Der blutige Anschlag auf die Moskauer Crocus Hall am 22. März 2024, Putins eiskalter Zynismus in der Ukraine, die mörderische Härte der Netanjahu-Regierung, das massenhafte Abschlachten und Aushungern der Zivilbevölkerung... – all das bestätigt, dass das kapitalistische System bankrott ist, dass die bürgerliche Gesellschaft in einen Strudel der Zerstörung und des allgemeinen Chaos hineingezogen wird. Und dieser Prozess kann sich nur noch beschleunigen, wie in der beängstigenden Zersetzung des Nahen Ostens, wo das Risiko einer katastrophalen direkten Konfrontation zwischen zwei regionalen Mächten, Israel und Iran, immens ist.
Wir haben wiederholt auf die historische Dynamik des Chaos hingewiesen, das in der kapitalistischen Gesellschaft seit dem Verschwinden der Blöcke und der unvermeidlichen Schwächung der amerikanischen Führung auf dem Planeten herrscht. Die Disziplin zwischen den "Verbündeten" verschwindet immer mehr, und die schmutzigen imperialistischen Interessen der großen und kleinen Mächte haben freie Bahn. Sogar ein Verbündeter der USA wie Israel, der vollständig vom Schutz der USA abhängig ist, hat den Spielraum, nach Gutdünken zu handeln, seine Provokationen zu verstärken, wie z.B. mit dem Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus, und in der Region ein Chaos auszulösen, das Washington, so gut es geht, unter Kontrolle zu bringen versucht. Der Iran hat seit Beginn des Gaza-Krieges (über die Hamas, die Hisbollah und die Huthi-Rebellen) Öl ins Feuer gegossen und die Konfrontation mit einem massiven Luftangriff direkt gegen Israel noch weiter verschärft. Trotz der verzweifelten Versuche der USA, die Zuspitzung durch Kontrolle einzudämmen, bestätigt die Entwicklung im Nahen Osten den anhaltenden Niedergang ihrer Macht und birgt die Gefahr in sich, dass die Region in einen allgemeinen Flächenbrand hineingezogen wird.
Die Bourgeoisie kann schlussendlich nichts gegen die tödliche Dynamik ihres Systems unternehmen. Die chronische Wirtschaftskrise, die Umweltkatastrophen und die Kriege sind die hässliche Fratze des Zerfalls des Kapitalismus, des Verfaulens einer Gesellschaft, die auf einer veralteten Produktionsweise beruht, die durch die Ausbeutung der Arbeitskraft, die Konkurrenz aller gegen alle und den Krieg geprägt ist und die nichts mehr zu bieten hat außer Terror, Leid und Tod. Immer mehr Teile der Welt werden für ihre Bevölkerung unbewohnbar, wie Haiti, das im Chaos versinkt und kriminellen Banden ausgeliefert ist, oder wie viele Staaten in Afrika und Lateinamerika, wo sich Korruption, Warlords, Mafias und Drogenhändler breit machen.
Das Epizentrum dieser Abwärtsspirale liegt im Herzen des Kapitalismus, vor allem in der langen führenden Weltmacht, den USA. Nachdem sie das Chaos der letzten Jahrzehnte noch verschlimmert haben, indem sie versuchten, ihre Rolle als Weltpolizist durchzusetzen (insbesondere im Irak und in Afghanistan), setzen die USA alle Mittel ein, um ihrem unumkehrbaren Niedergang entgegenzuwirken, und zögern nicht, ihre ehemaligen "Verbündeten", die jetzt Rivalen sind, mit Füßen zu treten.
Die Umsetzung dieser Politik verschärft auch die Spannungen innerhalb der amerikanischen Bourgeoisie selbst, wie die Auseinandersetzungen zeigen, die bereits den Wahlkampf im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im November 2024 prägen. Diese Spannungen schüren die Instabilität des amerikanischen politischen Apparats, der immer stärker zersplittert und polarisiert wird, nicht nur durch die Spaltung zwischen Republikanern und Demokraten, sondern auch und vor allem durch die wachsenden Gräben innerhalb der beiden rivalisierenden Lager. Im Moment, April 2024, ist der Populist Trump der Favorit, trotz aller Versuche, ihn zu entmündigen. In der Tat ist der Populismus in der amerikanischen Politik nach wie vor tief verwurzelt, was sich auch in mehreren europäischen Ländern deutlich zeigt.
Diese Situation verunsichert nicht nur die amerikanische Bourgeoisie, sondern auch die Herrschenden in der ganzen Welt, da sie nicht im Voraus wissen, welche Position Washington zu den brennenden Fragen der weltweiten Geopolitik einnehmen wird. Diese Auseinandersetzungen zwischen Fraktionen innerhalb der amerikanischen Bourgeoisie (von Trumps hetzerischen Parolen bis hin zur politischen Blockade im Kongress über die militärische Unterstützung der Ukraine) sind ein wichtiger Beschleuniger der imperialistischen Instabilität.
Die innenpolitische Unruhe untergräbt die Glaubwürdigkeit und Autorität der USA selbst, die auch durch eine chaotische internationale Lage zunehmend untergraben wird. Diese Instabilität ermutigt ihre Hauptkonkurrenten und zweitrangigen Mächte noch mehr: Sie bestärkt Putins irrationalen Ansprüche und schürt Selenskyjs tödliche Logik des Krieges bis zum Ende und stimuliert das Kriegsfieber Netanjahus, des Irans und seiner terroristischen Verbündeten. Und während China jede unmittelbare Reaktion auf die Provokationen und den Druck Washingtons vermeidet, erhöht es seinen eigenen Druck auf Taiwan und die Philippinen und prüft offener die Möglichkeit, seinen Status als Herausforderer der USA längerfristig zu stärken.
Die wachsende Aggressivität der großen und kleinen imperialistischen Haie, die versuchen, die Auseinandersetzungen zwischen den bürgerlichen Cliquen in den Vereinigten Staaten auszunutzen, bedeutet keineswegs, dass sie selbst von internen Spannungen verschont blieben. Putin ist gefangen zwischen dem Gemetzel im Donbass und den terroristischen Kampagnen des Islamischen Staates, dessen Kräfte aus den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens eindringen, eine Bedrohung, die der herrschende Clan in Russland und seine Geheimdienste trotz der Warnungen verschiedener ausländischer Geheimdienste nicht neutralisieren konnten. In China sieht sich Xi mit einer stagnierenden Wirtschaft, der Destabilisierung des "Seidenstraßen"-Projekts durch das herrschende Chaos und internen Spannungen innerhalb des Apparats der sogenannten Kommunistischen Partei Chinas konfrontiert. Israels rasantes Zuschlagen ist das Ergebnis heftiger Auseinandersetzungen zwischen den nationalistischen Hardliner-Cliquen an der Macht und anderen Fraktionen der Bourgeoisie, sowie des Kampfes um das politische Überleben von Netanjahu, der seit 2020 vor Gericht steht.
Die derzeitige Instabilität der US-Politik beunruhigt auch die europäischen Bourgeoisien und verschärft tendenziell die Spaltungen innerhalb der EU selbst in der Frage, welche Politik angesichts des Drucks der NATO und gegenüber den USA verfolgt werden soll. Infolgedessen verschärfen sich die Streitigkeiten innerhalb des "deutsch-französischen Paares", das bereits in einer "Zwangsehe" gefangen ist.
Angesichts des Versinkens der Gesellschaft in die Barbarei kann das Proletariat von den jetzt noch bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Amerika und auch von allen anderen kommenden Wahlen nichts erwarten. Wie auch immer die Präsidentschaftswahlen in den USA ausgehen, sie werden den Trend zu Chaos, Krieg und Zersplitterung der Welt in keiner Weise umkehren, und die Arbeiterklasse wird mehr denn je unter den Folgen der kapitalistischen Ausbeutung leiden. Wahlen sind nur wichtig, um in der Arbeiterklasse die Illusion zu verbreiten, dass sie den Lauf der Dinge durch die "richtige Wahl" beeinflussen könne, während der Wahlzirkus nichts anderes ist als ein Konflikt zwischen bürgerlichen Cliquen, die immer schärfer um die Macht ringen. Im Gegensatz zu den von den Demokraten und insbesondere von linken Gruppen verbreiteten Lügen, die ein "fortschrittliches" oder "kleineres Übel" von Biden mit dem "absoluten Übel" von Trump vergleichen, muss das Proletariat dem "demokratischen Diskurs" entgegentreten, die Wahlfalle ablehnen und seinen autonomen Klassenkampf führen.
Was die bürgerlichen Fraktionen in den USA betrifft, so streiten sie sich nur über die wirksamste und kostengünstigste Strategie zur Aufrechterhaltung der amerikanischen Vorherrschaft, die sie alle mit allen Mitteln aufrechterhalten wollen, ungeachtet der Folgen für die Menschheit und den Planeten. Den Iran militärisch angreifen oder ihn durch eine Wirtschaftsblockade schwächen? Den Druck auf Russland so weit erhöhen, dass es implodiert, oder den Zermürbungskrieg fortsetzen? Oder die Sicherheit seiner europäischen "Verbündeten" bedrohen? Wie auch immer die Antworten lauten, sie werden immer Teil der Logik des Krieges sein, und seine Finanzierung wird den ArbeiterInnen immer neue Opfer abverlangen. Kurzum, welche Partei auch immer die Wahlen gewinnt, das Ergebnis wird weitere Instabilität, neue Massaker und eine Politik der verbrannten Erde sein.
Angesichts dieser unsäglichen Barbarei, angesichts der Verheißung eines weit verbreiteten Chaos, stellt das Proletariat die einzig mögliche Alternative dar, um die Menschheit vor einer Zerstörung zu bewahren, die von der mörderischen Dynamik eines dekadenten kapitalistischen Systems bestimmt wird. Die Arbeiterklasse ist – auch wenn noch allzu scheu - zu ihrem Kampf zurückgekehrt, und ihr revolutionäres Potenzial ist nach wie vor intakt. Sie ist nach wie vor in der Lage, langfristig ihre Perspektive und ihr kommunistisches Projekt umzusetzen.
Für diesen Kampf müssen wir als Klasse kämpfen und von nun an die Logik des Krieges und des Opfers ablehnen. Die bürgerliche Rhetorik, die den Krieg als "Notwendigkeit" im Namen der Erhaltung des Friedens darstellt, ist eine ekelhafte Lüge! Der wahre Übeltäter ist das kapitalistische System!
EKA, 18. April 2024
Wenige Tage nach dem Attentat auf Donald Trump, bei dem einer seiner Anhänger ums Leben kam, ist es noch zu früh, um das genaue Motiv des Schützen und die Gründe für das Versagen des für den Schutz des ehemaligen Präsidenten zuständigen Sicherheitsdienstes zu wissen. Der Anschlag stellte jedoch den Wahlkampf auf den Kopf und ermöglichte es dem republikanischen Lager, einen weiteren Schritt in Richtung Sieg zu machen. Am Ohr getroffen, mit blutverschmiertem Gesicht und erhobener Faust, wie durch ein Wunder, steht die bravouröse Reaktion Trumps, der in den Umfragen bereits als Favorit gilt, in deutlichem Kontrast zu den immer deutlicher werdenden Anzeichen von Joe Bidens Senilität. Wie dem auch sei, dieses Ereignis ist ein weiterer Beweis für die wachsende Instabilität der amerikanischen herrschenden Klasse.
Die USA haben eine lange Tradition politischer Attentate, von denen vier die höchsten Regierungsebenen erreicht haben. Doch nach der Ermordung der britischen Abgeordneten Jo Cox inmitten der Brexit-Kampagne im Jahr 2016, nach dem Attentat auf Bolsonaro in Brasilien im Jahr 2018, nach der Ermordung des ehemaligen japanischen Premierministers Shinzō Abe im Jahr 2022, nach dem Attentat auf den slowakischen Premierminister Robert Fico im Mai 2024 oder nach dem Anschlag auf die dänische Premierministerin Mette Frederiksen mitten auf der Straße im vergangenen Juni findet dieses neue Attentat vor dem Hintergrund erhöhter Gewalt und politischer Spannungen in der ganzen Welt statt. Drohungen, Beleidigungen, offener Fremdenhass, die Gewalt rechtsextremer Gruppen, die Einmischung von Banden in Wahlprozesse, Abrechnungen zwischen bürgerlichen Cliquen... dieses schleichende Chaos, das bisher auf die schwächsten Länder Lateinamerikas und Afrikas beschränkt war, beginnt, mit dem nötigen Augenmaß, zur Norm in den großen Mächten des Kapitalismus zu werden.
In den USA, wo eine der Aufgaben der „demokratischen“ Institutionen darin besteht, die Einheit des Staates zu gewährleisten, zeugt die zunehmende Schwierigkeit, die Gewalt in den Beziehungen zwischen den rivalisierenden bürgerlichen Fraktionen einzudämmen und zu begrenzen, von einer echten Verschärfung der Spannungen. Die Atmosphäre der Gewalt ist auf ihrem Höhepunkt. Seit er das Weiße Haus verlassen und den gescheiterten Versuch, das Kapitol zu stürmen, unterstützt hat, hat Trump selbst nicht aufgehört, Öl ins Feuer zu gießen, indem er die Wahlergebnisse in Frage stellte, sich weigerte, seine Niederlage anzuerkennen, und versprach, seinen rachsüchtigen Arm auf die „Verräter“, die „Lügner“ und die „Korrupten“ zu richten. Er hat nie aufgehört, die „öffentliche Debatte“ immer hysterischer werden zu lassen, eine Lügengeschichte nach der anderen zu erzählen und seine Anhänger in Aufruhr zu versetzen... Der ehemalige Präsident erwies sich als wesentliches Glied in einer wahren Kette der Gewalt, die aus allen Poren der Gesellschaft quillt und sich schließlich gegen ihn wendet.
Die Tatsache, dass eine so unverantwortliche und groteske Figur in der Lage war, jede Kraft innerhalb der Republikanischen Partei, die auch nur im Entferntesten in der Lage war, den bürgerlichen Staat wirksam zu führen, beiseite zu fegen, dass er sogar für das Amt des Präsidenten kandidieren konnte, ohne auf ernsthafte Schwierigkeiten zu stoßen, sei es politisch oder sogar juristisch (trotz zahlreicher Versuche seiner Gegner), ist an sich schon ein auffälliges Zeichen für die Ohnmacht und tiefe Instabilität, in die der amerikanische politische Apparat versinkt.
Doch wenn Trump tatsächlich das Sprachrohr einer ganzen Atmosphäre sozialer und politischer Gewalt ist, ein aktiver Faktor der Destabilisierung, dann ist er lediglich die Karikatur der Dynamik, die in der gesamten herrschenden Klasse am Werk ist. Das Lager der Demokraten ist zwar etwas mehr darum bemüht, diesen Prozess zu bremsen, trägt aber genauso zur globalen Instabilität bei.
Zugegeben, nach der inkohärenten und unberechenbaren Politik der Trump-Administration hat sich Biden bei der Verteidigung der Interessen der amerikanischen herrschenden Klasse als effektiver erwiesen, aber zu welchem Preis? Obwohl die Kriege in Afghanistan und im Irak, die den Niedergang der amerikanischen Führungsrolle aufhalten sollten, indem sie sich als „Weltpolizist“ durchsetzen, in einem Fiasko endeten und das Chaos im Nahen Osten und auf der ganzen Welt verschlimmerten, provozierte Biden Russland zu einer Intervention in der Ukraine[1].
Dieses groß angelegte Massaker zieht sich Woche für Woche hin und ein Ende scheint nicht in Sicht. Angesichts der steigenden Inflation und der Verschärfung der weltweiten Krise, der zunehmenden imperialistischen Spannungen und der beträchtlichen Ausweitung der Kriegswirtschaft auf allen Kontinenten hat der Konflikt in der Ukraine nur zu einer weiteren Destabilisierung in noch größerem Umfang geführt, auch in den USA.
