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Weltrevolution Nr. 183

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Keine Zukunft ohne Überwindung des Kapitalismus

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Das in den antiken und mittelalterlichen Apokalypsen vorhergesehene "Ende der Welt bedeutete in Wirklichkeit das Ende einer bestimmten Produktionsweise, die durch eine neue Produktionsweise, eine neue Form der Klassenherrschaft ersetzt werden sollte. Doch der Kapitalismus ist die letzte Klassengesellschaft, und sein rasanter Weg in den Abgrund stellt die Menschheit vor die einzige Alternative: die kommunistische Revolution oder die Vernichtung der Menschheit.

Eine weltweite Pandemie, die Millionen von Menschen das Leben gekostet hat und noch lange nicht vorbei ist; eine Spirale von Klimakatastrophen – Waldbrände, Dürren, Überschwemmungen –, wobei der jüngste Bericht des Weltklimarats (IPCC) der Welt die reale Gefahr einer unkontrollierten Beschleunigung der globalen Erwärmung vorhersagt; Kriege zwischen drei, vier oder fünf Gegnern von Afghanistan bis Afrika und sich verschärfende Spannungen zwischen den beiden mächtigsten imperialistischen Staaten, den USA und China; eine Weltwirtschaft, die bereits seit Ende der 1960er Jahre in einer nahezu permanenten Krise steckt und nun durch die Pandemie und die Beschränkungen weiter erschüttert wird, was zu einer steigenden Inflation und einer scheinbar paradoxen Kombination aus Arbeitslosigkeit und Arbeitskräftemangel führt. Kein Wunder, dass apokalyptische Stimmungen immer weiter verbreitet sind, sei es in offen religiöser Form durch das Aufkommen des islamischen, christlichen und anderer Fundamentalismen oder durch eine Vielzahl dystopischer Science-Fiction-Visionen darüber, was uns auf der Erde erwartet.

Auf einer Ebene sind solche Visionen Teil des wachsenden Nihilismus und der Verzweiflung, oder sie drücken die vergebliche Hoffnung aus, die Verzweiflung zu überwinden, indem man in eine Vergangenheit zurückkehrt, die es nie gegeben hat, oder in einen "neuen Himmel und eine neue Erde" (Offenbarung 21,1) flieht, die den Gläubigen von Mächten außerhalb unserer selbst und außerhalb der Natur gegeben werden. Aber diese Ideologien sind auch ein verzerrter Spiegel dessen, was in der gegenwärtigen Zivilisation wirklich geschieht.

In der Vergangenheit waren Prophezeiungen über die "Endzeit" vor allem in Zeiten des Niedergangs einer ganzen Produktionsweise verbreitet, wie etwa während der Dekadenz Roms oder dem Niedergang des Mittelalters. Das Buch der Offenbarung, das letzte Buch des Neuen Testaments, weist mit seiner Symbolik der vier Reiter der Apokalypse auf die wesentlichen Merkmale einer Gesellschaft in ihrer Endphase hin: Angeführt vom Tod, sind die anderen Reiter der Krieg, die Pest und die Hungersnot – diese mit einer Waage, die zeigt, dass der Brotpreis für die Armen unerschwinglich geworden ist. Und auf dem langen Weg nach unten wurden sowohl die antike Sklavengesellschaft als auch der Feudalismus in der Tat durch unaufhörliche Kriege zwischen den Fraktionen der herrschenden Klasse, durch Seuchen wie den Schwarzen Tod, durch Hungersnöte und – auch wenn diese Systeme noch nicht vollständig vom Warencharakter durchdrungen waren wie den Kapitalismus – durch Inflation und die Entwertung des Geldes[1] verwüstet.

0Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die vier apokalyptischen Reiter wieder unterwegs sind. In gewisser Weise kreuzen sie sich. Krieg führt zu Hungersnöten, wie im Jemen und in Äthiopien. Die Zerstörung der Natur bringt neue Seuchen wie Covid hervor, und es drohen auch schreckliche Hungersnöte und Kriege um schwindende Ressourcen. Und all diese Gespenster reagieren auf die grundlegenden Widersprüche der kapitalistischen Akkumulation zurück und verschärfen die globale Wirtschaftskrise in einem Ausmaß wie seit den 1930er Jahren nicht mehr.

Das in den antiken und mittelalterlichen Apokalypsen vorhergesehene "Ende der Welt" bedeutete in Wirklichkeit das Ende einer bestimmten Produktionsweise, die durch eine neue Produktionsweise, eine neue Form der Klassenherrschaft ersetzt werden sollte. Doch der Kapitalismus ist die letzte Klassengesellschaft, und sein rasanter Weg in den Abgrund stellt die Menschheit vor die einzige Alternative: kommunistische Revolution oder Vernichtung der Menschheit. Der Kapitalismus ist das dynamischste, produktivste, aber auch das destruktivste System der Geschichte, und mit seinen erschreckenden Atomwaffenarsenalen und seiner Unfähigkeit, die Zerstörung der natürlichen Umwelt einzudämmen, kann der Kapitalismus wirklich das Ende der Welt, der menschlichen Spezies und vielleicht allen Lebens auf dem Planeten herbeiführen.

Der Kapitalismus kann nicht kontrolliert werden

Einige Teile der herrschenden Klasse ziehen sich in die Verleugnung zurück: Covid ist nur eine kleine Grippe (Bolsanaro), der Klimawandel ist ein chinesischer Schwindel (Trump). Ihre intelligenteren Fraktionen sehen die Gefahr: daher die enormen Summen, die für die Schließungen geopfert und in den Wettlauf um Impfstoffe gepumpt werden; daher die zahlreichen internationalen Konferenzen zum Klimawandel, wie die COP26, die im November in Glasgow stattfinden wird, wo nur wenige offen die düsteren Szenarien bestreiten werden, die ihnen der Bericht des IPCC präsentieren wird.

Und in der Bevölkerung insgesamt wächst die Besorgnis über diese Probleme, auch wenn die Gefahr, die von Krieg und Militarismus ausgeht, im Moment von der Bedrohung durch Covid und den Klimawandel in den Hintergrund gedrängt wird. Aber die Proteste, die von Organisationen wie Extinction Rebellion, Insulate Britain und Youth for Climate organisiert werden, sind eine Sackgasse, weil sie nie über die Forderung hinausgehen können, dass die Regierungen der Welt anfangen, vernünftig zu handeln, ihre Differenzen beiseite zu legen und einen ernsthaften globalen Plan auszuarbeiten.

Aber die Regierungen, die Staaten der Welt, die herrschende Klasse, sind selbst nur Ausdruck des kapitalistischen Systems, und sie können die Gesetze nicht abschaffen, die zu Krieg und Umweltzerstörung führen. Wie zu Zeiten der römischen Kaiser und der absoluten Monarchien ist auch die Dekadenz des Kapitalismus durch eine groteske Hypertrophie der Staatsmaschinerie gekennzeichnet, die darauf abzielt, die Gesetze der kapitalistischen Konkurrenz einer gewissen Kontrolle zu unterwerfen (sowie all jene zu unterdrücken, die ihre Herrschaft in Frage stellen). Aber letztendlich kann das Kapital nicht kontrolliert werden. Es ist per definitionem eine Macht, die, obwohl von Menschenhand geschaffen, über und gegen die menschlichen Bedürfnisse steht. Per definitionem ist es ein im Wesentlichen anarchisches soziales Verhältnis, das nur durch den Wettbewerb um den höchsten Profit gedeihen kann. Und die Staatsapparate, in denen manche die Antwort auf die Probleme der Welt sehen, sind vor allem durch die Notwendigkeit, mit anderen Staaten auf dem Weltmarkt zu konkurrieren, sowohl auf wirtschaftlicher als auch auf militärischer Ebene, zu ihrer heutigen Größe angeschwollen. Der Kapitalismus kann niemals eine "internationale Gemeinschaft" werden, und in der Endphase seines Niedergangs kann sich die Tendenz zur Desintegration, zum Alleingang und zum Chaos nur noch verstärken.

1919 betonte das Manifest der Kommunistischen Internationale, dass der imperialistische Weltkrieg von 1914-18 den Eintritt des Kapitalismus in die "Epoche des Zusammenbruchs des Kapitals, seine innere Auflösung, die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats" ankündigte. Aber sie betonte auch, dass "die alte kapitalistische 'Ordnung' aufgehört hat zu funktionieren; ihre weitere Existenz ist ausgeschlossen. Das Endergebnis der kapitalistischen Produktionsweise ist Chaos. Dieses Chaos kann nur von der produktiven und zahlreichsten Klasse – der Arbeiterklasse – überwunden werden. Das Proletariat muss eine wirkliche Ordnung schaffen – eine kommunistische Ordnung".

Die kapitalistische Apokalypse ist nicht unvermeidlich. Die bürgerliche Gesellschaft hat die Produktivkräfte freigesetzt, die umgewandelt und genutzt werden könnten, um den uralten Traum von einer wahren menschlichen Gemeinschaft und einer neuen Versöhnung mit der Natur zu verwirklichen. Während frühere Klassengesellschaften an Krisen der Unterproduktion scheiterten, leidet der Kapitalismus an einer Krise der Überproduktion, eine Absurdität, die auf die Möglichkeit hinweist, den Mangel zu überwinden und damit die Ausbeutung einer Klasse durch eine andere ein für alle Mal zu beseitigen. Und sie hat mit dem Proletariat, der internationalen Arbeiterklasse, die "Produktivkraft" geschaffen, die ein materielles Interesse an der Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft hat.

Es klafft eine gewaltige Lücke zwischen dem heutigen Zustand der Arbeiterklasse, die ihre eigene Existenz als eine dem Kapital entgegengesetzte Kraft weitgehend vergessen hat, und der revolutionären Klassenbewegung, aus der die Oktoberrevolution von 1917 und die Kommunistische Internationale, der fortschrittlichste politische Ausdruck der revolutionären Welle von 1917-23, hervorgegangen sind. Die einzige Möglichkeit, diese Kluft zu überbrücken, liegt in der Fähigkeit der Arbeiterklasse, für die Verteidigung ihrer eigenen materiellen Interessen zu kämpfen. In diesem Sinne sind es von allen Reitern des kapitalistischen Untergangs die Wirtschaftskrise und die daraus resultierenden Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter, die die Möglichkeit beinhalten, das Proletariat zu zwingen, sich zur Verteidigung seiner eigenen Klassenforderungen zusammenzuschließen, seine gemeinsamen Interessen zu erkennen und die Perspektive zu entwickeln, seinen Feind zu stürzen.

Amos. 9.10.21


[1] Vgl. Die IKS-Broschüre Die Dekadenz des Kapitalismus, insbesondere 2. Kapitel: „Krise und Dekadenz“

Rubric: 

Pandemie, globale Erwärmung, Wirtschaftskrise, Krieg

Bundestagswahlen 2021 - Die politischen Schwierigkeiten der deutschen Bourgeoisie verschärfen sich

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Der Ausgang der Bundestagswahlen am 26.09.2021 hat der herrschenden Klasse die tiefgreifende Glaubwürdigkeitskrise in den Parteienapparat vor Augen geführt. Am offensichtlichsten ist der Vertrauensverlust gegenüber den Unionsparteien; ihr Absturz wie vorhergesagt am eklatantesten. Die FDP konnte nur knapp zulegen, die AfD verlor vor allem im Westen, etablierte sich weiter auf Kosten von Union und Die Linke im Osten, der Stimmenanteil von Die Linke halbierte sich nahezu. Aber hinter dem Stimmenzuwachs der SPD steckt keine Euphorie und keine große Hoffnung auf umfassende Veränderungen, sondern sie gilt als das kleinere Übel. So war die SPD gewissermaßen zum Sieg verurteilt. 

