach Wegen, um uns von der Arbeit seelisch und körperlich entspannen zu können, landet viel zu oft in Alkohol und Drogen. Wir werden immer öfter krank, der Körper und die Seele streiken. Gewalt, Depressionen und Selbstmorde nehmen zu.

 

Es wird uns klar, dass der Raub von Leben in keinem Gesetzbuch der Welt als Straftat gilt, dagegen das Mitnehmen von 8 Maultaschen aus dem Abfall des Arbeitgebers schon. Den Misstand, dass unser Leben immer mehr zum Überleben wird, wird kein Gericht, kein Richter der Welt beheben. Unser Leben müssen wir selbst verteidigen, jenseits allen Arbeitsrechts und aller Gerichte. Lasst uns anfangen, Gedanken zu machen, wie dies möglich ist! FF

Aktuelles und Laufendes: 

  • Maultaschenklau [5]

Heißer Herbst in Italien 1969

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Anlässlich des 40jährigen Jahrestages des Heißen Herbstes in Italien erinnern wir an die damals bedeutenden Kämpfe und gehen der Frage nach, welche von den damals gezogenen Lehren sich als richtig erwiesen haben.

Das Klassenbewusstsein der Arbei­terklasse ist ein historisches, d.h. die Arbeiter können nur siegen, wenn sie nicht allein aus ihren unmittelbaren Kämpfen, sondern aus ihrer Geschichte lernen. Eine der spezifischen Aufgaben der Revolutionäre besteht darin, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen, sie für künftige Generationen hinüberzuretten, sie in den Kämpfen von heute und morgen nutzbrin­gend einzubringen.

Es geht zunächst um die Frage, wie ist der ‚Heiße Herbst‘ in Ita­lien zu erklären, was waren seine Ursachen. Welche Erklärungsversuche haben sich als richtig erwiesen, die der Linkskommunisten oder die der sogenannten Operaisten von Potere Ope­raio (PO, auch als Arbeiterautonomie, Autonomia Operaia) bekannt? Welche Lehren sind aus den damaligen Kämpfen zu ziehen, welche Lehren sind von den beiden oben genannten Gruppierungen gezogen worden? Welche Erklärung gibt es dafür, dass manche Wortführer von damals heute in bürgerlichen Regierungen sitzen?

Die IKS und ihre Vorläufer zur damaligen Zeit als Vertreter des Linkskommunismus sahen und sehen den ‚Heißen Herbst‘ in Italien nicht isoliert, sondern als Teil des weltweiten Wie­derauflebens des Klassenkampfes nach jahrzehntelanger sozialdemokratischer, stalinistischer und faschistischer Konterrevolution. Diese Kämpfe waren die Reaktion einer neuen Generation von Arbeitern auf die nach der Wiederaufbauzeit, die den Verwüstungen des 2.Weltkriegs folgte, zurückkehrende Dauerkrise des Kapitalismus. Es war eine ungeschlagene Gene­ration der Arbeiterklasse, nicht demoralisiert durch die finsteren Zeiten der Konterrevolution. Diese neue Generation war freilich auch von den Erfahrungen der früheren Generationen abgeschnitten. PO sah die Ursache des ‚Heißen Herbstes‘ mehr als eine Besonderheit Italiens, verursacht durch die aus Süditalien emigrierten Massenarbeiter an den Fließbändern der riesigen Fabri­ken Norditaliens. Die Operaisten glaubten damals wie viele andere, der Kapitalismus habe seine Krisen endgültig überwunden. Sie führten ein neues Konzept der Krise des Kapitals ein, „die keine spontane Wirtschaftskrise mehr ist, welche von inneren Widersprüchen hervorge­rufen wird, sondern eine politische Krise, die von den subjektiven Bewe­gungen der Arbeiterklasse, durch ihre Forderungskämpfe hervorgerufen wird.“ Später meinten sie, die Krise werde absichtlich von den Kapitalisten ausgelöst, z.B. die Arbeitslosig­keit bewusst inszeniert, um die Arbeiter besser disziplinieren zu können.

Die Entwicklung der damaligen Kämpfe

Die Kämpfe in Italien begannen bereits im Herbst 1968 mit wilden Streiks. Es war vor allem ein Kampf gegen die zunehmende Arbeitshetze. In den Riesenwerken von Pirelli und La Bioccoca in Turin und Mailand fand unter Führung der stalinistischen Gewerkschaft über mehrere Monate ein sog. Leistungsstreik statt.

Das bedeutet, dass die Arbeiter quasi die ganze Produktion mitorganisierten mit dem Ziel, die Arbeitsabläufe zu verlangsamen. Die sog. Operaisten von Potere Operaio sahen darin einen mustergültigen Klassenkampf. Aber die politischen Ergebnisse dieses Kampfes fielen keines­wegs zugunsten des Proletariats aus. Während am Anfang der Bewegung die Verbindung zwischen den verschiedenen Abteilungen der Riesenwerke durch Umzüge demonstrierender Arbeiter hergestellt wurde, führte die angeblich ‘proletarische’ Reorganisation der Produk­tion zur Isolierung voneinander, indem die Massenversammlungen der kämpfenden Arbeiter durch die Tätigkeit der ‘Produktionsspezialisten’ ersetzt wurden, die für eine gleichmäßige Verlangsamung der Produktion sorgen wollten. Das Ganze führte außerdem dazu, dass die Arbeiter selbst begannen, in betriebswirtschaftlichen - sprich kapitalistischen - Kategorien zu denken, sich von den Arbeitern außerhalb zu isolieren. Diese Sackgasse der Verlangsamung der Produktion, statt den Kampf auszuweiten, trug dazu bei zu verhindern, dass das italieni­sche Proletariat bereits 1968 mit Massenstreiks unmittelbar dem französischen Beispiel folgte. Aber das reichte nicht aus, um die Kampfkraft der Klasse insgesamt wieder abzuwür­gen. Jedenfalls gingen die Arbeiterkämpfe bald weit über dieses ‘Modell’ hinaus. Eine zweite große Kampfwelle begann im Frühjahr 1969, als die Beschäftigten von Fiat Turin in einen Solidaritätsstreik mit den von der Polizei belagerten Arbeitern der süditalienischen Kleinstadt Battipaglia traten (bei der Belagerung waren Arbeiter von der Polizei erschossen worden). Die Unruhe der Arbeiter schwoll zu einer breiten Streikbewe­gung an, zum sog. ‘roten’ oder ‘schleichenden Mai’ (maggio striciante).

Aber obwohl die Gewerkschaften sich als ‘Organisatoren des Kampfes’ aufspielten, hat­ten sie die Lage nicht im Griff. Die Arbeiter stellten ihre eigenen Forderungen an Stelle der ge­werkschaftlichen auf. Sie tauschten die gewerkschaftliche Streikleitung durch eigene, von Vollversammlungen gewählte, jederzeit wieder abwählbare Delegierte aus. Teilweise wurden die Gewerkschaftsvertreter auf den Vollversammlungen ausgepfiffen oder gar ausgeschlossen. Es festigte sich die Idee, dass im Kampf die Arbeiter alles selber in die Hand nehmen müssen und nichts den Gewerkschaften überlassen dürfen. Vor den großen Fabriken fanden wöchentlich öffentliche Vollversammlungen statt, so dass Arbeiter aus der gesamten Umgebung daran teilnehmen konnten.