Gleichzeitig hat Biden die Spannungen mit China über den Pazifik hinweg verschärft und das Risiko einer direkten Konfrontation erhöht. Der Krieg im Gaza-Streifen, den der amerikanische Präsident nicht in den Griff bekommen hat, hat auch den Niedergang der amerikanischen Kontrolle erheblich verstärkt, was früher oder später zu einer noch barbarischeren Reaktion der USA führen wird.
Der US-Präsident hat kläglich versucht, sich an die Macht zu klammern, während ein großer Teil seines Lagers ihn zum Rücktritt drängte. Nach anfänglichem Zögern, wer Biden ersetzen soll, hat sich die Demokratische Partei trotz ihrer Spaltungen und Widersprüchen aufgrund der Diskreditierung der demokratischen Nachfolgekandidaten relativ geschlossen hinter Kamala Harris gestellt, obwohl sie eigentlich in ihrer Partei unbeliebt ist. Zwischen Trump, Biden, Harris... bleiben der amerikanischen herrschenden Klasse nur schlechte Optionen, ein Zeichen für ihre große Schwäche.
Ein weiteres Zeichen für die extremen Spannungen zwischen dem republikanischen und dem demokratischen Lager: Trump hatte noch nicht einmal das Krankenhaus verlassen, da beschuldigten sie sich bereits vehement gegenseitig, für den Anschlag verantwortlich zu sein. Trump und Biden, die sich der explosiven Situation bewusst waren, versuchten kurzzeitig, die aufgeheizte Atmosphäre im Namen der nationalen Einheit zu beruhigen... bevor eine Flut von Fake News und unbegründeten Anschuldigungen wieder losgelassen wurde.
Aber die Spaltung zwischen den bürgerlichen Parteien, die erbitterten Kämpfe innerhalb dieser Parteien, die ständigen Pokerspiele, die Rivalitäten der Egos, die Verleumdungen, die Strategien der verbrannten Erde – all das ist keineswegs nur das Vorrecht der herrschenden Klasse in den USA. Der Wahlkampf in Amerika spiegelt natürlich die Situation in vielen Staaten Europas und anderswo wider, wofür Frankreich das jüngste leuchtende Beispiel ist. Der Kapitalismus verrottet in seinen Grundfesten, und das hat Folgen auf allen Ebenen (imperialistisch, sozial, wirtschaftlich, ökologisch...) und zieht die politischen Apparate der herrschenden Klasse in eine Logik des „Rette, was du kannst“ hinein. Dies ist eine unausweichliche Spirale der Instabilität, in der jede bürgerliche Clique versucht, sich so gut wie möglich über Wasser zu halten... sogar zum Nachteil der allgemeinen Interessen der herrschenden Klasse insgesamt.
Trotz der wachsenden Schwierigkeiten der herrschenden Klasse, ihren eigenen politischen Apparat zu kontrollieren, weiß sie immer noch sehr gut, wie sie die demokratische Mystifizierung nutzen kann, um die Arbeiterklasse in die Ohnmacht zu treiben. In einer Zeit, in der das Proletariat seinen Kampf gegen den bürgerlichen Staat entwickeln muss, verwickelt uns die herrschende Klasse durch die Wahlen in ein falsches Dilemma: Welche Partei wäre am besten geeignet, den bürgerlichen Staat zu führen? Während das Proletariat versuchen sollte, sich als autonome Klasse zu organisieren, reduzieren die Wahlen die Arbeiter auf den Status von Bürgern, die unter dem Druck der Propagandawalze lediglich wählen können, welche bürgerliche Clique für die Organisation ihrer Ausbeutung zuständig sein wird.
Von den bevorstehenden Wahlen ist also nichts zu erwarten. Sollten die Demokraten letztlich gewinnen, werden die kriegstreiberische Politik der demokratischen Administration und das von ihr ausgelöste globale Chaos weiter verstärkt, um die Stellung der USA in der Welt um jeden Preis zu erhalten. Sollte sich die Vorhersage eines Sieges von Trump im November bestätigen, würde die destabilisierende und unberechenbare Politik seiner ersten Amtszeit mit größerer Wucht und Irrationalität zurückkehren. Sein Kandidat J.D. Vance spricht die Arbeiterklasse direkter an, und seine demagogische Ausnutzung seiner eigenen persönlichen Geschichte als vergessenes Opfer des ländlichen und deindustrialisierten Amerikas ermöglicht es ihm, seinen Einfluss zu stärken, indem er die „Unentschlossenen“ davon überzeugt, dass er an der Seite seines wundersamen Mentors einen vermeintlich „neuen Weg“ vertritt.
Unabhängig davon, ob Trump oder die Demokraten gewinnen, wird die historische Krise des Kapitalismus nicht verschwinden, es wird weiterhin Angriffe geben und wahllose Gewalt wird weiterhin entfesselt werden.
Angesichts des Verrottens der kapitalistischen Welt stellen die Arbeiterklasse und ihr revolutionäres Projekt die einzige echte Alternative dar. Während Kriege, Katastrophen und Propaganda ständig mit ihren Kämpfen und ihrer Fähigkeit, klar zu denken, kollidieren, hat das Proletariat in den letzten zwei Jahren überall seinen Kampfgeist wiederentdeckt und beginnt allmählich, sich wieder als ein und dieselbe Klasse zu fühlen. Überall entstehen kleine Minderheiten, die über das Wesen des Kapitalismus, über die Ursachen des Krieges und über die revolutionäre Perspektive nachdenken. Mit all ihren Wahlspektakeln versucht die herrschende Klasse, diesen Kampfgeist und diese Reifung zu brechen, sie versucht, jede Politisierung der Kämpfe zu verhindern. Trotz der (natürlich nie eingehaltenen) Versprechungen eines „gerechteren“, „grüneren“, „friedlicheren“ Kapitalismus, trotz den unhaltbaren Schuldzuweisungen an „diejenigen, die sich dem Faschismus nicht in den Weg stellen“ an der Wahlurne, lassen wir uns nicht täuschen: Die Wahlen sind eine Falle für die Arbeiterklasse!
EG, 19. Juli 2024
[1] Das Ziel Washingtons war es, den russischen Imperialismus zu schwächen, damit er im Falle eines Konflikts mit China kein wichtiger Verbündeter Chinas sein konnte. Das Ziel bestand also darin, China ein wenig mehr zu isolieren und gleichzeitig seiner Wirtschaft und seiner imperialistischen Strategie einen Schlag zu versetzen, indem man seine „Neue Seidenstraße“ durch Osteuropa abschnitt.
In der Woche vom 20. bis zum 26. Mai 2024 fand in Prag eine "Aktionswoche" zum Thema "Gemeinsam gegen kapitalistische Kriege und kapitalistischen Frieden" statt, an der Gruppen und Einzelpersonen aus verschiedenen Ländern teilnahmen, darunter Russland, die Ukraine, Bulgarien, Serbien, die Tschechische Republik, Ungarn, Griechenland, Belgien, Deutschland, die Schweiz, Spanien, Italien, Großbritannien, Argentinien ... Die meisten der eingeladenen Gruppen waren AnarchistInnen, ‚OperaistInnen‘ oder RätistInnen, die eine internationalistische Position gegen den Russland-Ukraine-Krieg und – trotz vieler Hemmungen und Verwirrungen – gegen die anderen Kriege, die den Planeten verwüsten, eingenommen haben.[1] Das Organisationskomitee der Veranstaltung, an der offenbar zwei hauptsächlich in Tschechien ansässige Gruppen, Tridni Valka ("Klassenkrieg") und die Antimilitaristische Initiative, beteiligt waren, erklärte in einem Interview[2], dass sie die wichtigsten Gruppen der Kommunistischen Linken bewusst nicht eingeladen hätten, da diese angeblich nicht an einer Debatte, sondern nur an der Schaffung einer "Massenpartei" nach bolschewistischem Vorbild interessiert seien. Nichtsdestotrotz schickte die IKS eine Delegation, ebenso wie die Internationalistische Kommunistische Tendenz; ebenfalls anwesend waren Genossen, die der bordigistischen Gruppe nahe stehen, die das Kommunistische Programm herausgibt. Nicht alle Veranstaltungen der Woche sollten sich auf die offiziell Eingeladenen beschränken, und wir für unseren Teil sind der Meinung, dass das Aufkommen dieser Opposition gegen den imperialistischen Krieg ein Ausdruck von etwas Tieferem ist, das sich in der Arbeiterklasse abspielt, und Kommunisten haben eine klare Verantwortung, sich an diesem Prozess zu beteiligen, um seine Ziele zu klären und Illusionen darin zu bekämpfen.
Aber während die breite Teilnahme von Leuten, die nach internationalistischen Positionen suchen, sicherlich positiv war und ihre physische Konzentration in Prag es ermöglichte, viele Kontakte und Diskussionen am Rande der "offiziellen" Veranstaltung zu entwickeln, muss gleich gesagt werden, dass die Veranstaltung sehr schlecht organisiert und in der Tat chaotisch war, auch wenn es ermutigende Bemühungen einer Mehrheit der Teilnehmer gab, die Kontrolle über den Ablauf zu übernehmen.
Einer der Faktoren für diese Unordnung ist die tiefe Spaltung innerhalb der anarchistischen Bewegung in der Tschechischen Republik. Am Wochenende der "Aktionswoche" fand auch eine anarchistische Buchmesse statt, die von der tschechischen anarchistischen Föderation organisiert wurde, die den ukrainischen Kriegseinsatz offen verteidigt und die Bildung anarchistischer Einheiten in der ukrainischen Armee unterstützt. Die Buchmesse gab eine Erklärung ab, in der sie sich von der Aktionswoche distanzierte, und die tschechische AF gab ein Flugblatt heraus, in dem sie die Teilnehmenden als "Anarcho-Putinisten" anprangerte. Das Organisationskomitee behauptet auch, dass diese Pro-Kriegs-Anarchisten eine Reihe von Provokationen gegen Internationalisten unternommen hätten; am wichtigsten ist der Verdacht, dass sie die Behörden des Veranstaltungsortes, an dem der Antikriegskongress am Wochenende stattfinden sollte, kontaktiert und ihnen den wahren Zweck des Treffens mitgeteilt hätten, was dazu geführt habe, dass die Buchung storniert wurde und die Organisatoren gezwungen waren, sich nach einem neuen Veranstaltungsort umzusehen.
Der chaotische Charakter der "Aktionswoche" kann jedoch nicht allein auf die Machenschaften der Kriegsbefürworter zurückgeführt werden. Schon das Konzept der Aktionswoche und die Methoden ihrer Organisatoren waren zutiefst mangelhaft.
Unserer Meinung nach brauchen diejenigen, die heute nach einer echten internationalistischen Praxis suchen, in erster Linie eine Diskussion und politische Klärung einiger sehr grundlegender Fragen: die historischen Grundlagen des kapitalistischen Strebens nach Krieg und Zerstörung; die Gegentendenz des Kampfes der Arbeiterklasse für ihre eigenen Interessen gegen die Wirtschaftskrise trotz der Propaganda für die nationale Einheit; die Fortsetzung der internationalistischen Tradition der Zimmerwalder Linken. Während einige der als Teil der Aktionswoche angekündigten Veranstaltungen Themen zum Nachdenken enthielten (wie z.B. das Verhältnis zwischen kapitalistischem Frieden und kapitalistischem Krieg, die Bedeutung des revolutionären Defätismus usw.), konnte die gesamte Idee einer "Aktionswoche" nur die unmittelbaren und aktivistischen Ansätze fördern, die bei einem Großteil der Teilnehmenden vorherrschen. Dies zeigte sich in mehreren der angekündigten Diskussionsthemen wie "Wie können wir Deserteuren helfen", "Wie können wir die Kriegsanstrengungen sabotieren" und so weiter. Die schädlichen Folgen dieser aktivistischen Ausrichtung lassen sich jedoch am besten veranschaulichen, wenn man sich einige der wichtigsten Veranstaltungen der Woche in Erinnerung ruft.
- Das erste Ereignis der Woche, am Montag, dem 20. Mai, war ein Protest vor der Zentrale des Unternehmens STV, das Material an die israelische Armee liefert. Obwohl die Organisatoren betonten, dass der Protest nicht zur Unterstützung des palästinensischen Nationalismus aufrief, zog er eine Reihe von Menschen an, die palästinensische Fahnen schwenkten, und konnte somit nur als kleine Ergänzung zu den Pro-Palästina-Demos erscheinen, die weltweit stattfinden, insbesondere an den Universitäten der USA und Europas. Ebenso wichtig ist, dass das Organisationskomitee nicht zu erkennen war und die wenigen Teilnehmenden der "Aktionswoche" schnell merkten, dass es sich um eine illegale Demonstration handelte und sie ihre Ausweise der Polizei zeigen mussten. Da die meisten von ihnen ausländische Staatsangehörige waren, hätte dies zu ihrer Abschiebung führen können.
- Am Mittwoch, dem 22. Mai, dem Tag der Ankunft der IKS-Delegation, fand eine Sitzung statt, auf der das Hauptthema "Kapitalistischer Krieg und kapitalistischer Frieden" diskutiert wurde. Die Sitzung begann mit über eineinhalb Stunden Verspätung. Es gab eine Präsentation eines Genossen der Antimilitaristischen Initiative und die Möglichkeit, sich in der anschließenden Diskussion zu Wort zu melden. Aber das Treffen fand ohne Diskussionsleitung statt, es wurde kein Protokoll geführt und es gab keinen formellen Abschluss, obwohl ein Genosse der IKS versuchte, die wichtigsten Punkte der Diskussion zusammenzufassen, insbesondere die Spaltung zwischen Aktivismus und einem längerfristigen Ansatz, der auf der realen Bewegung der Arbeiterklasse beruht.
- Am Donnerstag war eine Veranstaltung mit dem Titel "Desserts für Deserteure" in einem Park in der Nähe des Stadtzentrums geplant: Es sollten Kuchen und Snacks verkauft werden und der Erlös sollte Deserteuren aus dem Ukraine-Krieg zugute kommen. Einige der Leute, die am Abend zuvor anwesend waren, kamen, aber es gab keinen Kuchen. Zu diesem Zeitpunkt machte sich die Besorgnis über den Grad der Desorganisation breit, und es fand ein improvisiertes Treffen statt. Für den Freitag war eine Straßendemonstration geplant, aber nach dem Fiasko am Montag waren die Menschen, deren Sicherheit bereits gefährdet war, keineswegs bereit, an einem Marsch teilzunehmen, der keine größere Bewegung zum Ausdruck brachte und sie noch mehr der Überwachung durch die Polizei ausgesetzt hätte[3]. Dies wurde von der Versammlung einstimmig unterstützt, die beschloss, dass die Priorität für den nächsten Tag darin bestand, zusammenzukommen, um eine echte Diskussion zu entwickeln. Es wurde ein neues Organisationskomitee gegründet und mit der Aufgabe betraut, einen Raum für ein solches Treffen zu finden. Auch hier war vom offiziellen Organisationskomitee nichts zu sehen, mit Ausnahme des AMI-Genossen, der als eine Art Vermittler zu fungieren schien.