Zum Zeitpunkt des Schreibens deutet alles auf die Bildung einer Ampelkoalition (Rot-Gelb-Grün) hin, auch wenn ein Jamaika-Bündnis (Schwarz-Gelb-Grün) immer noch als mögliche Option gehandelt werden könnte. Die FDP mag sich zwar brüsten als Königsmacher agieren zu können, aber sie wird bei dem Zustandekommen einer Ampelkoalition mit am deutlichsten Federn lassen müssen. Auch die Grünen werden stark unter Druck geraten, wenn sich zeigen wird, dass die angekündigte „Klimaregierung“ die zunehmende zerstörerische Tendenz des Kapitalismus im Zerfall nicht stoppen wird. Schon jetzt wird die „Grüne Ideologie“ nicht mehr exklusiv von den Grünen bedient. Andere Bewegungsformen wie „Ende Gelände“ und gar Parteien wie die Klimaliste wollen auch mitmischen.

Wie wir weiter unten zeigen verlangt die historische Krisenentwicklung des Kapitalismus und der sich verschärfende Konkurrenzkampf ein energisches Eingreifen des Staates - mit entsprechenden Steuermitteln, weiterer Verschuldung –; alles wogegen die FDP in ihrem Wahlkampf wetterte. Während die Verhandlungen über eine Koalition zwischen den drei Ampelparteien anlaufen, wird das Hauen und Stechen vor allem bei den Unionsparteien an Schärfe zunehmen. Aber nicht nur die Grabenkämpfe in den Oppositionsparteien, auch die Richtungskämpfe in den zukünftigen Regierungsparteien werden sich nicht in Luft auflösen. Das „Zusammenraufen“ vor allem bei SPD und Grünen stützt sich nicht auf eine solidere Geschlossenheit, sondern war nur das Zusammenrücken vor den Wahlen. Die zentrifugalen Kräfte in der Gesellschaft werden alle bürgerlichen Parteien weiter erfassen.

Die Wahlen offenbaren das historische Dilemma der Herrschenden

Während im Laufe des Wahlkampfes die Medien und CDU/CSU-Kreise selbst fortwährend die Schuld an der vorhergesagten CDU/CSU-Wahlschlappe Laschet in die Schuhe schoben und manche davon sprachen, man habe aufs falsche Pferd gesetzt, steckt in Wirklichkeit hinter dem Abstieg der CDU/CSU eine tiefgreifende Glaubwürdigkeitskrise aller Parteien, die in den letzten Jahrzehnten in der BRD die politische Landschaft bestimmen.

In Anbetracht der seit langem andauernden Wirtschaftskrise, der schleichenden Verarmung, der Rat- und Tatenlosigkeit der Regierungen gegenüber der Klimakatastrophe, d.h. in Anbetracht der Lage insgesamt und der allgemeinen Verlogenheit und Heuchelei der Herrschenden haben sich immer mehr Zweifel an der Fähigkeit der Herrschenden gebildet, die Probleme anzupacken, geschweige denn sie in den Griff zu kriegen.

Das zeigte sich in einer seit Jahren rückläufigen Wahlbeteiligung und gleichzeitig einer großen „Leere“ aller an den Wahlen beteiligten Parteien bei ihren Wahlprogrammen; sie erscheinen gewissermaßen als „ausgelaugt, abgenutzt“. Selbst bürgerliche Kommentatoren geben zu, alle Parteien seien inhaltlichen Fragen ausgewichen und hätten sich hauptsächlich auf die Personen konzentriert. Der Mangel an Perspektiven, den die Herrschenden bieten, ihre inhaltliche Leere lassen sich kaum kaschieren.

Wahlplakate seit jeher Plattitüden, 2021 noch hohler und noch leerer

CDU: Gemeinsam für ein modernes Deutschland. Damit Deutschland stark bleibt

SPD: Jetzt viel Geld in die Hand nehmen. Investieren gegen die Krise. Betroffenen beim Neustart helfen. Respekt für dich. Jetzt sichere Arbeit, Klimaschutz wählen, Scholz packt das an! Kompetenz Deutschland

Grünen: Unser Land kann viel, wenn man es lässt. Bereit – weil ihr es seid. Kommt, wir ändern die Politik. Wirtschaft und Klima ohne Krise. Klimaschutz und Gerechtigkeit

FDP: Nie gab es mehr zu tun. Wie es ist, darf es nicht bleiben. Aus Liebe zur Freiheit

MLPD: Das Land braucht neue Politiker. Diesmal keine halben Sachen!

Die Linke: Für Millionen, nicht Millionäre

Volt: Für einen guten Job ist niemand zu alt

Hinzu kommt, dass die deutsche Bourgeoisie sich keinen Gefallen damit getan hat, 16 Jahre lang ein- und dieselbe Person als Bundeskanzlerin im Amt zu behalten. Zuvor schon hatte nach dem „Intermezzo“ durch G. Schröder (mit Rot-Grün von 1998-2005) Helmut Kohl 1982-1998 (d.h. 16 Jahre) vor allem die Botschaft der Kontinuität und Stabilität vermittelt, aber damit hatten sie selbst den Glauben an Demokratie angekratzt, da diese auch von dem häufigen Wechsel, dem Einzug von „neuen Gesichtern“ lebt. Nun hat gerade Merkel den Eindruck hinterlassen, sie habe so viele Probleme ausgesessen und so wenige angepackt; Laschet wollte sich als einen Teil Fortsetzung Merkels präsentieren und selbst Scholz wird zugeschrieben, er könne auch Merkel(n). Aber diese Beobachtung bleibt an der Oberfläche stecken, tatsächlich sind diese Politiker nur Repräsentanten einer viel tiefer sitzenden Unfähigkeit, die brennenden Probleme anzupacken.

Diese tief sitzende Unfähigkeit drückt sich in einem generellen Glaubwürdigkeitsverlust aus, der nicht allein auf die CDU beschränkt ist. Auch die CSU, in Bayern jahrelang unangefochten, konnte große Einbußen – mit Söder an der Spitze – nicht vermeiden.

Der Anlauf zur Regelung der Nachfolge der „verschlissenen“ Merkel mit AKK war ein „Flopp“, es folgte der Hahnenkampf zwischen Laschet und Söder; die Zerrissenheit und Grabenkämpfe innerhalb der CDU/CSU nahmen weiter zu. Ob der Rechtsaußen Maaßen in Sachsen, andere Querschießer in Ostdeutschland, diverse Seilschaften im Westen, F. Merz’ Knappen der Jungen Union oder Kräfte aus Bayern – die Flügelkämpfe und die dahintersteckende Schwächung der CDU kam nicht nur durch den „Fehlgriff“ Laschet zum Ausdruck. Eine Verjüngung und eine "Modernisierung" mit unverbrauchten Leuten und neuer Botschaft war misslungen.

Wie bei fast allen „linken“ Parteien in anderen europäischen Ländern war auch die Sozialdemokratie in den Sog des Abwärtstrends geraten. Die früher gepriesenen sozialdemokratischen „Reformen“ haben sich längst in Luft aufgelöst; gleichzeitig bewies die SPD mit Hartz IV ihre Fähigkeit, der Arbeiterklasse viel schmerzhafter und gewiefter in die Tasche greifen zu können als die anderen Parteien.

Für das Kapital war es schon eine Notlösung, im Winter 2017/2018 erneut eine GroKo in den Sattel zu hieven, da schon zum damaligen Zeitpunkt eine Erneuerung der SPD in der Opposition notwendig gewesen wäre. Dies musste 2018 aber aufgeschoben werden…. So galt die SPD denn auch von 2018 bis zum Frühsommer 2021 mit Umfragewerten knapp über 15% als „Verlierer“. Die Versuche, mit einem neuen Führungsduo frischen Wind in die Partei zu bringen, änderten nichts daran, dass ihr Aushängeschild O. Scholz selbst jahrelang als „lahme Ente“, als Meister im Wegducken galt, der keine klare Kante zeigte.[1]  Dann aber konnte die SPD gewissermaßen aufatmen. Denn die Pandemie mit ihren katastrophalen Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen erforderte das entschlossene und massive Eingreifen des Staates vor allem auf finanzieller Ebene. Hier besaß die SPD ihren entscheidenden Mann im Finanzministerium. Wie zuvor 2008, als der damalige SPD-Finanzminister Steinbrück mit Merkel an seiner Seite vor die Kameras trat „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind “, präsentierte sich dieses Mal ein weiterer SPD-Mann in seiner Rolle als Finanzminister als Stabilitätsanker. Damit hat die SPD paradoxerweise von Covid profitiert, indem sie Schutz und Unterstützung garantierte. Dies war selbstverständlich nur möglich dank der gigantischen Erhöhung des Schuldenberges. D.h. ohne das Covid-Desaster wäre Scholz nie zum „Shooting-Star“ der SPD geworden. Der schlechte Ruf des CDU-Kandidaten Laschet alleine hätte für Scholz’ Aufstieg nicht ausgereicht. Wenn nun die SPD wieder anführender Stelle in der Regierung mitwirkt, muss die „Erneuerung“ der SPD erneut verschoben werden. Längerfristig wird sich dies für die herrschende Klasse deshalb als Bürde erweisen. Beide sogenannten „Volksparteien“, die früher in der Lage waren, 40 % der Wählenden für sich alleine zu mobilisieren, haben heute Mühe 25 % der Stimmen zu bekommen. Es spricht für die „Anpassungsfähigkeit“ der Bourgeoisie, dass sie mit den Grünen über Jahrzehnte eine Partei herangezogen hat, die ähnlich verlässlich wie die FDP-Koalitionen möglich macht. Doch nach der doppelten GroKo und dem weiteren Verschleiß der CDU/SPD scheint nun die einzige Alternative in Regierungen mit drei Parteien zu bestehen.

Profiteure und „Lückenbüßer“ im Verschleißprozess der Herrschenden

Die rückläufige Wahlbeteiligung konnte zum Teil eingefangen werden, indem Protestparteien verschiedener Couleur als Sammelbecken dienten. Neben den winzig kleinen, zahlenmäßig unbedeutenden Parteien, (z.B. Die Partei, Piratenpartei) sprang vor allem die AfD der Bourgeoisie hilfreich zur Seite, denn sie brachte mit ihren Dutzend Prozentpunkten bei fast allen Wahlen eine gehörige Portion frustrierter, desorientierter Menschen aus „Unter- und Mittelschichten“ zurück zur Wahlurne. Selbstverständlich haben sie selbst nichts anzubieten außer Hetze, „Abschottung“, Pogromstimmung und den Interessen des deutschen Kapitals zuwiderlaufende Vorstellungen wie die z.B. Forderungen nach Austritt aus der Europäischen Union und Rückzug aus dem Euro.  Die Partei selbst ist ein Beispiel der Zerrissenheit, Fragmentierung, zersplittert in untereinander rivalisierende Cliquen, ohne jegliche Kohärenz. 

