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Weltrevolution - 164

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Alle „Heilmittel“ der Herrschenden verschlimmern die Lage nur noch

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Der Kapitalismus steckt in einer Sackgasse:

 

Die „Rettung“ europäischer Staaten

Just zum Zeitpunkt, als Irland über sein „Rettungspaket“ verhandelte, räumte der Internationale Währungsfond ein, dass Griechenland nicht in der Lage sei, die Gelder zurückzuzahlen, welche der IWF und die EU im April 2010 ausgehandelt und die zu einer Umschichtung der Schulden Griechenlands geführt hatten. Der IWF vermied das Wort „Zahlungsunfähigkeit“. Strauss-Kahn, Chef des IWF, zufolge sollte der Zeitraum, in dem Griechenland die sich aus dem „Rettungsplan“ resultierenden Schulden zurückzahlen muss, von 2014 auf das Jahr 2015 verlängert werden – in Anbetracht der Geschwindigkeit, mit der sich die Staatskrisen in Europa ausweiten, also bis zum Sankt Nimmerleinstag. Dies spiegelt die ganze Zerbrechlichkeit einer Reihe, wenn nicht gar der meisten europäischen Staaten wider, die unter der Schuldenkrise ächzen.

Sicher, dieses neue „Geschenk“ für Griechenland geht mit zusätzlichen Sparmaßnahmen einher. Nach den Sparbeschlüssen vom April 2010, die zur Streichung von zwei Monatsrenten, zu Lohnkürzungen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und Preiserhöhungen (Strom, Heizung, Alkohol, Tabak etc.) führten, wird an einem weiteren Plan für Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst gebastelt.

Ein ähnliches Szenario lässt sich auch in Irland beobachten, wo die ArbeiterInnen das vierte Sparpaket hintereinander schlucken sollen. Im Jahr 2009 wurden Lohnsenkungen zwischen fünf und 15 Prozent beschlossen, Sozialleistungen wurden gestrichen, in die Rente entlassene Mitarbeiter nicht mehr ersetzt. Der neue Sanierungsplan, der als Vorbedingung für den „Rettungsschirm“ für Irland ausgehandelt worden war, umfasst Kürzungen des Mindestlohnes um 11,5 Prozent, eine weitere Kürzung von Sozialleistungen, die Streichung von 24.750 Stellen im öffentlichen Dienst und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 21 auf 23 Prozent. Und wie im Fall Griechenlands ist es offensichtlich, dass ein Land, das lediglich 4,5 Millionen Einwohner hat und dessen Bruttoinlandsprodukt (BIP) 164 Milliarden Euro betrug, nicht in der Lage ist, ein Rettungspaket in Höhe von 85 Milliarden Euro zurückzuzahlen. Es besteht kein Zweifel daran, dass dieses drakonische Sparregime die Arbeiterhaushalte und den größten Teil der Bevölkerung dieser Länder in solche Schwierigkeiten stürzen wird, dass viele weder ein noch aus wissen.

Die Unfähigkeit anderer Länder wie Portugal, Spanien, etc., ihre Schulden zu begleichen, ist mittlerweile sattsam bekannt. Auch in diesen Ländern sind bereits Sparpakete geschnürt worden, auch hier werden weitere folgen.

Wozu dienen die diversen „Rettungsschirme“? Was soll damit gerettet werden?

(…) Eins ist sicher: Sie dienen nicht dazu, Millionen von Menschen vor der Verarmung zu bewahren (…) Auslöser der Zahlungsunfähigkeit Griechenlands ist das phänomenale Haushaltsdefizit, das infolge ausufernder öffentlicher Ausgaben (insbesondere im Rüstungsbereich) entstanden war und das durch die staatlichen Steuereinnahmen, die durch die Zuspitzung der Krise 2008 weiter gesunken war, nicht mehr gegenfinanziert werden konnte. Auch der irische Staat und sein Bankensystem hatten einen Schuldenberg von 1.432 Milliarden Euro angehäuft (dabei beträgt das irische BIP gerade einmal 164 Milliarden Euro, was ein Schlaglicht auf die ganze Absurdität der gegenwärtigen Lage wirft). Als es zur o.g. Verschärfung der Krise gekommen war, konnten die Zinsen nicht mehr beglichen werden. So musste das Bankenwesen zum Großteil verstaatlicht und die Forderungen an den Staat übertragen werden. Nachdem ein kleiner Teil der Schulden beglichen war, hatte Irland 2010 mit einem Staatsdefizit von 32 Prozent des BIP zu kämpfen. Auch wenn der Werdegang dieser beiden Volkswirtschaften unterschiedlich ist, sind die Folgen – neben dem wahnwitzigen Ausmaß der Schulden – die gleichen. In beiden Fällen musste der Staat die durch die gigantische öffentliche wie private Verschuldung beeinträchtigte Vertrauenswürdigkeit wiederherzustellen versuchen, indem er für die finanziellen Verpflichtungen einsprang.

Die Folgen einer Zahlungsunfähigkeit Griechenlands und Irlands reichen weit über die Grenzen der beiden Länder hinaus. Es ist dieser Umstand, der für Panik in den höchsten Kreisen der herrschenden Klasse weltweit sorgt. So wie die irischen Banken beträchtliche Mengen an Schuldscheinen aus einer Reihe von Staaten überall auf der Welt besitzen, haben die Banken der großen Industrieländer erhebliche Forderungen gegenüber dem griechischen und irischen Staat. Es gibt keine übereinstimmenden Zahlen über den exakten Umfang der Forderungen gegenüber dem irischen Staat. Einige Quellen, die eher „durchschnittliche“ Zahlen nennen, sprechen von Forderungen französischer Banken in Höhe von 21,1 Mrd. Euro (Quelle: Les Echos); es folgen deutsche Banken (46 Mrd.), britische (42,3 Mrd.) und US-amerikanische Banken (24,6 Mrd. Euro). Gegenüber Griechenland belaufen sich die Forderungen französischer Banken auf 75 Mrd. Euro, Schweizer Banken auf 63 Mrd. und deutscher Banken auf 43 Mrd. Euro. Eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands und Irlands hätte die großen Gläubigerbanken in große Schwierigkeiten gebracht und somit auch die hinter ihnen stehenden Staaten. Dies trifft insbesondere auf jene Staaten zu, die sich wie Portugal und Spanien ebenfalls in einer kritischen Lage befinden und ebenfalls Forderungen gegenüber Griechenland und Irland geltend machen. Für diese Länder wäre der Staatsbankrott Griechenlands und Irlands  fatal gewesen.

Eine Weigerung der EU und des IWF, strauchelnden Ländern wie Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, etc Garantien zu gewähren, hätte eine „Rette-wer-sich-kann“-Reaktion ausgelöst und mit Sicherheit den Bankrott der Schwächsten unter ihnen bewirkt. Der Euro wäre zusammengebrochen, Finanzstürme entfesselt worden. Die Folgen des Bankrotts der Lehmann-Bank im Jahre 2008 wären im Vergleich zu dem Sturm, den dies ausgelöst hätte, wie ein laues Lüftchen erschienen. Mit anderen Worten: als die EU und der IWF Griechenland und Irland zu Hilfe eilten, ging es ihnen nicht vorrangig um die Rettung der beiden Staaten und schon gar nicht um das Wohlergehen der Bevölkerung beider Länder, sondern darum, den Zusammenbruch des weltweiten Finanzsystems zu verhindern.

Nicht nur in Irland, Griechenland und anderen südeuropäischen Länder hat sich die Lage rapide verschlechtert, wie folgende Zahlen belegen: „Im Januar 2010 wurden folgende Verschuldungsraten (prozentual im Verhältnis zum BIP )registriert: 470 Prozent Vereinigtes Königreich und Japan: Ihnen gebührt die Goldmedaille in der Gesamtverschuldung; 360 Prozent Spanien, 320 Prozent Frankreich, Italien und die Schweiz, 300 Prozent die USA, 280 Prozent Deutschland.“(3) Alle Länder – ob sie der Euro-Zone angehören oder nicht – sind derart verschuldet, dass sie diese nie mehr zurückzahlen können. Doch die Euro-Länder haben es mit einem weiteren Problem zu tun: Einmal verschuldet, haben sie nicht die Möglichkeit, sich selbst Geldmittel zu beschaffen, um ihre Defizite zu „finanzieren“, denn dazu sind allein besondere Institutionen wie die Europäische Zentralbank (EZB) befugt. Andere Länder wie Großbritannien oder die USA stehen nicht vor diesem Problem, da sie ihr Geld selbst drucken können.

Wie auch immer, das Verschuldungsniveau der Staaten macht deutlich, dass ihre Verpflichtungen die Tilgungsmöglichkeiten bei weitem übersteigen. All das hat absurde Ausmaße angenommen. Berechnungen zufolge müsste Griechenland jährlich Haushaltsüberschüsse von 16 bis 17 Prozent erzielen, um seine Staatsverschuldung auch nur zu stabilisieren. Tatsächlich aber haben sich alle Staaten der Welt derart verschuldet, dass eine Rückzahlung ausgeschlossen ist.(4) Das heißt aber umgekehrt auch, dass die Staaten auf Forderungen sitzen bleiben, die nie beglichen werden. Die folgende Statistik mit Zahlen über die Verschuldung eines jeden europäischen Landes (die Verschuldung der Banken nicht mit einbezogen) vermittelt einen Eindruck vom Umfang der Schulden und von der Zerbrechlichkeit der am höchsten verschuldeten Länder.

 

Der Kapitalismus kann nur dank seiner Rettungsprogramme überleben

Das „Rettungsprogramm“ für Griechenland hat 110 Mrd. Euro, das für Irland 85 Mrd. Euro gekostet. Diese vom IWF, der EU und Großbritannien (Letzteres stellte 8,5 Milliarden Euro bereit, während die Cameron-Regierung gleichzeitig ihr eigenes Sparprogramm umsetzt, das zum Ziel hat, die öffentlichen Ausgaben bis 2015 um 25 Prozent zu kürzen) zur Verfügung gestellten Gelder werden aus dem „Reichtum“ der verschiedenen Länder gespeist. Mit anderen Worten: die Mittel für die Rettungspläne rühren nicht aus etwaigen neu geschaffenen Quellen her, sondern stammen direkt aus der Notenpresse. Diese Unterstützung des Finanzsektors, der die Realwirtschaft finanziert, läuft in Wirklichkeit auf eine Ankurbelung der wirtschaftlichen Aktivitäten hinaus. Während also einerseits drastische Sparprogramme verabschiedet werden, die von noch drastischeren Sparprogrammen abgelöst werden, sind die Staaten andererseits gezwungen, kostspielige Unterstützungsmaßnahmen zu ergreifen, um einen Kollaps des Finanzsystems und die Blockade der Weltwirtschaft zu verhindern – Maßnahmen, die in ihrem Kern Maßnahmen zur Konjunkturankurbelung sind. Die USA sind am weitesten in diese Richtung gegangen: Die zweite Auflage des so genannten quantitative easing in Höhe von 900 Mrd. Dollar ist im Wesentlichen der Versuch, das amerikanische Finanzsystem zu retten, das auf einem Berg fauler Kredite sitzt. Gleichzeitig soll dadurch das US-Wachstum angestoßen werden. Die USA, die noch immer vom Vorteil des Dollars als weltweite Referenzwährung nutznießen, unterliegen nicht den gleichen Zwängen wie Griechenland oder Irland. Es ist daher nicht auszuschließen, dass demnächst eine dritte Auflage des quantitative easing verabschiedet wird, wie viele vermuten. Zweifellos unterstützt die Obama-Administration die US-Wirtschaft weitaus stärker, als dies in Europa der Fall ist. Doch auch den USA bleibt es nicht erspart, drastische Sparmaßnahmen zu ergreifen, wie das jüngst von Präsident Obama vorgeschlagene Einfrieren der Gehälter der Bediensteten der Bundesstaaten zeigt. Tatsächlich zeichnen sich alle Staaten durch diese Widersprüchlichkeit in ihrer Wirtschaftspolitik aus.

Die Herrschenden sind über die Schuldengrenze, die das kapitalistische System verkraften kann, hinausgegangen.

In einem Atemzug werden Sparprogramme und Konjunkturpakete verabschiedet. Wie ist eine solch widersprüchliche Politik zu erklären? Wie Marx aufzeigte, leidet der Kapitalismus grundsätzlich an einem Mangel von Absatzmärkten. Die Ausbeutung der Arbeiterklasse führt zwangsläufig zur Schaffung eines Mehrwerts, der größer ist als die Summe der ausgezahlten Löhne, da die Arbeiterklasse viel weniger konsumiert, als sie produziert. Lange Zeit – nämlich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts – hatte die kapitalistische Klasse dieses Problem durch die Eroberung von Territorien, in denen noch vorwiegend unter vorkapitalistischen Verhältnissen produziert wurde – kompensiert. Sie zwang die Bevölkerung in den Kolonien auf unterschiedliche Weise zum Kauf ihrer kapitalistisch produzierten Waren. Die Krise und Kriege des 20. Jahrhunderts haben deutlich werden lassen, dass diese Art des Umgangs mit der Überproduktion, die der kapitalistischen Ausbeutung der Produktivkräfte eigen ist, an ihre Grenzen gestoßen war. Anders ausgedrückt: die außerkapitalistischen Territorien auf der Welt reichten nicht mehr aus, diesen Warenüberschuss, dessen Realisierung (sprich: Verkauf) erst die erweiterte Akkumulation ermöglicht, aufzunehmen.

Die Ende der 1960er Jahre einsetzenden Verwerfungen der Weltwirtschaft, die sich in Währungskrisen und Rezessionen äußerten, verdeutlichten eben diesen Mangel an außerkapitalistischen Märkten als ein Mittel zur Absorbierung der überschüssigen kapitalistischen Produktion. Die einzige Lösung bestand in der Schaffung eines künstlichen, schuldenfinanzierten Marktes. So konnten die Kapitalisten ihre Waren an Staaten, Unternehmen und Privathaushalte verkaufen, ohne dass diese über die eigentlich erforderliche Kaufkraft verfügen mussten.

Wir haben dieses Problem oft angesprochen und betont, dass der Kapitalismus die Politik der Verschuldung als ein Hilfsmittel benutzt hat, um die Überproduktionskrise einzudämmen, in die er seit Ende der 60er Jahre wieder versunken ist. Doch Schulden lösen nicht in Luft auf, sie müssen mitsamt den Zinsen früher oder später beglichen werden, andernfalls kommt der Gläubiger nicht auf seine Kosten, sondern läuft selbst Gefahr, pleite zu gehen.

Immer mehr europäische Staaten geraten zunehmend in eine Lage, in der sie ihre Schulden nicht mehr begleichen können. Mit anderen Worten, diese Staaten müssen ihre Schulden reduzieren. Dies geschieht insbesondere durch Einschnitte auf der Ausgabenseite, obwohl der Krisenverlauf während der vergangenen 40 Jahre deutlich gemacht hat, dass die wachsende Verschuldung absolut notwendig war, um die Weltwirtschaft vor noch größeren Erschütterungen zu bewahren. Es ist dieser unlösbare Widerspruch, mit dem es mehr oder weniger alle Staaten heute zu tun haben.

Die finanziellen Erschütterungen, die gegenwärtig in Europa zu konstatieren sind, sind letztendlich das Resultat der antagonistischen Widersprüche des Kapitalismus. Sie verdeutlichen die Ausweglosigkeit dieser Produktionsweise. Andere Merkmale der gegenwärtigen Lage sind noch nicht erwähnt, spielen aber ebenfalls eine wichtige Rolle.

 

Die Inflation zieht wieder an

Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, in dem viele Länder auf der Welt zu mehr oder weniger drastischen Sparmaßnahmen greifen, die zu einer Senkung der Binnennachfrage, auch die nach Grundnahrungsmitteln, führen werden, steigen allerorten die Lebensmittelpreise stark an. Binnen eines Jahres ist der Preis für Baumwolle um mehr als 100 Prozent in die Höhe geschnellt, die Preise für Weizen und Mais zwischen Juli 2009 und Juli 2010 um mehr als 20 Prozent gestiegen (3). Eine ähnliche Preisentwicklung ist auch auf den Metall- und Erdölmärkten zu verzeichnen. Sicherlich spielen klimatische Faktoren eine gewisse Rolle in der Entwicklung der Agrarpreise, jedoch ist der Preisanstieg so hoch, dass auch andere Faktoren notwendigerweise mit ins Auge gefasst werden müssen. Alle Staaten machen sich Sorgen um die Inflation, die immer stärker wird. Einige Beispiele aus den „Schwellenländern“:

·         Offiziell hat die Inflation in China im November 2010 ein Jahreshoch von 5,1 Prozent erreicht, doch alle Experten stimmen darin überein, dass die wirkliche Inflation zwischen acht und zehn Prozent beträgt.

