Am Abend des 18.Oktobers 2009, einem Sonntag, versuchten die Beschäftigten von RICCO Auto, Gurgaon, die sich seit dem 3. Oktober im Streik befanden, Streikbrecher aufzuhalten. Der Wachdienst des Betriebs und Streikbrecher, meistens Kriminelle, die zur Einschüchterung der Arbeiter rekrutiert worden waren, reagierten mit einem gewaltsamen Angriff auf die streikenden Arbeiter. Die Polizei, die seit Streikbeginn an den Fabriktoren zur Einschüchterung der Streikenden aufmarschiert war, eröffnete das Feuer auf die Arbeiter. Ein Arbeiter wurde erschossen und 40 weitere verletzt.
Diese gewaltsame Repression löste eine Welle von Empörung unter den Arbeitern im Industriegürtel von Gurgaon-Manesar aus, von denen sich 30.000 Beschäftigte in den letzten Monaten gegen die Arbeitgeber in mehreren Werken zur Wehr gesetzt hatten. Aber auch Arbeiter in anderen Betrieben reagierten empört.
Am Abend des 18.Oktobers 2009, einem Sonntag, versuchten die Beschäftigten von RICCO Auto, Gurgaon, die sich seit dem 3. Oktober im Streik befanden, Streikbrecher aufzuhalten. Der Wachdienst des Betriebs und Streikbrecher, meistens Kriminelle, die zur Einschüchterung der Arbeiter rekrutiert worden waren, reagierten mit einem gewaltsamen Angriff auf die streikenden Arbeiter. Die Polizei, die seit Streikbeginn an den Fabriktoren zur Einschüchterung der Streikenden aufmarschiert war, eröffnete das Feuer auf die Arbeiter. Ein Arbeiter wurde erschossen und 40 weitere verletzt.
Diese gewaltsame Repression löste eine Welle von Empörung unter den Arbeitern im Industriegürtel von Gurgaon-Manesar aus, von denen sich 30.000 Beschäftigte in den letzten Monaten gegen die Arbeitgeber in mehreren Werken zur Wehr gesetzt hatten. Aber auch Arbeiter in anderen Betrieben reagierten empört.
Diese Wut äußerte sich darin, dass die beiden Zwillingsstädte Gurgaon und Manesar am 20. Oktober 2009 am ersten Regelarbeitstag nach der Tötung des Arbeiters bei RICCO Auto die Arbeit niederlegten. Obgleich die Gewerkschaften zu dem Streik aufgerufen hatten, gingen Massen von Arbeitern aus den Betrieben, in denen sich die Arbeiter zuvor schon zur Wehr gesetzt hatten, auf die Straße und riefen andere Beschäftigte auf, die Arbeit niederzulegen. Vom frühen Dienstagmorgen an legten die Arbeiter von RICCO Auto und Sunbeam Casting mit ihren Protesten los. Die Autobahn 8 wurde blockiert. Ihnen schlossen sich Unmengen von Arbeitern aus anderen Betrieben an wie Sona Koyo Steering Systems, TI Metals, Lumax Industries, Bajaj und Hero Honda Motors Ltd.. Die Stadtverwaltung erklärte offiziell, ca. 100.000 Beschäftigte aus 70 Autozulieferbetrieben in Gurgaon-Manesar hätten sich an dem Tag in Streik begeben.
Obgleich die Arbeiter der meisten Betriebe am 21. Oktober die Arbeit wieder aufnahmen und der Kampf sich nicht ausdehnte, stellen diese Ereignisse einen wichtigen Schritt voran bei den Arbeiterkämpfen in Indien dar. Sie sind das Ergebnis der Intensivierung des Klassenkampfes in verschiedenen Teilen Indiens. So waren in Gurgaon-Manesar im Juli 2005 Arbeiter der Honda Motorcycles Werke mit dem Staat zusammengeprallt. Seitdem hat eine Reihe von Kämpfen die Entschlossenheit der Arbeiter bekräftigt, sich gegen die Unternehmer zu wehren – dabei sind immer mehr Kämpfe gleichzeitig ausgebrochen.
Während all der “Boom-Jahre” bis 2007, als die indische Wirtschaft beträchtlich expandierte, hat sich die Lage der Arbeiterklasse unaufhörlich verschlechtert. Offensichtlichstes Merkmal dieser Verschlechterung war der Verlust von Arbeitsplätzen. Trotz der Expansion der Wirtschaft während der „Boomjahre“ haben die Unternehmer ganz massiv Stammbelegschaften reduziert und sie durch viel schlechter bezahlte prekär Beschäftigte ersetzt, die zudem keine Sozialleistungen erhalten. Betriebe wie Hero Honda, Maruti und Hyundai, deren Produktion in diesen Boomjahren um ein mehrfaches zunahm (so vervielfachte sich die Produktion bei Hero Honda von 200.000 auf mehr als 3.6 Millionen), haben ständig Arbeitsplätze abgebaut. Gleichzeitig wurden Teilzeitbeschäftigte eingestellt. So verlief es bei allen Firmen in Indien. Die Betriebe der Automobilindustrie und andere Autoteilelieferanten in Indien, die alle einem mörderischen Konkurrenzkampf ausgesetzt sind, standen an vorderster Front dieser Angriffe gegen die Arbeiter. Aber in den ersten Jahren, vor allem in den ersten Jahren dieses Jahrzehnts, fanden die Arbeiter es schwierig, sich gegen diese Angriffe zu wehren. Unaufhörliche Angriffe seitens der Arbeitgeber und das Unvermögen sich entsprechend zu wehren waren das Merkmal der bitteren Lage der Arbeiterklasse auch in anderen Ländern.
Mit dem Beginn der wirtschaftlichen Talfahrt 2007 hat sich die Lage noch zugespitzt. In allen Bereichen wurden massiv Arbeitsplätze abgebaut, Löhne und Sozialleistungen gekürzt. Gleichzeitig zogen die Preise der wichtigsten Konsumgüter stark an. Die Preise von Grundnahrungsmitteln wie Gemüse, Hülsenfrüchte und anderen Lebensmittel haben sich mehr als verdoppelt. Dies war keine jahreszeitlich bedingte Erscheinung, sondern dies hat sich nun schon mehr als zwei Jahre hingezogen. Nach dem Einfrieren der Löhne und dem Anstieg der Preise sind die Lebensbedingungen der Beschäftigten nur immer prekärer und verzweifelter geworden.
Auch wenn die Unternehmer heute von einem Ende der Rezession und einem erneuten großen Wachstum der indischen Wirtschaft reden, hat sich die Lage der Arbeiter nicht verbessert. Die Prekarisierung der Arbeitsbedingungen dauert an, die Löhne sind weiter eingefroren.
Aber in den letzten Jahren hat die Entschlossenheit der Arbeiter, sich zu wehren, zugenommen. Die Einsicht breitet sich stärker aus, wenn man sich nicht zusammenschließt und sich wehrt, werden die Unternehmer immer mehr Druck ausüben. Diese Erkenntnis äußert sich in einer verstärkten Kampfbereitschaft, die in den letzten Jahren deutlicher Gestalt angenommen hat. Diese Entwicklung ist auch in anderen Ländern erkennbar, wie zum Beispiel die zweimonatige Fabrikbesetzung in Ssangyong, dem fünft größten Autohersteller in Korea im Juli 2009, die Besetzung des Visteon Werkes im April 2009 und Vestas Windsystems im Juli 2009 in Großbritannien, oder der Postbeschäftigtenstreik im Oktober 2009 ebenso in Großbritannien. (…)
Gegenüber der Krise und den Angriffen der Bosse haben sich die Arbeiter stärker zur Wehr gesetzt. Es gab zum Beispiel im öffentlichen Dienst wichtige Streiks: Die Angestellten der Banken streiken, ein landesweiter Streik der Beschäftigten der Ölförderung im Januar 2009, der Streik der Air India-Piloten, ein Streik von (250.000) Staatsbediensteten in West-Bengal, ein Streik der Regierungsbeschäftigten im Januar 2009 in Bihar. Einige dieser Konflikte waren harte Auseinandersetzungen, bei denen der Staat brutal zuschlagen und die Arbeiter niederschlagen wollte. Das war zum Beispiel beim Kampf der Ölarbeiter der Fall, als der Staat auf Sondergesetze zurückgriff, um die Beschäftigten auf die Knie zu zwingen und sie mit Repressionsmaßnahmen bestrafte. Auch Regierungsbeschäftigte in Bihar bekamen die harte Hand des Staates zu spüren, der den Beschäftigten eine Lehre erteilen wollte. Gegenüber den Ölbeschäftigten musste die Regierung nachgeben, da die Gefahr der Ausdehnung der Streiks auf andere staatliche Beschäftigte die Regierung von einem härteren Vorgehen abhielt.
