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November 2012

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Die Streikwelle in Südafrika: Gegen den ANC und die Gewerkschaften

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In den vergangenen drei Monaten waren 80.000 Bergarbeiter in Südafrika in einer Welle von wilden Streiks in den Gold-, Platinum- und Kohlebergwerken beteiligt gewesen. Wir haben in der Weltrevolution Nr. 175 bereits über das Massaker an 34 Bergarbeitern in Marikana berichtet („Massaker in Südafrika: Die Herrschenden hetzen ihre Bluthunde auf die Arbeiter“). Wir wiesen darauf hin, wie Gewerkschaften und Regierung zusammen gegen die Arbeiterklasse agierten. Damals war noch nicht klar, in welche Richtung sich die Ereignisse entwickeln würden. Seither haben wir die größte Streikwelle seit der Machtergreifung durch den ANC 1994 erlebt.

Südafrika wird gerne als das „wirtschaftliche Kraftzentrum“ Afrikas dargestellt, das den Kontinent bei der Industrieproduktion und der Produktion von Mineralien anführt. Und dennoch, wenn man die Bedingungen betrachtet, unter denen die Mehrheit der Menschen lebt, mit einer – offiziell – 25%igen Arbeitslosigkeit und einer Kinderarmutsquote von über 50 Prozent, und dies in einer Gesellschaft, die allgemein als eine der ungleichsten in der Welt geschildert wird, so ist es nicht weiter verwunderlich, dass die ArbeiterInnen sich zur Wehr setzen. Hinter allen „Wirtschaftswundern“ stecken wachsende Verarmung und widerstreitende Klasseninteressen. Die Kämpfe in Südafrika zeigen, dass dieses Land keine Ausnahme darstellt.

Die Fortsetzung des Kampfes

Die Bergarbeiter von Marikana setzten ihren Streik noch weitere sechs Wochen fort, bis ein Vertrag unterschrieben wurde. Dabei wurde ein Schlaglicht auf die Bedingungen der ArbeiterInnen in Südafrika geworfen, auf die Armut und Entbehrungen in den Townships, auf das Elend in den Bergarbeiterlagern und vor allem auf die Lüge, dass die ANC-Regierung etwas anderes repräsentiert als eine kapitalistische Regierung; so wie das frühere Apartheid-Regime ist sie jederzeit bereit, streikende Bergarbeiter niederzuschießen.

Der Tarifabschluss der Bergarbeiter beinhaltete 11-22%ige Lohnerhöhungen und einen einmaligen Zuschlag in Höhe von 2.000 Rand (rund 180 Euro). Mineure (die meist gefährdeten Maschinisten im Bergbau) erhielten den größten Lohnzuwachs.

Ein Streik bei der Anglo American Platinum (Amplats), dem größten Platin-Produzenten der Welt, der nun schon sieben Wochen andauert, führte bereits zur Schließung von fünf Minen bei Rustenburg. Einmal feuerte die Firma 12.500 Arbeiter auf einen Schlag – 40 Prozent ihrer Arbeitskräfte. Bei Unruhen sind neun Menschen umgekommen. Es gab eine Reihe von Zusammenstößen zwischen Arbeitern und der Polizei – bei mindestens einer Gelegenheit setzte die Polizei Tränengas, Blendgranaten, Gummigeschosse und scharfe Waffen ein. Wie die südafrikanische Mail and Guardian am 2. November meldete: „Der Streik hat bisher mehr als drei Dutzend Verhaftungen und nicht mehr  als ein einmaliges Angebot von 2.000 Rand wie auch Darlehen in Höhe von 2.500 Rand erbracht, die im Januar zurückerstattet werden müssen.“

Neben den Aktivitäten der verschiedenen Gewerkschaften wurden Streik- und Schachtkomitees gebildet. Letztere trafen zusammen, „um Möglichkeiten zu diskutieren, dem Streik mehr Nachdruck zu verleihen“. Es hat sich eine Menge Unmut über die Gewerkschaften zusammengebraut, insbesondere als eine geheime Abmachung, die Letztere mit dem Konzern getroffen hatten, bekannt wurde. Das Hauptstreikkomitee lehnte die Abmachung ab. Auch im o.g. Artikel wird der Zorn über die Gewerkschaften ersichtlich; so berichtet er, dass „ein NUM-Büro am Khuseleka-Schacht in Brand gesetzt wurde, möglicherweise als Ausdruck des Zorns über die Antwort des Managements und das Beharren der NUM, dass sie die Wiedereinstellung der Amplats-Streikenden gesichert habe“.