Am Freitag entstand weitere Verwirrung durch die Ankündigung, dass der ursprüngliche Veranstaltungsort für den "Kongress" am Samstag und Sonntag, dem Höhepunkt der Aktionswoche, nicht mehr zur Verfügung stand. Dem "inoffiziellen" Organisationskomitee gelang es jedoch, im Außenbereich eines Cafés einen adäquaten Veranstaltungsort zu finden, und wir konnten am Nachmittag und frühen Abend eine einigermaßen gut organisierte Diskussion durchführen. Die Durchführung dieser "selbstorganisierten Versammlung" war angesichts der extremen Unordnung der bisherigen Veranstaltung ein wichtiger Schritt nach vorn – ein kleiner Ausdruck eines umfassenderen Bedürfnisses innerhalb der Arbeiterklasse, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und die Möglichkeit zu schaffen, zu diskutieren und eigene Entscheidungen zu treffen. Es wurde eine Tagesordnung aufgestellt und man kam überein, dass es notwendig sei, mit einer Diskussion über die globale Situation der Arbeiterklasse zu beginnen. In diesem Zusammenhang wies die IKS auf die Spirale von Krieg und Umweltzerstörung auf dem gesamten Planeten hin, auf die Notwendigkeit, alle laufenden Kriege als Teil dieses Prozesses zu sehen, und auf die Notwendigkeit, sich über den Charakter des Krieges im Nahen Osten ebenso klar zu werden wie über den Krieg in der Ukraine. Nachdem wir am Abend zuvor erwähnt hatten, dass eine der eingeladenen Gruppen, die Anarchist Communist Group, in die Falle getappt war, Anti-Israel-Boykotte zu unterstützen, wiesen wir auf das Fiasko der Montagsdemonstration hin, um die Gefahr dieser Art von unreflektiertem Aktivismus zu verdeutlichen. Wir wiederholten auch das Argument, dass die wirkliche Bewegung gegen den Krieg weniger von den ProletarierInnen Israels, des Gazastreifens oder der Ukraine kommen würde, die eine schwere Niederlage erlitten haben, als von den ArbeiterInnen in den zentralen kapitalistischen Ländern, die bereits ihre Weigerung gezeigt haben, für die indirekten Auswirkungen des Krieges (Inflation usw.) zu zahlen. Aber die Fähigkeit der Arbeiterklasse als Ganzes, den Zusammenhang zwischen den Angriffen auf ihren Lebensstandard und dem Drang zum Krieg zu verstehen, würde Zeit brauchen, um sich zu entwickeln, und könnte nicht durch die Stellvertreteraktionen kleiner Gruppen beschleunigt werden.
In dieser und der am nächsten Tag folgenden Debatte war eine Annäherung zwischen den Beiträgen der IKS und des IKT festzustellen, die sich mehr als einmal trafen, um sich über die Entwicklung der Diskussion auszutauschen[4]. Und da die Delegationen beider Gruppen eindeutig eine konstruktive Rolle in den Diskussionen und bei der Organisation der Treffen spielten (einschließlich der Tatsache, dass sich ein Mitglied der IKT bereit erklärt hatte, im inoffiziellen Organisationskomitee mitzuwirken), gab es unter den Teilnehmenden dieser Treffen keine Anzeichen für die Feindseligkeit gegenüber den Gruppen der kommunistischen Linken, die vom offiziellen Organisationskomitee offen zur Schau gestellt worden war.
Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die gesamte Versammlung die Positionen der Kommunistischen Linken übernommen hätte. Trotz der anfänglichen Einigkeit darüber, dass wir die Gesamtsituation verstehen müssen, bevor wir eine Diskussion darüber beginnen können, "was zu tun ist", wurde das Bemühen darum immer wieder in Spekulationen darüber verwickelt, welche Maßnahmen wir morgen ergreifen können, um die Kriegstreiberei zu blockieren – Netzwerke von Gegeninformationen, Hilfe für Deserteure usw. Die Frage des Klassenkampfes als einzige Alternative zu Krieg und Zerstörung wurde durch diese Spekulationen in der Schwebe gehalten. Es war auch nicht möglich, irgendeine Diskussion über einen wichtigen Punkt auf der Tagesordnung zu entwickeln: Was ist die Bedeutung des revolutionären Defätismus in dieser Periode – die IKS hat einige ernsthafte Kritiken an dieser Losung[5], aber wir werden sie bei anderen Gelegenheiten ansprechen müssen.
Und dann kam es zu einer weiteren Störung. Am Freitagabend kam eine Gruppe von Leuten, die behaupteten, nicht das offizielle Organisationskomitee zu sein, sondern in dessen Namen zu sprechen, auf die Versammlung und kündigte einen neuen Veranstaltungsort für den "Kongress" am Samstag und Sonntag an. Leider würde er nur 25 oder 30 Personen Platz bieten, obwohl bereits am Freitag doppelt so viele TeilnehmerInnen gekommen waren. Dies würde zweifellos bedeuten, dass die nicht Eingeladenen (insbesondere die Gruppen der kommunistischen Linken oder "Bolschewiki", die, so ein Argument, das vermutlich vom offiziellen Organisationskomitee stammte, die selbstorganisierte Versammlung übernommen hätten)[6] ausgeschlossen werden müssten. Niemand der Teilnehmenden an der Freitagssitzung sprach sich für einen solchen Ausschluss aus, während dem offiziellen Organisationskomitee, das sich nach wie vor weigerte, sich offen zu zeigen, ein erhebliches Maß an Misstrauen entgegengebracht wurde. In einer Erklärung auf der offiziellen Website hieß es, dies sei ein normales Sicherheitsverfahren, aber das überzeugte die GenossInnen nicht, deren Sicherheit bereits durch die unbedachten Pläne des Komitees während der Woche gefährdet worden war.
Das Ergebnis von all dem war eine weitere Spaltung. Am Samstag beschlossen einige, die am Freitagstreffen teilgenommen hatten, zum neuen "offiziellen" Veranstaltungsort zu gehen, aber die Mehrheit der "Selbstorganisierten" entschied sich, zusammen zu bleiben und sich am nächsten Tag erneut zu treffen. Dies bedeutete, dass man sich noch einmal nach einem Veranstaltungsort umsehen musste, und der gefundene war nicht so gut geeignet wie der am Freitag genutzte. Bis jetzt haben wir nur wenige Informationen darüber, was am neuen offiziellen Veranstaltungsort geschah, obwohl das Anarchist Communist Network einen Artikel über die gesamte Woche geschrieben hat, der einige Informationen über die stattgefundenen Diskussionen enthält.[7]
Was die Position des offiziellen Komitees zur Sicherheit betrifft, sollten wir auch darauf hinweisen, dass Tridni Valka eine gewisse Kontinuität mit dem Groupe Communiste Internationaliste behauptet, obwohl es in der Vergangenheit einige unausgesprochene Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen gab und die GCI als solche nicht mehr existiert. Aber die GCI war eine Gruppe, die einen sehr gefährlichen und destruktiven Kurs verfolgte – vor allem ein Flirt mit dem Terrorismus, der eine ernste Gefahr für die gesamte revolutionäre Bewegung darstellte.[8] Dazu gehörte eine Art Tarnkappenstrategie, die Tridni Valka anscheinend übernommen hat und die sicherlich zur Desorganisation der Woche und dem Misstrauen beigetragen hat, das viele der Teilnehmenden ihnen gegenüber entwickelten.
Angesichts dieser Litanei der Spaltung und Unordnung hatten die Teilnehmenden der "selbstorganisierten Versammlung" das Gefühl, dass es irgendeine Art von Ergebnis aus den Ereignissen der Woche geben müsse, und sei es nur die Möglichkeit, die Diskussion fortzusetzen und die vielen Fragen aufzugreifen, die nicht beantwortet worden waren. So fand am Sonntag ein letztes Treffen in einem Park statt, um zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Zu diesem Zeitpunkt hatten Müdigkeit und Uneinigkeit die Zahl der Teilnehmenden an diesem Treffen verringert, obwohl einige derjenigen, die sich bisher am konstruktivsten an den Diskussionen beteiligt hatten, anwesend waren. Es war bereits eine mobile Kontaktgruppe eingerichtet worden, die weitergeführt werden sollte, die aber nicht in der Lage war, eine wirkliche Diskussion zu führen, weshalb beschlossen wurde, eine Website einzurichten, auf der die Beiträge aller Beteiligten (einschließlich derjenigen, die am Wochenende am "offiziellen" Kongress teilgenommen hatten) veröffentlicht werden konnten. Die Programma nahestehenden GenossInnen schlugen auch ein kurzes "Bekenntnis zum Klassenkampf" vor, das eine sehr allgemeine Erklärung gegen imperialistische Kriege war. Die Mehrheit der Anwesenden stimmte dafür.[9] Die IKS-Delegation erklärte, dass sie diese Erklärung nicht unterschreiben könne – zum Teil, weil sie Formulierungen und Slogans enthält, mit denen wir nicht einverstanden sind, aber vor allem, weil wir der Meinung waren, dass die Diskussionen auf den Treffen keinen ausreichenden Grad an Homogenität erreicht hatten, um eine solche gemeinsame Erklärung zu veröffentlichen. Stattdessen sprachen wir uns für die Veröffentlichung eines Berichts über die Ereignisse der Woche sowie von Eindrücken und Überlegungen verschiedener Gruppen und Einzelpersonen aus. Außerdem könnte die Website Informationen über die aktuellen Kriege sammeln und veröffentlichen, die anderswo nur schwer zu finden sind. Wir werden sehen, ob dieses Projekt verwirklicht wird.
Trotz aller Schwächen und Unzulänglichkeiten war es wichtig, an dieser Veranstaltung teilgenommen zu haben. Die "wirkliche Bewegung" gegen den Krieg wird auch von Minderheiten ausgedrückt, die nach Klarheit suchen, und obwohl wir dagegen sind, voreilige Bündnisse oder Fronten mit Gruppen zu bilden, die immer noch Verwirrungen aktivistischer oder sogar linker Natur haben, ist es für die Gruppen der kommunistischen Linken absolut unerlässlich, bei solchen Zusammenkünften anwesend zu sein, ihre politische Unabhängigkeit zu bewahren und auf der Grundlage des historischen Kampfes der Arbeiterbewegung und der unverzichtbaren Klarheit der marxistischen Methode auf Klarheit zu drängen.
Amos, Juni 2024
[1] https://actionweek.noblogs.org [2]. Eine vollständige Liste der eingeladenen Gruppen ist auf dieser Website zu finden.
[2] In der Zeitschrift Transmitter, "Interview mit dem Organisationskomitee der Aktionswoche" (Englisch)
[3] Nach Angaben des offiziellen Organisationskomitees wurde der Protestmarsch abgesagt, weil das Komitee Zeit brauchte, um einen neuen Veranstaltungsort für das Wochenende zu finden. Diese Erklärung lässt jedoch die wahren Gründe für die Absage des Marsches, die auf politischen und sicherheitspolitischen Argumenten beruhen, völlig außer Acht.
[4] Angesichts der gemeinsamen internationalistischen Positionen und Traditionen der Gruppen der Kommunistischen Linken hat die IKS seit Jahrzehnten gemeinsame schriftliche Appelle mit ihnen gegen den imperialistischen Krieg vorgeschlagen, einschließlich derjenigen zum Krieg in der Ukraine und in Gaza. Leider hat die IKT bisher nie zugestimmt, solche gemeinsamen Erklärungen abzugeben, die die Verteidigung des grundlegenden Klassenprinzips gegen den imperialistischen Krieg verstärken würden. Im Vorfeld der Aktionswoche haben wir der IKT geschrieben und vorgeschlagen, dass unsere beiden Gruppen während der Veranstaltung so weit wie möglich zusammenarbeiten sollten.
[5] Siehe zum Beispiel Nation oder Klasse? – Einleitung, https://de.internationalism.org/files/de/nok-2007-web.pdf [3]
[6] Die ursprüngliche Idee für den Kongress sah vor, dass der Samstag eine öffentliche Veranstaltung, der Sonntag jedoch nur für eingeladene Gruppen zugänglich sein sollte.
[8] Wie der Groupe Communiste Internationaliste auf den proletarischen Internationalismus spuckt, IKS Online
[9] Die IKT-Delegation war bei diesem Treffen nicht anwesend, aber sie hatte uns am Vorabend mitgeteilt, dass sie ebenfalls nicht unterschreiben würde.
Innerhalb weniger Monate hat die entsetzliche israelische Offensive auf den Gazastreifen Zehntausende von Menschenleben in einer wütenden Raserei der Barbarei hinweggefegt. Unschuldige Zivilisten, Kinder und alte Menschen sterben zu Tausenden unter den Bomben oder werden von israelischen Soldaten kaltblütig erschossen. Zu dem Schrecken der Kugeln kommen noch die Opfer von Hunger, Durst, Krankheiten und Traumata hinzu... Der Gaza-Streifen ist ein Massengrab unter freiem Himmel, eine riesige Ruine, die alles symbolisiert, was der Kapitalismus der Menschheit heute zu bieten hat. Was in Gaza geschieht, ist eine Ungeheuerlichkeit!
Wie kann man sich nicht über den Zynismus von Netanjahu und seiner Clique religiöser Fanatiker, über den kalten Nihilismus der israelischen Armee IDF empören? Wie kann man sich nicht mitreißen lassen, wenn die geringste Äußerung von Empörung von billigen Artikeln und Tel Aviv-Propagandisten sofort als „Antisemitismus“ gebrandmarkt wird? Natürlich sind die Bilder des Grauens und die Aussagen der Überlebenden erschütternd. Selbst in der israelischen Bevölkerung, die durch die verabscheuungswürdigen Verbrechen der Hamas am 7. Oktober traumatisiert ist und unter der Dampfwalze der Kriegspropaganda steht, ist die Empörung spürbar.
In der ganzen Welt häufen sich die Kundgebungen zur Unterstützung der Palästinenser: in Paris, London und vor allem in den Vereinigten Staaten, wo auf den Universitätsgeländen besonders große Mobilisierungen stattfinden.
Die Empörung an sich könnte nicht aufrichtiger sein, aber Revolutionäre haben die Verantwortung, es laut und deutlich zu sagen: Diese Demonstrationen befinden sich nicht im Entferntesten auf dem Terrain der Arbeiterklasse. Im Gegenteil, sie stellen eine Falle für das Proletariat dar!
Kapitalismus bedeutet Krieg!
„Sofortiger Waffenstillstand“, „Frieden in Palästina“, „Internationales Abkommen“, „Zwei Nationen in Frieden“... Die Aufrufe zum „Frieden“ haben sich in den letzten Wochen bei Demonstrationen und auf Plattformen vervielfacht. Einige der Organisationen auf der linken Seite des Kapitals (Trotzkisten, Stalinisten und alle Varianten der „radikalen“ Linken wie La France Insoumise in Frankreich), reden alle von „Frieden“.
Das ist reine Illusion! Die Arbeiterklasse darf sich keine Illusionen über den so genannten Frieden machen, weder im Nahen Osten noch anderswo, und auch nicht über eine Lösung durch die „internationale Gemeinschaft“, die UNO, den Internationalen Strafgerichtshof oder andere kapitalistische Räuberbanden. Trotz aller Abkommen und Friedenskonferenzen, aller Versprechungen und UN-Resolutionen dauert der israelisch-palästinensische Konflikt nun schon seit über 70 Jahren an und wird auch in Zukunft nicht enden. Wie alle imperialistischen Kriege ist auch dieser Konflikt in den letzten Jahren nur noch gewalttätiger und grausamer geworden. Mit den jüngsten Gräueltaten der Hamas und der israelischen Armee hat die Barbarei ein noch monströseres und wahnwitzigeres Gesicht angenommen, in einer Logik der verbrannten Erde, die bis zum Äußersten geht und zeigt, dass der Kapitalismus nichts als Tod und Zerstörung bieten kann.