·         In Indien war die Inflation im Oktober 2010 auf 8,6 Prozent gestiegen.

·         In Russland betrug sie 2010 8,5 Prozent.

Das Anziehen der Inflationsrate ist kein auf die Schwellenländer beschränktes Phänomen, denn auch die hoch entwickelten Industrieländer sind immer stärker davon betroffen: Schon die 3,3 Prozent in Großbritannien im Oktober und die 1,9 Prozent in Deutschland werden mit Besorgnis zur Kenntnis genommen, befindet sich die Inflation doch noch immer im Anstieg.

Wie lässt sich die Rückkehr der Inflation erklären?

Die Ursache der Inflation liegt nicht immer in einer zu hohen Nachfrage im Verhältnis zum Angebot begründet, die den Anbietern Preiserhöhungen ermöglicht, ohne zu befürchten, dass sie ihre Waren nicht mehr loswerden. Ein anderer Faktor, der ursächlich wirkt und seit drei Jahrzehnten festzustellen ist, ist das Ansteigen der Geldmenge. Der Einsatz der Notenpresse, d.h. die Ausgabe neuen Geldes ohne einen entsprechenden Anstieg der Warenproduktion, führt zwangsläufig zu einer Abwertung der Währung oder umgekehrt zu Preiserhöhungen. Alle seit 2008 veröffentlichten Daten weisen auf einen starken Anstieg der Geldmenge in den großen Wirtschaftsräumen der Erde hin.

Ein weiterer preistreibender Faktor ist die Spekulation. Bei einer zu geringen Nachfrage, insbesondere aufgrund von Stagnation oder sinkender Löhne, können die Unternehmen die Preise für ihre Produkte nicht erhöhen, da sie auf dem Markt nicht abgesetzt werden können und sie somit Verluste hinnehmen müssen. Die Unternehmen bzw. Investoren stellen folglich ihre Investition in eine Produktion ein, die nicht rentabel und somit zu riskant ist. Stattdessen suchen sie nach anderen Anlagemöglichkeiten: den Erwerb von Finanzprodukten, Rohstoffen oder Währungen, in der Hoffnung, diese mit einem satten Gewinn weiter zu veräußern. Diese Produkte werden zu Spekulationsobjekten. Das Problem dabei ist, dass viele dieser Produkte, besonders die landwirtschaftlichen Rohstoffe, gleichzeitig Waren sind, die von einem Großteil der ArbeiterInnen, Bauern, Arbeitslosen etc. konsumiert werden. So wird der überwiegende Teil der Weltbevölkerung nicht nur mit Lohnsenkungen konfrontiert, sondern auch mit drastischen Preiserhöhungen bei Reis, Brot, Kleidung etc.

Deren Preise sind seit Anfang 2010 stark angestiegen. Gleiche Ursachen – gleiche Wirkungen: Bereits 2007/08 lösten drastische Preiserhöhungen bei den Grundnahrungsmitteln wie Reis und Weizen, die beträchtliche Teile der Weltbevölkerung in große Not stürzten, Hungerrevolten aus. Die Folgen des gegenwärtigen Preisauftriebs sind bereits in den aktuellen Revolten in Tunesien und Algerien deutlich geworden.

Die Inflationsrate steigt unvermindert an. Dem „Cercle Finance“ vom 7. Dezember zufolge ist die Zinsrate für T-Bonds mit zehnjähriger Laufzeit von 2,94 auf 3,14 Prozent und die Bonds mit 30jähriger Laufzeit von 4,25 auf 4,425 Prozent angestiegen. Das heißt, die Kapitalisten selbst rechnen mit einem Wertverlust des Geldes und erwarten höhere Zinsen für ihre Anlagen.

 

Die Spannungen zwischen den nationalen Kapitalen

Während der Großen Depression in den 1930er Jahren erlebte der Protektionismus als Mittel des Handelskriegs  seine Blütezeit; stellenweise war es gar zu einer „Regionalisierung“ des Warenaustausches gekommen. Und heute? Im Gegensatz zu den frommen Erklärungen des jüngst in Seoul stattgefundenen G20-Gipfels, in denen die Teilnehmerstaaten den Protektionismus einhellig ablehnten, sieht die Wirklichkeit ganz anders aus. Protektionistische Tendenzen nehmen stetig zu, man nennt sie nur nicht so, sondern verschämt „Wirtschaftspatriotismus“. Die Liste protektionistischer Maßnahmen, die die Staaten bereits ergriffen haben, ist viel zu lang, um sie hier zu zitieren. Wir wollen hier lediglich erwähnen, dass die USA im September vergangenen Jahres bereits insgesamt 245 sog. Antidumpingmaßnahmen in ihrem Repertoire hatten, dass Mexiko von März 2009 an 89 Gegenmaßnahmen gegen die USA eingeleitet hat und dass China eine drastische Einschränkung des Export von „seltener Erden“, die zur Herstellung eines Großteils der Produkte der heutigen Hochtechnologie benötigt werden, beschlossen hat.

Gegenwärtig jedoch stellt der Währungskrieg das Hauptmerkmal des Handelskriegs dar. Wie oben geschildert, war die zweite Auflage des quantitative easing aus Sicht des US-amerikanischen Kapitals notwendig, führte aber gleichzeitig – durch die permanente Ausgabe neuer Banknoten – zum Wertverlust des Dollars und damit zum Wertverlust der Produkte „made in USA“ auf dem Weltmarkt. Diese Politik ist eine besonders aggressive Variante des Protektionismus, und mit der Unterbewertung des Yuan verfolgt das chinesische Regime ähnlich Ziele.

Und dennoch: ungeachtet des sich verschärfenden Wirtschaftskriegs sahen sich die rivalisierenden Staaten gezwungen, eine Übereinkunft anzustreben, um die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands und Irlands zu verhindern. Was nichts anderes heißt, als dass die herrschende Klasse sich auch hier in eine widersprüchliche Politik verwickelt, die ihr durch die total Sackgasse des Systems aufgezwungen wird.

Hat die herrschende Klasse eine Lösung in parat? Im Grunde bleibt ihr nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder bewegt sie, wie im Fall Griechenlands und Irlands, eine Menge Geld, was zu einer Entwertung desselben und zu inflationären Tendenzen führt, die sich im Laufe der Zeit zu einer galoppierenden Inflation auswachsen könnten. Oder sie betreibt eine drastische Sparpolitik, die auf eine Eindämmung der Neuverschuldung abzielt und die von Deutschland hinsichtlich der Euro-Zone favorisiert wird. Die Folge wäre ein Absturz in die Depression, mit ähnlichen Produktionsrückgängen wie in Griechenland, Irland und Spanien nach der Verabschiedung ihrer Sparpakete.

Der einzige Ausweg aus der Sackgasse des Kapitalismus ist die Entwicklung von Kämpfen, die die Arbeiterklasse immer häufiger, massiver und bewusster führen muss. Diese Kämpfe müssen letztendlich zu einer Überwindung des kapitalistischen Gesellschaftssystems führen, dessen Hauptwiderspruch darin besteht, für den Profit und nicht für die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen zu produzieren. 

(leicht gekürzte Fassung eines Artikels aus unserer International Review, Nr. 144, 1. Quartal 2011).

Aktuelles und Laufendes: 

  • Wirtschaftskrise [1]
  • Währungskrieg [2]
  • Rettungspakete [3]
  • Inflation [4]

Auch in Großbritannien – die junge Generation nimmt den Kampf auf

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Am ersten Samstag nach der Ankündigung des brutalen Sparpakets der Regierung mit drastischen Kürzungen der Staatsausgaben am 23. Oktober, haben einige, von den Gewerkschaften organisierte Demonstrationen im ganzen Land stattgefunden. Die hohe, im ganzen Land unterschiedliche Teilnehmerzahl ließ das Ausmaß der Wut erahnen (in Belfast beteiligten sich 15.000, in Edinburgh 25.000). Ein anderes Beispiel ist die Rebellion der Studenten gegen die Erhöhung der Studiengebühren um bis zu 300%.

 

Die bisherigen Studiengebühren führten schon zu gewaltigen Schuldenbergen, die sie nach Studienabschluss zurückzahlen müssen. Die Erhöhung der Studiengebühren haben im ganzen Land eine Reihe von Demonstrationen ausgelöst (5 Mobilisierungen innerhalb eines Monats im November –am 10., 24.  und 30.; am 4. und 9. Dezember).

Diese Erhöhung wurde im Parlament am 8. Dezember trotz der Proteste beschlossen.  Es haben sich einige Kampfherde herausgebildet: in den Universitäten, in den Colleges (die in Deutschland der gymnasialen Oberstufe entsprechen). Universitäten wurden besetzt, zahlreiche Versammlungen auf dem Campus oder auf den Straßen abgehalten, um über den Kampf zu diskutieren. Die Studenten und Schüler werden von zahlreichen Lehrkräften unterstützt.

Die herrschende Klasse hat große Angst vor dieser Bewegung. Ein klares Zeichen dafür ist das Niveau der Polizeirepression gegen die Demonstranten. Die meisten Versammlungen endeten mit gewaltsamen Zusammenstößen zwischen der bürgerkriegsmäßig ausgerüsteten Polizei und den Demonstranten. Die Polizei verfolgte eine Taktik der Einkesselungen, verprügelte unzählige Demonstranten. Zahlreiche Personen wurden verletzt und verhaftet, vor allem in London. Am 10. November hatten Studenten den Sitz der Konservativen Partei gestürmt, am 8. Dezember versuchten sie ins Finanzministerium und das höchste Gericht vorzudringen. (…)

 

 

 

 

Die Studenten und ihre Unterstützer waren in friedfertiger Stimmung zu den Kundgebungen gekommen; sie hatten ihre eigenen Spruchbänder hergestellt. Einige Teilnehmer waren zum ersten Mal zu einer Demo gekommen. Die spontanen Arbeitsniederlegungen, die Stürmung des Sitzes der Konservativen Partei in Millbank, die Auseinandersetzungen an den Polizeiabsperrungen, die Art und Weise, wie diese umgangen wurden, die Besetzung der Rathäuser und anderer öffentlicher Gebäude sind nur einige Beispiele dieser offen rebellischen Haltung. Die Studenten waren erzürnt und erbittert über die Haltung von Porter Aaron, dem Vorsitzenden der NUS (Studentengewerkschaft), der die Stürmung des Sitzes der Konservativen verurteilt hatte und die Gewalt einer winzigen Minderheit unter die Schuhe schob. Am 24. November wurden Tausende Demonstranten in London eingekesselt, sobald sie vom Trafalgar Square losgezogen waren, und trotz einiger erfolgreicher Versuche, die polizeilichen Absperrungen zu durchbrechen, haben die Polizeikräfte Tausende Demonstranten stundenlang in eisiger Kälte festgehalten. Berittene Polizei ist in die eingekesselte Demonstrantenmenge eingedrungen. In Manchester, Lewisham Town Hall und anderen Städten die gleichen Szenen.

 

 

Nach der Stürmung des Parteisitzes der Konservativen in Millbank haben die Zeitungen Fotos von angeblichen Krawallmachern und Horrorgeschichten über revolutionäre Gruppen veröffentlicht, die angeblich die Jugend im Lande mit ihrer unheilvollen Propaganda verführen. All das zeigt das wahre Gesicht der „Demokratie“, in der wir leben. Die Studentenrevolte in Großbritannien ist die beste Widerlegung der Behauptung, dass die Arbeiterklasse in Großbritannien passiv all die Angriffe durch die Regierung gegen alle Lebensbereiche hinnehmen werde: Job, Löhne, Gesundheitswesen, Arbeitslosigkeit, Zahlungen für Behinderte und Ausbildungsförderungen. Eine ganze Generation der Arbeiterklasse ist nicht mehr bereit, die Logik der Ausbeutung und die Sparmaßnahmen, welche die Herrschenden und ihre Gewerkschaften aufzwingen, zu schlucken. 14.1.2011

Der Klassenkampf ist international - Unsere Zukunft liegt in den Händen des Klassenkampfes

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Unsere Zukunft liegt in den Händen des Klassenkampfes

Studenten haben in mehreren Ländern gegen Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeitsbedingungen, Erhöhung von Studiengebühren, Kürzungen im Bildungswesen usw. protestiert – hier erwähnen wir nur Großbritannien, Italien und die Niederlande. In den USA haben mehrere größere Streiks, auch wenn sie in der gewerkschaftlichen Zwangsjacke steckenblieben, seit Frühjahr 2010 stattgefunden, um sich den Angriffen zu widersetzen: im Erziehungswesen in Kalifornien, im Gesundheitswesen (Krankenschwestern) in Philadelphia und Minneapolis-Saint-Louis, Bauindustrie in Chicago, Nahrungsmittelindustrie in New York, Lehrer in Illinois, Beschäftigte bei Boeing, und einem Coca-Cola-Werk in Bellevue (Washington), Hafenarbeiter in New Jersey und Philadelphia.

Zum Zeitpunkt des Schreiben dieses Artikels breitet sich im Maghreb, insbesondere in Tunesien, die seit Jahrzehnten angehäufte Wut aus, nachdem sich ein Jugendlicher am 17. Dezember öffentlich verbrannt hatte (siehe dazu Artikel in dieser Ausgabe).

Die Wirtschaftskrise und die herrschende Klasse schlagen überall auf der Welt zu. In Algerien, Jordanien, China und anderen Ländern sind die Proteste gegen die Verarmung äußerst brutal niedergeschlagen worden. Diese Repression muss die Arbeiter/Innen der Industriestaaten, die über eine größere Erfahrung verfügen, dazu bewegen, sich über die Sackgasse bewusst zu werden, in welcher der Kapitalismus steckt, um ihre Solidarität gegenüber ihren Klassenbrüdern- und Schwestern durch die Entfaltung des Klassenkampfes zum Ausdruck zu bringen. Schrittweise fangen die Beschäftigten langsam an, sich gegen die Verarmung, die Sparpolitik und die von ihnen abverlangten Opfer zu wehren.

 

Im Augenblick reicht diese Reaktion noch nicht aus und hinkt weit hinter dem Niveau der Angriffe zurück. Aber eine Dynamik hat eingesetzt, das offene Nachdenken und die Kampfbereitschaft werden weiter zunehmen. Ein Beleg dafür ist, dass Minderheiten versuchen sich selbst zu organisieren, aktiv zur Entfaltung massiver Kämpfe beizutragen und sich von den gewerkschaftlichen Fesseln zu lösen. Ein Beispiel dafür ist die Versammlung am Pariser Ostbahnhof, von der wir einen Aufruf in dieser Zeitung veröffentlichen.14.1.2011 

 

 

 

 

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Studentenproteste [5]
  • Arbeiterkämpfe international [6]
  • Aufstände in Tunesien Ägypten [7]

Deutsche Konjunktur: Alles Gold was glänzt?

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Zu Jahresanfang verkündeten Wirtschaftsforschungsinstitute, Regierungsstellen usw. , man habe ein „tolles Jahr“ hinter sich, mittlerweile sei nach dem großen Zittern der vergangenen Jahre wieder Optimismus eingekehrt, das Weihnachtsgeschäft habe alle Erwartungen übertroffen, Wachstumsprognosen werden laufend nach oben revidiert, der höchste Anstieg der deutschen Wirtschaftsleistung seit über zwei Jahrzehnten sei 2010 verbucht worden, die Arbeitslosenzahlen seien noch nie so niedrig gewesen wie seit 20 Jahren nicht mehr. Also, alles in Butter?