Als der Führer der südafrikanischen Kommunistischen Partei zusammen mit Führern der Bergarbeitergewerkschaft (NUM) und der COSATU-Föderation versuchte, ein Massentreffen im Rustenburger Olympiastadion abzuhalten, musste er feststellen, dass „über 1.000 streikende Amplats-Kumpels frühzeitig erschienen waren und den Veranstaltungsort übernommen hatten“ (Daily Maverick, 27. Oktober). „Sie marschierten ins Stadion (…) Nachdem sie Hüte, Schale und andere Devotionalien des ANC und der COSATU geschändet hatten, zogen sie sich wieder zurück.“ Die protestierenden Streikenden trugen T-Shirts mit der Aufschrift „Erinnert euch an die Getöteten von Marikana“ und „Vorwärts zu einer menschenwürdigen Entlohnung: 12.500 Rand!“ und Plakate, auf denen zu lesen war: „Wir sind hier, um die NUM zu beerdigen“ und „Ruhe in Frieden, NUM“. Die Polizei, die unvermindert die Streikenden attackierte und die Gewerkschaftsbonzen schützte, demonstrierte deutlich, dass Arbeiter und Gewerkschaften sich auf unterschiedlichen Seiten befinden.

In der Zwischenzeit kämpft Amplats darum, 30.000 Arbeiter zurück zur Arbeit zu bewegen, nachdem Einschüchterung und etliche Vergleiche andere Streiks beendet hatten. Sie hatten jenen, die sich am Streik beteiligt hatten, „Härtezulagen“ angeboten und „Treuezulagen“ jenen, die sich nicht am Streik beteiligt hatten.

Bei AngloGold Ashanti (der drittgrößte Goldbarren-Produzent der Welt) legten Ende September 35.000 Arbeiter das Werkzeug nieder und begannen einen illegalen Streik, der fast einen Monat lang andauerte. Und nach dem Vergleich gab es weitere Sitzstreiks für die frühe Auszahlung eines Zuschlags, an denen Hunderte von Arbeiter beteiligt waren.

In der Gold One’s Aurora Goldmine in Modder East nahe Johannesburg schossen Sicherheitsleute auf 200 Bergarbeiter und töteten dabei vier Streikposten. Diese Mine soll sich im Besitz des Neffen von Jacob Zuma und des Enkels von Nelson Mandela befinden.

Die Gold Fields‘-Mine blieb nach einem Streik geschlossen, da das Unternehmen gegen die Berufung von 8.500 Arbeitern prozessierte, die wegen eines illegalen Streiks gefeuert worden waren. Insgesamt wurden zwölftausend Bergarbeiter von der Gold Fields‘ KDC East entlassen, weil sie sich geweigert hatten, die Arbeit wieder aufzunehmen.

Unter den mehr als fünfzig Getöteten waren zwei Personen von den Sicherheitsleuten der Forbes Coal erschossen worden. Streikende Bergarbeiter wurden in ein Township in der Provinz KwaZulu-Natal hineingejagt, wo die Wachleute auf die Arbeiter feuerten. Dies zeigt die ganz normale repressive Seite der Bourgeoisie.

Indes stimmte Coal of Africa nach den höheren Abschlüssen in Marikana einer 26%igen Lohnerhöhung (einschließlich Zuschüsse) für die Arbeiter ihrer Mooiplaats-Zeche zu. Gleichzeitig wurde bei jeder Gelegenheit damit gedroht, dass hohe Lohnsteigerungen zu einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit führen könnten.