Wie ihre Kolleg/Innen im öffentlichen Dienst haben auch Beschäftigte aus anderen Branchen gekämpft. Einer der massivsten und radikalsten Kämpfe war der der Beschäftigten in der Diamentenindustrie 2008 in Gujarat. Die Mehrheit der Beschäftigten der Diamentenindustrie arbeitet in kleinen Betrieben, in denen die Gewerkschaften nicht so die Oberhand haben. Die Streiks brachen dort aus und dehnten sich schnell als Massenrevolte auf mehrere Städte aus - Surat, Ahmedabad, Rajkot, Amerli usw. – und der Staat ergriff polizeiliche Repressionsmaßnahmen in all diesen Städten.
Zudem gab es in allen größeren Automobilzentren Indiens - Tamilnadu, Maharashtra, und Gurgaon-Manesar wiederholte und hartnäckige Versuche seitens der Beschäftigten, um für ihre Arbeitsplätze und gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen zu kämpfen.
Arbeiter im zweitgrößten Automobilwerk in Indien, Hyundai Motor in Chennai, traten mehrfach im April, Mai und Juni 2009 für höhere Löhne in den Streik. Seit langem schon versuchen die Unternehmer die Kämpfe der Arbeiter zu unterdrücken; oft haben sie z.B. mit Werksschließungen gedroht. In der Nähe von Coimbatore haben Beschäftigte des Automobilzulieferers Pricol Indien sich mehr als zwei Jahre lang gegen die Entlassungspläne ihres Arbeitgebers und den Abbau der Stammbelegschaft und deren Ersetzung durch Beschäftigte mit Zeitverträgen usw. gewehrt. Der Kampf nahm jüngst einen gewaltsamen Verlauf, als das Management 52 Beschäftigte der Stammbelegschaft feuern wollte und beschloss, sie im September 2009 durch Zeitarbeiter zu ersetzen. Bei darauf folgenden gewaltsamen Auseinandersetzungen wurde ein leitender Manager von Pricol am 22. September 2009 getötet. Beschäftigte der MRF Reifenfabrik und Nokia Werke in Namilnadu kämpften zur gleichen Zeit.
In Maharashtra traten Beschäftigte von Mahindra und in Nasik für höhere Löhne im Mai 2009 in den Ausstand. Und bei den Cummins Werken in Puna und dem Autoteilehersteller Bosch kam es ebenfalls vom 15.-25. September zu Arbeitsniederlegungen, um der Forderung nach höheren Löhnen Nachdruck zu verleihen und gegen Prekarisierung zu protestieren.
Heute beobachten wir, dass mehr und mehr Arbeiter bereit sind den Kampf gegen die Angriffe des Kapitals aufzunehmen. Mit einer Häufung der Kämpfe in mehreren Teilen Indiens, nimmt auch die Gleichzeitigkeit von Kämpfen in der gleichen Region zu. Dies bereitet die Möglichkeit vor, die Kämpfe zu verbinden und sie auszudehnen. Die massiven Streiks der Beschäftigten der Diamantenindustrie in Gujarat, die in mehreren Städten gleichzeitig spontan in den Ausstand traten, belegt dies. Auch Streiks der Beschäftigten der Autoindustrie in Tamilnadu und Puna und Nasik, die in mehreren Gegenden gleichzeitig in den Streik traten, gehen in die gleiche Richtung. In anderen Fällen spürte die herrschende Klasse diese Gefahr und nahm Repressionsmaßnahmen zurück. Diese Gleichzeitigkeit ist das Ergebnis einer Reihe von gleichartigen Angriffen gegen alle Beschäftigten heute.
Vor den jüngsten Kämpfen hatten schon Beschäftigte in einer Reihe von Werken in Gurgaon-Manesar die Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern aufgenommen. Bei Hondo Motorcycles ist die Lage seit Monaten sehr angespannt, nachdem Arbeiter mehrfach für höhere Löhne und gegen die Einführung von mehr Zeitverträgen protestiert haben. Dem Management zufolge ist dadurch die Produktion um die Hälfte gesunken; ein neues Fertigungsband konnte nicht in Betrieb genommen werden. Um die Arbeiter einzuschüchtern drohte das Honda Motorcycles Management am 10. Oktober mit der Schließung des Werkes in Indien oder das Werk in andere Teile des Landes zu verlagern. 2500 Beschäftigte von RICO Autowerken protestierten Ende September gegen die Entlassung von 16 Kollegen und für bessere Löhne. Am 3. Oktober traten sie in den Ausstand. Obgleich es noch nicht zu Arbeitsniederlegungen kam, häufen sich die Proteste von 25.000 Beschäftigten bei TI Metals, Microtech, FCC Rico, Satyam Auto und mehreren anderen Betrieben seit September, bei denen vor allem für höhere Löhne protestiert wird.
Business Line berichtete am 2. Oktober 2009: “Nachdem mittlerweile 25.000-30.000 Beschäftigte der Zulieferindustrie in dem Industriegürtel von Gurgaon-Manesar seit sechs Tagen für Unruhe sorgen, stehen die großen Automobilhersteller, die von diesen Zulieferern abhängig sind, vor schwierigen Zeiten.“ Und die Sorge der Unternehmer aufgreifend schrieb die Economic Times [of India] am 11. Oktober 2009: „Die wiederholt auftretenden Arbeitskämpfe im Gurgaon und Manesar-Gürtel sind ein Grund zur Sorge für die gesamte Industrie. Die fortdauernden Arbeiterproteste bei einigen Zulieferern haben schon große Autohersteller wie Honda und Maruti Suzuki erfasst.“
Die Tatsache, dass Arbeiter aus mehreren Firmen in den Streik getreten waren und gleichzeitig mehrere Tausend Beschäftigte aus anderen Betrieben ebenfalls streikten, bietet die Möglichkeit der Ausdehnung und Vereinigung dieser Kämpfe, denn dies ist der einzige Hebel, um sich gegen die Angriffe der Unternehmer zu wehren und diese zurückzudrängen. Davor fürchten sich die Herrschenden und die Gewerkschaften wollen so etwas unbedingt vermeiden. Bei den Kämpfen in Gurgaon, als sich die Wut der Arbeiter über die Erschießung eines Kollegen bei RICCO entlud, bestand die Rolle der Gewerkschaften darin, den Kampf in eine Sackgasse zu führen und die Tendenz zur Ausdehnung und Vereinigung zu blockieren. Durch den Aufruf zu eintägigen Aktionen wollen sich die Gewerkschaften dem Bestreben zusammenzukommen und Klassensolidarität zu entfalten, entgegenstellen. Ungeachtet dessen war der Streik vom 20. Oktober eine Demonstration der Klassensolidarität von nahezu 100.000 Beschäftigten. Er verdeutlichte deren Entschlossenheit, sich den Angriffen des Kapitals entgegenzustellen.
Gleichzeitig haben bei den Kämpfen in Gurgaon und bei Hyundai, Pricol, M & M und in anderen Auseinandersetzungen um höhere Löhne und gegen Arbeitsplatzabbau die Gewerkschaften auch versucht, diese in Sackgassen zu drängen und sie zu Kämpfen für Gewerkschaftsrechte umzumünzen.
Ohne Zweifel gibt es eine starke Dynamik zur Entwicklung des Klassenkampfes, seiner Ausdehnung und Entwicklung der Klassensolidarität. Aber um diese Dynamik umzusetzen, ist es wichtig, dass die Arbeiter die Tricks der Gewerkschaften durchschauen und den Kampf in die eigenen Hände nehmen. Die Lage entwickelt sich in eine Richtung, in der es für Revolutionäre wichtig ist, in dieser Dynamik einzugreifen, damit sie mit dazu beitragen können, dass die kämpfenden Arbeiter das Potenzial und die Stärken dieser Kämpfe sowie die gewerkschaftlichen Fallen erkennen. AM, 27.10.2009
Wir veröffentlichen nachfolgend eine Stellungnahme unserer Sektion in Venezuela, die sie kurze Zeit nach dem Militärputsch in Honduras im Sommer 2009 verfasste.
Auch wenn die Ereignisse mittlerweile aus dem Fokus der Medien verschwunden und enige Monate vergangen sind, ist es wichtig, diese in einen größeren Rahmen zu stellen und zu analysieren. Unsere Genossen in Venezuela gehen dabei sowohl auf die imperialistischen Ambitionen der venezolanischen Bourgeoisie, die angeschlagene Vormachtstellung der USA sowie auf Bestrebungen anderer Länder der Region, z.B. Brasilien ein, die Schwächung der USA zu ihren Gunsten auszunutzen. Während bislang aus erklärlichen Gründen die imperialistischen Konflikte im Mittleren Osten im Vordergrund standen, müssen wir die Lage in anderen Teilen der Welt jedoch auch verfolgen. Vor allem auf unserer spanischen Webseite bieten wir mehr Hintergrundmaterial zur Entwicklung in Südamerika und die dadurch entstehenden Debatten.