Diese zweite Kampfeswelle gipfelte am 3.Juli in einem Generalstreik in Turin gegen die all­gemeinen Mieterhöhungen in der Stadt. Die Arbeiter der Großbetriebe und die Bevölkerung der armen Stadtteile kamen in einer großen Demonstration zusammen, die in Straßenschlach­ten und im Barrikadenbau endete. Damals wohnten Zehntausende Arbeiter aus Süditalien in primitiven Schlafsälen, andere mussten sogar in den Bahnhofswartesälen übernachten. Kapi­talisten wie die Agnelli Familie, Besitzer der FIAT-Werke, reagierten gewöhnlich auf Lohn­erhöhungen der Arbeiter mit Mieterhöhungen, um das Geld wieder reinzuholen. Unter der Führung der streikenden Arbeiter in den Fabriken bildeten sich Stadtteilkomitees, um gegen Mieterhöhungen zu kämpfen und die gewaltsame Räumung von mietsäumigen Arbeiterfa­milien zu verhindern.

Wie Rosa Luxemburg bereits 1906 in ihrer Massenstreikbroschüre betonte, überwindet der Arbeiterkampf notwendigerweise die künstliche Trennung zwischen dem politischen, ökono­mischen und sozialen Kampf, und erhebt damit den Anspruch des Proletariats, der Gesell­schaft eine neue Führung zu geben. Ohne die Führung durch die Arbeiterklasse bleiben die Proteste der anderen Bevölkerungsschichten perspektivlos und ohnmächtig. So z.B. die Prote­ste der sog. Hausbesetzerbewegung der 70er und 80er Jahre, die zu nichts als ein paar auto­nomen Ghettos geführt haben.

Es folgte die Sommerpause, die die Klasse zum Nachdenken und zum Sammeln ihrer Kräfte nützte.

Die selbsternannten ‘Avantgarden’ nützten die Verschnaufpause aber, um zu versuchen, an­stelle der diskreditierten Gewerkschaften die Organisation der bevorstehenden Kämpfe in die Hand zu bekommen. Unter der Parole „Vereinigen wir die Kämpfe, schaffen wir die Organi­sation“ fand am 26. /27. Juli ein Kongress der ‘Arbeiterdelegationen und Betriebsavantgar­den’ in Turin statt, mit dem Ziel, eine nationale, permanente Streikführung einzurichten. Die treibenden Kräfte dieses Vorstoßes waren die Gruppen Lotta Continua und Potere Operaio. Im Laufe der Zeit verstand sich Potere Operaia zunehmend als eine im Betrieb verankerte Alternative zu den von den Arbeitern oft verhassten ‘K-Gruppen’. Die Kritik an den 'K-Grup­pen‘ „war aber niemals grundsätzlicher Art, sondern beschränkte sich weitgehend darauf den 'K-Gruppen‘ vorzuwerfen, ‚abgehoben draußen vor den Fabriktoren ihre Flugblätter zu verteilen, anstatt in den Fabriken verankert zu sein.“ (Artikel zu K.H. Roth in Weltrevolution Nr.95)

Vollversammlungen kontra Stellvertreterpolitik

Auf diesem Kongress brachten Lotta Continua und Potere Operaio unverhohlen ihr Miss­trauen gegenüber den von den Vollversammlungen gewählten Streikkomitees zum Ausdruck. Sie warfen den selbstorganisierten Arbeitern vor, quasi Ersatzgewerkschaften zu schaffen, weil die Delegierten in den jeweiligen Betrieben verankert waren, also nicht permanent und natio­nal organisiert waren. Die Arbeiterdelegierten hingegen bestanden darauf, der Schwer­punkt der Bewegung müsse in den Betrieben verbleiben. Die Arbeiter spürten instinktiv, dass ihre Delegierten ohnmächtig wurden, sobald die Betriebe nicht mehr mobilisiert waren, d.h. sobald die Klasse insgesamt mittels der Vollversammlungen nicht mehr die Kämpfe von un­ten dirigierten. Wenn die Klasse nicht kämpft, können Delegierte nichts mehr ausrichten, wer­den überflüssig, es sei denn, sie suchen eine alternative Machtbasis, und zwar auf der Seite des Kapitals - eine andere gibt es in dem Klassenkampf zwischen Lohnarbeit und Kapital nicht. Die einstigen Delegierten selbst werden dies anders sehen, ihre neue Machtbasis in ih­rem Verhandlungsgeschick und ihrer ‘Expertise’ erblicken. Sie werden sich zunehmend auf ihre Beziehungen zum Gewerkschaftsapparat, auf machtpolitische Schachzüge verlassen. Sie werden beginnen, die Arbeiter zu verachten, die sich für die Feinheiten der Arbeit der ‘Ex­perten’ nicht interessieren und ihre ‘Selbstaufopferung’ geringschätzen. Sie werden beginnen, die Arbeiter als eine passive Manövriermasse zu betrachten. M.a.W. permanente Delegierte, welche sich zu einer zentralen Streikleitung zusammenschließen, wie von Lotta Continua und Potere Operaio auf diesem Kongress verlangt, werden zu neuen Gewerkschaften, zu zusätzlichen Hindernissen für den autonomen Arbeiterkampf.

Der heiße Herbst

Weil die Kraft des Klassenkampfes noch ausreichte, um diese und andere Versuche, während des Sommers das Schwergewicht von den kämpfenden Arbeiter wegzuverlagern, zu vereiteln, konnte es zum Gipfel der gesamten Bewegung im Herbst 1969 kommen. Der Heiße Herbst wurde durch einen riesigen, spontanen, außergewerkschaftlichen Streik am 2.September in der Halle 32 des FIAT-Werks in Turin ausgelöst, und dauerte teilweise bis Dezember an, bis durch deutliche Zugeständnisse die Kapitalisten die Proletarier für längere Zeit wieder zur Arbeit bewegen konnten. Wichtig war außerdem, dass die Gewerkschaften sich davor hüteten, sich offen den kämpfenden Arbeitern entgegenzustellen, sondern stattdessen bestrebt waren, dass die Arbeiterdelegierten von den Unternehmern anerkannt wurden als ständige d.h. ge­werkschaftliche Vertreter, welche an Stelle der kämpfenden Arbeiter handeln. Auf diese Weise sorgten die Gewerkschaften dafür, dass die erste Kampfeswelle des Proletariats Ende 1969 ihren Höhepunkt bereits überschritten hatte, und danach abebbte bis zur Niederlage der Arbeiter von FIAT Mirafiori 1973.