Falsche Freunde – in den Gewerkschaften und darüber hinaus

Die herrschende Klasse Südafrikas blufft nicht. Sie ist von der echten Sorge über die Auswirkungen der Streikwelle getrieben. Die Bergbauindustrie erlebte infolge der Weltrezession bereits den Absturz ihrer Aktienkurse, die seither noch tiefer fielen. Die südafrikanische Wirtschaft ist gegenüber der gegenwärtigen Rezession nicht immun. Die weltweite Rezession führte bereits zu drastischen Kürzungen in der Förderung von Platin und Palladium, kostbaren Metallen, die in der Autoindustrie benötigt werden. Selbst im noch nicht lange zurückliegenden Mineralienboom ist die Produktion dieser Metalle jährlich um ein Prozent gekürzt worden. Der Ausstoß ist mittlerweile auf den niedrigsten Stand seit 50 Jahren gefallen.

Angesichts der Krise sind der ANC und die NUM ein dreiseitiges Bündnis mit den Minenbesitzern eingegangen. Es geht nicht nur darum, dass die Führer des ANC und der NUM beträchtliche Investitionen in den Bergbaugesellschaften getätigt haben und diese nun schützen wollen. Es ist ein integraler Bestandteil ihrer gesellschaftlichen Rolle, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Interessen ihrer bürgerlichen Partner zu schützen, sich der Ausbreitung der Aktionen der Streikenden  entgegenzustellen und alles zu tun, um zu vermeiden, dass der Funke überspringt.

Vom Beginn der Streikwelle an haben die involvierten Gewerkschaften danach getrachtet, die Arbeiter in ihrem Kampf für menschenwürdige Löhne zu spalten. Nach dem Marikana-Massaker wurde ein Treffen organisiert. Am 28. August berichteten die SABC News: „Einer der fünf Delegierten, die von den Lonmin-Kumpels auserwählt worden waren, Zolisa Bodlani, sagte, die Arbeiter seien skeptisch hinsichtlich des morgigen Treffens zwischen der Arbeitsministerin Mildred Oliphant, den Gewerkschaften, dem Management und Arbeitervertretern. Die Arbeiter glauben, die Gewerkschaften hätten sie im Stich gelassen und nicht ihre Interessen vertreten, genauso wenig wie das Management, das von Bodlani des Unwillens bezichtigt wurde, sich vor der fatalen Tragödie letzte Woche, die zum Tod von 44 Menschen führte, mit den Arbeitern zu treffen. Bodlani äußerte dies in einem Interview auf SAfm’s AM Live heute Morgen.

‚Wir sind nicht sicher, ob wir das morgige Treffen aufsuchen. Sie versprachen uns heute, dass wir die Arbeitsministerin treffen werden – wir haben Fragen an sie – wir möchten wissen, warum sie beschlossen haben, uns zusammen mit den Gewerkschaften zusammenzurufen. Wir sind nicht gewillt, mit den Gewerkschaften zussammenzuarbeiten. Wir haben unsere Gründe, aber wir wollen sie jetzt nicht preisgeben. Wir glauben ebenfalls, dass unsere Gewerkschaften uns seit langem im Stich gelassen haben. Wir werden keinen Gebrauch von ihnen machen. Wir möchten keiner der Gewerkschaften beitreten‘, sagt Bodlani.“

Neben den Gewerkschaften gibt es noch weitere falsche Freunde, derer sich die Arbeiter bewusst sein müssen, beispielsweise Ex-ANC-Führer wie Julius Malema, der behauptet, eine Alternative anbieten zu können. Er missbrauchte den Streik für seine eigenen Zwecke. Einerseits wirbt er für einen landesweiten Bergarbeiterstreik und sagt, dass ein „Kampf um Leben und Tod“ notwendig sei; andererseits drängt er auf Verstaatlichungen. Er erklärte: „Sie haben euch das Gold gestohlen. Nun seid ihr an der Reihe.“ Doch Verstaatlichungen bedeuten nicht eine Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen der Kumpel. Sie bedeuten lediglich staatliche Kontrolle – Kontrolle durch den kapitalistischen Staat.