Eine andere wichtige Rolle haben die Grünen übernommen

Nach ihrer Anfangszeit als Protestpartei in den 1980er Jahren sind sie längst vom System integriert und zu einem wichtigen Bestandteil des deutschen Kapitals geworden. Bei der ersten Regierungsbeteiligung auf Bundesebene zeichneten sie sich durch ihre perfide Propagierung deutscher Kriegsbeteiligung an der Bombardierung Belgrads aus. In Baden-Württemberg stehen sie nicht nur dem Mittelstand treu zu Diensten, sondern auch der Automobilindustrie und fördern dort den Umbruch zur Elektromobilität. In Anbetracht der zunehmenden Besorgnis vor allem Jugendlicher wegen der Umweltzerstörung, Klimakatastrophe usw. und der mangelnden Wahlbeteiligung agieren die Grünen immer wieder als zutreiber zu den Wahlen. Vor allem gegenüber der Jugend erwecken sie die Illusion, „Wirtschaft und Klima“ seien vereinbar und es sei möglich, den Kapitalismus mit einer Reihe von ökologischen Maßnahmen zu reformieren und aufrechtzuerhalten.  

„Unser Land kann viel, wenn man es lässt. Bereit – weil ihr es seid.“ Damit sind die Grünen zu einem wichtigen Trumpf des deutschen Kapitals geworden.

Bemerkenswert ist die Rückkehr der FDP, nachdem diese schon fast aus den Parlamenten verschwunden war. Die FDP als eifriger Vorkämpfer des „schlanken Staates“ und des „Neoliberalismus“ wirkt zwar in der heutigen Zeit der explodierenden Staatshaushalte als Anachronismus, jedoch ist sie gleichzeitig eine moderne Partei der individualisierten Einzelinteressen und trifft somit den Zeitgeist des Jeder-für-sich. Die FDP ist zu einem höheren Maße vom Populismus und von der anti-sozialen individualistischen Tendenz betroffen, als sie selbst und die bürgerliche Presse wahrhaben will. Der vermeintliche Königsmacher wird einen unberechenbaren Faktor in die Regierung einbringen.

Wir können schon jetzt festhalten, dass, egal welche Regierungskoalition sich durchsetzen wird, die Unsicherheit über die Verlässlichkeit der deutschen Bourgeoisie wachsen wird. Der Stabilitätsanker Deutschland korrodiert.

Verschleiß der bürgerlichen Parteien begleitet von anderen Zerfallserscheinungen

Neben dem Verschleiß der bürgerlichen Parteien sind in letzter Zeit weitere Zerfallserscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft insgesamt deutlich zutage getreten.

Wie wir in früheren Artikeln aufgezeigt haben, hat die deutsche Bourgeoisie bei der Reaktion gegenüber der Pandemie alle Seiten ihres Gesichtes offenbart.

In der Anfangsphase des Ausbruchs der Pandemie war auf der einen Seite ihre unglaubliche Fahrlässigkeit und Sorglosigkeit und gleichzeitig ihre wilde Entschlossenheit zur Verteidigung ihrer ökonomischen Interessen zum Vorschein gekommen.

Schnell wurde z.B. deutlich, dass die mangelnde Lagerhaltung von Schutzausrüstung wegen Einsparungen im Bereich der Vorratshaltung die Gesundheit nicht nur des medizinischen Personals und der Patienten in Gefahr brachte, und dass man bereit war als Exportweltmeister die Exporte von medizinisch wichtigen Gütern zu verbieten, um die einheimische Bevölkerung zuerst zu bedienen, nachdem man jahrelang eine gefährliche Abhängigkeit von Billigproduzenten wie China in kauf genommen hatte.

Gleichzeitig wurde ersichtlich, dass die zuständigen Stellen im Gesundheitswesen völlig unzureichend gerüstet waren für ein schnelles Eingreifen zum Aufspüren und Warnen von Kontaktpersonen (technisch längst überholte Mittel wie Fax in den Gesundheitsämtern waren Hauptkommunikationsmittel). Zudem war viel zu wenig Personal vorhanden, was dazu zwang, schließlich auf „Freiwillige“ und die Bundeswehr zur Personalaufstockung zurück zu greifen. In den Schulen gab es zum Teil afrikanische Verhältnisse bei Ausrüstung und Qualifizierung der Lehrerschaft mit Unterrichtsmitteln für Fernunterricht. Ob bei Behörden, den Schulen oder in der Wirtschaft – das Hinterherhinken bei der Digitalisierung stach ins Auge.

Gleichzeitig vermittelte man ein Bild der Zerstrittenheit zwischen den Regierungskreisen – innerhalb der Bundesregierung und zwischen Bund und Ländern, dann regelmäßig Streit oder Anfechtung der Empfehlungen der Virologen. Dagegen zeigte sich am Anfang die Stärke des deutschen Kapitals, als man in der Wirtschaft schnell in gemeinsamer Abstimmung zwischen Arbeitgebern, Staat und Gewerkschaften einen Lockdown beschloss, um die Produktion geordnet runterzufahren, … nachdem die Zusage für gigantische Staatshilfen gemacht worden war. So erhielten zum Beispiel die großen Automobilkonzerne mächtige Finanzspritzen…. Und auch gegenüber kleineren und mittleren Unternehmen drehte man den Geldhahn auf, um sie finanziell über Wasser zu halten.

Weitere Lockdowns sollten dann unter allen Umständen verhindert werden – bis man im Dezember 2020 wieder einen Lockdown beschließen musste. Zudem streitet man unaufhörlich um die Durchsetzung (und das Umgehen) bundesweit einheitlicher Maßnahmen. Nie war der Flickenteppich größer.

Bei der Entwicklung eines Impfstoffes konnten die beiden in Deutschland und den USA angesiedelten Firmen BioNTech und Pfizer zwar bahnbrechende Erfolge verbuchen und damit eine führende Stellung auf dem Weltimpfstoffmarkt einnehmen, aber die Hürde der Überzeugung der Bevölkerung von der Notwendigkeit sich impfen zu lassen, konnte nicht genommen werden. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung bleibt äußerst misstrauisch bzw. ablehnend gegenüber Impfungen.

Bei der Bekämpfung der Pandemie durch die wissenschaftliche Begleitung von Untersuchungsergebnissen der Erkrankten hinkt das Land, in dem so viel Medizingeräte produziert werden, ebenfalls hinterher.[2]

Der Streit zwischen verschiedenen Landesfürsten über unterschiedliche länderspezifische Regelungen wurde noch undurchsichtiger dadurch, dass die Politiker sich im Wahlkampf profilieren wollten. 

Aber gleichzeitig wurde auch deutlich, dass die in der Vergangenheit meist vorteilhafte Struktur des Föderalismus, die eine gewisse Flexibilität ermöglichte und dem Provinzgeist genügend Freiraum und damit auch den Machtbereichen verschiedener Gruppierungen Raum für Partikularinteressen ließ, sich in dieser Situation als Verschärfer der Konflikte zwischen den Ländern und somit als Klotz am Bein herausstellte. Es ist nicht der Föderalismus an sich, der das Problem ist, dieser hat seine historisch tiefen Wurzeln in der verspäteten Herausbildung des deutschen Nationalstaates. In anderen Ländern wie z. B. Frankreich ist es der spezifisch „französische“ Zentralismus, der durch die beschleunigte Dynamik des Zerfalls selbst zum Beschleuniger der Zerrissenheit und Spaltung in der Gesellschaft wird.

Die herbeigeführte Flutkatastrophe... verschlimmert durch die Fahrlässigkeit der Herrschenden

Die Flutkatastrophe Mitte Juli mit ihren nahezu 200 Toten, knapp tausend Verletzten und vielen Traumatisierten brachte weitere Aspekte dieses Zerfalls zum Vorschein.

Zwar hatte man ein Flutwarnsystem nach den Überschwemmungen von 2002 installiert, aber die Alarmsirenen waren entweder nach 1989 abgebaut worden oder die auf dem Funknetz basierenden Warnsysteme funktionierten nach dem Ausfall der Sendemasten nicht mehr. Zudem deuten erste Untersuchungen darauf hin, dass wiederholte Warnungen seitens der Wetterdienste und anderer spezialisierter Dienste von den Behörden nicht in entsprechende Aufforderungen umgesetzt wurden, so dass ein Großteil der verlorenen Menschenleben auf das Konto der Fahrlässigkeit der Behörden geht. Auch wenn die Flutwelle als solche nicht hätte verhindert werden können, die meisten Menschenleben hätten durch entsprechende rechtzeitige Warnung (und Übungen für solche Fälle) geschützt werden können. Bei der anschließenden Mobilisierung der staatlichen Hilfskräfte war das gewaltige Chaos bei der Organisierung der Hilfsmaßnahmen nicht zu übersehen und die mangelnde Ausrüstung der Katastrophendienste (organisatorisch und materiell) wies ebenso auf große Nachlässigkeiten hin.

Weil die Zerstörungen so gewaltig waren, mussten Bund und Länder, ein Hilfspaket von 30 Mrd. Euro zusagen. Dies bringt die ganze Irrationalität zum Vorschein. Bislang hat man die Umwelt weitestgehend ungebremst zerstört, damit solche Extremwetterereignisse herbeigeführt, alles zum Wohl der Wirtschaft, nun sind die Opfer in der Bevölkerung und gigantische wirtschaftliche Kosten dafür zu beklagen. Demgegenüber war der einzige Lichtblick die Mobilisierung der Zivilbevölkerung, die sich meist außerhalb von staatlichen Stellen selbst organisierte. Dabei eilten Menschen aller Altersgruppen und Herkunft aus allen Landesteilen selbstlos herbei, um den Betroffenen mit ungeheurer Kreativität Hilfe zukommen zu lassen.

Die Liste der Zerfallserscheinungen ließe sich noch lange fortsetzen. Wir erwähnen hier nur den VW-Abgasskandal – mittlerweile schon ein paar Jahre alt; er stellt zwar ein Zeichen der Verschärfung des Konkurrenzkampfes dar, bei dem alle Mittel eingesetzt werden, aber er zeigt auch die Irrationalität, denn mittlerweile musste VW dafür mehr als 30 Mrd. Euro Strafe zahlen. D.h. die Kosten des weltweit tobenden Konkurrenzkampfes werden immer horrender und irrationaler! Und er war angetrieben von einer moralischen Skrupellosigkeit und Verkommenheit des technischen und führenden Managements, was einen tiefen Blick in die Konstitution der Charaktere der herrschenden Klasse werfen lässt.