Wir veröffentlichen nachfolgend eine Stellungnahme unserer Sektion in Venezuela, die sie kurze Zeit nach dem Militärputsch in Honduras im Sommer 2009 verfasste.
Auch wenn die Ereignisse mittlerweile aus dem Fokus der Medien verschwunden und enige Monate vergangen sind, ist es wichtig, diese in einen größeren Rahmen zu stellen und zu analysieren. Unsere Genossen in Venezuela gehen dabei sowohl auf die imperialistischen Ambitionen der venezolanischen Bourgeoisie, die angeschlagene Vormachtstellung der USA sowie auf Bestrebungen anderer Länder der Region, z.B. Brasilien ein, die Schwächung der USA zu ihren Gunsten auszunutzen. Während bislang aus erklärlichen Gründen die imperialistischen Konflikte im Mittleren Osten im Vordergrund standen, müssen wir die Lage in anderen Teilen der Welt jedoch auch verfolgen. Vor allem auf unserer spanischen Webseite bieten wir mehr Hintergrundmaterial zur Entwicklung in Südamerika und die dadurch entstehenden Debatten.
Unsere Sektion in Venezuela, Internacionalismo, hat zu den Auseinandersetzungen in Honduras folgende Analyse erstellt. Die politische Krise, die mit dem Putsch gegen den Präsidenten Manuel Zelaya am 28. Juni ausgelöst wurde, stellt nicht einfach einen “weiteren Putsch” in dieser armen und kleinen ‘Bananenrepublik’ mit 7.5 Millionen Einwohnern dar. Diese Ereignisse sind von großer geopolitischer Bedeutung, aber sie haben auch wichtige Folgen für den Klassenkampf.
Zelaya, Unternehmer und Angehöriger der honduranischen Oligarchie begann seine Amtszeit Anfang 2006 als eine Führungsfigur der Liberalen Partei Honduras. Seit 2007 näherte er sich der Politik Chávez des ”Sozialismus des 21. Jahrhunderts”. Im August 2008 gelang es ihm mit Unterstützung seiner Partei, den Kongress dazu zu bewegen, dass sich Honduras der ALBA (Alternativa Bolivariana para América Latina y El Caribe) anschließt, ein von der Regierung Chávez geschaffener Mechanismus, um sich dem Einfluss der von den USA unterstützten ALCA (Amerikanische Freihandelszone) entgegenzustellen. Dieser Schritt, welcher von politischen Kreisen und Unternehmern kritisiert wurde, ermöglichte es dem honduranischen Staat seine Ölrechnung zu begleichen, die in der Wirtschaft des Landes ein großes Gewicht ausmacht.
Mit dem Beitritt zum ALBA erhielt es einen Kredit von 400 Millionen Dollar für den Kauf von Energie aus Venezuela, welche zu vorteilhaften Bedingungen bezahlt werden konnte. Es handelte sich um eine wichtige “Hilfe” für ein Land mit einem BIP von 10.800 Millionen Dollar (Angaben des CEPAL für 2006). Die honduranischen Energieeinfuhren machen ca. 30% des BIP aus (gleiche Quelle). Aber der “Sozialismus des 21. Jahrhunderts” ist kein einfaches Handelsprodukt. Dieser fordert nämlich, dass die Regierungen, die ihn übernehmen wollen, eine Reihe von populistischen Maßnahmen linksradikaler Couleur ergreifen; dass die Exekutive offen die Staatsinstitutionen und die öffentliche Hand kontrolliert, sowie ein Frontalangriff gegen die alten nationalen “Oligarchien” gehört dazu. Deshalb schlug Zelaya innerhalb weniger Monate eine politische Kehrtwende um 180° ein; von einem Rechtsliberalen wurde er zu einem Linken, der die Armen und den “Sozialismus” verteidigte. In Anbetracht der bevorstehenden Wahlen im November 2008 erhöhte Zelaya von Februar 2008 an den Druck auf die staatlichen Institutionen, um seine Wiederwahl zu begünstigen. Dies führte zu Konflikten sowohl zwischen der Exekutive und anderen staatlichen Kräften als auch mit seiner eigenen Partei. Letzten Mai übte er mit Hilfe von gewerkschaftlichen und “Volksorganisationen” Druck auf das Militär aus, um einen Plebiszit zur Änderung der Verfassung mit dem Ziel seiner Wiederwahl durchzusetzen. Dieses Vorgehen wurde von der Armeeführung des Landes verworfen.
Am 24. Juni 2008 setzte Zelaya den Vorsitzenden des Gemeinsamen Stabschefs ab, welcher darauf hin sofort wieder vom Obersten Gerichtshof eingesetzt wurde. Dies diente als Auslöser für den Staatsstreich am 28. Juni 2008. Dieser Tag war von der Exekutive als der Tag der Volksabstimmung geplant gewesen. An jenem Tag wurde Zelaya vom Militär gezwungen, “im Schlafanzug und barfuß” aus Tegucigalpa (Hauptstadt Honduras) nach San José (Costa Rica) auszureisen. Mit der Unterstützung des Militärs und dem Obersten Gerichtshof ernannte der Kongress Roberto Micheletti (Vorsitzender des Kongresses) als neuen Präsidenten.
Es ist offensichtlich, an der Wurzel der politischen Krise Honduras stecken die imperialistischen Ambitionen Venezuelas in der Region. In dem Maße wie sich der Chavismus konsolidiert hat, versucht die venezolanische Bourgeoisie ihr neues geopolitisches Interesse, Venezuela zu einer Regionalmacht zu erheben, zu verfolgen. Zu diesem Zweck benutzt es das Projekt des “Sozialismus des 21. Jahrhunderts”, dessen gesellschaftliche Stütze vor allem die ärmsten Schichten des Landes sind, und das die Ölvorkommen und die Öleinnahmen als eine Waffe zur Überzeugung und als Zwang benutzt. Die zunehmende Verarmung, der Zerfall der alten führenden Schichten und die geopolitische Schwächung der USA auf der Welt haben es der venezolanischen Bourgeoisie ermöglicht, schrittweise ihre Pläne in mehreren Ländern der Region voranzutreiben: Bolivien, Ecuador, Nicaragua, Honduras und in einigen Ländern der Karibik.
Das Projekt Chávez erfordert aufgrund seiner populistischen Eigenschaften und seines ‘radikalen’ Antiamerikanismus die totalitäre Kontrolle der staatlichen Institutionen. Ebenso schafft er eine politische Polarisierung zwischen “Reichen und Armen”, “Oligarchen gegen das Volk” usw., dadurch wird es zu einer ständigen Quelle der Regierungsunfähigkeit für das eigene nationale Kapital. Seine Umsetzung erfordert ebenfalls Verfassungsänderungen durch die Schaffung von verfassungsgebenden Versammlungen, welche ihr eine legale Basis für die notwendigen Änderungen verschaffen, um die neuen ‚sozialistischen’ Eliten an der Macht zu festigen und die Wiederwahl von Präsidenten zu befürworten. Dieser Maßnahmenkatalog, welche der Chavismus anwendet, ist hinreichend bei den Bürgerlichen der Region bekannt. Honduras ist ein kostbares geostrategisches Ziel des Chavismus. Damit würde Venezuela die Errichtung eines Brückenkopfes durch die Hafenstadt Cortés an der zentralamerikanischen Atlantikküste gelingen. Dieser Hafen dient auch dem Außenhandel El Salvadors und Nicaraguas. Somit würde Venezuela über einen “Landweg” verfügen, der den Atlantik mit dem Pazifik über Nicaragua verbindet. Wenn Nicaragua und Honduras unter Venezuelas Kontrolle stünden, würde es noch mehr Einfluss in El Salvador gewinnen, womit der von den USA und Mexiko vorgeschlagene Plan Puebla Panamá auf mehr Schwierigkeiten stoßen würde.
Andererseits zählt Honduras auf die ”natürlichen” Bedingungen für die Entwicklung des linkspopulären Projektes Chávez, denn es ist das drittärmste Land Amerikas nach Haiti und Bolivien. Die Masse der Verarmten, deren Zahl durch die Verschärfung der Krise immer mehr zunimmt, wird am meisten durch die falschen Hoffnungen getäuscht, die Armut überwinden zu können. Darauf baut das Arzneibuch des ”Sozialismus im 21. Jahrhundert”. Die Botschaft Chávez richtet sich an diese Massen. Dazu ist eine permanente Mobilisierung notwendig, mit Unterstützung der Gewerkschaften, der Linksparteien, der extremen Linken, der Bauernorganisationen, der Einheimischen usw. Der Chavismus, der selbst ein Ergebnis des Fäulnisprozesses der Herrschenden Venezuelas und der Welt ist, schlachtet die Erscheinungen des Zerfalls innerhalb der Herrschenden der Region aus und verschärft sie. Aufgrund der Notwendigkeit der Polarisierung der Zusammenstöße zwischen den bürgerlichen Fraktionen wird der Chavismus zu einem Faktor der Unregierbarkeit, welche wiederum eine Eigendynamik des Zerfalls entfaltet. Die jüngste Krise in Honduras stellt eine Zuspitzung der Lage in den ”Bananenrepubliken” Mittelamerikas dar, die seit den 1980er Jahren nicht mehr so tief in einer Krise versunken waren, als damals die Konflikte in Guatemala, El Salvador und Nicaragua fast eine halbe Million Tote und Millionen Vertriebener hinterließen.