Nicht die Tatsache, dass er in seinem Mercedes-Benz-SUV aufkreuzt, um sich an die Bergarbeiter zu wenden, macht Malema zum Sprecher der Bourgeoisie; es ist die Ideologie, die er verbreitet. Man kann dies daran ablesen, wie er „den Lonmin-Boss und das ANC-Schwergewicht Cyril Ramaphosa – ein führender Gewerkschafter während der Herrschaft der weißen Minderheit – als Marionette der Weißen und Fremden porträtiert hat“ (BBC News, 12. September). In dieser Sichtweise sind die „Weißen und Ausländer“ die Feinde. In Wahrheit steht Ramaphosas Weckruf gegen die Lonmin-Arbeiter auf einer Linie mit seinen Aktivitäten im ANC und in den Gewerkschaften – die Verteidigung der nationalen Interessen gegen die Interessen der Arbeiterklasse.

Die gegenwärtige Streikwelle in Südafrika scheint sich dem Ende zuzuneigen. Für künftige Streiks wird es ganz wesentlich sein, dass sich die ArbeiterInnen über die Notwendigkeit im Klaren sind, dass sie sich auf ihre eigenen Bemühungen verlassen müssen.

M/C/EIG   3.11.2012

Geographisch: 

  • Südafrika [1]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Streikwelle in Südafrika [2]

Die Türkei, Syrien und der Krieg

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Erst kürzlich wurde die türkische Tagesordnung um die Möglichkeit eines Krieges mit Syrien erweitert; eine Situation, die mehr oder weniger weiter vorherrscht. Nach dem Tod von fünf Zivilisten in der Stadt Akçakale nahe Urfa hat die Regierung im Handstreich Syrien in das neue Gesetzesvorhaben mit einbezogen, das sie vorbereitet, um sich das Recht einzuräumen, militärisch in den Irak zu intervenieren. Dieses Vorhaben wurde dahingehend modifiziert, dass es der Regierung nun ermöglicht, ganz allgemein im Ausland militärisch einzugreifen. Es wurde ebenfalls erklärt, dass die Türkei begonnen habe, syrisches Territorium unter Beschuss zu nehmen. Als der türkische Ministerpräsident Erdoĝan und Mitglieder seiner Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) sich anschickten, offen die Möglichkeit der Kriegsoption anzusprechen, traten die Todesengel unter der bürgerlichen türkischen Presse schnell auf den Plan, um jeden, der sich dem Krieg widersetzte, der Feigheit zu bezichtigen.

 Trotz alledem bleibt unklar, was wirklich geschehen war. Es hat sich herausgestellt, dass das türkische Grenzgebiet bereits vor dem Angriff gegen Akçakale das Ziel von Bombenangriffen gewesen war, wobei diese keine Opfer gefordert hatten. Darüber hinaus ist es nicht wirklich sicher, wer für diese Bomben oder für die Bombardierung Akçakales verantwortlich ist. Die Reaktion der syrischen Regierung war: abstreiten, erklären, dass sie eine Untersuchung einleiten werde, bekunden, wie sehr sie den Tod der Opfer bedaure, und Beileidsbekundungen gegenüber den Angehörigen der Verstorbenen, also die Leugnung jeglicher Verantwortung für die Bombardierung. Der Teil Syriens, der nun von der Türkei bombardiert wird, ist andererseits ein Gebiet, in dem die Kampfhandlungen zwischen der Freien Syrischen Armee (FSA) und dem Assad-Regime ziemlich intensiv sind und das sich größtenteils unter der Kontrolle der FSA befindet. Es hat den Anschein, dass die Türkei unter dem Deckmantel der Vergeltung auf ähnliche Art auch auf die früheren Bombardierungen geantwortet hatte. Schnell folgten Behauptungen, wonach die Granaten von dem von der FSA kontrollierten Gebiet aus abgefeuert wurden, dass die Granaten von der NATO produziert worden waren und nicht von den Streitkräften des Assad-Regimes benutzt werden und dass in Wirklichkeit die FSA die Granaten abgefeuert habe.