Auf die Frage „Kann es in einer kapitalistischen Gesellschaft Frieden geben?“ lautet unsere kategorische Antwort: Nein! Die Revolutionäre des frühen 20. Jahrhunderts hatten bereits deutlich gemacht, dass der imperialistische Krieg seit 1914 zur Lebensweise des dekadenten Kapitalismus geworden ist und das unausweichliche Ergebnis seiner historischen Krise darstellt. Gerade weil die herrschende Klasse keine Lösung für die Abwärtsspirale der Krise hat, müssen wir es ganz klar sagen: Chaos und Zerstörung können sich in Gaza wie in der Ukraine und überall sonst auf der Welt nur ausbreiten und vergrößern! Der Krieg in Gaza droht die ganze Region in Brand zu setzen.
Pazifismus, eine Sackgasse und eine Vorbereitung auf den Krieg!
Doch abgesehen von der Sackgasse, in die sich die Aufrufe zum Frieden unter dem Joch des Kapitalismus begeben, bleibt auch der Pazifismus für die Arbeiterklasse eine gefährliche Mystifikation. Diese Ideologie hat den Krieg nicht nur nie verhindert, sondern im Gegenteil, sie hat ihn immer vorbereitet. Schon 1914 rechtfertigte die Sozialdemokratie, indem sie das Problem des Krieges aus dem Blickwinkel des Pazifismus darstellte, ihre Teilnahme am Konflikt im Namen des Kampfes gegen die „Kriegstreiber“ auf der anderen Seite und der Wahl des „kleineren Übels“. Weil die Gesellschaft von der Vorstellung durchdrungen war, dass der Kapitalismus ohne Krieg existieren könne, konnte die Bourgeoisie den „deutschen Militarismus“ für die einen und den „russischen Imperialismus“ für die anderen in das Lager derjenigen einordnen, die den „Frieden“ untergraben wollten und die „bekämpft werden mussten“. Seitdem ist der Pazifismus, vom Zweiten Weltkrieg bis zum Irak-Krieg, über die zahllosen Konflikte des Kalten Krieges, nichts anderes als ein Mittel, um mit diesem oder jenem Imperialismus gegen die „Kriegstreiber“ zu kollaborieren, um die Realität des kapitalistischen Systems zu verschleiern.
Der Krieg in Gaza ist keine Ausnahme von dieser Logik. Die „pazifistische“ Linke nutzt die legitime Abscheu, die durch die Massaker in Gaza geweckt wird, und ruft geradewegs dazu auf, eine Seite gegen eine andere zu unterstützen, nämlich die der „palästinensischen Nation“, die Opfer des „israelischen Kolonialismus“ ist, und sagt: „Wir verteidigen die Rechte des ‚palästinensischen Volkes‘, nicht die der Hamas“. Dabei wird schnell vergessen, dass „die Rechte des palästinensischen Volkes“ nichts anderes als eine heuchlerische Formel ist, die das verschleiern soll, was man den Staat Gaza nennen muss, eine hinterhältige Art, eine Nation gegen eine andere zu verteidigen. Ein „befreiter“ Gazastreifen würde nichts anderes bedeuten, als das abscheuliche Regime der Hamas oder einer anderen Fraktion der palästinensischen herrschenden Klasse zu konsolidieren, all jener, die nie gezögert haben, die geringste Äußerung von Wut blutig niederzuschlagen, wie 2019, als die Hamas, die wie ein echtes Raubtier auf Kosten der Bevölkerung des Gazastreifens lebt, Demonstranten, die über die Armut verzweifelt waren, brutal unterdrückte. Die Interessen des Proletariats in Palästina, Israel oder irgendeinem anderen Land der Welt sind in keiner Weise dieselben wie die ihrer herrschenden Klasse und des Terrors ihres Staates!
Der Trotzkismus in seiner traditionellen Rolle als Rekrutierungsfeldwebel
Trotzkistische Organisationen, insbesondere an den Universitäten, geben sich nicht einmal mehr mit dem heuchlerischen Gerede vom Pazifismus ab, um die schmutzige Kriegspropaganda der herrschenden Klasse zu nähren. Sie rufen schamlos zur Unterstützung des „Hamas-Widerstands“ auf. Im Namen des „nationalen Befreiungskampfes gegen den Imperialismus“ (der in betrügerischer Weise als bolschewistische Position zur nationalen Frage dargestellt wird) versuchen sie, junge Menschen auf dem verrotteten Boden der Unterstützung für die palästinensische herrschende Klasse zu mobilisieren, und zwar mit kaum verhüllten Andeutungen von Antisemitismus, wie wir an den Universitäten gehört haben: „An der Columbia University in New York wurden Demonstranten gefilmt, die skandierten: ‚Brennt Tel Aviv nieder [...] Ja, Hamas, brennt Tel Aviv nieder [...]‘. 'Ja, Hamas, wir lieben euch. Wir unterstützen auch eure Raketen“. Ein anderer rief: „Wir wollen keine zwei Staaten, wir wollen das ganze Gebiet“. Einige Studenten begnügen sich auch nicht mehr damit, „Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein“ zu skandieren, sondern halten Schilder in arabischer Sprache in die Höhe. Das Problem ist, dass darauf steht: 'Vom Fluss bis zum Meer wird Palästina arabisch sein', was bedeutet, dass es vom Jordan bis zum Mittelmeer keine Juden geben wird".[1]
Trotzkistische Organisationen haben eine lange Tradition der Unterstützung des bürgerlichen Lagers im Krieg (Vietnam, Kongo, Irak...), zunächst im Dienste des Ostblocks während des Kalten Krieges[2], dann zugunsten jeglicher Form von Antiamerikanismus.
Der israelisch-palästinensische Konflikt bleibt jedoch ein Leitmotiv für die selektive Empörung des Trotzkismus. In der Vergangenheit war die „palästinensische Sache“ ein Vorwand, um die Interessen der UdSSR in der Region gegen die USA zu unterstützen. Heute nutzen diese Organisationen den Krieg in Gaza, um den Iran, die Hisbollah und die Houthi-Rebellen gegen denselben „amerikanischen Imperialismus“ und seinen israelischen Verbündeten zu unterstützen. Der angebliche Internationalismus des Trotzkismus ist die Internationale der Verlogenheit!
Um den Krieg zu beenden, muss der Kapitalismus gestürzt werden
Im Gegensatz zu allen Lügen der linken Parteien des Kapitals sind Kriege immer Konfrontationen zwischen konkurrierenden Nationen, zwischen rivalisierenden Bourgeoisien. Immer! Kriege werden nie zum Wohle der Ausgebeuteten geführt! Im Gegenteil, sie sind die ersten Opfer.
Die Arbeiterklasse muss sich überall weigern, für ein bürgerliches Lager gegen eine andere Partei zu ergreifen. Die Solidarität der Arbeiterklasse gilt weder Palästina noch Israel, weder der Ukraine noch Russland, noch irgendeiner anderen Nation! Ihre Solidarität gilt dem Proletariat in Israel und Palästina, in der Ukraine und Russland, den Ausgebeuteten in der ganzen Welt! Die Geschichte hat gezeigt, dass die einzige wirkliche Antwort auf die Kriege, die der Kapitalismus entfesselt, die internationale proletarische Revolution ist. Im Jahr 1918 wurde die herrschende Klasse dank eines gewaltigen revolutionären Aufstandes in ganz Europa, der ein Jahr zuvor in Russland begonnen hatte, gezwungen, den Ersten Weltkrieg–eines der größten Gemetzel der Geschichte–zu beenden.
Natürlich sind wir heute noch weit von dieser Aussicht entfernt. Für die Arbeiterklasse ist es schwierig, sich konkrete Solidarität, geschweige denn direkten Widerstand gegen den Krieg und seine Schrecken vorzustellen. Doch durch die Reihe von Kämpfen der Arbeiterklasse, die in den letzten zwei Jahren in verschiedensten Ländern stattgefunden haben, in Großbritannien, Frankreich, den Vereinigten Staaten und seit kurzem auch in Deutschland, zeigt das Proletariat, dass es nicht bereit ist, jedes Opfer zu akzeptieren. Es ist durchaus in der Lage, massenhaft zu kämpfen, wenn auch nicht direkt gegen Krieg und Militarismus, so doch gegen die brutalen Angriffe, die die herrschende Klasse fordert, um ihr Todesarsenal zu füttern, gegen die Auswirkungen des Krieges auf unsere Lebensbedingungen, gegen Inflation und Haushaltskürzungen.
Diese Kämpfe sind der Schmelztiegel, in dem die Arbeiterklasse sich voll und ganz auf ihre früheren Erfahrungen und ihre Kampfmethoden besinnen, ihre Identität wiederentdecken und ihre internationale Solidarität entwickeln kann. Sie wird dann in der Lage sein, ihren Kampf zu politisieren und einen anderen Kurs einzuschlagen, indem sie die einzig mögliche Perspektive und den einzig möglichen Ausweg anbietet: den Sturz des Kapitalismus durch eine proletarische Revolution.
EG, 30. April 2024
[1] “Most Jews and Palestinians want peace. Extremists, narcissists and other 'allies' only block the way", The Guardian, 26. April 2024
[2] Mit dem Argument, dass ihre jeweiligen Nationen (Frankreich, Großbritannien, Italien...) ein großes Interesse daran hätten, dem vom so genannten „degenerierten Arbeiterstaat“, der UdSSR, geführten Block beizutreten.
Zum Zeitpunkt des Schreibens tobt seit zweieinhalb Jahren der Ukraine-Krieg – und kein Ende in Sicht. Seit nahezu dreiviertel Jahren Krieg im Gaza-Streifen, mit der Gefahr einer weiteren Eskalation mit dem Libanon. In der Zwischenzeit entbrannte eine neue Eskalation zwischen Israel-Iran. Unterdessen spitzt sich der Konflikt zwischen den USA und China weiter zu. Von den vielen anderen „kleineren“ Kriegen (z.B. Sudan) mit ihren verheerenden Folgen spricht kaum jemand.
Deutschland steckt voll mit in diesem Strudel und soll sich den Appellen und Planungen des Verteidigungsministers zufolge innerhalb der nächsten 5 Jahre bis 2029 kriegstüchtig machen. 40 Jahre nach 1989, als der Kalte Krieg mit dem Fall der Mauer, dem Zusammenbruch der DDR und der Auflösung des Warschauer Paktes zu Ende ging, soll die Bevölkerung wieder maximal für einen Krieg mit aufgefüllten Arsenalen mit den modernsten Waffen und mit größtmöglicher Soldatenzahl usw. hochgerüstet sein!
Vorbei die Versprechungen von Frieden und Wohlstand von damals. In Wirklichkeit gibt es seit 1989 immer mehr Kriege, weltweit mehr Waffenlieferungen und Rüstungswettläufe, jedes Jahr neue Flüchtlingsrekorde, mehr Hungersnöte, noch mehr und noch größere Flüchtlingslager, überall Zerstörung und Verwüstung aller Art.[1]
Mit dem Ukrainekrieg wurde die berühmte „Zeitenwende“ eingeleitet. Von anfänglicher Zurückhaltung bzw. relativer Diskretion bei Waffenlieferungen ist Deutschland mittlerweile zum größten Finanzierer und zentralen Waffenlieferanten für die Ukraine geworden. Fast alle wegen ihrer verheerenden Zerstörungskraft vorher als Tabu betrachteten Waffensysteme gehören mittlerweile zum täglichen Sortiment der Waffenlieferungen an die Ukraine und Israel. Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall baut eine riesige Waffenfabrik in der Ukraine und erhält immer neue Rüstungsaufträge von der deutschen Regierung (so zuletzt im Juni für 8.5 Mrd. Euro für die Produktion von Munition).
Auch wenn es wie bei allen Kriegen immer unterschiedliche Fähigkeiten der Waffensysteme der beteiligten Gegner gibt, entscheidet für uns nicht die militärische Schlagkraft der Länder um zu bewerten, ob ein Land imperialistisch ist oder nicht. Seit dem Ersten Weltkrieg liegt auf der Hand, dass alle Staaten, ob groß oder klein, ob mit großer oder kleiner militärischer „Fähigkeit“ ausgerüstet, imperialistische Akteure sind.
In diesem Prozess werden mit westlicher Hilfe nun immer neue und tiefere Vorstöße und „Vergeltungsmaßnahmen“ von der Ukraine gegen den russischen Rivalen auf dem Schlachtfeld durchgeführt und damit wurde eine weitere Schwelle überschritten.[2] In Litauen werden 5.000 deutsche Soldaten dauerhaft stationiert, weitere Standorte in anderen Ländern sind längst in Planung.
Das Tötungskommando der Hamas am 7. Oktober 2023 und der seitdem eingesetzte Vergeltungs- und Vernichtungsversuch gegen die Hamas durch Israel hat die Spirale der Gewalt im Nahen Osten auf eine neue Stufe getrieben. Dabei trugen deutsche Waffen in nicht unerheblichem Ausmaß zur Zerstörung der unzähligen Häuser und zur Verletzung oder dem Tod von Zehntausenden von Bewohnern des Gaza-Streifens bei. 2023 genehmigte die deutsche Bundesregierung Rüstungsexporte im Umfang von 326 Millionen Euro nach Israel. Das waren etwa zehn Mal so viele wie 2022 im Jahr davor. Dabei wurde der "Wertepartner Israel" (Scholz) alleine mit über 3200 Panzerfäusten ausgerüstet. Und jetzt sollen in Deutschland schrittweise neue Soldaten rekrutiert und die Mobilisierungsfähigkeit von Reservisten massiv erhöht werden[3]. Neues Kanonenfutter muss her! Noch wagt man nicht so offen mit Zwangsrekrutierung zu drohen, aber angesichts des riesigen Bedarfs an Soldaten ist dies nur eine Frage der Zeit. Bislang waren die meisten Versuche, mehr freiwilliges Kanonenfutter anzulocken, gescheitert.
Und eine bloße Verdoppelung des deutschen Rüstungshaushaltes, die ja unmittelbar nach Auslösung des Ukrainekrieges durchgewunken worden war, reicht nicht mehr; längst wird die Trommel für eine noch größere Erhöhung gerührt. Von staatlicher Seite werden die Planungen auf die Umstellung der Bedürfnisse der Kriegswirtschaft zentralisiert, die nach 1989 tatsächlich in gewissen Bereichen rückläufig war. Nun sollen wieder Kapazitäten in Krankenhäusern für die Versorgung von Kriegsopfern verstärkt, Bunker, Schutzräume usw. gebaut, an den Schulen und Unis für entsprechende „Aufklärung“ gesorgt werden, Transportwege (Schienen, Straßen, Brückenbauwerke usw.) werden an die Besonderheiten von militärischen Schwertransportern angepasst.
Diese Kriegsspirale wird jeden Tag von einer ekelerregenden Propaganda begleitet. Die Medien hämmern uns ununterbrochen die Ohren voll mit Meldungen über neue oder unzureichende „Produktionskapazitäten“, „Lieferschwierigkeiten“, Munitionsengpässe, Vor- und Nachteile dieses oder jenes Waffensystems (z.B. „mit den jetzigen Waffenbeständen und -systemen lässt sich Berlin nicht verteidigen“), neue Waffen müssten her! Man will uns eintrichtern: Es kann nichts anderes mehr geben als Krieg und seine Bedürfnisse.
All dies ist Teil einer weltweiten Zuspitzung der imperialistischen Spannungen über Jahre hinweg. Nach 1989 war mit dem Zusammenbruch des stalinistischen Ostblocks zwar der Nato gewissermaßen die Existenzberechtigung entzogen worden, das Militärbündnis blieb jedoch weiter bestehen – natürlich unter der fortdauernden Führung der USA. Die Zeit des Jeder für sich brach an.[4] Die USA selbst begannen immer mehr damit, sich ohne Abstimmung und gegen die Interessen ihrer ‚Verbündeten’ in Kriege zu stürzen (1. Golfkrieg 1991, 2. Golfkrieg 2003, Afghanistan, Irak). Deutschland hingegen ermunterte offensiv u.a. Kroatien bei dessen Unabhängigkeitsbestrebungen und der Loslösung von Jugoslawien – der kurz darauf einsetzende Krieg wütete nahezu zehn Jahre in vielen Teilen des Balkans.