Exporterfolge – ein zweischneidiges Schwert

Obwohl Deutschland von China als Exportweltmeister überholt wurde, spielen die deutschen Exporte mehr denn je eine zentrale Rolle für die Wirtschaft. So konnten die Ausfuhren nach Asien um 36%, nach China um 55%, nach Nord- und Südamerika um 23% und nach Europa um 10% gesteigert werden. Der deutsche Weltmarktanteil lag zwischen 2005 und 2009 bei elf Prozent. Worauf ist der Erfolg der fortgesetzten deutschen Exportoffensive zurückzuführen? Zunächst wurde die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals durch eine seit Jahren dauernde Senkung der Löhne, Intensivierung des Arbeitsrhythmus usw. gesteigert. Dann konnten Abnehmer leichter gefunden werden dank der riesigen Konjunkturpakete, die in den USA, China, Japan, Russland, Brasilien usw. astronomische Summen von Geld in die Wirtschaft pumpten. Insgesamt wurden seit der Beschleunigung der Wirtschaftskrise über 3.000 Milliarden Dollar in Umlauf gebracht. Zudem begünstigte der vorübergehende Kursverlust des Euros die Exportbemühungen, weil dadurch die deutschen Exporte in den Dollarraum und andere Währungsräume verbilligt wurden. Und was nicht alles verkauft wird! Deutschland ist mittlerweile zum drittgrößten Waffenexporteur der Welt geworden und hält einen Weltmarktanteil am Rüstungsgeschäft von ca. 10%. Indien will z.B. 126 Eurofighter kaufen. Auch im Ausbau von Grenzanlagen ist das deutsche Kapital führend. Die Geschichte zahlt sich aus! (1)

Während die deutsche Exportwirtschaft zwar wieder an Fahrt gewonnen hat, nachdem sie zuvor massive Einbrüche von 20-50% hinnehmen musste (der Markt in Russland war während der Krise 2009 um 50% eingebrochen), kraxeln die anderen europäischen Wirtschaften und die USA weiter am Boden herum. In den anderen Ländern Europas schwankt das Wachstum nämlich zwischen 0 bis 1%. Die deutsche Wirtschaft kann nicht die Rolle einer Lokomotive übernehmen, da ihr Erfolg gerade u.a. darin besteht, nicht die anderen mit zu ziehen, sondern auf deren Kosten die deutschen Wettbewerbsvorteile auszubauen.

Während die deutschen Exportrekorde auf der einen Seite die Stärke der deutschen Wirtschaft zum Vorschein bringen, darf damit nicht verborgen bleiben, welche Abhängigkeit vom Export damit entstanden ist. Inzwischen beläuft sich das deutsche Exportvolumen auf fast 44% des deutschen BIP. Sobald die Weltwirtschaft schrumpft, wird der deutsche Export dadurch stärker als die Konkurrenten erfasst. Das deutsche Kapital ist wegen seiner enormen Exportabhängigkeit viel anfälliger für Beben der Weltwirtschaft. Was bedeutet dies?

 

 

Trotz großer Exportsteigerungen nach China und Asien insgesamt macht Asien lediglich 15%, Amerika 15% aus, der Löwenanteil der Exporte geht noch immer in die EU – nämlich zwei Drittel. Kommt es u.a. infolge der Sparpakete in den westlichen Industriestaaten zu einem Nachfragerückgang, wirkt sich das auf den deutschen Export viel stärker aus. Der deutsche Handelsüberschuss gegenüber Spanien ist von 26.9 Milliarden Euro im Jahr 2007 auf 12.3 Milliarden Euro im Jahr 2009 gesunken; der Überschuss mit Italien betrug 2007 19,8 Milliarden, im Jahr 2009 13,4 Mrd. Euro; auch gegenüber Griechenland und Portugal wurden rückläufige Handelsüberschüsse registriert.

Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis dieses Export-Feuerwerk vorüber ist. Irgendwann werden die Konjunkturprogramme verpufft sein, die Sparprogramme die Kaufkraft so stark gesenkt haben, dass diese Sonderstellung Deutschlands und China nicht mehr fortbestehen kann.

Ein weiteres Beispiel: VW will eine Million PKW in Shanghai vom Band laufen lassen; ein Viertel mehr als in Wolfsburg. Innerhalb von drei Jahren sollen vier neue VW-Standorte in China in Betrieb gehen. VW-Vorstandschef Winterkorn: „China ist inzwischen der größte und wichtigste Absatzmarkt der Welt“. Bis 2013 sollen von den chinesischen VW-Dependancen jährlich drei Millionen Autos produziert werden. (2) Somit wird Produktion von Deutschland nach China ausgelagert.

 

Alles Gold was glänzt?

Zum Jahreswechsel kommentierte die FrankfurterRundschau: „„Wow, die Sensationsnachrichten aus der deutschen Wirtschaft reißen nicht ab. Die Superstar-Economy, wie die hiesige international nur noch genannt wird, stellt nun auch noch die wichtigste Bank der Welt. Diesen Titel verlieh die japanische Finanzaufsicht der Deutschen Bank. (…) Auf den ersten Blick kann man diese Platzierung als Auszeichnung interpretieren, (….[weil] es keine andere Bank gibt, die für das weltweite Finanzsystem relevanter ist. Wer den zweiten Blick bevorzugt (…), den muss es schaudern: Der darf glatt wichtigste Bank mit gefährlichste Bank übersetzen. Und er liegt richtig. Denn die Fragestellung, die der Rangliste zugrunde lag, lautete: Der Kollaps welcher Bank hätte aus Sicht der japanischen Regulierer die gravierendsten Folgen für das weltweite Finanzsystem?“ (FrankfurterRundschau, Kommentar).

In den letzten Jahren hat das deutsche Finanzkapital gierig bei den Spekulationen mitgemischt. Die Folge – deutsche Banken waren auch sehr stark von dem Platzen der verschiedenen Blasen getroffen. Deutsche Banken haben umfangreiche Forderungen gegenüber den jetzt von der Zahlungsunfähigkeit bedrohten PIGS Staaten. Mit über 400 Milliarden Euro stehen die vier finanzschwachen Euro-Staaten gegenüber deutschen Banken in der Kreide (Irland: 138 Milliarden, Portugal: 37 Milliarden Griechenland: 37 Milliarden, Spanien: 182 Milliarden). Allein die HRE hat Forderungen von ca. 35 Milliarden Euro gegenüber Griechenland, Portugal, Spanien, Irland. Bei einem drohenden Kollaps dieser Staaten würde das Beben auch das deutsche Kapital mit in den Strudel ziehen. Dabei hat der deutsche Staat schon große Rettungsringe auswerfen müssen. Liquiditätsgarantien von insgesamt 124 Milliarden Euro wurden für die bankrotte Hypo Real Estate vergeben; die Commerzbank, die zweitgrößte Bank in Deutschland erhielt eine Kreditspritze von nahezu 20 Mrd. Euro. Ohne die staatlichen Rettungsschirme von 10 Milliarden Euro für die Bayern LB, 5 Milliarden für die Landesbank Baden-Württemberg, 3 Mrd. Euro für die WestLB und HSH Nordbank hätten diese nicht überlebt. D.h. die Spirale immer größerer Rettungspakete dreht sich endlos weiter….

Weltweit haben die USA die höchste Staatsverschuldung (knapp 14 Billionen Dollar). Darauf folgen Japan mit 6 Billionen Dollar an zweiter Stelle, gefolgt von Deutschland mit 1,502 Billionen Euro. Während in den großen Industriestaaten ein noch brutaleres Sparpaket nach dem anderen geschnürt wird, hat die Bundesregierung u.a. in Anbetracht der Sonderkonjunktur noch nicht so stark auf die Ausgabenbremse getreten wie anderswo. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschland viel umfangreichere Kürzungen vorgenommen werden. Dann werden auch hierzulande die Glocken anders läuten…. Anfang Januar 2011, Dv.

(1) „Indien will für seine Luftwaffe 126 Kampfflugzeuge kaufen; der Preis wird auf bis zu 20 Milliarden US-Dollar geschätzt. Um den Auftrag bemüht sich trotz starker Konkurrenz unter anderem aus Schweden und Russland der deutsch-französische EADS-Konzern. ThyssenKrupp Marine Systems will Indien U-Boote verkaufen, der Panzerhersteller Krauss-Maffei Wegmann ist ebenfalls auf der Suche nach neuen Kunden. Hintergrund ist, dass die Bundeswehr in den nächsten Jahren voraussichtlich wegen der angekündigten Etatkürzungen bei Neueinkäufen sparen muss. Die deutschen Waffenschmieden, die schon heute 70 Prozent des von ihnen produzierten Kriegsgeräts exportieren, bemühen sich nun verstärkt um Absatzchancen in aller Welt, zumal einige Traditionskunden - insbesondere Spanien und Griechenland - wegen finanzieller Schwierigkeiten ausfallen. Auch Indien soll jetzt mit dem Kauf deutscher Kampfflieger und Panzer die Profite der Rüstungshersteller in die Höhe treiben.

Bis 2014 wird EADS die 9.000 Kilometer lange Außengrenze Saudi-Arabiens mit Zäunen, Infrarotkameras und Bodenradar ausstatten, System für die Überwachung von Flughäfen und Häfen installieren…, ein milliardenschwerer Auftrag.“ German-Foreign-Policy, 19.11.2010).

(2) Selbst bürgerliche Kommentatoren erkennen: „Der chinesische Automarkt profitiert besonders vom staatlichen Konjunkturprogramm und der massiven Ausweitung der Kreditvergabe. Doch rechnet Volkswagen damit, dass diese Effekte abnehmen werden und eine Normalisierung eintreten wird.“ (https://www.abendblatt.de/wirtschaft/article1526410/VW-verdoppelt-Produk... [8])

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Exportüberschüsse Deutschland [9]
  • Deutschland Exportweltmeister [10]
  • Deutschland Exportabhängigkeit [11]
  • Krise Deutschland [12]

Die Märzaktion 1921: Die Gefahr kleinbürgerlicher Ungeduld

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(Wir veröffentlichen hier den ungekürzten Artikel, den wir in unserer Internationalen Revue schon veröffentlicht haben, der in unserer Zeitung aus Platzgründen jedoch gekürzt gedruckt werden muss).

Im vorigen Artikel zum Kapp-Putsch 1920 haben wir herausgestellt, dass die Arbeiterklasse nach den Niederlagen von 1919 wieder auf dem Vormarsch war. Aber weltweit war die revolutionäre Welle doch absteigend.

 

Die Beendigung des Krieges hatte in vielen Ländern den revolutionären Elan gebrochen und es vor allem der Bourgeoisie ermöglicht, die Spaltung der Arbeiterklasse in Arbeiter der „Siegermächte" und der besiegten Staaten auszunutzen. Zudem schaffte es das Kapital, die revolutionäre Bewegung in Russland immer weiter zu isolieren. Die Siege der Roten Armee über die Weißen Truppen, die von den westlichen bürgerlichen Demokratien kräftig unterstützt wurden, hinderte die herrschende Klasse nicht daran, ihre Konteroffensive international fortzusetzen.

In Russland selber forderten die Isolierung der Revolution und die wachsende Integration der Bolschewistischen Partei in den russischen Staat ihren Preis. Im März 1921 erhoben sich in Kronstadt revoltierende Arbeiter und Matrosen.

Auf diesem Hintergrund sollte in Deutschland die Arbeiterklasse noch immer eine stärkere Kampfbereitschaft zeigen als in den anderen Staaten. Überall standen die Revolutionäre vor der Frage: nachdem der Höhepunkt der internationalen Welle revolutionärer Kämpfe überschritten war und die Bourgeoisie weiter in der Offensive blieb, wie auf diese Situation reagieren?

Innerhalb der Komintern setzte sich eine politische Kehrtwende durch. Die auf dem 2. Kongress im Sommer 1920 verabschiedeten 21 Aufnahmebedingungen verdeutlichten dies klar. Hierin wurde die Arbeit in den Gewerkschaften wie die Beteiligung an den Parlamentswahlen bindend vorgeschrieben. Damit hatte die Komintern einen Rückschritt zu den alten Methoden aus der Zeit des aufsteigenden Kapitalismus gemacht, in der Hoffnung, dass man damit größere Kreise von Arbeiter erreichen würde.

Diese opportunistische Kehrtwende äußerte sich in Deutschland darin, dass die Kommunistische Partei im Januar 1921 einen „Offenen Brief" an die Gewerkschaften und SPD wie auch an die Freie Arbeiterunion (Syndikalisten), USPD und KAPD richtete, in dem „sämtlichen sozialistischen Parteien und Gewerkschaftsorganisationen vorgeschlagen (wurde), gemeinsame Aktionen zur Durchsetzung der dringendsten wirtschaftlichen und politischen Forderungen der Arbeiter zu führen". Durch diesen Aufruf insbesondere an die Gewerkschaften und die SPD sollte die „Einheitsfront der Arbeiter in den Betrieben" hergestellt werden. Die VKPD betonte, „sie wollte zurückstellen die Erinnerung an die Blutschuld der mehrheitssozialdemokratischen Führer. Sie wollte für den Augenblick zurückstellen die Erinnerungen an die Dienste, die die Gewerkschaftsbürokratie den Kapitalisten im Krieg und in der Revolution geleistet hat." (aus „Offener Brief", Rote Fahne, 8.1.1921) Während man mit opportunistischen Schmeicheleien Teile der Sozialdemokratie auf die Seite der Kommunisten ziehen wollte, wurde gleichzeitig in den Reihen der Partei zum ersten Mal die Notwendigkeit einer proletarischen Offensive theoretisiert. Und „sollten die Parteien und Gewerkschaften, an die wir uns wenden, nicht gewillt sein, den Kampf aufzunehmen, so würde die VKPD sich verpflichtet erachten, diesen Kampf allein zu führen, und sie ist überzeugt, dass ihr die Arbeitermassen folgen werden". (ebenda)

Gleichzeitig hatte der im Dezember 1920 vollzogene Zusammenschluss zwischen KPD und USPD, der zur Gründung der VKPD führte, in der Partei die Auffassungen von der Möglichkeit einer Massenpartei erstarken lassen. Dies wurde dadurch verstärkt, dass die Partei jetzt über 500000 Mitglieder verfügte. So ließ sich die VKPD selbst blenden durch den Stimmenanteil bei den Wahlen zum Preußischen Landtag, wo sie im Februar nahezu 30% aller Stimmen erzielte (1).

Die Idee machte sich breit, man könne die Lage in Deutschland „aufheizen". Vielen schwebte die Idee eines Rechtsputsches vor, der wie ein Jahr zuvor im Kapp-Putsch eine mächtige Reaktion der gesamten Arbeiterklasse mit Aussichten auf die Machtergreifung auslösen würde. Diese irrigen Auffassungen sind im wesentlichen auf den verstärkten Einfluss des Kleinbürgertums in der Partei seit dem Zusammenschluss zwischen KPD und USPD zurückzuführen. Die USPD war wie jede zentristische Richtung in der Arbeiterbewegung stark von den Auffassungen und Verhaltensweisen des Kleinbürgertums beeinflusst. Das zahlenmäßige Wachstum der Partei neigte zugleich dazu, das Gewicht des Opportunismus, Immediatismus und der kleinbürgerlichen Ungeduld zu vergrößern.

Auf diesem Hintergrund – Rückgang der revolutionären Welle international, tiefgreifende Verwirrung innerhalb der revolutionären Bewegung in Deutschland – leitete die Bourgeoisie im März 1921 eine neue Offensive gegen das Proletariat ein. Hauptzielscheibe ihres Angriffs sollten die Arbeiter in Mitteldeutschland sein. Im Krieg war dort im Industriegebiet um Leuna, Bitterfeld und das Mansfelder Becken eine große Konzentration von Proletariern entstanden, die überwiegend relativ jung und kämpferisch waren, aber über keine große Organisationserfahrung verfügten. So zählte die VKPD dort allein über 66000 Mitglieder, die KAPD brachte es auf 3200 Mitglieder. In den Leuna-Werken gehörten von 20000 Beschäftigten ca. 2000 den Arbeiterunionen an.

Da nach den Auseinandersetzungen von 1919 und nach dem Kapp-Putsch viele Arbeiter bewaffnet geblieben waren, wollte die Bourgeoisie den Arbeitern weiter an den Kragen.

 

Die Bourgeoisie versucht die Arbeiter zu provozieren

Am 19. März 1921 zogen starke Polizeitruppen in Mansfeld ein, um die Arbeiter zu entwaffnen.

Der Befehl ging nicht vom „rechten" Flügel der Herrschenden (innerhalb der Militärs oder der rechten Parteien) aus, sondern von der demokratisch gewählten Regierung. Es war die bürgerliche Demokratie, die die Henkersrolle der Arbeiterklasse spielte und darauf abzielte, diese mit allen Mitteln zu Boden zu werfen.