Aber nicht nur in höheren Ebenen nehmen Ruchlosigkeit und Brutalität im Konkurrenzkampf zu, auch in anderen Teilen der Gesellschaft greifen Irrationalität und „Abschottungsmentalität“ sowie Gewaltbereitschaft immer mehr um sich. Verschiedene Phänomene, die in der jüngsten Zeit die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, werden meist isoliert, losgelöst voneinander dargestellt. Die verschwörungstheoretischen, wissenschaftsfeindlichen Denkweisen, die Haltung vieler „Querdenker“ und deren Forderung nach „Freiheit“, die Durchmischung mit rechtsradikalen Kräften auf solchen Demos, „ausrastende“, größtenteils psychisch Gestörte, die vor Mord und Totschlag gegen Einzelne oder Gruppen von angeblich irgendwie „Schuldigen“ nicht zurückschrecken, sich vertiefende „Gräben“ zwischen verschiedenen Identitätsabgrenzungen weisen auf einen tiefgreifenden  Zersetzungsprozess im Innern der Gesellschaft hin, der sich natürlich gravierend in den Staat hineingefressen hat.

Dass man bei den Wahlen in Berlin, wo neben der Bundestagswahl die Wahl zum Abgeordnetenhaus und der Volksentscheid zur Enteignung von großen Wohnungskonzernen an einem Tag durchgeführt wurde, überforderte offensichtlich viele Teile des Staatsapparates, denn mehrere Wahllokale mussten mehrere Stunden geschlossen werden, weil keine Wahlzettel mehr zur Verfügung standen. Wahlbezirke wurden verwechselt, Pannen über Pannen! Vielleicht gibt es demnächst Wahlbeobachter aus irgendeiner Bananenrepublik! 

Die zukünftige neue Regierungskoalition

Die Herausforderungen für die neue Regierung: Sich im internationalen Konkurrenzkampf zu behaupten….

Die neue Bundesregierung wird zügig an die auf sie zukommenden Aufgaben herangehen müssen:

- die Kosten für die Rettungspakete langsam – ohne Überstürzung, taktierend – auf die Bevölkerung, natürlich insbesondere die Arbeiterklasse abzuwälzen.[3]

- eine Aufholjagd für die Modernisierung der Wirtschaft in verschiedenen Bereichen einzuläuten; vieles von diesem mit dem Aushängeschild “grüne Wirtschaft“.  Insgesamt wird man dem Klimaschutz massiv Gelder zur Verfügung stellen müssen,

- eine Lehre aus der Pandemie zeigte: Die in den letzten Jahren entstandene Abhängigkeit bei vielen Produkten vom Ausland (von Billigprodukten wie medizinischer Schutzausrüstung bis hin zu modernen Elektronikbauteilen (Halbleitern, Chips), muss reduziert bzw. aufgelöst werden, um Zwangslagen gegenüber asiatischen oder US-amerikanischen Produzenten zu vermeiden.

- die Rüstungsausgaben erhöhen, um den verstärkten Notwendigkeiten auf imperialistischer Ebene Rechnung zu tragen,

- Wohnungen bauen, um die wachsende Nachfrage besser zu decken – wobei alle möglichen Maßnahmen in Betracht kommen können wie z.B. jüngst in Berlin, wo ein Deal über den Kauf von 14.500 Wohnungen durch den Berliner Senat stattfand, um die Preissteigerungen auf dem Wohnungsmarkt durch Steuergelder  abzuschwächen.

- Schulung und Rekrutierung neuer Generationen von Arbeitskräften.

Nicht möglich ohne massives Eingreifen des Staates

All diese Maßnahmen sind ohne massivste zusätzliche Staatsausgaben undenkbar. Beim Bau von Halbleiterproduktionsanlagen investieren z.B. China in den nächsten 6 Jahren 1.4 Billionen $ in strategische Technologien und Südkorea in den nächsten 10 Jahren 450 Milliarden Mrd. $ in Halbleiterentwicklung - alle mit nahezu unbeschränkten staatlichen Finanzspritzen - ein Alptraum für die EU…. und Deutschland, denn dem gegenüber kann ein einzelner Staat und auch die geballte Kraft der EU nicht mithalten.[4]

Die Aufgabe lautet also: wie die großen Gelder für den Konkurrenzkampf aufbringen? Nur der Staat kann solche Summen zusammenkratzen. Und wie soll das finanziert werden, nachdem man ja schon solch einen gigantischen Schuldenberg aufgebaut hat, der jetzt durch Corona noch mal vergrößert wurde? Auf wen diese Schuldenlast abwälzen?

Dabei herrschen zurzeit noch günstige Konditionen am Finanzmarkt.  Die Null bzw. Negativzinsen feuern den Bauboom an, treiben selbst gleichzeitig die Baupreise in astronomische Höhen, und lassen Mieten unbezahlbar werden. Gleichzeitig werden Wohnungen / Mieten dadurch immer weniger bezahlbar.[5]

Und gleichzeitig kommt mit der Nullzinspolitik das, was bürgerliche Kommentatoren die „kalte Enteignung der Sparer“ nennen.

Mittlerweile ist die Inflation auf 3-4% angezogen. Zwar behaupten die Ökonomen, dies sei zum Großteil auf die Spätfolgen des Chaos der Pandemie zurückzuführen, wodurch Lieferketten gerissen sind und zu Mangel an vielen Produkten geführt haben. Die Inflation kann sehr wohl aber eine Eigendynamik entfalten, was große Folgen für die Finanzmärkte und für die Einkommen haben würde.

Und Sparen auf dem Kosten der Arbeiterklasse

Auch wenn die neue Regierung vielleicht nicht unbedingt sofort eine große Welle von Sparmaßnahmen einleitet, um Geld einzutreiben, zeigen die Beispiele USA und GB wohin der Weg gehen wird, dort haben die Regierungen nach kurzer Zeit schon Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen beschlossen. Dabei muss die Regierung nicht unbedingt offen die Steuern erhöhen oder die Löhne senken und Sozialleistungen rabiat streichen.[6]

Die Lage auf dem Arbeitsmarkt verdeutlicht dies. Dort herrscht z.B. eine widersprüchliche Situation. Einerseits ruft u.a. die demographische Entwicklung einen Arbeitskräftemangel hervor – nicht nur im Bereich der hochqualifizierten Arbeitskräfte, sondern auch in vielen Bereichen des Niedriglohnsektors. So steht das Kapital zum ersten Mal vor der Lage, dass es einerseits in vielen Branchen immer mehr Arbeitsplätze abbauen und somit Personal freisetzen muss (z.B. im Gesundheitswesen, in der Automobilproduktion sollen durch die Einführung von E-Fahrzeugen allein  in den nächsten Jahren 180.000 Jobs wegfallen), in anderen Branchen sucht man händeringend nach Arbeitskräften – z.B. Logistik/Transport-Verkehr, Kitas, Pflegekräfte, Ingenieure. Gleichzeitig hat man durch die Prekarisierung einen immer höheren Anteil an Niedriglöhnen geschaffen,[7] während in allen Branchen die Verdichtung der Arbeit zugenommen hat. So sind viele Angriffe über Neueinstellungen mit Niedriglöhnen, allgemeine Prekarisierung und durch Arbeitsverdichtungen über die Bühne gebracht worden. Und unterdessen sind viele junge Leute nicht mehr bereit, sich in die Arbeit mit vielen Überstunden usw. voll einspannen zu lassen, um „Karriere zu machen“.

Der Arbeitskräftemangel, der 2015 die Unternehmer dazu bewogen hatte, in Anbetracht der Flüchtlingswelle von 2015 zu verkünden, man könne jedes Jahr eine Million neue Immigranten aufnehmen (damals sprach Merkel von der „Willkommenspolitik“ („Das schaffen wir“)), zwingt das Kapital zu einer Änderung seiner Migrationspolitik. Genauso wie Anfang der 60er Jahre, als nach dem Mauerbau der Zustrom billiger Arbeitskräfte aus dem Osten versiegte und man massenhaft Billig Lohner (Gastarbeiter) ins Land holte, müssten nun viel mehr Migranten reingelassen werden - aber der Populismus und der Zerfall haben hier zusätzliche Hürden aufgebaut. Der massenhafte Zustrom von Flüchtlingen hatte nach 2015 der AfD den Aufstieg mit ermöglicht. Aus Angst vor dem weiteren Zulauf zur AfD infolge eines zu starken Zustroms von Flüchtlingen wird das deutsche Kapital jedoch daran gehindert, für ausreichenden Nachschub (besonders an qualifizierten) Arbeitskräften aus dem Ausland zu sorgen. So kommt dem Kapital der Populismus in die Quere und schwächt die Konkurrenzfähigkeit.

Wegen all dieser Modernisierungsbedürfnisse und des energischen Eingreifens des Staates sowie der Notwendigkeit, die Kosten der Krise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen, stehen die weitsichtigsten Teile des deutschen Kapitals auf Seite von SPD und Grüne, weil diese Parteien am wenigsten beim Einsatz staatskapitalistischer Investitionen zögern und zumindest die Sozialdemokratie mehr Erfahrung in der Konfrontation mit der Arbeiterklasse hat.

Man könnte fragen: wäre die CDU mit ihrer lange vom damaligen Finanzminister Schäuble praktizierten "schwarzen Null“ (d.h. keine Neuaufnahme von Schulden) nicht die bessere Karte gewesen? Die Erfahrung zeigt, dass dem Staat wie nach 1990, als bei der Wiedervereinigung der damalige Kanzler Kohl auch massiv Schulden aufnahm, um die ehemalige DDR einzuverleiben, keine andere Option offenstand, um den Bedürfnissen des Kapitals zu genügen. Verstärkung des Staatskapitalismus, um eine auseinanderdriftende, von immer mehr Widersprüchen zerrissene Gesellschaft vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren – ist die historische Entwicklungslinie des niedergehenden Kapitalismus. Die Zunahme staatskapitalistischer Maßnahmen ist kein Zeichen der Auflösung der Demokratie hin zu einer Diktatur (wie es viele kleinbürgerliche Linke und Querdenker behaupten) sondern Ausdruck der Schwäche, der Krisen, der Obsoleszenz des Kapitalismus.

Unterdessen wird deutlich, dass gerade die deutsche Exportabhängigkeit zu einer größeren Verwundbarkeit durch die Erschütterungen in der Weltwirtschaft führt. Der Zusammenbruch des chinesischen Immobilienriesen Evergrande liefert einen Vorgeschmack von dem, was auf die Weltwirtschaft zukommen und besonders stark Deutschland treffen wird.

Auf imperialistischer Bühne

Auf imperialistischer Ebene wird die neue Regierung auf einer zunehmend komplexeren, chaotischen Bühne die Interessen des deutschen Kapitals verteidigen müssen.

Wegen der großen Exportabhängigkeit kann man weder gegenüber China noch Russland und auch nicht gegenüber den US einen offen aggressiven Kurs fahren. Zwar werden Rot-Grün ihre moralische Verlogenheit gegenüber China und Russland unter Beweis stellen, aber die nackten Realitäten des Konkurrenzkampfes werden sie zum Manövrieren zwingen. Das Afghanistan-Debakel hat auch die Entschlossenheit aller Parteien verdeutlicht, sich mehr aus amerikanischer Abhängigkeit zu befreien und zu eigenständigem Handeln im Verbund mit europäischen „Partnern“, (allein voran Frankreich) fähig zu werden. Insbesondere die Grünen können im Aufbau einer eigenständigeren europäischen imperialistischen Position eine wichtige Rolle spielen. All das ist notwendigerweise mit einer Anpassung der Militärausgaben verbunden. Nebenbei sei bemerkt, dass dem deutschen Imperialismus auch hier der Populismus ungelegen kommt.[8]

Die Arbeiterklasse weiterhin vor einer schwierigen Lage

Die Schwächen der Arbeiterklasse international wie auch insbesondere in Deutschland, die seit nunmehr mehreren Jahrzehnten unverkennbar sind, dürfen von den Revolutionären nicht geleugnet, sondern müssen in aller Gründlichkeit und ohne Scheu analysiert werden.

