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März 2010

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Die Profitjagd und ihre Opfer…

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Als am 15. Februar in Belgien zwei Nahverkehrszüge frontal zusammenstießen, dabei 19 Menschen getötet (darunter ein Lokführer) und mehr als 170 Reisende verletzt wurden, traten auf einen Schlag erneut die katastrophalen Sicherheitslücken bei den Eisenbahnen ans Licht.

Ob bei den Eisenbahnen

Als am 15. Februar in Belgien zwei Nahverkehrszüge frontal zusammenstießen, dabei 19 Menschen getötet (darunter ein Lokführer) und mehr als 170 Reisende verletzt wurden, traten auf einen Schlag erneut die katastrophalen Sicherheitslücken bei den Eisenbahnen ans Licht. Obwohl es in der Vergangenheit schon mehrere tödliche Unfälle mit ähnlichem Hintergrund gab, die Belgischen Eisenbahnen unter dem Druck der EU seit dem Jahre 2005 zur Einführung modernerer Sicherheitsstandards gezwungen wurden, wurde durch den Unfall bekannt, dass lediglich ein Drittel der belgischen Nahverkehrszüge über entsprechende Sicherheitseinrichtungen verfügt. Während die Eisenbahnen in Belgien zu den ältesten auf dem europäischen Kontinent gehören, seitdem 1835 die erste Eisenbahnlinie eröffnet wurde, und es immer noch das dichteste Eisenbahnnetz der Welt in diesem alten Industrieland gibt, sind nun, 175 Jahre später, immer noch nicht alle Züge mit den modernsten Sicherheitseinrichtungen ausgestattet, die z.B. ein Triebfahrzeug nach Überfahren eines Halt zeigenden Signals zum Halten bringen. Die schreiende Lücke zwischen dem, was heute technisch möglich ist, und der Wirklichkeit im Alltag, trat nicht etwa in einem Dritte-Welt-Land auf, sondern in einem der ältesten Industrieländer, dem Sitz der EU-Bürokratie usw. Auch in der führenden Industrienation Europas, Deutschland, lange Zeit Exportweltmeister dank seiner Hightech Produkte, führt der Druck der Krise und die grenzenlose Jagd nach Profiten immer mehr zu Gefährdungen der Sicherheit. Nach dem Achsbruch bei einem ICE-3 im Sommer 2008 muss die Deutsche Bahn AG bei einem Großteil der vorhandenen 250 ICE-3-Züge die Radsatzwellen tauschen – erwarteter Mehraufwand mehrere Hundert Mio. Euro. Unterdessen leben die Bewohner der Hauptstadt Berlin nunmehr seit Monaten mit den Gefahren und Folgen der Sparpolitik und Profitjagd bei der Deutsche Bahn AG. Der Bruch einer Radscheibe, der im Mai 2009 zur Entgleisung eines S-Bahn-Zuges führte, zwang zur Überprüfung sämtlicher S-Bahn-Parks in Berlin. Erste Prüfungen ergeben: "So habe das Unternehmen noch im Januar 2007, vor Ablauf der Verjährungsfrist, auf Nachbesserungen gegen über dem Hersteller verzichtet. Wartungsarbeiten an sicherheitsrelevanten Teilen wie Rädern und Bremssystemen seien unzureichend dokumentiert. Zentrale Unterlagen fehlten; offen sei, ob diese vernichtet wurden. Die Prüfer fanden zudem Hinweise auf Manipulationen bei Testfahrten oder deren Messergebnissen, die im Jahr 2005 die langfristige Haltbarkeit der Radscheiben nachweisen sollten. Diese Haltbarkeit habe aber womöglich nie bestanden, so die Meinung der Prüfer." (Berliner Zeitung, 19.2.10). Auch hier entstehen erwartete Mehraufwendungen von mindestens 350 Mio. Euro. Dass in den letzten Wochen schwere Güterzugentgleisungen stattfanden, zeigt nur, wie groß das Gefahrenpotenzial für weitere Unfälle ist. Wenn die Deutsche Bahn als „global player“ ihre Gelder in den Ankauf und Beteiligungen bei Eisenbahnen und anderen Logistikunternehmen weltweit anlegt, um Geld zu scheffeln, gleichzeitig ein marodes Schienennetz entsteht und störungsanfällige und/oder unzureichend gewartete Fahrzeuge im Umlauf sind, und der Konzern wegen seiner Profitjagd auf der einen Seite überall die Sparschrauben anzieht, auf der anderen Seite aber nicht zuletzt wegen Unfällen immer wieder kostspielige Nachrüstungen oder Reparaturen vornehmen muss, belegt dies nur, wie wahnsinnig kurzfristig und borniert das Kapital vorgeht. Die einzig richtige Reaktion zeigten die Eisenbahner in Belgien, die einen Tag nach dem Unfall in großen Teilen des Landes aus Protest gegen die Arbeits- und Sicherheitsbedingungen die Arbeit niederlegten.