Schon kurze Zeit vor dem Staatsstreich hatte Chávez seine geopolitische Maschinerie in Gang gesetzt ; er warnte die « befreundeten » Präsidenten und prangerte die « Gorilla-Militärs » an. Sobald der Putsch vorüber war, rief er ein Dringlichkeitstreffen der ALBA-Mitgliedsstaaten in Nicaragua ein, auf dem er ankündigte, die Lieferung von Öl an Honduras werde gestoppt. Auch drohte er mit der Entsendung von Truppen, falls die venezuelanische Botschaft in Honduras angegriffen werden sollte. Ebenso stellte er Zelaya Mittel des venezuelanischen Staates zur Verfügung : der Außenminister ist quasi zu einem persönlichen Assistenten des Präsidenten geworden, nachdem er diesem anbot, ihn auf dessen Auslandsreisen zu begleiten ; die staatlichen Medien, hauptsächlich der internationale Fernsehsender TV Telesur, überschütten uns mit Informationen über Zelaya. Dabei wird er als Opfer und als großer Menschenfreund und Verteidiger der Armen dargestellt. Die Rede Zelayas vor der UNO wurde im venezolanischen Radio und Fernsehen live übertragen. Chávez ruft unaufhörlich die « Völker Amerikas » zur Verteidigung der Demokratie auf, die von den « nach Staatsstreichen dürstenden militärischen Gorrillas » bedroht werden. Vielleicht will er damit vergessen machen, dass er selbst 1992 in Venezuela einen Staatsstreich gegen den sozialdemokratischen Präsidenten Andrés Pérez anführte. Dabei sind es gerade diese « militärischen Gorrillas », die Polizei des von Chávez angeführten Staates und dessen Schocktruppen, die die Repression ausüben. Dies richtet sich nicht nur gegen Oppositionelle, die gegen das Regime demonstrieren, sondern auch gegen die Arbeiter in Venezuela, wie Internacionalismo schon öfters angeprangert hat (siehe « El Estado "socialista" de Chavez nuevamente reprime y asesina proletarios, https://es.internationalism.org/node/2589 [5])
Aber die ganze „internationale Gemeinschaft“ verhält sich so unglaublich heuchlerich. Die OAS (Organisation amerikanischer Staaten) , die UNO, die Europäische Union und viele andere Länder haben den Putsch verurteilt und die Wiedereinsetzung Zelayas gefordert. Viele haben ihre Botschafter aus Honduras abgezogen. Aber all das sind nur formalistische Schritte; sie sollen Sand in die Augen streuen und das schlechte Ansehen der bürgerlichen Demokratie und all der Organisationen, die immer mehr an Glaubwürdigkeit verlieren, aufmöbeln.
Sehr zur Überraschung der sogenannten „Linken“ und der „Extremen Linken“ haben die USA ebenso den Putsch veurteilt und die Rückkehr Zelayas verlangt. Den Aussagen von Hilary Clinton, der US-Außenministerin, haben die US-Botschaft in Honduras und Tom Shannon, Unterstaatssekretär im Außenministerium eine aktive Rolle in den Monaten vor dem Putsch gespielt, um eine Krise zu vermeiden. Die Frage steht im Raum, ob den USA die Lage entglitten ist? Ist die US-Diplomatie derart geschwächt nach der Regierungszeit von Bush?
Wir können die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die USA tatsächlich die verschiedenen, im Clinch liegenden Fraktionen der honduranischen Bourgeoisie nicht nicht im Griff haben. Dies wäre ein Anzeichen für den Grad des Zerfalls der Bürgerlichen und der geopolitischen Schwächen der USA in ihrem „Hinterhof“. Für die USA ist es schwierig, sich den Auswirkungen des linken Neopopulismus seitens der Regierungen entgegenzustellen, deren Präsidenten auf demokratische Art gewählt wurden (in vielen Fällen durch eine überwältigende Mehrheit),. Aber sobald diese Leute das Präsidentenamt übernommen haben, übernehmen sie die Kontrolle im Staat und treten als wahre Diktatoren auf mit einem demokratischen make-up. Aber wir meinen, dass diese Vermutung falsch ist. Mit der Verurteilung des Putsches und der Forderung nach der Wiedereinsetzung Zelayas benutzen die USA die Krise in Honduras, um zu versuchen, ihr Ansehen in der Region aufzupolieren, das unter Bush ziemlich ramponiert wurde. Wenn Obama so wie Bush gehandelt hätte (als dieser zum Beispiel den versuchten Staatsstreich gegen Chávez im Apirl 2002 unterstützte), würde damit der Antiamerikanismus in der Region weiter angefacht und die Strategie der diplomatischen Öffnung der neuen Administration unter Obama geschwächt.
Es ist nicht auszuschließen, dass die USA zugelassen haben, dass die Krise in Honduras „ihren Lauf“ nimmt, und die USA die Krise zur Schwächung des Chavismus in der Region ausnutzen wollen. Die Vorgehensweise der USA zwingt Chávez , „die Suppe auszulöffeln“, um seinen Zögling Zelaya zu stützen. Auch können die USA somit darauf hoffen, dass die brandstiftende Rolle von Chávez in der honduarnischen Krise sich entblößt.
Andererseits wird somit der OAS und anderen Führern in der Region ermöglicht, nach einer Krisenlösung zu suchen, bei der die USA ein weiterer Beteiligter sein würden. So könnte die “amerikanische Gemeinschaft” als Helfer zur Überwindung der Krise auftreten, während es langsam immer deutlicher wird, dass Chávez und Zelaya die Verursacher dieser Krise sind. Die Verwerfung der Entscheidung der OAS, Zelaya als gewählten Präsidenten zu betrachten, die Maßnahmen der Micheletti-Regierung am 5.Juli, die Landung des aus Washington kommenden venezolanischen Flugzeuges mit Zelaya an Bord zu verhindern, haben die Krise nur noch weiter verschärft und Chávez geschädigt, der dahinter ein Drahtziehen des “Yankee-Imperialismus” sah und von Obama, der “Opfer dieses Imperialismus” sei, forderte, dass dieser viel energischer in Honduras eingreife.
Zweifelsohne ist die Lage für die USA sehr kompliziert. Einerseits wollen sie Chávez und seinen Nachläufern eine Lehre erteilen; andererseits zwingen sich den USA andere geopolitische Prioritäten auf – wie Afghanistan, die Krise mit Nordkorea usw. Darüber hinaus kann der Fäulnisprozess der honduranischen Bourgeoisie wie der Bourgeoisie der ganzen Region eine unkontrollierbare Lage hervorrufen. Wir haben soeben erfahren, dass Zelaya die Vermittlung auf Bitten der US-Außenministerin H. Clinton durch den Präsidenten Costa Ricas Oscar Arias angenommen habe. Damit wird die zentrale Rolle der USA in dieser Krise ersichtlich.
Die Krise in Honduras ist von größerem Ausmaß als die jüngste Krise zwischen Kolumbien, Ecuador und Venezuela hinsichtlich der Frage des FARC, bei der ebenso die Regierung Chávez an herausragender Stelle mit beteiligt war. Nicaragua, das mit Chávez verbunden ist, steht in einem Konflikt mit Kolumbien hinsichtlich des Archipels St. Andrés in der Karibik. Bei diesen Konflikten war immer die Rede von Mobilisierung von Truppen. Auch Venezuela setzte an der kolumbianischen Grenze seine Truppen in Marsch, als der Konflikt mit Ecuador losbrach. Obgleich diese Mobilisierungen das Ziel verfolgen, einen möglichst großen Medienwirbel zu verursachen, um die Arbeiterklasse und die Bevölkerung insgesamt abzulenken, benutzt die herrschende Klasse auf dem Hintergrund des Versinkens in der Krise und ihrem Zerfall eine immer kriegerische Sprache und immer mehr militärische Mittel. So ist der Einfluss Chávez und seiner Anhänger bei den letzten Krisen und Zusammenstößen in Bolivien zu spüren, bei den Wahlfälschungen, welche die Opposition in den letzten Wochen bei den Kommunalwahlen in Nicaragua anprangerte, und die peruanische Regierung verurteilte auch, dass sich Bolivien und Venezuela bei den Zusammenstößen von Bagua eingemischt hätten. Es wurden Bündnisse mit Staaten und Organisationen aufgebaut, welche sich durch ihren radikalen Antiamerikanismus auszeichnen: Iran, Nordkorea, Hamas usw. Andererseits hat sich die Lage in Venezuela im Lande ziemlich zugespitzt infolge rückläufiger Öleinkünfte (im Wesentlichen aufgrund der Geopolitik des venezolanischen Staates) aufgrund der Krise und der Entwicklung von Arbeiterkämpfen, welche die Regierung dazu zwingen, ein Klima starker Spannungen nach Innen und Außen aufrechtzuerhalten.