Innerhalb der Nato trieb man zum einen den Ausbau der Allianz in Osteuropa an, d.h. in dem Gebiet, in dem durch den Rückzug des sowjetischen Imperialismus ein gewisses Machtvakuum entstanden war. Andererseits gab es in unterschiedlichen Schüben immer mehr Bestrebungen, die Vorherrschaft der USA zu lockern und mehr Eigenständigkeit zu erlangen. Innerhalb der EU gab es Anläufe einer Gruppe von Staaten (vor allem Frankreich und Deutschland) für den Aufbau eines militärischen Arms der EU.
Ein qualitativ neuer Schub in dem Prozess des Abrückens von den USA erfolgte während der Amtszeit Trumps, als dieser den Sinn der Nato infrage stellte. Durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 konnten die USA nun die Nato wieder stärker an sich binden und zumindest zeitweise das Gewicht der USA durch Druck wieder verstärken. Gleichzeitig konnten aber damit die tiefergehenden, seit 1989 am Werk befindlichen Tendenzen des Wegdriftens und Abkoppelung von den USA nicht wirklich aufgehalten werden. Denn die imperialistischen Interessen der europäischen Staaten, die jeweils auch klar und deutlich für ihre eigenen Interessen eintreten wollen, prallen mit denen der USA in vielen Punkten aufeinander.
Nach 1989 konnten die USA weder die historische Tendenz des Jeder für sich abbremsen, die immer mehr ihre Vorherrschaft bedroht, noch konnten sie den Aufstieg Chinas verhindern, das mittlerweile zum wichtigsten Rivalen und Herausforderer geworden ist und die USA in den nächsten Jahrzehnten von ihrer Führungsrolle verdrängen will. Die USA wiederum wollen alles unternehmen, um China auf die Knie zu zwingen, bevor es zu stark wird.
Deshalb wird der Machtkampf zwischen den USA und China, der schon ein ausschlaggebender Faktor der Strategie der USA im Ukrainekrieg ist, die USA noch stärker dazu zwingen, ihre Ressourcen wegen der übergeordneten Bedeutung der wachsenden Konfrontation mit China für die Verteidigung ihrer Vorherrschaft mehr für ihre Front im Fernen Osten gegen China zu bündeln und ihre Präsenz und ihr Gewicht in der Nato herunter zu fahren (das erwarten zumindest Militärberater der deutschen Bundesregierung). Deshalb stellt sich die europäische Bourgeoisie auf einen Rückgang der US-Militärpräsenz in Europa ein – egal ob Trump oder Biden die Wahl gewinnt.
Beide Präsidentschaftskandidaten müssten ihre Priorität auf eine Konfrontation mit China legen, anstatt sich in der Ukraine weiter zu binden – zumal die USA sich keinen Dreifrontenkrieg leisten können, d.h. Präsenz gegen Russland durch den Ukraine-Krieg, ein Krieg im Nahen/Mittleren Osten und eine Auseinandersetzung mit China in Fernost. Deshalb wird auf jeden Fall die Erwartung seitens der USA an die europäischen Staaten gestellt werden, die Schraube des Militarismus noch stärker anzuziehen, d.h. noch massiver aufzurüsten. In dieser Pflicht sehen sich jedenfalls jetzt schon bedeutsame Teile der deutschen Bourgeoisie. Was die Prioritätensetzung der USA auf China nach den US-Wahlen bedeuten wird, lässt sich im Augenblick noch nicht einschätzen.
Ob die europäischen Staaten weiterhin ihre Kräfte auf die Auseinandersetzung mit Russland fokussieren werden – mit einer unberechenbaren und nicht verhandlungsbereiten Clique an der ukrainischen Staatsspitze – oder ob sie die Chancen für eine mögliche Wiederannäherung an Russland – nach einem bislang allerdings nicht abzusehenden Kriegsende – ausloten werden, ist zur Zeit ebenfalls ungewiss. Auf jeden Fall ist eine Dynamik losgetreten worden, die die Rüstung immer mehr antreibt, auch wenn Militärs dafür plädieren, dass man sich nicht verzettelt und sich auf „die Hauptaufgabe“ konzentriert, und entsprechend hauptsächlich gegenüber Russland aufrüstet.
Genau so, wie es sich die USA nicht leisten können in einem Vielfrontenkrieg aufgerieben zu werden, weiß die europäische Bourgeoisie und damit auch Deutschland, dass man nicht an allen Fronten präsent sein kann – deshalb lautet die Warnung der Militärexperten, dass man von „kleineren“ Militäreinsätzen in aller Welt jetzt „Abstand nehmen“ müsse, Einsätze im Pazifik und im Indischen Ozean führten nur zur Verzettelung, deshalb setzt ein Flügel der deutschen Bourgeoisie hauptsächlich auf die „Gefahrenabwehr“ gegenüber Russland.[5]
Wie immer strategische Entscheidungen auch ausfallen werden, an der langfristigen historischen Dynamik der intensiven Kriegsvorbereitungen wird dies nichts ändern.
Gegenwärtig lautet die Botschaft vieler linker Gruppierungen, mit dem Aufstieg der Rechten und der Populisten, wie sie die jüngsten Europawahlen zum Vorschein brachten, wiederhole sich jetzt das Szenario der 1930er Jahre, als die Arbeiterklasse zuvor in den 1920er Jahren geschlagen worden war und es dann den Nazis gelang, einen entscheidenden Teil der Bevölkerung – darunter auch Teile der Arbeiterklasse – für den Krieg zu mobilisieren.
Aber diese ‚Botschaft‘ ist höchst irreführend. Denn auch wenn heute ein klarer Anstieg der Rechten und Populisten zu verzeichnen ist, und diese gar einige Teile der Arbeiterklasse und hinsichtlich des Aspekts Altersgruppen nun auch mehr Jugendliche hinters Licht führen können, heißt dies keineswegs, dass sich all diese vernarrten Wähler für einen Krieg einspannen ließen. Für den Krieg sich zu opfern, hieße sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen und den Gürtel so eng zu schnallen, dass man große Entbehrungen und gar Hunger für den Krieg hinnimmt.
Die abscheuliche Hetze der Rechten und Populisten zeigt gewiss Wirkung mit ihrer Forderung, dass der Flüchtlingsstrom nach Europa (von denen ein Großteil in Deutschland landet) unterbunden werden soll – auch wenn dies noch mehr Festung Europa mit noch mehr Stacheldraht, Kontrollen, Abschiebungen, Push-backs, Toten im Mittelmeer und anderswo usw. bedeutet.
Auch die Hetze gegen den Islam sowie das Schüren genereller Fremdenfeindlichkeit und die sich ausbreitenden Existenz- und Zukunftsängste sowie Wut über die Herrschenden hat den Rechten und Populisten Stimmen verschafft. „Sollen lieber die Anderen krepieren“ – lautet die Devise des Populismus. Gewiss gibt es bei den Rechten viele Nationalisten und Patrioten, und sicher verblenden die Populisten viele Menschen – aber damit ist keineswegs automatisch das Tor zum Krieg durch diese rechten und populistischen Kräfte weiter aufgestoßen.
Der Aufstieg der Rechten und Populisten untergräbt eher die Vormachtstellung des deutschen Imperialismus ans sich, was ein entscheidender Punkt ist, nicht nur wegen der zu erwartenden Destabilisierung der EU, sondern weil auch – wie anderswo in Europa – die Rechten und Populisten gegenüber dem Einfluss Russlands und Chinas weniger resistent sind und keineswegs so laut und deutlich die Kriegstrommel gegen diese Länder rühren. Deshalb stellen die Rechten und Populisten ein Problem für die imperialistische Geschlossenheit und den Zusammenhalt des deutschen Kapitals, das für einen Krieg unerlässlich ist, dar.
Nicht zuletzt, weil ein Teil der Wähler der Populisten im Osten Deutschlands wohnt, sind viele auch zurückhaltender gegenüber dem Kriegskurs gegen Russland. Die Rechten und die Populisten spiegeln viel mehr eine Sündenbockjagd-Stimmung, eine Pogrommentalität wider, die der verfaulende Kapitalismus immer stärker hervorbringt, als eine direkte offene Kriegspropaganda wie sie von anderen Teilen der Bourgeoisie betrieben wird (zumindest zum jetzigen Zeitpunkt).[6]
Viel gefährlicher und raffinierter ist da die Kriegsrhetorik der piekfeinen Demokraten – von den Grünen über die CDU/CSU und FDP bis hin zur Sozialdemokratie, die am offensten und aggressivsten auftritt.
Der SPD-Mann und ehemalige Außenminister Gabriel bekundet offen, dass er eine direkte Beteiligung der Bundeswehr am Ukraine-Krieg nicht ausschließe. Der Westen müsse Russland „noch einmal so niederringen“ wie den Ostblock „im Kalten Krieg“. Niemand wünsche sich, „die Bundeswehr in einen Krieg führen zu müssen“. Stehe die Ukraine aber vor der Niederlage, dürfe man „nichts ausschließen“. In ihrem Diskurs treten sie geschickter und heimtückischer für die Kriegsertüchtigung ein. Ob die Ampel – mit Grünen, FDP und SPD – oder die CDU/CSU, sie alle plädieren für immer mehr Waffen und Personal und überbieten sich dabei mit Vorschlägen dazu, wie zügig und geschickt man das meiste menschliche Kanonenfutter für den Dienst in der Armee mobilisieren könne. Denn das deutsche Kapital steht vor dem Problem, dass man trotz aller bisherigen Werbungsversuche nicht genügend Leute für die Bundeswehr gewinnen kann – weil letztendlich der Großteil der Bevölkerung, allen voran die Arbeiterklasse, keinen Krieg befürwortet und vor allem nicht ihr eigenes Leben opfern will.
Jetzt schon wird die Arbeiterklasse massiv zur Kasse gebeten. Seit dem Beginn des Ukrainekrieges ist die Inflation sprunghaft angestiegen, und mit ihr die Zinsen, was u.a. zum starken Rückgang der Bautätigkeit und zu noch höheren Immobilienpreisen und Mieten geführt hat. Gleichzeitig wird überall der Rotstift angesetzt – Einsparungen von staatlicher Seite quer durch die Bank, massenhaft Stellenabbau in vielen Branchen, angetrieben von der – durch die Herrschenden jedoch nicht offen eingestanden – Notwendigkeit, infolge des Kriegshaushaltes das Geld hierfür aufzubringen. Die Arbeiterklasse soll dafür schon Einsparungen hinnehmen. Wir werden darauf näher in anderen Artikeln eingehen. Eine Konfrontation der Bourgeoise mit der Arbeiterklasse wird damit früher oder später unausweichlich werden.
TW 23.06.2024
[1] Auch ein angeblich so neutrales Land wie die Schweiz beteiligt sich voll an dem Rüstungswettlauf und der Militarisierung, unter anderem indem Deutschland einst an die Schweiz verkaufte Waffen zurückkaufen darf und sie dann direkt an die Ukraine weiterliefert.
[2] Auch wenn die offizielle Zustimmung seitens westlicher Staaten im Juni 2024 noch vorsieht, dass nur die Gegend in Russland mit deutschen Waffen attackiert werden soll, von der die Angriffe gegen ukrainische Ziele gestartet wurden. Für westliche Raketen bzw. Marschflugkörper mit einer Reichweite von mehreren hundert Kilometern deutet sich ein Kurswechsel an.
[3] Neue Meldedaten sollen erstellt, der Gesundheitszustand wieder überprüft, kurzum die altbekannten Tauglichkeitsprüfungen.
[4] Siehe unter anderem unserer Artikel der Internationale Revue 1990 – 1991 z.B.
https://de.internationalism.org/content/758/orientierungstext-militarism... [7]
[5] Man solle sich konzentrieren auf Maßnahmen „gegen ein aggressiv-revisionistisches Russland“, so einige regierungsnahe Stellen. „An diesem Ziel“ hätten sich ab sofort „alle Aspekte der Planungen für die Bundeswehr auszurichten: Finanz-, Personal-, Rüstungs- und Streitkräfteplanung“. Der Bundeswehrhaushalt müsse dabei von 2028 an zumindest 75 bis 80 Milliarden Euro im Jahr erreichen.
[6] Was der Aufstieg der Rechten und des Populismus für die Gesamtlage der deutschen Bourgeoisie zum Ausdruck bringt, haben wir in einem anderen Artikel behandelt: Resolution zur nationalen Situation in Deutschland [8], IKSonline April 2024.
1. Die Situation in Deutschland kann nur vor dem Hintergrund der Existenz der beiden internationalen Dynamiken verstanden werden, die den Weltkapitalismus durchziehen: die phänomenale Verschärfung des Zerfalls des kapitalistischen Systems und der Prozess der Wiederaufnahme des weltweiten Klassenkampfes nach mehreren Jahrzehnten der Flaute.
Die zahlreichen zerstörerischen Kräfte des „Strudel-Effekts“, bei dem alle verschiedenen Ausdrucksformen einer zerfallenden Gesellschaft miteinander interagieren und den Abstieg in die Barbarei beschleunigen und insbesondere die zentrale Rolle, die der imperialistische Krieg als Ergebnis der bewussten Entscheidungen der herrschenden Klasse in dieser Verkettung von Effekten spielt, haben zu tiefgreifenden Umwälzungen für das deutsche Kapital geführt.
„Es ist besonders Deutschland, das alle Widersprüche dieser neuartigen Situation explosionsartig konzentriert. Das Ende der russischen Gaslieferungen bringt das deutsche Kapital in eine beispiellose Situation strategischer und wirtschaftlicher Fragilität: Die Wettbewerbsfähigkeit seiner gesamten Industrie steht auf dem Spiel. Das deutsche Kapital (und Europa) läuft Gefahr, von der Abhängigkeit von russischem Gas in die Abhängigkeit von amerikanischem LNG wechseln zu müssen, welches die USA dem europäischen Kontinent aufzwingen und damit die Rolle übernehmen wollen, die Russland bislang innehatte. Das Ende des Multilateralismus, von dem das deutsche Kapital mehr als jede andere Nation profitiert hat (indem es sich auch einen Teil der Last der Militärausgaben für die „Friedensdividende“ seit 1989 erspart hat), wirkt sich direkter auf seine exportbasierte Wirtschaftskraft aus. Schließlich stellt der Druck der USA, ihre „Verbündeten“ zu zwingen, sich am wirtschaftlichen/strategischen Krieg gegen China zu beteiligen und auf Märkte in China zu verzichten, Deutschland vor ein enormes Dilemma, da die Bedeutung des chinesischen Marktes für Deutschland lebenswichtig ist. Aufgrund seiner führenden Stellung in der EU hat das Schwanken der deutschen Macht Auswirkungen auf ganz Europa, das in unterschiedlichem Maße von denselben Widersprüchen und Dilemmata geprägt ist.“ (Bericht des 25. Kongresses der IKS 2023)
Vor dem weltweiten Hintergrund der Überproduktion und der Verschärfung der Wirtschaftskrise durch die Covid 19-Pandemie und die Aussperrungen, die steigenden Kosten der Umweltkatastrophen und den Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten befindet sich das deutsche Kapital, das durch die Erschütterung der Grundfesten seiner Macht wesentlich geschwächt ist, seit mehreren Quartalen in einer Rezession und wird wieder zum kranken Mann Europas.