Die wirklichen Hindernisse für den Zusammenschluss befinden sich in den Köpfen

Nach Auffassung der Operaisten ging es nur um die Hegemonie der Massenarbeiter über die Passivität und den Widerstand bestimmter Schichten der Klasse. Und um das zu erreichen, ist eine Organisation zu schaffen, die kompetenter ist bei der Verwaltung der Kämpfe als die Gewerkschaften. „Warum üben die Gewerkschaften noch die Kontrolle über den Ablauf der Kämpfe aus? Einfach wegen ihrer organisatorischen Überlegenheit. Es handelt sich um ein 'Management' -Problem.“ (Artikel zur Autonomia in Weltrevolution Nr.95) Die Revolutio­näre werden hier gesehen als technische Organisatoren des Klassenkampfes. Nach dieser Vor­stellung ist die Vereinigung der Arbeiter vor allem eine Sache der Ortskenntnisse, von Schleichwegen, des Ausnutzens der ‚legalen‘ Kommunikation im Betrieb durch einige Ex­perten. Aber die Arbeiterklasse wird im Laufe ihres Kampfes schon Wege finden um zusam­menzukommen. Das Entscheidende ist das Bewusstsein über die Notwendigkeit der Vereini­gung der Kämpfe, darüber, dass der auf den einzelnen Betrieb beschränkte Kampf eine Sack­gasse ist. Die wirklichen Hindernisse sind keineswegs die Tore und Zäune, sondern die Mau­ern in den Köpfen, die der Kapitalismus bzw. die herrschende Klasse zwischen den Arbeitern aufrichtet.

In dem Maße wie die Welle von Kämpfen, die 1968 begann, nachließ, als deutlich wurde, dass die kapitalistische Krise unübersehbar zurückgekehrt war, und der Klassenkampf entgegen der Annahme der Operaisten nicht permanent ist, sondern wellenförmig und explosionsartig, setzte man auf das Erlernen von Tricks, die ein guter Guerillero kennen muss, auf die ‘Ar­beiteruntersuchung', um Hintertürchen und schwache Stellen zu erkunden. Andere Reaktio­nen auf den Rückgang der Kämpfe waren der Terrorismus, ein voluntaristischer Versuch dem Rückfluss entgegenzusteuern, und die Verlagerung des Kampfes von der Fabrik auf neue Kampfgebiete, z. B. auf den Stadtteil, was, wie gesagt nur zum Ghetto der Autonomen führte.

Die Kampfmethoden der weltweiten Kämpfe der späten 60er und frühen 70er Jahre waren vielmehr eine Bestätigung der Thesen der Kommunistischen Linken, hier vornehmlich der deutsch-holländischen Linken, welche von Rosa Luxemburg und der deutschen Revolution ausge­hend, die Selbstorganisierung der Klasse gegen Kapital und Gewerkschaften betonte.

Gegen die Auffassung der Operaisten, die Revolutionäre seien die technischen Organisatoren des Klassenkampfes, und gegen ihre Be­schränkung auf den Betrieb lassen wir Lenin und Luxemburg zu Wort kommen, wobei bei dem von ihnen damals verwendeten Begriff Sozialdemokratie die revolutionäre Arbeiterpartei gemeint war, und selbstverständlich nicht die SPD von heute: „Wer die Aufmerksamkeit, die Beobachtungsgabe und das Bewusstsein der Ar­beiterklasse ausschließlich oder vorwiegend auf sich selber lenkt, der ist kein Sozialdemo­krat, denn die Selbsterkenntnis der Arbeiterklasse ist untrennbar verbunden [....] mit den an­hand der Erfahrung des politischen Lebens erarbeiteten Vorstellungen von den Wechselbe­ziehungen aller Klassen der modernen Gesellschaft.“ (Lenin, Was tun?) „Statt sich mit der technischen Seite, mit dem Mechanismus des Massenstreiks fremden Kopf zu zerbrechen, ist die Sozialdemokratie gerufen, die politischen Leitung auch mitten in der Revolutionsperiode zu übernehmen.“ (Luxemburg: Massenstreik, Partei und Gewerkschaften, Luxemburg Werke, Bd.2, S.133)

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Kopenhagen, Rom, APEC-Gipfel: Der Kapitalismus bietet nur Hunger und Zerstörung

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Das erste Jahrzehnt dieses neuen Jahrhunderts geht zu Ende. Ist es nicht Zeit, einen kurzen Rückblick zu werfen und sich Gedanken zu machen über die zu erwartende Entwicklung?

Einige Gipfel der Herrschenden…

In diesen Wochen hielten die Herrschenden medienträchtige Gipfel zu verschiedenen Themen ab, die alle ein grelles Licht auf die Perspektiven dieser Gesellschaft werfen.

Vom Gipfel des Hungers….

Auf dem jüngsten Welternährungsgipfel in Rom haben die Vertreter einen Offenbarungseid leisten müssen. Das Milleniumziel aus dem Jahr 2000 lautete: den Hunger bis 2015 halbieren, ihn bis 2025 überwinden. Tatsächlich steigt die Zahl der Hungernden weiter dramatisch an. Mittlerweile hungert am Ende dieses Jahrzehnts fast jeder siebte Mensch. Insgesamt hungern 1.2 Milliarden Menschen, so viele Menschen waren noch nie von Lebensmittelknappheit betroffen. Allein zwischen 2007 und 2008 stieg die Zahl der Hungernden um 100 Millionen an. Die Folgen der Zuspitzung der Krise seit 2008 sind noch nicht bekannt. An einem Tag sterben allein mehr als 17.000 Kinder an Hunger, ein Kind alle fünf Sekunden, sechs Millionen pro Jahr. Nach UN-Berechnungen droht Afrika, Asien und Lateinamerika ein Rückgang der landwirtschaftlichen Produktivität zwischen 20 und 40%.

Die historische Tendenz, die dieses Jahrzehnt zutage gebracht hat, ist dass der Hunger nicht mehr nur in den Ländern der Peripherie zu Hause ist, sondern in den Industriezentren, vor allem in den USA, immer mehr um sich greift. Eine Studie des US-Landwirtschaftsministeriums (Spiegelonline, 17.Nov.2009) gab zu, “in den USA hatten 2008 mehr als 50 Millionen Amerikaner nicht genug zu essen. Unter ihnen waren auch 16.7 Mio. Kinder (4.3 Millionen mehr als 2007).”