Die USA befinden sich im Nachteil, um Ordnung in ihrem Hinterhof herzustellen. Regionale Bourgeoisien wie die Mexikos, welche sich dem Chavismus und den politischen Krisen in ihrem natürlichen Einflussgebiet Zentralamerika entgegenstellen könnten, sind offenbar durch innere Krisen und die Auseinandersetzungen mit den Drogenhändlern beansprucht. Ein US-amerikanischer Senator meinte gar vor kurzem, es gebe keinen mexikanischen Staat mehr. Kolumbien, die US-Bastion in der Region, hat keine freie Hand, um der Offensive Chávez entgegenzutreten; stattdessen stehen Kolumbien und Venezuela in einem sehr zerbrechlichen Verhältnis zueinander. Brasilien, wiederum, das wirtschaftliche Interessen in Zentralamerika verfolgt (das Land hat viel Geld in den Anbau von Biokraftstoffen in der Region investiert), hat schon geopolitische Schritte eingeleitet, was zu einer Verstärkung seiner regionalen Vormachtstellung geführt hat. Scheinbar hat es genauso wenig wie die anderen Länder ein großes Interesse daran, eine von Chávez angestachelte Krise zu lösen. Die beiden treten als Rivalen in der Region auf. Vermutlich wird es Venezuela "im eigenen Saft schmoren lassen", obwohl es auch Anzeichen dafür gibt, für eine gewisse Stabilität in der Region sorgen zu wollen. Es handelt dabei als eine Macht, die sich ihren eigenen Freiraum in der Region verschaffen will; deshalb gerät es auch mit den USA aneinander. Die Perspektiven in der Region deuten klar auf mehr Konflikte hin; dies wiederum wird umfangreiche Kampagnen erforderlich machen um zu versuchen, die Arbeiterklasse dafür einzuspannen. Dabei wird es zu einer politischen Polarisierung um diese Fragen kommen. Diese Fragen müssen im internationalistischen Milieu vertieft werden.
Zweifelsohne geht die herrschende Klasse aus dieser Krise verstärkt gegenüber der Arbeiterklasse hervor. Gleich ob Zelaya zurückkehrt oder nicht, die politische Polarsierung in Honduras ist losgetreten worden und wird weiter an Schärfe zunehmen. All dies führt zu Spaltungen und Konfrontationen innerhalb der herrschenden Klasse selbst, wie wir es in Venezuela, Bolivien, Nicaragua und Ecuador sehen. Andererseits wird die herrschende Klasse die Lage ausschlachten, um die demokratische Mystifikation zu verstärken. Sie wird vorgeben, sie sei in der Lage sich selbst zu kritisieren, um die staatlichen Institutionen zu säubern. Deshalb wird der Wirbel um die anstehenden Wahlen die demokratische Mystifizierung verstärken.
Die Krise wird die Verarmung in einem der ärmsten Länder Zentralamerikas weiter verschärfen. Die Geldüberweisungen, die die Auslandshonduraner an ihre Familien leisten (ca. 25% des BIP) versiegen langsam. Der gesellschaftliche Zerfall, der Hunderttausende Jugendliche dazu verurteilt, vom Bandenwesen zu « leben », die Kriminalität und Drogen, wird sich aufgrund der Krise und des politischen Zerfalls in den Reihen der Herrschenden noch zuspitzen. Diese Masse Armer ist ein ausgezeichneter Nährboden für das Aufkommen neuer lokaler oder regionaler Gestalten wie Chávez, welche jeweils Hoffnung unter den Verarmten verbreiten, aber nie einen wirklichen Ausweg anbieten. Deshalb muss das honduranische Proletariat, aber auch das Proletariat in der Region und auf der Welt sowie das internationalistische Milieu jegliche Unterstützung irgendeines Flügels der nationalen oder regionalen Bourgeoisie verwerfen. Man muss die politische Polarisierung, die durch die Konflikte unter den Herrschenden gezeugt wird und schon viele Opfer gefordert hat, ablehnen. Die Auseinandersetzungen in Honduras zeigen, dass der Kapitalismus immer mehr verfault und Teile der Herrschenden (in einen Land oder zwischen kleinen, mittelstarken und größeren Ländern )immer mehr aneinander geraten. Diese Konflikte werden sich noch mehr zuspitzen. Ungeachtet seiner zahlenmäßigen Schwäche kann nur der Kampf der honduranischen Arbeiter auf ihrem Klassenterrain mit Unterstützung des Proletariats in der Region und auf der Welt sich dieser ganzen Barbarei entgegenstellen. Internacionalismo, 12.07.09
(Der nachfolgende Text wurde jüngst in Mexiko von drei Gruppen gemeinsam verfasst und als Flugblatt verteilt: Grupo Socialista libertario, Revolución Mundial Sektion in Mexico der Corriente Comunista Internacional (IKS) und Proyecto Anarquista Metropolitano)
Am Samstagabend, den 10. Oktober, besetzte die Bundespolizei alle Stationen und Zentren von LyFC;[1] ihr Vorgehen entsprach dem Präsidentendekret, das die Auflösung des Unternehmens und die Entlassung von ca. 44.000 Beschäftigten angeordnet hatte. Dies hat eine große Verwirrung, gar einen Schock, Wut und ein Gefühl der Ohnmacht ausgelöst… und damit der Arbeiterklasse einen weiteren Schlag durch den Staat versetzt. Diese Situation verlangt notwendigerweise, dass nach Methoden und Reaktionen des Widerstandes gesucht wird, die von der Einheit unserer Klasse ausgehen.
Die sich weiter ausdehnende Wirtschaftskrise, die die gesamte kapitalistische Welt erfasst hat, zwingt die Herrschenden in jedem Land dazu, immer brutalere Maßnahmen zu ergreifen, um die schlimmsten Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Durch diese „Anpassungsmaßnahmen“ verschlechtern sich die Lebensbedingungen der Beschäftigten, gleichzeitig erfolgen Angriffe auf ihre Renten, Löhne, Sozialleistungen usw. Weil die Kapitalisten versuchen, sich somit über Wasser zu halten, haben die Regierungen in allen Ländern den Weg eingeschlagen, „die Renten anzupassen“ (d.h. zu senken), die Lebensarbeitszeit zu erhöhen. Überall nimmt die Kaufkraft ab, die Arbeitsbedingungen werden immer unerträglicher, und die Arbeitslosigkeit ist schlussendlich der Gipfel unseres Alltagselends.
Was wir in Mexiko erleben, ist also keine „Folklore oder einen Fehltritt“ im Kapitalismus. Der Staat, der der Repräsentant der herrschenden bürgerlichen Klasse ist, hat zur Aufgabe, stets deren Interessen auszufechten. Dies trifft auf rechte wie linke Regierungen zu.
Die LyFC aufzulösen war schon lange ein Vorhaben der Herrschenden. Ihre Umsetzung war lediglich verzögert worden, weil sie (wer ist „sie“?) sich auf die gewerkschaftlichen Strukturen verlassen konnten (erinnert sei daran, dass die SME [mexikanische Gewerkschaft] seinerzeit den Präsidentschaftskandidaten Carlos Salinas unterstützte und dass dieser mit der Wiederherstellung des Betriebes liebäugelte).
Doch die Zuspitzung der Krise hat die Herrschenden vor eine neue Lage gestellt, in der es keinen Weg mehr zurück gibt; die katastrophale Lage lässt sich nicht mehr leugnen. Hinzu kommt die Notwendigkeit für das Kapital, die Gewerkschaften zu reformieren. Dabei will es keineswegs die Gewerkschaften zerstören, wie die Linke des Kapitals fälschlicherweise vorgibt. Die Arbeiter haben am eigenen Leib die Erpressungen und das Joch der Gewerkschaften erfahren und gesehen, wie diese die Unzufriedenheit im Griff zu halten und die Mobilisierungen zu sabotieren versuchen. Ungeachtet all der schönen Reden sind die Gewerkschaften Feinde der Arbeiterklasse, von denen die Herrschenden verlangen, dass sie besser und gewiefter die Ausbeutung der Arbeiterklasse durchsetzen und aufrechterhalten.
