Welche Entwicklung des Klassenkampfs ist in dieser Situation zu erwarten?
Die Subprime-Krise von 2008 ist in eine offene Krise im Weltmaßstab übergegangen, die einen seit 1929 nicht mehr erlebten Rückgang der wirtschaftlichen Aktivitäten zur Folge gehabt hat:
- innert weniger Monate sind zahlreiche Finanzinstitute wie Dominosteine umgefallen;
- Fabriken wurden reihenweise geschlossen und Hunderttausende von Arbeitern weltweit auf die Straße geworfen.
Die Maßnahmen, die die Bourgeoisie ergriffen hat, um einen noch brutaleren Absturz zu verhindern, unterscheiden sich nicht von denjenigen, die sie sukzessive seit Beginn der 1970er Jahre mit dem Rückgriff auf den Kredit angewandt hat. So ist in der weltweiten Verschuldung eine neue Stufe erklommen worden, begleitet von einer noch nie erreichten Vergrößerung der Weltverschuldung. Doch heute ist der Umfang der weltweiten Schuld so gewaltig, dass man allgemein von einer „Schuldenkrise" zu sprechen begonnen hat, um die gegenwärtige Phase der Wirtschaftskrise zu charakterisieren.
Die Bourgeoisie hat das Schlimmste verhindern können, für den Moment. Doch hat es nicht nur keinen neuen Aufschwung gegeben, sondern verschiedene Länder stellen heute mit Verschuldungsquoten von mehr als 100% des BIP ein ernsthaftes Insolvenzrisiko dar. Darunter befinden sich nicht nur Griechenland, sondern auch Portugal, Spanien (die fünftgrößte Volkswirtschaft der EU), Irland und Italien. Großbritannien hat zwar noch nicht dieselben Sphären der Verschuldung erreicht, weist aber Kennzahlen auf, welche die Spezialisten als sehr besorgniserregend bezeichnen.
Angesichts dieser Ernsthaftigkeit der Überproduktionskrise hat die Bourgeoisie nur ein Mittel: den Staat. Doch dieser enthüllt seinerseits, wie wenig er letztlich ausrichten kann. Die Bourgeoisie erstreckt einzig die Fristen, während alle wirtschaftlichen Akteure keinen anderen Ausweg haben als die Flucht nach vorn, die aber je länger je schwieriger und riskanter wird: sich immer noch mehr zu verschulden. Die geschichtlichen Grundlagen der Krise werden auf diese Weise besser sichtbar. Im Gegensatz zu früher kann die Bourgeoisie die Tatsache der Krise nicht mehr verheimlichen und sie offenbart, dass es in ihrem System keine Lösung gibt.
In einem solchen Zusammenhang kann die Insolvenz eines Landes[1], das künftig nicht mehr die Schuldnerverpflichtungen erfüllen kann, eine Kettenreaktion auslösen, bei der zahlreiche wirtschaftliche Subjekte (Banken, Unternehmen, andere Länder) zahlungsunfähig werden. Natürlich versucht die Bourgeoisie noch, die Tatsachen zu vernebeln, indem sie die Aufmerksamkeit auf die Spekulation und die Spekulanten lenkt. Das Phänomen der Spekulation entspricht zwar einer Realität, die aber das ganze System prägt, und nicht bloß einige „Profiteure" oder „Wirtschaftskriminelle". Der Finanz-Wahnsinn, d.h. die grenzenlose Verschuldung und die Spekulation auf Teufel komm raus, ist durch den Kapitalismus als Ganzes begünstigt worden, als ein Mittel zum Zweck, den Eintritt der Rezession hinauszuschieben. Dies ist die eigentliche Lebensweise des Kapitalismus heute. Und so befindet sich denn auch der Kern des Problems im Kapitalismus selber, der unfähig ist, ohne Einspritzung neuer, immer größerer Kredite zu überleben.
Welche Medizin verordnet die Bourgeoisie gegenwärtig angesichts der Schuldenkrise? Die Bourgeoisie versucht, ein schreckliches Sparprogramm in Griechenland durchzusetzen. Ein weiterer Plan ist für Spanien in Vorbereitung. In Frankreich sind neue Angriffe auf die Altersrenten geplant.
Können die Sparprogramme dazu beitragen, die Henkersknoten der Krise zu lösen?
Sind die Sparprogramme ein Mittel, um den neuen Aufschwung vorzubereiten? Werden sie es erlauben, wenigstens teilweise den Lebensstandard der Proletarier, der in den letzten zwei Krisenjahren so hart angegriffen worden ist, wieder zu erhöhen?
Bestimmt nicht! Die Weltbourgeoisie kann es sich nicht leisten, ein Land wie Griechenland einfach „absaufen" zu lassen (trotz aller lauten und demagogischen Erklärungen Angela Merkels), ohne die Gefahr in Kauf zu nehmen, dass einigen Gläubigern Griechenlands dasselbe widerfährt, doch besteht die einzig mögliche Hilfe darin, ihm neue Kredite zu einem „annehmbaren" Zinssatz zu gewähren (obwohl die Darlehen zu 6%, die die EU Griechenland kürzlich aufgezwungen hat, schon außerordentlich teuer sind). Dafür werden Garantien einer Budgetdisziplin verlangt. Der Unterstützte muss beweisen, dass er kein Fass ohne Boden ist und die „internationale Hilfe" nicht verschwendet. Von Griechenland wird also verlangt, dass es „seinen Schlendrian aufgibt", damit das Wachstum seiner Defizite und seiner Verschuldung gebremst werde. Unter der Voraussetzung, dass die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse hart angegriffen werden, werde der Weltkapitalmarkt wieder Vertrauen in Griechenland gewinnen, das dann Darlehen und Auslandinvestitionen anziehen werde.
Einigermaßen paradox mutet an, dass das Vertrauen in Griechenland von dessen Fähigkeit abhängig gemacht wird, die Geschwindigkeit der Vergrößerung seiner Schulden zu bremsen, und nicht davon, die weitere Verschuldung zu stoppen, was gar nicht möglich wäre. Das heißt, dass die Zahlungsfähigkeit dieses Landes gegenüber dem Weltkapitalmarkt von der „nicht allzu starken" Vergrößerung seiner Schulden abhängt. Mit anderen Worten: Ein wegen seiner Schulden für zahlungsunfähig erklärtes Land kann solvent werden, auch wenn seine Verschuldung weiter wächst. Abgesehen davon hat Griechenland selber ein Interesse daran, mit seiner „Insolvenz" zu drohen und damit zu versuchen, auf die Zinssätze der Gläubiger zu drücken, die bei einem Zahlungsstopp zum Verlust ihrer ganzen Forderung kämen und sich dann schnell selber im „roten Bereich" befänden. In der gegenwärtigen überverschuldeten Welt beruht die Zahlungsfähigkeit im Wesentlichen nicht mehr auf einer objektiven Realität, sondern auf einem Vertrauen - das nicht wirklich begründet ist.
Die Kapitalisten können nicht anders, als diesem Glauben nachzuhängen, sonst müssten sie aufhören, an die Ewigkeit ihres Ausbeutungssystems zu glauben. Doch während die Kapitalisten nicht anders können, als daran zu glauben, sieht dies für die Arbeiter etwas anders aus! Die Sparprogramme erlauben es der Bourgeoisie im Großen und Ganzen, sich etwas Mut zuzusprechen, doch lösen sie damit keineswegs die Widersprüche des Kapitalismus und können nicht einmal die Zunahme der Verschuldung eindämmen.
Die Sparprogramme erfordern eine drastische Verringerung der Kosten der Arbeitskraft, welche Politik in allen Ländern angewendet wird, denn alle stehen - in größerem oder geringerem Umfang - vor den Problemen einer enormen Verschuldung und von Defiziten. Eine solche Politik, die im kapitalistischen Rahmen keine wirkliche Alternative hat, kann zwar einen Sturm der Panik verhindern, kann vielleicht sogar einen Mini-Aufschwung bewirken, aber bestimmt nicht das Finanzsystem ins Lot bringen. Und noch weniger kann sie die Widersprüche des Kapitalismus lösen, die ihn zu immer neuer Verschuldung drängen bei Strafe der Erschütterung durch immer brutalere Rezessionen. Aber es gilt auch, diese Sparmaßnahmen der Arbeiterklasse zu verkaufen. Das ist für die Bourgeoisie keine einfache Aufgabe, und sie starrt auf die Antworten der Proletarier auf diese Angriffe.
Schon seit Beginn der 2000er Jahre verfängt die Rede der Bourgeoisie, wonach wir den Gürtel enger zu schnallen hätten, „damit es uns morgen besser gehe", im Allgemeinen in der Arbeiterklasse nicht mehr, auch wenn es da Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern gibt. Die letzte Verschärfung der Krise hat bis jetzt, in den letzten zwei bis drei Jahren, nicht zu einer Ausbreitung der Mobilisierungen der Arbeiterklasse geführt. Die Tendenz ist für das Jahr 2009 sogar eher die umgekehrte. Die Merkmale von gewissen Angriffen, vor allem der massenhaften Entlassungen, haben in der Tat die Antwort der Arbeiterklasse erschwert, da:
- die Unternehmer und die Regierungen sich hinter einem Totschläger-Argument verstecken: „Wir können nichts dafür, wenn die Arbeitslosigkeit steigt und ihr entlassen werdet: Die Krise ist schuld."
- bei Unternehmenskonkursen und Betriebsschließungen die Streikwaffe stumpf wird, was das Gefühl der Ohnmacht und der Verzweiflung bei den Arbeitern verstärkt.
Doch auch wenn diese Schwierigkeiten noch schwer auf der Arbeiterklasse lasten, ist die Situation nicht blockiert. Dies zeigt sich an einer Haltungsänderung in der ausgebeuteten Klasse und drückt sich aus in einem Erzittern des Klassenkampfes.
Die Erbitterung und die Wut der Arbeiterinnen und Arbeiter werden genährt durch eine tiefe Empörung angesichts einer himmelschreienden und nicht mehr zu erduldenden Situation: Die weitere Fortdauer des Kapitalismus hat unter anderem zur Folge, dass brutaler als je zuvor zwei „verschiedene Welten" in ein und derselben Gesellschaft erscheinen. In der ersten lebt die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, die alles Unrecht und das ganze Elend erleidet und für die zweite bezahlen muss, für die Welt der herrschenden Klasse, die ihre Macht und ihren Reichtum schamlos und arrogant zur Schau stellt.
In unmittelbarerem Zusammenhang mit der jetzigen Krise verliert die verbreitete Idee, wonach „es die Banken sind, die uns in den Kakao gefahren haben, aus dem wir nicht mehr rauskommen" (während man sieht, dass die Staaten selber sich der Zahlungsunfähigkeit nähern), an Überzeugungskraft, was wiederum zu einem Katalysator für die Wut gegen das System wird. Man sieht hier die Grenzen der Geschwätzes der Bourgeoisie, welche die Banken als die Verantwortlichen für die gegenwärtige Krise hinstellte mit dem Zweck, ihr System als Ganzes aus der Schusslinie zu ziehen. Der „Bankenskandal" kompromittiert den Kapitalismus als solchen.
Auch wenn die Arbeiterklasse in weltweitem Maßstab noch angeschlagen und benommen dasteht vor der Lawine von Angriffen, die alle Regierungen, ob links oder rechts, auf sie niedergehen lassen, so ist sie doch nicht resigniert; sie hat in den letzten Monaten nicht einfach untätig zugeschaut. Vielmehr tauchen fundamentale Merkmale des Klassenkampfes, die bestimmte Arbeitermobilisierungen seit 2003 gekennzeichnet haben, in einer expliziteren Weise wieder auf. Dies betrifft insbesondere die Arbeitersolidarität, die sich tendenziell als Grundbedürfnis des Kampfes wieder aufdrängt, nachdem sie in den 1990er Jahren so entstellt und abgewertet worden war. Heute zeigt sie sich in der Form von einzelnen Initiativen, die zwar noch sehr auf Minderheiten beschränkt, aber für die Zukunft wegweisend sind.
Im letzten Winter war in der Türkei der Kampf der Arbeiter und Arbeiterinnen von Tekel das leuchtende Beispiel für den Klassenkampf. Er vereinte türkische und kurdische Arbeiter und Arbeiterinnen (während ein nationalistischer Konflikt seit Jahren diese beiden Bevölkerungsteile spaltet), bewies einen entschlossenen Willen, den Kampf auf andere Sektoren auszuweiten, und leistete Widerstand gegen die Sabotage der Gewerkschaften.
Auch im Herzen des Kapitalismus, wo die gewerkschaftliche Kontrolle diskreter auftritt und noch stärker ist als in den peripheren Ländern und es schafft, so große Ausbrüche von Kämpfen zu verhindern, gewinnt die Arbeiterklasse ihre Kampfbereitschaft zurück. Anfang Februar zeigten sich in Vigo/Spanien dieselben Merkmale. Da suchten die Arbeitslosen die aktiven Arbeiter der Schiffswerften auf, und gemeinsam demonstrierten sie, wobei weitere Arbeiter und Arbeiterinnen in den Kampf einbezogen wurden, bis die Arbeit im ganzen Schiffsbausektor stillstand. Was bei dieser Aktion am meisten heraus stach, war die Tatsache, dass die Initiative von entlassenen Arbeitern der Schiffswerften ergriffen wurde, die durch eingewanderte Arbeiter ersetzt worden waren, „die in Parkgaragen schlafen und von einem Sandwich am Tag leben". Die einheimischen Arbeiter verfielen keineswegs auf fremdenfeindliche Reaktionen gegen die Arbeiter, mit denen sie die Bourgeoisie in Konkurrenz gestellt hatte, sondern solidarisierten sich mit ihnen im Kampf gegen die unmenschlichen Ausbeutungsbedingungen, die den eingewanderten Arbeitern vorbehalten sind. Solche Kundgebungen der Arbeitersolidarität sahen wir schon zuvor im Januar und Juni 2009 in Großbritannien bei den Bauarbeitern der Lindsey-Raffinerie sowie im April 2009 in Spanien auf den Schiffswerften von Sestao.[2]
In diesen Kämpfen zeigte die Arbeiterklasse - wenn auch begrenzt und erst in embryonaler Form - nicht nur ihre Kampfbereitschaft, sondern ihre Fähigkeit, den ideologischen Kampagnen der herrschenden Klasse, die auf eine Spaltung abzielen, etwas entgegenzusetzen, indem sie ihre proletarische Solidarität zum Ausdruck brachte und in ein und demselben Kampf verschiedene Berufssparten, Branchen, Ethnien oder Nationalitäten vereinte. In ähnlicher Weise ließ schon im Dezember 2008 die Revolte der jungen Proletarier in Griechenland, die sich in Vollversammlungen organisierten und die Unterstützung der Bevölkerung erhielten, die herrschenden Klasse fürchten, das Beispiel könne andere europäische Länder „anstecken", insbesondere die junge Generation an den Schulen. Heute sind die Augen der Bourgeoisie nicht zufälligerweise wieder auf die Reaktionen der Arbeiter und Arbeiterinnen in Griechenland gegenüber den Sparprogrammen der Regierung und der anderen Staaten der Europäischen Union gerichtet. Diese Reaktionen sind ein Testfall für die anderen Staaten, die vor dem Bankrott ihrer nationalen Wirtschaft stehen. So hat den auch die fast gleichzeitige Ankündigung von ähnlichen Sparprogrammen Zehntausende von Proletariern in Spanien und Portugal zu Demonstrationen bewegt. Trotz der Schwierigkeiten, vor denen der Klassenkampf steht, findet eine Änderung in der Geisteshaltung der Arbeiterklasse statt. Überall auf der Welt vertiefen und verallgemeinern sich die Verzweiflung und die Wut in den Reihen der Arbeiter und Arbeiterinnen.
Die Regierung hat am 3. März einen neuen Sparkurs angekündigt, den dritten in drei Monaten, mit einem Anstieg der Konsumsteuern, einer Reduzierung des 13. Monatslohns um 30% und einer solchen von 60% des 14. Monatslohns, welches Lohnbestandteile der Beamten sind (d.h. ein Rückgang von 12 bis 30% ihrer Löhne im Durchschnitt), und einer Einfrierung der Renten von Beamten und Beschäftigten aus der Privatwirtschaft. Doch der Plan wird in der Bevölkerung schlecht aufgenommen, insbesondere bei den Arbeitern und Rentnern.
Im November/Dezember 2008 wurde das Land während mehr als einem Monat von einer sozialen Explosion erschüttert, die vor allem von der proletarischen Jugend angeführt wurde und die Reaktion auf die Ermordung eines Jugendlichen durch die Polizei war. Die für das laufende Jahr angekündigten Maßnahmen der sozialistischen Regierung drohten eine soziale Explosion nicht nur bei den Studenten und Arbeitslosen auszulösen, sondern auch bei den führenden Bataillonen der Arbeiterklasse.
Ein Generalstreik am 24. Februar 2010 gegen die Sparpolitik wurde weithin befolgt, und die Mobilisierung von Regierungsbeamten brachte rund 40'000 Demonstranten zusammen. Eine große Anzahl von Pensionierten und Beamten demonstrierten auch am 3. März im Zentrum von Athen.
Die Ereignisse, die folgten, zeigten noch deutlicher, dass das Proletariat mobilisiert wurde: „Nur wenige Stunden nach der Ankündigung der neuen Maßnahmen griffen die entlassenen Arbeiter der Olympic Airways die Sondereinheiten der Polizei an; die Arbeiter besetzten den Hauptsitz des Unternehmens, wobei sie erklärten, dass die Besetzung für eine unbestimmte Zeit sei. Die Haupteinkaufsstraße von Athen war für einige Stunden blockiert." (Blog auf libcom.org)
In den Tagen vor dem Generalstreik am 11. März gab es eine Reihe von Streiks und Besetzungen: Entlassene Arbeiter von Olympic Airways besetzten während 8 Tagen die Buchhaltungsbüros, während die Mitarbeiter der Elektrizitätswerke die Arbeitsämter im Namen der „zukünftigen Arbeitslosen, die wir sind"besetzten. Die Arbeiter der staatlichen Druckerei besetzten ihren Arbeitsplatz und weigerten sich, die gesetzlichen Maßnahmen zur Kosteneinsparung zu drucken, wobei sie sich gleichzeitig darauf beriefen, dass das Gesetz, solange es nicht gedruckt ist, keine Gültigkeit habe. Die Angestellten des Steueramtes legten ihre Arbeit für 48 Stunden nieder, die Arbeiter der Fahrschulen im Norden streikten drei Tage, und selbst Richter und andere Justizbeamte machten jeden Tag während vier Stunden Pause. Während einigen Tagen funktionierte in Athen, Patras und Thessaloniki die Müllabfuhr nicht. In der Stadt Komitini kämpften die Arbeiter der Textilfirma ENKLO mit Protesten und Streiks: Zwei Banken wurden von den Arbeitern besetzt.
Doch auch wenn die Arbeiterklasse in Griechenland heute breiter mobilisiert ist als während der Kämpfe im November/Dezember 2008, ist die Bourgeoisie jetzt besser vorbereitet, um mit ihren Gewerkschaften die Antworten der Arbeiterklasse zu sabotieren.
Tatsächlich konnte sich die Bourgeoisie wappnen und die Wut und Kampfbereitschaft der Arbeiter in politische und ideologische Sackgassen lenken. Dank dieser Sackgassen verpuffte das ganze Potenzial der Selbstorganisierung der Kämpfe und der proletarischen Solidarität, das im Kampf der jüngeren Generation Ende 2008 begonnen hatte, folgenlos.
Die patriotische und nationalistische Propaganda wird in breitem Stil eingesetzt, um die Arbeiter voneinander zu trennen und sie von ihren Klassenbrüdern und -schwestern in den anderen Ländern zu isolieren: In Griechenland wird vor allem betont, dass die deutsche Bourgeoisie sich weigere, der griechischen Wirtschaft unter die Arme zu greifen, und die PASOK-Regierung greift hemmungslos auf die alten anti-deutschen Gefühle aus der Zeit der Nazi-Besatzung zurück.
Die Kontrolle durch die Parteien und Gewerkschaften schaffte es, die Arbeiter voneinander zu isolieren. So verwehrten die Angestellten von Olympic Airways jedem Betriebsfremden den Zugang zum von ihnen besetzten Gebäude. Die Gewerkschaftsführer ließen das Gebäude ohne jeden Beschluss einer Vollversammlung räumen. Als andere Angestellte in die Räumlichkeiten des Finanzministeriums gehen wollten, die von den Arbeitern der staatlichen Druckerei besetzt waren, wurden sie unter dem Vorwand weggeschickt, sie seien „nicht Angehörige des Ministeriums"!
Die große Wut der Arbeiter in Griechenland richtete sich gegen die PASOK und Gewerkschaftsführer in ihrem Dienst. Am 5. März wurde der Führer der Gewerkschaft GSEE, der Gewerkschaftszentrale für den privaten Sektor, misshandelt und geschlagen, als er versuchte, zur Menge zu sprechen; er musste von der Polizei beschützt werden. Er flüchtete in das Parlamentsgebäude unter dem Spott der Menge, die ihm zurief, er solle dorthin gehen, wo er hingehöre, nämlich in das Nest der Diebe, Mörder und Lügner.
Aber die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und deren gewerkschaftlicher Apparat, der PAME, präsentieren sich als „radikale" Alternative zur PASOK. Sie führen eine Kampagne, um die Verantwortung der Krise auf die Banker und das „Übel des Liberalismus" abzuschieben.
Im November/Dezember 2008 war die Bewegung weitgehend spontan und hielt Vollversammlungen in besetzten Schulen und Universitäten ab. Die Hauptsitze selbst der Kommunistischen Partei (KKE) und der Gewerkschaftszentrale PAME wurden besetzt, was ein deutliches Zeichen des Misstrauens gegenüber den Gewerkschaften und den Stalinisten war, welche die jungen Demonstranten einerseits als Lumpenproletarier, andererseits als verwöhnte Kinder der Bourgeoisie verhöhnten.
Aber dieses Mal hat sich die Kommunistische Partei Griechenlands offen an die Spitze der radikalsten Streiks, Demonstrationen und Besetzungen gestellt. „Am Morgen des 5. März haben in der Gewerkschaft PAME organisierte Arbeiter, die mit der Kommunistischen Partei verbunden ist, das Finanzministerium besetzt (...) sowie die Stadtverwaltung des Bezirks Trikala. Später hat die PAME auch vier TV-Sender in der Stadt Patras und den staatlichen Fernsehsender in Thessaloniki besetzen lassen, wobei die Nachrichtensprecher gezwungen worden sind, eine Erklärung gegen die staatlichen Maßnahmen zu verlesen"[3]. Viele Streiks wurden auch auf Initiative der KP ausgelöst, die vom 3. März an zu einem „Generalstreik" und für den 5. zur Demonstration aufrief, vom 4. an in verschiedenen Städten. Die PAME verstärkte die spektakulären Aktionen z.B. mit der Besetzung des Finanzministeriums und der lokalen Börsen.
Am 11. März wurde ganz Griechenland während 24 Stunden zu 90% gelähmt durch die Bewegung der Bevölkerung und deren Zorn, die dem zweiten Aufruf in weniger als einem Monat der beiden größten Gewerkschaften zum Generalstreik folgte. Insgesamt nahmen mehr als 3 Millionen Menschen (bei einer Gesamtbevölkerung von 11 Millionen) teil. Die Demonstration am 11. März war in Athen die größte seit 15 Jahren und zeigte die Entschlossenheit der Arbeiterklasse, der kapitalistischen Offensive etwas entgegenzustellen.
In allen Regionen der Welt, in Algerien, Russland, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo die eingewanderten Arbeiter maßlos und ohne jeglichen sozialen Schutz ausgebeutet werden, beim englischen Proletariat und bei den Studenten im ehemals reichsten Bundesstaat der USA, in Kalifornien, deren Bedingungen auf ein prekäres Niveau hinuntergedrückt wird, spiegelt die derzeitige Lage einen Trend in Richtung der Wiederaufnahme des Klassenkampfes auf internationaler Ebene wieder.
Die Bourgeoisie ist mit einer Situation konfrontiert, in der es nicht nur zusätzliche Entlassungen in bedrohten Unternehmen gibt, sondern die Staaten die Arbeiterklasse frontal angreifen müssen, um die Kosten der Schulden irgendwie abzuwälzen. In diesem Fall ist der direkt Verantwortliche für die Angriffe - der Staat - wesentlich einfacher auszumachen als im Falle der Entlassungen, wo der Staat sich mitunter sogar als „Beschützers" der Arbeiter ausgeben kann, wenn auch nur als schwacher. Die Tatsache, dass der Staat nun als das auftritt, was er ist, nämlich als Intereressenvertreter der ganzen kapitalistischen Klasse gegen die gesamte Arbeiterklasse, ist ein Faktor, der die Entwicklung des Klassenkampfes, seine Politisierung und Einheit begünstigt.
Alle Elemente, die sich in der aktuellen Situation entwickeln, sind die Zutaten für eine Explosion massiver Kämpfe. Aber der Zünder dafür wird sicherlich die Anhäufung von Verzweiflung und Empörung sein. Die Umsetzung der verschiedenen geplanten Sparmaßnahmen durch die Bourgeoisie in verschiedenen Ländern wird Gelegenheit für ebenso viele Kampfexperimente und Lehren für die Arbeiterklasse bieten.
Der Zusammenbruch des Stalinismus, und vor allem ihre ideologische Ausbeutung durch die Bourgeoisie mit der größten Lüge des Jahrhunderts, mit der die stalinistischen Regime mit dem Sozialismus gleichgesetzt wurden, hinterlassen ihre Spuren bis heute in der Arbeiterklasse.
Angesichts der schlagenden „Beweise" der Bourgeoisie - „der Kommunismus funktioniert nicht; der Beweis dafür ist, dass ihn die davon betroffenen Menschen zugunsten des Kapitalismus aufgegeben haben" - konnten sich die Arbeiter vom Projekt einer alternativen Gesellschaft zum Kapitalismus nur abwenden.
Die Situation ist in dieser Hinsicht im Vergleich zu 1968 sehr verschieden. Damals zeigte der massive Charakter der Arbeiterkämpfe, vor allem mit dem Streik im Mai 1968 in Frankreich und dem „heißen Herbst" 1969 in Italien, dass die Arbeiterklasse eine führende Kraft im Leben der Gesellschaft sein kann. Die Idee, sie könnte eines Tages den Kapitalismus stürzen, stammte nicht aus dem Reich der Träume, sie schien ganz anders als heute realisierbar.
Die Schwierigkeiten des Proletariats, massenhaft in den Kampf zu treten, die sich seit den 1990er Jahren zeigen, sind die Folge eines Mangels an Selbstvertrauen, das selbst durch das Auftreten großer Kämpfe seit 2003 noch nicht wiederhergestellt ist.
Nur durch die Entwicklung der Massenkämpfe wird das Proletariat wieder Vertrauen in die eigenen Kräfte gewinnen und seine eigene Perspektive in den Vordergrund zu stellen. Wir befinden uns daher in einer grundlegenden Phase, in der die Revolutionäre auf die Fähigkeit der Arbeiterklasse bauen sollten, die historische Dimension ihrer Kämpfe zu verstehen, ihre Feinde zu erkennen und die Kämpfe in die eigenen Hände zu nehmen.
So wichtig diese nächste Stufe des Klassenkampfes ist, bedeutet sie noch nicht zwangsläufig das Ende des Zögerns des Proletariats, sich entschlossen für die Fahrt zur Revolution einzuschiffen.