über den Klimagipfel…

Auch die Weltklimakonferenz in Kopenhagen wird aufzeigen, dass die Herrschenden nicht in der Lage sind, die Wurzeln der Umweltzerstörung anzupacken. War das Kyoto-Abkommen schon nichts als Augenwischerei und ein kläglich gescheiterter Versuch, der Klimakatastrophe durch geringfügige Emissionsreduzierungen entgegenzutreten, zeigt die Unfähigkeit der Herrschenden, substantielle Reduzierungen vorzunehmen, nur, dass die Menschheit mit der kapitalistischen Produktionsform weiter auf ihren Untergang zurast. Anstatt die eigentlichen Ursachen der Klimakatastrophe aufzudecken (siehe dazu unseren ausführlicheren Artikel auf unserer Webseite), vertuscht man die Zwangsgesetze des Kapitalismus, welche ständig und in immer stärkeren Maße eine Zerstörung der Umwelt bewirken. So richten die Führer dieser Welt z. B. alle Kräfte auf ihre Konjunkturankurbelungsprogramme, die nur ein Ziel kennen – so viel wie möglich zu verkaufen. Dabei gerät der Schutz der Umwelt noch mehr unter die Räder. Die Bilanz des letzten Jahrzehnts Klimaschutz könnte verheerender nicht sein. Dabei stehen wir erst in der Anfangsphase einer sich weiter dramatisch zuspitzenden Umweltzerstörung.

zum APEC-Gipfel

Kein Zufall, dass auf einem anderen Gipfel, dem der APEC-Staaten (Pazifikanrainer) die USA durch den Mund ihres Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Obama eine Exportoffensive der Vereinigten Staaten vor allem in Richtung Asien ankündigte. Nachdem China bislang sein ganzes umweltzerstörendes Wachstum darauf ausgerichtet hat, einen Großteil seiner Waren in den USA abzusetzen, die dort wiederum auf Pump gekauft wurden, wollen die USA nun eine Exportoffensive Richtung Asien starten!

Von der wirtschaftlichen Sackgasse….

Wir können aus Platzgründen nicht näher auf die qualitative Zuspitzung der Weltwirtschaftskrise eingehen, aber allein die Tatsache, dass nun eine Situation erreicht ist, in der die beiden größten Wirtschaftsmächte (USA und China) einerseits aufeinander angewiesenen sind und gleichzeitig in einem tödlichen Konkurrenzkampf miteinander stehen, zeigt wie unberechenbar und explosiv die Lage am Ende dieses Jahrzehnts geworden ist. Keiner der beiden Großen kann sich aus der tödlichen Umklammerung lösen. Dabei tragen die beiden Staaten längst einen “Krieg ihrer Währungen” aus. Die USA müssen mit Hilfe ihres billigen Dollars die erdrückende Schuldenlast leichtern, das Gewicht der Krise damit auf China abzuwälzen. China wiederum sitzt auf astronomischen Summen von US-Dollar-Reserven, kann diese aber nicht abstoßen oder auch nur entscheidend reduzieren, da es sich damit selbst ruinieren würde, weil dadurch der Dollar weiter geschwächt und damit die eigenen Exporte geschädigt würden.

…zu einer endlosen Spirale von Terror und Zerstörung

Kaum waren die letzten Kämpfe auf dem Balkan Ende der 1990er Jahre abgeflaut, erhielt die Spirale der Gewalt durch den Angriff auf die wichtigste Metropole der Welt, New York, mit den Attentaten vom 11. September 2001 eine neue Dimension. Für die USA lieferten sie den Vorwand für eine Reihe von neuen Kriegen. Nachdem sie Afghanistan und den Irak mit militärischen Mitteln gefügig machen wollten, haben die USA ein Fiasko nach dem anderen erlebt. Rückblickend betrachtet sehen wir: Im Verlaufe eines Jahrzehnts hat eine Kette blutiger Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, von Israel, Palästina, Libanon, Irak, Afghanistan, über die Konfrontation mit dem Iran nun eine neue qualitative Stufe mit dem Überschwappen des Krieges auf Pakistan erreicht. Pakistan ist nicht nur eine Atommacht. Pakistan selbst steht im Fadenkreuz imperialistischer Mächte größeren Kalibers. Um die pakistanische Beute lauern zwei große Erzrivalen China und Indien. Die von den USA forcierte Politik der Bekämpfung des terroristischen Feuers mit Öl kann nur noch eine größere Destabilisierung, nur noch mehr Terror und Blutvergießen hervorrufen. Dass die Entwicklung der militärischen Spannungen zusätzliche Konfliktfelder aufwirft und neue Rivalen in Erscheinung treten lässt, kann man auch in Südamerika sehen (siehe dazu unseren Artikel auf unserer Webseite).

Unterdessen spielen sich auf dem amerikanischen Kontinent jeden Tag ungeheure Dramen ab. In den USA selbst erreicht die Zahl der Arbeitslosen, Obdachlosen und Hungernden immer neue Ausmaße – und dennoch sind die USA für die Drogenhändler der Welt der wichtigste Absatzmarkt! Natürlich sind auch solche Märkte umkämpft! Und wie! Im Nachbarland Mexiko tobt ein Bandenkrieg der Drogenbosse um die wichtigsten Drogenrouten in die USA, bei dem in Mexiko jährlich mindestens 5.000 -6.000 Menschen ermordet werden.

Im Laufe des letzten Jahrzehnts haben die Industriestaaten immer engere militärische Sperrringe um sich gezogen. Immer mehr Menschen versuchen vor ihrem Elend zu flüchten. Die einzige Antwort der Herrschenden: Ihre Polizei und das Militär lauern in den Gewässern vor Europa und den USA und versuchen die Elendigen ins offene Meer abzudrängen oder sie in Auffanglagern einzusperren und abzuschieben und die “einheimische” Bevölkerung für die Hetzjagd auf die “Illegalen” einzuspannen. Die Zahl der Flüchtlinge und der Ausbau der Festung der Industriestaaten werden weiter zunehmen!

Es wird somit immer klarer, dass die jetzige herrschende Klasse völlig unfähig ist die Probleme der Menschheit zu lösen. Damit wird die Suche nach einer Perspektive der revolutionären Überwindung des Kapitalismus immer dringlicher. 21.11.09

Aktuelles und Laufendes: 

  • Klimagipfel Kopenhagen [11]
  • Welternährungsgipfel Rom [12]
  • APEC-Gipfel [13]

Kosmoprolet und die Krise - Ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über die Ursache der kapitalistischen Krise

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Schon Marx stellte fest, dass die Krise im Kapitalismus im Grunde der stärkste Stachel des Klassenkampfes ist. Sie zwingt sie zur Aufgabe ihrer Illusionen und drängt sie zum Nachdenken über das Gesellschaftssystem, das ihr solches Ungemach bereitet. Wie sehr diese Binsenweisheit noch heute Gültigkeit besitzt, zeigt sich auch und gerade im Kontext des schweren Kriseneinbruchs Ende 2008. Eine sehr kleine, aber immerhin wachsende Minderheit innerhalb der Arbeiterklasse nimmt die Krise zum Anlass, zu den Basics des Marxismus zurückzukehren. Workshops, die sich mit dem „Kapital“ von Marx befassen, schießen wie Pilze aus dem Boden. Bücher werden verfasst, Diskussionsrunden abgehalten, alle mit der Absicht, Licht in das Dunkle der kapitalistischen Krise zu bringen.