Die jüngste Entwicklung hat diese Schwierigkeiten der Arbeiterklasse, überhaupt als Klasse in Erscheinung zu treten und als Bezugspol für politisierte Leute zu wirken, noch einmal deutlicher vor Augen treten lassen. Zudem haben die Bedingungen der Pandemie noch einmal die Lage verschärft und ein Gefühl des Corona-Blues bei einigen aufkommen lassen.

Auch wenn der unmittelbare Eindruck bei manchen ein demoralisierendes Gefühl hervorrufen mag, dürfen wir nicht Gefangene der unmittelbaren Situation werden. Es ist unsere Aufgabe zu erkennen, dass die Widersprüche im Kapitalismus sich weiter aufgehäuft haben und diese uns nur noch mehr bedrohen werden. Bislang ist es dem deutschen Kapital gelungen, die schlimmsten Auswirkungen der Wirtschaftskrise von der Arbeiterklasse fernzuhalten bzw. die Bedürfnisse des Kapitals geschickt aufzuzwingen – ohne nennenswerten Widerstand der Klasse.

Auch wenn die Arbeiterklasse jetzt noch nicht direkt in einen sofortigen Zugzwang gerät, wird der zukünftige Abwehrkampf gegen die kapitalistischen Angriffe ein entscheidendes Moment sein. So schwer es auch für die Arbeiterklasse ist, diese Abwehrbewegung in Gang zu setzen, sie ist und bleibt die einzige Dynamik zur Herbeiführung einer Klassenkonfrontation, in der die wahren Klassengegensätze in der Gesellschaft deutlich werden. Sicher hat die herrschende Klasse mit dem ganzen Wahlspektakel und dank anderer, für Ablenkung sorgender Faktoren, zurzeit die Oberhand und kann die „Themen bestimmen“. Aber dies wird nicht ewig dauern. Entweder versinkt die Gesellschaft immer tiefer in ihrem Morast der Verfaulung oder der Klassenkampf entfaltet seine eigene Dynamik, langfristig mit einer Perspektive zur Überwindung dieser Gesellschaft. Es ist Aufgabe der Revolutionäre weiterhin für diese Perspektive zu kämpfen. Deshalb darf man in Anbetracht der Schwierigkeiten nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern muss eine langfristige Perspektive entwickeln.

Wolfgang 27.09.2021

 

[1]Ob als Spitzenkraft in Hamburg oder als Finanzminister – im Umgang mit Finanzen und Deals mit allen möglichen (durchsichtigen oder undurchsichtigen) Firmen, immer beteuerte er trickreich und aalglatt seine Unschuld oder verwies auf seine Gedächtnislücken.

[2] Im gesamten ersten Jahr der Pandemie wurden hierzulande mehrere kontrollierte Studien mit Patienten auf den Weg gebracht, jedoch nur eine Minderheit von ihnen erfolgreich weitergeführt oder abgeschlossen. Zu diesem wenig schmeichelhaften Resultat kommen Forscher aus der Schweiz und Deutschland nach eingehender Analyse der einschlägigen Studien-Datenbanken. (FAZ, 14.09.2021, Miserables Zeugnis für die deutsche Corona-Forschung)

[3]Neben dem Rettungspaket von 750 Mrd. Euro der EU hat der Staat in Deutschland nochmal mehrere hundert Milliarden Euro in die Wirtschaft gepumpt. „1,32 Billionen Euro Corona-Schulden und kein Ende in Sicht: So teuer wird die Krise für Deutschland. Der Schuldenstand des Bundes ist seit Pandemiebeginn um 35 Prozent angestiegen und liegt so hoch wie nie zuvor. www.handelsblatt.com/politik/deutschland/rekord-neuverschuldung-1-32-billionen-euro-corona-schulden-und-kein-ende-in-sicht-so-teuer-wird-die-krise-fuer-deutschland/27034064.html [2].

Seitdem ist der Schuldenstand unaufhörlich weitergewachsen.

[4] In der Solar-/PV-Technologie hatte z.B. Deutschland die Nase mit vorn, doch nach umfangreichen staatlichen Finanzspritzen an chinesische Firmen haben diese in der Zwischenzeit deutsche Konkurrenten platt gemacht. Ähnliches droht in anderen Branchen.

[5] Jetzt schon richten sich die meisten Proteste gegen Wohnungsnot, aber weil sie eine „klassenübergreifende“ Mobilisierung darstellen, können sie keine klassenspezifische Polarisierung bewirken und keine wirkliche politische Sprengkraft darstellen. 

[6] Zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels gibt es noch keine neue Regierung Sollte die FDP mit im Boot sein, könnten sich die anderen Parteien gut hinter ihr verstecken, so tun, als ließe man sich von ihr unter Druck setzen, um die Schuldenpolitik einzudämmen.

[7] Der sogenannte Niedriglohnsektor ist bis 2008 permanent angewachsen und hat sich seitdem bei ca. 22 Prozent festgesetzt.

[8] So konnte man beim Afghanistan-Desaster gewissermaßen die verdeckte störende Wirkung des Populismus auf imperialistischer Ebene sehen. Wie alle anderen westlichen Mächte konnte die Bundeswehr ihren fast 20-jährigen Einsatz nur dank der Rekrutierung von Ortskräften aufrechterhalten. Während man angesichts der Machtübernahme der Taliban die einheimische Bevölkerung, die nicht im Solde der westlichen Mächte stand, ihrem Schicksal überlassen wollte, vor allem die CDU/CSU bis wenige Tage vor dem Zusammenbruch des Regimes fleißig weiter Abschiebungen propagierte, geriet man in Verlegenheit gegenüber den „Schutzbedürftigen“ vor Ort. Es gehört zur Glaubwürdigkeit einer imperialistischen Macht, dass man die ehemaligen „Verbündeten“ vor Ort unterstützt. Überall war aber plötzlich wieder zu hören, „Nur bloß keine Wiederholung von 2015“. Die Angst der führenden Kreise der herrschenden Klasse, dass man wieder eine große Zahl Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen müsse, war getrieben von der Sorge, dass eine neue Flüchtlingswelle erneut der AfD nützen würde, denn diese hatte nach dem Ansturm der Flüchtlinge 2015 einen fulminanten Aufschwung für die AfD gebracht. So wurde anhand der Zurückhaltung und des Widerwillens bei der Aufnahme von „Ortskräften“ deutlich, wie stark man dem Populismus und der AfD Tribut zollen musste.

Aktuelles und Laufendes: 

  • Grüne [3]
  • FDP [4]
  • SPD [5]
  • Wahlen 2021; [6]

Leute: 

  • Scholz [7]
  • Laschet [8]
  • Merkel [9]
  • Lindner [10]
  • Habeck [11]

Rubric: 

Nationale Lage Deutschland

Die Verschärfung der imperialistischen Spannungen in Zeiten von Covid-19 – Polarisierung der Spannungen und Instabilität der Bündnisse

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Während die Covid-19-Krise mit ihren schweren gesundheitlichen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf die meisten Staaten der Welt seit fast zwei Jahren andauert, haben diese ihren imperialistischen Appetit in keiner Weise gedämpft. Die Zunahme der Spannungen war in den letzten Monaten insbesondere durch eine deutliche Verschärfung der Gegensätze zwischen den USA und China gekennzeichnet.

Polarisierung der Gegensätze im Chinesischen Meer

Die Biden-Administration hält nicht nur die von Trump eingeführten aggressiven wirtschaftlichen Maßnahmen gegen China aufrecht, sondern hat vor allem den Druck auf politischer Ebene (Verteidigung der Rechte der Uiguren und Hongkongs, Annäherung an Taiwan, mit dem derzeit ein Handelsabkommen ausgehandelt wird, Vorwürfe des Computer-Hackings) und auch auf militärischer Ebene im Chinesischen Meer erhöht, und das seit Anfang April auf ziemlich spektakuläre Weise:

- Am 7. April entsandten die USA eine Flugzeugträgergruppe (die USS Theodore Roosevelt mit ihrer Flottille) in das Südchinesische Meer, und der Raketenzerstörer USS John S. McCain durchquerte die Taiwanstraße (zwischen China und Taiwan);

- Am 11. Mai begannen amerikanische, französische (mit dem amphibischen Hubschrauberträger (PHA) Tonnerre und der Fregatte Surcouf), japanische und australische Schiffe mit gemeinsamen Militärübungen (ARC21) im Ostchinesischen Meer, den ersten ihrer Art in diesem strategischen Gebiet, unweit der unbewohnten, von Japan verwalteter Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer, die Peking für sich beansprucht und die es Diaoyu nennt. Vor diesen Übungen hatten die französischen Schiffe an den La-Pérouse-Übungen im Golf von Bengalen mit amerikanischen, australischen und japanischen Schiffen teilgenommen. Dann fuhr die Tonnerre südlich von Taiwan vorbei, um Japan zu erreichen, während die Surcouf ebenfalls die Taiwanstraße benutzte;

- Auf die französische Präsenz in Japan soll 2021 die deutsche Fregatte Hessen folgen, nachdem Berlin 2020 den Wunsch geäußert hat, im Indopazifik stärker präsent zu sein, und 2022 wird die britische Marinefliegergruppe Queen Elizabeth auf der Inselgruppe stationiert.

- Im September kündigten die USA, Großbritannien und Australien ein neues Verteidigungsabkommen an, das unter dem Namen "Aukus" bekannt ist und sich auf den Ausbau der militärischen Präsenz dieser Länder in den Meeren um China konzentriert. Die drei Länder werden militärische Erkenntnisse und technologisches Wissen austauschen, was Australien den Bau von Atom-U-Booten ermöglichen wird. Der Aukus-Pakt ist ein Schlag ins Gesicht Frankreichs, da Australien einen Milliardenvertrag mit Frankreich über den Bau einer U-Boot-Flotte gekündigt hat. Frankreich reagierte wütend und zog seine Botschafter aus den USA und Australien ab. China hat den Pakt als Beginn eines neuen kalten Krieges angeprangert, obwohl es sich über die neuen Spaltungen zwischen seinen westlichen Rivalen zweifellos freuen wird.

China seinerseits hat auf diesen politischen und militärischen Druck, insbesondere in Bezug auf Taiwan, verärgert reagiert:

- Als Reaktion auf die Anwesenheit der US-Flotte operierte Anfang April der Flugzeugträger Liaoning in Begleitung von fünf Kriegsschiffen in den Gewässern östlich der "Rebelleninsel". Taiwanesische Kampfjets mussten in aller Eile starten, um den Eintritt von fünfzehn chinesischen Flugzeugen in Taiwans Luftverteidigungsidentifikationszone abzuwehren;

- Am 19. Mai veröffentlichte eine der Kommunistischen Partei Chinas nahestehende Denkfabrik mit Sitz in Hongkong eine Studie, die betont, dass die Spannungen in der Straße von Taiwan so groß geworden sind, dass sie auf ein so hohes Risiko eines Krieges zwischen dem Festland und Taiwan hindeuten wie nie zuvor.