Bereits im Jahr 1852 betonte Marx den schwierigen und gewundenen Verlauf der proletarischen Revolution im Unterschied zu dem der bürgerlichen Revolutionen, die „wie die des achtzehnten Jahrhunderts, (...) rascher von Erfolg zu Erfolg" stürmen[4].
Dieser Unterschied zwischen Proletariat und Bourgeoisie in Zeiten der Revolution ist eine Folge der unterschiedlichen Bedingungen der bürgerlichen beziehungsweise proletarischen Revolution.
Die Ergreifung der politischen Macht durch die kapitalistische Klasse war der Endpunkt eines ganzen Prozesses der wirtschaftlichen Transformation in der feudalen Gesellschaft. In ihm wurden die alten feudalen Verhältnisse der Produktion nach und nach durch die kapitalistische Produktion verdrängt. Auf der Grundlage dieser neuen wirtschaftlichen Verhältnisse konnte die Bourgeoisie die politische Macht erobern.
Ganz anders ist der Prozess der proletarischen Revolution. Die kommunistischen Produktionsverhältnisse, die nicht Warenbeziehungen sind, können sich nicht innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft entwickeln. Weil die Arbeiterklasse die ausgebeutete Klasse im Kapitalismus ist, die per Definition kein Privateigentum an Produktionsmitteln hat, kann sie nicht über wirtschaftliche Stützpunkte für die Eroberung der politischen Macht verfügen. Ihre Stärken sind ihr Bewusstsein und ihre Organisation im Kampf. Im Gegensatz zur revolutionären Bourgeoisie muss der erste Akt der kommunistischen Umgestaltung der sozialen Beziehungen aus einem bewussten und vorsätzlichen Akt bestehen: der Eroberung der politischen Macht weltweit durch das gesamte in Arbeiterräten organisierte Proletariat.
Die Ungeheuerlichkeit dieser Aufgabe kann das Proletariat natürlich zögern, an seiner eigenen Stärke zweifeln lassen. Aber es ist der einzige Weg für das Überleben der Menschheit: die Abschaffung des Kapitalismus und der Ausbeutung, und die Schaffung einer neuen Gesellschaft.
FW, 31. März 2010
[1] Selbstverständlich hat der Bankrott eines Staates nicht die gleichen Merkmale wie derjenige eines Unternehmens: Wenn er unfähig würde, seine Schulden zurück zu bezahlen, so kann er nicht einfach den «Schlüssel abgeben", alle Staatsangestellten entlassen und seine eigenen Strukturen auflösen (Polizei, Armee, Lehrerschaft, Verwaltung ...), auch wenn in gewissen Ländern (namentlich in Russland und einigen afrikanischen Ländern) die Staatsangestellten aufgrund der Krise tatsächlich während Monaten nicht bezahlt wurden...
[2] Vgl. die folgenden Artikel auf unserer Webseite de.internationalism.org: Zu Großbritannien: „Streiks in den Erdölraffinerien und Kraftwerken: Arbeiter fangen an, den Nationalismus infrage zu stellen"; zur Türkei: «Solidarität mit dem Widerstand der Tekel-Beschäftigten gegen die Regierung und die Gewerkschaften!"; zu Vigo/Spanien: „Gemeinsame Vollversammlungen und Demonstrationen von Arbeitslosen und Beschäftigten"
[3] Nach libcom.org: http:/libcom.org/news/mass-strikes-greece-response-new-measures-04032010
[4] Aus «Der achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte»
„Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, antagonistisch nicht in dem Sinn von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden Antagonismus, aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus. Mit dieser Gesellschaftsformation schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab.“
Wir werden später auf die spezifischen Antagonismen zurückkommen, die Marx als der kapitalistischen Gesellschaft innewohnend betrachtete und die die Grundlage für sein Urteil verschafften, dass der Kapitalismus wie all die früheren Formen der Klassenausbeutung nur als eine Übergangsgesellschaft betrachtet werden kann. Bevor wir jedoch fortfahren, möchten wir auf einen Vorwurf antworten, der gegen die Marxisten erhoben worden war, die versucht hatten, den Aufstieg und Fall der kapitalistischen Gesellschaft in den Zusammenhang mit der Abfolge früherer Produktionsweisen zu platzieren – mit anderen Worten, die marxistische Methode zu nutzen, um den Kapitalismus als einen Moment im Gesamtdrama der menschlichen Geschichte zu untersuchen. In Diskussionen mit Elementen einer neuen Generation, die zu revolutionären Positionen strebt (zum Beispiel im Internet-Diskussionsforum libcom.org), ist solch ein Vorgehen kritisiert worden, weil es nicht mehr anbiete als eine „metaphysische Geschichte“, die letztlich zu messianischen Schlussfolgerungen führe; an anderer Stelle im gleichen Forum[1] wird unser Bemühen, Schlüsse hinsichtlich des Aufstiegs und Niedergangs des Kapitalismus aus einer weitaus historischeren Perspektive zu ziehen, als ein Beispiel für ein Unterfangen betrachtet, das Marx selbst abgelehnt habe: „Die Suche nach einer allgemeinen geschichtsphilosophischen Theorie, deren größter Vorzug darin besteht, übergeschichtlich zu sein“
Dieses Zitat von Marx ist oftmals aus dem Zusammenhang gerissen worden, um die Ansicht zu untermauern, dass Marx niemals versucht habe, eine allgemeine Geschichtstheorie zu erarbeiten, sondern lediglich darauf aus gewesen sei, die Gesetze des Kapitalismus zu ergründen. In welchem Zusammenhang stand denn nun dieses Zitat?
Es stammt aus einem Brief von Marx an den Herausgeber der russischen Zeitschrift Otetschestwennyje Sapiski (November 1877), in dem er auf eine „russische Kritik“ antwortete, die exakt Marx‘ Geschichtstheorie als ein dogmatisches und mechanisches Schema porträtierte, in dem jede Nation dazu bestimmt sei, exakt dieselben Entwicklungsmuster zu durchlaufen, die Marx bezüglich des Aufstiegs des Kapitalismus in Europa analysiert hatte. Seine Kritik „Aber das ist meinem Kritiker zu wenig. Er muß durchaus meine historische Skizze von der Entstehung des Kapitalismus in Westeuropa in eine geschichtsphilosophische Theorie des allgemeinen Entwicklungsganges verwandeln, der allen Völkern schicksalsmäßig vorgeschrieben ist, was immer die geschichtlichen Umstände sein mögen, in denen sie sich befinden...“. Und in der Tat war diese Tendenz unter den ersten russischen Marxisten stark ausgeprägt; sie neigten oftmals dazu, den Marxismus als eine simple Entschuldigung für die kapitalistische Entwicklung zu präsentieren, und gingen davon aus, dass Russland unbedingt seine eigene bürgerliche Revolution durchmachen müsse, ehe es in der Lage sei, zur Stufe der sozialistischen Revolution überzugehen. Diese Tendenz trat später erneut in Erscheinung, diesmal in Form des Menschewismus.
In fraglichem Brief kommt Marx faktisch aber zu einem völlig anderen Schluss:
„Um die ökonomische Entwicklung Rußlands in voller Sachkenntnis beurteilen zu können, habe ich Russisch gelernt und dann lange Jahre hindurch die darauf bezüglichen offiziellen und sonstigen Druckschriften studiert. Das Resultat, wobei ich angekommen bin, ist dies: Fährt Rußland fort, den Weg zu verfolgen, den es seit 1861 eingeschlagen hat, so wird es die schönste Chance verlieren, die die Geschichte jemals einem Volk dargeboten hat, um dafür alle verhängnisvollen Wechselfälle des kapitalistischen Systems durchzumachen.“
Unter dem Strich meinte Marx ganz sicher nicht, dass seine Methode zur Analysierung der Geschichte im Allgemeinen samt und sonders auf jedes Land angewendet werden kann und dass seine Geschichtstheorie kein rigides System des „universellen Fortschritts“ ist, kein linearer, mechanischer Prozess, der immer in dieselbe fortschrittliche Richtung weist (selbst wenn das, was Marxismus genannt wurde, zunächst in den Händen der Menschewiki, später in jenen des Stalinismus zu genau dem wurde). Er hatte Anlass anzunehmen, dass Russland durch die Verschmelzung einer proletarischen Revolution in den fortgeschrittenen westlichen Ländern mit den traditionellen Formen der Gemeinwirtschaft auf der Basis der russischen Landwirtschaft von den Schrecken der kapitalistischen Umwandlung ausgenommen bleiben könnte. Die Tatsache, dass die Dinge am Ende anders ausgingen, nimmt dem Open-End-Szenario von Marx nicht seine Relevanz. Darüber hinaus: seine Methode ist konkret und schließt die Berücksichtigung der aktuellen historischen Umstände, unter denen eine entsprechende Gesellschaftsform auftritt, mit ein. Im gleichen Brief gibt Marx ein Beispiel dafür, wie er arbeitet: „An mehreren Stellen im „Kapital“ spiele ich auf das Schicksal an, das die Plebejer des alten Roms ereilte. Das waren ursprünglich freie Bauern, die, jeder auf eigne Rechnung, ihr eignes Stück Land bebauten. Im Verlauf der römischen Geschichte wurden sie expropriiert. Die gleiche Entwicklung, die sie von ihren Produktions- und Subsistenzmitteln trennte, schloß nicht nur die Bildung des Großgrundbesitzes, sondern auch die großer Geldkapitalien ein. So gab es eines schönen Tages auf der einen Seite freie Menschen, die von allem, außer ihrer Arbeitskraft, entblößt waren, und auf der andern, zur Ausbeutung dieser Arbeit, die Besitzer all der erworbenen Reichtümer. Was geschah? Die römischen Proletarier wurden nicht Lohnarbeiter, sondern ein faulenzender Mob, noch verächtlicher als die sog. „poor whites“ der Südstaaten der Vereinigten Staaten, und an ihrer Seite entwickelte sich keine kapitalistische, sondern eine auf Sklavenarbeit beruhende Produktionsweise. Ereignisse von einer schlagenden Analogie, die sich aber in einem unterschiedlichen historischen Milieu abspielten, führten also zu ganz verschiedenen Ergebnissen. Wenn man jede dieser Entwicklungen für sich studiert und sie dann miteinander vergleicht, wird man leicht den Schlüssel zu dieser Erscheinung finden, aber man wird niemals dahin gelangen mit dem Universalschlüssel einer allgemeinen geschichtsphilosophischen Theorie, deren größter Vorzug darin besteht, übergeschichtlich zu sein.“
Doch was dieses Beispiel nicht zeigt, ist, dass Marx‘ Theorie jeden Versuch ausschloss, eine allgemeine Dynamik der vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen zu skizzieren, und dass daher jede allgemeine Diskussion über Aufstieg und Fall von Gesellschaftssystemen ein unsinniges und aussichtsloses Unterfangen sei. Der unerhörte Aufwand an Energie, den Marx in seinen letzten Jahren in das Studium der russischen „Kommune“ und der allgemeinen Frage des Urkommunismus steckte, und der Umfang des Platzes, der der Analyse der vorkapitalistischen Gesellschaftsformen in den Grundrissen und anderswo gewidmet wurde, spricht deutlich gegen diesen Vorschlag. Letztgenanntes Beispiel zeigt, dass Marx auf ein separates Studium von Gesellschaftsformen beharrte, statt die verschiedenen Formen miteinander zu vergleichen, um auf diese Weise „einen Fingerzeig zu finden“ auf das fragliche Phänomen; es zeigt nicht, dass Marx sich weigerte, vom Besonderen zum Allgemeinen zu gehen, als es darum ging, zu einem Verständnis der Bewegungskräfte der Geschichte zu gelangen.
Vor allem wird der Vorwurf, dass Versuche, den Kapitalismus im Zusammenhang mit der sukzessiven Abfolge von Produktionsweisen zu lokalisieren, ein „über-historisches“ Projekt seien, von der Herangehensweise im Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie widerlegt. Dort umreißt Marx seine allgemeine Vorgehensweise und verkündet unmissverständlich das Gebiet seiner Untersuchung. Im vorherigen Artikel untersuchten wir die Passage, die sich mit früheren Gesellschaftsformen (Urkommunismus, asiatischer Despotismus, Sklaverei, Feudalismus, etc.) befasste. Wir zeigten, wie über die Gründe für ihren Aufstieg und Niedergang – genauer: der Etablierung von gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen, die mal als Ansporn, mal als Hindernis in der Entwicklung der Produktivkräfte handeln – in der Tat bestimmte allgemeine Schlussfolgerungen gezogen werden konnten. In der Textpassage, die wir nun betrachten, benutzt Marx eine bloße Phrase – aber eine, die es in sich hat -, um die Tatsache zu unterstreichen, dass sein Untersuchungsgebiet die gesamte menschliche Geschichte umfasst: „Mit dieser Gesellschaftsformation schließt die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab.“ Was genau meint Marx mit diesem Begriff?
Als 1989 der Ostblock zusammenbrach, stürzte sich die herrschende Klasse im Westen in eine massive Propagandakampagne, die auf dem Slogan „Der Kommunismus ist tot“ beruhte und frohlockend den Schluss zog, dass Marx, der „Prophet“ des Kommunismus, endgültig diskreditiert sei. Das „philosophische“ Glanzstück in dieser Kampagne lieferte Francis Fukuyama, der nicht zögerte, das „Ende der Geschichte“ anzukündigen – der definitive Triumph des liberal-demokratischen Kapitalismus, der – zugegeben auf fehlerhafte, aber grundsätzlich menschliche Weise – dem Krieg und der Armut ein Ende bereiten und die Menschheit von der Bürde der weltweiten Krisen befreien werde. „Was wir möglicherweise erleben, ist nicht bloß das Ende des Kalten Krieges oder eine besondere Phase der Nachkriegsgeschichte, sondern das Ende der Geschichte als solcher …Das heißt der Endpunkt der ideologischen Entwicklung der Menschheit und die Universalisierung der westlichen liberalen Demokratie als letzte menschliche Regierungsform.“[2]
Die beiden Jahrzehnte, die diesen Ereignissen folgten, mit ihrer allgegenwärtigen militärischen Barbarei und ihren Völkermorden, mit der wachsenden Kluft zwischen arm und reich auf weltweiter Ebene, mit der wachsenden Gewissheit, dass wir einer Umweltkatastrophe planetarischen Ausmaßes entgegensteuern, unterminierten schnell Fukuyamas selbstgefällige These, die er zusammen mit seiner unkritischen Unterstützung für die herrschende neo-konservative Fraktion im US-Staat etwas modifizierte. Und heute, mit dem Ausbruch einer tiefen Wirtschaftskrise in dem Zentrum des triumphierenden liberal-demokratischen Kapitalismus, gibt man sich mit solchen Behauptungen nur noch der Lächerlichkeit preis – inzwischen können auch Marx und seine Visionen eines Kapitalismus, der durch die Krise abgewrackt wird, nicht länger als Überbleibsel einer längst vergangenen Ära der Dinosaurier abgetan werden.
Marx bemerkte schon sehr früh, dass die Bourgeoisie der Ansicht war, dass ihr System das Ende der Geschichte sei, der Gipfel und das Endziel des menschlichen Strebens und der logischste Ausdruck der menschlichen Natur. Selbst ein revolutionärer Denker wie Hegel, dessen dialektische Methode auf der Erkenntnis über die Vergänglichkeit aller historischen Entwicklungsstufen und Ausdrücke beruhte, fiel in diese Falle, betrachtete er doch das herrschende preußische Regime als den endgültigen Ruhesitz des Absoluten Geistes.
Wie wir in den vorhergehenden Artikeln gesehen haben, lehnte Marx die Auffassung ab, dass der Kapitalismus, der auf Privateigentum und Ausbeutung der menschlichen Arbeit basiert, der vollkommene Ausdruck der menschlichen Natur ist. Er wies darauf hin, dass die erste Gesellschaftsform des Menschen eine Form des Kommunismus gewesen war, und identifizierte den Kapitalismus als lediglich eine unter vielen Klassengesellschaften, die der Auflösung des Urkommunismus folgten – genauso dazu verdammt, in Folge seiner inneren Widersprüche zu verschwinden.
Doch der Kapitalismus ist in der Tat die letzte Episode in dieser Reihe, „...die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, antagonistisch nicht im Sinn von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden Antagonismus...“.
Und warum? Weil „...,aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus.“
Der Begriff „Produktivkräfte“ wird mittlerweile mit einigem Misstrauen beäugt, da Marx ihn benutzt hatte. Verständlich, hat doch (wie wir im vorherigen Kapitel erklärten) die Perversion des Marxismus durch die stalinistische Konterrevolution dem Begriff der Entwicklung der Produktivkräfte eine böse Bedeutung verliehen, die Bilder der stachanowistischen Ausbeutung und des Aufbaus einer monströsen schwerindustriellen Kriegswirtschaft heraufbeschwören. Und in den letzten paar Jahrzehnten hat die rapide Zuspitzung der ökologischen Krise den fürchterlichen Preis offenbart, den die Menschheit für die Fortsetzung der hektischen „Weiterentwicklung“ des Kapitalismus bezahlt.
Laut Marx können die Produktivkräfte nicht als eine irgendwie autonome Macht verstanden werden, die die menschliche Geschichte bestimmt – dies trifft nur insoweit zu, dass sie als das Produkt entfremdeter Arbeit aus den Händen der Spezies geraten sind, die sie zunächst entwickelt hatte. Doch aus dem gleichen Grund stehen diese Kräfte an sich, durch besondere Formen der gesellschaftlichen Organisation in Bewegung gesetzt, der Menschheit nicht feindselig gegenüber, wie in den anti-technologischen Albträumen der Primitivisten und anderer Anarchisten. Im Gegenteil, auf einer bestimmten Stufe ihrer kostspieligen und widersprüchlichen Entwicklung sind sie der Schlüssel zur Befreiung der menschlichen Spezies aus einer Jahrtausende alten Mühsal und Ausbeutung, indem sie dafür sorgen, dass die Menschheit ihre gesellschaftlichen Verhältnisse so weit umorganisiert, dass die immense Macht, die sich im Kapitalismus entwickelt hat, für die Befriedigung der tatsächlichen menschlichen Bedürfnisse genutzt werden kann.
Solch eine Umorganisierung ist in der Tat wegen der innerkapitalistischen Existenz einer „Produktivkraft“, des Proletariats, möglich, die erstmals sowohl eine ausgebeutete als auch eine revolutionäre Klasse ist, im Gegensatz beispielsweise zur Bourgeoisie, die, obwohl sie in der Opposition zur alten feudalen Klasse revolutionär war, selbst zum Geburtshelfer einer neuen Form der Klassenausbeutung wurde. Die Arbeiterklasse dagegen hat kein Interesse, ein neues Ausbeutungssystem zu errichten, weil sie sich nur befreien kann, wenn sie die Menschheit im Allgemeinen befreit. Wie Marx es in Die deutsche Ideologie formulierte: „daß in allen bisherigen Revolutionen die Art der Tätigkeit stets unangetastet blieb und es sich nur um eine andre Distribution dieser Tätigkeit, um eine neue Verteilung der Arbeit an andre Personen handelte, während die kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt und die Herrschaft aller Klassen mit den Klassen selbst aufhebt, weil sie durch die Klasse bewirkt wird, die in der Gesellschaft für keine Klasse mehr gilt, nicht als Klasse anerkannt wird, schon der Ausdruck der Auflösung aller Klassen, Nationalitäten etc. innerhalb der jetzigen Gesellschaft ist“.
Dies bedeutet jedoch auch, die Menschheit von den Narben einer Jahrtausende alten Klassenherrschaft und, mehr noch, von den Hunderttausenden von Jahren zu befreien, in denen die Menschheit von materiellem Mangel und vom Daseinskampf dominiert wurde.
Die Menschheit gelangt also zu einem Punkt, an dem es zu einem definitiven Bruch mit allen früheren historischen Epochen kommt. Daher spricht Marx vom „Ende der Vorgeschichte“. Wenn es dem Proletariat gelingt, die Herrschaft des Kapitals zu überwinden und, nach einer mehr oder weniger langen Übergangsperiode, eine kommunistische Weltgesellschaft zu schaffen, dann wird es künftigen Menschengeschlechtern möglich sein, in vollem Bewusstsein ihre eigene Geschichte zu machen. Engels formuliert diesen Punkt sehr eloquent in einer Passage im Anti-Dühring:
„Mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Warenproduktion beseitigt und damit die Herrschaft des Produkts über die Produzenten. Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßige bewußte Organisation. Der Kampf ums Einzeldasein hört auf. Damit erst scheidet der Mensch, in gewissem Sinn, endgültig aus dem Tierreich, tritt aus tierischen Daseinsbedingungen in wirklich menschliche. Der Umkreis der die Menschen umgebenden Lebensbedingungen, der die Menschen bis jetzt beherrschte, tritt jetzt unter die Herrschaft und Kontrolle der Menschen, die nun zum ersten Male bewußte, wirkliche Herren der Natur, weil und indem sie Herren ihrer eignen Vergesellschaftung werden. Die Gesetze ihres eignen gesellschaftlichen Tuns, die ihnen bisher als fremde, sie beherrschende Naturgesetze gegenüberstanden, werden dann von den Menschen mit voller Sachkenntnis angewandt und damit beherrscht. Die eigne Vergesellschaftung der Menschen, die ihnen bisher als von Natur und Geschichte oktroyiert gegenüberstand, wird jetzt ihre eigne freie Tat. Die objektiven, fremden Mächte, die bisher die Geschichte beherrschten, treten unter die Kontrolle der Menschen selbst. Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte mit vollem Bewußtsein selbst machen, erst von da an werden die von ihnen in Bewegung gesetzten gesellschaftlichen Ursachen vorwiegend und in stets steigendem Maße auch die von ihnen gewollten Wirkungen haben. Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit.“
In solchen Passagen bekräftigen Marx und Engels den weiten Horizont ihrer historischen Vision, zeigen die zugrundeliegende Einheit aller bis dahin existierenden Epochen der menschlichen Geschichte auf und legen dar, wie der historische Prozess, ungeachtet der Tatsache, dass all das unbewusst, blind abläuft, dennoch die Bedingungen für einen qualitativen Schritt schafft, der nicht weniger umwälzend ist wie das erste Auftreten des Menschen aus dem Tierreich.
Diese grandiose Vision wurde von Trotzki fünfzig Jahre später, am 27. November 1932, in einer Lesung vor dänischen Studenten, nicht lange nach seinem Exil aus Russland, wiederholt. Trotzki berief sich dabei auf das Material, das die menschlichen und Naturwissenschaften geschaffen hatten, insbesondere auf die Entdeckungen der Psychoanalyse, um genauer aufzuzeigen, was dieser Schritt für das Innenleben des Menschen beinhaltet: „Die Anthropologie, Biologie, Physiologie, Psychologie haben Berge von Material gesammelt, um vor dem Menschen in vollem Umfange die Aufgaben seiner eigenen körperlichen und geistigen Vervollkommnung und weiteren Entwicklung aufzurichten. Die Psychoanalyse hob mit Sigmund Freuds genialer Hand den Deckel vom Brunnen, der poetisch die „Seele“ des Menschen genannt wird. Und was hat sich erwiesen? Unser bewußtes Denken bildet nur ein Teilchen in der Arbeit der finsteren psychischen Kräfte. Gelehrte Taucher steigen auf den Boden des Ozeans und fotografieren dort geheimnisvolle Fische. Indem der menschliche Gedanke auf den Boden seines eigenen seelischen Brunnens hinabsteigt. muß er die geheimnisvollsten Triebkräfte der Psyche beleuchten und sie der Vernunft und dem Willen unterwerfen. Ist er einmal mit den anarchischen Kräften der eigenen Gesellschaft fertig geworden, wird der Mensch sich selbst in Arbeit nehmen, in den Mörser, in die Retorte des Chemikers. Die Menschheit wird zum ersten Male sich selbst als Rohmaterial, bestenfalls als physisches und psychisches Halbfabrikat betrachten.“[3]
In beiden Textpassagen wird deutlich gemacht, was alle bisherigen Geschichtsepochen einte: In diesem gewaltigen Zeitraum war der Mensch „...ein physisches und psychisches Halbfabrikat...“ – noch immer in einem gewissen Sinn eine Spezies im Übergang vom Tierreich zu einer voll ausgeprägten menschlichen Existenz.
Unter allen bisherigen Gesellschaften konnte einzig der Kapitalismus der Auftakt zu solch einem qualitativen Sprung sein, weil er die Produktivkräfte so weit entwickelt hat, dass die fundamentalen Probleme der materiellen Existenz der Menschheit – die Versorgung der Lebensbedürfnisse eines jeden auf dem Planeten – endlich gelöst werden können, was den Menschen die Freiheit ermöglicht, ihre kreativen Kapazitäten ohne Grenzen zu entwickeln und endlich ihr wahres, verstecktes Potenzial auszuschöpfen. Und hier wird die wahre Bedeutung der „Produktivkräfte“ offensichtlich: Die Produktivkräfte sind im Wesentlichen die kreativen Kräfte der Menschheit, die sich bis dahin nur in einer beschränkten und verzerrten Weise ausdrücken konnten, die aber zu ihrer wahren Geltung kommen, sobald die Beschränkungen der Klassengesellschaft überwunden worden sind.
Mehr noch: der Kommunismus, eine Gesellschaft ohne Privateigentum und Ausbeutung, ist zur einzig möglichen Grundlage für die Weiterentwicklung der Menschheit geworden, da die in der verallgemeinerten Lohnarbeit und der Warenproduktion verinnerlichten Widersprüche die Menschheit mit der Auflösung aller sozialen Bande und gar der Zerstörung der eigentlichen Grundlagen menschlichen Lebens bedrohen. Die Menschheit wird mit sich selbst und der Natur in Harmonie leben, oder sie wird überhaupt nicht leben. Marx‘ Einschätzung in Die deutsche Ideologie, verfasst in der Jugendzeit des Kapitalismus, wird umso dringlicher und unvermeidlicher, je tiefer der Kapitalismus in seinen Niedergang stürzt: „Es ist also jetzt so weit gekommen, daß die Individuen sich die vorhandene Totalität von Produktivkräften aneignen müssen, nicht nur um zu ihrer Selbstbetätigung zu kommen, sondern schon überhaupt um ihre Existenz sicherzustellen.“
Der Kommunismus löst somit das Grundrätsel der menschlichen Geschichte: Wie sichern wir uns die Lebensnotwendigkeiten, um das Leben in seiner ganzen Fülle zu genießen? Doch anders als die kapitalistische Ideologie betrachtet der kommunistische Standpunkt den Kommunismus nicht als einen statischen Endpunkt. In den Ökonomischen und philosophischen Manuskripten von 1844 stellt Marx den Kommunismus durchaus als „das aufgelöste Rätsel der Geschichte“ dar, aber er betrachtet ihn auch als Ausgangspunkt, von dem aus die wahre Geschichte der Menschheit beginnen kann: „Der Kommunismus ist die Position als Negation der Negation, darum das wirkliche, für die nächste geschichtliche Entwicklung notwendige Moment der menschlichen Emanzipation und Wiedergewinnung. Der Kommunismus ist die notwendige Gestalt und das energische Prinzip der nächsten Zukunft, aber der Kommunismus ist nicht als solcher das Ziel der menschlichen Entwicklung – die Gestalt der menschlichen Gesellschaft.“[4]
Bezeichnenderweise endet Marx‘ Plädoyer für die Notwendigkeit, auf die Vergangenheit zu schauen, mit einem Blick in die ferne Zukunft. Und auch dies steht völlig mit seiner Methode in Einklang, zum Ärgernis für jene, die meinen, Fragen von solcher Tragweite enden unweigerlich in der „Metaphysik“. In der Tat kann festgestellt werden, dass die Zukunft stets der Ausgangspunkt für Marx gewesen war. Wie er in den Thesen über Feuerbach erläutert, war der Standpunkt des neuen Materialismus – Grundlage für die Wahrnehmung der Realität durch die Arbeiterbewegung – nicht die Anhäufung von atomisierten Egos, die die bürgerliche Gesellschaft ausmacht, sondern die „vergesellschaftete Menschheit“ bzw. der Mensch, wie er in einer wahrhaft humanen Gesellschaft sein könnte. Mit anderen Worten: die gesamte geschichtliche Bewegung bis heute muss vom Ausgangspunkt der kommunistischen Zukunft beurteilt werden. Es ist wichtig, dies im Kopf zu haben, wenn wir dazu übergehen, zu analysieren, ob eine gegebene Gesellschaftsform Faktor des „Fortschritts“ ist oder ein System, dass das Fortschreiten der Menschheit aufhält. Der Standpunkt, der sämtliche Epochen in der Geschichte der Menschheit bis jetzt als zur „Vorgeschichte“ zugehörig betrachtet, basiert nicht auf einem Vollkommenheitsideal, dessen Gelingen unvermeidlich in die Menschheit einprogrammiert ist, sondern auf einer materiellen Möglichkeit, die der Natur des Menschen und seiner Interaktionen mit der äußeren Natur innewohnt – einer Möglichkeit, deren Realisierung scheitern kann, eben weil ihre Realisierung letztendlich von der bewussten menschlichen Tat abhängt. Doch die Tatsache, dass es keine Erfolgsgarantie für das kommunistische Projekt gibt, ändert nichts an dem Urteil, das die Revolutionäre, die „die Zukunft in der Gegenwart darstellen“, über die kapitalistische Gesellschaft fällen, sobald diese den Punkt erreicht hat, wo der Sprung ins Reich der Freiheit auf globaler Ebene möglich wird: dass der Kapitalismus als System der gesellschaftlichen Reproduktion überflüssig, obsolet, dekadent geworden ist.