Das große historische Ereignis der Wiederbelebung der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse in einer Reihe von Ländern hat sich in Deutschland nicht mit der gleichen Kraft wie in den USA, Großbritannien oder Frankreich manifestiert. Dennoch sind einerseits die Ausdrucksformen der Kampfbereitschaft und die Streiks für Lohnerhöhungen, die in einigen Bereichen (öffentlicher Dienst, Transportwesen) stattgefunden haben, sowie andererseits die Anpassung der Gewerkschaften, die eine „kämpferische und fordernde“ Haltung einnehmen, Indizien für die veränderte Situation, die im Klassenkampf auch in Deutschland am Werk ist. „Heute verändert die Kombination aus einer Rückkehr der Kampfbereitschaft der Arbeiter und der Verschärfung der Weltwirtschaftskrise (im Vergleich zu 1968 oder 2008), die keinen Teil des Proletariats verschonen wird und sie alle gleichzeitig trifft, objektiv die Grundlagen des Klassenkampfs. Die Vertiefung der Krise und die Verschärfung der Kriegswirtschaft können sich weltweit nur fortsetzen, und überall kann dies nur wachsende Kampfbereitschaft erzeugen.“ (Resolution des 25. Kongresses der IKS, 2023)
2. Die erste Zäsur war der Krieg in der Ukraine, gefolgt von einer weiteren Phase mit dem Krieg im Nahen Osten, jeweils verbunden mit einer gleichzeitigen Eskalation der Konfrontation zwischen den USA und China und wachsenden Destabilisierungstendenzen in Europa.
Der Druck aus den Konflikten mit Russland, China und den USA hat sich damit in einigen Bereichen geradezu explosionsartig verschärft. Für den deutschen Imperialismus bedeutete der Krieg in der Ukraine:
3. Diese Schwächung des deutschen Imperialismus durch die USA wurde im Gegenzug von Deutschland ausgenutzt, indem die Militärausgaben verdoppelt und die Hindernisse für Waffenlieferungen an die Ukraine aufgehoben wurden. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wurde die Notwendigkeit, Deutschland kriegstüchtig zu machen, ausdrücklich ideologisch begründet. Vor dem Hintergrund eines neuen Wettrüstens werden Forderungen wie die nukleare Aufrüstung und die Schaffung eines militärischen Arms der EU deutlicher formuliert.
Die Einführung von Kriegsführungsfähigkeiten und die damit verbundene Umwandlung der Wirtschaft in eine viel stärker ausgeprägte Kriegswirtschaft wird jedoch auf Schwierigkeiten stoßen, da allein die Rekrutierung zusätzlicher Soldaten große Probleme aufwirft. Gleichzeitig fordert der deutsche Imperialismus eine größere Führungsrolle in Europa. Dies wird wiederum neue Reibungspunkte mit Frankreich hervorrufen, da trotz aller Zwänge zur deutsch-französischen Zusammenarbeit in vielen Bereichen ein solcher Führungsanspruch, insbesondere auf dem Hintergrund der Dynamik des Jeder-für-sich, nur auf Kosten von Frankreich durgesetzt werden könnte.
4. Im Rahmen der globalen Präventionsstrategie der USA, um zu verhindern, dass China die USA von ihrer Führungsposition verdrängt, haben die USA neben der strategischen Einbettung des Ukraine-Russland-Krieges in diese Strategie eine Reihe direkter Sanktionen gegen China beschlossen, die sie auch allen anderen Staaten aufzwingen wollen. Deutschland (und z.B. Frankreich) sind davon besonders betroffen. Ziel ist es, die Abhängigkeit des deutschen Kapitals von China zu verringern und Deutschland direkt in die Militärstrategie gegen China einzubinden. Die deutsche Bourgeoisie wehrt sich gegen diesen Ansatz, was wiederum zu Konflikten mit den USA führt.
5. Die bis vor kurzem grenzenlos loyale Unterstützung des deutschen Imperialismus für Israel, die lange Zeit Teil des gemeinsamen Vorgehens mit den USA war, erweist sich angesichts des jüngsten Krieges im Nahen Osten als große Belastung, da dies Deutschland nicht nur viel zu eng an die USA bindet, sondern auch in die Isolation gegenüber den arabischen Staaten treibt. Wie Deutschland aus diesem Dilemma herauskommen kann, bleibt auch deshalb unklar, weil ideologisch der Schatten des Faschismus noch immer über der deutschen Bourgeoisie hängt und die Angst, des Antisemitismus bezichtigt zu werden, den Handlungsspielraum einschränkt.
6. Unter Trump hatte die Dynamik des Jeder-für-sich, und damit z.B. die Infragestellung der Nato und ein möglicher Rückzug der USA aus ihr, an Dynamik gewonnen. Auch verfolgte Trump einen sehr offensiven Kurs, insbesondere gegenüber dem deutschen Kapital. Zwar hatte sich der Ton unter Biden geändert, aber in den praktischen „Daumenschrauben“, die der amerikanische Imperialismus den Nato-Mitgliedsstaaten und insbesondere Deutschland angelegt hatte, wurde auf Deutschland viel mehr Druck ausgeübt als unter Trump. Dennoch wird eine mögliche zweite Amtszeit Trumps als eine Katastrophe für das deutsche Kapital angesehen, da ein Kurswechsel in der Russlandpolitik unter Trump als wahrscheinlich gilt. Dies könnte zwar theoretisch neue Handlungsspielräume für das deutsche Kapital eröffnen, wäre aber aus Sicht der USA unter Trump vor allem mit einem stärkeren Druck auf China verbunden und damit der Notwendigkeit, dass sich andere Länder diesem Druck der USA beugen. Deshalb wird die Bewegung zur Distanzierung Deutschlands von den USA weitergehen, unabhängig davon, ob Biden oder Trump der nächste Präsident ist. Im Einklang mit dieser Dynamik wird Deutschland seine Bemühungen verstärken, stärkere Beziehungen zu Ländern aufzubauen, die sich von den USA distanzieren (Indien, Brasilien usw.). Insgesamt hängt die weitere Entwicklung der USA wie ein Damoklesschwert über dem deutschen Imperialismus.
7. Während die Wirtschaftskraft des deutschen Kapitals hauptsächlich auf ihrer Industrie und ihren Exporten beruht, wirken sich die Verlangsamung der Weltwirtschaft ebenso wie die Auswirkungen des Zerfalls auf die Weltwirtschaft, aber insbesondere die Schockwelle des imperialistischen Krieges in der Ukraine, direkt auf den Zustand der nationalen Wirtschaft aus. Die Covid 19-Pandemie, die Kosten der Umweltzerstörung und die mittlerweile beträchtlichen Kriegskosten im Rahmen der internationalen Verschärfung des Wettbewerbs, vor allem zwischen China und den USA, die das Bestreben der USA einschließt, ihre europäischen Rivalen (imperialistisch wie wirtschaftlich) zu schwächen, haben zu einer massiven Destabilisierung und Umwälzung geführt, die das deutsche Kapital schwächt.
Die Verschlechterung der Lage des deutschen Kapitals zeigt sich durch:
Angesichts der Verschärfung der gesamten historischen Situation des Zerfalls und des Krieges in der Ukraine, sowie auch angesichts des Krieges im Nahen Osten schwinden die Grundlagen und die Bedingungen, die die Macht des deutschen Kapitals begründet haben. Gleichzeitig wachsen die neuen entscheidenden Herausforderungen, denen es gegenübersteht:
8. Die US-Regierung unter Biden hat ihre Offensive gegen China an mehreren Fronten verschärft:
Das deutsche Kapital kann nicht davon ausgehen, dass der Druck aus den USA nach den nächsten Präsidentschaftswahlen nachlassen wird. Im Gegenteil: Ob unter Trump oder Biden – die deutsche Bourgeoisie muss sich auf noch mehr Konflikte mit den USA einstellen. Das alles wird auch mit zusätzlichen Staatsausgaben verbunden sein, etwa um im Investitionskrieg überhaupt mithalten und Subventionen für Investitionen in Deutschland anbieten zu können.
Eine Eskalation zwischen China und den USA um Taiwan würde der Weltwirtschaft insgesamt und der deutschen Wirtschaft im Besonderen einen entscheidenden Schlag versetzen. Fazit: Die USA werden Deutschland unter enormen wirtschaftlichen Druck setzen.
Gleichzeitig gerät Deutschland zunehmend unter Druck durch China:
Deshalb: Verschärfte Auseinandersetzungen auf verschiedenen Schauplätzen um/mit China sind zu erwarten.
9. Die deutsche Bourgeoisie konnte das Projekt der Wiedervereinigung und des Aufbaus im Osten nur dank einer astronomischen Verschuldung realisieren. Einerseits verbesserte dies die Position Deutschlands auf der imperialistischen Leiter, andererseits wurde ein gigantischer Schuldenberg aufgetürmt. Dieser wurde durch die riesigen Rettungspakete während der Corona 19-Pandemie und jetzt durch den Krieg in der Ukraine weiter erhöht.
Im internationalen Wettbewerb ist die staatskapitalistische Unterstützung auf verschiedenen Ebenen unerlässlich. Keine neuen Hightech-Unternehmen, keine ökologische Umstellung, keine Windräder, keine Wärmepumpen, keine neuen Hightech-Investitionen usw. ohne Steuergelder. Gleichzeitig wurde jahrzehntelang eine tiefgreifende Vernachlässigung von Infrastruktur, Gesundheitswesen und Bildung in Kauf genommen. Der Kampf um die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit wurde also durch den Abbau in anderen Bereichen „erkauft“.
Angesichts der Wahlmöglichkeiten und Dilemmata, mit denen sie sich konfrontiert sieht, sind die Entscheidungen zwischen den dominierenden Fraktionen der deutschen Bourgeoisie in Bezug auf die Optionen, die für die Verteidigung der Interessen des nationalen Kapitals am besten geeignet sind (wie z.B. die Haltung gegenüber Russland, den USA, China, der Staatsverschuldung, der Entwicklung der Kriegswirtschaft... ) im Augenblick unklar. Auch lässt sich zurzeit die Tiefe und der Umfang der Divergenzen innerhalb der Bourgeoisie zu diesen Fragen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen noch nicht ermessen. Doch in der Zwischenzeit nutzt die deutsche Bourgeoisie die Debatte über den Sinn der Schuldenbremse, um ihren Angriff auf die Arbeiterklasse zu verstärken. Das Zusammenspiel der oben genannten Faktoren setzt die herrschende Klasse unter Druck, vor allem aber verschlingt die ganze Kriegsdynamik riesige Geldsummen, die in erster Linie der Arbeiterklasse auferlegt werden sollen.
10. Die eingetretene Entwicklung ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass zum ersten Mal eine Verschärfung der Wirtschaftskrise mit einem gleichzeitigen Mangel an Arbeitskräften (qualifizierten und unqualifizierten) in vielen Bereichen einhergeht. Dies hat verschiedene Ursachen:
Wie sich dies auf den Klassenkampf auswirken wird, ist derzeit schwer abzuschätzen.
11. Die IKS analysierte schon 1989 in den Thesen zum Zerfall und der Aktualisierungen der Thesen zum Zerfall von 2023 umfangreich die einzelnen Aspekte des Zerfalls des Kapitalismus. Heute, mit dem zunehmenden Zerfall, insbesondere dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine, hat Europa (die EU) seinen größten Trumpf verloren: seine Stabilität.
Nach 1989 machte Deutschland die EU durch die Bildung eines Tandems mit Frankreich zu einer Säule seiner Macht. Der Beginn des Aufbaus eines militärischen Arms, die Einführung des Euro und die Entwicklung größerer Entscheidungskompetenzen auf europäischer Ebene sorgten dafür, dass der Staatskapitalismus in der EU stärker koordiniert und gelenkt wurde (und sich damit selbstverständlich als Bürokratie weiter aufblähte). Die derzeitige Entwicklung multipler Bruchlinien aufgrund des Vordrängens des Jeder-für-sich auf wirtschaftlicher und imperialistischer Ebene, die die EU mit Fragmentierung bedrohen, können die Stabilität und Macht des deutschen Kapitals nur beeinträchtigen, während die Tendenz, die Verteidigung der Interessen des nationalen Kapitals durch Deutschland in den Vordergrund zu stellen, Deutschland auch zu einer treibenden Kraft der Entwicklung des Jeder-für-sich innerhalb der EU macht.
Osteuropa: Hier sind zahlreiche zentrifugale Kräfte auf Kosten Deutschlands am Werk. Nach 1989 ermöglichte das durch das Verschwinden des Ostblocks entstandene Vakuum den osteuropäischen Staaten den Beitritt zur EU und ihre Integration in die NATO. Dies gestattete es Deutschland zunächst, seinen Einfluss zu vergrößern, und bot dem Kontinent gleichzeitig eine gewisse Stabilität. Doch nun bildet das Streben der meisten Staaten, die dem ehemaligen sowjetischen Machtbereich angehörten, nach NATO-Schutz, und die eher pro-amerikanische Ausrichtung einiger dieser Länder, welche sich wiederum dem Einfluss Deutschlands widersetzt, die wichtigste Bruchlinie. Andere Faktoren (die pro-russische Haltung einiger Regierungen, Chinas Bestreben, seinen Einfluss auf den alten Kontinent auszuweiten), die durch die Machtübernahme populistischer Regierungen, die ihre Autonomie gegenüber der EU einfordern, noch verstärkt werden, führen dazu, dass die destabilisierenden Kräfte unweigerlich zunehmen werden.
Auf wirtschaftlicher Ebene droht der „Globalisierung“ auch in Osteuropa eine Umkehrbewegung.
Westeuropa: Die jüngsten Entwicklungen – seit der Krise von 2008, der Covid 19-Pandemie, den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten – haben auch hier die Tendenz verstärkt, dass jeder auf sich selbst gestellt ist. So verschärfen sich die Interessenkonflikte innerhalb des damaligen deutsch-französischen Tandems in Bezug auf die Steuerung und die Ausübung der Führungsrolle in der EU, vor allem in folgenden Bereichen:
12. Lediglich aus Platzgründen gehen wir an dieser Stelle nur kurz auf die verheerenden Auswirkungen der Umweltzerstörung und die Vernachlässigung der sozialen Infrastruktur ein.
Die Auswirkungen der Umweltzerstörung haben in Deutschland auf verschiedenen Ebenen katastrophale Folgen gehabt (z.B. Dürre, Überschwemmungen, Waldbrände etc.). Unter grüner Regierungsbeteiligung wurden alle (ohnehin fragwürdigen) ökologischen Maßnahmen in der einen oder anderen Form den Erfordernissen der Kriegswirtschaft geopfert.
Da die Wiedervereinigung nach dem Zusammenbruch der DDR u.a. durch die gleichzeitige Vernachlässigung der Infrastruktur im Westen sowie des Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesens finanziert wurde, sind diese Strukturen besonders stark vom Zerfall betroffen. Der Zerfall ist jedoch viel umfassender und tiefgreifender als die Auswirkungen des Zusammenbruchs des Stalinismus und der Wiedervereinigung und deren langfristige Folgen.
Diese Entwicklung betrifft die herrschende Klasse und ihren Macht- und Parteiapparat. Er äußert sich in der Tendenz, dass die herrschende Klasse die Kontrolle über ihr politische Strategie verliert, was sich in Folgendem äußert:
13. In den letzten 30 Jahren waren alle Parteien mit sinkender Glaubwürdigkeit und zunehmender Desillusionierung konfrontiert. Eine Folge: sinkende Wahlbeteiligung (zumindest bis Anfang 2013), bis insbesondere die Protestpartei AfD aufkam und es schaffte, bisherige Nichtwähler an die Urnen zu locken, um aus Protest die AfD zu wählen.
Die Protestpartei AfD ist inzwischen zur zweitstärksten Partei geworden, der Niedergang der SPD ist unaufhaltsam und auch die CDU befindet sich – mit einigen temporären, eher geringen Zuwächsen – langfristig im Niedergang. Obwohl es innerhalb der Parteienlandschaft Gewichtsverschiebungen gibt, ist der Rückgang historisch und zieht sich durch alle Parteien mit Ausnahme von 2 Parteien (AfD und Grüne).