Beim Kölner U-Bahn-Bau

Nachdem im März 2009 beim Kölner U-Bahn-Bau das historische Stadtarchiv und benachbarte Wohnhäuser einstürzten und dabei zwei Bewohner in den Tod gerissen wurden, haben erste Ermittlungen Zustände offengelegt, die bislang hauptsächlich in Ländern der Drittel-Welt gängige Praxis waren. Jetzt schon ist deutlich geworden, dass beim U-Bahn-Bau nur 17% der erforderlichen Stahlbügel angebracht wurden, d.h. 83% wurden nicht eingebaut. Ein Teil davon wurde an einer geplanten Haltestelle der U-Bahn von Arbeitern an einen Schrotthändler verkauft. Gewiss sind die Löhne niedrig und die Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen miserabel. Wenn es sich als wahr herausstellen sollte, dass sicherheitsrelevante Teile massenhaft von einigen Arbeitern nicht eingebaut und stattdessen verhökert wurden, sind dies Verhaltensweisen, welche die ethischen Maßstäbe der Arbeiterklasse verletzen. Sie stehen im Gegensatz zu dem Verhalten der Arbeiter in Belgien.

Bislang galt in den hochindustrialisierten Ländern die Einhaltung von gewissen Sicherheitsstandards als allgemein akzeptiert, weil für ein einigermaßen "reibungsloses" Funktionieren der Produktionsabläufe unverzichtbar. Wenn nun, wie aus den jüngsten Untersuchungsergebnissen beim Kölner U-Bahn-Bau ersichtlich, aufgeflogen ist, dass "massenweise falsche Protokolle, gestohlene und nicht eingebaute Sicherheitsbügel, illegale Brunnen, zu viel abgepumptes Brunnenwasser, immer wieder neue Risse in der Schlitzwand, vor allem aber auch fehlende Kontrollen", also "geschlampt, unterschlagen, vertuscht und systematisch gefälscht wurde" (Kölner Stadtanzeiger, 19.02.10), ist eine neue Stufe überschritten. Denn, selbst der Kölner Stadtanzeiger muss einräumen, dass solche Praktiken bislang hauptsächlich in Bananenrepubliken oder in Mafia-Kontrollierten Ländern gang und gäbe waren. Nunmehr droht Gefahr, dass solche Gebärden auch in den hochentwickelten Industriestaaten, die bislang nicht so von einer alle Strukturen durchdringenden Korruption geplagt waren, Einzug halten. Der Verdacht wurde erhoben, dass bei diversen Eisenbahnneubaustrecken ähnliche Methoden der Manipulation von Messprotokollen usw. praktiziert wurden (z.B. auf der Neubaustrecke München-Nürnberg). Dass dabei früher oder später Menschenleben drauf gehen werden, ist nur eine Frage der Zeit. Wer aber die Zeche dafür zu blechen hat, ist schon klar. Wenn solche Projekte nicht einfach zu einer Bauruine werden, müssen ungeheuer kostspielige Nacharbeiten erfolgen oder absurd teure Maßnahmen ergriffen werden, wie die Flutung der im Bau befindlichen Kölner U-Bahnstation Heumarkt, um ein Eindringen von Rheinwasser zu verhindern…