Gerrard
[2] The End of History and the Last Man (Das Ende der Geschichte und der letzte Mensch), Fukuyama, 1992 (von uns aus dem Englischen übersetzt).
[3] Leo Trotzki, Kopenhagener Rede, November 1932, https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1932/11/koprede.htm [2]
[4] Ökonomisch-philosophische Manuskripte, Drittes Manuskript, Privateigentum und Arbeit
- Die Zunahme des Treibhauseffektes
- Die enorme Müllproduktion und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für dessen Entsorgung
- Die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und die Tatsache, dass diese von Umweltverschmutzung bedroht sind.
Wir setzen die Artikelserie mit diesem zweiten Artikel fort. Wir wollen aufzeigen, dass die Umweltprobleme nicht die Schuld irgendeiner Einzelperson oder bestimmter Unternehmen sind, die Umweltschutzgesetze nicht respektieren würden - obgleich man natürlich auch von der Verantwortung Einzelner oder einzelner Betriebe sprechen muss -, sondern dass der Kapitalismus mit seinen Gesetzen der Profitmaximierung der wahre Verantwortliche ist.
Anhand einer Reihe von Beispielen wollen wir versuchen aufzuzeigen, auf welcher Ebene die spezifischen Mechanismen des Kapitalismus die ausschlaggebenden Probleme der Umweltverschmutzung hervorrufen, unabhängig vom Willen irgendeines Kapitalisten. Die weit verbreitete Auffassung, der zufolge der heute erreichte wissenschaftliche Fortschritt uns immer besser vor Naturkatastrophen schützen und entscheidend dazu beitragen könnte, Umweltprobleme zu vermeiden, werden wir verwerfen. Anhand einiger Zitate von Amadeo Bordiga werden wir aufzeigen, dass die moderne kapitalistische Technologie keinesfalls gleichzusetzen ist mit Sicherheit, und dass die Entwicklung der Wissenschaft und der Forschung nicht von der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse geleitet wird, sondern den kapitalistischen Erfordernissen der Realisierung des größtmöglichen Profits unterworfen ist. Diese unterliegen den Gesetzen des Kapitalismus, der Konkurrenz und den Regeln des Marktes - und wenn notwendig - auch den Erfordernissen des Krieges. Im dritten und letzten Artikel wollen wir dann auf die Lösungsvorschläge der verschiedenen Bewegungen der Umweltschützer usw. Eingehen, um deren völlige Wirkungslosigkeit ungeachtet des guten Willens der meisten Umweltschützer aufzuzeigen und zu verdeutlichen, dass aus unserer Sicht nur die kommunistische Weltrevolution eine Lösung bringen kann.
Wer ist für die verschiedenen Umweltkatastrophen verantwortlich? Die Beantwortung dieser Frage ist von größter Wichtigkeit, nicht nur aus ethischer und moralischer Sicht, sondern auch und vor allem weil die richtige oder falsche Identifizierung der Ursachen des Problems entweder zur richtigen Lösung des Problems oder in eine Sackgasse führen kann. Wir werden zunächst eine Reihe von Gemeinplätzen, falschen Antworten oder nur teilweise richtigen Antworten besprechen, von denen es keiner gelingt, die wirkliche Ursache und den Verantwortlichen für die heute wachsende Umweltzerstörung zu identifizieren. Wir wollen im Gegenteil zeigen, in welchem Maße diese Dynamik keine gewünschte oder bewusste, sondern eine objektive Folge des kapitalistischen Systems ist.
Heute stellt sich jede Regierung jeweils „grüner" dar als alle anderen. Die Aussagen der Politiker, die man jahrzehntelang hören konnte, haben sich geändert. Aber diese Einschätzung ist immer noch eine klassische Position der Unternehmer, die gegenüber einer Gefahr, welche Arbeiter, die Bevölkerung oder die Umwelt bedroht, ganz einfach dazu neigt, die Tragweite des Problems herunterzuspielen, weil Maßnahmen für die Sicherheit am Arbeitsplatz bedeutet, mehr Geld auszugeben und aus den Arbeitern weniger Profit herauszupressen. Dies wird jeden Tag ersichtlich anhand der Hunderten von Toten, die tagtäglich auf der ganzen Welt auf der Arbeit sterben, was den Aussagen der Unternehmer zufolge nur als einfache Fatalität angesehen werden soll, obwohl es sich in Wirklichkeit um ein echtes Produkt der kapitalistischen Ausbeutung der Arbeitskraft handelt.
Der große Müllberg, der von der gegenwärtigen Gesellschaft produziert wird, wäre einigen Erklärungen zufolge auf -unserenì Konsumrausch zurückzuführen. Tatsächlich aber haben wir es mit einer Wirtschaftspolitik zu tun, die zur Förderung von Wettbewerbsvorteilen beim Verkauf von Waren seit Jahrzehnten danach strebt, Kosten zu senken, indem ungeheure Mengen nicht abbaubares Verpackungsmaterial verwendet werden.[1]
Anderen zufolge wäre die Umweltverschmutzung des Planeten die Folge eines mangelnden Bürgersinns, dem gegenüber man reagieren müsse, indem man Kampagnen zur Säuberung von Stränden, Parks usw. anleiert, um so die Bevölkerung besser zu erziehen. Aus gleicher Perspektive beschuldigt man einen Teil der Regierungen unfähig zu sein, die Anwendung der Gesetze im Schiffsverkehr usw. zu überwachen. Oder auch die Mafia und ihr Handel mit verseuchtem Müll werden herangezogen, als ob die Mafia diesen produzieren würde und nicht die Industrie, welche zum Zweck der Kostensenkung bei der Produktion auf die Mafia zurückgreift, um ihre schmutzigen Geschäfte zu verrichten. Industrielle seien tatsächlich schuld, aber nur die schlechten unter ihnen, die Habgierigen.
Als ein Vorfall bekannt wurde wie der Brand bei Thyssen Krupp in Turin im Dezember 2007, bei dem sieben Arbeiter aufgrund der Nichtbeachtung der Sicherheitsnormen und des Brandschutzes ums Leben kamen, kam es auch unter Industriellen zu Solidaritätsäußerungen. Aber dabei wurde nur die irreführende Idee geäußert, dass solche Vorfälle nur eintreten, weil es skrupellose Manager gebe, die sich auf Kosten der anderen bereicherten.
Aber stimmt das wirklich? Gibt es auf der einen Seite gierige Kapitalisten, und auf der anderen solche, die sich verantwortlich verhalten und gute Manager ihres Unternehmens sind?
Alle Ausbeutungsgesellschaften, die dem Kapitalismus vorhergingen, haben zur Umweltverschmutzung insbesondere im Bereich der Produktion mit beigetragen. Einige Gesellschaften, die die ihnen zur Verfügung stehenden Reichtümer der Natur exzessiv ausgebeutet haben, wie dies wahrscheinlich bei den Bewohnern der Osterinseln [2] der Fall war, sind aufgrund der Erschöpfung dieser Reichtümer untergegangen. Aber die dadurch entstandenen Schäden stellten in diesen Gesellschaften keine solch große Gefahr dar, dass dadurch das Überleben des Planeten selbst bedroht gewesen wäre, wie das heute mit dem Kapitalismus der Fall ist. Ein Grund dafür liegt darin, nachdem der Kapitalismus einen ungeheuer gewaltigen Schub des Wachstums der Produktivkräfte ermöglichte, hat der Kapitalismus auch zu einem ähnlich gewaltigen Anwachsen der damit verbundenen Gefahren geführt, die nun den gesamten Erdball bedrohen, nachdem das Kapital diesen vollständig erobert hat. Aber dies ist nicht die wesentlichste Erklärung, da die Entwicklung der Produktivkräfte als solche nicht notwendigerweise bezeichnend für die mangelnde Beherrschung derselben ist. Es geht vor allem darum, wie diese Produktivkräfte von der Gesellschaft verwendet und verwaltet werden. Dabei stellt sich der Kapitalismus als der Höhepunkt eines historischen Prozesses dar, bei dem alles der Herrschaft der Waren geopfert wird und ein weltweit bestimmendes, Waren produzierendes System regiert, in dem alles verkauft werden kann. Wenn die Gesellschaft aufgrund der Herrschaft der Warenbeziehungen in ein Chaos gestürzt wird, das weit über das enge Phänomen der Umweltverschmutzung hinausgeht, sondern auch zu einer Verknappung der Reichtümer der Natur führt, es dabei immer mehr zu einer wachsenden Verwundbarkeit durch „Naturkatastrophen" kommt, geschieht dies aufgrund einer Reihe von Gründen, die wir kurz zusammenfassen können:
- die Arbeitsteilung, mehr noch die Produktion unter der Herrschaft des Geldes und des Kapitals spaltet die Menschheit in eine Vielzahl von konkurrierenden Einheiten;
- das Ziel ist nicht die Produktion von Gebrauchswert, sondern die Produktion von Tauschwert ; von Waren, die um jeden Preis abgesetzt werden müssen, egal welche Konsequenzen dabei für die Menschheit und den Planeten entstehen, damit so Profite realisiert werden können.
Diese Notwendigkeit zwingt die Kapitalisten ungeachtet der mehr oder weniger großen Moral der einzelnen Kapitalisten dazu, ihr Unternehmen der Logik der größtmöglichen Ausbeutung der Arbeiterklasse zu unterwerfen.
Dies führt zu einer Verschwendung und einem gewaltigen Verschleiß der menschlichen Arbeitskraft und der Ressourcen der Erde, auf die Marx schon in Das Kapital hingewiesen hat:
„Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größre Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung der Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. (...) Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter" (Karl Marx, Das Kapital, Bd 1, IV. Abschnitt: Die Produktion des relativen Mehrwerts ; 13. Kapitel: Maschinerie und große Industrie, 10. Große Industrie und Agrikultur, MEW Bd 23, S. 529).
Als Gipfel der Irrationalität und der Absurdität der Produktion im Kapitalismus findet man nicht selten Unternehmen, die chemische Erzeugnisse herstellen, welche die Umwelt stark verschmutzen aber gleichzeitig auch Kläranlagen verkaufen, die den Boden und das Wasser von den gleichen Umweltverschmutzern säubern sollen. Andere stellen Zigaretten her und Produkte, die den Zigarettenkonsum verhindern sollen, wiederum andere sind Waffenhändler, verkaufen aber gleichzeitig pharmazeutische Produkte und medizinische Geräte.
Dies sind Gipfel, die in früheren Gesellschaften nicht existierten, als die Güter im Wesentlichen noch wegen ihres Gebrauchswertes hergestellt wurden (oder weil sie nützlich für die Produzenten oder die Ausgebeuteten waren oder dem Prunk der herrschenden Klasse dienten).
Das wahre Wesen der Warenproduktion macht es den Kapitalisten unmöglich, sich für den Nutzen, die Art und die Zusammensetzung der hergestellten Güter zu interessieren. Ihn interessiert einzig und allein, wie man damit Geld machen kann. Dieser Mechanismus hilft uns zu verstehen, warum eine Reihe von Waren nur eine begrenzte Haltbarkeit hat, wenn sie nicht gar vollständig nutzlos sind.
Da die kapitalistische Gesellschaft vollständig auf Konkurrenz fußt, bleiben die Kapitalisten, auch wenn sie in Teilbereichen Absprachen treffen können, im Wesentlichen unnachgiebige Konkurrenten. Die Marktlogik verlangt nämlich, dass das „Glück" des einen dem „Pech" des anderen entspricht. Dies bedeutet, dass jeder Kapitalist nur für sich selbst produziert, jeder ist Rivale des anderen, und es kann keine wirkliche Planung geben, die von allen Kapitalisten lokal und international abgestimmt wird, sondern nur einen ständigen Wettbewerb mit Verlierern und Gewinnern. Und in diesem Krieg ist einer der Verlierer gerade die Natur.
Bei der Wahl eines neuen industriellen Produktionsstandortes oder der Flächen und der Modalitäten eines neuen landwirtschaftlichen Anbauproduktes berücksichtigt der Unternehmer nur seine unmittelbaren Interessen; für ökologische Belange gibt es keinen Raum. Auf internationaler Ebene gibt es kein zentralisiertes Organ, welches über genügend Autorität verfügt, um eine Orientierung zu geben oder einzuhaltende Grenzen oder Kriterien zu erzwingen. Im Kapitalismus werden Entscheidungen nur getroffen aufgrund der Realisierung des höchst möglichen Profites, so dass z.B. ein Einzelkapitalist am profitträchtigsten produzieren und verkaufen kann, oder der Staat die Maßnahmen durchsetzt, die am besten den Interessen des nationalen Kapitals entsprechen und damit global den Kapitalisten der jeweiligen Nation.
Es gibt zwar in jedem Land Gesetze, die gewisse Grenzen setzen. Wenn sie zu starke Einschränkungen mit sich bringen, geschieht es häufig, dass ein Unternehmen zur Erhöhung seiner Rentabilität einen Teil seiner Produktion in Länder verlagert, wo diese Auflagen geringer sind. So hatte Union Carbide, ein amerikanischer Chemie-Multi eines seiner Werke in Bhopal, Indien, errichtet, ohne dort allerdings ein ausreichendes Kühlsystem zu installieren. 1984 entwich in diesem Werk eine giftige Gaswolke mit 40 Tonnen Pestiziden. Unmittelbar und in den darauffolgenden Jahren starben mindestens 16.000 Menschen, ca. Eine Million Menschen erlitten irreparable physische Schäden. [3] Die Regionen und Meere in der Dritten Welt werden oft als billige Müllhalden benutzt, wo Firmen, die ihren Sitz in den entwickelten Ländern haben, ihren Giftmüll entweder legal oder illegal entsorgen, weil die Kosten für die Entsorgung in den Industriestaaten sehr viel höher liegen.
Solange es auf internationaler Ebene keine koordinierte und zentralisierte Planung für die Landwirtschaft und Industrie gibt, welche die notwendige Abstimmung der heutigen Bedürfnisse und die Erhaltung der Umwelt für morgen sicherstellt, werden die Mechanismen des Kapitalismus weiterhin die Natur mit all ihren dramatischen Folgen zerstören.
Häufig wird die Schuld für diese Zustände den Multis oder einer besonderen Industriebranche aufgrund der Tatsache zugeschoben, dass die Ursprünge des Problems in den „anonymen" Mechanismen des Marktes liegen.
Aber könnte der Staat diesem Wahnsinn ein Ende setzen, wenn er verstärkt eingreifen würde? Nein, weil der Staat diese Anarchie nur „regulieren" kann. Durch die Verteidigung der Landesinteressen trägt der Staat zur Verstärkung der Konkurrenz bei. Im Gegensatz zu den Forderungen der NGO (Nicht-Regierungsorganisationen) und der Antiglobalisierungsbewegung vermag ein verstärktes Eingreifen des Staates die Probleme der kapitalistischen Anarchie nicht zu lösen. Übrigens hat der Staat ungeachtet des früher proklamierten „Liberalismus" , und wie die jüngste Krisenentwicklung wieder offenbarte, in Wirklichkeit schon verstärkt eingegriffen.
Wie wir gesehen haben ist das einzige Anliegen der Verkauf von Waren zu einem Höchstprofit. Aber es geht hier nicht um den Egoismus eines einzelnen, sondern um ein Gesetz des Systems, dem sich kein Unternehmen, ob groß oder klein, entziehen kann. Das wachsende Gewicht der Investitionskosten in der Industrie bedeutet, dass diese gewaltigen Investitionskosten nur durch einen immer größeren Absatz amortisiert werden können.
So muss zum Beispiel der Flugzeughersteller Airbus mindestens 600 Exemplare seines Großflugzeuges A 380 absetzen, bevor er damit Gewinn macht. Oder PKW-Hersteller müssen Hunderttausende Autos verkauft haben, bevor sich ihre Investitionskosten amortisieren. Kurzum, jeder Kapitalist muss so viel wie möglich verkaufen und dafür ständig nach neuen Märkten suchen. Aber dazu muss er sich auf einem gesättigten Markt gegenüber seinen Konkurrenten durchsetzen, was ihn wiederum zwingt, mit einem Riesenaufwand Werbung zu betreiben, die eine große Verschwendung menschlicher Arbeit und natürlicher Ressourcen mit sich bringt, wie z.B. der Druck von Tausenden Tonnen Werbematerial auf Hochglanzpapier.
Diese Gesetze der Wirtschaft (welche zur Kostensenkung treiben, und damit auch eine Minderung der Produktionsqualität und Massenproduktion erforderlich machen) bewirken, dass der Kapitalist sich kaum um die Zusammensetzung seiner Produkte kümmert und sich auch nicht die Frage stellen muss, ob die Erzeugnisse gefährlich sind. Obwohl die Gesundheitsgefährdung durch fossile Brennstoffe (als Krebserreger) seit langem bekannt ist, ergreift die Industrie keine entsprechenden Maßnahmen, um das Übel zu bekämpfen. Die Gesundheitsgefährdungen durch Asbest sind auch seit Jahren bekannt. Aber erst das qualvolle Dahinsiechen und der schreckliche Tod von Tausenden von Arbeitern haben die Industrie gezwungen, sehr spät zu reagieren. Viele Nahrungsmittel sind mit Zucker und Salz oder mit Glutamaten angereichert, um deren Absatz auf Kosten von Gesundheitsschädigungen zu erhöhen. Eine unglaublich große Menge von Nahrungsmittelzusätzen wird verwendet, ohne dass die daraus entstehenden Risiken für den Verbraucher bekannt sind, obwohl man mittlerweile festgestellt hat, dass viele Krebsarten ernährungsbedingt sind.
Einer der irrationalsten Aspekte des gegenwärtigen Produktionssystems ist, dass die Waren oft um die Welt befördert werden, bevor sie als Endprodukt auf den Markt gelangen. Dies hängt keineswegs mit der Beschaffenheit der Waren zusammen oder einem Erfordernis der Produktion, sondern einzig weil die Verarbeitung in dem einen oder anderen Land günstiger ist. Ein berühmtes Beispiel ist die Herstellung von Joghurt. Milch wird von Deutschland nach Italien über die Alpen transportiert, wo sie zu Joghurt verarbeitet wird, um dann wieder von Italien nach Deutschland befördert zu werden. Ein anderes Beispiel ist das der Automobilproduktion. Die Einzelteile kommen aus verschiedenen Ländern, bevor sie in der Endmontage am Fließband zusammengeführt werden. Im Allgemeinen, bevor ein Gut auf dem Markt zur Verfügung steht, haben seine Bestandteile schon Tausende von Kilometern in der unterschiedlichsten Form zurückgelegt. Elektro- oder Haushaltsgeräte werden z.B. in China in diesem Fall aufgrund der sehr niedrigen Löhne hergestellt, und weil es dort quasi keine oder nur ganz wenige Umweltauflagen gibt, obwohl es aus technischer Sicht keine Schwierigkeiten gegeben hätte, diese Produkte dort zu produzieren, wo sie verkauft werden. Oft werden Produkte zunächst im „Verbraucherland" auf den Markt gebracht, bevor deren Produktion dann später ausgelagert wird, weil die Produktionskosten, vor allem die Löhne anderswo niedriger sind.
Das Beispiel von Weinen, die in Chile, Australien oder in Kalifornien hergestellt und auf europäischen Märkten verkauft werden, während gleichzeitig in Europa die Reben aufgrund der Überproduktion verfaulen, oder das Beispiel der Äpfel, die aus Südafrika importiert werden, während die europäischen Apfelbauern nicht mehr wissen wohin mit ihren Überschüssen, sprechen auch für sich.
Aufgrund der Logik des maximalen Profits anstatt eines rationalen Einsatzes und aufgrund des minimalen Einsatzes von Menschen, Energie und natürlichen Ressourcen, werden die Waren irgendwo auf dem Planeten hergestellt, um dann in andere Teile der Welt zum Verkauf befördert zu werden. Deshalb wundert es nicht, dass Waren mit gleicher technologischer Zusammensetzung und Wert wie Automobile, die von verschiedenen Herstellern auf der Welt produziert werden, in Europa zusammengebaut werden, um anschließend in Japan oder den USA verkauft zu werden, während gleichzeitig in Japan oder Korea fabrizierte Autos auf dem europäischen Markt verkauft werden. Dieses Transportnetz an Waren - in dem nur Waren hin- und her gekarrt werden aufgrund der Profitgesetze, der Konkurrenz und den Marktgesetzen, ist völlig wahnwitzig und ursächlich mitverantwortlich für die katastrophalen Folgen der Umweltzerstörung.
Eine rationale Planung der Produktion und des Vertriebs könnte diese Güter zur Verfügung stellen, ohne dass sie diese verrückten Transportwege hinter sich gelegt haben, die nur ein Ausdruck des kapitalistischen Wahnsinns sind.
Die Umweltzerstörung, die aufgrund des aufgeblähten Transportnetzes entsteht, ist keine vorübergehende Erscheinung, da deren Wurzeln im tiefgreifenden Widerspruch zwischen Stadt und Land zu finden sind. Ursprünglich hat die Arbeitsteilung innerhalb der Länder Industrie und Handel von der Arbeit auf dem Land abgeschnitten. Daraus ist der Gegensatz zwischen Stand und Land mit den daraus folgenden Interessensgegensätzen entstanden. Im Kapitalismus hat dieser Gegensatz seinen Höhepunkt des Wahnsinns erreicht[4].
Zur Zeit der Landwirtschaft im Mittelalter, als die Produktion ausschließlich aus Subsistenzgründen erfolgte, war es kaum erforderlich, Waren zu transportieren. Anfang des 19. Jahrhunderts, als die Arbeiter oft in der Nähe der Fabrik oder des Bergwerkes lebten, war es meist möglich, zu Fuß zu Arbeit zu gehen. Seitdem haben sich die Entfernungen zwischen Arbeitsplatz und Wohnort immer mehr erhöht. Zudem haben die Konzentration von Kapital an bestimmten Standorten (wie zum Beispiel in Industriegebieten oder unbewohnten Gebieten, um Steuervorteile oder günstige Bodenpreise auszunutzen), die Deindustrialisierung und die Explosion der Arbeitslosigkeit, verbunden mit dem Verlust von Arbeitsplätzen, die Transportwege ohnehin stark verändert. So müssen jeden Tag Hunderte von Millionen Menschen oft über lange Entfernungen pendeln. Viele von ihnen sind dabei auf Autos angewiesen, weil sie oft mit öffentlichen Verkehrsmitteln ihre Arbeitsstätte nicht erreichen.
Aber schlimmer noch: die Konzentration von großen Menschenmassen am gleichen Ort wirft eine Reihe von Problemen auf, die ebenso die Umwelt in bestimmten Gebieten gefährden. Die Funktionsweise einer Bevölkerungskonzentration von 10-20 Millionen Menschen auf engstem Raum führt zu einer Anhäufung von Müll (menschliche Ausscheidungen, Haushaltsmüll, Abgase aus Fahrzeugen, der Industrie und HeizungenÖ), an einem Ort, der zu eng und klein geworden ist, um die Abfälle ausreichend zu entsorgen.
Mit der Entwicklung des Kapitalismus wurde die Landwirtschaft den tiefst greifenden Umwälzungen ihrer mehr als 10.000 jährigen Geschichte unterworfen. Diese traten ein, weil die Landwirtschaft im Kapitalismus im Gegensatz zu den früheren Produktionsformen, als die Landwirtschaft für die direkten Bedürfnisse der Menschen produzierte, sich seitdem den Gesetzen des Weltmarktes unterwerfen musste. Dies bedeutete immer auf Kostensenkungen ausgerichtet zu sein. Die Notwendigkeit, ständig die Rentabilität zu erhöhen, hat katastrophale Auswirkungen auf die Qualität der Böden gehabt.
Diese Konsequenzen, die untrennbar mit dem Aufkommen des starken Gegensatzes zwischen Stadt und Land verbunden sind, wurden schon im 19. Jahrhundert von der Arbeiterbewegung angeprangert. Anhand der folgenden Zitate kann man erkennen, wie schon Marx auf die untrennbare Verbindung zwischen der Ausbeutung der Arbeiterklasse und der Verwüstung der Böden hingewiesen hat: „Auf der anderen Seite reduziert das große Grundeigentum die agrikole Bevölkerung auf ein beständig sinkendes Minimum und setzt ihr eine beständig wachsende, in großen Städten zusammengedrängte Industriebevölkerung entgegen; es erzeugt dadurch Bedingungen, die einen unheilbaren Riss hervorrufen in dem Zusammenhang des gesellschaftlichen und durch die Naturgesetze des Lebens vorgeschriebenen Stoffwechsels, infolge wovon die Bodenkraft verschleudert und diese Verschleuderung durch den Handel weit über die Grenzen des eigenen Landes hinausgetragen wird." (Marx, Das Kapital, Bd 3, VI. Abschnitt, Verwandlung von Surplusprofit in Grundrente ; 47. Kapitel-Genesis der kapitalistischen Grundrente ; V. Die Metäriewirtschaft und das bäuerliche Parzelleneigentum, MEW Bd 25, S. 821).
Die Landwirtschaft musste ständig immer mehr chemische Produkte verwenden, um höhere Erträge zu erzielen und mehr Anbauflächen zu schaffen. In den meisten Gebieten der Erde praktizieren Bauern Anbaumethoden, die ohne den Einsatz von großen Mengen Pestiziden, Düngemitteln und künstlichen Bewässerungen unmöglich wären. Dabei wäre es möglich, durch den Anbau von Pflanzen in anderen Gebieten auf diese Mittel zu verzichten oder diese nur in geringen Maßen zu verwenden. Alfalfa in Kalifornien, Zitrusfrüchte in Israel, Baumwolle am Aralsee in der ehemaligen Sowjetunion, Getreide in Saudi-Arabien oder im Jemen, d.h. Pflanzen in Gegenden anzubauen, in denen die natürlichen Wachstumsbedingungen nicht gegeben sind, führt zu einer gigantischen Wasserverschwendung. Die Liste der Beispiele ist endlos, denn gegenwärtig werden 40% der landwirtschaftlichen Erzeugnisse durch künstliche Bewässerung angebaut mit der Folge, dass 75% des auf der Erde verfügbaren Wassers von der Landwirtschaft verwendet wird.