Die „Thesen zur Krise“ von Kosmoprolet: Ein Abgesang auf den Operaismus

Einen besonders wichtigen Beitrag in diesem Zusammenhang leistet die zweite Ausgabe von Kosmoprolet(1), die im Sommer dieses Jahres herauskam. Ihren „Thesen zur Krise“ ist das ehrliche Bemühen abzulesen, offen und ohne Scheuklappen die aktuelle Krise in ihrem ganzen Ausmaß zu analysieren. In vielen ihrer Aussagen können wir uns uneingeschränkt wiedererkennen – sei es die Entlarvung des Mythos des Keynesianismus als Ausweg aus der Krise, das Zurechtrücken der Rolle des Neoliberalismus, die Ablehnung der Verstaatlichung und Betriebsübernahmen durch die Beschäftigten als Lösungsansätze gegen die Krise, um nur einige Punkte zu nennen.

Doch was vor allem auffällt, das ist ihre Analyse der Ursachen der aktuellen wie auch der vergangenen Wirtschaftskrisen des Kapitalismus. Bereits in These 2 kommt Kosmoprolet ohne viel Umschweife auf des Pudels Kern zu sprechen: „Zwei Widersprüche des Kapitals schlingen sich auf fatale Weise ineinander: ihr Drang, über die Schranken des Marktes hinaus zu produzieren, und ihre Tendenz, lebendige Arbeit – die alleinige Quelle von Wert und Mehrwert – beständig durch Maschinerie zu ersetzen (...) Das Ergebnis ist eine massive Überakkumulation.“ Die Überproduktion und der tendenzielle Fall der Profitrate machen in der Tat das marxistische Erklärungsmuster der ökonomischen Krise des Kapitalismus aus. Das eine ist das Resultat der – wie Marx es nannte – „antagonistischen Distributionsverhältnisse“, die es der Arbeiterklasse verbieten, das Produkt ihrer Ausbeutung, ihrer unbezahlten Mehrarbeit selbst zu verzehren. Das andere ist das Ergebnis der erbitterten Konkurrenz unter den Einzelkapitalien, die zu einer immer höheren organischen Zusammensetzung des Kapitals und somit zu einer stetigen Verringerung des variablen Kapitals, des Mehrwertproduzenten im Kapitalismus, der Lohnabhängigen also, führt. Mit diesem Instrumentarium gelangt Kosmoprolet völlig zu recht zum Schluss, dass der aktuelle Kriseneinbruch weder vom Neoliberalismus zu verantworten ist noch von den Jongleuren an den globalen Finanzmärkten verschuldet wurde. „Die Ausweitung der Finanzsphäre, die im öffentlichen Bewusstsein und großen Teilen der Linken als Krisengrund gilt, ist ihrerseits Folge der schwächeren Akkumulationsdynamik: Sie dient als Zufluchtsort für überschüssige Kapitalmassen, die nicht mehr produktiv investiert werden können.“ (These 5)

Neben der großen Klarheit, mit der die GenossInnen von Kosmoprolet die aktuelle Krise sezieren, beeindruckt vor allem ihre Bereitschaft, auch in ihren eigenen Reihen vorhandene Positionen angesichts dieses dramatischen Ereignisses kritisch zu hinterfragen. In These 4 rechnet Kosmoprolet mit einem zentralen Bestandteil des „klassischen“ Operaismus ab, wonach nicht „die objektiven Bewegungsgesetze, sondern die Kämpfe der Arbeiterinnen (...) das Kapital in die Krise getrieben“ hatten. Misst Kosmoprolet den Arbeiterkämpfen der 70er Jahre immerhin noch eine Krisen verschärfende Wirkung bei, räumen die Genossen, was die aktuelle Krise anbetrifft, vorbehaltlos ein: „Heute läuft jeder Versuch, die Krise auf den Klassenkampf zurückzuführen, auf theoretische Verrenkungen hinaus; selbst das Platzen der Subprime-Blase muss als Existenzbeweis einer renitenten Arbeiterklasse herhalten. Die gegenwärtige Krise nötigt tendenziell zu dem, was den Autonomen als ‚Objektivismus‘ galt: Sie verdankt sich keiner Offensive der Proletarierinnen, sondern wurzelt tatsächlich in den objektiven Widersprüchen des Kapitals. Mehr noch: Ihre Brisanz besteht nicht nur darin, dass sie alle Sektoren und die ganze Welt erfasst und diese Welt proletarisierter ist denn je; sie folgt überdies auf eine Serie von Niederlagen der Lohnabhängigen“. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Krise und Klassenkampf: Was macht dieArbeiterklasse zum revolutionären Subjekt?

Die „Thesen zur Krise“ beschränken sich nicht nur darauf, die (wohlbemerkt: objektiven) Ursachen der Krisen im Kapitalismus ausfindig zu machen. Sie erkunden auch den Zusammenhang zwischen der Wirtschaftskrise und dem Klassenkampf. In These 1 wird die Erwartung geäußert, dass mit Fortdauer der krisenhaften Erscheinungen der Widerstand gegen den Kapitalismus immer größere Kreise ziehen wird. Gleichwohl stellt die These klar, dass es keine mechanische Verknüpfung zwischen Krise und Klassenkampf gibt. Sie verweist dabei auf die Große Depression von 1929, als die Arbeiterklasse nicht, wie von vielen damaligen Revolutionären sehnlichst erhofft, einen neuen revolutionären Anlauf nahm. „Der Verlauf des 20. Jahrhunderts hat die Marxsche Krisentheorie als Revolutionstheorie zu dramatisch außer Kurs gesetzt, als dass man etwa Karl-Heinz Roth widersprechen wollte, wenn er davor warnt, auf die ‚Beschleunigung und Vertiefung der Krisendynamik‘ zu setzen, da die ‚Automatik von Krise und Revolution... spätestens seit dem Ausgang der Großen Depression des vergangenen Jahrhunderts widerlegt‘ sei.“ Und in These 9 wird enttäuscht konstatiert, dass es trotz der vielen Kämpfe der Arbeiterklasse, die in den letzten Jahren weltweit aufgeflammt sind, „keine Anzeichen dafür (gibt), dass sich aus diesen Auseinandersetzungen die Perspektive einer anderen Gesellschaft herausschält.“

Bleibt immer noch die Frage zu beantworten, welche Umstände die Arbeiterklasse nun denn zum revolutionären Subjekt machen. Es ist völlig richtig, dass es, wie 1929 zeigt, keinen Automatismus zwischen Krise und Klassenkampf oder gar Revolution gibt. Zwar bleibt die ökonomische Krise des Kapitalismus auch weiterhin die Grundvoraussetzung für die Entstehung einer revolutionären Dynamik; sie ist die materielle Grundlage für die Entwicklung eines breiten Klassenbewusstseins. Doch damit ein solches Klassenbewusstsein, eine solche revolutionäre Dynamik tatsächlich Wirklichkeit wird, müssen sich zur Wirtschaftskrise noch weitere Faktoren hinzugesellen.