In der Luftfahrt

"Der Absturz eines Air-France-Airbus im Juni 2009 [mit 228 Menschen an Bord] offenbart nach SPIEGEL-Informationen eine gefährliche Sicherheitslücke, die alle derzeit zugelassenen Jets betrifft: Die Geschwindigkeitssensoren basieren auf Spezifizierungen von 1947 - noch vor Beginn des Düsenflugzeug-Zeitalters. Die fraglichen Sensoren, deren Vereisung sehr wahrscheinlich zum Absturz des A330 geführt hat, müssen nur bis minus 40 Grad Celsius funktionieren. Doch heutige Passagiermaschinen fliegen fast immer in Höhen, in denen deutlich niedrigere Temperaturen herrschen. (…) Vom Ausfall der Geschwindigkeitssensoren sind auch Boeing-Flugzeuge betroffen. Auf SPIEGEL-Anfrage bestätigte die für Boeing zuständige US-Zulassungsbehörde FAA acht solcher Zwischenfälle bei der 777, drei bei der 767 und jeweils einen bei der 757 und dem Jumbojet 747 (…) Während Airbus die Bedeutung der fehlerhaften Tempoanzeige beim Absturz der Air-France-Maschine offiziell herunterspielt, entwickelt der Konzern längst Techniken, die den Ausfall der Temposensoren erkennen und beherrschen helfen sollen. Am 3. Dezember 2009 meldete Airbus in den USA ein entsprechendes Patent an mit der Begründung, Fehler in der Geschwindigkeitsmessung könnten "katastrophale Folgen haben". Eine andere Technik kann bereits seit einigen Jahren als Sonderausstattung für Airbus-Maschinen bestellt werden. Nach SPIEGEL-Informationen lehnt es Air France bislang ab, das 300.000 Euro teure System namens "Buss" nachzurüsten. (www.spiegel.de/wissenschaft/technik/gefaehrdete-duesenflugzeuge-aufklaerung-von-air-france-absturz-offenbart-gefaehrliche-sicherheitsluecke-a-679180.html [1]). Während für den von Airbus konzipierten Militärtransporter A400 M ganz neue Systeme mit Milliardenaufwand entwickelt wurden, um für kriegerische Operationen besser gerüstet zu sein, steht der Schutz von Menschenleben in der zivilen Luftfahrt offensichtlich nicht auf der Prioritätenliste…

In der Autoindustrie rief der Gigant Toyota mehr als 8.5 Millionen Fahrzeuge erst in die Werkstätten zurück, nachdem allein in den USA mehr als 30 Menschen durch das technische Versagen zu Tode kamen, dessen Ursachen dem Hersteller bekannt waren, der aber zu spät einschritt.

Weil im Kapitalismus Profit an oberster Stelle steht, werden noch unzählige Opfer zu beklagen sein...

EB 26.2.10

 

 

 

 

 

 

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Eisenbahnunfall Belgien [2]
  • U-Bahn Skandal Köln [3]
  • Flugzeugabsturz [4]
  • Sicherheitsstandards im Kapitalismus [5]

Ein grosser Verlust für die IKS: der Tod unseres Genossen Jerry Grevin

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Mit grösstem Schmerz müssen wir unseren Lesern mitteilen, dass unser Genosse Jerry Grevin (der unter den Initialen JG Artikel schrieb) in den USA verstorben ist. Aufgrund eines akuten Herzinfarktes verstarb er am Nachmittag des 11. Februar. Für alle Genossen ist dies ein grosser Schock, besonders aber für die Genossen der amerikanischen Sektion welche mit ihm tagtäglich zusammenarbeiteten.

Viele Genossen kannten Jerry mit seiner tiefen Überzeugung und seinem Engagement für die Sache des Kommunismus seit mehr als 30 Jahren. Er begann in seiner Jugend mit der aktiven Beteiligung in der Anti-Vietnam Bewegung, bevor er in den 1970er Jahren in die IKS eintrat. In der IKS stand er immer mitten im Leben der amerikanischen Sektion, dies auch während der schwierigen Zeit welche die IKS in den 1990er Jahren durchlebte. Er spielte eine wichtige  und ermunternde Rolle, für die Leute, die mit der IKS in den USA in Kontakt traten. Alle Genossen die Jerry kannten, erinnern sich an seine Freude am Leben und an seinen Humor auch angesichts all der Schwierigkeiten, die das Leben mit sich bringt. Der Verlust des Genossen Jerry ist nicht nur ein Verlust für die amerikanische Sektion, es ist ein grosser Verlust für die gesamte IKS und die Arbeiterklasse.

Wir werden in unserer Presse nächstens einen längeren Nachruf auf den Genossen veröffentlichen. Wir bekunden aber jetzt schon unsere innige Solidarität an alle Genossen von Jerry, seine Familie und Freunde. Wir werden die revolutionäre Arbeit, von der er so begeistert und überzeugt war, mit Entschlossenheit weiterführen.

Griechenland, Spanien, Portugal… Bankrotte Staaten

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Griechenland, Portugal, Spanien, Irland, Frankreich, Deutschland, England… überall schlägt die Krise zu, überall stehen die Arbeiter vor den gleichen Angriffen. Die Botschaft der Herrschenden lautet: „Wenn ihr das Schlimmste verhindern wollt, die wirtschaftliche Katastrophe und den Bankrott, müsst ihr euch den Gürtel so eng schnallen wie noch nie zuvor.“ Sicher haben nicht alle Staaten gleichzeitig dieselbe Stufe erreicht und es sind nicht alle gleichzeitig zahlungsunfähig geworden, aber alle wissen, dass der Zug in diese Richtung fährt. Sie sind alle auf der Suche nach Möglichkeiten der Reduzierung der Defizite. Während die Herrschenden in einigen Staaten schon zum Angriff geblasen haben, bereiten sie in allen Ländern den Boden ideologisch vor.