Erinnern wir uns an die gewaltige Kampagne der Diffamierung und Degradierung, die monatelang gegen die Beschäftigten der Elektrizitätswerke geführt wurde, welche in der Öffentlichkeit als „Privilegierte“, „Ineffiziente“ usw. dargestellt wurden, so dass es heute vielen Arbeitern schwerfällt zu begreifen, dass man diesem Angriff gegen die Elektriker entgegentreten muss (heute sind sie an der Reihe, morgen sind andere dran!).
Die Beschäftigten dürfen die Lügen der Herrschenden und ihrer treuen Diener nicht schlucken: Die Schließung von LyFC bringt dem „mexikanischen Volk“ keinen Nutzen; es handelt sich um einen Frontalangriff gegen die Arbeiterklasse insgesamt. Die neuen Arbeitsverträge (für die übrig gebliebenen Beschäftigten) werden sicherlich viel schlechter sein, während viele schlicht und ergreifend in die Arbeitslosigkeit abgeschoben werden.
Die Herrschenden und ihr politischer Apparat wollen uns die folgende Botschaft eintrichtern: So wie diese Beschäftigten nichts unternehmen konnten, obwohl sie eine „mächtige Gewerkschaft“ an ihrer Seite haben, müssen sich alle Beschäftigten den Bedürfnissen des Kapitals und seines Staates beugen und weitere Opfer hinnehmen. Aber die Arbeiterklasse darf ihren Kampf gegen den Kapitalismus nicht aufgeben. Die Angriffe von heute kündigen nur noch viel Schlimmeres an, falls wir uns nicht als Klasse zur Wehr setzen. In Anbetracht all der Angriffe, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, und in Anbetracht der Preissteigerungen und der verstärkten Repression (mit der Verstärkung des Polizei- und Armeeapparates) ist es unabdingbar, dass alle Teile der Arbeiterklasse – Beschäftigte und Arbeitslose, Stammbelegschaften und Leiharbeiter oder Schwarzarbeiter - die Notwendigkeit ihres Zusammenschlusses anerkennen und darauf hinarbeiten. Dazu müssen wir unsere Feinde erkennen.
Um diesen Angriff ohne große Mühe über die Bühne zu bringen, haben sich die Kräfte der herrschenden Klasse die Arbeit geteilt. Die einen provozierten mit dem sinnlosen Kampf zwischen verschiedenen Gewerkschaftsflügeln, die sich in Wahlen gegenüberstanden, eine Spaltung unter den Elektrikern. Andere wiederum stellten die Angriffe auf unsere Lebensbedingungen als einen „Angriff auf die Gewerkschaften und die demokratischen Freiheiten“ dar, und wiederum andere machten Stimmung gegen die Beschäftigten, die sie als „Privilegierte“ darstellten. Diese Vorgehensweise erleichterte schließlich ihr Vorhaben, das darin bestand, Arbeiter für eine „Verteidigung der Gewerkschaften“ zu mobilisieren oder für die „Verteidigung des Betriebes und der Volkswirtschaft“ einzuspannen. Solche Forderungen führen nämlich nur dazu, dass die verschiedenen Teile der Arbeiterklasse aus den Augen verlieren, ihre Forderungen als ausgebeutete Klasse zu stellen!
Nach diesem Schlag gegen die Arbeiter wird man jetzt den Überraschungseffekt auszunutzen versuchen und danach streben, die Niederlage und Demoralisierung noch zu verstärken. Die Gewerkschaft spielt dabei eine wirklich reaktionäre Rolle. Heute mit den Gewerkschaften zu kämpfen heißt daher, die Niederlage in Kauf zu nehmen, denn die Gewerkschaften haben zusammen mit dem Staat die Beschäftigten erst in diese Lage gedrängt. Sie werden jetzt die Beschäftigten nicht dazu ermuntern, sich zu wehren - im Gegenteil. Heute zum Beispiel verbreitet die Gewerkschaft SME den Aufruf, man solle eine „juristische Schlacht, vor den Gerichten“ durchführen. Damit werden aber die Beschäftigten erneut in eine Sackgasse gedrängt. Sie sollen Mittel ergreifen, die sie der Hilflosigkeit preisgeben. Erinnern wir uns, wie die Gewerkschaften nach der Änderung der Sozialgesetzgebung die Kämpfe zersplitterten, die Unzufriedenheit verpuffen ließen und die Mobilisierung dank juristischer Ablenkungsmanöver abwürgten. Die juristischen Auseinandersetzungen, in welche die Gewerkschaften die Beschäftigten hineindrängen wollen, führen nur zu sinnlosen Geplänkeln, da die Arbeiter auf dieser Ebene nicht als Klasse handeln, sondern als „Bürger“, die „die Gesetze respektieren und schützen“. Dabei liefern all diese Gesetze nur den juristischen Rahmen für die Rechtfertigung unserer prekären Arbeitsbedingungen und unsere Verarmung.
Es liegt auf der Hand, dass die Gewerkschaften keine Einheit bewirken und eine wirkliche Solidarität verhindern wollen; stattdessen wollen sie uns spalten. Die Tatsache, dass heute die Regierung zu solch einem Schlag gegen die Elektriker ausgeholt hat, kommt nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel, sondern wurde nur möglich dank der vorher erfolgten Spaltung durch die Gewerkschaften.
Die Strategie der Herrschenden zur Durchsetzung ihres Schachzugs besteht darin, die tatsächlich vorhandene Unzufriedenheit der Elektrizitätsbeschäftigten zu untergraben und zu verhindern, dass die Klassenbrüder und -schwestern ihre Solidarität zum Ausdruck bringen. Sie werden alles unternehmen, um die Reaktionen der Arbeiter auf das Terrain der Verteidigung der Nation und der Gewerkschaften zu zerren; d.h. uns in einen Kampf zu locken, bei dem das kapitalistische Ausbeutungssystem nicht in Frage gestellt wird; schlussendlich werden sie uns dazu aufrufen, unsere ganze Unzufriedenheit beim nächsten Wahlzirkus zum Ausdruck zu bringen.
Die Solidarität ist keine gewerkschaftliche Pantomime, bei der ein gewerkschaftlicher Bonze dem anderen seine Unterstützung erklärt; genauso wenig ist sie eine „moralische Unterstützung“. Echte Solidarität kommt dadurch zustande, dass man selbst in den Kampf tritt. Heute sehen sich die Elektriker, genau wie viele andere Beschäftigte auch, Angriffen ausgesetzt; die anderen Beschäftigten müssen ihre wirkliche Solidarität zum Ausdruck bringen, indem sie selbst den Kampf aufnehmen; indem sie die Gräben überwinden, die zwischen den (noch) Beschäftigten und Arbeitslosen, zwischen verschiedenen Wirtschaftsbranchen und zwischen den Regionen bestehen. Dazu muss zu Vollversammlungen aufrufen werden, die allen Arbeitern offenstehen (Aktiven und Arbeitslosen und anderen Bereichen). Auf diesen Versammlungen muss offen über die Lage geredet werden, in der wir uns alle befinden. Dadurch kann die Unzufriedenheit in Aktionen und Mobilisierungen münden, die von den Betroffenen selbst kontrolliert werden und nicht in den Händen der Gewerkschaften liegen.
Um den Schlag gegen die Arbeiter abzuschließen, werden die Gewerkschaften die Elektrizitätsbeschäftigten von den anderen Beschäftigten zu isolieren und sie für ihre Art von Mobilisierung einzuspannen versuchen, wie die von López Obrador, die darauf abzielt, die Beschäftigten zu fesseln und zu verhindern, dass sie ihre eigenen Kampfinstrumente entwickeln. So sollen die Betroffenen in die falsche Auseinandersetzung zwischen Staatsbetrieb und Privatbetrieb gelockt werden. Deshalb müssen die Beschäftigten angesichts dieser Angriffe, mit denen sie es zu tun haben, gemeinsam nachdenken. Dies muss außerhalb und gegen den Willen der Gewerkschaften geschehen. Nur so können sie sich wirksam zur Wehr setzen. Wenn wir unser Schicksal in die Hände der Gewerkschaften und der politischen Parteien legen, sind wir zur Niederlage verurteilt. Ein Kampfruf des Proletariats geht erneut um die Welt: „Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiter selbst sein“. Die Ausgebeuteten haben nichts zu verlieren als ihre Ketten!
Oktoer2009
Grupo Socialista libertario
https://webgsl.wordpress.com/ [16]
Revolución Mundial
Sektion in Mexico der Corriente Comunista Internacional (IKS)
mexico@internationalism.org [17]
Proyecto Anarquista Metropolitano
proyectoanarquistametropolitano.blogspot.com
[1]staatlich kontrollierter Energielieferant Mexikos
Ein Leser, der seine Zuschrift mit JM unterzeichnet, hat auf unserer Webseite einen sehr interessanten Kommentar verfasst, in dem die Frage der notwendigen Zusammenarbeit zwischen verschiedenen revolutionären Gruppen aufgeworfen wird. In seiner Zuschrift, die mit "Bedingungen für Bündnisse und Annäherungen zwischen Organisationen" betitelt wird, fragt der Genosse, welche Kriterien die IKS bei ihrer Zusammenarbeit mit einer anderen Organisation verwendet.