So hat zum Beispiel Saudi-Arabien ein Vermögen ausgegeben, um Grundwasser abzupumpen und eine Million Hektar Fläche in der Wüste zu bewässern, weil dort Getreide angebaut wird. Für jede Tonne Getreide liefert die Regierung 3000 Kubikmeter Wasser, d.h. dreimal mehr als der übliche Wasserbedarf von Getreide. Und dieses Wasser kommt aus Brunnen, die nicht durch Regenwasser aufgefüllt werden. Ein Drittel der Bewässerungsanlagen auf der Welt greift auf Grundwasser zurück. Aber obgleich diese Grundwasservorkommen nicht wieder erneuert werden und dabei sind auszutrocknen, bestehen die Bauern der indischen Region Gujarat, die verzweifelt Wasser brauchen, darauf, Milchkühe zu züchten. So erfordert die Gewinnung von einem Liter Milch den Aufwand von 2000 Liter Wasser. In einigen Gebieten der Erde benötigt man bis zu 3000 Liter Wasser zur Gewinnung von einem Kilo Reis. Die Folgen der Bewässerung und des breitgefächerten Einsatzes von chemischen Produkten sind desaströs: Versalzung, Überdüngung, Verwüstung, Bodenerosion, sinkende Grundwasserpegel und infolge dessen versiegende Trinkwasserreserven.
Verschwendung, Urbanisierung, Dürre und Umweltverschmutzung verschärfen die weltweite Wasserkrise. Millionen und Millionen Liter Wasser verdunsten beim Einsatz von offenen Bewässerungskanälen. Vor allem in den Gebieten um die Megastädte, aber auch in ganzen Landstrichen sinkt der Grundwasserpegel ständig und irreversibel.
In der Vergangenheit war China ein Land der Wasserwirtschaft. Seine Wirtschaft und Zivilisation haben sich dank seiner Fähigkeit entwickelt, trockene Flächen zu bewässern und Dämme zu bauen, um das Land vor Überschwemmungen zu schützen. Aber im heutigen China erreicht das Wasser des mächtigen Gelben Flusses, der großen Arterie im Norden, an mehreren Monaten im Jahr nicht das Meer. 400 der 600 Städte Chinas leiden an Wassermangel. Ein Drittel der chinesischen Brunnen sind ausgetrocknet. In Indien sind 30% der Anbauflächen durch Versalzung bedroht. Auf der ganzen Welt sind insgesamt ca. 25% von dieser Geißel gefährdet.
Aber die Gewohnheit, Pflanzen in Gegenden anzubauen, die aufgrund ihres Klimas oder der Beschaffenheit ihres Bodens für deren Anbau nicht geeignet sind, ist nicht die einzige Absurdität der gegenwärtigen Landwirtschaft. Insbesondere aufgrund des Wassermangels ist die Kontrolle über Flüsse und Deiche zu einer grundlegenden strategischen Frage geworden, gegenüber der alle Nationalstaaten sich rücksichtslos über die Interessen der Natur hinwegsetzen.
In mehr als 80 Ländern wurde eine Wasserknappheit gemeldet. Einer UN-Prognose zufolge werden in den nächsten 25 Jahren ca. 5.4 Milliarden Menschen unter Wasserknappheit leiden. Obgleich es viele Anbauflächen gibt, nimmt die Zahl der tatsächlich nutzbaren Anbauflächen aufgrund der Versalzung und anderer Faktoren ständig ab. In Urgesellschaften mussten Nomadenstämme weiterziehen, als das Wasser knapp wurde. Im Kapitalismus fehlt es an Grundnahrungsmitteln, obgleich das System selbst an Überproduktion leidet. Aufgrund der verschiedenen Schäden in der Landwirtschaft ist die Nahrungsmittelknappheit vorprogrammiert. So hat zum Beispiel seit 1984 das Wachstum der Getreideproduktion nicht mehr mit dem Bevölkerungswachstum Schritt gehalten. Innerhalb von 20 Jahren ist die Getreideproduktion von 343 kg pro Person auf 303 kg pro Person gesunken.
So scheint das Gespenst der Nahrungsmittelknappheit, das von Anfang an über der Menschheit hing, jetzt wieder Einzug zu halten, nicht weil es an Anbauflächen oder an Mitteln für die Landwirtschaft fehlt, sondern aufgrund der absoluten wahnsinnigen Verwendung der Ressourcen der Erde.
Während der Fortschritt der Wissenschaften und der Technologie der Menschheit Werkzeuge zur Verfügung gestellt hat, deren Existenz man in der Vergangenheit sich nicht einmal vorstellen konnte, und die heute Unfälle und Naturkatastrophen verhindern können, ist nicht von der Hand zu weisen, dass dieser Einsatz sehr kostspielig ist und die Werkzeuge nur benutzt werden, wenn sich daraus ökonomische Vorteile ergeben. Wir wollen erneut betonen, dass nicht eine egoistische und habsüchtige Haltung einzelner Unternehmer ursächlich dafür verantwortlich ist, sondern dahinter steckt der Zwang, dem sich alle Betriebe und Länder beugen müssen, die Produktionskosten der Waren oder Dienstleistungen so stark wie möglich zu senken, um in der weltweiten Konkurrenz zu überleben.
In unserer Presse haben wir dieses Problem oft aufgegriffen. Dabei haben wir aufgezeigt, dass die angeblichen Naturkatastrophen kein Zufall und auch keine Schicksalsfügung sind, sondern das logische Ergebnis der Senkung der Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen, um Geld zu sparen. So schrieben wir beispielsweise anlässlich des Wirbelsturms Hurrikans Katrina in New Orleans 2005:
„Das Argument, demzufolge diese Katastrophe nicht vorhergesehen wurde, ist Unfug. Seit fast 100 Jahren haben Wissenschaftler, Ingenieure und Politiker darüber diskutiert, wie der Verletzbarkeit New Orleans durch Überschwemmungen und Hurrikans begegnet werden könnte. Mitte der 1980er Jahre wurden durch verschiedene Gruppen von Wissenschaftlern und Ingenieuren mehrere Projekte entwickelt, die (unter der Verwaltung Clinton) 1998 zum Vorschlag des Projektes Küste 2050 führten. Dieses Projekt beinhaltete die Verstärkung und den Umbau der bestehenden Deiche, den Bau eines Systems von Schleusen und die Schaffung neuer Kanäle, durch welche das mit Sedimenten gefüllte Wasser abgeleitet würde, um die Sumpfgebiete wieder herzustellen, welche als Pufferzone im Delta dienten. Dieses Projekt erforderte allerdings die Investition von 14 Milliarden Dollar in einem Zeitraum von 10 Jahren. Washington gab zur Zeit Bushs nicht seine Zustimmung, erst unter Clinton" (International Review, 2005, Nr. 124).
Letztes Jahr hat die Armee 105 Mio. Dollar für den Kampf gegen Zyklone und Überschwemmungen in New Orleans angefordert, aber die Regierung hat nur 42 Millionen gebilligt. Gleichzeitig stimmte der Kongress der Zahlung von 231 Mio. Dollar für den Bau einer Brücke zu einer kleinen, unbewohnte Insel in Alaska zu" [5]. Wir haben auch den Zynismus und die Verantwortung der Herrschenden beim Tod von 160.000 Menschen infolge des Tsunamis vom 26. Dezember 2004 angeprangert.
Heute wird selbst offiziell klar eingestanden, dass keine Warnung ausgegeben wurde aus Furcht vor Schäden für den Tourismus! Mit anderen Worten: Zehntausende Menschenleben wurden geopfert für die Verteidigung von schmutzigen ökonomischen und finanziellen Interessen.
Diese Verantwortung der Regierungen zeigt erneut den wahren Charakter dieser Klasse auf, die sich wie Haifische bei der Verwaltung des Lebens und der Produktion in dieser Gesellschaft verhält. Die bürgerlichen Staaten sind bereit, wenn notwendig genau so viele Menschenleben zu opfern, um die Ausbeutung und die kapitalistischen Profite zu verteidigen. Und die Interessen der Kapitalisten bestimmen ebenso die Politik der herrschenden Klasse. Im Kapitalismus ist die Vorbeugung keine rentable Tätigkeit, wie heute alle Medien zugeben müssen: „Bislang haben Länder der Region sich taub gestellt, wenn es darum ging, ein Frühwarnsystem zu installieren, weil damit gewaltige finanzielle Kosten verbunden sind. Den Experten zufolge würde ein Frühwarnsystem Dutzende Millionen Dollar kosten, aber damit könnten Zehntausende Menschenleben geschützt werden." (Les Echos, 30.12.) [6]
Man könnte auch noch das Beispiel des Öls nehmen, das jedes Jahr ins Meer geschüttet wird (egal ob absichtliche oder ungewollte Verknappungen von Öl, ob aus endogenen Quellen oder ob das Öl aus Flüssen mitgeschleppt wurde usw.): Man spricht von drei bis vier Millionen Tonnen Öl jedes Jahr. Die Legambiente berichtete: „Wenn man die Ursachen der Störfälle untersucht, kann man von 64% Störfällen ausgehen, die auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. 16% aufgrund technischer Pannen und 10% aufgrund der Struktur von Schiffen, während die verbleibenden 10% keiner eindeutig festzulegenden Ursache zuzuordnen sind" [7].
Man kann leicht nachvollziehen, wenn man von „menschlichem Versagen" spricht - wie zum Beispiel bei Unfällen im Eisenbahnbetrieb, die auf Fehler eines Eisenbahners zurückzuführen sind -, meint man Fehler, die ein Beschäftigter begangen hat, weil seine Arbeitsbedingungen starken Stress und Erschöpfung hervorrufen. Zum Beispiel lassen Ölgesellschaften oft Öltanker verkehren, selbst wenn sie alt und heruntergekommen sind, um das schwarze Gold zu befördern, denn im Fall eines Schiffuntergangs verlieren sie höchstens den Wert der Ladung, während der Kauf eines neuen Schiffs sie sehr viel mehr kostet. Deshalb sieht man immer häufiger untergegangene oder havarierte Öltanker vor den Küsten, deren Ladung entweicht. Man kann behaupten, dass insgesamt mindestens 90% der Ölpest-Vorfälle die Folge einer totalen Schlampigkeit der Ölgesellschaften sind, die darauf zurückzuführen ist, dass sie die Kosten so stark wie möglich senken und den Profit so hoch wie möglich schrauben wollen.
Es ist das Verdienst Amadeo Bordigas [8]in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg die durch den Kapitalismus verursachten Katastrophen auf eine systematische, scharfsinnige, tiefgreifende und argumentierte Art und Weise entblößt zu haben. In dem Vorwort zu seinem Buch «Drammi gialli e sinistri della moderna decadenza sociale" (Gelbe und finstere Dramen des modernen gesellschaftlichen Niedergangs), in dem verschiedene Artikel Amadeo Bordigas zusammengetragen wurden, schrieb dieser: „In dem Maße, wie der Kapitalismus sich entfaltet und dann in sein Stadium der Fäulnis eintritt, prostituiert er mehr und mehr diese Technik, die eigentlich eine Befreiung sein könnte, den Bedürfnissen der Ausbeutung, der Vorherrschaft und der imperialistischen Plünderung. Dabei wird der Punkt erreicht, wo er dessen eigene Fäulnis überträgt und sie gegen den Gattung Mensch richtet. (...) In allen Bereichen des Alltagslebens der „friedlichen" Phasen, wo wir in einer Zeit zwischen zwei imperialistischen Massakern oder zwei Unterdrückungsmaßnahmen leben, pfercht das ständig auf der Suche nach einem Höchstprofit befindliche Kapital die Menschen zusammen, und die prostituierte Technik vergiftet, erstickt, verstümmelt, massakriert die Individuen. (...) Der Kapitalismus trägt auch seine Verantwortung bei den sogenannten „Naturkatastrophen" . Ohne das Wirken von Naturkräften, die der Mensch nicht kontrollieren kann, beiseite zu lassen, zeigt der Marxismus auf, dass viele Katastrophen indirekt durch gesellschaftliche Ursachen hervorgerufen oder verschlimmert wurden. (...) Die bürgerliche Zivilisation kann nicht nur aufgrund ihrer Jagd nach Profiten und durch den überragenden Einfluss des Geldes auf den Verwaltungsapparat direkt Katastrophen hervorrufen (...), sondern sie erweist sich als unfähig, einen wirksamen Schutz vor diesen Gefahren zu organisieren, weil die Vorbeugung keine rentable Angelegenheit ist." [9]
Bordiga entschleierte die Legende, der zufolge: „die gegenwärtige kapitalistische Gesellschaft mit der gemeinsamen Entwicklung der Wissenschaften, Technik und Produktion die Gattung Mensch in die ausgezeichnete Lage versetzen würde, gegen die Schwierigkeiten der natürlichen Umwelt zu kämpfen"[10]. Bordiga fügte hinzu, „während das wirtschaftliche und industrielle Potential der kapitalistischen Welt weiter anwächst und nicht zurückgeht, kann man sagen, je größer dessen Kraft ist, desto schlimmer sind die Lebensbedingungen der Menschen gegenüber den Katastrophen der Natur und der Geschichte." [11]Zur Beweisführung seiner Behauptungen analysierte Bordiga eine Reihe von Katastrophen, die an verschiedenen Orten der Welt stattfanden. Er zeigte jedes Mal auf, dass sie keinem Zufall oder einer Fatalität geschuldet waren, sondern der dem Kapitalismus immanenten Tendenz, Höchstprofite herauszuschlagen, indem so wenig wie möglich in Sicherheit investiert wird, wie das Beispiel des Flying Enterprise aufzeigt.
„Das ganz neue prunkvolle Schiff, das Carlsen so polieren ließ, dass es wie ein Spiegel glänzte, und welches eine garantiert sichere Überquerung ermöglichen sollte, fuhr mit Flachkiel. Wie war es möglich, dass ganz moderne Werften wie Flying die Methode des „flachen Kiels" , d.h. der Seeschiffe übernommen haben? Eine Zeitung schrieb es ungeschminkt: um die Produktionskosten pro Einheit zu reduzieren; (...) hier handelt es sich um den Schlüssel der ganzen modernen Wissenschaft. Ihre Untersuchungen, ihre Forschungen, ihre Berechnungen, ihre Innovationen zielen auf dieses Ziel ab: die Kosten (auch Transportkosten) zu reduzieren. Daher der Prunk der Spiegelsäle und Vorhänge um die Wohlhabenden anzulocken, verlauste Knauserigkeit bei den tragenden Teilen, die am Rande der mechanischen Haltbarkeit liegen, und auch bei Größe und Gewicht. Diese Tendenz zeichnet die ganze moderne Ingenieurswissenschaft aus, vom Bau bis zur Mechanik, d.h. einen Eindruck des Reichtums zu erwecken, um die Bürgerlichen zu beeindrucken; Erscheinungen und Ausführungen zu benutzen, die jeder Dummkopf bewundern kann (die gerademal ein Kulturniveau des Schunds erreichen, welches man sich im Kino und in den Klatschblättern abgeschaut hat), und bei den tragenden Strukturen. welche dem Laien unsichtbar und unverständlich sind, ist man nachlässig," . [12]
Auch wenn die von Bordiga analysierten Katastrophen keine ökologischen Konsequenzen hatten, ändert das nichts an den Kernaussagen. Denn anhand dieser Beispiele wie auch anhand der Beispiele, die in dem Vorwort zu seiner Artikelreihe „Menschliche Gattung und Erdoberfläche" dargestellt werden, von denen wir einige zitieren, kann man sich leicht die Auswirkungen der gleichen kapitalistischen Logik vorstellen, wenn diese sich direkt und entscheidend auf die Umwelt auswirkt, wie zum Beispiel bei der Planung und Wartung der Atomreaktoren: „In den 1960er Jahren, explodierten mehrere britische Flugzeuge des Typs „Comet" , welches als der letzte Schrei der höchst entwickelten Technik galt, in der Luft und töteten dabei alle Insassen. Die langwierigen Untersuchungen brachten schließlich hervor, dass die Explosionen auf eine Materialermüdung der Metallschichten des Flugzeugs zurückzuführen waren, weil diese zu dünn angelegt worden waren, denn man wollte beim Metall, bei der Reaktorstärke, den gesamten Produktionskosten sparen, um höhere Profite zu machen. 1974 führte die Explosion einer DC 10 über Ermenonville zum Tod von mehr als 300 Menschen. Man wusste, dass das Türschließsystem des Gepäckraums schadhaft war, aber dieses zu erneuern, hätte Geld gekostetÖ Aber der wahnsinnigste Bericht erschien in der englischen Zeitschrift The Economist (24.9.1977) nach der Entdeckung von Rissen im Metall von 10 Trident Flugzeugen und der unerklärlichen Explosion eines Boeing-Flugzeuges. Der „neuen Auffassung" zufolge, die beim Bau von Transportflugzeugen angewandt wird, werden diese nicht mehr nach einer gewissen Anzahl von Flugstunden aus dem Verkehr gezogen und generalüberprüft, sondern man ging davon aus, dass diese „sicher" wären bis man erste Risse aufgrund von Materialermüdung des Metalls feststellte. Man kann sie also so lange wie möglichen nutzen, da sie bei einer zu frühen Stilllegung zu große Verlust für die Fluggesellschaften verursachen würden." [13] Wir haben schon im ersten Teil dieser Artikelserie den Unfall im Atomkraftwerk 1986 in Tschernobyl erwähnt. Im Wesentlichen handelt es sich um das gleiche Problem, das 1979 bei der Fusion eines atomaren Reaktors auf der Insel Three Mile Island in Pennsylvania, USA, zum Tragen kam.
Die Wissenschaft im Dienste der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft
Es ist von größter Bedeutung, den Platz der Technik und der Wissenschaft in der kapitalistischen Gesellschaft zu begreifen, wenn man herausfinden will, ob diese eine Hilfe sind, um das Voranschreiten der Umweltzerstörung einzudämmen und wirksame Instrumente gegen einige der Auswirkungen derselben zu entwickeln.
Wenn die Technik, wie eben gesehen, sich im Dienst der Bedürfnisse des Marktes prostituieren muss, trifft das auch zu auf die Entwicklung der Wissenschaften und der wissenschaftlichen Forschung? Gibt es Mittel sicherzustellen, dass diese außerhalb des Interessensbereichs der Wirtschaft wirken?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir von der Erkenntnis ausgehen, dass die Wissenschaft eine Produktivkraft ist und ihre Entwicklung eine schnellere Entfaltung und Bereicherung der Ressourcen der Gesellschaft ermöglicht. Die Kontrolle der Entwicklung der Wissenschaften ist deshalb eine wichtige Frage für die Verwalter der Wirtschaft und des Staates. Deshalb wird die wissenschaftliche Forschung, insbesondere einige Bereiche besonders üppig, mit großen finanziellen Mitteln ausgestattet. Die Wissenschaft ist deshalb kein neutraler Bereich - in einer Klassengesellschaft wie dem Kapitalismus könnte es nicht anders sein -, in dem es eine Freiheit der Forschung gäbe, und die vor ökonomischen Interessen geschützt wäre, weil die herrschende Klasse sehr davon profitiert, die Wissenschaft und die Wissenschaftler ihren Interessen unterzuordnen. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Entwicklung der Wissenschaften und der Erkenntnis im Zeitraum des Kapitalismus nicht durch eine eigenständige und unabhängige Dynamik getrieben wird, sondern dem Ziel untergeordnet ist, einen höchst möglichen Profit zu erwirtschaften.
Dies hat wichtige Folgen, über die man sich selten bewusst ist. Nehmen wir zum Beispiel die Entwicklung der modernen Medizin. Die medizinischen Untersuchungen und Behandlungen des Menschen sind unter Dutzende verschiedene Spezialisten aufgeteilt worden, denen in letzter Instanz eine Gesamtübersicht der Funktionsweise des menschlichen Körpers fehlt. Warum ist es dazu gekommen? Weil das Hauptziel der modernen Medizin in der kapitalistischen Welt nicht darin besteht, dass jeder Mensch gut lebt, sondern „die menschliche Maschine" wieder „repariert" werden muss, wenn sie eine Panne hat und sie so schnell wie möglich wieder hergerichtet werden soll, um weiter arbeiten zu können. Auf diesem Hintergrund versteht man gut, warum so massiv auf Antibiotika zurückgegriffen wird, und warum die Diagnosen immer die Ursachen der Erkrankungen unter den Besonderheiten suchen anstatt in den allgemeinen Lebensbedingungen der untersuchten Menschen.
Eine andere Folge der Abhängigkeit von der wissenschaftlichen Entwicklung gegenüber der Logik der kapitalistischen Welt ist, dass Forschung ständig auf die Produktion neuen Materials gerichtet ist (resistenter und billiger), deren Auswirkungen aus toxikologischer Sicht auf unmittelbarer Ebene nie ein großes Problem dargestellt haben, wodurch auf wissenschaftlicher Ebene sehr wenig oder gar nichts ausgegeben wird, um das auszulöschen oder unschädlich zu machen, was die Sicherheit der Produkte bedroht. Aber Jahrzehnte später muss man die Rechnung begleichen, oft weil bei den Menschen irgendein Schaden aufgetreten ist.
Anhand nachfolgender Zitate kann man sehen, in welchem Maße die wissenschaftliche Entwicklung der staatlichen Kontrolle und militärischen Bedürfnissen untergeordnet ist, so dass in der Nachkriegszeit überall wissenschaftliche „Kommissionen" entstanden, die geheim für das Militär arbeiteten, während anderen Wissenschaftlern das Endziel der Forschungen unbekannt war, die verdeckt betrieben wurden: „Die Wichtigkeit der Mathematik für die Offiziere der Kriegsmarine und der Artillerie erforderte eine besondere Ausbildung in Mathematik ; so war im 17. Jahrhundert die größte Gruppe, die von sich behaupten konnten, über Kenntnisse in Mathematik zu verfügen (zumindest Grundlagenkenntnisse), Armeeoffiziere. (...) (Im Großen Krieg) wurden zahlreiche neue Waffen geschaffen und perfektioniert - Flugzeuge, U-Boote, Sonaranlagen zum Kampf gegen diese, Chemiewaffen. Nach einigen Zögerungen des Militärapparates wurden zahlreiche Wissenschaftler für die Entfaltung des Militärs eingesetzt, auch wenn es nicht darum ging, Forschung zu betreiben, sondern sie waren als Ingenieure tätig, die auf höchster Ebene ihren schöpferischen Beitrag leisteten. (...) Auch wenn es nicht mehr im 2. Weltkrieg wirksam zum Einsatz kommen konnte, wurde 1944 das „Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach" in Deutschland gegründet. Zwar gefällt dies deutschen Mathematikern nicht so sehr, aber es handelte sich um eine sehr klug geplante Struktur, die darauf abzielte, den ganzen Bereich der Mathematik „nützlich" zu machen: der Kern bestand aus einer kleinen Gruppe Mathematiker, die gut im Bilde waren über die Probleme, vor denen das Militär stand, und die in der Lage waren, die Probleme zu entdecken, die sich mathematisch lösen ließen. Um diesen Kern sollten andere, sehr kompetente Mathematiker, welche sich gut in den Kreisen der Mathematiker auskannten, diese Probleme in mathematische Fragen übersetzen und sie nach deren Aufbereitung spezialisierten Mathematikern vorlegen (die sich mit militärischen Fragen, welche am Anfang der Fragestellungen standen, nicht auskennen mussten und sie auch gar nicht kennen sollten). Sobald die Lösungen vorlagen, funktionierte das Netz in der entgegengesetzten Richtung.
In den USA gab es während des Krieges schon eine ähnliche Struktur, auch wenn sie ein wenig improvisiert war, um Marston Morse. In der Nachkriegszeit war eine ähnliche Struktur namens -Wisconsin Army Mathematics Research Center" (...) tätig, die jedoch nicht mehr improvisiert war.
Der Vorteil solcher Strukturen besteht darin, dass sie es der Militärmaschinerie ermöglichen, die Kompetenzen vieler Mathematiker auszunutzen, ohne dass sie „direkt für sie" arbeiten, mit all dem, was damit verbunden ist: Verträge, die Notwendigkeit von Abmachungen, Unterordnung usw." [14]
1943 wurden in den USA spezialisierte Forschungsgruppen eingerichtet, die sich eigens mit Fragen beschäftigten wie der Größe von Schiffskonvois, der Wahl von Kriegszielen bei Luftangriffen, dem Aufspüren und der Abwehr von feindlichen Flugzeugen. Während des 2. Weltkriegs wurden im Vereinten Königreich, in Kanada und in den USA allein 700 Mathematiker eingesetzt. „Im Vergleich zur britischen Forschung zeichnete sich die amerikanische Forschung seit dem Anfang durch einen höher entwickelteren Einsatz der Mathematik aus, und insbesondere der Wahrscheinlichkeitsrechnung und ein häufigerer Rückgriff auf Modellrechnungen(...). Operations Research (die in den 1950er Jahren ein eigenständiger Bereich der angewandten Mathematik wurde) machte somit ihre ersten Schritte als eine Reaktion auf strategische Schwierigkeiten und der Optimierung kriegerischer Ressourcen. Was ist die beste Taktik im Luftkampf? Was ist die beste Aufstellung von Soldaten bei bestimmten Angriffspunkten? Wie können Rationen an die Soldaten verteilt werden, indem man am wenigsten verschwendet und die bestenfalls sättigen? „[15]
„(...) Das Projekt Manhattan (...) war das Zeichen für eine große Wende, nicht nur weil darin die Arbeit von Tausenden von Wissenschaftlern und Technikern aus verschiedenen Fachbereichen in einem Projekt zusammengebündelt wurde, welches von Militärs gesteuert und kontrolliert wurde, sondern auch weil es einen gewaltigen Sprung für die Grundlagenforschung bedeutete, da es - wie man es später nannte - die „big science" einläutete. (...) Die wissenschaftliche Gemeinschaft für ein genaues Projekt, das unter direkter Kontrolle der Militärs stand, einzuspannen, war eine Notmaßnahme gewesen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht ewig dauern konnte (dazu gehörte azch die „Freiheit der Forschung", die von den Wissenschaftlern beansprucht wurde) Das Pentagon konnte jedoch auf die wertvolle, unverzichtbar gewordene Mitarbeit der Gemeinschaft der Wissenschaftler verzichten. Auch musste es eine Form der Kontrolle ihrer Aktivitäten aufrechterhalten: man musste zwangsweise eine neue Strategie einschlagen und eine andere Sprache benutzen. (...) 1959 wurde aufgrund einer Initiative von anerkannten Wissenschaftlern, die auch die US-Regierung berieten, eine halb-ständig tagende Expertengruppe eingerichtet, die regelmäßig Treffen abhielt. Diese Gruppe wurde „Divsion Jason" genannt, in Anlehnung an den mythischen griechischen Helden, der sich auf die abenteuerliche Suche nach dem Goldenen Vlies mit dem Argonauten, Jason, begab. Es handelte sich um eine Elitegruppe von ca. 50 Wissenschaftlern, von denen mehrere mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden waren. Sie trafen sich jeden Sommer einige Wochen lang, um ganz unbeschwert die Fragen der Sicherheit, der Verteidigung und der Kontrolle der von dem Pentagon angeschafften Waffen zu besprechen, sowie dem Energieministeriums und anderen Bundesbehörden. Sie erstellten detaillierte Berichte, welche zum Großteil „geheim" blieben und direkt die Politik der nationalen Sicherheit mit bestimmten. Die Division Jason spielte während des Vietnamkrieges eine herausragende Rolle gegenüber Verteidigungsminister Robert McNamara, indem sie drei besonders wichtige Studien lieferten, welche einen wichtigen Einfluss auf die Strategie der USA haben sollten. Hinsichtlich der Wirksamkeit der strategischen Bombardierungen zur Unterbrechung der Nachschublinien der Vietkong, zum Bau einer elektronischen Schranke durch Vietnam und zu den taktischen Nuklearwaffen." [16]
Die Angaben aus diesen langen Zitaten zeigen, dass die Wissenschaft heute ein wichtiger Eckpfeiler der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems und der Festlegung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen ist. Die wichtige Rolle der Wissenschaftler während und nach dem 2. Weltkrieg konnte nur noch weiter anwachsen, auch wenn die Bourgeoisie diese systematisch vertuscht.