Griechenland, Irland, Portugal, Spanien: Ein Vorgeschmack dessen, was die Arbeiter überall erwartet

Das griechische Sparpaket zur Senkung der öffentlichen Verschuldung ist sehr brutal und ungeheuer zynisch. Der griechische Finanzminister verlangte: „Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes müssen ihren Patriotismus beweisen und ein Beispiel setzen…“ Ohne Widerstand und Gegenwort sollten sie Gehaltssenkungen und Zulagenstreichungen, Stellenstreichungen, die Nicht-Ersetzung von in Rente gehenden Kolleg/Innen, die Erhöhung des Rentenalters auf 65 hinnehmen. All dies im Interesse der Verteidigung der nationalen Wirtschaft, ihres Ausbeuterstaates, ihrer Unternehmer und anderer Blutsauger der Arbeiterklasse. Alle Teile der herrschenden Klasse in Europa greifen den Herrschenden in Griechenland bei der Umsetzung des Sparprogramms unter die Arme. Der Arbeiterklasse soll international eingetrichtert werden: „Schaut euch Griechenland an, die Leute sind gezwungen, Opfer im Interesse des Landes zu bringen. Auch ihr müsst das Gleiche tun.“

Nach den US-Privathaushalten, nach den Banken, nach den Firmen ist jetzt die Phase angebrochen, wo die Staaten selbst von der Wucht der Wirtschaftskrise erfasst werden und viele von ihnen vor der Zahlungsunfähigkeit stehen. Das wiederum zwingt sie zu noch schärferen Angriffen. Drastische Einkommenseinbußen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Senkung der Kosten des „Faktors Arbeit“, unseres Lebensstandards im Allgemeinen, stehen überall auf dem Programm. Die gleichen Maßnahmenkataloge werden in Portugal, Griechenland, Spanien eingefädelt, und es ist ein offenes Geheimnis, dass nach den Wahlen in Großbritannien eine Welle von Sparbeschlüssen erwartet wird, idem in Deutschland nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Natürlich ist diese Entwicklung nicht auf die Euro-Zone beschränkt. In den USA ist die Arbeitslosenrate nach zwei Jahren Krisenbeschleunigung auf 17% hochgeschnellt, 20 Millionen zusätzliche Arbeitslose suchen Arbeit; 35 Millionen Menschen überleben nur dank Lebensmittelzuweisungen. Und jeden Tag wird die Lage schlimmer.

Die Staaten stehen vor ihrer eigenen Zahlungsunfähigkeit

Wie konnte es dazu kommen? Aus der Sicht der Herrschenden, insbesondere aus der Sicht des linken Flügels der Herrschenden ist die Antwort einfach und klar. Die Banken, die Geldhaie wie Goldman Sachs, J.P. Morgan usw. seien schuldig. Es stimmt, dass das Finanzsystem verrückt geworden ist. Es geht nur noch um unmittelbare Interessen, um die schnellstmögliche Realisierung von Profit, nach dem Motto – nach uns die Sintflut. Es ist mittlerweile bekannt geworden, dass Spekulationshaie und Banken die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands mit beschleunigt haben, indem sie auf dessen Bankrott gesetzt haben. Sie werden sicher die gleichen Tricks gegenüber Portugal und Spanien anwenden. Die großen Weltbanken und die Finanzinstitutionen sind wirkliche Geier. Aber dieses Finanzgebaren, das letztendlich selbstmörderisch wirkt, ist keineswegs die Ursache der Krise, sondern nur eine Folge davon (auch wenn dieses auf einer gewissen Stufe zu einem beschleunigenden Faktor wird).

Wie üblich tischen uns die Herrschenden Lügen auf; sie versuchen uns zu verwirren. Sie wollen unbedingt verhindern, dass die Verbindung zwischen der wachsenden Zahlungsunfähigkeit der Staaten und dem Bankrott des gesamten kapitalistischen Systems erkannt wird. Denn es lässt sich immer weniger leugnen: der Kapitalismus ist todgeweiht – und der Wahnsinn der Entwicklungen im Finanzbereich sind ein Ausdruck davon.