Eine gewichtige Rolle spielt dabei zweifellos die Krise des politischen Überbaus der Herrschenden. Mit der fortdauernden und zunehmenden Erosion der Glaubwürdigkeit seiner Institutionen (Staat, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Medien, etc.), seiner Ideologie, Moral und Werte können die Zweifel, die immer mehr Lohnabhängige bereits heute gegenüber dieser krisenhaften Produktionsweise ergriffen haben, in eine allgemeine Infragestellung dieser Gesellschaft münden. Dabei handelt es sich nicht um einen Vorgang, der sich quasi über Nacht ereignet; der Prozess der Bewusstwerdung unserer Klasse über den wahren Charakter dieser Gesellschaft verläuft zunächst nur unmerklich, im Schatten des falschen Bewusstseins, das noch weite Teile unserer Klasse beherrscht. Es ist ein Denkprozess, der lange Zeit unsichtbar fürs Auge bleibt, da keine spektakulären Aktionen aus ihm unmittelbar resultieren. Doch dieser Prozess hat bereits begonnen. Auch in Deutschland: in den letzten Jahren kann man einen geradezu dramatischen Verlust an Illusionen innerhalb der Arbeiterklasse beobachten, der vor allem die eigenen Perspektiven im Alter, aber auch die Aussichten für die eigenen Kinder in dieser Gesellschaft betrifft.

Eine ebenfalls nicht unwichtige Rolle bei der Bestimmung des Kurses, den die Menschheit steuert – hin zur Revolution oder zurück in die Barbarei –, spielt die ‚Psychologie’. 1929 war die Arbeiterklasse nicht nur physisch geschlagen (immerhin hatten Tausende der kämpferischsten Arbeiter ihr Leben im Feuer der Konterrevolution gelassen), sondern auch mental am Boden zerstört. Der Schock vieler ArbeiterInnen über den Verrat, den ihre eigene Partei, die SPD, an der Novemberrevolution 1918 begangen hatte, saß noch tief. Hinzu kam, dass der „Bruderkrieg“ zwischen SPD und KPD in den zwanziger Jahren das Klima in der Arbeiterklasse vergiftet und das Vertrauen untereinander zerrüttet hatte; durch viele Arbeiterfamilien ging ein tiefer ideologischer Riss. Die Arbeiterklasse der dreißiger Jahre war derart demoralisiert und traumatisiert, dass die Hoffnungen etlicher damaliger Revolutionäre (wie Trotzki) auf eine Neuauflage der revolutionären Welle im Nachhinein grotesk erscheinen. Ganz anders dagegen die heutige Arbeiterklasse: Sie ist frei von dem Trauma einer verratenen Revolution, unbelastet von der Demoralisierung einer vernichtenden Niederlage. Sie ist trotz vieler Rückschläge in den letzten 30 Jahren ungebrochen in ihrer Kampfbereitschaft. Und dies ist einer der Gründe, warum der historische Kurs (wie ihn die Italienische Linke bezeichnete), der vor achtzig Jahren in Richtung Weltkrieg ging, heute in Richtung einer weiteren Verschärfung des Klassenkampfes geht.

Uns scheint, dass die GenossInnen von Kosmoprolet bei der Wiederaneignung des sog. „Objektivismus“ des Marxismus als Erklärungsansatz für die Krisen im Kapitalismus etwas übers Ziel hinausgeschossen sind. So unerheblich die subjektiven Faktoren – in diesem Fall der Klassenkampf - für die ökonomischen Krisen sind, so ausschlaggebend sind sie bei der Entstehung und Entwicklung des Klassenbewusstseins. Den Blick allein auf die ökonomische Krise als Geburtshelfer des revolutionären Klassenkampfes gerichtet, besteht die Gefahr, die sog. „weichen“ Faktoren, an erster Stelle das Klassenbewusstsein, zu übersehen.

Wir haben den Eindruck, als ob die GenossInnen angesichts des Paukenschlages der aktuellen Krise insgeheim doch automatisch eine spektakuläre Antwort der Arbeiterklasse erwartet hatten und dabei übersehen haben, dass sich in den Kämpfen unserer Klasse seit 2004 durchaus erste – wenn auch noch leise und weniger spektakuläre – „Anzeichen für die Perspektive einer neuen Gesellschaft“ herausgebildet haben. So ist in etlichen Kämpfen der letzten Jahre ein Gedanke wiederbelebt worden, der in der neunziger Jahre Gegenstand des Spotts und der Belustigung war: der Solidaritätsgedanke. Solidarität in allen Variationen: Da streikten die Alten für die Jungen (Streik der U-Bahn-Beschäftigten in New York), die Jungen für die Alten (BVG-Streik in Berlin), traten ArbeiterInnen der einen Konzernfiliale aus Solidarität mit ihren von der Entlassung bedrohten Kollegen einer anderen Filiale in den Streik, obwohl sie selbst Nutznießer dieser Entlassungen gewesen wären (Daimler-ArbeiterInnen in Bremen), schlugen die ArbeiterInnen eines Großbetriebes eine Solidaritätsdemonstration für ArbeiterInnen eines branchenfremden, von der Schließung bedrohten Betriebes (Opel-Arbeiter gegen die Nokia-Schließung in Bochum) vor, demonstrierten die ArbeiterInnen verschiedener miteinander verfeindeter Konfessionen (Postangestellte in Belfast) und einheimische sowie ausländische Arbeiter gemeinsam (Großbritannien), eilten die Arbeiter benachbarter Betriebe den Besetzern eines von der Polizei angegriffenen Betriebes zu Hilfe, wobei sie Kopf und Kragen riskierten (Ssangyong in Südkorea). Jüngstes Beispiel: die Protestbewegung der StudentInnen in Österreich, die sich auch aus dem Widerstand gegen das Vorhaben der Regierenden speist, deutschen StudentInnen den Zugang zu österreichischen Universitäten zu verwehren.

Die Solidarität der Arbeiterklasse ist mehr als eine sympathische Goodwill-Aktion, sie ist eine höchst politische Tat. Sie ist das Ergebnis der Erkenntnis, Teil einer Schicksalsgemeinschaft, einer besonderen gesellschaftlichen Klasse zu sein, die gemeinsam siegt oder untergeht. Sie ist somit ein wichtiger Bestandteil der Klassenidentität, die ihrerseits wiederum eine unerlässliche Vorbedingung für die Ausreifung eines spezifischen Klassenbewusstseins ist. Darüber hinaus steht diese Solidarität auch als Gegenmodell zum Konkurrenzprinzip des Kapitalismus; sie ist in gewisser Weise die Antizipation eben jener „neuen Gesellschaft“, die die GenossInnen von Kosmoprolet genauso wie wir anstreben. 20.11.2009

Aktuelles und Laufendes: 

  • Kosmprolet [14]
  • Operaismus [6]

Studentenproteste in Österreich und anderswo: Ein Zeichen wachsender Unzufriedenheit

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Seit vier Wochen finden Besetzungen an über 50 Universitäten und Hochschulen in verschiedenen Ländern Europas statt. Die Kämpfe der StudentInnen sind Ausdruck einer Sorge um die Zukunft, die immer mehr geprägt ist von Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Konkurrenzkampf.