Es ist offensichtlich, dass diese Behauptungen Sinn machen. Es wäre für das syrische Regime nicht sehr plausibel, das türkische Grenzgebiet zu bombardieren, eine Handlung, die natürlich die Feindschaft der Türkei gegen das Assad-Regime vergrößern würde, das gleichzeitig einen ausgewachsenen Bürgerkrieg gegen die FSA ausfechten muss und sunnitische Dissidenten auf extrem brutale Weise unterdrückt. Abgesehen davon, hat Syrien nichts aus solchen Bombardierungen und der Tötung einer Handvoll Zivilisten in Akçakale zu gewinnen. Andererseits lässt sich unschwer erkennen, dass diese Bombardierungen sich durchaus zum Vorteil der Erdoĝan -Regierung und der FSA entwickeln, indem sie der Türkei die legale Basis verleihen, der FSA die so dringend benötigte strategische Luftunterstützung gegen Assad zu geben, und indem sie Erdoĝan  in die Lage versetzten, das Kriegsermächtigungsgesetz durchs Parlament zu bringen und die bellizistischen Nationalisten zu stärken. Es spricht viel dafür, dass die FSA diesen Angriff in Abstimmung mit und unter der Regie der Türkei unternahm.

Dennoch bleibt trotz der Stimmungsmache der Regierung für den Krieg eine türkische Invasion in Syrien eher unwahrscheinlich. Der erste Grund hierfür ist, dass der türkische Staat bereits in einem Krieg im türkischen Kurdistan verwickelt ist und, weit davon entfernt, ihn zu gewinnen, nur schlecht vorankommt. Zurzeit gibt es Territorien innerhalb der Grenzen des türkischen Staates, die von der nationalistischen kurdischen PKK (Kurdische Arbeiterpartei) kontrolliert werden, die die türkische Armee über den Landweg nicht betreten kann und die sich, wenn auch langsam, vergrößern. Es wäre für einen Staat, der solch einen Krieg innerhalb seiner eigenen Grenzen führt, nicht sehr plausibel zu versuchen, in ein anderes Land einzudringen.

Der zweite und wichtigere Grund ist, dass die Arbeiterklasse nicht kämpfen will, ja sogar eine gewisse Haltung gegen die Idee eines Krieges zeigt. Wir können etliche Beispiele aus jüngerer Zeit zitieren. Das erste sind die Antikriegsdemonstrationen und Zusammenstöße in der Stadt Hatay (wo sich die Lager für die syrischen Flüchtlinge befinden), an denen sich mehr als 10.000 Menschen beteiligten. Eine ultra-nationalistische Konstruktion namens „Arbeiterpartei“ hatte für den 16. September zu einer Demonstration unter dem Motto: „Syrer und Türken sind Brüder“ aufgerufen. Obwohl der Gouverneur von Hatay die Demonstration offiziell verboten hatte, versammelten sich Tausende von Menschen, die keinerlei Beziehungen zu irgendwelchen politischen Organisationen pflegten, im angemeldeten Demonstrationsareal. Diese Massen stritten mit den Repräsentanten der „Arbeiterpartei“ und drängten sie letztendlich aus der Demonstration, nachdem die angeblich regimekritischen Mitglieder der „Arbeiterpartei“ eine Presseankündigung verbreiteten, in der sie die Massen aufforderten, nach dem Ende der Demonstration auseinanderzugehen. Die Einwohner von Hatay wurden von der Polizei attackiert, nachdem die Mitglieder der „Arbeiterpartei“ die Demonstration verlassen hatten; einige von den Demonstranten wurden in Gewahrsam genommen. Doch die Massen setzten sich gegen die Polizei zur Wehr. Bis in die Nacht hinein dauerten die Zusammenstöße in den Innenstadtbezirken, bis die Polizei letztlich die Festgenommenen wieder frei ließ.