Ein Leser, der seine Zuschrift mit JM unterzeichnet, hat auf unserer Webseite einen sehr interessanten Kommentar verfasst, in dem die Frage der notwendigen Zusammenarbeit zwischen verschiedenen revolutionären Gruppen aufgeworfen wird. In seiner Zuschrift, die mit ”Bedingungen für Bündnisse und Annäherungen zwischen Organisationen” betitelt wird, fragt der Genosse, welche Kriterien die IKS bei ihrer Zusammenarbeit mit einer anderen Organisation verwendet.
Unsere nachfolgende Antwort greift zum Teil auf die verschiedenen Kommentare zurück, die im Verlaufe dieser Diskussion verfasst wurden. Wir möchten alle unsere Leser/Innen ermuntern, sich an den Diskussionen auf unserer Webseite zu beteiligen, Kommentare zu verfassen, Kritik zu üben oder Fragen zu stellen zu unseren Artikeln oder Vorschläge zu machen.
In euren Artikeln versucht ihr manchmal, euch anderen Gruppen zu nähern. Zum Beispiel den Anarchisten.
Habt ihr ein offizielles Dokument, das sich mit den Bedingungen für Bündnisse und Annäherungen befasst? Oder geht ihr jeweils von Fall zu Fall vor?
Zum Beispiel hat eine trotzkistische Organisation CIQI vor kurzem ihre Unterstützung der Gewerkschaften, die sie seit langem verteidigten, aufgegeben. Bei dieser Frage haben sie sich der Kommunistischen Linken angenähert. (https://wsws.org/francais/News/2009/sep2009/opel-s19.shtml [21])
Man hat manchmal den Eindruck, wenn sich Organisationen annähern oder von einander abrücken, geschieht dies oft infolge bürokratischer Prinzipien, um nicht zu sagen aus Opportunismus. In dem einen Fall mag eine Organisation nicht mit einer anderen diskutieren, weil die eine von der anderen aufgesaugt werden könnte. Dies spiegelt eine organisatorische Schwäche wider. In dem anderen Fall fühlen sich die Mitglieder der ersten Organisation nicht sattelfest und befürchten, sie könnten durch die andere Organisation einem ”schlechten” Einfluss unterworfen werden. Dies spiegelt eine theoretische Schwäche wider.
Man kann auch behaupten, dass eine Diskussion nicht wünschenswert ist, wenn sie keinen neuen theoretischen Beitrag leistet oder eine Zusammenarbeit zu einer konkreten Frage ermöglicht. Aber ich habe das Gefühl, dass man die technischen Aufgaben nicht gemeinschaftlich genug anpackt, die doch eigentlich politisch neutral sein sollten (Transport, Unterkunft, Informationen usw.) und die politische Zusammenarbeit bei konkreten Fragen (Wortmeldungen in Vollversammlungen usw.) ein wenig auf gut Glück geschieht, ohne dass weitere Schritte folgen. Meines Erachtens bräuchte man einen Text, in dem man aufzeigt, unter welchen Bedingungen und warum eine Zusammenarbeit mit Mitgliedern einer Organisation möglich ist. Dieser Text sollte nicht zu restriktiv noch zu weitgehend formuliert sein, um die Organisation nicht zu lähmen oder zu untergraben. Solch ein Text wäre sehr nützlich. Was haltet ihr davon?
“Nur diejenigen, die nicht genügend Selbstvertrauen haben, fürchten vorübergehende Bündnisse, selbst mit unsicheren Leuten. Keine politische Partei könnte ohne diese Bündnisse bestehen”. (Was tun? Lenin).”
JM wirft eine wesentliche Frage in seinem Beitrag auf. Seit einigen Jahren hat die Arbeiterklasse einen langsamen, aber tiefgreifenden Prozess des Nachdenkens angefangen. Sie wird sich immer mehr über den desaströsen Zustand des Kapitalismus und seiner Unfähigkeit, der Menschheit irgendeine Zukunft anzubieten, bewusst. Konkret, über die noch viel zu selten stattfindenden Kämpfe hinaus wird diese Dynamik vor allem ersichtlich anhand eines reichhaltigeren Lebens in den Reihen des revolutionären Milieus. Relativ alte Gruppen (wie OPOP in Brasilien) und andere noch jüngere oder gerade erst entstandene Gruppen wie auch in Erscheinung getretene Individuen versuchen ein internationales Netz aufzubauen, innerhalb dessen eine offene und brüderliche Debatte stattfindet (2). Die Revolutionäre sind heute auf der ganzen Welt erst ein kleiner Haufen; nichts ist verheerender als die Isolierung. Der Aufbau von Verbindungen und Debatten auf internationaler Ebene ist also lebenswichtig. Die Divergenzen, wenn sie offen und aufrichtig diskutiert werden, sind eine Quelle der Bereicherung für das Bewusstsein der ganzen Arbeiterklasse.
Aber was so augenfällig ist, ist noch nicht für jeden selbstverständlich. Innerhalb des revolutionären Lagers herrscht heute noch eine gewisse Zerstreuung vor; man arbeitet wenig gemeinsam, schlimmer noch - es gibt noch viel Sektierertum! Die verschiedenen Standpunkte und Analysen, welche leider keine aufrichtigen Debatten auslösen, sind viel zu oft ein Vorwand für den Rückzug auf sich selbst. Es gibt eine Tendenz zur Verteidigung der eigenen "Kapelle", eine Art Krämergeist, der eigentlich in der Arbeiterklasse nicht vorhanden sein sollte (um dies zu verdeutlichen, benutzt die IKS lieber den Begriff der "Zusammenarbeit”, "gemeinsame Arbeit", "gemeinsame Stellungnahmen" usw. statt "Bündnis", wie JM es tut). Die Revolutionäre stehen in keinem Konkurrenzverhältnis zueinander. Wir stimmen also vollkommen überein mit JM, wenn er schreibt: “Man hat manchmal den Eindruck, wenn sich Organisationen annähern oder von einander abrücken, geschieht dies oft infolge bürokratischer Prinzipien, um nicht zu sagen aus Opportunismus. In dem einen Fall mag eine Organisation nicht mit einer anderen diskutieren, weil die eine von der anderen aufgesaugt werden könnte. Dies spiegelt eine organisatorische Schwäche wider. In dem anderen Fall fühlen sich die Mitglieder der ersten Organisation nicht sattelfest und befürchten, sie könnten durch die andere Organisation einem ‘schlechten’ Einfluss unterworfen werden. Dies spiegelt eine theoretische Schwäche wider.”
JM hat auch Recht zu verlangen, dass solch eine Zusammenarbeit sich auf klare Kriterien stützt und dass man nicht nach taktischen Erwägungen vorgeht. Die kapitalistische Gesellschaft, so lautet eine Grundlage des Marxismus, ist in zwei unversöhnliche Lager mit entgegengesetzten Interessen gespalten: die bürgerliche Klasse und die Arbeiterklasse. Die ganze Politik unserer Organisation fußt auf dieser Methode. Aus der Sicht der IKS ist in der Tat die größtmögliche Zusammenarbeit zwischen den Organisationen, die dem proletarischen Lager angehören, und die größte Standhaftigkeit gegenüber dem bürgerlichen Lager erforderlich. Dies bedeutet, dass man die grundlegenden Unterschiede zwischen diesen beiden Lagern festlegen muss. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass dieser Unterschied offensichtlich ist. Denn schließlich beruft sich jede Organisation offiziell auf eine Strömung, sei es indem sie offen das gegenwärtige System unterstützt (im Allgemeinen die Rechten), oder indem man behauptet, die Interessen der Arbeiter zu verteidigen (was die Linken und die extremen Linken von sich beanspruchen). Es gibt zahlreiche Gruppen, die von sich behaupten, revolutionär zu sein: Kommunisten, Trotzkisten, Maoisten (die heute zahlenmäßig geschrumpft sind), offizielle Anarchisten…
Aber was eine Organisation von sich selbst behauptet, reicht nicht aus. Die Geschichte wimmelt von Beispielen von Organisationen, die mit der Hand auf dem Herz schwören, die Sache der Arbeiterklasse zu verteidigen, um ihr so nur besser ein Messer in den Rücken stoßen zu können. Die deutsche Sozialdemokratie behauptete 1919 von sich, eine Arbeiterorganisation zu sein, während sie gleichzeitig den Mord an Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Tausenden anderen Arbeitern organisierte. Die stalinistischen Parteien haben die Arbeiteraufstände von Berlin 1953 und Ungarn 1956 im Namen des "Kommunismus" (d.h. im Interesse der UdSSR) blutig niedergeschlagen.