Es ging der Bourgeoisie darum, durch die Entwaffnung und Niederlage eines sehr kämpferischen, relativ jungen Teils des deutschen Proletariats die Arbeiterklasse insgesamt zu schwächen und zu demoralisieren. Vor allem aber verfolgte die Bourgeoisie das Ziel, der Vorhut der Arbeiterklasse, den revolutionären Organisationen, einen fürchterlichen Schlag zu versetzen. Das Aufzwingen eines vorzeitigen Entscheidungskampfes in Mitteldeutschland sollte dem Staat vor allem die Gelegenheit geben, die Kommunisten gegenüber der gesamten Klasse zu isolieren, um diese Parteien dann in Verruf zu bringen und der Repression auszusetzen. Es ging darum, der frisch gegründeten VKPD die Möglichkeit zu rauben, sich zu konsolidieren, sowie die sich anbahnende Annäherung zwischen KAPD und VKPD zunichte zu machen. Schließlich wollte das deutsche Kapital stellvertretend für die Weltbourgeoisie die Russische Revolution und die Kommunistische Internationale weltweit weiter isolieren.

Die Komintern hatte gleichzeitig jedoch verzweifelt nach Möglichkeiten einer Hilfe von Außen für die Revolution in Russland gesucht. Man hatte gewissermaßen auf die Offensive der Bourgeoisie gewartet, damit die Arbeiter weiter in Zugzwang gerieten und endlich losschlagen würden. Anschläge wie der gegen die Siegessäule in Berlin am 13. März, der von der KAPD initiiert wurde, hatten dazu dienen sollen, die Kampfbereitschaft weiter anzustacheln.

Levi berichtete von einer Sitzung der Zentrale, wo der Moskauer Gesandte Rakosi meinte: „Russland befinde sich in einer außerordentlich schwierigen Situation. Es sei unbedingt erforderlich, dass Russland durch Bewegungen im Westen entlastet würde, und aus diesem Grunde müsse die deutsche Partei sofort in Aktion treten. Die VKPD zähle jetzt 500000 Mitglieder, mit diesen könne man 1500000 Proletarier auf die Beine bringen, was genügt, um die Regierung zu stürzen. Er sei also für sofortigen Beginn des Kampfes mit der Parole: Sturz der Regierung". (P. Levi, „Brief an Lenin", 27.03.1921)

„Am 17. März fand die Zentralausschusssitzung der KPD statt, in der die Anregungen oder Weisungen des aus Moskau gesandten Genossen zur Richtlinie gemacht wurden.

Am 18. März stellte sich die Rote Fahne auf diesen neuen Beschluss um und forderte zum bewaffneten Kampf auf, ohne zunächst zu sagen, für welche Ziele, und hielt diesen Ton einige Tage fest." (Levi, ebenda)

Die erwartete Offensive der Regierung im März 1921 war mit dem Vorrücken der Polizeitruppen nach Mitteldeutschland eingetreten.

 

Die Revolution forcieren?

Die vom sozialdemokratischen Polizeiminister Hörsing am 19. März nach Mitteldeutschland beorderten Polizeikräfte sollten Hausdurchsuchungen vornehmen und die Arbeiter um jeden Preis entwaffnen. Die Erfahrung aus dem Kapp-Putsch vor Augen, hatte die Regierung davor zurückgeschreckt, Soldaten der Reichswehr einzusetzen.

In derselben Nacht wurde vor Ort der Entschluss zum Generalstreik ab dem 21. März gefasst. Am 23. März kam es zu ersten Kämpfen zwischen Truppen der Sicherheits-Polizei und Arbeitern. Am gleichen Tag erklärten die Arbeiter der Leuna-Werke bei Merseburg den Generalstreik. Am 24. März riefen die VKPD und KAPD gemeinsam zum Generalstreik in ganz Deutschland auf. Nach diesem Aufruf kam es sporadisch in mehren Städten des Reichs zu Demonstrationen und Schießereien zwischen Streikenden und Polizei. Etwa 300000 Arbeiter beteiligten sich landesweit an den Streiks.

Der Hauptkampfplatz blieb jedoch das mitteldeutsche Industriegebiet, wo sich ca. 40000 Arbeiter und 17000 Mann Polizei- und Reichswehrtruppen gegenüberstanden. In den Leuna-Werken waren insgesamt 17 bewaffnete proletarische Hundertschaften aufgestellt worden. Die Polizeitruppen setzten alles daran, die Leuna-Werke zu stürmen. Erst nach mehreren Tagen gelang es ihnen, die Fabrik zu erobern. Dazu schickte die Regierung kurzerhand Flugzeuge und bombardierte die Leuna-Werke. Gegen die Arbeiterklasse waren ihr alle Mittel recht.

Auf Initiative der KAPD und VKPD wurden Dynamit-Attentate in Dresden, Freiberg, Leipzig, Plauen und anderswo verübt. Die besonders hetzerisch gegen die Arbeiter vorgehende Hallische – und Saale-Zeitung sollten am 26. März mit Sprengstoff zum Schweigen gebracht werden.

Während die Repression in Mitteldeutschland spontan die Arbeiter zu bewaffnetem Widerstand trieb, gelang es diesen jedoch wiederum nicht, den Häschern der Regierung einen koordinierten Widerstand entgegenzusetzen. Die von der VKPD aufgestellten Kampforganisationen, die von Hugo Eberlein geleitet wurden, waren militärisch und organisatorisch völlig unzureichend vorbereitet. Max Hoelz, der eine ca. 2500 starke Arbeiter-Kampftruppe aufgestellt und es geschafft hatte, bis einige Kilometer vor die von Regierungstruppen belagerten Leuna-Werke zu gelangen, versuchte vor Ort eine Zentralisierung aufzubauen. Aber seine Truppen wurden ebenso am 1. April aufgerieben, nachdem die Leuna-Werke zwei Tage zuvor schon erstürmt worden waren.

Obwohl in anderen Städten die Kampfbereitschaft nicht im Ansteigen begriffen war, hatten VKPD und KAPD zu einem sofortigen militärischen Zurückschlagen gegen die eingerückten Polizeikräfte aufgerufen.

„Die Arbeiterschaft wird aufgefordert, den aktiven Kampf aufzunehmen mit folgenden Zielen:

1. Sturz der Regierung...

2. Entwaffnung der Konterrevolution und Bewaffnung der Arbeiter"

(Aufruf vom 17. März).

In einem weiteren Aufruf der Zentrale der VKPD schrieb sie am 24. März:

„Denkt daran, dass ihr im Vorjahr in fünf Tagen mit Generalstreik und bewaffnetem Aufstand die Weißgardisten und Baltikumstrolche besiegt habt. Kämpft mit uns wie im Vorjahr Schulter an Schulter die Gegenrevolution nieder!

Tretet überall in den Generalstreik! Brecht mit Gewalt die Gewalt der Konterrevolution, Entwaffnung der Konterrevolution, Bewaffnung, Bildung von Ortswehren aus den Kreisen der organisierten Arbeiter, Angestellten und Beamten!

Bildet sofort proletarische Ortswehren! Sichert Euch die Macht in den Betrieben! Organisiert die Produktion durch Betriebsräte und Gewerkschaften! Schafft Arbeit für die Arbeitslosen!"

Vor Ort jedoch waren die Kampforganisationen der VKPD und die spontan bewaffneten Arbeiter nicht nur schlecht organisatorisch und militärisch gerüstet; die örtlichen Parteileitungen selber hatten keinen Kontakt zu ihren Parteizentralen. Verschiedene Truppenverbände (die von Max Hoelz und Karl Plättner waren die bekanntesten) kämpften an mehreren Orten im Aufstandsgebiet unabhängig voneinander. Nirgendwo gab es Arbeiterräte, die ihre Aktionen hätten koordinieren können. Dagegen standen die Repressionstruppen der Bürgerlichen natürlich im engsten Kontakt mit ihrem Generalstab und koordinierten ihre Taktik!

Nachdem die Leuna-Werke gefallen waren, zog die VKPD am 31. März 1921 den Aufruf zum Generalstreik zurück. Am 1. April lösten sich die letzten bewaffneten Arbeitertruppen in Mitteldeutschland auf.

Wieder herrschten Ruhe und Ordnung! Wieder schlug die Repression zu. Wieder wurden viele Arbeiter ermordet und misshandelt. Hunderte waren erschossen worden, über 6000 wurden verhaftet.

Die Hoffnung großer Teile der VKPD und KAPD, ein provokatives Vorgehen des staatlichen Repressionsapparates würde eine Spirale des Widerstandes in den Reihen der Arbeiter auslösen, war enttäuscht worden. Die Arbeiter in Mitteldeutschland waren relativ isoliert geblieben.

In dieser Situation hatten die VKPD und die KAPD derart auf ein Losschlagen gebrannt, ohne die Gesamtlage im Auge zu behalten, dass sie sich durch die Devise „Wer nicht für uns ist, der ist wider uns" (Editorial der Roten Fahne, 20. März), von den unentschlossenen und nicht-kampfbereiten Arbeitern völlig isolierten und einen Graben der Spaltung innerhalb der Arbeiterklasse aushoben.

Anstatt zu erkennen, dass die Lage nicht günstig war, schrieb die Rote Fahne am 30. März: „Nicht nur auf das Haupt eurer Führer, auf das Haupt jedes einzelnen von euch kommt die Blutschuld, wenn ihr stillschweigend oder auch nur unter lahmen Protesten duldet, dass die Ebert, Severing, Hörsing den weißen Schrecken und die weiße Justiz gegen die Arbeiter loslassen (...)

Schmach und Schande über den Arbeiter, der jetzt noch beiseite steht, Schmach und Schaden über den Arbeiter, der jetzt noch nicht weiß, wo sein Platz ist."

Um die Kampfbereitschaft weiter anzustacheln, hatte man die Arbeitslosen als Speerspitze einsetzen wollen.

„Die Arbeitslosen wurden als Sturmkolonnen vorangeschickt. Sie besetzten die Tore der Fabriken. Sie drangen in die Betriebe ein, löschten hier und da die Feuer und versuchten, die Arbeiter aus den Betrieben herauszuprügeln... Es war ein entsetzlicher Anblick, wie die Arbeitslosen, laut weinend über die Prügel, die sie empfangen, aus den Betrieben hinausgeworfen wurden, und wie sie denen fluchten, die sie dahin gesandt."

Dass die VKPD-Zentrale vor dem Beginn der Kämpfe das Kräfteverhältnis falsch eingeschätzt hatte und nach Auslösung der Kämpfe ihre Einschätzung nicht revidierte, war schon tragisch genug. Es kam noch schlimmer, denn statt dessen verbreitete sie die Parole: „Leben oder Tod". Nach dem falschen Motto: „Kommunisten weichen nie zurück"!

„Unter keinen Umständen darf ein Kommunist, auch wenn er in Minderheit ist, zur Arbeit schreiten. Die Kommunisten gingen hinaus aus den Betrieben. In Trupps von 200, 300 Mann, oft mehr, oft weniger, gingen sie aus den Betrieben: der Betrieb ging weiter. Sie sind heute arbeitslos, die Unternehmer haben die Gelegenheit benutzt, die Betriebe ‘kommunistenrein’ zu machen in einem Falle, in dem sie selbst ein groß Teil der Arbeiter auf ihrer Seite hatten." (Die Rote Fahne)

 

Welche Bilanz aus den März-Kämpfen?

Während dieser Kampf der Arbeiterklasse von der Bourgeoisie aufgezwungen wurde und sie ihm nicht ausweichen konnte, hatte die VKPD den Fehler begangen, dass sie „den defensiven Charakter des Kampfes nicht klar genug hervorhob, sondern durch den Ruf von der Offensive den gewissenlosen Feinden des Proletariats, der Bourgeoisie, der SPD und der USPD Anlass gab, die VKPD als Anzettlerin von Putschen dem Proletariat zu denunzieren. Dieser Fehler wurde von einer Anzahl von Parteigenossen gesteigert, indem sie die Offensive als die hauptsächlichste Methode des Kampfes der VKPD in der jetzigen Situation darstellten" („Thesen und Resolutionen des 3. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale",

S. 52/53, Juni 1921).

Dass die Kommunisten weiter für eine Verstärkung der Kampfbereitschaft eintraten, war ihre erste Pflicht. Aber Kommunisten sind nicht einfach Aufpeitscher der Kampfbereitschaft. Die „Kommunisten sind (...) praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegungen voraus." (Kommunistisches Manifest) Deshalb müssen sie sich gegenüber der Klasse insgesamt durch ihre Fähigkeit auszeichnen, das Kräfteverhältnis richtig einzuschätzen, die Strategie des Klassengegners zu durchschauen, denn eine für entscheidende Kämpfe noch zu schwache Arbeiterklasse in eine sichere Niederlage zu führen, oder sie in die von der Bourgeoisie gestellten Fallen zu treiben, ist das Unverantwortlichste, was Revolutionäre tun können. Insbesondere erfordert dies vor allem auch die Fähigkeit zu entwickeln, den jeweiligen Bewusstseinsstand und die Kampfbereitschaft innerhalb der Arbeiterklasse einschätzen zu können, und die Vorgehensweise der Herrschenden zu durchschauen. Nur so können revolutionäre Organisationen ihre wirkliche Führungsrolle in der Klasse übernehmen.

Sofort nach dem Ende der März-Aktion kam es zu heftigen Debatten innerhalb der VKPD und der KAPD.

 

Falsche Organisationsauffassungen — eine Fessel für die Fähigkeit der Partei zur Selbstkritik

In einem Leitartikel vom 4.–6. April verkündete die Rote Fahne, dass die „VKPD eine revolutionäre Offensive eingeleitet" habe und die März-Aktion „der Beginn, der erste Abschnitt der entscheidenden Kämpfe um die Macht" sei.

Am 7./8. April tagte der Zentralausschuss der VKPD. Anstatt eine kritische Einschätzung der Intervention zu liefern, versuchte Heinrich Brandler vor allem die Politik der VKPD-Zentrale zu rechtfertigen. Er begründete die Hauptschwäche in einer mangelnden Disziplin der VKPD-Mitglieder vor Ort und im Versagen der sogenannten Militärorganisation. Brandler meinte gar, „Wir haben keine Niederlage erlitten, wir hatten eine Offensive".

Gegenüber dieser Einschätzung sollte Paul Levi innerhalb der VKPD zum heftigsten Kritiker der Vorgehensweise der Partei in der März-Aktion werden.

Nachdem er neben Clara Zetkin im Februar 1921 schon aus dem Zentralausschuss ausgeschieden war, weil es unter anderem zu Divergenzen um die Gründung der KP in Italien gekommen war, sollte er sich erneut als unfähig erweisen, die Organisation durch Kritik nach vorne zu treiben. Das Tragische war, dass er „mit seiner Kritik an der März-Aktion 1921 in Deutschland in vielem dem Wesen der Sache nach recht" hatte (Lenin, „Brief an die deutschen Kommunisten", Werke Bd. 32, S. 541). Aber anstatt seine Kritik innerhalb des Rahmens der Organisation den Regeln und Prinzipien derselben folgend vorzubringen, verfasste er am 3./4. April eine Broschüre, die am 12. April veröffentlicht wurde, ohne dass die Partei ihren Inhalt kannte (2).

In dieser Broschüre brach er nicht nur die Organisationsdisziplin, sondern er veröffentliche Details aus dem internen Leben der Partei. Somit brach er ein proletarisches Prinzip, gefährdete gar die Organisation, indem er in aller Öffentlichkeit die Funktionsweise der Organisation preisgab. Dafür wurde er am 15. April aus der Partei wegen parteischädigenden Verhaltens ausgeschlossen(3).

Levi, der wie wir in einem früheren Artikel zum Oktoberparteitag der KPD 1919 festgestellt haben, dazu neigte, jede Kritik als Angriff auf die Organisation, als Infragestellung einer ganzen Linie und somit als Bedrohung der Organisation, aber auch seiner Person aufzufassen, sabotierte jeden Versuch einer kollektiven Funktionsweise. Seine Einstellung offenbart dies: „Ist die März-Aktion richtig, dann gehöre ich hinausgeworfen (aus der Partei). Oder ist die März-Aktion ein Fehler, dann ist meine Broschüre gerechtfertigt." (Levi, „Brief an die Zentrale der VKPD") Diese organisationsschädigende Haltung war von Lenin wiederholt kritisiert worden. Nach Bekanntwerden seines Austritts aus der Zentrale der VKPD im Februar schrieb Lenin dazu: „Aber Austritt aus der Zentrale!!?? Das jedenfalls der größte Fehler! Wenn wir solche Gepflogenheiten dulden werden, dass verantwortliche Mitglieder der Zentrale austreten, wenn sie in der Minderheit geblieben sind, dann wird die Entwicklung und Gesundung der kommunistischen Parteien niemals glatt gehen. Statt auszutreten – die strittige Frage mehrere Male besser mit der Exekutive ventilieren (...). Alles mögliche und etwas unmögliches dazu zu tun – aber, es koste was es wolle, Austritt vermeiden und Gegensätze nicht verschärfen." (Lenin an Clara Zetkin und Paul Levi, 16.4.1921).