Zusammenfassend können wir sagen, dass wir versucht haben aufzuzeigen, wie die ökologischen und Umweltkatastrophen, selbst wenn sie von Naturphänomen ausgelöst wurden, die Menschen, insbesondere die Ärmsten brutal treffen, weil dahinter eine bewusste Wahl seitens der herrschenden Klasse hinsichtlich der Verteilung der Ressourcen und dem Einsatz der wissenschaftlichen Forschung selbst steckt. Die Auffassung, dass die Modernisierung, die Entwicklung der Wissenschaften und der Technologie automatisch mit der Schädigung der Umwelt und einer stärkeren Ausbeutung des Menschen verbunden sind, muss kategorisch verworfen werden. Im Gegenteil, es gibt ein großes Potential zur Entwicklung der menschlichen Ressourcen, nicht nur auf der Ebene der Produktion von Gütern sondern - was am wichtigsten ist - hinsichtlich der Möglichkeiten anders zu produzieren, in Harmonie mit der Umwelt und dem Wohlergehen des Ökosystems, zu dem der Mensch gehört. Die Perspektive ist also nicht die einer Rückkehr in die Vergangenheit, weil es unmöglich ist, zu unserem Ursprung zurückzukehren, als die Umwelt noch mehr verschont war. Im Gegenteil, die Menschheit muss auf einem anderen Weg vorwärts gehen, den der Entwicklung, die wirklich in Harmonie mit dem Planeten Erde steht.
Ezechiele, 5. April 2009
[1] Siehe den ersten Teil dieses Artikels „Die Welt am Vorabend einer Umweltkatastrophe", veröffentlicht in Internationale Revue Nr. 41.
[2] Siehe den ersten Teil dieser Serie in Internationale Revue Nr. 42.
[3] ebenda
[4] Im 20. Jahrhundert gab es eine wahre Explosion des Wachstums der Megacities. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es sechs Städte mit mehr als einem Millionen Einwohner; Mitte des 20. Jahrhunderts gab es nur vier Städte mit mehr als fünf Millionen Einwohnern. Vor dem 2. Weltkrieg gab es Megacities nur in den Industriestaaten. Heute befinden sich die meisten Megacities in den Ländern der Peripherie. In einigen Städten ist die Bevölkerung innerhalb von Jahrzehnten um das Zehnfache angestiegen. Gegenwärtig lebt die Hälfte der Erdbevölkerung in Städten, 2020 werden es zwei Drittel sein. Aber keine dieser Städte, in die jeden Tag mehr als 5.000 Zuwanderer strömen, ist in der Lage, solch einem unnatürlichen Bevölkerungswachstum Stand zu halten, so dass die Zuwanderer, die nicht in das soziale Netz der Stadt integriert werden können, die Vorstadtslums weiter anschwellen lassen, und fast immer fehlt es völlig an Dienstleistungen und adäquaten Infrastrukturen.
[5] „Hurrikan Katrina - der Kapitalismus ist verantwortlich für die gesellschaftliche Katastrophe", International Review Nr. 123,
[6] Tödliche Flutwelle in Südostasien: die wahre Katastrophe ist der Kapitalismus" Révolution Internationale, Nr. 353
[7] www.legambientearcipelagotoscano.it/globalmente/petrolio/incident.htm [4]
[8] Bordiga, Führer der linken Strömung der Kommunistischen Partei Italiens, zu deren Gründung er 1921 wesentlich mit beitrug, und aus der er 1930 nach dem Prozess der Stalinisierung ausgeschlossen wurde, beteiligte sich aktiv an der Gründung der Internationalen Kommunistischen Partei 1945.
[9] (Anonymes) Vorwort zu „Drammi gialli e sinistri della moderna decadenza sociale" von Amadeo Bordiga, Edition Iskra, Seiten 6, 7, 8 et 9. auf Französisch: Vorwort zu „Espèce humaine et Croûte terrestreì; Petite Bibliothèque Payot 1978, Préface, pages 7,9 et 10)
[10] Veröffentlicht in Battaglia Comunista n°23 1951 und auch in „Drammi gialli e sinistri della decadenza sociale", édition Iskra, Seite 19.
[11] ebenda
[12] A. Bordiga, Politica e îcostruzioneî, veröffentlicht in Prometeo, serie II, n°3-4, 1952 und auch in „Drammi gialli e sinistri della decadenza sociale", edition Iskra, Seiten 62-63.
[13] Vorwort zu „Espèce Humaine et Croûte terrestre", op.cit. (Menschengattung und Erdkruste)
[14] Jens Hoyrup, Universität von Roskilde, Dänemark. „Mathematik und Krieg", Konferenz Palermo, 15. Mai 2003. Forschungshefte Didaktik, N°13, GRIM (Départment of mathematics, University of Palermo, Italy) http//math.unips.it/-grim/Horyup_mat_guerra_quad13.pdf.
[15] Annaratone, http//www.scienzaesperienza.it/news.php?/id=0057 [5]
[16] Angelo Baracca, „Fisica fondamentale, ricerca e realizzazione di nuove armi nucleariî.
Mit der gleichen Methode, die Bilan angewandt hatte, analysierte die Kommunistische Linke Frankreichs die Politik des Trotzkismus, die sich nicht so sehr durch ihre „Verteidigung der UdSSR” auszeichnet, auch wenn diese Frage am klarsten ihre Verirrung zum Ausdruck bringt, sondern durch ihre Haltung gegenüber der Frage des imperialistischen Krieges. Wie der erste Artikel „Die Funktion des Trotzkismus” zeigt, wurde die Beteiligung am Krieg seitens dieser Strömung nicht an erster Stelle bestimmt durch deren Willen zur Verteidigung der UdSSR, wie die Tatsache belegt, dass einige ihrer Tendenzen, welche die These vom „entarteten Arbeiterstaat” verwarfen, sich dennoch am imperialistischen Krieg beteiligten. Noch entscheidender war die Idee des „geringeren Übels”, der Beteiligung am Kampf gegen „die ausländische Besatzung” und der „Antifaschismus”. Dieses Merkmal des Trotzkismus tritt besonders deutlich im zweiten Artikel „Bravo Abd-al-Krim oder die kurze Geschichte des Trotzkismus” zum Vorschein, in der festgestellt wird, dass die „gesamte trotzkistische Geschichte sich um die Frage der „Verteidigung” von irgendetwas dreht”, die im Namen des geringeren Übels erfolgt. Dieses „irgendetwas” war alles andere als etwas Proletarisches. Dieses Markenzeichen des Trotzkismus hat sich seitdem nicht geändert, wie die verschiedenen aktivistischen Illustrationen des gegenwärtigen Trotzkismus belegen, wie auch sein Drängen, für ein Lager gegen ein anderes in den zahlreichen Konflikten, die den Planeten auch seit der Auflösung der UdSSR übersäen, Stellung zu beziehen.
An der Wurzel dieser Irrfahrt des Trotzkismus findet man, wie der erste Artikel betont, die Zuweisung einer fortschrittlichen Rolle „bestimmter Fraktionen des Kapitalismus, bestimmter kapitalistischer Länder (und wie das Übergangsprogramm ausdrücklich sagt, der meisten Länder).
Dieser Auffassung zufolge „ist die Befreiung des Proletariats nicht das Ergebnis des Kampfes, bei dem das Proletariat als Klasse gegenüber dem gesamten Kapitalismus auftritt, sondern diese wird das Ergebnis einer Reihe von politischen Kämpfen sein, im engen Sinne des Wortes und bei denen dieses durch schrittweise Bündnisse mit verschiedenen politischen Fraktionen der Bourgeoisie gewisse Fraktionen eliminieren wird und es somit schrittweise schaffen wird, die Bourgeoisie zu schwächen, sie zu besiegen, indem sie gespalten und scheibchenweise geschlagen wird.” Da gibt es nichts mehr revolutionär Marxistisches.
Es ist ein großer, weit verbreiteter Fehler zu meinen, was die Revolutionäre von den Trotzkisten unterscheidet, sei die Frage der „Verteidigung der UdSSR”.
Es ist selbstverständlich, dass die revolutionären Gruppen, welche die Trotzkisten gerne mit ein wenig Verachtung als „extreme Linke” bezeichnen (eine verächtliche Einschätzung der Trotzkisten gegenüber den Revolutionären, die dem gleichen Geist entspricht wie dem der „Hitler-Trotzkisten”, welchen die Stalinisten verwenden); es ist selbstverständlich, dass die Revolutionäre jede Art Verteidigung des russischen kapitalistischen Staates (Staatskapitalismus) verwerfen. Aber den russischen Staat nicht zu verteidigen, ist keineswegs die theoretische und programmatische Grundlage revolutionärer Gruppen. Und es ist nur eine politische Konsequenz, die ganz normal in ihren allgemeinen Auffassungen, ihrer revolutionären Plattform enthalten ist und aus diesen hervorgeht. Umgekehrt stellt die „Verteidigung der UdSSR” keineswegs die Besonderheit des Trotzkismus dar.
Wenn von allen politischen Positionen, die sein Programm darstellen, die „Verteidigung der UdSSR” wirklich am stärksten hervorsticht und ihre Verirrung und Blindheit am deutlichsten zum Ausdruck bringt, würde man trotzdem einen großen Fehler begehen, wenn man den Trotzkismus nur aus diesem Blickwinkel betrachtet. Im äußersten Fall spiegelt diese Verteidigung die typischste und klarste abszessartige Fixierung des Trotzkismus wider. Dieser Abszess ist so offensichtlich, dass sein Anblick immer mehr Mitglieder der Vierten Internationale anekelt, und wahrscheinlich ist es eine der Ursachen dafür, dass einige ihrer Sympathisanten davor zurückschrecken, in diese Organisation einzutreten. Aber dieser Abszess ist nicht die Krankheit, sondern nur die Stelle, wo diese in Erscheinung tritt.
Wenn wir so sehr auf diesem Punkt bestehen, geschieht dies, weil beim Anblick der äußeren Erscheinungen einer Krankheit so viele Leute sich erschrecken, aber diese dann auch sehr leicht dazu neigen, sich schnell zu beruhigen, sobald die äußeren, erkennbaren Zeichen aus dem Blick geraten. Sie vergessen, dass eine „weißgewaschene Krankheit” keine geheilte Krankheit ist. Diese Art Leute sind sicherlich ebenso gefährlich, ebenso anfällig, wenn nicht noch mehr für die Verbreitung von Korruption wie diejenigen, die aufrichtig meinen, davon geheilt zu sein.
Die „Workers‘ Party” in den USA (eine dissidente trotzkistische Organisation, die durch den Namen ihres Führers, Shachtman bekannt ist), die Tendenz G. Munis in Mexiko[4], die Minderheiten um Gallien und Chaulieu in Frankreich, all diese Minderheitentendenzen der IV. Internationale, die aufgrund der Tatsache, dass sie die traditionelle Verteidigung Russlands verwerfen, glauben vom „Opportunismus” der trotzkistischen Bewegung geheilt zu sein (jedenfalls behaupten sie dies). In Wirklichkeit bleiben sie weiterhin von dieser Ideologie stark geprägt und von ihr total eingenommen.
Das wird dadurch offensichtlich, wenn man die brennendste Frage anschaut, nämlich diejenige, die am wenigsten Ausflüchte offen lässt, welche am unnachgiebigsten die Klassenpositionen des Proletariats und der Bourgeoisie aufeinander prallen lässt, d.h. die Frage der Haltung gegenüber dem imperialistischen Krieg. Was sehen wir?
Die einen wie die anderen, Mehrheiten und Minderheiten, beteiligen sich alle mit unterschiedlichen Slogans am imperialistischen Krieg.
Man möge jetzt nicht die mündlichen Erklärungen der Trotzkisten gegen den Krieg zitieren, um dies zu widerlegen. Wir kennen diese sehr gut. Worauf es ankommt, sind nicht die Erklärungen, sondern die praktische Politik, die aus all den theoretischen Positionen hervorgeht und die in der ideologischen und praktischen Unterstützung der kriegstreibenden Kräfte konkretisiert wird. Es zählt hier nicht, mit welchem Argument diese Beteiligung gerechtfertigt wurde. Die Verteidigung der UdSSR ist sicherlich eine der wichtigsten Kernfragen, durch die das Proletariat an den imperialistischen Krieg gefesselt und in diesen getrieben wird. Aber dies ist nicht der einzige Schlüssel. Die trotzkistischen Minderheiten, welche die Verteidigung der UdSSR verwarfen, haben genau wie die Linkssozialisten und die Anarchisten andere Gründe gefunden, die nicht weniger gültig und nicht weniger von einer bürgerlichen Ideologie inspiriert waren, um ihre Beteiligung am imperialistischen Krieg zu begründen. Aus der Sicht der einen war es die Verteidigung der „Demokratie”, aus der Sicht der anderen der „Kampf gegen den Faschismus” oder die Unterstützung der „nationalen Befreiung” oder des „Selbstbestimmungsrechts der Völker”.
Für alle war es eine Frage des „geringeren Übels”, welche sie zur Kriegsbeteiligung oder in die Résistance auf Seiten eines imperialistischen Blocks gegen einen anderen trieb.
Die Partei Shachtmans hatte völlig recht, den offiziellen Trotzkisten vorzuwerfen, dass sie den russischen Imperialismus unterstützten, welcher aus ihrer Sicht kein „Arbeiterstaat” mehr war; aber damit wurde Shachtman noch lange nicht zu einem Revolutionär, denn er erhob diesen Vorwurf nicht ausgehend von einer Klassenposition des Proletariats gegen den imperialistischen Krieg, sondern aufgrund der Tatsache, dass Russland ein totalitäres Land ist, wo es weniger „Demokratie” als anderswo gibt. Seiner Ansicht nach musste man konsequenterweise Finnland gegen den russischen Aggressor unterstützen, das weniger „totalitär” und demokratischer sei [5].
Um das Wesen seiner Ideologie zu zeigen, insbesondere hinsichtlich der zentralen Frage des imperialistischen Kriegs, braucht der Trotzkismus keineswegs, wie wir eben gesehen haben, auf die Position der Verteidigung der UdSSR zurückzugreifen. Diese Verteidigung der UdSSR erleichtert natürlich seine Position der Kriegsbeteiligung, wodurch er diese hinter einer pseudo-revolutionären Phrase verbergen kann, aber von sich aus vertuscht er sein tieferes Wesen und verhindert, die Frage des Wesens der trotzkistischen Ideologie in aller Deutlichkeit zu stellen.
Lassen wir einmal zur Erreichung einer größeren Klarheit die Existenz Russlands außer Acht, oder besser gesagt all die Spitzfindigkeit hinsichtlich des sozialistischen Wesens des russischen Staates, mit Hilfe derer die Trotzkisten das eigentliche Problem des imperialistischen Krieges und der Haltung des Proletariats vernebeln. Stellen wir deutlich die Frage der Haltung der Trotzkisten im Krieg. Die Trotzkisten werden natürlich mit einer allgemeinen Antwort gegen den Krieg reagieren.
Aber sobald die Litanei vom „revolutionären Defätismus” im Abstrakten korrekt heruntergeleiert worden ist, fangen sie sofort konkret an, mit spitzfindigen „Unterscheidungen” Einschränkungen zu machen, sie sagen „aber”… usw., was sie in der Praxis dazu führt, dass sie Partei für einen Kriegsteilnehmer ergreifen und die Arbeiter dazu aufrufen, sich am imperialistischen Abschlachten zu beteiligen.
Wer mit dem trotzkistischen Milieu in Frankreich während der
Jahre 1939-45 irgendwie in Kontakt stand, kann Zeugnis davon ablegen, dass die
bei ihnen vorherrschenden Gefühle nicht so sehr von der Position der
Verteidigung Russlands bestimmt waren, sondern von der Wahl des „geringeren
Übels”, der Wahl des Kampfes gegen die „ausländische Besatzung” und den
„Antifaschismus”.
Dies erklärt ihre Beteiligung an der ‘Résistance” ,[6] an der F.F.I.[7] und bei der Befreiung. Und wenn die PCI[8] Frankreichs von den Sektionen anderer Länder gelobt wurde für die Rolle, die sie bei dem, die wie sie es nannten „Volksaufstand” der Befreiung spielte, lassen wir ihnen die Befriedigung, die sie durch den Bluff der Bedeutung ihrer Beteiligung empfinden (welch große Bedeutung mögen die wenigen Dutzenden Trotzkisten bei der „großen Volkserhebung” gehabt haben!). Aber wir wollen vor allem den politischen Inhalt solch eines Lobs im Kopf behalten.
Die Revolutionäre gehen von der Feststellung des imperialistischen Stadiums aus, das von der Weltwirtschaft erreicht worden ist. Der Imperialismus ist kein nationales Phänomen. Die Gewalt der kapitalistischen Widersprüche zwischen dem Grad der Entwicklung der Produktivkräfte – des gesamten gesellschaftlichen Kapitals – und der Entwicklung des Marktes bestimmt die Gewalt der Widersprüche unter den Imperialisten. Auf dieser Stufe gibt es keine nationalen Kriege mehr. Die imperialistische Weltstruktur bestimmt die Struktur aller Kriege. Im Zeitalter des Imperialismus gibt es keine „fortschrittlichen” Kriege. Der einzige Fortschritt besteht nur in der gesellschaftlichen Revolution. Die historische Alternative, vor der die Menschheit steht, ist die sozialistische Revolution oder der Niedergang, das Versinken in der Barbarei durch die Zerstörung des durch die Menschheit angehäuften Reichtums, die Zerstörung der Produktivkräfte und die ständigen Massaker des Proletariats in einer unendlichen Reihe von lokalen und generalisierten Kriegen. Es handelt sich also um ein Klassenkriterium gegenüber der Analyse der geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaft, das durch die Revolutionäre aufgeworfen wird.
„Aber nicht alle Länder der Welt sind imperialistisch. Im Gegenteil. Die Mehrheit der Länder sind Opfer des Imperialismus. Einige Kolonialländer oder Halbkolonialländer versuchen zweifelsohne den Krieg auszunutzen, um die Geissel der Versklavung abzuschütteln. Was diese Länder betrifft, ist der Krieg kein imperialistischer, sondern ein Befreiungskrieg. Die Aufgabe des internationalen Proletariats besteht darin, den im Krieg unterdrückten Ländern gegen die Unterdrücker zu helfen” (Das Übergangsprogramm, Kapitel: Der Kampf gegen Imperialismus und Krieg).
So bezieht sich das trotzkistische Kriterium nicht auf die historische Periode, in der wir leben, sondern es schafft und bezieht sich auf einen abstrakten und falschen Begriff des Imperialismus. Nur die Bourgeoisie eines dominierenden Landes sei imperialistisch. Der Imperialismus ist keine politisch-ökonomische Stufe des Weltkapitalismus, sondern nur des Kapitalismus in einigen Ländern, während die anderen kapitalistischen Länder, welche die Mehrheit ausmachen, nicht imperialistisch sind. Wenn man dies rein formell betrachtet, werden heute alle Länder der Welt ökonomisch von zwei Ländern beherrscht: den USA und Russland. Kann man daraus schlussfolgern, dass ausschließlich die Bourgeoisie dieser beiden Länder imperialistisch ist und die Gegnerschaft des Proletariats gegenüber dem Krieg nur in diesen beiden Ländern zum Tragen kommt?
Besser noch, wenn man der trotzkistischen Argumentation folgt und Russland dabei herausnimmt, da das Land per Definition „nicht imperialistisch” ist, gelangt man zu der absurden Schlussfolgerung, dass nur ein Land auf der Welt imperialistisch ist: die USA. Damit kommen wir zu der tröstlichen Schlussfolgerung, dass das Proletariat allen anderen Ländern der Welt helfen muss, da sie alle „nicht-imperialistisch und unterdrückt sind“. Schauen wir konkret, wie diese trotzkistische Unterscheidung sich in der Praxis äußert.
1940-45 war Frankreich besetzt: Von einem imperialistischen Land wurde es zu einem unterdrückten Land. Sein Krieg wurde ein „Befreiungskrieg”, „Es ist Aufgabe des Proletariats diesen Kampf zu unterstützen”. Perfekt! Aber plötzlich wurde Deutschland 1945 zu einem besetzten und „unterdrückten‘ Land. Damit wurde es zur Aufgabe des Proletariats, eine eventuelle Befreiung Deutschlands gegen Frankreich zu unterstützen. Was für Frankreich und Deutschland zutrifft, gilt ebenso für irgendein anderes Land: Japan, Italien, Belgien usw. Man braucht jetzt nicht die Kolonien und halb-kolonialen Länder zu erwähnen. Im Zeitalter des Imperialismus wird jedes Land, das beim rücksichtslosen Konkurrenzkampf zwischen den Kapitalisten nicht das Glück oder die Kraft hat Sieger zu werden, de facto zu einem „unterdrückten” Land. Beispiel: Deutschland und Japan, und im entgegengesetzten Sinn – China.
Das Proletariat hätte somit zur Aufgabe, seine Zeit damit zu verbringen, auf der imperialistischen Waagschale hin-und her zu hüpfen, je nach dem, welche Anweisungen von den Trotzkisten erteilt werden. Es sollte sich dabei abschlachten lassen im Namen dessen, was die Trotzkisten folgendermaßen umschreiben: „Einen gerechten und fortschrittlichen Krieg zu unterstützen…” (siehe das Übergangsprogramm – gleiches Kapitel).
Dies ist der grundsätzliche Charakter des Trotzkismus, der jeweils in allen Situationen und allen seinen Positionen dem Proletariat eine Alternative anbietet, die einen echten Gegensatz und eine Lösung als Klasse gegen die Bourgeoisie darstellt, aber in Wirklichkeit nur eine Wahl zwischen zwei „unterdrückten” kapitalistischen Kräften bedeutet: zwischen einer faschistischen und antifaschistischen Bourgeoisie, zwischen „Reaktionären „ und „Demokraten”, zwischen Monarchie und Republik, zwischen imperialistischen Krieg und „gerechten und fortschrittlichen” Kriegen.
Ausgehend von dieser ewigen Wahl zwischen dem „geringeren Übel” haben sich die Trotzkisten am imperialistischen Krieg beteiligt. Die Notwendigkeit der Verteidigung der UdSSR stand keineswegs im Vordergrund. Bevor diese verteidigt wurde, hatten sie sich schon am Spanienkrieg (1936-1938) im Namen der Verteidigung des republikanischen Spaniens gegen Franco beteiligt. Dann verteidigten sie das China Chiang Kai-Sheks gegen Japan.
Die Verteidigung der UdSSR erscheint somit nicht mehr als Ausgangs- sondern als Endpunkt ihrer Positionen. Sie spiegelt unter anderem ihre Grundprinzipien wider. Diese Grundprinzipien verlangen nicht, dass die Arbeiterklasse eine eigenständige Klassenposition gegenüber dem imperialistischen Krieg hat, sondern dass sie eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen nationalen kapitalistischen Gruppierungen treffen kann und muss, die sich zu einem gewissen Zeitpunkt gegenüberstehen. Sie müssen als „fortschrittlich” erachtet werden und ihre Hilfe erhalten; d.h. in der Regel soll der schwächere, rückständigere, der „unterdrückte” Flügel der Bourgeoisie unterstützt werden.
Diese Position zu einer so grundsätzlichen, zentralen Frage wie der des Krieges stellt die Trotzkisten von vornherein als politische Strömung außerhalb des Proletariats und rechtfertig als solche schon die Notwendigkeit eines totalen Bruchs der proletarischen revolutionären Kräfte mit ihnen.
Aber wir haben nur eine Wurzel des Trotzkismus aufgegriffen. Im Allgemeinen stützt sich die trotzkistische Auffassung auf die Idee, dass die Befreiung des Proletariats nicht das Ergebnis eines „reinen” Kampfes sei, bei dem das Proletariat als Klasse gegenüber dem gesamten Kapitalismus reagiert, sondern das Ergebnis einer Reihe von politischen Kämpfen in einem engeren Sinne, bei dem nach schrittweisen Bündnissen mit verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie einige ausgelöscht werden sollten, wodurch es dem Proletariat stufenweise gelingen würde, die Bourgeoisie zu schwächen, sie mittels Spaltung zu besiegen und sie scheibchenweise zu schlagen.
Dies ist sicherlich eine strategisch sehr weitsichtige, subtile und maliziöse Sicht, die sich in dem Slogan „getrennt marschieren, gemeinsam schlagen… .” spiegelt. Es handelt sich um eine der Grundlagen der trotzkistischen Auffassung, die auch in der Theorie der „permanenten Revolution” bestätigt wird (eine neue Art). Der zufolge meint die permanente Revolution, dass die Revolution selbst als eine ständige Abfolge von politischen Ereignissen als eines von vielen anderen Ereignissen gesehen wird. Dieser Auffassung zufolge ist die Revolution kein Prozess der ökonomischen und politischen Überwindung einer in Klassen gespaltenen Gesellschaft. Der Aufbau des Sozialismus aber ist nur möglich und kann erst begonnen werden, nachdem das Proletariat die Macht ergriffen hat.
Es stimmt, dass diese Auffassung von der Revolution zum Teil dem Schema Marxens „treu” bleibt. Aber dies ist nur eine Treue gegenüber dem Wort. Marx vertrat dieses Schema 1848, als die Bourgeoisie noch eine historisch revolutionäre Klasse darstellte. In der Hitze der bürgerlichen Revolutionen, die über eine Reihe von Ländern Europas hinweg zogen, hoffte Marx, dass diese nicht auf der Stufe einer bürgerlichen Revolution stehen bleiben würden, sondern von dem Proletariat weiter bis zur sozialistischen Revolution getragen würden.
Auch wenn die Wirklichkeit Marx nicht bestätigt hat, handelte es sich bei ihm um eine sehr gewagte revolutionäre Auffassung, die den historischen Möglichkeiten voraus war. Die permanente Revolution der Trotzkisten ist aber eine völlig andere Sache. Den Worten Marxens bleibt sie schon treu, aber sie bleibt dem Geist nicht treu. Ein Jahrhundert nach dem Ende der bürgerlichen Revolutionen, zur Zeit des Weltimperialismus, während die kapitalistische Gesellschaft insgesamt in ihren Niedergang eingetreten ist, meint der Trotzkismus, dass bestimmte Fraktionen des Kapitalismus in einigen kapitalistischen Ländern (und wie es das Übergangsprogramm ausdrücklich sagt, in den meisten Ländern) eine fortschrittliche Rolle spielen können.
Marx wollte das Proletariat 1848 an die Spitze der Gesellschaft treten lassen; aber die Trotzkisten lassen die Arbeiterklasse 1947 zu einem Anhängsel der als „fortschrittlich” ernannten Bourgeoisie werden. Man kann sich kaum eine groteskere Karikatur, eine gröbere Verzerrung des Schemas der permanenten Revolution von Marx als die der Trotzkisten vorstellen.