Ihren Ausgang nahm diese Entwicklung am 22. Oktober in Wien. Etwa 400 Studierende versammelten sich am Mittag vor der Votivkirche. Der spontan organisierte Protest richtet sich gegen die Studienbedingungen und die Vorgaben des „Bolognaprozesses“. Auf dem Weg zum Hauptgebäude der Uni Wien schließen sich zahlreiche weitere StudentInnen dem Protest an. In Massen strömen sie in den größten Hörsaal. Darauf wird das Audimax mit der Zustimmung von zwei Dritteln der Anwesenden besetzt und in eine Vollversammlung verwandelt. Dies ist der Auftakt zu einer Reihe von Hörsaalbesetzungen in ganz Österreich gewesen.

Die allgemeinsten Forderungen, die überall in der einen oder anderen Form erhoben werden, zielen auf die Verbesserungen der Studienbedingungen ab:

- Abschaffung aller Studiengebühren

- Keine Zugangsbeschränkungen

- Keine beschränkten Masterstudien

- Für das Personal an den Unis Löhne, die üblich sind

- Rücknahme von ausgelagerten Jobs.

Am 5. November, dem „Warm-up Day of United Action“, gab es nach gut zwei Wochen anhaltenden Hörsaalbesetzungen in ganz Österreich einen landesweiten Aktionstag gegen die immer schlechteren Studienbedingungen, wie Unterfinanzierung der Unis oder Platznot, der schrittweise Abbau der Mitsprachemöglichkeiten, die Verschulung der Studien sowie die Ausrichtung der Unis auf die Interessen der Wirtschaft, wie sie in den Bologna-Reformen formuliert sind.

Österreich muss seine Diplomstudien auf das neue Bachelor-Master-System umstellen: Der meist vierjährige Magister wird durch den dreijährigen Bachelor und den zweijährigen Master ersetzt. Ein Fakt, der großen Protest erzeugt, ist der, dass die Zulassung zum Masterstudium beschränkt werden soll. Dies ist der Kern der Reform, die Kanzler Werner Faymann (SPÖ) im Oktober umsetzen wollte.

 

Bologna-Reformen

Die Bologna-Reformen werden seit fast 10 Jahren in vielen europäischen Ländern eingeführt. Dies hat jedoch bis heute noch nicht zu gleichen Verhältnissen in allen Ländern geführt. In gewissen Aspekten ist die Situation in Österreich an den Universitäten sehr zugespitzt. Seit Jahren ist bekannt, dass der Uni-Betrieb schlecht funktioniert. Alleine im Herbst dieses Jahres schrieben sich 13% mehr Studienanfänger als im Vorjahr ein. Dass in Österreich in den letzten Monaten weitere Schritte zur Einführung des Bachelor-Master-Systems unternommen wurden, hat mit den dortigen Verhältnissen zu tun, ist aber auch bereits durch Folgen die gesamteuropäischen Bologna-Reformen zu erklären. Die Ziele, die in Bologna formuliert wurden, sind: Bis 2010 sollten die 45 teilnehmenden Staaten ihre alten Uni-Strukturen einstampfen, um einen gemeinsamen Hochschulraum zu errichten – mit vergleichbaren Abschlüssen und größtmöglicher Mobilität für Studenten. Ob man dort je ankommen wird, ist unklar: Die Realität schaut anders aus. Rein technisch ist die Umstellung weit vorangeschritten:

Eine erste Generation von Bachelor-AbsolventInnen steht mit der Zugangsbeschränkung zum Master vor dem Nichts. Es stellt sich kurzfristig die Frage nach der Perspektive. So wie für die Arbeiterklasse insgesamt sehen sich auch die StudentInnen heute massivsten Angriffen des Kapitals ausgesetzt.

Denn die Ausbildung neuer Arbeitskräfte soll dem Staat möglichst wenig kosten. Dies betrifft jedoch den ganzen Unibetrieb, vom Dozent, über die Studierenden, bis zur Putzfrau und der Kantine. Es ist dies die „Ökonomisierung“, wie es die kämpfenden Studentinnen ausdrücken.

Die vereinheitlichenden Forderungen sind sehr wichtig: die Abschaffung prekärer Anstellungen an den Unis und für "richtige" Entlöhnung des Putzpersonals.

 

„Den Kampf ausdehnen“ - die Verbindung zum Rest der Arbeiterklasse

Die Genossen der Gruppe Proletarische Revolution (1) haben im Plenum in Wien mit den folgenden politischen Thesen mündlich interveniert: „Anzuerkennen ist die Universalität der Forderungen, sie wenden sich gegen soziale, nationale und Geschlechter- Diskriminierung. Sie wenden sich auch gegen die Funktionalisierung der Studierenden durch die kapitalistische Gesellschaft. Dem Kapitalstandpunkt, vertreten durch die Institutionen des demokratischen Staates, wird der menschliche Standpunkt entgegengestellt, der da sagt, wir sind "nicht nur" die Träger der von euch (Kapitalisten) nachgefragten Arbeitskraft in Ausbildung und damit die zukünftigen Mehrwertlieferanten und Verwalter des Klassenwiderspruchs zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Wir wollen uns nicht mehr auf die Verkörperung von Arbeitskraft reduzieren lassen. Wir sind Menschen mit Bedürfnissen, Bedürfnis nach Bildung, nach Befriedigung unserer wissenschaftlichen Neugier, nach Entwicklung unserer Fähigkeiten, nach Umschau und Orientierung nach einem erfüllten Leben. Die Studierenden im Kampf haben dem Inhalt ihrer Forderungen dem kapitalistischen Maß das menschliche Maß entgegengestellt.

Die Studierenden mit ihrer Forderung nach freiem Zugang zu den Universitäten für alle durchkreuzen den Bestimmungswillen und das Bestimmungsbedürfnis des Kapitals über die auf die Nützlichkeit fürs Kapital reduzierten Menschen. Die beiden Ansprüche sind sich wechselseitig unverträglich. Einer muss fallen. Die kapitalistische Gesellschaft will solche Klarheit selbstredend nicht wahrhaben. Sie versucht, zumindest propagandistisch zu versöhnen, was nicht zu versöhnen ist. Sie wendet einen gewaltigen Apparat auf, um sich vor unserer Emanzipation zu schützen. (…) Die finanzielle Absicherung ist gerade für die Studierenden aus der Arbeiterklasse unverzichtbar. Neben den finanziellen Hindernissen gibt es in der bürgerlichen Gesellschaft noch genug andere Hindernisse für den Zugang zu Bildung.

Die kapitalistische Gesellschaft betrachtet die Arbeitskraft als eine Ware wie jede andere Ware auch. Ihre Produktion unterliegt den gleichen kapitalistischen Gesetzen. Die Arbeitskraft soll auf den gesellschaftlichen Bedarf hin (freilich des Kapitalismus) und mit den geringsten Produktionskosten erzeugt werden. Ein Zuviel an Investition in die Bildung von Arbeitskraft ist vom kapitalistischen Standpunkt Kapitalvergeudung. Wenn wir die freie Bildung für jede/en durchsetzen wollen, haben wir die ganze kapitalistische Gesellschaft gegen uns.