Levis zum Teil maßlosen und überspitzten Beschuldigungen (dass er die Verantwortung der Bourgeoisie für die Kämpfe im März in den Hintergrund geraten ließ und der VKPD praktisch die Alleinschuld aufbürdete) verzerrten die Wirklichkeit.

Nachdem er aus der Partei ausgeschlossen war, gab er eine kurze Zeit die Zeitschrift ‚Sowjet’ heraus, die zum Sprachrohr der Gegner dieses Kurses der VKPD wurden. Levi wollte seine Kritik an der Taktik der VKPD dem Zentralausschuss vortragen, wurde aber zur Tagung nicht mehr zugelassen. Statt dessen trug Clara Zetkin eine Reihe seiner Kritiken vor. „Die Kommunisten haben nicht die Möglichkeit (...) die Aktion an Stelle des Proletariats, ohne das Proletariat, am Ende gar gegen das Proletariat zu machen" (Levi). Zetkin schlug eine Gegenresolution zur Stellungnahme der Partei vor. Mehrheitlich verwarf die Sitzung des Zentralausschusses jedoch die Kritik und hob hervor, dass ein „Ausweichen vor der Aktion (...) unmöglich für eine revolutionäre Partei, (...) ein glatter Verzicht auf ihren Beruf, die Revolution zu führen" gewesen wäre. Die VKPD „muss, wenn sie ihre geschichtliche Aufgabe erfüllen will, festhalten an der Linie der revolutionären Offensive, die der März-Aktion zugrunde liegt, und sie muss entschlossen und sicher auf diesem Wege fortschreiten" („Leitsätze über die März-Aktion", Die Internationale Nr. 4, April 1921).

Die Zentrale bestand auf der Fortsetzung der eingeschlagenen Offensivtaktik und verwarf alle Kritiken. In einem vom 6. April 1921 gezeichneten Aufruf hatte das EKKI (Erweitertes Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationalen) noch die Haltung der VKPD gebilligt und aufgerufen, „Ihr habt richtig gehandelt (...) Rüstet zu weiteren Kämpfen" (Rote Fahne, 14.4.1921).

So waren auf dem 3. Weltkongress der Komintern weder das EKKI noch der Kongress selber einig über die Einschätzung der deutschen Ereignisse. Vor allem die Gruppe um Clara Zetkin in der KPD wurde in dem ersten Teil der Diskussion erbittert angegriffen. Erst das Eingreifen und die Autorität Lenins und Trotzkis in der Debatte brachten die Wende in der Auseinandersetzung, indem die Hitzköpfe zur Abkühlung gebracht wurden.

Lenin, der sowohl durch die Ereignisse in Kronstadt wie auch durch die Staatsführung so beschäftigt war, dass er die Ereignisse und die Debatten um die Bilanz nicht hatte näher verfolgen können, fing an, sich eingehend mit der Bilanz der März-Aktion zu befassen. Während er den Disziplinbruch Levis auf das schärfste verwarf, trat er dafür ein, dass die März-Aktion wegen ihrer „großen internationalen Bedeutung dem 3. Weltkongress der Komintern unterbreitet werden solle". Breitestmögliche, ungehinderte Diskussion innerhalb der Partei, hieß seine Devise.

W. Koenen, der Vertreter der VKPD beim EKKI, wurde im April vom EKKI mit dem Auftrag nach Deutschland geschickt, dass der Zentralausschuss keine endgültigen Beschlüsse gegen die Opposition fassen sollte. In der Parteipresse kamen dann auch wieder die Kritiker der März-Aktion zu Wort. Die Diskussion über die Taktik wurde fortgesetzt.

Dennoch vertrat die Mehrheit der Zentrale weiterhin ihre im März eingenommene Haltung. Arkady Maslow verlangte die neuerliche Billigung der März-Aktion. Guralski, ein Gesandter des EKKI forderte gar: „keine Beschäftigung mit der Vergangenheit. Die beste Antwort auf Angriffe der Richtung Levi sind die weiteren politischen Kämpfe der Partei". Auf der Sitzung des Zentralausschusses vom 3.-5. Mai trat Thalheimer dafür ein, die Aktionseinheit der Arbeiter wieder aufzunehmen. Fritz Heckert plädierte für verstärkte Arbeit in den Gewerkschaften.

Am 13. Mai veröffentlichte die Rote Fahne Leitsätze, die auf eine künstliche Beschleunigung der revolutionären Entwicklung abzielten. Als Beispiel wurde dafür die März-Aktion hingestellt. Die Kommunisten „müssen in zugespitzten Situationen, wo wichtige Interessen des Proletariats bedroht sind, den Massen einen Schritt vorausgehen und versuchen, sie durch ihre Initiative in den Kampf zu führen, auch auf die Gefahr hin, nur Teile der Arbeiterschaft mit sich zu reißen". Wilhelm Pieck, der sich schon in der Januar-Woche 1919 mit Karl Liebknecht entgegen den Parteibeschluss am Aufstand beteiligt hatte, meinte: Auseinandersetzungen unter den Arbeitern „werden wir noch häufiger erleben. Die Kommunisten müssen sich gegen die Arbeiter wenden, wenn diese nicht unseren Aufrufen folgen".

 

Die Reaktion der KAPD

Während VKPD und KAPD einen Schritt vorwärts gemacht hatten und zum ersten Mal gemeinsam losschlagen wollten, lag das Drama darin, dass diese Aktionen selbst unter ungünstigen Bedingungen stattgefunden hatten. Auch war der gemeinsame Nenner der VKPD und KAPD bei der März-Aktion gewesen, der Arbeiterklasse in Russland zu Hilfe zu eilen. Im Gegensatz zu den späteren Rätekommunisten verteidigte die KAPD damals noch die Revolution in Russland.

Gegenüber der Bilanz der März-Aktion waren die Haltung und Intervention der KAPD jedoch widersprüchlich. Einerseits rief sie gemeinsam mit der VKPD zum Generalstreik auf, schickte F. Jung und F. Rasch als Vertreter der Zentrale nach Mitteldeutschland zur Unterstützung der Koordinierung der Kampfhandlungen. Andererseits hielten die örtlichen Führer der KAPD, Utzelman und Prenzlow, aufgrund ihrer Kenntnis der Lage im mitteldeutschen Industriegebiet einen Aufstandsversuch für unsinnig und wollten nicht über den Generalstreik hinausgehen. Deshalb waren sie gegenüber den Leuna-Arbeitern dafür eingetreten, im Werksbereich zu verbleiben und sich auf einen Defensivkampf einzustellen. Die KAPD-Leitung reagierte ohne Abstimmung mit der Partei vor Ort.

Im Anschluss an die Bewegung lieferte die KAPD Ansätze zu einer kritischen Einschätzung ihrer eigenen Intervention. Sie reagierte sehr widersprüchlich. In einer Antwort auf die Broschüre Levis griff sie jedoch die grundsätzliche Problematik auf, die hinter der Vorgehensweise der VKPD-Zentrale stand. So schrieb Herman Gorter: „Die VKPD hatte durch die parlamentarische Aktion – die unter dem bankerotten Kapitalismus keine andere Bedeutung mehr hat, als die Irreführung der Massen – das Proletariat vom revolutionären Handeln abgelenkt. Sie hatte Hunderttausende von nichtkommunistischen Mitgliedern gesammelt, war also zu einer ‘Massenpartei’ geworden. Die VKPD hatte durch die Zellentaktik die Gewerkschaften unterstützt (...) als die deutsche Revolution immer machtloser zurückwich, als ihre besten Elemente dadurch unzufrieden, stets mehr auf die Aktion drängten – da beschloss sie auf einmal eine große Aktion zur Eroberung der politischen Gewalt. D.h. vor der Herausforderung Hörsings und der Sipo hat sie zu einer künstlichen Aktion von oben, ohne spontanen Drang großer Massen, d.h. zur Putschtaktik, den Beschluss gefasst.

Das Exekutiv-Komitee und seine Repräsentanten in Deutschland hatten schon lange darauf gedrängt, die VKPD solle losschlagen. Sie sollte sich als eine richtige revolutionäre Partei erweisen. Als ob in dem Losschlagen allein schon das Wesen einer revolutionären Taktik besteht! Wenn eine Partei, die statt die revolutionäre Kraft des Proletariats aufzubauen, Parlament und Gewerkschaften unterstützt und dadurch das Proletariat schwächt und seine revolutionäre Kraft unterminiert, dann (nach diesen Vorbereitungen!!) auf einmal losschlägt und eine große, angreifende Aktion beschließt, für dies selbe, von ihr selbst geschwächte Proletariat, so ist das im Grunde ein Putsch. Das heißt eine von oben beschlossene, nicht aus den Massen selbst hervorkommende, von vornherein zum Scheitern verdammte Tat. Und diese Putschtaktik ist nicht revolutionär, sondern genau so opportunistisch, wie der Parlamentarismus und die Zellentaktik selbst. Ja, diese Putschtaktik ist die notwendige Gegenseite des Parlamentarismus und der Zellentaktik, der Sammlung nichtkommunistischer Elemente, der Führer – statt Massen- oder besser Klassenpolitik. Diese schwache, innerlich faule Taktik muss notwendig zu Putschen führen." („Lehren der März-Aktion", Nachschrift zum „Offenen Brief an den Genossen Lenin" von Herman Gorter, in Der Proletarier, 5/1921)

Damit legte dieser KAPD-Text richtigerweise den Finger auf den Widerspruch zwischen der Taktik der Einheitsfront, die die Illusionen der Arbeiter über Gewerkschaften und Sozialdemokratie verstärkt hatte, und dem plötzlichen gleichzeitigen Aufruf zum Sturmangriff gegen den Staat. Gleichzeitig finden sich in diesem Text jedoch Widersprüche, denn während die KAPD einerseits von einer Verteidigungshandlung der Arbeiter sprach, schätzte sie die März-Aktion gleichzeitig als „ersten bewussten Angriff der revolutionären Arbeiter Deutschlands gegen die bürgerliche Staatsmacht" ein (S. 21). Dabei hatte die KAPD selbst festgestellt, dass „selbst die großen Arbeitermassen neutral, wenn nicht feindlich gegenüber der kämpferischen Avantgarde eingestellt blieb" (S. 24). Auch auf dem außerordentlichen Parteitag der KAPD im September 1921 wurden die Lehren aus der März-Aktion nicht weiter aufgegriffen.

Auf diesem Hintergrund heftiger Debatten innerhalb der VKPD und widersprüchlicher Reaktionen der KAPD begann Ende Juni der 3. Weltkongress der Komintern.

 

Die Haltung der Komintern zur März-Aktion

Innerhalb der Komintern war der Prozess der Bildung verschiedener Flügel in Gang gekommen. Das EKKI selber hatte gegenüber den Ereignissen in Deutschland weder eine einheitliche Meinung, noch sprach es mit einer Stimme. Bei der Einschätzung der Lage in Deutschland war das EKKI lange Zeit gespalten.

Radek hatte zahlreiche Kritiken an den Positionen und dem Verhalten des Vorsitzenden der KPD, Levi, entwickelt, die von anderen Mitgliedern der Zentrale aufgegriffen wurden.

Innerhalb der KPD wurden diese Kritiken jedoch nicht offen und auf einem Parteitag oder in anderen Parteiinstanzen in entsprechender Form formuliert.

Anstatt offen über die Einschätzung der Lage zu debattieren, war von Radek eine Funktionsweise gefördert worden, die der Partei zutiefst schädlich sein sollte. Kritiken wurden häufig nicht brüderlich in aller Deutlichkeit vorgetragen, sondern in verdeckter Form. Im Mittelpunkt stand oft nicht die jeweilige Fehleinschätzung durch ein Zentralorgan, sondern die Suche nach Schuldigen. Der Trend setzte sich durch, Positionen jeweils mit Personen zu verbinden. Anstatt die Einheit als Organisation um eine Position und Vorgehensweise herzustellen, anstatt für und als ein kollektiv funktionierender Körper zu kämpfen, untergrub man das Organisationsgewebe auf eine völlig unverantwortliche Weise.

Darüber hinaus waren die Kommunisten in Deutschland selber ebenfalls zutiefst gespalten. Zum einen gehörten zum damaligen Zeitpunkt der Komintern die VKPD und die KAPD an, die allerdings aufs heftigste wegen der Orientierung der Organisation aufeinander prallten.

Gegenüber der Komintern waren vor der März-Aktion von Teilen der VKPD sowohl Informationen über die Einschätzung der Lage verschwiegen wie auch die unterschiedlichen Positionen und Einschätzungen der Komintern nicht umfassend mitgeteilt worden.

In der Komintern selber gab es keine wirklich gemeinsame Reaktion und kein einheitliches Vorgehen gegenüber der Entwicklung. Der Kronstädter Aufstand hatte die ganze Aufmerksamkeit der Führung der Bolschewistischen Partei auf sich gezogen und sie daran gehindert, die Lage in Deutschland näher zu verfolgen. Zudem war es oft nicht klar, wie Entscheidungen innerhalb des Exekutivkomitees zustande gekommen waren und wie Mandate erteilt wurden. Gerade gegenüber Deutschland scheinen die Mandate von Radek und anderen Delegierten des EKKI nicht immer klar genug festgelegt worden zu sein (4).

So hatten in dieser Situation der zunehmenden Spaltung innerhalb der VKPD Mitglieder des EKKI, unter Radeks Federführung, inoffiziellen Kontakt mit Flügeln in beiden Parteien – VKPD und KAPD – aufgenommen, um unter Umgehung der Zentralorgane der beiden Organisationen Vorbereitungen für putschistische Maßnahmen zu treffen. Anstatt also auf eine Klärung und Mobilisierung der Organisationen zu drängen, begünstigte man eine Spaltung der Parteien und förderte Schritte, die Entscheidungen außerhalb der verantwortlichen Organe zu treffen. Diese Haltung, die im Namen des EKKI eingenommen wurde, leistete somit dem organisationsschädlichen Verhalten innerhalb VKPD und KAPD Vorschub.

Paul Levi kritisierte: „Der Fall war schon häufiger, dass Abgesandte des EKKI über ihre Vollmacht hinausgingen, d.h. dass sich nachträglich ergab, die Abgesandten hätten zu dem oder jenem keine Vollmachten gehabt." („Unser Weg, Wider den Putschismus", S. 63, 3. April 1921).

Von den Statuten festgelegte Entscheidungsstrukturen in der Komintern wie auch innerhalb der VKPD und KAPD wurden umgangen. Tatsache war, dass in der März-Aktion dann von beiden Organisationen zum Generalstreik aufgerufen wurde, ohne dass die ganze Organisation an der Einschätzung der Lage und den Entscheidungen beteiligt war. In Wirklichkeit hatten Genossen des EKKI mit den Elementen und den Flügeln innerhalb der beiden Organisationen Kontakt aufgenommen, die nach Aktionen drängten. Die Partei als solche wurde „umgangen"!

So konnte es nie zu einer einheitlichen Vorgehensweise der einzelnen Parteien und noch weniger zu einem gemeinsamen Vorgehen der beiden Parteien kommen.

Aktivismus und Putschismus hatten in diesen Organisationen teilweise die Oberhand gewonnen – mit einem sehr zerstörerischen Verhalten für die Partei und die Klasse insgesamt. Jeder Flügel fing an, seine eigene Politik zu betreiben und seine eigenen informellen, parallelen Kanäle aufzubauen. Die Sorge um die Einheit der Partei, eine statutengemäße Funktionsweise war einem Großteil der Partei abhanden gekommen.

Obwohl die Komintern durch die Identifikation der Bolschewistischen Partei mit den Interessen des russischen Staates und durch die opportunistische Kehrtwendung hin zur Einheitsfront geschwächt war, sollte der 3. Weltkongress dennoch ein Moment der kollektiven, proletarischen Kritik an der März-Aktion werden.

Für den Kongress hatte das EKKI aus richtiger politischer Sorge auf Anregung Lenins auch die Entsendung von Vertretern der Opposition innerhalb der VKPD durchgesetzt. Während die Delegation der VKPD-Zentrale weiter jegliche Kritik an der Haltung der VKPD zur März-Aktion unterbinden wollte, beschloss das Politbüro der KPR(B) auf Vorschlag Lenins: „Als Grundlage der Resolution ist der Gedanke zu nehmen, dass man vielmals detaillierter die konkreten Fehler der VKPD in der März-Aktion aufzeigen und vielmals energischer vor der Wiederholung dieser Fehler warnen muss."