- Als Reaktion auf das NATO-Treffen, das eine gewisse Einigung zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union in der China-Frage markierte, drangen am 15. Juni 28 chinesische Kampfjets in die Luftverteidigungs-Identifizierungszone der ehemaligen Insel Formosa ein – das bisher größte Vordringen von Kampfflugzeugen und Bombern der Volksbefreiungsarmee;

- Anfang Juli veröffentlichte die chinesische Zeitschrift Naval and Merchant Ships einen Plan für einen dreistufigen Überraschungsangriff auf Taiwan, der zu einer totalen Niederlage der Streitkräfte der "Rebellenprovinz" führen sollte.

Ende August schließlich warnte der Jahresbericht des taiwanesischen Verteidigungsministeriums davor, dass China "jetzt digitale Operationen seiner Armee kombinieren kann, die zunächst unsere Luftverteidigung, die Kommandozentralen auf See und die Fähigkeiten zum Gegenangriff lahmlegen würden, was eine enorme Bedrohung für uns darstellt" (P.-A. Donnet, „China in a position to paralyse Taiwan's defence, according to Taipei“, Asialyst, 02.09.21).

So folgten in den letzten Monaten im Chinesischen Meer Warnungen, Drohungen und Einschüchterungen aufeinander. Sie unterstreichen den wachsenden Druck, den die USA auf China ausüben. In diesem Zusammenhang setzen die Vereinigten Staaten alles daran, andere asiatische Länder hinter sich zu scharen, die über die Expansionsbestrebungen Pekings besorgt sind ("Die ARC21-Übung ist ein Mittel zur Abschreckung angesichts des zunehmend aggressiven Verhaltens Chinas in der Region", so Takashi Kawakami, Direktor des Instituts für internationale Studien an der Takushoku-Universität (Japan), zitiert von der Tageszeitung Les Echos am 14. Mai). Die USA versuchen daher, eine Art asiatische NATO, die QUAD, zu schaffen, in der die Vereinigten Staaten, Japan, Australien und Indien vertreten sind. Andererseits will Biden die NATO wiederbeleben, um die europäischen Länder in seine Politik des Drucks auf China einzubeziehen.

Um das Bild zu vervollständigen, sollten auch die Spannungen zwischen der NATO und Russland nicht außer Acht gelassen werden: Nach dem Vorfall des 'entführten' Ryanair-Fluges, der von Weißrussland abgefangen wurde, um einen Dissidenten festzunehmen, der in Litauen Zuflucht gesucht hatte, gab es im Juni die NATO-Manöver im Schwarzen Meer vor der Ukraine, bei denen es zu einem Zwischenfall zwischen einer britischen Fregatte und russischen Schiffen kam, und im September gemeinsame Manöver der russischen und weißrussischen Armeen an den Grenzen Polens und der baltischen Staaten.

Diese Ereignisse bestätigen, dass die zunehmenden imperialistischen Spannungen zu einer Polarisierung erstens zwischen den USA und China und zweitens zwischen der NATO und Russland führen, was wiederum China und Russland dazu veranlasst, ihre Beziehungen zueinander zu verstärken, um sich den USA und der NATO entgegenzustellen.

Zusammenbruch führt zu Instabilität

Das "Kabul-Debakel" (siehe unseren Artikel Hinter dem Niedergang des US-Imperialismus steht der Niedergang des Weltkapitalismus [12] auf unserer Website) unterstreicht jedoch, wie der Zerfall und die anhaltende Destabilisierung, die durch die Covid-19-Krise beschleunigt werden, die zentrifugalen Kräfte stimulieren, das "Jeder für sich" der verschiedenen Imperialismen verschärfen und die Ausbreitung des Chaos in der Welt akzentuieren, wodurch jegliche Stabilisierung von Bündnissen ständig vereitelt wird:

- Der überstürzte Rückzug der USA aus Afghanistan, der darauf abzielt, die militärischen Kräfte gegenüber China zu konzentrieren, erfolgte ohne jegliche Konsultation der Verbündeten, obwohl Biden einige Monate zuvor auf dem G7-Gipfel und dem NATO-Treffen versprochen hatte, dass die Konsultation und die Koordinierung wieder aufgenommen würden; dieser Rückzug bedeutet auch, dass die USA ihre Verbündeten vor Ort im Stich gelassen haben (vgl. dazu den Fall mit den Kurden und die Abkühlung der Beziehungen zu Saudi-Arabien) und kann das Misstrauen von Ländern wie Indien und Südkorea gegenüber einem Verbündeten, der sich als unzuverlässig erweist, sowie die Entschlossenheit der Europäer, von den USA unabhängigere Verteidigungsstrukturen zu schaffen, nur verstärken.

Andererseits stellt die Rückkehr der Taliban an die Macht eine ernsthafte potenzielle Gefahr für die islamistische Infiltration Chinas (über das "Uiguren-Problem") dar, zumal ihre Verbündeten, die pakistanischen Taliban (TTP), eine Kampagne von Anschlägen gegen die Baustellen der "Neuen Seidenstraße" durchführen, bei der bereits rund ein Dutzend chinesischer "Mitarbeiter" ums Leben gekommen sind. Dies veranlasst China, seine Versuche zu verstärken, sich in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens (Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan) zu etablieren, um der Gefahr zu begegnen. Diese Republiken gehören jedoch traditionell zur russischen Einflusszone, was die Gefahr einer Konfrontation mit diesem "strategischen Verbündeten" erhöht, mit dem die langfristigen Interessen des Landes ohnehin grundlegend entgegengesetzt sind: Die Neue Seidenstraße führt an Russland vorbei, und das Land fürchtet sich vor dem wachsenden wirtschaftlichen Einfluss Chinas auf seine sibirischen Territorien;

- Das Chaos und die imperialistische Jeder-für-sich-selbst-Haltung in der Welt verstärken ständig die Unberechenbarkeit der Positionierung der verschiedenen Staaten: Die USA sind gezwungen, mit regelmäßigen Luftangriffen auf schiitische Milizen, die ihre Streitkräfte im Irak bedrängen, den Druck aufrechtzuerhalten; die Russen müssen in der bewaffneten Konfrontation zwischen Armenien und Aserbaidschan, die von den imperialistischen Eigeninteressen der Türkei angezettelt wurde, "Feuerwehrmann" spielen; die Ausbreitung des Chaos am Horn von Afrika durch den Bürgerkrieg in Äthiopien, bei dem der Sudan und Ägypten die Region Tigray und Eritrea die äthiopische Zentralregierung unterstützen, stört vor allem die Pläne der Chinesen, Äthiopien als Stützpunkt für ihr Projekt "Belt and Road" in Nordostafrika zu nutzen und zu diesem Zweck eine Militärbasis in Dschibuti einzurichten.

- Die unkontrollierte Ausbreitung der Pandemie in Verbindung mit der Verbreitung der Delta-Variante erfordert von den Staaten eine größere Aufmerksamkeit für die innenpolitische Situation, die unvorhersehbare Auswirkungen auf ihre imperialistische Politik haben kann. So führt beispielsweise die Stagnation der Impfungen in den USA nach einem anfänglich starken Start zu einer neuen Infektionswelle in den mittleren und südlichen Bundesstaaten. Dies führt zu neuen Zwangsmaßnahmen der Biden-Administration, was wiederum die Vorwürfe von Trumps Anhängern neu belebt. Auch in Russland sieht sich die Regierung mit einem Wiederaufflammen der Epidemie konfrontiert, während die Impfung ins Stocken geraten ist und die Bevölkerung den russischen Impfstoffen äußerst misstrauisch gegenübersteht, was den Bürgermeister von Moskau (wo 15 % der Bevölkerung geimpft sind) dazu veranlasst hat, Maßnahmen zu ergreifen, die die Impfung fast zur Pflicht machen.

In China, wo die Regierung vor der Öffnung des Landes auf die Herdenimmunität setzt, erfordert die besorgniserregende Gesundheitslage ständige Aufmerksamkeit. Solange dies nicht der Fall ist, verhängt China strenge Abriegelungen, wenn Infektionen festgestellt werden, was die Wirtschaftstätigkeit stark behindert. So wurde beispielsweise im vergangenen Mai, nachdem sich einige Hafenarbeiter im Hafen von Yantian infiziert hatten, der drittgrößte Containerhafen der Welt eine Woche lang vollständig isoliert, und die Arbeiter waren gezwungen, sich vor Ort unter Quarantäne zu stellen. Nun sind wieder ganze Landstriche durch die sich ausdehnende Delta-Variante eingeschlossen, die stärkste Ausbruchstelle seit Wuhan im Dezember 2019. Zweitens hat das Streben nach Herdenimmunität eine Reihe chinesischer Provinzen und Städte dazu veranlasst, gegen Widerspenstige schwere Strafen zu verhängen. Diese Initiativen wurden in den chinesischen sozialen Netzwerken stark kritisiert und von der Regierung gestoppt, weil sie den "nationalen Zusammenhalt" gefährden könnten. Das vielleicht gravierendste Problem schließlich ist die sich immer mehr verdichtende Erkenntnis, dass die chinesischen Impfstoffe nur begrenzt wirksam sind.

In einem solchen Kontext ist die Zunahme kriegerischer Spannungen unausweichlich. Einerseits deutet sie auf eine gewisse Polarisierung hin, insbesondere zwischen den USA und China, die durch eine wachsende Aggressivität der USA unterstrichen wird, die wissen, dass China trotz seiner enormen Investitionen in die Modernisierung seiner Streitkräfte noch nicht mit der militärischen Macht der USA mithalten kann, insbesondere in der Luft, zur See und in Bezug auf sein Atomwaffenarsenal.

Das Chaos und die verschärfte Jeder-für-sich-Haltung machen jedoch jedes Bündnis ständig instabil, stimulieren imperialistische Gelüste in alle Richtungen und drängen die Großmächte eher dazu, eine direkte Konfrontation zwischen ihren Armeen zu vermeiden, mit einem massiven Einsatz von Militärpersonal vor Ort ("boots on the ground"), wie der Abzug der US-Soldaten aus Afghanistan zeigt. Stattdessen greifen sie auf private Militärfirmen (Organisation Wagner auf russischer Seite, Blackwater/Academi auf amerikanischer Seite usw.) oder auf lokale Milizen zurück, um Aktionen vor Ort durchzuführen: Einsatz syrischer sunnitischer Milizen durch die Türkei in Libyen und Aserbaidschan, kurdischer Milizen durch die USA in Syrien und Irak, der Hisbollah oder irakischer schiitischer Milizen durch den Iran in Syrien, sudanesischer Milizen durch Saudi-Arabien im Jemen.

Die Form, die die Ausweitung dieser Spannungen annimmt, kündigt daher eine Vervielfachung der immer blutigeren und barbarischeren kriegerischen Auseinandersetzungen in einem von Instabilität und Chaos geprägten Umfeld an.