So wie Trotzki dies im Jahre 1905 wieder aufgegriffen und formuliert hatte, behielt dieses Schema der permanenten Revolution seine revolutionäre Bedeutung. 1905, zu Beginn des Zeitraums des Imperialismus, als der Kapitalismus noch viele Jahre Wohlstand vor sich zu haben schien, kam Trotzki in dem Land, das in Europa mit am rückständigsten war, und wo weiterhin noch eine politisch feudale Infrastruktur bestand, wo die Arbeiterbewegung ihre ersten Schritte machte, gegenüber all den Fraktionen der russischen Sozialdemokratie, die den Eintritt der bürgerlichen Revolution ankündigten, gegenüber Lenin, der aufgrund vieler Einschränkungen nicht wagte weiter zu gehen, als der zukünftigen Revolution bürgerliche Reformen unter einer demokratisch revolutionären Führung durch Arbeiter und Bauern zuzuschreiben, in dieser Situation kam Trotzki unzweifelhaft das Verdienst zu, verkündet zu haben, dass die Revolution entweder eine sozialistische sein werde, die der Diktatur des Proletariats, oder dass sie keine Revolution sein werde.
Die Betonung der Theorie der permanenten Revolution lag auf der Rolle des Proletariats, das damals zur einzig revolutionären Klasse geworden war. Diese war eine sehr kühne revolutionäre Verkündung, die sich ganz gegen die kleinbürgerlichen, verängstigten und skeptischen sozialistischen Theoretiker richtete sowie gegen die zögernden Revolutionäre, denen es an Vertrauen in die Arbeiterklasse mangelte.
Während heute die Erfahrung von mehr als 40 Jahren diese theoretischen Elemente vollauf bestätigt hat, ist die Theorie der permanenten Revolution „neuen Verschnitts” in einer kapitalistischen Welt, die ihren Höhepunkt überschritten hat und schon in ihren Niedergang eingetreten ist, nur gegen die revolutionären „Illusionen” dieser Tollköpfe der extremen Linke, dieser Sündenböcke des Trotzkismus, gerichtet.
Heute wird die Betonung auf die rückständigen Illusionen der Proletarier gelegt, auf die Unvermeidbarkeit der Zwischenstufen, auf die Notwendigkeit einer realistischen und positiven Politik, auf die Arbeiter- und Bauernregierungen, auf die gerechten Kriege und fortschrittlich nationalen Revolutionen der Befreiung.
Dies ist heute das Schicksal der permanenten Revolution, sie liegt in den Händen der Jüngeren, die nur die Schwächen aufrechterhalten haben, aber nichts von der Größe, der Stärke und der revolutionären Tugend des Meisters übernommen haben.
Die „fortschrittlichen” Tendenzen und Fraktionen der Bourgeoisie und den revolutionären Weg des Proletariats zu unterstützen, die Spaltung und Gegensätze unter den Kapitalisten auszunutzen, sind nichts als die beiden Seiten der gleichen trotzkistischen Theorie. Wir haben gesehen, was aus der ersten geworden ist, schauen wir uns nun die zweite an.
Erstens in der Art und Weise, wie man besser die kapitalistische Ordnung schützt. D.h. besser die Ausbeutung des Proletariats sicherstellt. Zweitens hinsichtlich der unterschiedlichen ökonomischen Interessen verschiedenen Gruppen der Kapitalistenklasse. Trotzki, der sich oft durch seinen bildhaften Stil und seine Metapher hat fortreißen lassen, so dass er manchmal den wirklichen gesellschaftlichen Inhalt aus den Augen verlor, hat stark auf diesem zweiten Aspekt bestanden. „Man darf nicht den Kapitalismus als eine Einheit sehen”, meinte er. „Die Musik ist auch ein Ganzes, aber man wäre ein schlechter Musiker, wenn man nicht die unterschiedlichen Noten lesen könnte.” Diese Metapher wandte er auch auf die gesellschaftliche Bewegung und die Klassenkämpfe an. Niemand würde wirklich vorhandene Interessensunterschiede – auch nicht innerhalb der Kapitalistenklasse – und die daraus entstehenden Kämpfe leugnen oder verkennen. Es geht darum, welchen Platz diese Interessensunterschiede in der Gesellschaft und in den verschiedenen Kämpfen einnehmen. Man wäre ein sehr schlechter revolutionärer Marxist, wenn man die Kämpfe zwischen den Klassen und den Kampf zwischen Gruppen innerhalb der gleichen Klasse auf die gleiche Ebene stellt. „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.” Diese Grundsatzthese des Kommunistischen Manifestes verkennt natürlich nicht die Existenz von zweitrangigen Auseinandersetzungen verschiedener wirtschaftlicher Gruppen und Individuen innerhalb der gleichen Klasse und deren relative Bedeutung. Aber der Motor der Geschichte sind nicht diese zweitrangigen Faktoren, sondern der Kampf zwischen der herrschenden Klasse und der unterdrückten Klasse. Wenn eine neue Klasse in der Geschichte entsteht und eine alte ersetzt, die unfähig geworden ist, die Gesellschaft zu führen, d.h. in einer historischen Epoche der Umwälzungen und der gesellschaftlichen Revolution, bestimmt und dominiert der Kampf zwischen diesen beiden Klassen absolut all die gesellschaftlichen Ereignisse und alle zweitrangigen Konflikte. In solchen historischen Zeiträumen wie unserem auf die zweitrangigen Konflikte zu bestehen, mit deren Hilfe man die Richtung der Bewegung des Klassenkampfes, seine Richtung und sein Ausmaß bestimmen möchte, zeigt sonnenklar auf, dass man nichts von den Grundsätzen der marxistischen Methode verstanden hat. Man betreibt nur abstrakte Spielereien mit Musiknoten und unterwirft konkret den gesellschaftlichen historischen Kampf des Proletariats den Zufälligkeiten der politischen Konflikte unter den Kapitalisten.
Diese ganze Politik beruht im Kern auf einem tiefgreifenden Mangel an Vertrauen in die eigenen Kräfte des Proletariats. Offensichtlich haben die letzten drei Jahrzehnte ununterbrochener Niederlagen tragisch die Unreife und die Schwäche des Proletariats deutlich werden lassen. Aber es wäre ein Fehler, die Wurzel dieser Schwächen in der Selbstisolierung des Proletariats zu suchen, in der Abwesenheit eines ausreichend weichen, anpassungsfähigen Verhaltens gegenüber den anderen Klassen, Schichten und politischen Strömungen, die der Arbeiterklasse feindlich gegenüber eingestellt sind. Das Gegenteil ist der Fall. Seit der Gründung der Komintern warnte man unaufhörlich vor der Kinderkrankheit der Linksradikalen; man entwarf die unrealistische Strategie der Eroberung der großen Massen, der Eroberung der Gewerkschaften, der revolutionären Ausnutzung der Parlamentstribüne, der politischen Einheitsfront mit dem „Teufel und seiner Großmutter” (Trotzki), der Beteiligung an Arbeiterregierungen in Sachsen usw.
Ein Desaster. Jeder neuen Eroberung mit einer „sanften Strategie” folgte eine noch größere und tiefergreifende Niederlage. Um diese Schwäche auszugleichen, für die das Proletariat verantwortlich gemacht wurde, stützte man sich zur „Stärkung” des Proletariats nicht nur auf Kräfte, die außerhalb des Proletariats standen (Sozialdemokraten), sondern auch auf ultrareaktionäre Kräfte: „revolutionäre” Bauernparteien; internationale Bauernkonferenzen, internationale Konferenzen der Kolonialvölker. Je mehr Niederlagen das Proletariat einstecken musste, desto mehr Bündnisse en masse wurden errichtet und die Politik der Ausbeutung triumphierte in der Kommunistischen Internationale. Sicher liegt die Wurzel dieser Politik in der Existenz des russischen Staates, der seine Existenz zu rechtfertigen suchte und von seinem Wesen her nichts mit sozialistischer Revolution zu tun hatte, denn er war dem Proletariat fremd und Gegner der Ziele desselben.
Zur Aufrechterhaltung seiner Existenz und seiner Stärkung muss der Staat Bündnisse mit den „unterdrückten” Bourgeoisien, den „Völkern” und Kolonien und „fortschrittlichen” Ländern suchen; diese findet er auch, denn diese sozialen Gruppierungen müssen ebenso einen Staat errichten. Er kann über die Spaltung und die Konflikte zwischen anderen Staaten und kapitalistischen Gruppen spekulieren, weil er das gleiche Klassenwesen wie diese besitzt.
In diesen Konflikten kann die Schwächung einer dieser Antagonismen zu einer Bedingung für seine Verstärkung werden. Dies trifft aber auf die Arbeiterklasse und ihre Revolution nicht zu. Sie kann sich auf keinen dieser Verbündeten oder Kräfte stützen. Sie steht alleine da und steht immer in einem unüberwindbaren historischen Widerspruch zu all diesen Kräften und Leuten, die sich ihr gegenüber zu einer untrennbaren Einheit zusammenfügen.
Das Proletariat sich seiner Position und seiner historischen Aufgabe bewusst werden zu lassen, ihm die großen Schwierigkeiten seines Kampfes nicht zu vertuschen, ihm aufzuzeigen, dass es aber auch keine Wahl hat, wenn es seine menschliche und physische Existenz bewahren will, ihm zeigen, dass es trotz dieser Schwierigkeiten siegen kann und muss, dies ist der einzige Weg der Stärkung des Proletariats für seinen Sieg.
Aber wenn man versucht, diesen Schwierigkeiten auszuweichen, indem man für die Arbeiterklasse mögliche Verbündete sucht (auch nur vorübergehende) und ihm „fortschrittliche” Kräfte anderer Klassen anbietet, auf die sie sich in ihrem Kampf stützen sollte, heißt die Arbeiterklasse zu täuschen, um sie zu trösten, zu entwaffnen und sie in die Irre zu führen. Darin besteht die Funktion der Trotzkisten heute.
Einige Leute leiden unter einem Minderwertigkeitsgefühl, andere unter Schuldgefühlen, wieder andere unter Verfolgungswahn. Der Trotzkismus wiederum leidet unter einer Krankheit, die man mangels besserer Bezeichnung „Verteidigungsmanie” nennen könnte. Die ganze Geschichte des Trotzkismus dreht sich um die „Verteidigung” von irgendetwas. Und wenn die Trotzkisten unglücklicherweise in „flauen Wochen‘ nichts und niemanden zum Verteidigen finden, werden sie sprichwörtlich krank. Dann erkennt man sie an ihren traurigen Gesichtern, ihren niedergeschlagenen Minen, ihrem verstörten Blick, wie sie wie ein Drogenabhängiger ihre tägliche Giftdosis suchen: eine Sache oder ein Opfer, für dessen Verteidigung sie eintreten könnten.
Gott sei Dank gibt es ein Russland, in dem es einmal eine Revolution gegeben hat. Dies dient den Trotzkisten ewig zur Rechtfertigung ihres Dranges der Verteidigung. Was immer in Russland passiert, bleiben die Trotzkisten unerschütterlich für die „Verteidigung der UdSSR”, denn sie haben in Russland eine unerschöpfliche Quelle gefunden, welche ihr Laster der „Verteidigung” befriedigt.
Aber nicht nur die großen Verteidigungen zählen. Um das Leben des Trotzkismus zu bereichern, braucht man zusätzlich zu der großen Verteidigung die unsterbliche, bedingungslose „Verteidigung der UdSSR” – welche die Grundlagen und die Daseinsberechtigung des Trotzkismus liefern. Der Trotzkismus ist erpicht auf die „alltäglichen…Verteidigungen”, das, was er „jeden Tag verteidigen” kann.
In der Niedergangsphase des Kapitalismus entfesselt dieser eine allgemeine Zerstörung, von der die Arbeiterklasse betroffen ist, die wie immer Opfer des Regimes wird. Repression und Massaker breiten sich aus, sogar bis in die Kapitalistenklasse hinein pflanzt sich die Zerstörung fort. Hitler massakrierte die republikanischen Bürgerlichen, Churchill und Truman hängten und erschossen Goering und Co., Stalin erhielt das Einverständnis aller, als er verschiedene Leute massakrierte. Ein blutiges allgemeines Chaos, die Auslösung einer perfektionierten Bestialität und ein bislang unbekannter raffinierter Sadismus sind das zu zahlende unausbleibliche Lösegeld, wenn es dem Kapitalismus unmöglich geworden ist, seine Widersprüche zu überwinden. Gott sei gelobt. Welch ein Glücksfall für diejenigen, die auf der Suche einer verteidigungswerten Sache sind. Unsere Trotzkisten freuen sich! Jeden Tag bieten sich für unsere modernen Ritter neue Möglichkeiten, bei denen sie ihr großzügiges Wesen ihres Kampfes zur Wiedergutmachung jeglichen Unrechts und der Rache der Beleidigten zeigen können.
Im Herbst 1935 fing Italien eine militärische Kampagne gegen Äthiopien an. Es handelte sich zweifelsohne um einen imperialistischen Krieg der kolonialen Eroberung eines rückständigen Landes, Äthiopiens, das wirtschaftlich und politisch noch halbfeudal war, durch ein fortgeschrittenes kapitalistisches Land, Italien. In Italien herrschte das Regime Mussolinis, in Äthiopien das Regime Negus, der „König der Könige”. Aber der italienisch-äthiopische Krieg ist viel mehr noch als ein einfacher, klassischer Kolonialkrieg. Es handelte sich um die Vorbereitung, den Auftakt des sich ankündigenden Weltkriegs. Aber die Trotzkisten brauchen nicht so weit voraus zu schauen. Es reicht zu sehen, dass Mussolini der „böse Angreifer” gegen das „arme Königreich” des Negus ist, um unmittelbar die „bedingungslose” Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit Äthiopiens zu übernehmen. Ah, aber wie! Sie reihen ihre Stimme in den allgemeinen Chor ein (vor allem den Chor des angel-sächsischen „demokratischen” Blocks, welcher noch in der Bildung begriffen ist und sich noch sucht), um internationale Sanktionen gegen die „faschistische Aggression” zu fordern. Die stärksten Verteidiger unter allen, die zudem von niemanden in diesen Fragen Lehren erhalten können, schelten und prangern sie die aus ihrer Sicht unzureichende Verteidigung durch den Völkerbund an[9], und rufen die Arbeiter der Welt dazu auf, die Verteidigung Äthiopiens und des Negus zu übernehmen. Es stimmt zwar, dass die Verteidigung des Königs Negus durch die Trotzkisten diesem nicht besonders viel Glück gebracht hat, weil er trotz deren Verteidigung geschlagen wurde. Aber gerechterweise muss man sagen, dass ihnen die Schuld dieser Niederlage nicht angehaftet werden kann, denn wenn es um die Verteidigung geht, selbst die eines Negus, nörgeln die Trotzkisten nicht. Sie sind zur Stelle und wie!
1936 brach der Spanienkrieg los. In Gestalt eines inneren „Bürgerkrieges”, durch welchen die spanische Bourgeoisie in einen frankistischen und republikanischen Clan gespalten wurde, wurde dieser auf Kosten des Lebens und des Bluts der Arbeiter geführt. Er war das Vorspiel für den bevorstehenden Weltkrieg. Die Regierung, welche aus Republikanern, Stalinisten und Anarchisten zusammengesetzt war, war offensichtlich militärisch unterlagen. Natürlich eilten die Trotzkisten der Republik zur Hilfe, die „durch die faschistische Gefahr bedroht wurde”. Ein Krieg kann natürlich nicht fortgesetzt werden, wenn es an Kämpfern und Material fehlt. Er würde zum Erliegen kommen. Aus Angst vor solch einer Perspektive, wo man nichts mehr verteidigen könnte, setzen die Trotzkisten alles daran, Kämpfer für die internationalen Brigaden zu rekrutieren und bringen alle Mittel für die Entsendung von „Kanonen für Spanien” auf. Aber die republikanische Regierung, zu der Azaña, Negrin, Francos Freunde von gestern und heute gehören, sind die Feinde der Arbeiterklasse. Die Trotzkisten schauen nicht so genau hin. Sie verhandeln nicht ihre Hilfe. Man ist für oder gegen die Verteidigung. Wir Trotzkisten, wir sind Neo-Verteidiger. Punkt, basta!
1938 tobte der Krieg im Fernen Osten. Japan griff das China Tschiang Kai-Sheks an. Ah! Keine Zögerungen! „Alle geschlossen wie ein Mann für die Verteidigung Chinas”. Trotzki selbst erklärte, dies sei nicht der Zeitpunkt, um das blutige Massaker der Tausenden und Tausenden Arbeiter Shanghais und Kantons durch die Armeen des gleichen Tschiang Kai-Sheks während der Revolution von 1927 in Erinnerung zu rufen. Die Regierung Tschiang Kai-Shek mag wohl eine kapitalistische Regierung sein, die im Solde des amerikanischen Imperialismus steht, und die bei der Ausbeutung und der Repression der Arbeiter dem japanischen Regime in nichts nachsteht, all das zählt wenig angesichts des höheren Prinzips der nationalen Unabhängigkeit. Das internationale Proletariat, das für die Unabhängigkeit des chinesischen Kapitalismus mobilisiert wurde, bleibt immer unabhängig… vom Yankee-Imperialismus, aber Japan hat tatsächlich China verloren und ist geschlagen worden. Die Trotzkisten können zufrieden sein. Zumindest haben sie die Hälfte ihres Ziels erreicht. Es stimmt, dass dieser antijapanische Sieg Dutzende Millionen von Arbeitern, die im sieben Jahre dauernden Krieg an allen Fronten während des Weltkriegs massakriert wurden, das Leben gekostet hat.[10] Aber zählt das neben der garantierten Unabhängigkeit Chinas?
1939 griff Hitler-Deutschland Polen an. Vorwärts mit der Verteidigung Polens. Aber der russische „Arbeiterstaat” griff ebenfalls Polen an, und fiel zudem noch in Finnland ein und entriss Rumänien Gebietsstreifen. Das stiftet ein wenig Verwirrung in den Köpfen der Trotzkisten, die wie die Stalinisten erst wieder klarer sehen als die Feindseligkeiten zwischen Deutschland und Russland ausbrachen. Danach wurde die Lage wieder einfacher, zu einfach, tragisch einfach. Fünf Jahre lang riefen die Trotzkisten die Arbeiter aller Länder dazu auf, sich für die „Verteidigung der UdSSR” abschlachten zu lasen und auf Umwegen alle Verbündeten der UdSSR. Sie bekämpften die Regierung Vichys, die das französische Kolonialreich Deutschland dienstbar machen wollte und somit „seine Einheit” aufs Spiel setzte. Sie bekämpften Pétain und andere Quisling [11]. In den USA forderten sie die Kontrolle der Armee durch die Gewerkschaften, um besser die Verteidigung der UdSSR gegen die Bedrohung durch den deutschen Faschismus sicherzustellen. Sie waren bei allen Maquis, allen Résistance in allen Ländern präsent. Dies war die Blütezeit der „Verteidigung”.
Der Krieg mag wohl zu Ende kommen, aber der tiefgreifende Wunsch der Trotzkisten nach „Verteidigung” ist unbegrenzt. Das weltweite Chaos, das dem offiziellen Ende des Krieges folgte, die verschiedenen Bewegungen rasender Nationalismen, die bürgerlich-nationalistischen Erhebungen in den Kolonien, waren allemal Ausdrücke des weltweiten Chaos nach dem offiziellen Ende des Krieges, welches schließlich durch die Großmächte benutzt und angefacht wurde, um sie ihren imperialistischen Interessen unterzuordnen. Sie lieferten genug Stoff für die Trotzkisten zur Rechtfertigung ihrer „Verteidigungsargumentation“. Vor allem im Namen der bürgerlichen Kolonialbewegungen, unter den Fahnen der „nationalen Befreiung” und des „Kampfes gegen den Imperialismus” (eine verbalradikaler Schlachtruf) schlachtete man weiter Tausende Arbeiter ab. All das stellt den Höhepunkt der „Verteidigungsaufrufe” der Trotzkisten dar.
In Griechenland prallten der russische und anglo-amerikanische Block um die Vorherrschaft auf dem Balkan aufeinander; vor Ort geschah dies in Form von Partisanenkämpfen gegen die offizielle Regierung. Die Trotzkisten waren mit dabei. „Finger weg von Griechenland”, schrien sie, und sie kündigten die gute Nachricht den Arbeitern an, nämlich die Gründung von internationalen Brigaden auf dem jugoslawischen Territorium des Befreiers Tito [12], wo sie die Arbeiter dazu aufriefen, in Brigaden zum Kampf um die Befreiung Griechenlands einzutreten.
Nicht weniger enthusiastisch berichten sie von ihren heldenhaften Kämpfen in China in den Reihen der sog. Kommunistischen Armee, die genau so kommunistisch ist wie die russische Regierung Stalins, von der sie abstammt. Indochina, wo die Massaker ebenfalls gut organisiert worden sind, wird erneut ein Paradebeispiel für die trotzkistische Verteidigung der „nationalen Unabhängigkeit Vietnams” sein. Mit dem gleichen generösen Elan unterstützten und verteidigten die Trotzkisten die nationale bürgerliche Partei Destour in Tunesien, der nationalen bürgerlichen Partei (PPA) in Algerien. Sie fanden Befreiungstugenden bei der MDRM, der bürgerlich nationalistischen Bewegung in Madagaskar. Die Verhaftung von Funktionären der Republik und von Abgeordneten in Madagaskar durch die kapitalistische Regierung Frankreichs trieb die Empörung der Trotzkisten auf den Höhepunkt. Jede Woche wurde La Vérité mit neuen Aufrufen für die Verteidigung der „armen” Abgeordneten Madagaskars gedruckt. „Befreit Ravoahanguy, befreit Raharivelo, befreit Roseta!” Der Platz in der Zeitung reichte nicht mehr, um all die Aufrufe zur „Verteidigung”, an der sich die Trotzkisten beteiligen sollten, zu veröffentlichen. Verteidigung der in den USA bedrohten stalinistischen Partei! Verteidigung der pan-arabischen Bewegung gegen den jüdischen Kolonisationszionismus in Palästina, und Verteidigung der Wütenden vor der chauvinistischen jüdischen Kolonisation, der terroristischen Führer des Irgun gegen England!
Verteidigung der Sozialistischen Jugend gegen das Führungskomitee der SFIO.
Verteidigung der SFIO gegen denn neo-sozialistischen Ramadier.
Verteidigung der CGT (französische Gewerkschaft) gegen ihre Führer
Verteidigung der „Freiheiten…. gegen die Bedrohungen durch die „Faschisten um de Gaulle”
Verteidigung der Verfassung gegen die Reaktion
Verteidigung der Regierung von PS-PC-CGT gegen die MRP.
Und über allem stehend Verteidigung des „armen” Russlands Stalins, das von einer Umzingelung durch die USA bedroht ist.
Arme, arme Trotzkisten, auf den zarten Schultern lastet die schwere Bürde so vieler „Verteidiger”!
Am 31. Mai diesen Jahres hat etwas Sensationelles stattgefunden: Abd-al-Krim, der alte Führer des Rifs [13], hat die französische Regierung einfach stehen lassen, indem er bei seiner Überstellung nach Frankreich flüchtete. Diese Flucht wurde durch die Komplizenschaft des Königs Faruk aus Ägypten vorbereitet und ausgeführt, der ihm Asyl anbot, das man königlich nennen kann. Das Ganze erfolgte mit ziemlichem Wohlwollen der USA. Die Presse und die französische Regierung sind bestürzt. Die Lage Frankreichs in den Kolonien ist alles andere als sicher, und es wird neue Unruhen geben. Aber mehr als eine wirkliche Gefahr ist die Flucht Abd-al-Krims vor allem ein Ereignis, das Frankreich lächerlich aussehen lässt, dessen Prestige auf der Welt ohnehin schon angeschlagen ist. Auch versteht man die Proteste der ganzen Presse, die sich über den Vertrauensbruch Abd-al-Krims gegenüber der demokratischen französischen Regierung beschweren, der trotz seines Ehrenwortes flüchtete.
Dies ist natürlich ein „tolles” Ereignis für unsere Trotzkisten, die vor Freude mit den Füßen trampeln. La Vérité vom 6. Juni titelt „Bravo Abd-al-Krim”, sie empfindet Mitleid mit dem, der „den heldenhaften Kampf des marokkanischen Volkes anführte”. La Vérité lobt die revolutionäre Größe seiner Geste. „Wenn sie diese Herren des Generalsstabs und des Ministeriums der Kolonien getäuscht haben, haben sie das toll gemacht. Man muss wissen, wie man die Bourgeoisie hinters Licht führt, sie belügt, sie austrickst, lehrte uns Lenin”, schreibt La Vérité. So wurde Abd-al-Krim zu einem Schüler Lenins gemacht, in Erwartung, dass er ein Ehrenmitglied des Exekutivkomitees der 4. Internationale wird.
Die Trotzkisten versichern uns, „als alter Kämpfer des Rifs, der wie in der Vergangenheit die Unabhängigkeit seines Landes wollte,… so lange wie Abd-al-Krim kämpft, werden alle Kommunisten auf der Welt ihm helfen und ihn unterstützen”. Sie sagen zum Schluss: „Was gestern die Stalinisten sagten, wiederholen wir Trotzkisten heute”.
Tatsächlich könnte man das nicht deutlicher sagen.
Aber wir werfen den Trotzkisten nicht vor, „das heute zu wiederholen, was die Stalinisten gestern gesagt haben” und das zu tun, was die Stalinisten immer getan haben. Wir werfen den Trotzkisten auch nicht vor, das zu „verteidigen” was sie wollen. Sie erfüllen eigentlich ganz ihre Rolle.
Aber es möge uns gestattet sein, einen Wunsch auszudrücken, einen einzigen Wunsch. Mein Gott! Hoffen wir, dass die Notwendigkeit der Verteidigung der Trotzkisten nicht eines Tages dem Proletariat zufällt. Denn mit dieser Art Verteidigung wird die Arbeiterklasse sich nie mehr erheben können.
Die Erfahrung mit dem Stalinismus reicht vollkommen!
Marc
[1] Siehe unsere Broschüre La Gauche Communiste de France.
[2] Siehe unseren Artikel „La Gauche Communiste et la continuité du marxisme“.
[3] Siehe dazu das erste Kapitel unserer Broschüre zur „Gauche Communiste de France“. Die gescheiterten Versuchte der Schaffung einer Gauche Communiste de France.
[4] (Hinweis der Redaktion) Ein besonderer Hinweis auf Munis sei hier angebracht, welcher mit dem Trotzkismus auf der Grundlage der Verteidigung des proletarischen Internationalismus brach. Siehe dazu unseren Artikel in Internationale Revue Nr. 58 (französische Ausgabe). Dem Gedenken an Munis, Kämpfer der Arbeiterklasse. A la mémoire de Munis, un militant de la classe ouvrière.
[5] (Hinweis der Redaktion): Es handelt sich um die russische Offensive 1939, die neben Finnland auch auf Polen gerichtet war (das seinerzeit von Hitler überfallen wurde), sowie auf die Baltischen Staaten und Rumänien.
[6] Es ist ganz typisch, dass die Gruppe Johnson-Forest, die sich von der Partei Schachtmans getrennt hat und sich als „sehr links“ bezeichnet, weil sie gleichzeitig die Verteidigung der UdSSR ablehnt und die antirussischen Positionen Schachtmans, dass die gleiche Gruppe heftig die französischen Trotzkisten kritisiert, die ihnen zufolge sich nicht direkt aktiv genug an der „Résistance‘ beteiligt haben. Dies ist ein typisches Beispiel des Trotzkismus.