 

Welche Haltung einnehmen?

In der Eingangsdiskussion über „Die wirtschaftliche Krise und die neuen Aufgaben der Kommunistischen Internationale" hatte Trotzki hervorgehoben: „Erst jetzt sehen und fühlen wir, dass wir nicht so unmittelbar nahe dem Endziel, der Eroberung der Macht, der Weltrevolution stehen. Wir haben damals im Jahre 1919 uns gesagt: es ist die Frage von Monaten, und jetzt sagen wir, es ist die Frage vielleicht von Jahren (...) Der Kampf wird vielleicht langwierig sein, wird nicht so fieberhaft, wie es wünschenswert wäre, voranschreiten, der Kampf wird höchst schwierig und opferreich sein (...)" („Protokoll des 3. Kongresses",

S. 90).

Lenin: „Deshalb musste der Kongress gründlich mit den linken Illusionen aufräumen, dass die Weltrevolution ununterbrochen in ihrem stürmischen Anfangstempo weiterrase, dass wir von einer zweiten revolutionären Welle getragen würden, und dass es einzig und allein vom Willen der Partei und ihrer Aktion abhänge, den Sieg an unsere Fahne zu fesseln (...)" (Zetkin, „Erinnerungen an Lenin")

Für den Kongress hatte die VKPD-Zentrale unter der Federführung A. Thalheimers und Bela Kuns einen Thesenentwurf zur Taktik geschickt, der forderte, dass die Komintern jetzt zu einer neuen Periode der Aktionen übergehen müsse. In einem Brief vom 10. Juni an Sinowjew hatte Lenin den Thesenentwurf als „politisch grundfalsch, als linksradikale Spielerei" eingeschätzt und gefordert, ihn gänzlich abzulehnen. „Die Mehrheit der Arbeiterklasse haben die kommunistischen Parteien noch nirgends erobert. Nicht für die organisatorische Führung, aber auch nicht für die Prinzipien des Kommunismus (...) Deshalb muss die Taktik darauf gerichtet werden, unentwegt und systematisch um die Mehrheit der Arbeiterklasse, in erster Linie innerhalb der alten Gewerkschaften zu ringen." (10. Juni, 1921, Lenin, Briefe, Bd. 7, S. 269). Gegenüber dem Delegierten Heckert meinte Lenin: „Die Provokation lag doch glatt auf der Hand. Statt von der Verteidigung aus die Arbeitermassen gegen die Angriffe der Bourgeoisie zu mobilisieren und so den Massen zu zeigen, dass das Recht auf eurer Seite ist, habt ihr die sinnlose ‘Offensivtheorie’ erfunden, die allen Polizeikerls und den reaktionären Regierungen die Möglichkeit gibt, euch als die Angreifer darzustellen, vor denen man das Volk schützen muss." (Erinnerungen, F. Heckert, „Meine Begegnungen mit Lenin")

Während Radek selbst vorher die März-Aktion unterstützt hatte, sprach er in seinem Referat im Namen des EKKI vom widersprüchlichen Charakter der März-Aktion, lobte den Heldenmut der kämpfenden Arbeiter und kritisierte andererseits die falsche Politik der Zentrale der VKPD. Trotzki charakterisierte die März-Aktion als ganz unglücklichen Versuch, der, „wenn er wiederholt werden sollte, diese gute Partei wirklich zugrunde richten könnte". Er unterstrich, „wir sind verpflichtet, der deutschen Arbeiterschaft klipp und klar zu sagen, dass wir diese Offensivphilosophie als die größte Gefahr und in der praktischen Anwendung als das größte Verbrechen auffassen". („Protokoll des 3. Kongresses", S. 644-646).

Die Delegation der VKPD und die gesondert eingeladenen Delegierten der VKPD-Opposition prallten auf dem Kongress aufeinander.

Der Kongress war sich der Gefahren für die Einheit der Partei bewusst. Deshalb drängte man auf eine Einigung zwischen VKPD-Führung und Opposition. Eine Übereinkunft mit folgendem Inhalt wurde erzielt: „Der Kongress erachtet jede weitere Zerbröckelung der Kräfte innerhalb der VKPD, jede Sonderbündelei – von Spaltung gar nicht zu sprechen – als die größte Gefahr für die ganze Bewegung". Gleichzeitig wurde vor einer revanchistischen Haltung gewarnt: „Der Kongress erwartet von der Zentrale und der Mehrheit der VKPD die tolerante Behandlung der früheren Opposition, falls diese die vom 3. Kongress gefassten Beschlüsse loyal durchführt" („Resolution zur März-Aktion und über die Lage in der VKPD", 21. Sitzung des 3. Weltkongresses, 9.7.1921).

In den Debatten auf dem 3. Kongress äußerte sich die KAPD-Delegation kaum selbstkritisch zur März-Aktion. Sie schien sich mehr auf die Prinzipienfrage der Arbeit in den Gewerkschaften und den Parlamentarismus zu konzentrieren.

Während der 3. Kongress so selbstkritisch vor den putschistischen Gefahren, die in der März-Aktion sichtbar geworden war, gewarnt hatte und diesem „blinden Aktionismus" eine Abfuhr erteilt hatte, schlug der Kongress selber tragischerweise den unheilvollen Kurs der „Einheitsfront von Unten" ein. Zwar hatte er die putschistische Gefahr abgewandt, aber die opportunistische Kehrtwende, die durch die Verabschiedung der 21 Thesen eingeleitet worden war, wurde bestätigt und beschleunigt. Die wirklichen Fehler, die in der Grundsatzkritik der KAPD von Gorter aufgeworfen worden waren, nämlich die Rückkehr zur gewerkschaftlichen und parlamentarischen Ausrichtung, wurden nicht korrigiert.

Ermuntert durch die Ergebnisse des 3. Kongresses schlug die VKPD dann ab Herbst 1921 den Kurs der Einheitsfront ein.

Gleichzeitig hatte der 3. Kongress der KAPD ein Ultimatum gestellt: entweder Beitritt zur VKPD oder Ausschluss aus der Komintern.

Im September 1921 trat die KAPD dann aus der Komintern aus – Teile von ihr stürzten sich anschließend in das Abenteuer der Bildung einer Kommunistischen Arbeiterinternationale. Nur wenige Monate vergingen bis zur Spaltung der KAPD.

Für die KPD (die im August 1921 wieder ihren Namen von VKPD zu KPD geändert hatte) war die Tür zu einer opportunistischen Entwicklung weiter aufgestoßen.

Die Bourgeoisie ihrerseits hatte ihr Ziel erreicht: Erneut hatte sie mit der März-Aktion ihre Offensive fortsetzen können. Sie hatte die Arbeiterklasse weiter geschwächt.

Aber noch verheerender als die Konsequenzen dieser putschistischen Haltung für die Arbeiterklasse insgesamt waren die Folgen für die Kommunisten selber: erneut wurden sie Opfer der Repression. Die Jagd auf Kommunisten wurde wieder verschärft. Bei der KPD kam es zu einer großen Austrittswelle aus der Partei. Viele Mitglieder zeigten sich zutiefst enttäuscht über die gescheiterte Erhebung. Anfang des Jahres zählte die VKPD ca. 35000–400000 Mitglieder. Ende August 1921 gehörten ihr nur noch ca. 160000 an, im November sogar nur noch 135000–150000 zahlende Mitglieder.

Zum wiederholten Male hatte die Arbeiterklasse in Deutschland gekämpft, ohne eine starke, schlagkräftige Partei an ihrer Seite zu haben. Dv.

 

  • (1) Bei den Wahlen zum Preußischen Landtag im Februar 1921 entfielen auf die VKPD 1.1 Mio., die USPD 1.1 Mio. und die SPD 4.2 Mio. Stimmen. In Berlin übertrafen VKPD und USPD die SPD-Stimmenanteile.
  • (2) Clara Zetkin, die mit der inhaltlichen Kritik Paul Levis übereinstimmte, hatte in mehreren Briefen aufgefordert, sich nicht organisationsschädlich zu verhalten. So schrieb sie am 11. April an Levi.: „(...) dem Vorwort sollten Sie die persönliche Note nehmen. Ebenso scheint mir politisch wirksam, dass Sie über die Zentrale und ihre Mitglieder kein ‘persönliches Urteil’ fällen, sie reif für die Kaltwasserheilanstalt erklärten und ihre Entfernung fordern etc. (...) Es ist klüger, dass Sie sich bloß an die Politik der Zentrale halten, die Leute außer Spiel lassen, die ihre Träger sind (...) Nur die persönlichen Wallungen sollten gestrichen werden." Levi ließ sich nicht belehren. Stolz und Rechthaberei, sowie sein monolithisches Organisationsverständnis sollten fatale Folgen haben.
  • (3) „Paul Levi hat der Parteileitung von seiner Absicht, eine solche Broschüre zu veröffentlichen, weder Kenntnis gegeben noch ihr Mitteilung von den in der Broschüre aufgestellten Behauptungen gemacht (...)
  • Paul Levi hat seine Broschüre in Druck gegeben am 3. April, zu einer Zeit, wo der Kampf noch in vielen Teilen des Reiches im Gange war und in der Tausende von Kämpfern vor den Sondergerichten stehen, die Paul Levi durch die Veröffentlichung seiner Broschüre zu den Bluturteilen gerade anreizt (...)
  • Die Zentrale anerkennt in vollem Umfange das Recht der Parteikritik vor und nach Aktionen, die von der Partei geführt werden. Kritik auf dem Boden des Kampfes und dem der vollen Kampfsolidarität ist eine Lebensnotwendigkeit für die Partei und revolutionäre Pflicht. Paul Levis Haltung (...) läuft nicht auf die Stärkung, sondern auf die Zerrüttung und Zerstörung der Partei hinaus". (Zentrale der VKPD, 16.4.1921).
  • (4) Der Delegation des EKKI gehörten Bela Kun,
  • Pogany und Guralski an. Karl Radek wirkte insbesondere seit der Gründung der KPD als „Verbindungsmann" zwischen der KPD und der Komintern. Ohne immer über ein klares Mandat zu verfügen, praktizierte vor allem er die Politik der „informellen" und parallelen Kanäle.

 

Leute: 

  • Paul Levi [13]
  • Clara Zetkin [14]

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1919 - Deutsche Revolution [15]

Historische Ereignisse: 

  • Märzaktion 1921 [16]
  • Kronstadt 1921 [17]
  • Kommunistische Arbeiterinternationale [18]
  • KAPD [19]
  • VKPD [20]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Deutsche und Holländische Linke [21]

Einige Gedanken zur Demokratie nach der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative

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In verschiedenen Artikeln berichteten wir in letzter Zeit über Rassismus und Ausbeutung als eine sich seit langem verschärfende Tendenz, auch und vor allem in den Vorzeigestaaten Europas. In Griechenland, Italien und Spanien werden Flüchtlinge aus dem Maghreb oder Anatolien, die es mit Schleppbooten ans Festland schaffen, in menschenunwürdigen Lagern eingesperrt. In Frankreich lässt Sarkozy Romas als kriminalisierte Ethnie nach Rumänien deportieren. In Deutschland lanciert Sarrazin rassistische Thesen gegen muslimische Migranten und mobilisiert als SPD-Politiker nun auch so genannt linke Stimmen. Die Liste der Kampagnen und Gesetzesänderungen könnte man beliebig erweitern, vor allem auch mit Beispielen aus der Schweiz.

In der Weltrevolution 162 haben wir im Artikel „Welche Kraft kann Rassismus und Ausbeutung überwinden“ auch über die Empörung berichtet, die zeigt, dass viele Leute die Ausgrenzung und den versteckten und offenen Rassismus nicht mehr akzeptieren. Wie im beschriebenen Beispiel von Stockholm wurde auch in der Schweiz nach der Bekanntgabe des Abstimmungsresultats für eine Annahme der Ausschaffungsinitiative zu öffentlichen Demonstrationen aufgerufen und dies in mehreren Städten gleichzeitig, was sonst nur am 1. Mai üblich ist. Tausende gingen an diesem Abend auf die Strasse, um der Empörung Ausdruck zu geben. Die Mobilisierungen, aber auch laute Aktionen im Vorfeld der Abstimmung haben gezeigt, dass die Frage polarisiert hat – es war und ist noch heute eine deutliche Empörung zu spüren. Die Empörung richtet sich hauptsächlich gegen die Schweizerische Volkspartei (SVP), welche die Initiative lanciert hat. Sie steht heute als verantwortliche Kraft – auch für die gesamte Entwicklung der „Gesellschaft“ in Richtung rechtem Gedankengut.

Die Empörung richtete sich vor allem dagegen, dass einfach aufgrund der Staatszugehörigkeit entschieden wird, ob ein Mensch noch länger in der Schweiz bleiben kann oder nicht - unabhängig davon, ob er hier aufgewachsen ist, ob er hier Kinder oder andere Angehörige hat, ob er etwas Schlimmes verbrochen oder nur einen Ladendiebstahl begangen hat.

Wo es Lohnarbeit gibt, gibt es Migration. Viele von uns sind Kinder von „Ausländern“. Wir selber arbeiten vielleicht heute in einem Land, wo nicht dieselbe Sprache gesprochen wird wie an unserem Geburtsort. Die Arbeiterklasse ist eine Klasse von Aus- und Einwanderern. Der Rassismus war mit dem internationalen Charakter der Arbeiterklasse noch nie vereinbar, wird aber heute für viele ganz handgreiflich absurd. Hinzu kommt, dass die Fremdenfeindlichkeit eine Sündenbockhaltung ausdrückt: Die „Fremden“ sollen schuld sein an den gegenwärtigen gesellschaftlichen Problemen.

Die Empörung gerade bei vielen Jungen ist also nicht nur verständlich, sondern muss Ausgangspunkt sein für eine Veränderung in der Gesellschaft, im Umgang von Menschen mit anderen Menschen. Aber wie?

Nach einer langen Kampagne, die die Befürworter wie in der Schweiz üblich mit einer riesigen bildhaften Medienkampagne mit dem schwarzen Schaf und dem kriminellen Osteuropäer führten, wurde die Initiative bei überdurchschnittlicher Stimmbeteiligung (52.6%) mit 52.9% Ja-Stimmen angenommen. Man könnte sich nun über vieles unterhalten und sich darüber äussern, weil es z.B. eine unendliche Polemik der Bilder war, man könnte sich in die unzähligen rein juristischen, aber auch moralischen Diskurse einschalten oder die schlussendliche Relevanz der Gesetzesänderung genau betrachten. Interessant ist aus unserer Sicht, und darauf möchten wir hier genauer eingehen, wie es die herrschende Klasse in der Schweiz schafft, ihr System der so genannt direkten Demokratie zu gebrauchen, dass die Arbeiterklasse immer wieder gegen sich selber stimmt und sich mit dem Staat und der Herrschaftsform der Demokratie identifiziert.

Heuchlerische Methode der Demokratie und ihre integrativen Fähigkeiten

Wie bereits erwähnt, ist eine Wut und Empörung auch noch zwei Monate nach der Abstimmung zu spüren. Dass es diese Wut gibt und diese auch offen geäußert wird, ist gut. Die Wut zeigt eine richtige Haltung in Situationen, wo die Bourgeoisie versucht, die Klasse zu spalten.

Bedauernswert ist dabei, dass die Wut auch politisierte Leute dazu bringt, die Stimme gegen die Initiative auch auf dem demokratischen Weg der Wahl zu äussern. Anscheinend haben Einige an der Urne ihre Nein-Stimme abgegeben, und das obwohl die Demokratie als Herrschaftsform der Bourgeoisie von denselben abgelehnt wird. Warum also geht man stimmen, wenn damit das Instrument der demokratischen Abstimmung im bürgerlichen Staat akzeptiert wird? Wahrscheinlich ist es die Ohnmacht gegenüber dem politischen Apparat, wobei man trotz Bedenken mit der Möglichkeit rechnet, der SVP-Kampagne etwas entgegen zu setzen. Der Frage nach der Demokratie im Kapitalismus, die sich als politisches System bis heute am besten bewährt hat, möchten wir an diesem Beispiel nachgehen.

Hätte das Abstimmungsresultat bei der Ausschaffungsinitiative anders ausgesehen, wenn alle AusländerInnen in der Schweiz auch hätten abstimmen können statt nur die volljährigen Schweizer BürgerInnen? – Vielleicht. Sollten wir also dafür kämpfen, dass das Abstimmungs- und Wahlrecht ausgedehnt wird auf AusländerInnen?