Wenn die "Verpackung" nicht ausreicht, um das Wesen einer Organisation zu definieren, nach welchen Kriterien soll man deren "Inhalt" dann einschätzen (Programm, Plattform mit den politischen Positionen) ?
JM unterstreicht, dass eine trotzkistische Gruppe, die CIQI, jetzt nicht mehr die Gewerkschaften unterstützt. Er meint, dass bei diesem Punkt die CIQI sich der "Kommunistischen Linken genähert" habe (eine Strömung, aus der die IKS hervorgegangen ist). Aber dieses Kriterium allein reicht nicht aus oder es ist nicht entscheidend für solch eine Annäherung. Gab es doch in Frankreich in den 1970er Jahren maoistische Organisationen wie die Proletarische Linke (welche die Zeitung "Cause du Peuple" herausbrachte), welche die Gewerkschaften auch als bürgerliche Organe ansahen, was sie aber nicht daran hinderte, sich auf Stalin und Mao zu berufen, welche zwei verschworene Feinde und Mörder der Arbeiterklasse waren!
Eine politische Position allein kann deshalb nicht über das Wesen einer Organisation entscheiden. Aus der Sicht der IKS gibt es grundsätzliche Kriterien. Die Unterstützung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus bedeutet, sowohl unmittelbar gegen die Ausbeutung anzukämpfen (bei Streiks zum Beispiel), als auch immer das historische Ziel vor Augen zu haben: die Überwindung des Ausbeutungssystems durch die Revolution. Dazu darf eine Organisation auf keine Weise irgendeinen Teil der Bürgerlichen (auch nicht auf "kritische", "taktische" Art oder unter dem Vorwand der Wahl des "geringeren Übels") unterstützen: weder die "demokratische" Bourgeoisie gegen die "faschistische" Bourgeoisie, weder die Linke gegen die Rechte, noch die palästinensische gegen die israelische Bourgeoisie usw.. Solche eine Politik hat zwei konkrete Auswirkungen:
1) Man muss jede Unterstützung von Wahlen und Zusammenarbeit mit den Parteien ablehnen, die das kapitalistische System verwalten oder als Verteidiger des Systems in der einen oder anderen Form tätig sind (Sozialdemokratie, Stalinismus, "Chavismus" usw.) .
2) Vor allem bei jedem Krieg muss man einen unnachgiebigen Internationalismus aufrechterhalten, indem man sich weigert, das eine oder andere imperialistische Lager zu unterstützen. Während des 1. Weltkriegs wie während aller Kriege im 20. Jahrhunderts haben all die Organisationen, die diese Politik nicht vertreten haben, den Boden des Kommunismus verlassen und eine der beteiligten imperialistischen Seiten unterstützt; sie haben dabei die Arbeiterklasse verraten und sind dabei endgültig ins Lager der Bürgerlichen gewechselt.
Die kurze Nachricht von JM wirft tatsächlich die Frage auf: Welchem Lager ordnet die IKS die Anarchisten und die Trotzkisten zu?
Die meisten Anarchisten berufen sich nicht auf den Marxismus und vertreten bei vielen Fragen ganz andere Positionen als die IKS. Jedoch wie JM bemerkte: "In euren Artikeln versucht ihr manchmal euch anderen politischen Gruppen anzunähern. Zum Beispiel den Anarchisten." In der Tat laufen seit einigen Jahren Diskussionen zwischen bestimmten anarchistischenen Gruppen oder Individuen und der IKS. Zum Beispiel arbeiten wir mit der KRAS in Russland zusammen (Sektion der anarcho-syndikalistischen AIT), wobei wir ihre internationalistischen Positionen z.B. gegenüber dem Tschetschenienkrieg veröffentlicht und begrüßt haben. Die IKS betrachtet diese Anarchisten, mit denen wir diskutieren, trotz unserer Differenzen als einen Teil des proletarischen Lagers. Warum? Weil sie sich von all den Anarchisten (wie denjenigen der Anarchistischen Föderation) und all jenen "Kommunisten" (wie denjenigen der KPF) abgrenzen, die theoretisch den Internationalismus beanspruchen, sich diesem aber in der Praxis widersetzen, indem sie bei jedem Krieg eine Kriegsseite gegen die andere unterstützen. Man darf nicht vergessen, dass 1914 bei Ausbruch des Weltkrieges und 1917 während der Russischen Revolution die "Marxisten" der Sozialdemokratie auf Seiten der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse standen, während die spanische CNT den imperialistischen Krieg anprangerte und die Revolution unterstützte! Aus diesem Grunde wurde sie übrigens zum 2. Kongress der Kommunistischen Internationale eingeladen.
Was die Trotzkisten betrifft, denken die meisten, die mit dieser Strömung sympathisieren, aufrichtig, sie kämpften für die Abschaffung des Kapitalismus (was auch viele innerhalb der anarchistischen Strömung denken). Die von der [in Frankreich jüngst gegründeten Partei] NPA angezogenen Jugendlichen sind oft echt empört über die Unmenschlichkeit dieses Ausbeutungssystems. Aber unser Leser sollte sich fragen, ob in Anbetracht der oben erwähnten "grundlegenden Kriterien" der Trotzkismus als Strömung (mit den Organisationen, die sich auf ihn berufen) nicht ins Lager der Bourgeoisie übergewechselt ist. Denn sie haben sich am 2. imperialistischen Weltkrieg auf der Seite der Résistance beteiligt, die UdSSR unterstützt (d.h. das russische imperialistische Lager), HoChiMinh im Vietnamkrieg und heute Chavez unterstützt. Weiter haben sie [in Frankreich] zur Wahl der Linken im zweiten Wahlgang bei den Wahlen aufgerufen (d.h. für Chirac 2002), sind Wahlbündnisse mit der KPF und der PS eingegangen (insbesondere bei Kommunalwahlen), haben gemeinsam eine Wahlkampagne zur Ablehnung des Referendums zur Europawahl im Mai 2005 gemacht.
Aber in Anbetracht dieser fälschlicherweise als proletarisch ausgegebenen, tatsächlich aber eindeutig bürgerlichen Politik ist es sehr wohl möglich, dass Arbeiter, auch wenn sie in diesen Organisationen aktiv sind, sich Fragen stellen und kraft ihres Nachdenkens dazu kommen, sich von diesen Organisationen zu lösen und proletarischen Positionen annähern. Während eine Organisation nicht als solche vom bürgerlichen ins proletarische Lager wechseln kann, ist es immer möglich, dass kleine Minderheiten oder – wahrscheinlicher - einzelne Leute, die sich individuell vom Nationalismus des Trotzkismus lösen, sich internationalistischen proletarischen Positionen nähern. Dies findet übrigens gegenwärtig zum Teil in Lateinamerika statt, wo die an der Macht befindlichen Linksextremisten (Chavez, Lula usw.) jeden Tag mehr ihr arbeiterfeindliches Wesen in den Augen bestimmter Minderheiten offenbaren.
Die IKS ist immer bereit, mit all diesen Leuten offen und mit Enthusiasmus zu diskutieren! Tibo, 16. Oktober 2009
1) Dieser "Kommentar" wurde ausgehend von einem Artikel zu den Kämpfen bei Freescale verfasst, die zwischen April und Juni stattfanden ("Freescale: Wie die Gewerkschaften die Bemühungen der Arbeiter zu kämpfen, sabotieren", Révolution Internationale, Nr. 404, Sept. 2009).
2) In unserer Presse sind wir auf diesen embryonalen Prozess eingegangen. Zwei Beispiele unter vielen: "Internationalistische Erklärung aus Korea gegen Kriegsdrohungen", und "Ein Treffen internationalistischer Kommunisten in Lateinamerika".
Links
[1] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/streiks-indien
[2] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/gurgaon
[3] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/manesar
[4] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/indischer-wirtschaftsboom
[5] https://es.internationalism.org/node/2589
[6] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/honduras
[7] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/zelaya
[8] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/chavez
[9] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/imperialismus-sudamerika
[10] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/mittelamerika
[11] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/lateinamerika
[12] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/imperialismus-brasilien
[13] https://de.internationalism.org/en/tag/leute/chavez
[14] https://de.internationalism.org/en/tag/leute/zelaya
[15] https://de.internationalism.org/en/tag/leute/lula
[16] https://webgsl.wordpress.com/
[17] mailto:mexico@internationalism.org
[18] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/lyfc
[19] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/arbeiterkampfe-mexiko
[20] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/luz-y-fuerza-del-centro-lyfc
[21] https://wsws.org/francais/News/2009/sep2009/opel-s19.shtml
[22] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/zusammenarbeit-revolutionare-gruppen
[23] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/trotzkismus
[24] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/anarchismus
[25] https://de.internationalism.org/en/tag/politische-stromungen-und-verweise/offizieller-anarchismus