15.09.21, R. Havanais

Aktuelles und Laufendes: 

  • USA [13]
  • China [14]
  • Corona [15]

Theoretische Fragen: 

  • Imperialismus [16]

Rubric: 

Imperialistische Spannungen

IPCC-Bericht zur Klimakrise: Die Notwendigkeit des Übergangs – zum Kommunismus

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Vor 20 Jahren, im Jahr 2001, wies der Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) auf ein Dokument der vom Stockholmer Umweltinstitut einberufenen Global Scenario Group hin, in dem drei mögliche Szenarien für die Zukunft der Menschheit als Folge der Klimakrise skizziert wurden:

"Der GSG-Rahmen umfasst drei große Klassen von Szenarien für die Untersuchung der Zukunft: 'konventionelle Welten', 'Barbarei' und 'großer Übergang' – mit Varianten innerhalb jeder Klasse. Alle sind mit den derzeitigen Mustern und Trends vereinbar, haben aber sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Umwelt im 21. Jahrhundert ... In den Szenarien der 'konventionellen Welten' entwickelt sich die globale Gesellschaft allmählich von den derzeitigen Mustern und vorherrschenden Tendenzen ausgehend, wobei die Entwicklung in erster Linie durch schnell wachsende Märkte vorangetrieben wird, während sich die Entwicklungsländer dem Entwicklungsmodell der fortgeschrittenen Industrieländer ('entwickelten' Länder) annähern. In Szenarien der 'Barbarisierung‘ werden die durch die konventionelle Entwicklung hervorgerufenen ökologischen und sozialen Spannungen nicht gelöst, humanitäre Normen werden aufgeweicht, und die Welt wird autoritärer oder anarchischer. Die Szenarien 'großer Übergang' erforschen visionäre Lösungen für die Nachhaltigkeitsherausforderung, die den Aufstieg neuer Werte, Lebensstile und Institutionen darstellen" (S. 140 des IPCC-Berichts 2001, Arbeitsgruppe 3 zur Abschwächung).

Im Jahr 2021, nach oder begleitet von beispiellosen Hitzewellen von Kanada bis Sibirien, Überschwemmungen in Nordeuropa und China, Dürren und Waldbränden in Kalifornien, neuen Anzeichen für das Abschmelzen des arktischen Eises, hat der erste Teil des IPCC-Berichts, der sich auf die wissenschaftliche Analyse der Klimatrends konzentriert, deutlich gemacht, dass die "konventionelle" Fortsetzung der kapitalistischen Akkumulation uns in die "Barbarei" treibt. Mit Blick auf die COP-Klimakonferenz im Oktober/November in Glasgow argumentiert der Bericht eindringlich, dass es ohne drastische und konzertierte globale Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen in den nächsten Jahrzehnten nicht möglich sein wird, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, eine Schwelle, die als notwendig angesehen wird, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden. Und nicht nur das: Der Bericht verweist auf eine Reihe von "planetarischen Grenzen" oder Kipp-Punkten, die zu einer unkontrollierbaren Beschleunigung der Erwärmung des Planeten führen könnten, so dass große Teile der Erde nicht mehr für menschliches Leben geeignet wären. Nach Ansicht vieler der in dem Bericht zitierten Experten sind vier dieser Grenzen bereits überschritten, insbesondere beim Klimawandel, beim Verlust der biologischen Vielfalt und bei nicht nachhaltigen landwirtschaftlichen Methoden, und mehrere weitere, wie die Versauerung der Ozeane, die Verschmutzung durch Plastikmüll und der Abbau der Ozonschicht, drohen zu einer sich gegenseitig verstärkenden Spirale mit den anderen Faktoren zu führen.[1]

Der Bericht stellt auch klar, dass diese Gefahren vor allem auf "menschliche Eingriffe" (d.h. die Produktion und Ausweitung des Kapitals) zurückzuführen sind und nicht auf natürliche Prozesse wie die Sonnenaktivität oder Vulkanausbrüche, Erklärungen, die oft die letzte Zuflucht der zunehmend diskreditierten Leugner des Klimawandels sind.

Der Teil des Berichts, der sich mit möglichen Auswegen aus der Krise befasst, wurde noch nicht veröffentlicht, aber aus allen früheren Berichten wissen wir, dass das Intergovernmental Panel, so sehr es auch von "Übergängen" zu einem neuen Wirtschaftsmodell sprechen mag, das aufhört, Treibhausgase in völlig unhaltbaren Mengen auszustoßen, keine andere Antwort hat, als an die Regierungen, d.h. die kapitalistischen Staaten, zu appellieren, zur Vernunft zu kommen, zusammenzuarbeiten und sich auf radikale Veränderungen in der Funktionsweise ihrer Volkswirtschaften zu einigen. Mit anderen Worten: Die kapitalistische Produktionsweise, deren unerbittliches Profitstreben der Kern der Krise ist, muss zu etwas werden, was sie nie sein kann: eine einheitliche Gemeinschaft, in der die Produktionstätigkeit nicht durch die Anforderungen des Marktes, sondern durch die Lebensbedürfnisse der Menschen geregelt wird.

Das soll nicht heißen, dass die kapitalistischen Institutionen die Gefahren des Klimawandels völlig ignorierten. Die zunehmende Zahl internationaler Klimakonferenzen und die Existenz des IPCC sind ein Beweis dafür. Da die aus dem Klimawandel resultierenden Katastrophen immer häufiger werden, ist es offensichtlich, dass dies enorme Kosten mit sich bringen wird: ökonomische natürlich, durch die Zerstörung von Häusern, Landwirtschaft und Infrastruktur, aber auch soziale: sich ausbreitende Verarmung, zunehmende Zahl von Migrant*innen auf der Flucht aus verwüsteten Regionen und so weiter. Und alle außer den verblendetsten Politikern und Bürokraten wissen, dass dies die Staatskassen enorm belasten wird, wie die Covid-Pandemie (die auch mit der Umweltkrise zusammenhängt) deutlich gezeigt hat. Und auch die einzelnen kapitalistischen Unternehmen reagieren: Nahezu jedes Unternehmen wirbt heute mit seiner Umweltfreundlichkeit und seinem Engagement für neue, nachhaltige Modelle. Die Autoindustrie ist ein gutes Beispiel dafür: Im Bewusstsein, dass der Verbrennungsmotor (und die Ölindustrie) eine Hauptquelle für Treibhausgasemissionen ist, stellen fast alle großen Autohersteller im nächsten Jahrzehnt auf Elektroautos um. Aber sie können nicht aufhören, miteinander zu konkurrieren, um möglichst viele ihrer "grünen Autos" zu verkaufen, auch wenn die Produktion von Elektroautos selbst erhebliche ökologische Folgen hat – vor allem wegen der Förderung von Rohstoffen wie Lithium, die für die Herstellung von Autobatterien benötigt werden, die auf massiven Abbauvorhaben und dem weiteren Ausbau der globalen Verkehrsnetze beruht. Das Gleiche gilt für die Volkswirtschaften. Schon jetzt rechnet die COP-Konferenz mit erheblichen Schwierigkeiten, "Entwicklungsländer" wie Russland, China und Indien davon zu überzeugen, ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, um die Emissionen zu reduzieren. Und sie widersetzen sich einem solchen Druck aus ganz logischen kapitalistischen Gründen: weil dies ihren Wettbewerbsvorteil in einer Welt, die bereits mit Waren überschwemmt ist, stark verringern würde.

Die Welt ist nicht mehr groß genug für den Kapitalismus

Seit den Tagen des Kommunistischen Manifests haben Marxisten darauf hingewiesen, dass der Kapitalismus durch seine Überproduktionskrisen und die Suche nach neuen Märkten dazu getrieben wird, "die Erde zu erobern", ein weltweites System zu werden, und dass diese "universalisierende Tendenz" die Möglichkeit einer neuen Gesellschaft schafft, in der die menschlichen Bedürfnisse, die volle Entfaltung des Individuums, zum Ziel aller gesellschaftlichen Aktivitäten werden. Aber gleichzeitig enthält diese Tendenz auch den Keim der Auflösung, der Selbstzerstörung des Kapitals und damit die zwingende Notwendigkeit des Übergangs zu einer neuen menschlichen Gemeinschaft, zum Kommunismus.[2] Und zur Zeit des Ersten Weltkriegs zeigten Marxisten wie Bucharin und Luxemburg ganz konkret, wie sich diese Gefahr der Selbstzerstörung auswirken würde: Je mehr sich der Kapitalismus globalisiert, desto mehr wird er im tödlichen militärischen Wettbewerb zwischen den imperialistischen Nationen verschlungen, die sich neue Rohstoffquellen, billigere Arbeitskräfte und neue Absatzmärkte für ihre Produktion erschließen wollen.

Doch obwohl Marx, Engels und andere schon früh erkannten, dass das kapitalistische System die Luft vergiftet und die Böden auslaugt, konnten sie nicht alle ökologischen Folgen einer Welt erkennen, in der das Kapital in fast alle Regionen in allen vier Himmelsrichtungen vordringt und die gesamte Erde seiner zügellosen Urbanisierung und seinen giftigen Produktions- und Vertriebsmethoden unterwirft. Die kapitalistische Expansion, angetrieben durch die wirtschaftlichen Widersprüche, die in der Beziehung zwischen Kapital und Lohnarbeit enthalten sind, hat die Entfremdung der Menschheit von der Natur auf die Spitze getrieben. So wie es eine Grenze für die Fähigkeit des Kapitalismus gibt, den Mehrwert zu realisieren, den er aus den Arbeitern und Arbeiterinnen herauspresst, so schafft die profitorientierte Plünderung der natürlichen Ressourcen der Erde ein neues Hindernis für die Fähigkeit des Kapitalismus, seine Sklaven zu ernähren und seine Herrschaft aufrecht zu erhalten. Die Welt ist nicht mehr groß genug für den Kapitalismus. Und weit davon entfernt, die kapitalistischen Staaten zur Vernunft zu bringen und zum Wohle des Planeten zusammenzuarbeiten, werden die Erschöpfung der Ressourcen und die Folgen des Klimawandels die militärischen Rivalitäten in einer Welt, in der jeder Staat versucht, sich angesichts der Katastrophe zu retten, eher noch verschärfen.

Der kapitalistische Staat, ob offen despotisch oder mit dem Deckmantel der Demokratie, kann nur die Gesetze des Kapitals anwenden, die die Quelle der tiefgreifenden Bedrohungen für die Zukunft der Menschheit sind.

Der Kapitalismus kann, wenn man ihn fortbestehen lässt, die Welt nur in eine sich beschleunigende "Barbarei" stürzen. Der einzige "Übergang", der dies verhindern kann, ist der Übergang zum Kommunismus, der wiederum nicht durch Appelle an die Regierungen, durch die Wahl "grüner" Parteien oder durch Proteste als "besorgte Bürger" erreicht werden kann. Dieser Übergang kann nur durch den gemeinsamen, internationalen Kampf der ausgebeuteten Klasse, des Proletariats, in Angriff genommen werden, das in den meisten Fällen das erste Opfer der Klimakrise sein wird, wie es bereits im Fall der Wirtschaftskrise der Fall ist. Allein der Kampf der Arbeiter und Arbeiterinnen angesichts der Angriffe auf ihre Lebensbedingungen enthält den Keim für eine allgemeine revolutionäre Bewegung, die den Kapitalismus für all das Elend zur Rechenschaft ziehen wird, das er der menschlichen Spezies und dem Planeten, der sie ernährt, zufügt.