[7] (Hinweis der Redaktion): Forces Françaises de l‘Intérieur, Gesamtheit der militärischen Gruppen der französischen inneren Résistance, die im besetzten Frankreich gebildet worden waren, und im März 1944 unter den Befehl des General Königs und der politischen Autorität des General de Gaulles gestellt worden war.
[8] (Hinweis der Redaktion): Parti Communiste Internationaliste, Ergebnis des Zusammenschlusses 1944 der Parti Ouvrier Internationaliste und des Comité Communiste Internationaliste
[9] (Hinweis der Redaktion) Völkerbund, Vorläufer vor dem Krieg der Vereinten Nationen
[10] Man lese zum Beispiel La Vérité vom 20.06.1947. „Der heldenhafte Kampf der chinesischen Trotzkisten“: In der Provinz Chandung wurden unsere Genossen zu den besten Kämpfern der GuerillaÖ In der Provinz Xiang-Chi wurden die Trotzkisten von den Stalinisten als die ‘loyalsten Kämpfer gegen Japan’ begrüßt. Usw.
[11] (Hinweis der Redaktion): Vidkum Quisling war der Führer der norwegischen Nasjonal Samling (Nazipartei) und Führer der Phantomregierung, die von Deutschland nach der Besetzung Norwegens eingesetzt worden war.
[12] (Hinweis der Redaktion): Josip Broz Tito war einer der Hauptverantwortlichen der jugoslawischen Résistance am Ende des Krieges.
[13] (Hinweis der Redaktion) Mohammed Abd al-Karim Al Khattabi (in Ajdir, Marokko,ca. 1882 geboren), verstorben am 6.Februar 1963 in Kairo in Ägypten), führte einen langen Widerstandskampf gegen die Kolonialbesetzung des Rifs – Bergregion im Norden Marokkos – zunächst gegen die Spanier, dann gegen die Franzosen. Ihm gelang es 1922 , eine „Konföderierte Republik der Stämme des Rifs“ auszurufen. Der Krieg zur Niederschlagung dieser neuen Republik wurde von einer Armee von 450.000 Soldaten geführt, die Frankreich und Spanien zusammengestellt hatten. Als er sah, dass seine Sache aussichtslos war, stellte sich Abd-al-Krim den Behörden als Kriegsgefangener, um das Leben von Zivilisten zu schützen, was aber die Franzosen nicht daran hinderte, die Dörfer mit Senfgas zu bombardieren, wodurch 150.000 Menschen getötet wurden. Abd-al-Krim ging ab 1926 nach La Réunion ins Exil, wo er unter Hausüberwachung stand, aber 1947 durfte er nach Frankreich zurückkehren. Als sein Schiff in Ägypten Zwischenstop machte, übertölperte er seine Bewacher, und verbrachte den Rest seines Lebens in Kairo. (siehe Wikipedia).
Wir laden den Leser und die Leserin, welche die Entwicklung dieser Debatte verfolgen wollen, dazu ein, die Artikel in den Nummern 42, 43 und 44 dieser Revue zu lesen. Der Artikel, den wir nachfolgend veröffentlichen, beruft sich auf die These des keynesianisch-fordistischen Staatskapitalismus, die die Idee vertritt, dass der Aufschwung der 1950er und 60er Jahre auf der Einführung von keynesianischen Maßnahmen durch die Bourgeoisie beruhte. Er antwortet auf die Artikel, die in der Revue Nr. 44 veröffentlicht worden sind und die die Idee vertreten, dass der Aufschwung vor allem eine Folge der Ausbeutung der letzten wichtigen außerkapitalistischen Märkte und eine blinde Flucht in die Verschuldung war (These Außerkapitalistische Märkte und Verschuldung)[1], bzw., dass dieser Aufschwung vor allem dem Gewicht der Kriegswirtschaft und des Staatskapitalismus in der Gesellschaft geschuldet war[2].
In der Einführung zur Veröffentlichung dieser beiden Artikel, haben wir einen Überblick über die Entwicklung der Diskussion gegeben und darauf hingewiesen, dass die These keynesianisch-fordistischer Staatskapitalismus „nun offen verschiedene Positionen der IKS in Frage stellt". Die GenossInnen, die den vorliegenden Artikel unterschrieben haben, sind mit dieser Behauptung nicht einverstanden und erklären warum[3].
Schließlich haben wir in der erwähnten Einführung darauf hingewiesen, dass der Artikel Die Ursprünge, Dynamiken und Grenzen des keynesianisch-fordistischen Staatskapitalismus in der RevueNr. 43 (der auch die These keynesianisch-fordistischer Staatskapitalismus vertritt) einige Probleme bereitet wegen eines Mangels an „strengstmöglicher wissenschaftlicher und militanter Klarheit, insbesondere was die Verweise auf Texte der Arbeiterbewegung betrifft, die zur Unterstützung eines Arguments oder für die Polemik benutzt werden", insbesondere durch die Verfälschung des Sinns von einigen der verwendeten Zitate. Dieses Problem hat überhaupt nichts mit dem Inhalt dieser Position zu tun, was der vorliegenden, neue Artikel beweist, der auf dieser Ebene tadellos ist.
Antwort auf Silvio und Jens
Wir setzen hier die Debatte fort, die in der Internationalen Revue Nr. 42 über „die ökonomische Analyse der starken Aufschwungsperiode nach dem Zweiten Weltkrieg" begonnen hat, eine Periode, die „mit ihren spektakulären und einzigartigen Wachstumsraten der Weltwirtschaft eine Ausnahme in der Geschichte der Dekadenz des Kapitalismus" darstellte. Wir wollen auf die Argumente der Beiträge der Genossen Silvio und Jens antworten, die in der Nr. 44 veröffentlicht worden sind, und auch auf die Einführung zu diesen Beiträgen in der gleichen Nummer, die unseres Erachtens einige Missverständnisse enthält.
Die verschiedenen Auffassungen, über die wir gegenwärtig in unserer Organisation diskutieren, befinden sich alle im Rahmen der Positionen, die von den Revolutionären in der Zweiten und Dritten Internationalen und in der Kommunistischen Linken vertreten wurden. Dabei meinen wir unter anderem die Beiträge von Luxemburg, Bucharin, Trotzki, Pannekoek, Bilan und Mattick. Wir sind uns bewusst, dass diese Beiträge sich nicht alle versöhnen lassen, da sie sich doch in verschiedener Hinsicht ausdrücklich widersprechen. Aber keiner von ihnen erklärt für sich allein abschließend und befriedigend die Entwicklung des so genannten „Wirtschaftswunders", und zwar aus dem einfachen Grund, dass ihre Autoren (mit der Ausnahme von P. Mattick) nicht in dieser Zeit lebten. Wir meinen, dass alle von ihnen zur Diskussion, die wir gegenwärtig führen, beigetragen haben. Es obliegt den heutigen Revolutionären, die offene Diskussion in der revolutionären Bewegung fortzuführen, um die Mechanismen, welche die Entwickluång des Kapitalismus - vor allem in seiner Niedergangsphase - ermöglichen oder bremsen, besser zu verstehen.
Diejenigen, die diesen Artikel geschrieben haben, vertreten die These des keynesianisch-fordistischen Staatskapitalismus. Diese These wurde durch C.Mcl detaillierter in der Internationalen RevueNr. 43 vorgestellt. C.Mcl hat es aber in der Zwischenzeit vorgezogen, die Debatte zu verlassen, und den Kontakt zu uns abgebrochen. Deshalb wissen wir nicht, ob die Position, die wir hier verteidigen, mit der seinigen absolut identisch ist.
Von welchen Fakten gehen wir aus?
Bevor wir mit der eigentlichen Debatte fortfahren, möchten wir zuerst einige historische Fakten festhalten, über die es unter den drei Positionen, die bis jetzt in der Debatte formuliert worden sind, Einigkeit zu geben scheint:
1. In der Zeit von 1945-75 stieg mindestens in den industrialisierten Ländern des US-amerikanisch beherrschten Blockes nicht nur das BIP pro Kopf wie nie zuvor in der Geschichte des Kapitalismus[4], sondern es gab auch einen Anstieg des Reallohnes der Arbeiter[5].
2. In der gleichen Zeit und in den gleichen Ländern gab es eine anhaltende Zunahme in der Arbeitsproduktivität, die „größten Produktivitätssteigerungen in der Geschichte des Kapitalismus. Dies war vor allem der Perfektionierung der Fließbandproduktion (Fordismus), der Automatisierung der Produktion und ihrer größtmöglichen Ausweitung geschuldet"[6]. Oder einfach gesagt: Technik und Organisation der Produktion ermöglichten es, dass ein Arbeiter in einer Stunde viel mehr produzierte als zuvor.
3. Die Profitrate (d.h. der Profit im Verhältnis zum gesamten investierten Kapital) war in fast der ganzen Zeit des „Wirtschaftswunders" sehr hoch, begann aber ab 1969 tendenziell wieder zu sinken. Alle, die an dieser Debatte teilnehmen, beziehen sich in dieser Hinsicht auf die gleichen Statistiken[7].
4. Mindestens bis 1971 gab es zwischen den Staaten des US-amerikanisch beherrschten Blockes eine besondere Konzertierung wie nie zuvor in der Geschichte des Kapitalismus (Blockdisziplin, Bretton-Woods-System[8]).
Was die ersten drei Punkte betrifft, so ist eine gewisse Konsequenz in der Argumentation vonnöten. Wenn wir uns alle über diese Fakten einig sind, so können wir nicht plötzlich auf halbem Weg stehen bleiben und darauf beharren, „dass die tatsächliche Prosperität der 1950er und 1960er Jahre nicht so großartig war, wie die Bourgeoisie gern vorgibt, wenn sie stolz auf das BSP der wichtigsten Industrieländer jener Zeit verweist"[9]. Was uns die Bourgeoisie über diese Zeit erzählt, ist das eine; das andere ist, dass wir das Problem nicht lösen können, indem wir einfach sagen: Es existiert nicht, denn das Wachstum war nicht so stark. Wir können die Debatte nicht diesem Punkt aufgeben. Wir müssen den Gedanken weiter treiben, denn wir haben - wie das Proletariat ganz allgemein - kein Interesse daran, Tatsachen zu verheimlichen. Wir stehen also vor der Herausforderung, die Mechanismen zu erklären, die gleichzeitig dreierlei erlaubten:
- eine Akkumulation ohne größere Unterbrüche (abgesehen von den üblichen zyklischen Krisen);
- eine hohe Profitrate;
- wachsende Reallöhne.
Ob wir einen Aspekt überbewerten oder gewisse Schwierigkeiten unterschätzen - das sind relative Argumente (es geht dabei um mehr oder weniger Quantität), aber hier interessiert uns eine qualitative Frage: Wie war es möglich, dass der dekadente Kapitalismus eine ungefähr zwanzigjährige Aufschwungphase erlebte, in welcher die Löhne stiegen und die Profite auf einem hohen Niveau blieben? Dies ist die Frage, auf die wir antworten müssen.
Die These des keynesianisch-fordistischen Staatskapitalismus wird vor allem deshalb kritisiert, weil sie einen Teil der Argumentation Rosa Luxemburgs zurück weist, wie es aus dem Artikel in der Internationalen Revue Nr. 43, der unsere These im Einzelnen vorstellt, hervorgeht. Anscheinend ist nicht klar, bis zu welchem Punkt wir einverstanden sind mit R. Luxemburg. So meint der Genosse Jens in seinem Artikel in der Internationalen Revue Nr. 44, dass C.Mcl seine Auffassung seit einem früheren Artikel, den dieser Genosse in der International Review Nr. 127 (engl./franz./span. Ausgabe) schrieb, geändert habe. Doch schon in diesem Artikel wurde (im Namen der IKS in einer Polemik mit der CWO) erklärt, dass die Verkleinerung des zahlungsfähigen Marktes im Vergleich zu den Bedürfnissen des Kapitals „natürlich nicht (...) der einzige Faktor ist, der der Krise zugrunde liegt", vielmehr müsse auch das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate und das Ungleichgewicht der Akkumulationsgeschwindigkeit in den beiden großen Abteilungen der Produktion in Betracht gezogen werden.
Unserer Meinung nach ist die Realisierung des produzierten Mehrwerts in der Tat ein Grundproblem des Kapitalismus. Es gibt nicht nur eine, sondern zwei wesentliche Ursachen der kapitalistischen Krise (für den Moment interessieren wir uns nicht für das dritte Problem, dasjenige der Proportionalität). Es gibt nicht bloß das Problem, dass die Profitrate wegen der Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals tendenziell sinkt, sondern (nach dem Akt der Produktion und der Aneignung des Mehrwerts) taucht das Problem des Verkaufs des Produkts einschließlich des Mehrwerts auf. Es ist ein Verdienst R. Luxemburgs, die Schwierigkeit der Realisierung des Produkts aufgrund des Mangels an zahlungsfähigen Märkten beleuchtet zu haben.
Der Kapitalismus ist ein System, das sich notwendigerweise ausdehnen muss. Die Akkumulation ist nicht einfache Reproduktion, sondern erweiterte. Das Kapital will nach jedem Produktionszyklus seine Grundlage erweitern, d.h. sowohl das konstante als auch das variable Kapital. Der Kapitalismus entwickelte sich in einer feudalistischen Umgebung, in einem außerkapitalistischen Milieu, mit dem er Beziehungen knüpfte, um die materiellen Mittel für seine Akkumulation zu erhalten: Rohstoffe, Arbeitskräfte usw.
Ein anderes Verdienst R. Luxemburgs war, dass sie die Beziehungen zwischen der kapitalistischen Sphäre und dem außerkapitalistischen Milieu analysierte. Wir sind nicht mit allen Argumenten dieser ökonomischen Analyse einverstanden (wie wir weiter unten darlegen werden), aber wir teilen mit ihr die Kerngedanken: dass der Kapitalismus ständig die anderen Produktionsweisen um ihn herum zerstört, dass der innere Widerspruch eine Lösung in der Erweiterung des äußeren Feldes sucht und dass eine qualitative Veränderung in der Entwicklung des Kapitalismus von dem Moment an eintrat, wo der ganze Planet vom Kapitalismus erobert war, d.h. als der Weltmarkt ausgebildet war. In diesem Moment hatte der Kapitalismus seine fortschrittliche Funktion erfüllt und trat in seine Niedergangsphase ein. Wie C.Mcl in der International Review Nr. 127 sagte: Luxemburg erklärte „tiefer den Grund und den Moment des Eintritts des kapitalistischen Systems in die Dekadenz, denn sie analysierte nicht nur die geschichtliche Beziehung zwischen den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und dem Imperialismus, indem sie nachwies, dass das System nicht überleben kann, ohne sich auszudehnen, ohne seinem Wesen nach imperialistisch zu sein, sondern sie präzisierte darüber hinaus den Moment und die Art und Weise, wie das kapitalistische System in seine Niedergangsphase eintritt. (...) So zeichnete sich der Eintritt in die Dekadenz des Systems nicht durch das Verschwinden der außerkapitalistischen Märkte aus (...), sondern durch ihr Ungenügen gemessen an den Bedürfnissen der im Kapitalismus erreichten erweiterten Akkumulation"[10].
Es trifft zu, dass im aufsteigenden Kapitalismus die Märkte außerhalb der kapitalistischen Sphäre einen Absatzmarkt für die Waren darstellten, wenn es Überproduktion gab. Schon in seiner aufsteigenden Phase litt der Kapitalismus an seinen inneren Widersprüchen und überwand sie zeitweilig auf der einen Seite durch die periodischen Krisen und auf der anderen durch den Verkauf der Produkte, die in der rein kapitalistischen Sphäre nicht verkauft werden konnten, auf außerkapitalistischen Märkten. In den zyklischen Krisen, die durch den Fall der Profitrate hervorgerufen werden, entwerten sich verschiedene Teile des Kapitals so, dass sich eine neue organische Zusammensetzung ergibt, die es wieder erlaubt, rentabel zu akkumulieren. Und auf der anderen Seite stellte die außerkapitalistische Umgebung in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus ein „Ventil für den Verkauf von Waren aus der Überproduktion"[11] dar, was auf dieser Ebene das Problem des Mangels an zahlungskräftigen Märkten abschwächte.
Der Fehler von R. Luxemburg besteht darin, dass sie diese außerkapitalistischen Märkte und den Verkauf des zur Akkumulation bestimmten Teil des Mehrwerts auf diesen Märkten zu wesentlichen (unabdingbaren) Elementen der erweiterten Reproduktion erklärt. Der Kapitalist produziert für den Verkauf, und nicht für die Produktion als Selbstzweck. Die Ware muss also einen Käufer finden. Und jeder Kapitalist ist vor allem ein Verkäufer; er kauft nur, um wieder zu investieren, und nur, nachdem er sein Produkt mit Gewinn hat verkaufen können. Das heißt, das Kapital muss eine Geldphase durchlaufen, und je einzeln und zu ihrer Realisierung müssen die Waren in Geld verwandelt werden, aber dies betrifft nicht die Gesamtheit der Waren im gleichen Moment, auch nicht jährlich, wie es Luxemburg darstellt: ein Teil kann in der materiellen Form verharren, während ein anderer durch verschiedene Handelstransaktionen weitergereicht wird, bei denen eine bestimmte Menge Geld mehrere Male bei der Umwandlung von Ware in Geld oder umgekehrt dienen kann.
Wenn es keinen Kredit gäbe und wenn man die jährliche Produktion auf einmal auf dem Markt in Geld verwandeln müsste, so wäre tatsächlich ein Käufer nötig, der sich außerhalb der kapitalistischen Produktion befände.
Aber so verhält es sich nicht. Selbstverständlich kann es Hindernisse geben im Zyklus Kauf - Produktion / Mehrwertabpressung - Verkauf - neuer Kauf usw. Es gibt sogar manche Schwierigkeit dabei. Aber der Verkauf an einen außerkapitalistischen Käufer ist nicht konstitutiv für die „normale" Akkumulation, sondern lediglich ein mögliches Ventil im Falle von Überproduktion oder Ungleichgewicht zwischen Produktion von Produktionsmitteln und Produktion von Konsumgütern - von Problemen, die sich nicht ständig äußern.
Dieser Schwachpunkt in der Argumentation R. Luxemburgs wurde auch schon von „Luxemburgisten" kritisiert, wie Fritz Sternberg, der in dieser Hinsicht von „fundamentalen, schwer begreiflichen Irrtümern"[12] spricht. Es ist schwer begreiflich, weshalb dieser Kritikpunkt Sternbergs von den Verteidigern des „reinen Luxemburgismus" nicht in Betracht gezogen wird. Seit dem Beginn der Debatten in der IKS über die Dekadenz (1970er Jahre) ist F. Sternberg eine wichtige Referenz, und zwar gerade weil er sich selber als Luxemburgisten betrachtet.
Der Genosse Jens ist nicht einverstanden mit der Idee der These keynesianisch-fordistischer Staatskapitalismus, wonach „die außerkapitalistischen Märkte nicht anderes sind als eine Art Überlaufventil für den kapitalistischen Markt, wenn er zu voll wird"[13]. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wir denken, dass genau hier der Unterschied liegt zwischen dem „reinen Luxemburgismus" von Jens (und Silvio) und dem Luxemburgismus von Sternberg. In diesem Punkt stimmen wir mit Sternberg überein.
Für uns ist das Rätsel des „Wirtschaftswunders" nicht erklärbar mit Überresten von außerkapitalistischen Märkten, denn diese vermögen schon seit dem Ersten Weltkrieg den Akkumulationsbedürfnissen, die der Kapitalismus erreicht hat, nicht mehr zu genügen.
Für die These keynesianisch-fordistischer Staatskapitalismus ist der lange Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg der Kombination von mindestens drei wesentlichen Faktoren geschuldet:
- eine starke Zunahme der Produktivität während einer Phase von mehr als zwei Jahrzehnten;
- eine erhebliche Erhöhung der Reallöhne in der gleichen Zeit;
- ein entwickelter Staatskapitalismus, der keynesianische Maßnahmen auch auf anderen Gebieten als demjenigen des Arbeitslohnes umsetzte (und auf zwischenstaatlicher Ebene koordiniert wurde).
In der Internationalen Revue Nr. 44 fragt der Genosse Silvio fassungslos: „Was bedeutet es, die Profitproduktion zu steigern? Es bedeutet, Waren zu produzieren und zu verkaufen, doch um welche Nachfrage zu befriedigen? Die der ArbeiterInnen?"
Wir möchten auf die Sorge des Genossen antworten: Wenn die Arbeitsproduktivität allgemein, in allen Industriezweigen, ansteigt, werden die Konsumgüter der Arbeiter billiger. Der Kapitalist bezahlt seinen Arbeitern weniger Geld für die gleiche Arbeitszeit. Die unbezahlte Arbeitszeit nimmt zu und damit der Mehrwert. Das heißt, die Mehrwertrate wächst (was dasselbe ist wie die Ausbeutungsrate). Diesen Mechanismus nannte Marx die relative Mehrwertproduktion. Wenn die anderen Faktoren gleich bleiben (oder wenn das konstante Kapital selbst billiger wird), bedeutet eine Erhöhung der Mehrwertrate auch eine Erhöhung der Profitrate. Wenn dieser Profit genügend hoch ist, können die Kapitalisten gleichzeitig die Löhne anheben, ohne den ganzen Zuwachs an abgepresstem Mehrwert zu verlieren.
Soweit so gut, nun kommt als zweite Frage der Markt ins Spiel. Wenn der Lohn des Arbeiters erhöht wird, kann er mehr konsumieren. Die Arbeitskraft muss reproduziert werden, wie dies Marx beschrieben hat. Es handelt sich um die Reproduktion des variablen Kapitals (v), die ebenso notwendig ist wie die Erneuerung des konstanten Kapitals (c). Dabei ist aber auch das konstante Kapital Teil des kapitalistischen Marktes. Ein allgemeiner Anstieg der Löhne bedeutet eine Vergrößerung dieses Marktes.
Darauf könnte man antworten, dass eine solche Vergrößerung des Marktes nicht genüge, um den ganzen für die Akkumulation bestimmten Teil des Mehrwertes zu realisieren. Dies trifft sicher zu, wenn man die Frage allgemein und für einen längeren Zeitraum stellt. Wir, die diese These keynesianisch-fordistischer Staatskapitalismusvertreten, meinen nicht, wir hätten die Lösung für die inneren Widersprüche des Kapitalismus gefunden - eine Lösung, die nach Gutdünken immer wieder aus dem Hut gezaubert werden könnte. Unsere Analyse ist keine neue Theorie, sondern eine Fortsetzung der Kritik der kapitalistischen Ökonomie, eine Kritik, die Marx begann und andere schon zitierte Revolutionäre weiter führten.
Aber man kann nicht bestreiten, dass eine solche Vergrößerung des Marktes das Problem der ungenügenden Nachfrage unter den Bedingungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden, abschwächte. Vielleicht fragt sich der Genosse Silvio immer noch: Woher kommt diese Nachfrage? - Eine Nachfrage setzt im Kapitalismus zweierlei voraus: ein Bedürfnis (der Wunsch zu konsumieren) und die Zahlungsfähigkeit (Besitz von Geld). Der erste Faktor ist fast nie ein Problem, denn immer gibt es einen Bedarf nach Konsumgütern. Der zweite Faktor dagegen ist für den Kapitalismus ein Dauerproblem - eines, das er eben in der Zeit des Wirtschaftswunders mit den steigenden Löhnen genau abschwächen konnte.
Aber die Erweiterung des Absatzmarktes durch die Lohnabhängigen ist nicht der einzige Faktor, der der Knappheit der Märkte in dieser Zeit entgegenwirkte; vielmehr kamen die größeren Ausgaben des keynesianischen Staates (z.B. Investitionen in Infrastrukturprojekte, in die Rüstung etc.) hinzu. Es gab eine Dreiteilung des Gewinnzuwachses, eine Aufteilung der dank des Produktivitätszuwachses erreichten Gewinne zwischen Kapitalisten (Profite), Arbeitern (Löhne) und Staat (Steuern). Es scheint, dass uns der Genosse Silvio insoweit folgt, wenn er sagt: „Es trifft zu, dass der Konsum der ArbeiterInnen und die Staatsausgaben es möglich machen, die Produkte einer gesteigerten Produktion zu verkaufen". Doch sieht er ein anderes Problem: „(...) wie wir gesehen haben, mündet dies in eine Sterilisierung des produzierten Reichtums, da er nicht sinnvoll verwendet werden kann, um Kapital zu verwerten". Dabei bezieht er sich auf den Gedanken, dass „die Erhöhung von Löhnen über das für die Reproduktion der Arbeitskraft Erforderliche hinaus - vom kapitalistischen Standpunkt aus - nichts anderes als reine Verschwendung von Mehrwert [ist], der nicht zu einem Bestandteil des Akkumulationsprozesses werden kann".
Hier vermischt der Genosse zwei verschiedene Sphären, die zuerst einmal zu unterscheiden sind, bevor der Gesamtprozess analysiert werden kann, der beide vereint:
- ein Problem (in der Sphäre der Zirkulation, der Märkte) ist die Realisierung des geschaffenen Produkts; auf dieser Ebene scheint uns Silvio recht zu geben, wenn er sagt, dass der Arbeiterkonsum (ebenso wie die Ausgaben des Staates) es erlaubt, die wachsende Produktion abzusetzen;
- ein anderes Problem (in der Sphäre der Produktion) ist die Verwertung des Kapitals dergestalt, dass die Akkumulation nicht nur mit Profit, sondern mit ständig mehr Profit möglich ist.
Offensichtlich befindet sich der Einwand des Genossen über die „Verschwendung des Mehrwerts" auf dieser zweiten Ebene, auf derjenigen der Produktion. Folgen wir ihm also (nachdem wir festgestellt haben, dass er uns immerhin zum Teil auf der Ebene der Märkte recht gibt) in die Fabrik, wo der Arbeiter mit steigendem Lohn ausgebeutet wird. Was geschieht hier, wenn der Mehrwert dank starkem Anstieg der Arbeitsproduktivität wächst? (Abstrahieren wir für einen Moment von der Dreiteilung der Gewinne, d.h. von den Steuern, die sich in Staatsausgaben verwandeln. Die Zweiteilung zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter genügt, um den Grundmechanismus zu erklären.) Das Gesamtprodukt einer Einheit (sei es eines Unternehmens, eines Staates oder der kapitalistischen Sphäre in ihrer Gesamtheit) in einer gewissen Zeit, z.B. in einem Jahr, lässt sich in drei Teile gliedern: das konstante Kapital c, das variable Kapital v und den Mehrwert m. Wenn wir von Akkumulation sprechen, so wird der Mehrwert vom Kapitalisten nicht vollständig konsumiert, sondern zu einem Teil für die Erweiterung der Produktion wieder investiert. Somit teilt sich der Mehrwert auf in den Teil, den der Kapitalist konsumiert (seine Rente r), und den Teil, den er für die Akkumulation verwendet (a): m = r + a. Bei diesem zweiten Teil (a) können wir wiederum den Teil, der in konstantes Kapital investiert wird (ac), von dem unterscheiden, der in variables Kapital investiert wird (av). Somit lässt sich das Gesamtprodukt dieser kapitalistischen Einheit darstellen als:
c + v + m, oder als:
c + v + (r + a), oder als:
c + v + (r + ac + av).