Als die Krise Mitte 2007 mit voller Wucht ausbrach und vor allem in den USA der Bankrott des Bankensystems offenbar wurde, geschah all dies als eine Folge von jahrzehntelanger Verschuldungspolitik, die von den Staaten selbst mit angefacht worden war, um künstliche Märkte für all die produzierten Waren zu schaffen. Aber als ab einer gewissen Stufe schlussendlich die Privathaushalte und die Firmen unter dem Druck der Schuldenlast nicht mehr in der Lage waren, ihre Schulden zurückzuzahlen, standen die Banken am Rande des Bankrotts – und mit ihr die gesamte kapitalistische Wirtschaft. Damals mussten die Staaten eingreifen und eine Reihe von Schulden der Privathaushalte und Banken übernehmen – auf Kosten von gigantischen, sündhaft teuren Rettungsmaßnahmen, um somit den weiteren Absturz in die Rezession zu verhindern.

Jetzt ist die Phase eingetreten, wo die Staaten selbst bis über die Ohren verschuldet sind und ihre eigenen Schulden nicht mehr bezahlen können (ohne dass dabei gleichzeitig die Privathaushalte gerettet worden wären) und selbst vor dem Bankrott stehen. Sicher ist der Staat kein privates Unternehmen, das pleite gehen kann und bei Zahlungsunfähigkeit einfach den Betrieb einstellt. Der Staat kann immer noch versuchen, sich noch mehr zu verschulden, noch mehr Geld drucken usw. Aber irgendwann kommt immer der Zeitpunkt, wo die Schulden – auch die eines Staates - beglichen werden müssen (oder zumindest die Zinsen bezahlt werden müssen). Diese Entwicklung wird in Griechenland, Portugal und Spanien deutlich. In Griechenland hat der Staat versucht, neue Kredite auf den internationalen Märkten aufzunehmen. Er erhält nur kurzfristige Kredite und die nur zu hohen Zinsen (mehr als 8%). Solch eine Zwangslage ist untragbar. Welche Lösung steht den Herrschenden offen? Überbrückungskredite von anderen Staaten? Vielleicht leihen andere Staaten Griechenland Geld, aber sie werden nicht dazu in der Lage sein, den jeweils folgenden Ländern wie Portugal, Spanien, England usw. ähnliche „Rettungspakete“ anzubieten. Ihnen wird einfach das Geld dazu ausgehen… Zudem wird diese ganze Politik der Rettungsmaßnahmen nur zu ihrer eigenen finanziellen Schwächung führen. Auch in den USA, die noch am meisten mit dem Dollar „spielen“ können, steigen die Staatsschulden unaufhörlich an. Die Hälfte der US-Bundesstaaten sind zahlungsunfähig. In Kalifornien bezahlt der Staat seine Bediensteten nicht mehr mit US-Dollars, sondern mit einer Art „lokaler Währung“, Gutscheine, die nur auf kalifornischem Territorium Geld wert sind.

Kurzum, egal welche Wirtschaftspolitik eingeschlagen wird, den Staaten gelingt es keineswegs, die Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Um Zeit zu gewinnen, haben sie keine andere Wahl als drastische Ausgabenkürzungen. Dies ist der Kern der Maßnahmen, die jetzt in Griechenland, Spanien, Portugal und morgen anderswo getroffen werden. Dies sind aber keine üblichen Sparpakete, wie schon mehrfach in der Vergangenheit verabschiedet wurden. Es geht jetzt mehr und mehr darum, den Preis für das Überleben des Kapitalismus der Arbeiterklasse aufzuhalsen. Bald werden wir wieder die langen Schlangen vor den Armenessen sehen, die in den 1930er Jahren so sehr das Leben prägten. Verarmung der arbeitenden Bevölkerung – das ist der einzige Weg, der für den Kapitalismus gangbar ist. Aber die Arbeiterklasse ist nicht bereit, diesen Weg ohne Widerstand zu beschreiten. (siehe dazu andere Artikel in dieser Zeitung). Tino, 26.2.2010

Aktuelles und Laufendes: 

  • Wirtschaftskrise [6]
  • Griechenland [7]
  • Spanien [8]
  • Krise in Portugal [9]
  • Staatsbankrott [10]

Öffentliche Diskussionsveranstaltungen in Marseille, Lyon und Grenoble: Mobbing, Arbeitsstress – wie darauf reagieren?