Amos, 28.09.2021

 
[1] Planetare Grenzen [17] (Wikipedia)

[2] „Während das Capital also einerseits dahin streben muß, jede örtliche Schranke des Verkehrs, i.e. des Austauschs niederzureissen, die ganze Erde als seinen Markt zu erobern, strebt es andrerseits danach den Raum zu vernichten durch die Zeit; d.h. die Zeit, die die Bewegung von einem Ort zum andren kostet, auf ein Minimum zu reduciren. Je entwickelter das Capital, je ausgedehnter daher der Markt, auf dem es circulirt, der die räumliche Bahn seiner Circulation bildet, desto mehr strebt es zugleich nach größrer räumlicher Ausdehnung des Markts und nach größrer Vernichtung des Raums durch die Zeit. (…) Die universelle Tendenz des Capitals erscheint hier, die es von allen früheren  Productionsstufen unterscheidet. Obgleich seiner Natur nach selbst borniert, strebt es nach universeller Entwicklung der Productivkräfte und wird so die Voraussetzung neuer Productionsweise, die gegründet ist nicht auf die Entwicklung der Productivkräfte, um einen bestimmten Zustand zu reproduciren und höchstens auszuweiten, sondern wo die – freie, ungehemmte, progressive, und universelle Entwicklung der Productivkräfte selbst die Voraussetzung der Gesellschaft und daher ihrer Reproduction bildet; wo die einzige Voraussetzung das Hinausgehn über den Ausgangspunkt. Diese Tendenz – die das Capital hat, aber die zugleich ihm selbst als einer bornierten Productionsform widerspricht und es daher zu seiner Auflösung treibt – unterscheidet das Capital von allen frühren Productionsweisen und enthält zugleich das in sich, daß es als bloser Uebergangspunkt gesetzt ist. Alle bisherigen Gesellschaftsformen ||28| gingen unter an der Entwicklung des Reichthums – oder was dasselbe ist der gesellschaftlichen Productivkräfte.“ (Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Heft V, Das Kapitel vom Kapital, Zirkulationsprozess, Auflösung durch Zirkulation, S. 438).

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Klimamärsche

100 Jahre nach dem Aufstand in Kronstadt

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Nach der Russischen Revolution 1917, der Revolution in Deutschland 1918, der Gründung der Kommunistischen Internationale 1919 begehen wir den hundertsten Jahrestag der tragischen Niederschlagung des Aufstands der Arbeiter, Soldaten und Matrosen von Kronstadt im März 1921 mit dem Dokument "Die Lehren von Kronstadt" aus der International Review 3 (engl./frz./span. Ausgabe)[1], um die wichtigsten Lehren aus diesem Ereignis für die Kämpfe der Zukunft zu ziehen.

Im März 1921 setzte der Sowjetstaat, angeführt von der bolschewistischen Partei, seine militärischen Kräfte ein, um den Arbeiter- und Matrosenaufstand in der Kronstädter Garnison auf der Insel Kotlin im Finnischen Meerbusen, 30 Kilometer von Petrograd (heute St. Petersburg) entfernt, niederzuschlagen. Die 15.000 Aufständischen wurden am Abend des 7. März von 50.000 Truppen der Roten Armee angegriffen. Nach zehn Tagen erbitterter Kämpfe war der Kronstädter Aufstand besiegt. Es ist nicht möglich, verlässliche Zahlen über die Anzahl der Opfer zu bekommen, aber nach Schätzungen gab es auf der Seite der Aufständischen 3.000 Tote in den Kämpfen oder durch Hinrichtungen und 10.000 Tote auf Seiten der Roten Armee. Laut einem Kommuniqué der Tscheka vom 1. Mai 1921 wurden 6.528 Aufständische verhaftet, 2.168 hingerichtet, 1.955 zu Zwangsarbeit verurteilt (1.486 zu fünf Jahren) und 1.272 freigelassen. Die Familien der Aufständischen wurden nach Sibirien deportiert, und 8.000 Matrosen, Soldaten und Zivilisten gelang die Flucht nach Finnland.

Weniger als vier Jahre nach der Machtergreifung durch die Arbeiterklasse im Oktober 1917 waren diese Ereignisse ein tragischer Ausdruck der Degeneration einer isolierten Revolution, die am Ende ihrer Kräfte war. Es handelte sich um einen Arbeiteraufstand von Anhängern des Sowjetregimes, von jenen, die 1905 und 1917 in der Avantgarde der Bewegung gestanden hatten und die während der Oktoberrevolution als "der Stolz und der Ruhm der Revolution" angesehen worden waren. 1921 verlangten die Kronstädter Aufständischen die Erfüllung der gleichen Forderungen wie die Petrograder Arbeiter, die seit Februar gestreikt hatten: Befreiung aller inhaftierten Sozialisten, Ende der Militärherrschaft, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit für alle, die arbeiten, gleiche Rationen für alle Arbeiter... Was aber die Bedeutung dieser Bewegung unterstrich und ihren zutiefst proletarischen Charakter zum Ausdruck brachte, war nicht nur die Reaktion gegen die restriktiven Maßnahmen, sondern vor allem die Reaktion auf den Verlust der politischen Macht der Arbeiterräte zugunsten von Partei und Staat, die sich an die Stelle der Räte gesetzt hatten und behaupteten, die Ziele und Interessen des Proletariats zu vertreten. Dies wurde im ersten Punkt der von den Aufständischen verabschiedeten Resolution zum Ausdruck gebracht: "In Anbetracht der Tatsache, dass die gegenwärtigen Sowjets nicht den Willen der Arbeiter und Bauern zum Ausdruck bringen, sofortige Durchführung von Neuwahlen in geheimer Abstimmung, mit der Freiheit, dass vorher alle Arbeiter und Bauern dafür Agitation betreiben dürfen".

Wenn die Bourgeoisie von der Niederschlagung des Aufstandes durch die Rote Armee spricht, versucht sie immer, der Arbeiterklasse zu beweisen, dass es eine ununterbrochene Kette gebe, die Marx und Lenin mit Stalin und dem Gulag verbinde. Das Ziel der Bourgeoisie ist es, dafür zu sorgen, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen sich von der Geschichte ihrer Klasse abwenden und sich ihre eigenen Erfahrungen nicht wieder aneignen. Die Theorien der Anarchisten kommen zu denselben Schlussfolgerungen, indem sie vom angeblich autoritären und konterrevolutionären Charakter des Marxismus und der in seinem Namen agierenden Parteien ausgehen. Die Anarchisten haben eine abstrakt "moralische" Sicht auf diese Ereignisse. Ausgehend von der Idee des Autoritarismus, der der bolschewistischen Partei innewohne, sind sie unfähig, die Degeneration der Revolution im Allgemeinen und die Kronstädter Episode im Besonderen zu erklären. Dies war eine Revolution, die nach sieben Jahren Weltkrieg und Bürgerkrieg erschöpft war, mit einer industriellen Infrastruktur in Trümmern, einer Arbeiterklasse, die dezimiert worden war, ausgehungert, konfrontiert mit Bauernaufständen in den Provinzen. Eine Revolution, die dramatisch isoliert war und bei der eine internationale Ausweitung nach dem Scheitern der Revolution in Deutschland immer unwahrscheinlicher geworden war. Angesichts all der Probleme, die sich der Arbeiterklasse und der bolschewistischen Partei stellten, verschlossen die Anarchisten einfach die Augen.

Aus der Perspektive der proletarischen Weltrevolution betrachtet, betrifft die grundlegende historische Lehre aus der Niederschlagung des Kronstädter Aufstands die Frage der Klassengewalt. Während revolutionäre Gewalt eine Waffe des Proletariats ist, um den Kapitalismus und seine Klassenfeinde zu stürzen, darf sie unter keinem Vorwand innerhalb der Arbeiterklasse, gegen andere Proletarier und Proletarierinnen, eingesetzt werden. Der Kommunismus kann dem Proletariat nicht durch Zwang und Gewalt aufgezwungen werden, weil diese Mittel dem bewussten Wesen seiner Revolution kategorisch entgegenstehen, die nur durch ihre eigene Erfahrung und die ständige kritische Auswertung dieser Erfahrung vorankommen kann. Die Entscheidung der bolschewistischen Partei, den Kronstädter Aufstand niederzuschlagen, kann nur im Zusammenhang mit der internationalen Isolierung der Revolution und dem furchtbaren Bürgerkrieg verstanden werden, der das Land erfasst hatte. Dennoch bleibt eine solche Entscheidung ein tragischer Fehler, da sie gegen Arbeiter und Arbeiterinnen ausgeübt wurde, die sich erhoben hatten, um die Hauptwaffe der bewussten politischen Umgestaltung der Gesellschaft zu verteidigen, das entscheidende Organ der proletarischen Diktatur: die Macht der Sowjets.

Der Artikel ist hier zu finden: The lessons of Kronstadt  [18](Die Lehren von Kronstadt)

IKS, März 2021


[1] Vgl. auch: 1921: The proletariat and the transitional state in International Review 100 (engl./frz./span. Aufgabe); Kronstadt verstehen in Internationale Revue 28; 90 years after Kronstadt: a tragedy that's still being debated in the revolutionary movement [19]; Historical lessons of the Kronstadt revolt [20], Part I; Historical lessons of the Kronstadt revolt, Part II [21](diese letzten 3 Artikel auf unserer englischsprachigen Webseite)

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Geschichte der Arbeiterbewegung

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Links
[1] https://de.internationalism.org/files/de/211123_wr183_einzelseiten.pdf [2] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/rekord-neuverschuldung-1-32-billionen-euro-corona-schulden-und-kein-ende-in-sicht-so-teuer-wird-die-krise-fuer-deutschland/27034064.html [3] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/grune [4] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/fdp [5] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/spd [6] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/wahlen-2021 [7] https://de.internationalism.org/en/tag/leute/scholz [8] https://de.internationalism.org/en/tag/leute/laschet [9] https://de.internationalism.org/en/tag/leute/merkel [10] https://de.internationalism.org/en/tag/leute/lindner [11] https://de.internationalism.org/en/tag/leute/habeck [12] https://de.internationalism.org/content/3004/hinter-dem-niedergang-des-us-imperialismus-steht-der-niedergang-des-weltkapitalismus [13] https://de.internationalism.org/en/tag/6/1296/usa [14] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/china [15] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/corona [16] https://de.internationalism.org/en/tag/3/43/imperialismus [17] https://de.wikipedia.org/wiki/Planetare_Grenzen [18] https://en.internationalism.org/specialtexts/IR003_kron.htm [19] https://en.internationalism.org/wr/345/kronstadtdebate [20] https://en.internationalism.org/inter/123_kronstadt.html [21] https://en.internationalism.org/inter/124_kronstadt.html