Am deutlichsten ist die historische Schwächung der beiden Flaggschiffe der Marktwirtschaft zu erkennen – die CDU mit ihrer offenen Propaganda über die Tugenden des Kapitalismus und die SPD mit ihren Reformversprechen – beide sind stark abgenutzt und haben in den letzten Jahren keine wirkliche Erneuerung erreicht.
14. Während es international in fast allen europäischen Ländern einen Aufschwung populistischer und rechtsextremer Kräfte gibt, ist diese Entwicklung auch in Deutschland zu beobachten.
Hauptprofiteur ist die AfD. Insofern spiegelt die Popularität dieser populistischen und rechten Parteien die Perspektivlosigkeit und die Tatsache wider, dass viele, die sonst aus Frust etc. nicht wählen gegangen wären, wieder an die Wahlurnen gelockt wurden. Diese Popularität bedeutet nicht, dass die Protestwähler einen größeren Glauben an die Möglichkeit haben, das bürgerliche System zu verbessern und zu reformieren. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, in denen populistische oder rechtsextreme Gruppierungen direkt an der Spitze der Regierung beteiligt sind, ist dies in Deutschland noch nicht der Fall. Die Wahlaussagen der AfD stehen zu sehr im Widerspruch zu den Interessen des deutschen Kapitals – (sofern sie für bare Münze genommen werden können): EU-Feindlichkeit (wobei die Machtposition Deutschlands untrennbar mit seiner Dominanz in der EU verbunden ist), Offenheit gegenüber Russland, krude Fremdenfeindlichkeit und allzu brachiale Abwehr von Einwanderern, Blockade der Zuwanderung von ausländischen Fachkräften, unsinnige Verleumdung der ökologischen Katastrophe usw.. Diese „Unfähigkeit zu regieren“ und damit zur „ewigen Opposition auf Bundesebene“ verdammt zu sein, wird die AfD noch lange Zeit zu einem Sammelbecken für Protestwähler machen.
Im Zusammenhang mit dem Erstarken populistischer Kräfte haben rechtsradikale Parteien in den letzten Jahren an Zulauf gewonnen, so dass kleine rechtsradikale Parteien neben und/oder innerhalb der AfD zu einem Sammelbecken für rechtsradikale, oft gewaltbereite Anhänger geworden sind. Gleichzeitig haben rechtsradikale Kräfte eine größere Präsenz im Staatsapparat, insbesondere in den Sicherheitsdiensten, entwickelt. Diese Gruppen propagieren und planen auch immer häufiger offen oder verdeckt gewalttätige Aktivitäten.
Weder die AfD noch die rechtsradikalen Gruppen haben bisher Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung. Diese Kräfte spiegeln aber vor allem die wachsende Gewaltbereitschaft bis hin zu Pogromen in Teilen der Bevölkerung wider, die insbesondere durch eine Hetzkampagne gegen Migrantinnen und Migranten angeheizt wird.
15. Die beiden großen Parteien sind nun auf Koalitionspartner angewiesen. Ohne Koalitionspartner kann keine der beiden großen Parteien eine Koalition führen; lange Zeit bildete eine „große“ Koalition die Regierung, was dem Ruf der Demokratie und dem Ansehen der beiden beteiligten Parteien schadete. Noch konfliktträchtiger sind jedoch „Dreierkoalitionen“. In der jetzigen Konstellation sind die drei Parteien der Koalition jedoch auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen und werden wohl bis zum Ende der Legislaturperiode zusammenbleiben müssen.
16. Um die aktuellen Perspektiven der Arbeiterklasse zu verstehen und eine zukünftige Entwicklung des Klassenkampfes zu prognostizieren, müssen wir uns die historischen Schwächen der Arbeiterklasse in Deutschland in Erinnerung rufen.
Neben der russischen Arbeiterklasse erlitt die Arbeiterklasse in Deutschland die schwerste Niederlage in den revolutionären Kämpfen während der revolutionären Welle 1917-1923. Das Gewicht der Konterrevolution, der desorientierende Einfluss des Rätekommunismus, die Unfähigkeit der schnell im Stalinismus versunkenen KPD und das Unvermögen der KAPD, die wirklichen Lehren aus der revolutionären Welle zu ziehen, und der politische Einfluss der Frankfurter Schule nach 1945 hatten tiefe Narben hinterlassen, als die Arbeiterklasse Ende der 1960er Jahre wieder auf die Bühne trat.
Bei ihrem Wiederauftauchen war die Arbeiterklasse in Deutschland stark durch den kleinbürgerlichen Druck der Studentenbewegung belastet – insbesondere Spontaneität und Organisationsfeindlichkeit in alter rätekommunistischer Tradition wirkten wie eine Fessel. Tausende von jungen Menschen wurden von der extremen Linken aufgesogen und politisch vernichtet oder instrumentalisiert.
In den zwei Jahrzehnten von 1969 bis 1989 folgte die Arbeiterklasse weitgehend den internationalen Entwicklungen, aber sie war nie in der Lage, sich durch massive oder besonders radikale Momente an die Spitze einer internationalen Bewegung zu setzen. Nach 1989 wurde die Arbeiterklasse mit der Euphorie der Wiedervereinigung konfrontiert, durch welchen sie sich jedoch nie wirklich einspannen ließ. Zwar war auch ihre (ohnehin schwache) Kampfbereitschaft im Westen im Rückfluss, und auch ihr Bewusstsein litt unter der Kampagne gegen den Kommunismus.
Darüber hinaus sorgten verschiedene Spaltungskräfte (durch die Millionen Arbeitssuchenden Niedriglohnarbeiter aus Osteuropa) und die Einführung extrem prekärer Arbeitsbedingungen für eine immer größere Zahl von Beschäftigten für weitere Spaltungen innerhalb der Belegschaft, während gleichzeitig in florierenden Branchen relativ hohe Löhne gezahlt wurden.... Inzwischen ist in Deutschland der vielleicht größte Fachkräftemangel in Europa entstanden. Insofern kann man von Spaltungsfaktoren sprechen, die jahrelang dominiert haben – die nun aber durch die Inflation und die Angriffe, die aus der Verschlechterung der Situation resultieren, nivelliert werden und die Basis für ein größeres Zusammengehörigkeitsgefühl bilden können.
17. Die Arbeiterklasse in Deutschland ist von den ideologischen Auswirkungen des Zerfalls in einer Weise geprägt, die sie von anderen Teilen des Proletariats in Europa unterscheidet: Während verschiedene Teile der Arbeiterklasse mit der Frage der Abspaltung bestimmter nach Autonomie strebender Regionen (Spanien, GB) oder des Regionalismus konfrontiert sind, war kein anderer Teil der Arbeiterklasse mit solchen politischen Konsequenzen konfrontiert, die mit den Auswirkungen der Wiedervereinigung vergleichbar sind. Rasch löste dies im Osten eine Nostalgie nach der alten (angeblich) „sicheren Existenz“, Reaktionen der Flucht vor der Realität des Kapitalismus und die Suche nach Sündenböcken sowie Ressentiments im Westen aus.
Die für den Zerfall typische politische und ideologische Verwirrung, die aus der Schwierigkeit oder Unfähigkeit resultiert, die Ursachen und Folgen der Ausbeutung als im Kapitalismus verwurzelt zu verstehen, hat zum Aufkommen von Sündenbockdenken, Fremdenfeindlichkeit, verstärktem Nationalismus, Verschwörungsideologien, reinem Protestverhalten gegenüber „denen da oben“ anstelle von Klassenkonfrontation, Polarisierung um Identitätsfragen, Festhalten an religiösem Fundamentalismus, wachsender Gewaltbereitschaft, Populismus und dem Wiederaufleben rechtsradikaler Bewegungen geführt. Durch das Aufkommen von Bewegungen wie Fridays-for-future und Protesten von Klimaaktivisten sollte die Perspektivlosigkeit dieser Bewegungen noch mehr Verwirrung und Demoralisierung stiften.
Die allgemeine historische Rückständigkeit des Bewusstseins der Arbeiterklasse in Deutschland, in Verbindung mit der politischen Rückständigkeit des Teils der Arbeiterklasse in Ostdeutschland, erklärt die besondere Verwundbarkeit des deutschen Proletariats für die Auswirkungen des Zerfalls und die Wirkung bürgerlicher Kampagnen, die diese ausnutzen, um sie gegen das Proletariat zu wenden. All diese Phänomene haben sich mit der Pandemie, der Verschärfung der Krise und dem ungebremsten Zustrom von Flüchtlingen, der Wohnungsnot, der Verarmung und der ständigen Hetze und dem Aufstacheln durch die Herrschenden aller Couleur usw. noch verschärft.
18. Die Haltung der herrschenden Klasse, die Anpassungen, die von ihren Organen zur Kontrolle des Klassenkampfes in Deutschland produziert werden, belegen, dass die veränderte Situation im internationalen Klassenkampf, die Rückkehr der Kampfbereitschaft der Arbeiter nach mehreren Jahren der Passivität, auch in Deutschland sehr wohl existiert. Die Bourgeoisie setzt alles daran, dem entgegenzuwirken:
19. Die Entwicklung der Kampfbereitschaft der Arbeiter zur Verteidigung ihrer Lebensbedingungen muss sich einen schwierigen Weg bahnen und stößt auf zahlreiche Hindernisse.
Die Angst vor der Zukunft, die demokratischen Illusionen und die Perspektivlosigkeit, die das Proletariat bietet, werden vom Staat in hohem Maße ausgenutzt. Sie geben dem Staat jede Menge Spielraum, um die Ergebnisse der Fäulnis seines Systems, den Aufstieg der extremen Rechten, gegen die Klasse zu wenden und eine riesige Kampagne zur Verteidigung der Demokratie und ihres Systems zu entfachen, die seine Verantwortung für den bestehenden Zustand der Dinge verschleiern und die Klasse auf das Terrain der Verteidigung der bürgerlichen Ordnung locken und sie somit lähmen soll.
Die Existenz von Bewegungen nicht-proletarischer kleinbürgerlicher Zwischenschichten, die Opfer der kapitalistischen Krise sind, wie die aktuellen Proteste von Landwirten (denen sich Kleinunternehmer, Händler und sogar Arbeiter anschließen), birgt für das Proletariat die Gefahr, in klassenübergreifende Kämpfe hineingezogen zu werden, in denen die Klasse in das undifferenzierte Ganze der Masse der 'Bürger' der kapitalistischen Gesellschaft aufgelöst wird.
Die Herausforderung für die Arbeiterklasse besteht darin, ihre eigene Stärke auf ihrem Klassenterrain zu entwickeln, ihre Klassenautonomie zu verteidigen, indem sie Forderungen formuliert, die ihren spezifischen Klasseninteressen entsprechen, und die spezifischen Waffen ihres Kampfes schmiedet, die Vollversammlungen und die Solidarität im Kampf über die Branchengrenzen hinweg.
20. Der Druck auf die Arbeiterklasse, auf die sich verschlechternde Situation zu reagieren, wird zwar zunehmen, doch gibt es mehrere unvorhersehbare Faktoren:
Mit der Verschärfung der Wirtschaftskrise beginnen sich die Angriffe in vielen Bereichen zuzuspitzen: Ein Tsunami von mehreren tausend Stellenstreichungen betrifft die Automobilhersteller (ZF, Michelin, Continental, Bosch), die Automobilindustrie (Ford, VW), die Chemieindustrie (BASF, Bayer), die Versicherungsbranche (Allianz), Siemens, den Handel (Zalando, Karstadt/Kaufhof), Postbank. Kein einziger Bereich wird ausgespart bleiben.
Auch wenn es noch keine offene Reaktion gegen die deutsche Kriegsbeteiligung gibt, ist die Arbeiterklasse nicht bereit, ihr Leben für die Interessen des deutschen Kapitals zu opfern und steht nicht hinter ihrer herrschenden Klasse bei deren Kriegsvorbereitungen. Angesichts der massiven Angriffe auf die Beschäftigung, der Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und der Inflation kann die Zukunft nur von der Entwicklung der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse geprägt sein.
IKS, Anfang März 2024
In den letzten Jahrzehnten ist deutlich geworden, dass die bürgerliche Zivilisation eine ernsthafte Bedrohung für die natürlichen Bedingungen darstellt, die die Grundlage für die menschliche Existenz auf dem Planeten bilden. Es ist auch immer deutlicher geworden, dass die wichtigsten Fraktionen der herrschenden Klasse gezwungen sind, die Schwere der ökologischen Krise anzuerkennen, und sogar ihren Zusammenhang mit den anderen Haupterscheinungsformen einer Gesellschaft im Niedergang, vor allem der Flucht in Militarismus und Krieg.[1] Dieses kürzlich erworbene "Verständnis" wird keineswegs durch die Tatsache aufgehoben, dass andere Teile derselben herrschenden Klasse sich in einen offen irrationalen und selbstmörderischen Leugnungswahn bezüglich der Gefahren des Klimawandels und der Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser zurückziehen. Doch weder Anerkennung noch Leugnung können darüber hinwegtäuschen, dass sich die Bourgeoisie als unfähig erweist, den Moloch der Umweltzerstörung zu verlangsamen, geschweige denn zu stoppen. Wir können vor allem auf das offensichtliche und wiederholte Scheitern der spektakulären COP-Konferenzen der letzten Jahre verweisen.
Diese Entlarvung der Ohnmacht der herrschenden Klasse hat das Bedürfnis nach einer Art ideologischer Kompensation geweckt, insbesondere auf Seiten des linken Flügels der Bourgeoisie. So entstand eine Art "grüner Keynesianismus", die Idee eines "Green New Deal", bei dem der Staat durch die Bestrafung der schlimmsten Umweltverschmutzer und durch Investitionen in "nachhaltige" Technologien nicht nur in die Lage käme, zu verhindern, dass der Klimawandel außer Kontrolle geriete, sondern auch grüne Arbeitsplätze und grünes Wachstum zu schaffen – kurz gesagt, einen gesunden grünen Kapitalismus.
Aber es gibt auch radikalere Stimmen, die schnell auf die Mängel dieser Art von grünem Kapitalismus hinweisen. Zu ihnen gehören vor allem die Befürworter des "Degrowth". Autoren wie Jason Hickel[2] können leicht zeigen, dass der Kapitalismus von dem ständigen Bedürfnis nach Expansion und Wertakkumulation angetrieben wird und dass er die Natur als "kostenloses Geschenk" behandeln muss, das maximal ausgebeutet wird, während er versucht, jede letzte Region des Planeten den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen. Hickel spricht daher von der Notwendigkeit eines Übergangs zu einer postkapitalistischen Wirtschaft.[3] Andere, wie John Bellamy Foster, gehen noch weiter und verweisen explizit auf das wachsende Interesse von Karl Marx an ökologischen Fragen in den späteren Phasen seines Lebens, auf das, was sie Marx' "Öko-Sozialismus"[4] nennen. In jüngster Zeit haben jedoch die Bücher des japanischen Schriftstellers Kohei Saito, der sich aufgrund seiner Beschäftigung mit der neuen Ausgabe der Gesamtwerke von Marx und Engels (dem MEGA-Projekt) eingehend mit den späteren Schriften von Marx befasst hat, enormes Interesse geweckt und beträchtliche Verkaufszahlen erzielt, insbesondere sein jüngstes Werk mit dem Titel Slow Down: How Degrowth Communism Can Save the Earth (2024, der deutsche Titel lautet: Systemsturz – Der Sieg der Natur über den Kapitalismus).