Die Studierenden im Kampf stehen artikuliert oder nicht artikuliert in ein und derselben Klassenfront gemeinsam mit dem Proletariat, das ebenso für das Kapital nur Ausbeutungsobjekt zu sein hat, und in seinem Kampf, so es auf seinem spezifischen Klassenterrain kämpft, diesen Objektstatus zu zerschmettern sucht und als Mensch sein Dasein durchzusetzen sucht. Das ist ein wichtiges Wissen für die Studierenden im Kampf. Bleiben die Studierenden im Kampf isoliert, sind die Studierenden mit ihren Anliegen verloren. Sie können nicht siegen. Die Interessen, die in ihrem Kampf aufeinanderprallen, sind zu massiv als dass sie durch Hörsaalbesetzungen, Demos von Studierenden und Schülern zu einem guten Ende für die Studierenden geführt werden könnten.“

Dieses österreichische Beispiel hat inzwischen an vielen Orten Nachahmer gefunden, in erster Linie in Deutschland. Allerdings ist die momentane Situation nicht gerade günstig, um gerade das zu erreichen, was in der jetzigen Lage am notwendigsten wäre, nämlich eine Öffnung des Kampfes der Studenten und Schüler in Richtung der Arbeiterklasse insgesamt. Seit der jüngsten Zuspitzung der Weltwirtschaftskrise vor einem Jahr befindet sich die Arbeiterklasse in einer Art Schockstarre. Die Lohnabhängigen sehen sich weltweit konfrontiert mit einer gigantischen Erpressung von Seiten der herrschenden Klasse: Entweder ihr kommt für die Kosten der Rettungsprogramme für die Finanzinstitute auf, oder die staatlichen und privaten Versicherungssysteme brechen zusammen. Angesichts dieser existenziellen Bedrohung hat die Arbeiterklasse noch keine Antwort darauf gefunden. Somit fällt es den proletarischen Teilen der Studierenden im Augenblick auch schwer, ihren Blick über den Tellerrand des Bildungswesens hinaus zu richten auf der Suche nach Verbündeten im Kampf gegen die Folgen der Krise. Das erklärt zum bedeutenden Teil, weshalb die Bewegungen derzeit in Ländern wie Österreich, und vielleicht noch mehr in Deutschland, sehr auf die universitäre Welt beschränkt bleiben. Das Problem dabei ist, dass die Frage des Kampfes um Bildung sehr rasch eine reformistische Couleur annimmt, wenn die Verbindung zum Klassenkampf nicht hergestellt werden kann. Das hat die herrschende Klasse auch sehr schnell erkannt. Anstatt die Bewegung nach Möglichkeit totzuschweigen, wie das 2006 in Frankreich und 2008 in Griechenland geschah, werden die jetzigen Proteste, obwohl sie gerade in Deutschland (im Augenblick) nur von einer kleinen Minderheit getragen werden, in den Medien auffällig breit getreten. Dabei versucht die herrschende Klasse die Protestierenden für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, sie als Vorreiter eines konkurrenzfähigeren, nationalen Bildungssystems hinzustellen, wobei zumindest ein Teil der Protestierenden seine Rolle auch so versteht. Bei dieser Mobilisierung ist bislang zu viel von „Bologna“ und zu wenig vom Klassenkampf die Rede.

 

Erinnern wir uns an den erfolgreichen Kampf der SchülerInnen und StudentInnen im Frühjahr 2006 in Frankreich: Da gelang es der Bewegung an den Schulen und Hochschulen, die Regierung zum Nachgeben zu bewegen, weil sie sehr früh proletarische Forderungen in den Mittelpunkt gestellt haben, welche die Interessen der arbeitenden Bevölkerung insgesamt zum Ausdruck brachten, insbesondere die Ablehnung des sogenannten CPE (Gesetz über den Erstanstellungsvertrag) (2). Hinzu kam natürlich, dass diese Bewegung zu einem Zeitpunkt stattfand, als der Druck aus den Betrieben ohnehin zunahm. Auch die Bildungsprotestwoche in Deutschland im Juni 2009 fand zu einem Zeitpunkt statt, als Streikbewegungen vor allem der Kita-Beschäftigten große Sympathie und Widerhall fanden.

 

Diskussionskultur

Und dabei sind wir bei einem weiteren bis jetzt wichtigen Wesenszug dieser Bewegung angelangt: bei der Kultur der offenen Vollversammlungen. In Wien hat die Bewegung zwar mit einer Besetzung angefangen, aber nicht mit einer Einigelung (Isolation), sondern mit der Öffnung des Audimax für alle, die an einer Debatte im Sinne der Bewegung interessiert sind. Über alle Dinge, die von allgemeinem Interessen sind (beispielsweise wer heute als Sprecher gegenüber den Medien auftritt oder ob ein Journalist im Hörsaal eine Foto aufnehmen darf), wird kollektiv entschieden. Auch in Deutschland und der Schweiz verwenden die Vollversammlungen und Diskussionen in Arbeitsgruppen viel Zeit dafür, über die eigene Funktionsweise zu diskutieren. Wie debattieren wir, so dass jeder und jede mitreden kann und das Kollektiv trotzdem handlungsfähig bleibt? Wie führt man eine solche Diskussion mit Hunderten von Leuten im gleichen Saal? Über welche Vorschläge wird wie entschieden? Wie stellen wir es an, damit verschiedene Vorschläge den Leuten bekannt sind, bevor wir darüber diskutieren und entscheiden? Allerdings darf man dabei nicht vergessen, dass die Vollversammlungen kein Selbstzweck sind und rasch ihre Funktion als Instrument des Kampfes verlieren können, wenn sie sich nicht als Teil eines größeren, sozialen Klassenkampfes zu verstehen beginnen. 19.10.09, SR und BS

 

1) Die Gruppe Proletarische Revolution in Österreich ist eine internationalistische Gruppe, die sich wie die IKS programmatisch auf das Erbe der Kommunistischen Linken bezieht. Adresse: GPR, Postfach 96, AT-6845 Hohenems; [email protected] [15]

2) Vgl. dazu unsere Thesen über die Studentenbewegung in Frankreich im Frühling 2006 [16].

 

 

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Deutschland [17]
  • Studentenproteste Österreich [18]

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Links
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Suizid#cite_note-6 [2] https://de.internationalism.org/en/tag/politische-stromungen-und-verweise/offizieller-anarchismus [3] https://de.internationalism.org/en/tag/historische-ereignisse/anarchisten-krieg [4] https://de.internationalism.org/en/tag/historische-ereignisse/anarchisten-internationalismus [5] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/maultaschenklau [6] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/operaismus [7] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/heisser-herbst-italien [8] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/potere-operaio [9] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/autonomia [10] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/streiks-italien-1969 [11] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/klimagipfel-kopenhagen [12] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/welternahrungsgipfel-rom [13] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/apec-gipfel [14] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/kosmprolet [15] mailto:[email protected] [16] https://de.internationalism.org/content/876/thesen-ueber-die-studentenbewegung-frankreich-im-fruehling-2006 [17] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/deutschland [18] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/studentenproteste-osterreich