Davon abgesehen, ist noch die Demonstration in Akçakale gleich nach der Bombardierung eine Erwähnung wert, auf der einige Hundert Menschen, darunter Angehörige der Verstorbenen, gegen die Regierung gerichtete Slogans skandierten und zum Rücktritt des Gouverneurs von Akçakale und Urfa aufriefen. Der Bürgermeister von Akçakale, ein Mitglied der herrschenden AKP, der zum Zeitpunkt der aufsehenerregenden Demonstration im Fernsehen zu sehen war, erklärte, dass er nicht verstehe, warum diese Demonstration stattgefunden hat. In der Zwischenzeit griff die Polizei die Demonstranten an. Diese Demonstration führte ebenfalls zu Zusammenstößen mit der Polizei.

Erst kürzlich, am 8. Oktober, als das Kriegsermächtigungsgesetz verabschiedet wurde, gab es Antikriegsdemonstrationen in zahllosen Städten der Türkei. All diese Demonstrationen, die größte in Istanbul, wo sich nach einigen Angaben bis zu hunderttausend Menschen versammelt hatten, wurden von der Polizei gewaltsam attackiert.

Der Krieg zwischen dem türkischen Staat und der PKK, der nun schon seit mehr als dreißig Jahren andauert, hat eine wachsende Feindseligkeit unter einer bedeutenden Anzahl von Menschen in der Westtürkei gegen den Krieg ausgelöst und die Erkenntnis bewirkt, dass jene, die in diesem Krieg sterben, nicht die Kinder der Herrschenden sind, sondern ihre eigenen Kinder. In diesem Sinn kann man durchaus sagen, dass der türkischen Arbeiterklasse allgemein nicht nach Krieg zumute ist. Die Reaktion des Staates manifestiert sich in der Form der Brutalität gegen alle Arten von Antikriegsdemonstrationen, von den winzigsten bis zu den massiveren. Dies bringt die Massen dazu, mehr oder weniger sofort mit den bewaffneten Kräften des Staates zusammenzustoßen, und zeigt den Massen, dass es notwendig ist zu kämpfen, um sich dem Krieg erfolgreich zu widersetzen – die Tatsache, dass die Demonstranten in Hatay und Akçakale, von denen eine überwältigende Mehrheit vor dem Krieg unpolitisch war, sich wirksam gegen die Attacken zur Wehr setzten und spontan mit der Polizei aneinandergerieten, ist ein Beweis für dieses Phänomen. Davon abgesehen, schufen besonders die Organisationen der bürgerlichen Linken mit ihren Pro-Assad-, populistischen oder pazifistischen Slogans sehr große Illusionen und Konfusionen unter den Antikriegs-Massen. Auf diese Weise helfen sie, Gegenreaktionen zum imperialistischen Krieg auf der Grundlage des Klassenkrieges zu verhindern.

Entgegen aller Arten von Pro-Assad-, populistischen und pazifistischen Illusionen muss die Antikriegsbewegung, um erfolgreich zu sein, und die Arbeiterklasse, um zu vermeiden, dass das Leben und Blut ihrer Kinder den Interessen des imperialistischen türkischen Staates geopfert werden, sich den Schlachtruf zu eigen machen, den Lenin 1914 gegen den I. Weltkrieg vorgebracht hatte:

„Revolutionärer Klassenkrieg gegen den imperialistischen Krieg!“

Gerdün

Aktuelles und Laufendes: 

  • türkisch-syrischer Konflikt [3]
  • PKK [4]
  • AKP [5]
  • Antikriegsdemos [6]

Leute: 

  • Erdoĝan [7]

Israel/Palästina: Die Bevölkerung wird durch den imperialistischen Krieg als Geisel gehalten

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Erneut bombardieren israelische Kampfflugzeuge und Raketen den Gaza-Streifen. 2008 brachte die Operation „Gegossenes Blei“ fast 1500 Tote, die Mehrheit von ihnen Zivilisten, obwohl die israelische Regierung beteuerte, die „chirurgischen Angriffe“ gegen terroristische Ziele verschonten die Zivilbevölkerung. Der Gaza-Streifen ist einer der am dichtesten besiedelten und verarmtesten Teile der Welt. Dort ist es absolut unmöglich, „Einrichtungen der Terroristen“ und Wohnbezirke, die sie umgeben, von einander zu trennen. Mit all den hochentwickelten israelischen Waffensystemen sind die Hauptopfer der jetzigen Angriffe ebenso wieder Frauen, Kinder und Alte.