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Im Januar und Februar hat die IKS in Frankreich und in Deutschland Diskussionsveranstaltungen zum Thema "Selbstmord am Arbeitsplatz- eine einzige Antwort – Solidarität der Arbeiterklasse " organisiert. In unserem Einladungsaufruf schrieben wir:

"In den letzten Monaten wurde unter der Rubrik "Verschiedenes" ein Ereignis von den Medien groß herausgehoben: die Welle von Selbstmorden am Arbeitsplatz, insbesondere bei France Télécom. Der Arbeitsstress nimmt für viele Beschäftigte dermaßen zu, dass sie als Einzelne verzweifelt reagieren. Dies ist kein neues Phänomen, es trat Ende de 1980er Jahre in Erscheinung, als die Herrschenden ihre Kampagne zum "Tod des Kommunismus" und dem "Ende des Klassenkampfes" anleierten.

Welche Erklärung für diesen neuen Ausdruck des Zerfalls des Kapitalismus?

Wie gegenüber der Verschärfung der Ausbeutungsbedingungen und der gefährlichen Tendenz des "jeder für sich" reagieren?

Kommt und beteiligt euch an unserer Diskussionsveranstaltung zu diesem Thema!!"

Nachfolgend fassen wir kurz die Diskussionen, die hierzu in Lyon, Marseille und Grenoble stattfanden, zusammen. In diesen Diskussionen haben viele Teilnehmer über ihre Arbeitsbedingungen und den wachsenden Arbeitsstress berichtet, unter dem sie selbst und ihre Freunde und Angehörigen leiden.

Der Arbeitsstress nimmt immer mehr zu

Auf diesen Treffen wurde der „Arbeitsstress“ nicht nur als ein theoretisch zu vertiefendes Thema aufgegriffen, sondern auch und vor allem als eine echte, leidvolle Erfahrung.

Zwei Fragen standen im Vordergrund der Diskussionen.

· Wird die Zuspitzung der Wirtschaftskrise der Tendenz des “jeder für sich” weiter Auftrieb verschaffen oder im Gegenteil eine größere Einheit und eine aufkeimende Solidarität entfalten? Eine junge Studentin meinte: „Wovor ich Angst habe, ist dass sich jeder in Anbetracht der Zuspitzung der Wirtschaftskrise in seine eigene Ecke zurückzieht. Die Konkurrenz spitzt sich auch weiter zu. Aber trotzdem bin ich nicht pessimistisch, denn ich meine, man müsste die Gesellschaft umwälzen, wir stehen irgendwie am Rande eines Abgrunds“.

· Was tun, wie dem wachsenden Druck widerstehen, die einige zu den schrecklichsten Reaktionen führt wie zum Selbstmord am Arbeitsplatz?

Viele Beispiele von Mobbing am Arbeitsplatz wurden, oft mit ergreifenden Gefühlen, geschildert. „In unserer Firma haben wir schon mehrere Umstrukturierungen durchgemacht. Tagtäglich werden wir gemobbt, viele von uns sind deprimiert, im Augenblick verspürt man keine Solidarität unter Kollegen. Gegenwärtig hat man das Gefühl die Leute sind wie gelähmt, aber ich glaube, die Verschärfung der Wirtschaftskrise wird die Leute dazu zwingen zu reagieren.“ So die Schilderung einer jungen Frau, die seit mehreren Jahren in einer ‚high-tech‘ Branche arbeitet, deren Beschäftigte oft als die privilegierte Elite der Ingenieure angesehen werden. In Wirklichkeit sind deren Beschäftigte genauso von der Krise betroffen. Sie stehen unter einem enormen Leistungsdruck und es wird von ihnen ein riesiges Arbeitspensum erwartet. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass ein junger Gymnasiast, zukünftiger Lohnempfänger, die gleiche Idee des zunehmenden Einflusses der Wirtschaftskrise aufgriff. „Ich diskutieren mit meinen Kumpels auf dem Gymnasium, im Augenblick merken sie die Krise noch nicht so sehr. Ihnen geht es noch einigermaßen gut, aber wenn die Verarmung zunehmen wird, werden auch sie gezwungen zu reagieren.“

Auch das Beispiel von Abteilungsleitern wurde gegeben, die unter einem starken Druck stehen und diesen in “ihre” Abteilungen weitergeben müssen. „In den Betrieben des öffentlichen Dienstes, in denen es zwar auch Unterschiede zwischen den Angestellten und den Führungskräften gibt, entstehen manchmal Diskussionen; denn es ist so offensichtlich, dass auch sie einem gewaltigen Druck ausgesetzt sind, was bei ihnen oft Depressionen auslöst. Ein Beispiel dafür sind die Selbstmorde bei France Télécom, die dies an den Tag gebracht haben.“ Dies schilderte ein Beschäftigter, der aufzeigte, wie sich Ansätze von Solidarität in seiner Abteilung zeigten. Ein Teilnehmer, der auch Freunde hat, die bei France Télécom arbeiten, veranschaulichte die "neue Managementmethode „Time to move“, die dazu führt, dass jeder nach drei Jahren die Stelle wechseln muss. Die Chefs erhalten jedes Mal eine Prämie von 3000 Euro, wenn jemand versetzt wird".