Sobald man solche Fragen stellt, begibt man sich in die nationalstaatliche Logik. Wer definiert, wer wo AusländerIn ist? – Die Geburt. Der Ort deiner Geburt und die Staatsangehörigkeit deiner Eltern bestimmen, ob du in diesem oder jenem Land AusländerIn bist. Ob du bei einer Abstimmung in der Schweiz an die Urne gehen darfst oder nicht.

Dieses System der demokratischen Abstimmungen und Wahlen, wie es angeblich in der Schweiz in vorbildlicher Weise funktioniert, ist unauflöslich mit dem Nationalstaat verknüpft. Mit dem bürgerlichen Staat, der bestimmte Grenzen hat. Kann ein solches demokratisches System von uns dazu benutzt werden, den Rassismus einzudämmen? – Dies scheint ein Widerspruch in sich zu sein: Der Nationalstaat definiert, wer einheimischer Staatsbürger und wer Ausländer ist. Nur auf dieser Grundlage kann auch Ausländerfeindlichkeit entstehen, denn wo keine Ausländer sind, kann man sie auch nicht als solche zu Sündenböcken machen. Man muss also zuerst den Nationalstaat mit seinen Grenzen anerkennen, dieses System, das die Menschen in In- und Ausländer unterteilt, akzeptieren, bevor man innerhalb dieser Logik zwischen mehr oder weniger rassistischen Lösungen wählen darf.

Wenn wir uns also an den Abstimmungen beteiligen, haben wir schon eine erste Konzession gemacht. Wir bejahen dieses System der parlamentarischen oder direkten Demokratie im schweizerischen Nationalstaat. Es geht aber noch weiter: Indem wir konkret sowohl gegen die Ausschaffungsinitiative als auch gegen den Gegenvorschlag der Regierung votieren, bejahen wir – ob wir wollen oder nicht – die geltende Gesetzesordnung, das heisst das Ausländergesetz, das seit dem 1. Januar 2008 gilt und bereits eine Verschärfung des früheren Gesetzes bedeutet hat. Dieses neue Gesetz teilt die Menschen in drei Kategorien ein: Schweizer, EU-Bürger, übrige Ausländer - wehe dem, der zur dritten Kategorie gehört…. Wenn wir also gegen die beiden „schlimmeren“ Varianten zur Urne gehen, sind wir dem System schon doppelt auf den Leim gekrochen: indem wir es generell bejahen und indem wir Ja zum scheinbar geringeren Übel sagen.

Offensichtlich passt das bestehende demokratische System gut zur herrschenden Ordnung. Es ist flexibel und kann ständig an die sich ändernden Bedürfnisse angepasst werden. Diejenigen, die in diesem System zu den Verlierern (zu den Unterdrückten) gehören (die grosse Mehrheit), sind aufgeteilt in In- und Ausländer und meinen, dass sie ja mitbestimmen können – die Inländer, indem sie wählen und abstimmen, die Ausländer, indem sie die „Wahl“ haben, hier zu bleiben oder „nach Hause“ zu gehen und sich dort am demokratischen Spiel zu beteiligen. Gerade diese „Freiheiten“ führen dazu, dass das demokratische System immer wieder selbst von den Verlierern akzeptiert oder mindestens nicht aktiv in Frage gestellt wird. Und dort, wo es keine Demokratie gibt – in den Diktaturen – soll man angeblich für sie kämpfen.

Die Beteiligung an den Abstimmungen im demokratischen Staat bejaht aber nicht nur immer von Neuem das bestehende System, sondern zersetzt umgekehrt auch das Gefühl der Klassenzugehörigkeit im Proletariat. An die Urne geht man einzeln als Individuum, und nicht als kämpfende Klasse. Und man geht hin als StaatsbürgerIn, und nicht als ArbeiterIn. Was im Altertum das Joch für die Versklavten war, ist heute die Wahlurne für die ProletarierInnen.

Wollen wir denn in einer klassenlosen Gesellschaft, wo es keine Privilegien der Geburt und keine Ausbeutung mehr gibt, keine Mitbestimmung wie in der Demokratie? – Sicher schon, aber irgendwie doch anders. Was die bürgerliche Demokratie ausmacht, ist die Repräsentation: Es gibt eine in Klassen und Individuen gespaltene Gesellschaft, die zusammen gehalten werden muss. Die Parlamentarier, die Regierung werden gewählt und repräsentieren das „Gemeinwohl“. Das vermeintliche Gesamtinteresse in dieser Klassengesellschaft wird im Staat verkörpert. Dieser ist aber der Garant der herrschenden Ordnung, also ein Instrument der Herrschenden. Die Repräsentanten dieser Ordnung sind bevollmächtigt, während einer gewissen Zeit, z.B. vier Jahren, die Macht innerhalb des Nationalstaats auszuüben und ihn nach aussen zu vertreten.

In einer Gesellschaft umgekehrt, die nicht aus egoistischen Individuen besteht und keine Ausbeutung kennt, besteht das allgemeine Interesse darin, dass sich möglichst alle ständig mit ihren Ideen und ihrer Kreativität beteiligen. Es soll nicht bloss alle vier Jahre Wahlen geben, sondern ständig Diskussionen darüber, welchen Weg die Gesellschaft weiter verfolgen soll. Dabei wird es vermutlich auch zu Abstimmungen kommen, wenn es keine Einigkeit gibt. Aber die Betroffenen sollen sich aktiv beteiligen, die Entscheide sollen auch wieder in Frage gestellt, die Gewählten jederzeit abgewählt werden können. Das ist nicht mehr ein System der Repräsentation, sondern die Selbsttätigkeit der revolutionären Massen wie sie in den Arbeiterräten in der Russischen Revolution 1917 oder während kurzer Zeit in Deutschland und Ungarn 1918/19 existiert hat.

Eine Abstimmung wie vor einem Jahr gegen die Minarette oder jetzt für die „Ausschaffung krimineller Ausländer“ ist von einem emanzipatorischen Standpunkt aus (oder was für uns dasselbe ist: von einem proletarischen Standpunkt aus) von Anfang an eine Farce – eine falsche Frage im falschen Rahmen gestellt. Nationalstaat, bürgerliche Demokratie, Repräsentation sind die Mittel der Bourgeoisie zur Aufrechterhaltung ihrer kapitalistischen Ordnung – Weltgemeinschaft aller Unterdrückten, offene Debatte, Selbsttätigkeit und -organisation der Massen sind die entsprechenden Werkzeuge unserer Befreiung.

Dies setzt voraus, dass wir uns für unsere wirklichen Interessen wehren und uns in diesem Kampf zusammentun, über die Grenzen der Nationalstaaten, der Berufsbranchen, des Geschlechts, der Herkunft, der Beschäftigung – unabhängig davon, ob arbeitslos oder angestellt, ob fest oder prekär angestellt oder noch in Ausbildung. Unsere KlassengenossInnen in Frankreich, England, Italien haben es uns in den letzten Monaten vorgemacht. Schliessen wir uns ihnen an.

22.01.11, K und H

Nationale Situationen: 

  • Nationale Lage in der Schweiz [22]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Referendum Schweiz [23]
  • Ausschaffungsinitiative Schweiz [24]

Wir müssen international und selbständig kämpfen

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Die Bewegung in Frankreich im vergangenen Herbst zeigt diese Dynamik, die zuvor  durch die Anti-CPE-Bewegung ausgelöst wurde, sehr gut auf.

Regelmäßig sind Millionen Arbeiter/Innen aus allen Bereichen in Frankreich auf die Straßen gegangen. Gleichzeitig war es seit September 2010 zu immer radikaleren Streiks gekommen, die eine tiefgreifende und wachsende Unzufriedenheit zum Ausdruck brachten. Diese Mobilisierung ist die erste große Auseinandersetzung in Frankreich seit der Beschleunigung der Krise, die das Weltfinanzsystem 2007-2008 erschüttert hat.

Sie ist nicht nur eine Reaktion auf die Rentenreform ; ihr Ausmaß und ihre Tiefe sind eine klare Antwort auf die Brutalität aller Angriffe der letzten Jahre. Seit dieser Reform und den anderen gleichzeitig angekündigten oder vorbereiteten Angriffen ist die ablehnende Haltung der Arbeiter/innen und großer Teile der Bevölkerung gegenüber einer weiteren Verarmung und Prekarisierung förmlich mit Händen zu greifen. Doch in Anbetracht der unaufhaltsamen Zuspitzung der Wirtschaftskrise werden diese Angriffe nicht nachlassen. Es liegt auf der Hand, dass dieser Abwehrkampf nur der Auftakt weiterer Kämpfe ist und in einer Reihe mit anderen Abwehrkämpfen (z.B. in Griechenland oder Spanien) gegen die drastischen Sparmaßnahmen steht.

Trotz des massiven Widerstands hat die Regierung in Frankreich nicht nachgegeben. Im Gegenteil, unbeeindruckt vom Druck von der Straße verkündete sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre Entschlossenheit, die Rentenreform, koste was es wolle, durchzusetzen. Dabei wiederholte sie stets, dass diese Reform im Namen der  «Solidarität» zwischen den Generationen notwendig sei.

Warum konnte diese Maßnahme, die doch unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen so gravierend betrifft, trotz der großen Empörung und breiten Ablehnung durch die gesamte Bevölkerung durchgesetzt werden? Warum ist es trotz der massiven Mobilisierung nicht gelungen, die Regierung zum Nachgeben zu zwingen? Weil die Regierung die Gewissheit hatte, die Lage mit Hilfe der Gewerkschaften im Griff zu haben, denn Letztere haben mit Unterstützung der linken Parteien im Prinzip stets die «notwendige Reform» der Renten akzeptiert. Im Vergleich dazu war es der Bewegung von 2006 gegen den CPE, für die die Medien anfangs nur die größte Verachtung übrighatten, sei sie doch nur ein «vorübergehender Studentenprotest», damals gelungen, die Regierzung zum Nachgeben und zur Aufgabe des CPE zu zwingen.

Wo liegt der Unterschied ? Zunächst darin, dass die Studenten sich in Vollversammlungen organisiert hatten, die allen offenstanden, gleich, ob man im öffentlichen Dienst oder in der Industrie beschäftigt war, arbeitslos oder beschäftigt, prekär beschäftigt oder fest angegestellt. Dieses gewaltige Vertrauen in die Fähigkeiten der Arbeiterklasse und ihre Stärke hatten eine dynamische Ausdehnung der Bewegung ermöglicht; immer mehr Menschen aus allen Altersgruppen reihten sich in die Bewegung ein. Denn während auf der einen Seite in den Vollversammlungen die breitestmöglichen Diskussionen stattfanden, die sich nicht auf die Probleme der Studenten beschränkten, schlossen sich andererseits bei den Demonstrationen immer mehr Arbeiter mit den StudentInnenen und den immer zahlreicher werdenden Schülern/Innen zusammen.

Doch mit ausschlaggebend war auch, dass die Entschlossenheit und die offene Haltung der StudentInnen, die immer größere Teile der Arbeit/Innen in den offenen Kampf ziehen konnten, es den Gewerkschaften unmöglich machten, ihre Sabotage auszuüben. Im Gegenteil, als die Gewerkschaften, insbesondere die CGT, versuchten, sich an die Spitze der Demonstrationen zu stellen, um die Kontrolle zu übernehmen, haben die Student/Innen und Schüler/Innen mehrfach die gewerkschaftlichen Spruchbänder verdrängt und betont, dass sie sich in dieser Bewegung, die sie selbst initiiert hatten, nicht beiseite oder ans Ende drängen lassen wollten. Aber vor allem bekräftigten sie ihren Willen, mit den Arbeiter/Innen die Kontrolle über die Bewegung zu behalten und sich von den Gewerkschaften nicht auf der Nase herumtanzen zu lassen.

Einer der Aspekte, die den Herrschenden am meisten Sorgen bereiteten, war, dass die Organisationsform, die die Student/Innen im Kampf entwickelt hatten - die souveränen Vollversammlungen, die ihre Koordinationskomitees selbst wählten, allen offenstanden und in denen die studentischen Gewerkschaften gezwungen waren, sich zumeist zurückzuhalten - sich ausbreiteten und für Nachahmung unter den Beschäftigten sorgten, sofern diese in den Streik traten. Es war kein Zufall, als im Verlaufe dieser Bewegung Thibault mehrfach verlautbarte, dass die Beschäftigten von den Student/Innenen nicht lernen müssten, wie man sich organisiert.  Während die Student/Innen ihre Vollversammlungen und ihre Koordinationen hatten, hätten die Beschäftigten ihre Gewerkschaften, denen sie vertrauten. Angesichts der Entschlossenheit der Student/Innen und der Gefahr eines Kontrollverlustes durch die Gewerkschaften musste der französische Staat nachgeben, denn schließlich sind Erstere das letzte Bollwerk der herrschenden Klasse gegen die Ausdehnung von massiven Kämpfen.

In der Bewegung gegen die Rentenreform haben die Gewerkschaften mit aktiver Unterstützung durch Polizei und Medien die notwendigen Anstrengungen unternommen, um die Zügel in der Hand zu behalten, die Stimmung auszuloten und sich dementsprechend zu verhalten.

Die Forderung der Gewerkschaften lautete überigens nicht : «Rücknahme des Angriffs durch die Rentenreform», sondern «Änderung der Reform». Sie riefen zu fairen Verhandlungen mit der Regierung auf und traten für eine «gerechtere, humanere» Reform ein. Von Anfang an haben sie auf Spaltung gesetzt, trotz der angeblichen Einheit des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses (Intersyndicale), der herbeigeführt worden war, um der Gefahr zu begegnen, von den Ereignissen überrollt zu werden. Die Gewerkschaft FO hielt anfangs eigene Kundgebungen ab, während der gewerkschaftliche Zusammenschluss (Intersyndicale) mit der Vorbereitung des Aktionstages vom 23. März die Verabschiedung der Rentenreform vorbereitete. Sodann wurden zwei weitere Aktionstage angekündigt, der erste für den 26. Mai und der zweite für den 24. Juni, am Vorabend der Sommerferien. Es ist allgemein bekannt, dass eine Aktionstag so kurz vor den Sommerferien üblicherweise einer Bewegung den Rest gibt. An diesem letzten Aktionstag, dem 24. Juni, beteiligten sich jedoch unerwartet viele – nämlich doppelt so viele Arbeiter/Innen, Arbeitslose, prekär Beschäftigte usw. Und während die Stimmung an den beiden vorhergehenden Aktionstagen ziemlich gedrückt war, spürte man am 24. Juni deutlich die Wut und Empörung. Der Aktionstag hat der Arbeiterklasse wieder Auftrieb verliehen. Die Idee, dass es durchaus möglich ist, durch den Kampf Druck auszuüben, gewinnt an Boden. Die Gewerkschaften wittern natürlich auch, dass der Wind sich dreht. Sie wissen, die Frage, wie man kämpfen soll, weicht nicht aus den Köpfen. So beschließen sie, das Terrain umgehend zu besetzen und in die ideologische Offensive zu gehen. Sie wollen verhindern, dass die ArbeiterInnen selbständig, außerhalb der gewerkschaftlichen Kontrolle denken und handeln. Alle linken Parteien, die sich an die Bewegung angehängt haben, um ihre Glaubwürdigkeit nicht ganz zu verlieren, waren sich eigentlich in der Notwendigkeit einig gewesen, die Arbeiterklasse auf dieser Ebene zur Kasse zu bitten.

Um sicherzustellen, dass das selbständige Denken eingedämmt wird, mieten sie gar Flugzeuge an, die mit Spruchbändern mit Aufrufen zu den Kundgebungen am 7. September über die Badestrände fliegen. Aber ein anderes Ereignis, das normalerweise unter „Sonstiges“ abgehandelt werden könnte, ließ im Sommer die Wut weiter wachsen – die „Woerth-Affäre“. Es geht hierbei um politische Begünstigung unter gegenwärtig an der Macht befindlichen Politikern und eine der reichsten Erbinnen des französische Kapitals, Frau Bettencourt, Chefin von L’Oréal, sowie der Beschuldigung von Steuerhinterziehungen und illegalen Absprachen aller Art. Nun ist just dieser Eric Woerth der für die Rentenreform verantwortliche Minister. Die Empörung über die Ungerechtigkeit ist daher groß: Die Arbeiterklasse soll  den Gürtel enger schnallen, während die Reichen und Mächtigen „ihre Geschäfte untereinander machen“.