Die Militaristen an der Spitze des israelischen Staates sorgen sich natürlich nicht um das Schicksal der Menschen. Die Bevölkerung des Gaza-Streifens wird erneut kollektiv bestraft, genau schon wie bei früheren Angriffen und wie bei der jüngsten Blockade, die die Wirtschaft erstickt und Bemühungen des Wiederaufbaus nach den Zerstörungen von 2008 behindert und bewirkt hat, dass die Bevölkerung am Hungertuch nagt.

Im Vergleich zur militärischen Schlagkraft der Israelis erscheinen die militärischen Möglichkeiten von Hamas und der radikaleren Gruppen des islamischen Dschihad als winzig. Aber aufgrund des Chaos in Libyen hat die Hamas Zugriff erhalten auf Raketen mit größerer Reichweite. Nicht nur Ashod im Süden (wo drei Bewohner eines Wohnhauses durch eine vom Gaza-Streifen abgefeuerte Rakete getötet wurden), sondern auch Tel Aviv und Jerusalem selbst sind jetzt in Reichweite gerückt. Die lähmende Angst, mit der die Bewohner des Gaza-Streifens jeden Tag leben, ist jetzt auch in den großen israelischen Städten zu spüren.

Kurzum, die Bevölkerung auf beiden Seiten wird von den sich bekämpfenden Militärs, die in Israel und Palästina herrschen, zur Geiseln genommen. Dabei erhalten sie auch ein wenig Unterstützung von der ägyptischen Armee, welche die Grenze zum Gaza-Streifen kontrolliert, um unerwünschte Kontakte oder Flucht aus dem Gaza-Streifen zu verhindern. Die Bevölkerung auf beiden Seiten ist zur Zielscheibe in einem permanenten Krieg geworden – nicht nur aufgrund der Raketen und Granaten, sondern auch weil die Menschen gezwungen werden, das erdrückende Gewicht einer Kriegswirtschaft zu tragen. Und jetzt zwingt die Weltwirtschaftskrise die herrschende Klasse auf beiden Seiten dazu, weitere Absenkungen des Lebensstandards vorzunehmen und neue Preiserhöhungen von Nahrungsmitteln , Öl, Mieten usw. durchzusetzen.

In Israel haben die explodierenden Mieten und Wohnungspreise wie ein Funke gewirkt, welcher die Protestbewegung auslöste, die zu massenhaften Demonstrationen, zur Besetzung von Straßen und zur Abhaltung von Vollversammlungen führte. Diese Bewegung wurde direkt inspiriert durch die Revolten in der arabischen Welt. Slogans waren zu hören wie „Netanjahu, Assad, Mubarak sind alle gleich“ und „Araber und Juden wollen bezahlbare Mieten“. Eine kurze Zeit lang, die ein sehr erregender Moment war, wurde alles in der israelischen Gesellschaft – auch das „palästinensische Problem“ und die Zukunft der besetzten Gebiete – offen zur Diskussion gestellt. Und eine der Hauptängste der Protestierenden war, dass die Regierung auf diese aufkeimende Herausforderung und Infragestellung der nationalen „Einheit“ durch ein neues militärisches Abenteuer reagieren würde.

Im Sommer 2012 lösten die gestiegenen Öl- und Lebensmittelpreise in den besetzten Gebieten der West Bank eine Reihe von wütenden Protesten, Straßenblockaden und Streiks aus. Beschäftigte des Transport-, Erziehungs- und Gesundheitswesens, Studenten und Schüler sowie Arbeitslose kamen auf der Straße zusammen und standen gemeinsam den Polizeikräften der palästinensischen Behörden gegenüber. Sie forderten einen Mindestlohn, Jobs, niedrigere Preise und ein Ende der Korruption. Und es kam ebenso zu Demonstrationen gegen steigende Lebenshaltungskosten im Königreich Jordanien.