Ist es möglich, zu ‘menschlicheren Managementmethoden’ zurückzukehren? Hier die Reaktion einer Studentin einer Handelsschule: „In unserer Schule spricht man davon, dass das Management dazu angeleitet werden soll, eine größere ‚emotionale Intelligenz‘ zu zeigen. Dadurch könne man sich besser auf die Menschen konzentrieren, besser auf die Fähigkeiten eines jeden eingehen.“ Die Antwort der meisten Teilnehmer war eindeutig. Die Entwicklung der Wirtschaftskrise wird immer brutalere Methoden hervorbringen, und wir wissen alle, dass die "psychologischen Stützpunkte", die von den Arbeitgebern eingerichtet werden, wie ein Pflaster auf einer Prothese funktionieren. Diese Studentin wollte, sobald sie ins Berufsleben eintritt, dem Alltagstrott des „Aufstehen, zur Arbeit fahren, arbeiten, erschöpft nach Hause usw.“ entkommen. Aber man kann nicht wirklich davor flüchten. Eine andere Teilnehmerin entgegnete ihr: „Natürlich möchten wir alle irgendwie gerne auf dem Lande leben und dort Viehzucht betreiben und den ganzen Tag vielleicht nur Marx lesen, aber es gibt keinen individuellen Ausweg aus dem kapitalistischen System. Die ganze Bevölkerung leidet unter dem System.“

In den Treffen waren Teilnehmer mit einem hohen Bildungsabschluss (Ingenieure, Mediziner), deren Erfahrung sich nicht unterschied von der Erfahrung von Beschäftigten, die in Fabriken oder bestimmten Verwaltungen arbeiten. Denn durch die Absenkung ihres Lebensstandards und aufgrund der Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen kommt es zu einer beschleunigten Proletarisierung derjenigen, die vor einigen Jahren noch meinten, sie gehörten einer „Elite“ und keineswegs der „Arbeiterklasse“ an.

Nur Solidarität in den Büros, den Fabriken, den Verwaltungen usw. ermöglicht uns zu handeln

Die Anwesenden unterstrichen deutlich, dass nur Solidarität im Kampf hilft, die unerträgliche Isolierung eines jeden Beschäftigten zu überwinden. Einige konkrete Vorschläge des gemeinsamen Widerstands gegenüber Mobbing und dem Druck des Kapitals wurden aufgegriffen: man darf nicht zögern, öffentlich gegenüber unhaltbaren Zuständen zu reagieren, wenn diese sich gegen einen einzelnen Beschäftigten oder eine Gruppe richten. Man muss mit seinen Kolleg/Innen über die Zustände reden, man darf nicht isoliert in seiner Ecke hocken bleiben und weitere Angriffe abwarten…

Die kapitalistische Gesellschaft ist dazu gezwungen, die Konkurrenz und das jeder für sich zu verschärfen; dem müssen wir mit unserer Solidarität entgegentreten, das Vertrauen untereinander aufbauen und somit all die falschen Spaltungen überwinden und all den Verschlechterungen entgegentreten, denen wir alle ausgesetzt sind.

In den Diskussionen hat die IKS auf die Beispiele von Arbeiterkämpfen verwiesen, die im 19. Jahrhundert spontan ausbrachen, um sich gegen den Druck, der auf einzelne Kollegen ausgeübt wurde oder Demütigungen zu wehren. Seit einigen Jahren hat es auch Solidaritätsbekundungen in bestimmten Kämpfen gegeben, so zum Beispiel während der Bewegung gegen den CPE in Frankreich 2006, in Vigo (Spanien) 2006 und in Ägypten, in England und anderswo. Diesen Weg müssen wir beschreiten. Ein Teilnehmer schilderte, wie er von den Vollversammlungen beeindruckt war, die bei Caterpillar stattfanden, an denen sich alle Beschäftigten beteiligten.