Unter dem Druck der zunehmenden und offenen Unzufriedenheit und der wachsenden Erkenntnis über die Folgen dieser Reform für unsere Lebensbedingungen waren die Gewerkschaften dazu gezwungen, schon für den 7. September einen neuen Aktionstag anzuberaumen. Diesmal erweckten sie den Anschein gewerkschaftlicher Einheit. Seither haben alle Gewerkschaften zur Beteiligung an den Aktionstagen aufgerufen, an denen sich mehrfach bis zu drei Millionen Arbeiter/Innen beteiligt haben. Die Rentenreform wurde zum Symbol der brutalen Verschlechterung der Lebensbedingungen.

Doch diese Einheit des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses war ein Täuschungsversuch, der dazu dienen sollte, der Arbeiterklasse zu suggerieren, dass die Gewerkschaften entschlossen seien, eine breite Offensive gegen die Reform zu organisieren und dass die wiederholten Aktionstage dazu dienten, diesem Protest Ausdruck zu verleihen. Daher tauchten an diesen Aktionstagen stets deren Führer auf und schwafelten von der «Fortsetzung» der Bewegung. Vor allem fürchteten sie, dass die Beschäftigten die gewerkschaftliche Zwangsjacke ablegen und sich selbst organisieren. Dies gestand Thibault, der Generalsekretär der CGT ein, als er am 10. September in einem Interview mit Le Monde der Regierung eine «Botschaft» übermittelte : «Es kann sein, dass es zu einer Blockierung kommt, zu einer großen sozialen Krise. Das könnte eintreten. Aber wir haben dieses Risiko nicht auf uns nehmen wollen.» Dann nannte er ein Beispiel, um besser zu veranschaulichen, was den Gewerkschaften als zentral erschien. «Wir kennen sogar einen mittelständischen Betrieb, ohne Gewerkschaften, wo 40 von 44 Beschäftigte gestreikt haben. Das ist ein Zeichen. Je unnachgiebiger man ist, desto stärker erhält die Idee Auftrieb, dass man immer weiter streiken soll».

Es liegt auf der Hand, dass, wenn die Gewerkschaften nicht präsent sind, die Beschäftigten sich selbst organisieren und nicht nur selbst entscheiden, was sie tun wollen, sondern die Dinge selbst in die Hand nehmen und dass weitaus mehr Menschen sich engagieren. Dagegen versuchten die Gewerkschaftszentralen, insbesondere die CGT und SUD, emsig anzugehen : Sie versuchten auf gesellschaftlicher Ebene und in den Medien massiv Flagge zu zeigen. Mit derselben Entschlossenheit versuchten sie vor Ort jegliche wirkliche Solidarität abzuwürgen. Kurzum, großes Medienspektakel auf der einen Seite und reges Treiben auf der anderen Seite, um die Bewegung vor falsche Alternativen zu stellen, Spaltung und Verwirrung zu stiften, um der Bewegung eine Niederlage beizufügen.

Die Blockade der Ölraffinerien ist eines der deutlichsten Beispiele. Selbst konfrontiert mit geplanten Stellenstreichungen, war die Kampfbereitschaft unter den Beschäftigten der Ölraffinerien gewachsen ; auch war die Zahl jener gestiegen, die bereit waren, ihre Solidarität mit der ganzen Arbeiterklasse gegen die Rentenreform zum Ausdruck zu bringen. Doch die CGT unternahm alles, um  dieses Streben nach Solidarität zu einem abschreckenden Beispiel eines Streiks umzuwandeln.

Die Blockade der Raffinerien wurde nie in Vollversammlungen beschlossen, in denen die Beschäftigten ihren Standpunkt hätten einbringen können. Diese Entscheidung ist einzig durch gewerkschaftliche Manöver möglich geworden, auf die die Gewerkschaftsführer spezialisiert sind. Diskussionen wurden abgewürgt, stattdessen wurden sinnlose Aktionen vorgeschlagen. Trotz dieser Abwürgungstaktik der Gewerkschaften  haben einige Raffineriearbeiter versucht, Kontakt zu Beschäftigten aus anderen Branchen aufzunehmen. Doch die Schlinge der «Blockade bis zum Ende» zog sich immer mehr zu; die meisten Beschäftigten der Raffinerien gerieten in die Falle der Isolierung und betrieblichen Abschottung. Nichts konnte die Ausdehnung des Kampfes besser aufhalten. Obwohl es den Raffinerienarbeitern darum ging, die Bewegung zu stärken und ihr mehr Kraft zu verleihen, um die Regierung zum Nachgeben zu zwingen, hat sich die Blockade der Raffinerien, wie sie von den Gewerkschaften ausgeheckt worden war, vor allem als eine Waffe der Herrschenden und der in ihrem Dienst stehenden Gewerkschaften gegen die ArbeiterInnen erwiesen.

Nicht nur, dass die Raffineriearbeiter durch die Blockade isoliert wurden, hinzu kommt, dass ihr Streik in der Öffentlichkeit gegeißelt wurde, indem man Panik verbreitete und mit einer allgemeinen Benzinknappheit drohte Die Medien hetzten gegen diese «Geiselnehmer», die die Leute daran hindern, zur Arbeit oder in die Ferien zu fahren. Die Beschäftigten dieser Branche wurden auch physisch isoliert: Sie wollten zum solidarischen Kampf beitragen, damit die Regierung nachgibt, doch letztendlich richtete sich diese Blockage gegen sie selbst und gegen die ursprünglichen Ziele der Blockade.

Es gab zahlreiche ähnliche Gewerkschaftsaktionen in einigen anderen Branchen wie im Transportwesen, vor allem aber in Regionen mit wenig Industrie, denn die Gewerkschaften wollten das Risiko der Ausdehnung und der aktiven Solidarisierung weitestgehend minimieren. Sie mussten den Eindruck erwecken, als ob sie die radikalsten Kämpfe zusammenführten; bei den Demos zogen sie die Nummer der Gewerkschaftseinheit ab. Überall sah man die in der Intersyndicale zusammengeschlossenen Gewerkschaften, wie sie Einigkeit vortäuschten. Sie riefen zu Vollversammlungen auf, in denen es keine wirkliche Diskussionen gab und in denen ein auf die Branche beschränkter Blick herrschte, während sie gleichzeitig behaupteten, für  «alle gemeinsam» zu kämpfen. In Wirklichkeit ließen sie jeden in seiner Ecke zurück, unter Führung der jeweiligen Gewerkchaftsfunktionäre protestieren und verhinderten die Aufstellung von Massendelegationen, die die Solidarität anderer Beschäftiger in anderen, nahegelegenen Betrieben hätten einfordern können.  

Die Gewerkschaften waren nicht die einzigen, die solch eine Mobilisierung verhinderten. Sarkozys Polizei, die wegen ihrer Feindseligkeit gegen die Linke  berüchtigt ist, erwies sich als unersetzliche Hilfstruppe für die Gewerkschaften, indem sie wiederholt sehr provozierend vorging. Nehmen wir beispielsweise die Vorfälle auf dem Bellecour-Platz in Lyon, wo die Anwesenheit einiger «Krawallmacher» (die wahrscheinlich von der Polizei manipuliert wurden) als Vorwand für einen gewaltsamen Einsatz gegen Hunderte von Gymnasiast/Innen diente, von denen die meisten am Ende einer Demonstration der Beschäftigten zu Diskussionen zusammenkommen wollten.

 

Eine Bewegung mit großen Perspektiven

Die Medien erwähnten mit keiner Silbe die zahlreichen Comités oder branchenübergreifenden Vollversammlungen (AG inter-pros), die damals existierten. Deren Ziel war die Selbstorganisierung außerhalb der Gewerkschaften, die Durchführung von allen ArbeiterInnen offen stehenden Diskussionen und Aktionen, mit denen sich die gesamte Arbeiterklasse nicht nur identifizieren, sondern an denen sie sich auch massiv beteiligen kann.

Dies ist es, was die Herrschenden ganz besonders fürchteten: dass es zu Kontakten unter den Beschäftigten kommt, dass sich Junge und Alte, Arbeitslose und Beschäftigte zusammenschließen.

Es gilt nun die Lehren aus dem Scheitern der Bewegung zu ziehen.

Zunächst muss man feststellen, dass die Gewerkschaften dafür gesorgt haben, dass die Rentenreform verabschiedet werden konnte; und dies ist kein vorübergehendes Phänomen. Sie haben ihre schmutzige Arbeit verrichtet, eine Arbeit, die von allen Experten wie auch von der Regierung und Sarkozy persönlich als sehr «verantwortlich» begrüßt wurde. Ja, die Herrschenden können froh sein, derart «verantwortungsbewusste» Gewerkschaftsführer auf ihrer Seite zu haben, die eine Bewegung solchen Ausmaßes scheitern lassen können und dabei gleichzeititg den Eindruck vermitteln, sie hätten alles Mögliche unternommen, um die Bewegung zum Erfolg zu führen. Dabei haben die gleichen Gewerkschaftsapparate die ganz realen Stimmen des selbstständigen Arbeiterkampfes entweder zum Verstummen gebracht oder zu marginalisieren versucht.

Dieses Scheitern hinterlässt jedoch auch positive Spuren, denn trotz all der Anstrengungen der herrschenden Klasse, die Wut der ArbeiterInnen zu kanalisieren, ist es ihr nicht gelungen, Beschäftigten einer Branche eine Niederlage beizufügen, wie das 2003 noch der Fall war beim Kampf der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes um die Renten, als die Beschäftigten des Erziehungswesen nach wochenlangen Streiks eine herbe Niederlage einstecken mussten.

Schließlich sind im Verlauf der Bewegung wachsende Minderheiten in mehreren Städten zusammengekommen, die klare Vorstellungen von den tatsächlichen Bedürfnissen des Kampfes der gesamten Arbeiterklasse haben: die Notwendigkeit, den Kampf selbst in die Hand zu nehmen, um ihn auszudehnen und zu verbreitern. Diese spiegeln somit eine echte Reifung im Denkprozess wider. Sie zeigen, dass die Bewegung zwar erst am Anfang steht, dass man aber willens ist, die Lehren zu ziehen, um für zukünftige Kämpfe besser vorbereitet sein will.

Wie in einem Flugblatt der « AG interpro » des Pariser Ostbahnhofs vom 6. November gesagt wird : « Man hätte sich von Anfang an auf die Branchen stützen müssen, in denen gestreikt wurde, anstatt die Bewegung auf die Forderung der Rücknahme der Rentenreform zu begrenzen, während gleichzeitig weitere Entlassungen, Stellenstreichungen, Kürzungen im öffentlichen Dienst und Lohnsenkungen angekündigt werden. Wenn wir diese Fragen insgesamt aufgegriffen hätten, hätten wir die anderen Beschäftigten mit in die Bewegung einbeziehen und sie damit ausdehnen und vereinigen können.

Nur ein Massenstreik, der auf örtlicher Ebene organisiert und auf nationaler Ebene mit Hilfe von Streikkomitees, branchenübergreifenden Vollversammlungen koordiniert werden muss, und der es erforderlich macht, dass wir selbst über unsere Forderungen und Handlungen entscheiden und dabei die Kontrolle über die Bewegung bewahren, hat Aussicht auf Erfolg.

« Die Stärke der Beschäftigten besteht nicht nur darin, hier und da eine Ölraffinerie oder gar eine Fabrik zu blockieren. Die Stärke der Beschäftigten besteht darin, sich an ihrem Arbeitsplatz zu versammeln, dabei alle Barrieren von Branchen, Werken, Betrieben, Gruppieruengen usw. zu überwinden und gemeinsam zu entscheiden. (…) Denn die Angriffe fangen jetzt erst an. Wir haben eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg. Die Herrschenden erklären uns ihren Klassenkrieg, aber wir haben die Mittel diesen Krieg zu führen. » (Flugblatt : « Niemand darf an unserer Stelle kämpfen, entscheiden und gewinnen »,  unterzeichnet von Beschäftigen und prekär Beschäftigten der «branchenübergreifenden Vollversammlung des Pariser Ostbahnhofs und Ile de France », oben erwähnt).  

Wir haben keine andere Wahl : Um uns zu wehren, müssen wir unsere Kämpfe massiv ausdehnen und erweitern, also sie in die eigene Hand nehmen.

Dieser Wille äußerste sich klar in Gestalt von :

-          wirklichen branchenübergreifenden Vollversammlungen, die zwar nur kleine Minderheiten bündelten, aber ihren Willen bekundeten, für zukünftige Kämpfe besser vorbereitet zu sein ;

-          Versuchen, Versammlungen auf der Straße oder Protestversammlungen am Ende von Demonstrationen abzuhalten; insbesondere in Toulouse ist dies gelungen. 

Dieser von Minderheiten zum Ausdruck gebrachte Wunsch, sich selbst zu organisieren, zeigt auf, dass die Arbeiterklasse insgesamt anfängt, die Gewerkschaftsstrategie infrage zu stellen, ohne allerdings zu wagen, heute schon all die Konsequenzen aus ihren Zweifeln und Infragestellungen zu ziehen. In allen Vollversammlungen (ob von den Gewerkschaften einberufen oder nicht) kreisten die meisten Debatten in der unterschiedlichsten Form um solch wichtige Fragen wie « Wie können wir kämpfen?, Wie können wir die anderen Beschäftigen unterstützten?, Wie können wir unsere Solidarität zeigen ? Welche andere branchenübergreifende Vollversammung können wir treffen? « Wie können wir unsere Isolierung überwinden und die größtmögliche Zahl von Beschäftigten ansprechen, um mit ihnen über unsere Widerstandsmöglichkeiten zu reden ? Was können wir blockieren ? »… Tatsächlich begaben sich einige Dutzend Beschäftigte aus allen Bereichen, Arbeitslose, prekär Beschäftigte, Rentner täglich vor die  Werkstore der zwölf blockierten Raffinerien, um gegenüber den CRS ihr „Gewicht in die Waagschale“ zu werfen, ihnen Essenskörbe zu bringen  und vor allem moralische Unterstützung zu leisten.

Diese Zeichen der Solidarisierung sind ein wichtiges Element; sie belegen erneut das tiefgreifende Wesen der Arbeiterklasse. « Vertrauen in unsere eigenen Kräfte gewinnen » sollte ein zukünftiger Schlachruf sein.

Dieser Kampf ist dem Schein nach eine Niederlage, schließlich hat die Regierung nicht nachgegeben. Aber für unsere Klasse stellt sie einen Schritt nach vorne dar. Die Minderheiten, die aus dieser Bewegung hervorgegangen sind und versucht haben, sich, in den branchenübergreifenden Vollversammlungen zusammenzuschließen oder in den auf der Straße abgehaltenen Versammlungen zu diskutieren - diese Minderheiten, die versucht haben, den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen und dabei die Gewerkschaften wie die Pest gemieden haben, bringen die Fragestellungen in der Klasse zum Vorschein, mit denen sich immer mehr ArbeiterInnen vertieft auseinandersetzen. Dieser Denkprozess wird weitergehen und langfristig auch seine Früchte tragen. Dies ist kein Aufruf zum Abwarten, zur Passivität. Auch heißt das nicht, dass die reife Frucht einfach vom Baum fallen wird. Alle diejenigen, die sich bewusst sind, dass es in der Zukunft noch mehr Angriffe hageln und eine wachsende Verarmung auf uns zukommen wird, gegen die wir uns zur Wehr setzen müssen, sollten daher schon heute die künftigen Kämpfe vorbereiten. Wir müssen weiterhin diskutieren, die Lehren aus dieser Bewegung ziehen und sie so breit wie möglich streuen. Jene, die in dieser Bewegung, auf den Demonstrationen und Vollversdammlungen ein vertrauensvolles Verhältnis und brüderliche Beziehungen untereinander unterhalten haben,  sollten sich weiterhin treffen (in Form eines Diskussionszirkels, Kampfkomitees, einer Volksversammlung oder als „Treffpunkt zum Reden), denn eine Klärung vieler Fragen steht weiterhin an:

- Welche Rolle spielen wirtschaftliche Blockaden im Klassenkampf?

- Was ist der Unterschied zwischen staatlicher Gewalt und der Gewalt der Beschäftigten?

- Wie kann man der Repression entgegentreten?

- Wie können wir unsere Kämpfe in die eigene Hand nehmen? Wie können wir uns organisieren?

- Was ist  eine gewerkschaftliche Vollversammlung und was ist eine souveräne Vollversammlung?

Diese Bewegung ist schon reich gewsen an Lehren für die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt. Die jüngsten Mobilsierungen der Studenten in Großbritannien sind in ihrer Art und Weise ebenso verheißungsvoll für die weitere Entwicklung des Klassenkampfes.

14. Januar,  (gekürzte Fassung aus International Review Nr. 144).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Rentenreform Frankreich [25]
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