Ungeachtet all der unterschiedlichen Lebensstandards zwischen Israel und der palästinensischen Bevölkerung und der Unterdrückung und Erniedrigung durch die militärische Besatzung, unter der die palästinensische Bevölkerung leidet, sind die Wurzeln dieser beiden Sozialrevolten die gleichen, nämlich dass es zunehmend unmöglich wird, in einem kapitalistischen System zu leben, das in einer tiefen Krise steckt.

Über die Motive der jetzigen Eskalation ist sehr viel spekuliert worden. Versucht Netanjahu den Nationalismus anzustacheln, um seine Aussichten auf Wiederwahl zu verbessern? Hat die Hamas die Raketenangriffe verstärkt, um ihre Kriegstauglichkeit gegenüber Herausforderern der radikaleren islamischen Banden zu bekräftigen? Versucht das israelische Militär Hamas zu verjagen oder wollen sie nur deren militärischen Mittel einschränken? Welche Rolle werden die neuen Regime wie in Ägypten bei diesem Konflikt spielen? Welche Auswirkungen wird es auf den gegenwärtigen Krieg in Syrien geben?

Diese Fragen müssen alle weiter vertieft werden, aber keine von ihnen ändert etwas an der grundsätzlichen Problematik. Die Eskalation des imperialistischen Konfliktes steht in völligem Gegensatz zu den Interessen der breiten Massen in Israel, Palästina und den anderen Gebieten des Nahen und Mittleren Ostens. Während die Sozialrevolten auf beiden Seiten der Front es möglich machen, dass die Massen für ihre wirklichen materiellen Interessen gegen die Kapitalisten und den sie ausbeutenden Staat kämpfen, schafft der imperialistische Krieg eine falsche Einheit zwischen den Ausbeutern und Ausgebeuteten. Wenn israelische Flugzeuge den Gaza-Streifen bombardieren, gewinnen Hamas und die Dschihadisten dadurch nur neue Rekruten, aus deren Sicht alle Israelis, alle Juden Feinde sind. Wenn die Dschihadisten Raketen auf Ashdod oder Tel Aviv abschießen, wenden sich nur mehr Israelis an „ihren“ Staat und suchen bei ihm Schutz und Vergeltung gegen die „Araber“. Die dringenden sozialen Fragen, welche die Triebkräfte hinter den Sozialprotesten sind, werden unter einer Flut von nationalistischem Hass und Hysterie begraben.

Aber während der Krieg Sozialkonflikte verdrängen kann, gilt auch das Gegenteil. In Anbetracht der gegenwärtigen Eskalation rufen ‚verantwortlich handelnde Regierungen‘ wie die USA und Großbritannien zu Zurückhaltung und zu einer Rückkehr zum Friedensprozess auf. Aber dies sind die gleichen Regierungen, die gegenwärtig Krieg in Afghanistan, Pakistan, Irak führen. Die USA sind auch der militärische und finanzielle Hauptverbündete Israels. Wir können uns nicht an diese Staaten wenden, um eine „friedliche“ Lösung herbeizuführen. Und ebenso wenig können wir uns an Staaten wie Iran wenden, die Hamas und Hisbollah offen bewaffnet haben. Wirkliche Aussichten auf eine friedliche Welt kann man nicht bei den Herrschenden finden, sondern nur in dem Widerstand der Ausgebeuteten und Unterdrückten, deren wachsendem Begreifen, dass sie überall auf der Welt die gleichen Interessen haben und den gleichen Kampf führen und sich gegen ein System vereinigen müssen, das ihnen nichts anderes anzubieten hat als Krise, Krieg und Zerstörung. Amos 20.11.12

Aktuelles und Laufendes: 

  • Hamas [8]
  • Gaza [9]
  • Israel-Palästina Konflikt [10]

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