Auf den Redebeitrag eines Gewerkschaftsaktivisten, der behauptete, "die Gewerkschaften müssen gegenüber der mangelnden Solidarität eine große Rolle spielen. Sie müssen in den Betrieben aktiv werden, um gesellschaftliche Beziehungen aufzubauen, nur so lässt sich was durchsetzen", antworteten die anderen Teilnehmer, dass die Beschäftigten Selbstvertrauen gewinnen müssen und spontan mit anderen Beschäftigten reagieren sollten, z.B. in ihrer Abteilung, im Büro, in der Schule, im Krankenhaus usw., und dass man keineswegs die sogenannten Spezialisten des Kampfes brauche. Eine andere junge Frau betonte: "Selbst wenn das "Recht auf Arbeit" nach dem 2. Weltkrieg eingeführt wurde, um die Arbeiter besser zu kontrollieren, müsste man dennoch diese Gesetzgebung nicht verteidigen?" Die anderen Teilnehmer entgegneten wiederum, es sei eine Illusion dies zu glauben, da die herrschende Klasse und ihre Regierungen seit langem die Rechte der Beschäftigten untergraben. Arbeits- oder Schiedsgerichte, deren Macht immer mehr beschnitten wird, sind kein Austragungsort für die Verteidigung der Arbeiterklasse, die sich für ihren Kampf zusammenschließen muss (auch wenn in Einzelfällen ein Beschäftigter an ein Arbeitsgericht appellieren kann). Ein anderer junger Beschäftigter warf die Frage auf: "Ich mag meine Arbeit, aber ich habe die Nase voll davon, immer unter Druck gesetzt zu werden. Im Gegensatz zu dem, was meine Großmutter mir sagte, die von einer früher existierenden gewissen Menschlichkeit unter den Beschäftigten sprach, erwartet man heute von den Beschäftigten so zu denken wie die Unternehmen."

In der Diskussion wurde ebenfalls hervorgehoben, wenn sich jemand auf der Arbeit umbringt, hat dies eine besondere Bedeutung. Diese hebt sich davon ab, wenn sich jemand z.B. zu Hause das Leben nimmt. Ein Selbstmord auf der Arbeit spiegelt die radikalste Form der Ablehnung der aufgezwungenen Arbeitsbedingungen wider. Wenn sich immer mehr Leute am Arbeitsplatz umbringen, steht dies im Zusammenhang mit der Verschlechterung der Bedingungen in der gesamten Gesellschaft. Aus der Sicht eines Teilnehmers: "Auch wenn man keine besondere Lehre aus den Selbstmorden am Arbeitsplatz ziehen kann, bringt dies die allgemeine Desorientierung der Gesellschaft zum Ausdruck."

Am Ende der Diskussion haben wir wie üblich die Teilnehmer in einer Schlussrunde um eine Einschätzung der Diskussion gebeten. Die Gelassenheit und manchmal auch die Emotionalität in der Diskussion wurden von den Teilnehmern begrüßt. Vor allem die Notwendigkeit einer einheitlichen und solidarischen Handlungsweise wurde von allem betont. Die Stärke der Arbeiterklasse liegt in ihrer Fähigkeit, sich in ihren Kämpfen immer massiver einzubringen, ihr Bewusstsein zu entwickeln, dass sie gemeinsam stark und in der Lage ist, eine Welt ohne Ausbeutung, ohne Konkurrenz, ohne Mobbing aufzubauen – den Kommunismus! IKS, 12.2.2010

1 [11] Wir haben unsere Analyse dieses ‘Gesellschaftsphänomens’, wie die Journalisten es bezeichnen, in einem langen Artikel in unserer Presse dargestellt. Siehe unsere Webseite.

Aktuelles und Laufendes: 

  • Arbeitsstress [12]
  • Mobbing [13]
  • Arbeitsdruck [14]

Source URL:https://de.internationalism.org/en/node/2623

Links
[1] https://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/gefaehrdete-duesenflugzeuge-aufklaerung-von-air-france-absturz-offenbart-gefaehrliche-sicherheitsluecke-a-679180.html [2] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/eisenbahnunfall-belgien [3] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/u-bahn-skandal-koln [4] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/flugzeugabsturz [5] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/sicherheitsstandards-im-kapitalismus [6] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/wirtschaftskrise [7] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/griechenland [8] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/spanien [9] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/krise-portugal [10] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/staatsbankrott [11] https://fr.internationalism.org/icconline/2010/reunions_publiques_a_marseille_lyon_et_grenoble_harcelement_pressions_au_travail_comment_y_resister.html#sdfootnote1anc [12] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/arbeitsstress [13] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/mobbing [14] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/arbeitsdruck