Wenn der Kapitalist dank einem starken Anstieg der Produktivität einen genügend großen Mehrwert abpresst, kann der Teil ac ständig schneller zunehmen, obwohl der Teil av „über das Erforderliche hinaus" wächst. Wenn z.B. die Konsumtionsmittel um 50% billiger werden und die nicht bezahlten Stunden eines Arbeitstages dank der Produktion von relativem Mehrwert von 3 auf 5 ansteigen (von einem Arbeitstag von 8 Stunden), so steigt die Mehrwertrate von 3/8 auf 5/8, z.B. von 375 € auf 625 €, obwohl für den Arbeiter eine Reallohnerhöhung von 20% herausschaut (er beginnt mit einem Lohn, der dem Produkt von 5 Stunden entspricht; am Schluss entspricht sein Lohn bei doppelter Produktivität dem Produkt von 3 Stunden = 6 Stunden von vorher). Dasselbe geschieht mit dem gesteigerten Konsum des Kapitalisten (denn seine Konsumptionsmittel verbilligen sich auch um 50%) und der Teil des Mehrwerts, der für die Akkumulation bestimmt ist, kann ebenfalls wachsen. Und von Jahr zu Jahr kann auch der Anteil ac wachsen, obwohl der Teil av „über das Erforderliche hinaus" wächst - unter der Bedingung, dass die Arbeitsproduktivität weiter im gleichen Tempo zunimmt. Die einzige „schädliche" Wirkung dieser „Verschwendung von Mehrwert" ist, dass die organische Zusammensetzung des Kapitals langsamer zunimmt, als dies theoretisch möglich wäre: das Wachstum der organischen Zusammensetzung bedeutet, dass der Teil ac schneller zunimmt als der Teil av; wenn der Teil av „über das Erforderliche hinaus" wächst, wird diese Tendenz gebremst (oder kann sogar zunichte gemacht oder umgekehrt werden), aber man kann nicht behaupten, dass diese „Verschwendung von Mehrwert" kein Bestandteil des Akkumulationsprozesses sein könne. Im Gegenteil: Diese Aufteilung der Gewinne aus der Erhöhung der Produktivität geht vollumfänglich in die Akkumulation ein. Und nicht bloß dies - sie schwächt genau das Problem ab, das R. Luxemburg im 25. Kapitel ihrer Akkumulation des Kapitals analysierte, wo sie überzeugend nachwies, dass die Tendenz zur Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals langfristig einen Austausch zwischen den beiden Hauptabteilungen der kapitalistischen Produktion (Produktion von Produktionsmitteln auf der einen Seite, von Konsumtionsmitteln auf der anderen Seite) verunmöglicht[14]. Schon nach wenigen Umschlägen des gesamten Kapitals bleibt ein nicht verkäuflicher Rest in der zweiten Abteilung übrig, in der Abteilung der Konsumgüterproduktion. Die Kombination von Fordismus (Erhöhung der Produktivität) und Keynesianismus (Erhöhung der Löhne und der Staatsausgaben) erlaubt es, diese Tendenz zu bremsen, schwächt das Problem der Überproduktion in dieser Abteilung II und das Problem der Proportionalität zwischen den beiden Hauptzweigen der Produktion ab. Die Führer der Wirtschaft im westlichen Block konnten zwar auf diese Weise nicht den Eintritt der Krise Ende der 1960er Jahre verhindern, aber sie konnten ihn hinauszögern.
Wir können dieses Thema nicht abschließen, ohne darauf hinzuweisen, dass uns der Genosse Silvio mit folgender Argumentation verblüfft hat: Es scheint, dass er auf theoretischer Ebene verstanden hat, was wir soeben ausgeführt haben, nämlich den Mechanismus der relativen Mehrwertproduktion als ideale Grundlage für eine Akkumulation, die möglichst in rein kapitalistischem Rahmen und möglichst wenig mit Unterstützung außerkapitalistischer Märkte funktioniert. So schreibt er nämlich: „Solange es Fortschritte in der Produktivität gibt, die ausreichen, damit der Konsum in demselben Rhythmus wie die Arbeitsproduktivität wächst, kann das Problem der Überproduktion gelöst werden, ohne die Akkumulation zu hemmen, da die Profite, die ebenfalls steigen, ausreichen, um die Akkumulation abzusichern."[15] Wir gehen davon aus, dass Silvio weiß, was er sagt, d.h. versteht, was er soeben gesagt hat, denn es handelt sich um seine eigene Formulierung, um eine Schlussfolgerung aus einem Zitat von Marx aus den „Theorien über den Mehrwert", 2. Band (einem Zitat, das natürlich für sich allein nichts beweist). Aber Silvio antwortet nicht auf dieser theoretischen Ebene, er folgt nicht der Logik des Arguments, sondern wechselt lieber das Thema, indem er mit folgendem Einwand weiter fährt: „Während seines gesamten Lebens hat Marx nie einen Anstieg der Löhne im Gleichklang mit der Produktivität erlebt; ja, er nahm an, dass dies unmöglich sei. Dennoch hat sich genau dies in gewissen Momenten im Leben des Kapitalismus ereignet; jedoch gestattet uns dieses Tatsache keineswegs, daraus zu folgern, es könne, mindestens zeitweise, das fundamentale Problem der Überproduktion lösen, das Marx hervorhob." - Was für eine Antwort! Wir sind drauf und dran, eine Schlussfolgerung aus einer Gedankenfolge zu ziehen - doch statt die Schlussfolgerung aus einer bestimmten Konstellation von Fakten theoretisch nachzuvollziehen oder zu widerlegen, fahren wir weiter mit einem Werweißen darüber, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich auf empirischer Ebene eine solche Konstellation sei. Und als ob der Genosse gespürt hätte, dass dies nicht genügt, repliziert er gleich selber, bevor jemand einen Einwand erhebt: „Der Marxismus reduziert diesen Widerspruch der Überproduktion nicht einfach auf das Verhältnis zwischen steigenden Löhnen und wachsender Produktivität." Die Autorität von Marx genügt nicht, es braucht noch diejenige des „Marxismus". Ein Appell zur Orthodoxie! Fragt sich bloß: welcher?
Seien wir konsequenter in der Argumentation, offener und kühner in den Schlussfolgerungen!
Im zweiten Band von Das Kapital stellt Marx das Problem der erweiterten Reproduktion (das heißt der Akkumulation) anhand von Schemata dar, beispielsweise:
Abteilung I:
4000c + 1000v + 1000m = 6000
Abteilung II:
1500c + 750v + 750m = 3000
Wir ersuchen die Leserinnen und Leser um Nachsicht und Geduld bei der doch etwas mühsamen Lektüre und dem Verständnis dieser Schemata. Aber wir denken, dass man vor ihnen nicht zurückschrecken sollte.
Die Abteilung I ist der Wirtschaftszweig, in dem die Produktionsmittel hergestellt werden; in der Abteilung II werden die Konsumtionsmittel produziert. 4000c ist der Wert, der in der Abteilung I für die Reproduktion des konstanten Kapitals (c) geschaffen wird; 1000v ist die Gesamtheit der Löhne, die in der Abteilung I bezahlt werden; 1000m ist der Mehrwert, der den Arbeitern in der Abteilung I abgepresst wird - und dasselbe für die andere Abteilung II. Für die erweitere Reproduktion ist wesentlich, dass das Verhältnis zwischen den verschiedenen Bestandteilen der beiden Abteilungen stimmt. Die Arbeiter der Abteilung I stellen beispielsweise Maschinen her, benötigen aber zu ihrer Reproduktion Konsumgüter, die in der anderen Abteilung produziert werden. Es gibt einen Austausch zwischen den verschiedenen Einheiten nach bestimmten Regeln. Wenn zum Beispiel der Mehrwert der Abteilung I in der Höhe von 1000m zur Hälfte für die Erweiterung der Produktion verwendet wird und die organische Zusammensetzung im nächsten Zyklus gleich bleibt, so ist bei den genannten Zahlen vorbestimmt, dass von 500m, die neu investiert werden, 400 für die Erweiterung des konstanten Kapitals und 100 für die Erhöhung der Lohnmasse in dieser Abteilung verwendet werden. So steht bei Marx als Beispiel für den zweiten Zyklus:
I: 4400c + 1100v + 1100m = 6600
II: 1600c + 800v + 800m = 3200
Und er setzte die Reihe fort mit möglichen Schemata für mehrere Akkumulationszyklen. Diese Schemata wurden von Luxemburg, Bauer, Bucharin, Sternberg, Grossmann und anderen erweitert, kritisiert und präzisiert. Daraus kann man eine gewisse Gesetzmäßigkeit ableiten, die sich in der folgenden Formel zusammenfassen lässt.
Wenn man Abteilung I mit
c1 + v1 + r1 + ac1 + av1 und
Abteilung II mit
c2 + v2 + r2 + ac2 + av2 hat, so erfordert die erweiterte Reproduktion, dass
c2 + ac2 = v1 + r1 + av1.[16]
Das heißt: Der Wert des konstanten Kapitals in der Abteilung II (c2) zusammen mit dem Anteil des Mehrwerts im gleichen Sektor, der zur Erweiterung des konstanten Kapitals bestimmt ist[17], muss sich austauschen mit der Summe des Wertes des variablen Kapitals in der Abteilung I (der Lohnmasse v1) und der Rente der Kapitalisten in der gleichen Abteilung (r1) und dem Teil des Mehrwerts in dieser Abteilung, der für die Bezahlung der neu einzustellenden Arbeiter verwendet wird (av1)[18].
Diese Schemata sehen von gewissen Umständen ab, zum Beispiel:
1. Von der Tatsache, dass diese Wirtschaft Bedingungen für ihre „dauernde" Ausweitung braucht; es braucht ständig mehr Arbeiter und Rohstoffe.
2. Von der Tatsache, dass es keinen direkten Tausch zwischen den verschiedenen Einheiten gibt, sondern Käufe/Verkäufe durch die Vermittlung des Geldes, die universelle Ware. So muss sich beispielsweise die Einheit der Waren, die sich im Wert ac1 darstellen, mit sich selbst austauschen: Es sind Produktionsmittel, die in der gleichen Abteilung gebraucht werden; sie müssen aber verkauft bzw. gekauft werden, bevor sie verwendet werden können.
Gleichzeitig haben die Schemata bestimmte Konsequenzen, die ziemlich störend wirken, beispielsweise die Tatsache, dass die Abteilung II gegenüber der Abteilung I völlig abhängig ist. Der Rhythmus der Produktionserweiterung der Abteilung II und ihre organische Zusammensetzung sind bestimmt von den Proportionen der Akkumulation in der Abteilung I[19].
Wir können die Verteidiger der These von der Notwendigkeit außerkapitalistischer Märkte nicht dazu zwingen, ihre Aufmerksamkeit einem gewissen Problem zu widmen, nämlich demjenigen, das Marx mit den Schemata der kapitalistischen Akkumulation untersuchte. Statt die verschiedenen Probleme je auf ihrer spezifischen Ebene zu betrachten, ziehen sie es vor, die verschiedenen Widersprüche miteinander zu vermischen und dauernd auf einem Aspekt des Problems zu beharren: Wer wird schließlich die Ware kaufen, deren Wert für die Erweiterung der Produktion verwendet werden soll? Diese Fixierung blendet sie. Doch wenn jemand bereit ist, der Logik der Schemata, wie sie Marx aufstellte, zu folgen, so kann man sich gegenüber der nachstehenden Schlussfolgerung nicht verschließen:
Wenn die Bedingungen, die die Schemata voraussetzen, erfüllt sind und wenn wir die Konsequenzen daraus akzeptieren (Bedingungen und Konsequenzen, die separat untersucht werden können), kann zum Beispiel eine Regierung, die die gesamte Wirtschaft kontrolliert, diese so organisieren, dass die Akkumulation gemäß dem Schema funktioniert: c2 + ac2 = v1 + r1 + av1. So gesehen braucht es keine außerkapitalistischen Märkte. Wenn wir diese Schlussfolgerung akzeptieren, so können wir davon getrennt die anderen Probleme untersuchen (d.h. unterscheiden), zum Beispiel:
1. Wie kann eine Wirtschaft ständig wachsen in einer Welt, die nicht unbegrenzt ist?
2. Was sind die Folgen einer Geldwirtschaft? Wie kann Geld wirksam die verschiedenen Transformationsakte einer Einheit des Gesamtkapitals in eine andere vermitteln?
3. Welche Auswirkungen hat eine steigende organische Zusammensetzung (d.h. wenn das konstante Kapital schneller wächst als das variable)?
4. Welche Auswirkungen haben Löhne, die „über das Erforderliche hinaus" wachsen?
Es ist klar, dass die mathematischen Schemata, wie R. Luxemburg sagte, für sich allein nichts beweisen - weder die Möglichkeit noch die Unmöglichkeit der Akkumulation. Aber wenn wir genau verstehen, was sie aussagen (und wovon sie abstrahieren), können wir die verschiedenen Probleme voneinander unterscheiden. Luxemburg untersuchte auch die drei ersten der hier aufgezählten Fragen. Ihre Beiträge zu den Fragen 1 und 3 sind wichtig. Doch hinsichtlich des Problems Nr. 2 brachte sie verschiedene Widersprüche durcheinander und fasste sie in einer einzigen Schwierigkeit zusammen, in derjenigen der Realisierung des Teils des Mehrwerts, der für die Erweiterung der Reproduktion bestimmt ist: Die Transformation in Geld ist aber nicht nur für diesen Teil des Gesamtprodukts (ac1, av1, ac2 und av2) ein Problem, sondern für alle Elemente der Produktion (auch für c1, v1, c2, v2 und selbst für die Rente: der Eigentümer der Schokoladefabrik kann nicht bloß Schokolade essen). Diese Transformationen der Waren in Geld und danach von Geld in neue materielle Elemente der Produktion können scheitern. Jeder Verkäufer muss einen Käufer finden, jeder Verkauf ist eine Herausforderung - dies ist ein Problem für sich, das man theoretisch trennen kann von demjenigen (Nr. 1), das in der Notwendigkeit des Wachstums der Feldes der kapitalistischen Produktion besteht, d.h. auch der Notwendigkeit des Wachstums des Marktes. Ein solches Wachstum geschieht notwendigerweise auf Kosten von außerkapitalistischen Sphären[20]. Doch setzt dieses Wachstum nur voraus, dass der Kapitalismus alle materiellen Elemente für die Produktion auf erweiterter Stufenleiter vorfindet (Arbeitskräfte, Rohstoffe etc.); dieses Problem hat nichts mit der Verkauf eines Teils der kapitalistischen Produktion an nichtkapitalistische Warenproduzenten zu tun. Wie wir zuvor schon gesagt haben: Der Verkauf auf außerkapitalistischen Märkten kann zwar Probleme der Überproduktion abschwächen, aber er ist nicht unabdingbar für die Akkumulation.
In der Einführung zur Fortsetzung der Diskussion in der Internationalen Revue Nr. 44 hat die Redaktion versucht, einige Positionen der These „keynesianisch-fordistischer Staatskapitalismus" den Positionen der IKS gegenüber zu stellen, insbesondere unserer Plattform. Es mag sein, dass dieser Versuch durch einige Fußnoten von C.Mcl in der vollständigen Version seines Artikels für die Internationale Revue Nr. 43 veranlasst wurde, einer Version, die nur auf unserer französischsprachigen Webseite zu finden ist[21]. In der Tat kritisierte da C.Mcl gewisse Formulierungen im Punkt 3 unserer Plattform. Es handelt sich dabei um eine Kritik auf theoretischer Ebene ohne Vorschläge für eine alternative Formulierung. Wir kennen die gegenwärtige Haltung von C.Mcl zur Plattform nicht, da er die Diskussion aufgegeben hat. Wir können also nicht für ihn sprechen. Aber was uns selber betrifft, so sind wir mit unserer Plattform nach wie vor einverstanden, die von Anfang an all diejenigen vereinen wollte, die mit der Analyse einverstanden sind, dass der Kapitalismus mit dem Ersten Weltkrieg in seine Niedergangsphase eintrat. Der Punkt 3 der Plattform beanspruchte nie, die Revolutionäre auszuschließen, die sich die Dekadenz mit dem tendenziellen Fall der Profitrate erklären, auch wenn die Formulierung dieses Punktes „luxemburgistisch" geprägt ist. Wenn der 3. Punkt der Plattform so etwas wie der gemeinsame Nenner der revolutionären Marxisten darstellt, die die Dekadenz entweder mit dem Mangel an außerkapitalistischen Märkte oder mit dem tendenziellen Fall der Profitrate erklären, so sehen wir keinen Grund, diesen Rahmen aufzugeben, nur weil wir nicht ausschließlich eine der beiden Ideen verteidigen, sondern beide zusammen je in ihrer eigenen Dynamik. Insofern haben wir überhaupt kein Interesse daran, die Plattform in einer Weise zu präzisieren, dass sich die eine oder andere Position ausgeschlossen fühlen würde. Eine Formulierung wie die gegenwärtige ist vorzuziehen, auch wenn der Fortschritt der Diskussion über das „Wirtschaftswunder" vielleicht eine Neuformulierung bringen wird, die bewusster die verschiedenen Analysen über den Niedergang des Kapitalismus widerspiegelt.
Im gleichen Sinn möchten wir unsere Haltung zur Einleitung in der Internationalen Revue Nr. 44 darlegen, nach der die These „keynesianisch-fordistischer Staatskapitalismus" „nun offen verschiedene Positionen der IKS in Frage stellt". Unter dem Titel „Die Entwicklung der diskutierten Positionen" werden da drei angebliche Widersprüche zwischen den Argumenten der Plattform und der These „keynesianisch-fordistischer Staatskapitalismus" genannt, die wir klären möchten. Wir zitieren nachfolgend die fraglichen Abschnitte aus der Einleitung:
1. „So gilt, für diese These (keynesianisch-fordistischer Staatskapitalismus):
- „der Kapitalismus generiert dauernd die gesellschaftliche Nachfrage, die der Entwicklung seines Marktes zu Grunde liegt", während für die IKS „im Gegenteil zu dem, was die Verehrer des Kapitals suggerieren, (...) die kapitalistische Produktion jedoch nicht automatisch und wunschgemäß die für ihr Wachstum notwendigen Märkte" schafft (Plattform der IKS)".
Auch wenn sich das Zitat „der Kapitalismus generiert dauernd die gesellschaftliche Nachfrage, die der Entwicklung seines Marktes zu Grunde liegt" in der Internationalen Revue Nr. 44 finden lässt, so kann man diese Idee nicht aus dem Kontext des ganzen Artikels herausreißen. Wie wir im vorangehenden Kapitel des vorliegenden Textes ausgeführt haben, hat der Kapitalismus (für uns, aber auch für all diejenigen, die sich die Dekadenz allein mit dem tendenziellen Fall der Profitrate erklären) eine eigene Dynamik der Erweiterung der Märkte. Aber niemand derjenigen, die die These „keynesianisch-fordistischer Staatskapitalismus" vertreten, hat bisher behauptet, diese Märkte würden genügen. Sie können zwar für eine gewisse Zeit den Absatz gewährleisten, doch stellen sie nicht die Lösung des Grundwiderspruchs dar: Der Markt wächst langsamer als die Produktion.
2. „Den Kulminationspunkt des Kapitalismus würden auf einer bestimmten Stufe „die Ausweitung der Lohnarbeit und ihre durch die Herstellung des Weltmarktes erreichte allgemeine Herrschaft" bilden. Für die IKS dagegen trat dieser Kulminationspunkt dann ein, als die wichtigsten wirtschaftlichen Mächte sich die Welt aufteilt hatten und der Markt „die Schwelle zur Sättigung derselben Märkte (erreichte), die im 19. Jahrhundert noch seine ungeheure Ausdehnung ermöglicht hatten" (Plattform der IKS)."
Die zweite angebliche Divergenz unserer Position mit derjenigen der IKS betrifft den Eintritt des Kapitalismus in seine Niedergangsphase. Die These „keynesianisch-fordistischer Staatskapitalismus" ist absolut damit einverstanden, dass der Kulminationspunkt dann eintrat, als die wichtigsten Wirtschaftsmächte sich die Welt aufgeteilt hatten. Der einzige Unterschied zwischen dem „Luxemburgismus" der Plattform und uns liegt bei der Bewertung der Rolle der außerkapitalistischen Märkte. Aber diese Divergenz ist offensichtlich wesentlich geringer als diejenige, die uns in dieser Hinsicht von den Verteidigern der Analyse, wonach der tendenzielle Fall der einzige Faktor sei (Grossmann, Mattick), unterscheidet.
3. „Die Entwicklung der Profitrate und die Größe der Märkte seien vollkommen unabhängig, während für die IKS „durch die wachsende Schwierigkeit des Kapitals, Märkte zu finden, wo sein Mehrwert realisiert werden kann, der Druck auf die Profitrate verstärkt und ihr tendenzieller Fall bewirkt (wurde). Dieser Druck wird durch den ständigen Anstieg des konstanten, „toten" Kapitals (Produktionsmittel) zu Lasten des variablen, lebendigen Kapitals, die menschliche Arbeitskraft, ausgedrückt." (ebenda)".
In diesem letzten Punkt sind wir grundsätzlich einverstanden mit der Darstellung in der Einleitung, auch wenn wir nicht von „vollkommener" Unabhängigkeit sprechen, sondern von „begrifflicher". Wir haben immer gesagt, dass die Profitrate einen Einfluss auf die Märkte hat und umgekehrt, aber es handelt sich um zwei Faktoren, die „begrifflich auseinander fallen".
Welche Folgen haben diese Divergenzen? Auf den ersten Blick keine.
Natürlich gibt es Unterschiede bei der Interpretation gewisser Dynamiken in der kapitalistischen Wirtschaft. Diese Unterschiede können auch zu Divergenzen bei anderen Aspekten führen, zum Beispiel bei der Analyse der gegenwärtigen Krise oder der unmittelbaren Perspektiven des Kapitalismus. Die Einschätzung der Rolle des Kredits in der gegenwärtigen Krise, die Erklärung der Inflation und die Rolle des Klassenkampfes scheinen uns Themen zu sein, die je nach Position in dieser Debatte über das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg unterschiedlich analysiert werden können.
Trotz der Divergenzen, die in dieser Debatte zum Ausdruck kommen, haben wir alle zusammen sowohl am 17. wie auch am 18. Kongress der IKS über die gegenwärtige Wirtschaftskrise diskutiert und für die gleichen Resolutionen über die internationale Lage gestimmt. Auch wenn es in der Organisation verschiedene Analysen über grundlegende Mechanismen in der kapitalistischen Wirtschaft gibt, können wir zu sehr ähnlichen Schlussfolgerungen über die unmittelbaren Perspektiven und die Aufgaben der Revolutionäre gelangen. Das heißt nicht, dass die Debatte nicht nötig wäre - im Gegenteil, wir sollen sie mit Geduld und der Fähigkeit, den anderen mit offenem Geist zuzuhören, weiter führen.
Salome & Ferdinand, 4. Juni 2009
[1] Die Grundlagen der kapitalistischen Akkumulation
[2] Kriegswirtschaft und Staatskapitalismus
[3] Der hier veröffentlichte Artikel (Antwort auf Silvio und Jens, unterschrieben von Salome und Ferdinand) weist darauf hin, dass einige Fußnoten im Artikel von C.Mcl Die Ursprünge, Dynamiken und Grenzen des keynesianisch-fordistischen Staatskapitalismus zwar in der französischen, nicht aber in der englischen und spanischen Version vorkommen. Wir werden diesen Mangel auf den Webseiten der beiden Sprachen korrigieren, damit die Debatte möglichst klar ist und weil - sie Salome und Ferdinand hervorheben - C.Mcl „gewisse Formulierungen des 3. Punktes der Plattform kritisiert", und zwar „mit theoretischen Überlegungen, ohne eine alternative Formulierung vorzuschlagen".
[4] Internationale Revue Nr. 42, Interne Debatte in der IKS, vgl. Fußnote 1
[5] Internationale Revue Nr. 44, Interne Debatte in der IKS (III): Die Ursachen für die Aufschwungperiode nach dem Zweiten Weltkrieg, Die Grundlagen der kapitalistischen Akkumulation (von Silvio), Bezug nehmend auf ein Zitat von P. Mattick.
[6] Internationale Revue Nr. 42, Debatte, Kapitel Außerkapitalistische Märkte und Verschuldung.
[7] Internationale Revue Nr. 37, Wirtschaftskrise: Der Abstieg in die Hölle.
[8] Für mehr Informationen über die Bretton-Woods-Verträge vgl. z.B. den Beitrag von „papamarx" unter https://fr.internationalism.org/icconline/2009/papa-marx [10]
[9] Silvio in der Internationalen Revue Nr. 44
[10] International Review Nr. 127 (engl./franz./span. Ausgabe), Antwort an die CWO: Der Krieg in der Phase der Dekadenz des Kapitalismus. Die Grundwidersprüche des Kapitalismus.
[11] Internationale Revue Nr. 43, Interne Debatte in der IKS (II), Die Ursachen für die Aufschwungperiode nach dem Zweiten Weltkrieg
[12] Fritz Sternberg, Der Imperialismus, Berlin 1926, S. 106
[13] Internationale Revue Nr. 44
[14] F. Sternberg meint, dass dies der stärkste Punkt der Position Luxemburgs sei, auf den einzugehen sich „alle diejenigen, die Rosa Luxemburg kritisiert haben, (...) eifrigst gehütet" hätten (Der Imperialismus, S. 99).
[15] Internationale Revue Nr. 44
[16] Vgl. z.B. N. Bucharin, Der Imperialismus und die Akkumulation des Kapitals, Viertes Kapitel
[17] Diese beiden Einheiten wurden in der Abteilung II produziert und stellen somit Konsumtionsmittel dar.
[18] Diese drei Einheiten stellen Produktionsmittel dar und müssen irgendwie von den Kapitalisten der Abteilung II gekauft werden („getauscht" gegen c2 + ac2).
[19] Wir denken, dass darin die wirtschaftliche Ursache für das Leiden der Arbeiter, die durch den Stalinismus (einschließlich Maoismus) ausgebeutet wurden, liegt: Dieser rigide Staatskapitalismus setzte ganz auf die Industrialisierung mit einer entsprechenden Forcierung der Abteilung I, was dazu führte, dass die Abteilung der Konsumgüterproduktion auf ein absolutes Minimum reduziert wurde.
[20] Eine Sphäre ist nicht notwendigerweise ein Markt: Die Wäsche zuhause selber waschen und bügeln sind Tätigkeiten in einer außerkapitalistischen Sphäre. Diese Sphäre kann durch den Kapitalismus erobert werden, wenn der Lohn des Arbeiters so weit steigt, dass er die Wäsche in die Kleiderreinigung bringen kann. Doch gibt es bei diesem Beispiel keinen außerkapitalistischen Markt.
[21] ttp://fr.internationalism.org/rint133/debat_interne_causes_prosperite_consecutive_seconde_guerre_mondiale_2.html; Fußnoten 16, 22, 39 und 41
Links
[1] https://libcom.org/forums/thought/general-discussion-decadence-theory-17092007
[2] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1932/11/koprede.htm
[3] https://de.internationalism.org/en/tag/2/25/dekadenz-des-kapitalismus
[4] http://www.legambientearcipelagotoscano.it/globalmente/petrolio/incident.htm
[5] http://www.scienzaesperienza.it/news.php?/id=0057
[6] https://de.internationalism.org/en/tag/3/52/umwelt
[7] https://de.internationalism.org/en/tag/leute/trotzki
[8] https://de.internationalism.org/en/tag/politische-stromungen-und-verweise/trotzkismus
[9] https://de.internationalism.org/en/tag/entwicklung-des-proletarischen-bewusstseins-und-der-organisation/franzosische-kommunistische
[10] https://fr.internationalism.org/icconline/2009/papa-marx
[11] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/wirtschaftswunder-welche-eklarung
[12] https://de.internationalism.org/en/tag/historische-ereignisse/wirtschaftswunder-und-dekadenz-des-kapitalismus
[13] https://de.internationalism.org/en/tag/3/49/politische-konomie