Während Saitos frühere Bücher[5] in einem eher akademischen Stil verfasst waren, handelt es sich bei diesem Buch um eine sehr viel populärere Arbeit, die nicht nur sein Hauptargument präsentiert, dass Marx selbst ein "Degrowth-Kommunist" gewesen sei, sondern auch die Schritte skizziert, die heute zur Einführung des Degrowth-Kommunismus führen könnten. Und in der Tat scheint er auf den ersten Blick über den Kommunismus zu sprechen, wie er von der realen, historischen kommunistischen Bewegung verstanden wird – eine Gesellschaft von frei assoziierten Produzenten, in der es keine Lohnarbeit mehr gibt. Dass er über den Begriff "Ökosozialismus" (der impliziert, dass es Formen des Sozialismus geben kann und gegeben hat, die nicht ökologisch waren, die ökologisch nicht weniger zerstörerisch waren als der Kapitalismus) hinausgehen will und nun von Kommunismus spricht, ist eine Antwort auf die wachsende Suche nach Lösungen, die an die Wurzeln der heutigen Zivilisationskrise gehen. Eine genauere und kritischere Untersuchung von Saitos Argumentation zeigt jedoch, dass dies eine Antwort ist, die nur zu weiteren falschen Lösungen führen kann.
Wie bereits erwähnt, ist Saito nicht der erste, der darauf hinweist, dass der "späte Marx" ein starkes Interesse sowohl an ökologischen Fragen als auch an den gemeinschaftlichen Gesellschaftsformen entwickelte, die der Entstehung der Klassengesellschaft vorausgingen und auch nach dem Aufstieg des Kapitals noch Spuren hinterließen. Spezifisch für Saito ist der Gedanke, dass das Studium dieser Fragen Marx zu einem "epistemologischen Bruch"[6] mit der, wie er es nennt, "linearen, progressiven Sichtweise" der Geschichte, die von "Produktivismus" und "Eurozentrismus" geprägt war, und zu einer neuen Vision des Kommunismus führte. Kurz gesagt, Marx habe den historischen Materialismus zugunsten eines "Degrowth-Kommunismus" aufgegeben. Aber Marx vertrat nie eine "lineare, progressive Sichtweise" der Geschichte. Sein Konzept war vielmehr dialektisch: Die verschiedenen Produktionsweisen haben Perioden des Aufstiegs durchlaufen, in denen ihre sozialen Beziehungen eine echte Entwicklung der Produktion und der Kultur ermöglichten, aber auch Perioden der Stagnation, des Niedergangs und sogar des Rückschritts, die entweder schlicht zu ihrem Verschwinden oder zu einer Periode der sozialen Revolution führen konnten, die eine höhere Produktionsweise einleiten konnte. Im weiteren Sinne lässt sich in diesem historischen Prozess zwar eine allgemein fortschreitende Bewegung erkennen, doch hat jeder Fortschritt bisher seinen Preis gefordert: So äußerten beispielsweise Marx und Engels den Gedanken, dass die Ersetzung des Urkommunismus durch die Klassengesellschaft und den Staat sowohl einen Niedergang als auch einen Fortschritt darstellte und dass der Kommunismus der Zukunft eine Art "Rückkehr auf höherem Niveau" zur archaischen Gesellschaftsform darstellen würde.[7]
In Bezug auf den Kapitalismus wies Marx im Kommunistischen Manifest auf die enorme Entwicklung der Produktionskapazitäten hin, die der Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaft ermöglichte. Auch diese Fortschritte wurden durch die rücksichtslose Ausbeutung des Proletariats erkauft, aber der Kampf des Proletariats gegen diese Ausbeutung legte den Grundstein für eine kommunistische Revolution, die die neuen Produktivkräfte in den Dienst der Menschheit stellen könnte. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt im Leben des Kapitals wartete Marx ungeduldig auf eine solche Revolution, denn er erkannte die Krisen der Überproduktion als Zeichen dafür, dass die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse bereits zu eng geworden waren für die Produktionskräfte, die sie freigesetzt hatten. Die Niederlage der revolutionären Welle von 1848 veranlasste ihn, diese Ansicht zu revidieren und zu anerkennen, dass der Kapitalismus noch eine beträchtliche Entwicklung vor sich hatte, bevor eine proletarische Revolution möglich würde.
Dies bedeutete jedoch nicht, dass jedes Land und jede Region der Welt dazu verurteilt wäre, genau denselben Entwicklungsprozess zu durchlaufen. Als die russische Volkstümlerin Vera Sassulitsch 1881 an ihn schrieb, um ihn zu fragen, ob die russische Mir- oder Agrarkommune eine Rolle beim Übergang zum Kommunismus spielen könnte, formulierte Marx das Problem folgendermaßen: Während der Kapitalismus in weiten Teilen der Welt noch in den Kinderschuhen steckte, sei "das kapitalistische System im Westen im Verblühen (...) und [nähere] sich der Zeit (...), da es nur noch eine ‚archaische‘ Formation sein wird".[8] Dies bedeute, dass die objektiven Bedingungen für eine proletarische Revolution in den Zentren des Systems schnell heranreiften, und dass, wenn es dazu käme, "das jetzige russische Gemeineigentum am Boden zum Ausgangspunkt für eine kommunistische Entwicklung dienen" könne.[9]
Diese Hypothese bedeutete nicht, dass die Methode des historischen Materialismus aufgegeben wurde. Im Gegenteil, sie war ein Versuch, diese Methode in einer widersprüchlichen Periode anzuwenden, in der der Kapitalismus gleichzeitig Anzeichen eines historischen Niedergangs zeigte, aber immer noch über ein sehr großes "Hinterland" verfügte, dessen Entwicklung seine wachsenden inneren Widersprüche vorübergehend aufhalten konnte. Und Marx war weit davon entfernt, diese Entwicklung, die sich bereits in den imperialistischen Bestrebungen der Großmächte ausdrückte, zu befürworten oder zu unterstützen, sondern sah, dass je früher die proletarische Revolution in den industrialisierten Zentren ausbrach, desto weniger Schmerz und Elend in den Peripherien des Systems verursacht würden. Marx erlebte nicht mehr alle Folgen der Eroberung des Planeten durch den Imperialismus, aber andere, die seine Methode aufgriffen, wie Lenin und Luxemburg, waren in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts in der Lage zu erkennen, dass der Kapitalismus als Ganzes in seine Niedergangsepoche eintrat und damit die Möglichkeit – und die Notwendigkeit – einer weltweiten proletarischen Revolution bestand.
Die gleiche Sorge prägte das aufkeimende Interesse des "späten" Marx an der ökologischen Frage. Angeregt durch seine Lektüre von Wissenschaftlern wie Liebig und Fraas, die sich der zerstörerischen Seite der kapitalistischen Landwirtschaft (Liebig nannte sie "Raublandwirtschaft") bewusst geworden waren, die in ihrem Hunger nach sofortigem Profit die Fruchtbarkeit des Bodens erschöpfte und die Wälder mutwillig zerstörte (was sich, wie Marx bereits feststellte, schädlich auf das Klima auswirkte). Wenn die Entwicklung des Kapitalismus bereits die natürlichen Grundlagen für die Produktion der Lebensnotwendigkeiten untergrub, dann ging seine "fortschrittliche Mission" vielleicht zu Ende – aber das machte die Methode nicht ungültig, die die positive Rolle der Bourgeoisie bei der Überwindung der Schranken des Feudalismus zu erkennen vermochte. Darüber hinaus – und Saito ist sich dessen sehr wohl bewusst, da er es in seinen früheren Werken gezeigt hat – kam die Beschäftigung von Marx mit den Auswirkungen des Kapitalismus auf die Beziehung zwischen Mensch und Natur nicht aus dem Nichts: Seine Wurzeln finden sich in dem Begriff der Entfremdung des Menschen von seinem "unorganischen Leib" in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844, ein Begriff, der in den Grundrissen und in Das Kapital weiter ausgearbeitet wurde, insbesondere in der Idee des "gestörten Stoffwechsels" in letzterem Werk. Ebenso findet sich die Erkenntnis, dass die kommunistische Gesellschaft die starre Trennung zwischen Stadt und Land überwinden muss, sowohl in den frühen Schriften von Marx und Engels als auch in der Zeit, in der Marx die Agrarwissenschaft als Voraussetzung für die Wiederherstellung der natürlichen Fruchtbarkeit des Bodens erforschte. Ausarbeitung, Entwicklung, Kritik an überholten Ideen – aber kein "epistemologischer Bruch".
Es gibt noch viel mehr, was wir über Saitos eigentliche Vision des Kommunismus sagen könnten. Insbesondere stützt sie sich stark auf den Begriff der "Allmende" und impliziert, dass vorkapitalistische Gemeinschaftsformen im heutigen Kapitalismus noch immer eine wesentliche Existenz haben und sogar als eine Art Keimzelle für die kommunistische Transformation dienen könnten. Tatsächlich war schon zu Lenins Zeiten deutlich geworden, dass das imperialistische Kapital dabei war, das in der Periode der "ursprünglichen Akkumulation" vollbrachte Werk – die Zerstörung der gemeinschaftlichen Bindungen und die Trennung der Produzierenden vom Land – rasch zu vollenden. Gut ein Jahrhundert später ist dies noch deutlicher zu erkennen. Die riesigen Slums, die die Megastädte in der Peripherie des Systems umgeben, zeugen sowohl von der Zerstörung der alten Gemeinschaftsformen als auch von der Unfähigkeit des dekadenten Kapitalismus, eine große Zahl von Besitzlosen in das "moderne" Produktionsnetz zu integrieren.
Diese Vorstellung, dass die neue Gesellschaft in der Hülle der alten aufgebaut werden könnte, offenbart die vielleicht grundlegendste Verzerrung des Marxismus in Saitos Buch. Natürlich kritisiert Saito den "Green New Deal" – sowohl wegen seiner Abhängigkeit von "Top down"-Maßnahmen, die vom Staat auferlegt werden, als auch weil er das Problem des kapitalistischen Bedürfnisses nach endlosem "Wachstum", das mit der Erhaltung einer gesunden natürlichen Umwelt unvereinbar ist, nicht angeht. Demgegenüber besteht Saito darauf, dass die neue Gesellschaft nur aus einer sozialen Bewegung "von unten" hervorgehen kann. Für Marx war der Kommunismus die wirkliche Bewegung der Arbeiterklasse, die von der Verteidigung ihrer Klasseninteressen ausgeht und zum Umsturz der bestehenden Ordnung führt. Für Saito hingegen ist die soziale Bewegung ein Konglomerat verschiedener „Klassenkräfte“ – neben Versuchen, in den Vierteln heutiger Städte wie Detroit kleine Ausdrucksformen der "Commons" zu schaffen, verweist er auf klassenübergreifende Proteste wie die "Gelbwesten" in Frankreich, Protestgruppen, die von Anfang an auf einem bürgerlichen Terrain angesiedelt sind, wie Extinction Rebellion, eine Reihe von Arbeiterstreiks, die "Bürgerversammlungen", die unter der Schirmherrschaft von Macron als Reaktion auf die Proteste der Gelbwesten eingerichtet wurden. Kurz gesagt, nicht der Klassenkampf, nicht der Kampf der Ausgebeuteten dafür, sich von den kapitalistischen Organen zu befreien, die sie unter Kontrolle halten (wie die Gewerkschaften und die linken Parteien), nicht das Entstehen eines kommunistischen Bewusstseins, das sich in der Bildung von revolutionären Minderheiten äußerte.
Einer der deutlichsten Beweise dafür, dass Saito nicht über den Klassenkampf als Hebel des Kommunismus spricht, ist seine Haltung zur Indignados-Bewegung, die 2011 in Spanien entstand. Es handelte sich um eine Bewegung, die auf einer proletarischen Organisationsform – den Massenversammlungen – basierte, auch wenn sich die Mehrheit ihrer Protagonisten eher als "Bürger" denn als Proletarier sah. Innerhalb der Versammlungen gab es einen Kampf zwischen Organisationen wie "Democracia Ya", die mit den Versammlungen das bereits bestehende "demokratische" System wiederbeleben wollten, und einem proletarischen Flügel, der die Autonomie der Versammlungen gegenüber allen Ausdrucksformen des Staates verteidigte, einschließlich seiner lokalen, kommunalen Tentakel. Saito lobt die "Bewegung der Plätze", spricht sich aber gleichzeitig dafür aus, die Versammlungen auf die Gründung einer kommunalen politischen Partei, Barcelona en Comu, und die Wahl einer radikalen Bürgermeisterin, Ada Colau, zu lenken, deren Verwaltung eine Reihe von "demokratisierenden" Maßnahmen und ökologischen Erklärungen vorgelegt hat. Darüber hinaus hat das Experiment von Barcelona die Bewegung "Fearless Cities" (Städte ohne Angst) ins Leben gerufen, die das gleiche Modell in einer Reihe anderer Städte auf der ganzen Welt anwenden will.
Es handelt sich dabei nicht um die internationale Ausweitung des Arbeiterkampfes – eine Voraussetzung für die kommunistische Revolution –, sondern um eine Struktur für die Reintegration des echten Klassenkampfes ins System. Und sie beruht auf der Ablehnung eines anderen grundlegenden Elements des kommunistischen Projekts, der Lehre, die Marx, Engels, Pannekoek und Lenin aus der Erfahrung der Pariser Kommune von 1871 gezogen haben: dass die Aufgabe des Proletariats, der erste Schritt seiner Revolution, darin besteht, den bestehenden Staatsapparat zu zerschlagen, nicht nur seine Armeen, seine Polizei und seinen zentralen Regierungsapparat, sondern auch seine Gemeinderäte und andere Formen der lokalen Kontrolle. Für Saito hingegen "wäre es töricht, den Staat als Mittel abzulehnen, um Dinge zu erreichen, wie die Schaffung von Infrastruktur oder die Umgestaltung der Produktion" (Slow Down, S. 232). Dies läuft auf einen "Green New Deal" von unten hinaus, nicht auf den revolutionären Umsturz der bestehenden Verhältnisse.
Dies ist nicht der Ort, um auf die immensen Herausforderungen einzugehen, die sich der Arbeiterklasse stellen werden, sobald sie die Macht in die Hand genommen und den Übergang zum Kommunismus eingeleitet hat. Natürlich wird die ökologische Frage im Mittelpunkt stehen, und dies wird eine Reihe von Maßnahmen erfordern, die darauf abzielen, den Trieb zur Akkumulation zu unterdrücken und ihn durch die Produktion für die Bedürfnisbefriedigung zu ersetzen – nicht nur auf lokaler Ebene, sondern auf dem gesamten Planeten. Sie wird auch die Demontage des gigantischen Apparats der Verschwendungs-Produktion verlangen, der die Klimakatastrophe mitverursacht: die Rüstungsindustrie, die Werbung, das Finanzwesen und so weiter. Wie wir an anderer Stelle[10] gezeigt haben, haben auch frühere Marxisten von Bebel bis Bordiga von der Überwindung des durch den Akkumulationsprozess angeheizten Wahnsinns, von der "Verlangsamung" der Hektik des Lebens unter dem Kapital gesprochen. Aber wir bezeichnen das nicht als "Degrowth", und zwar aus zwei Gründen: Erstens, weil der Kommunismus die Grundlage für eine echte "Entwicklung der Produktivkräfte" mit einer völlig neuen Qualität ist, die mit den wirklichen Bedürfnissen der Menschheit und ihrem Stoffwechsel mit der Natur vereinbar ist. Und zweitens, weil das Reden über "Degrowth" im Rahmen des bestehenden Systems – und Saitos "Kommunismus" entgeht dem nicht – leicht als Rechtfertigung für die vom bürgerlichen Staat verordnete Sparpolitik verwendet werden kann, als Grund für die Arbeiterklasse, ihre "egoistischen" Kämpfe gegen Lohn- oder Arbeitsplatzabbau einzustellen und sich daran zu gewöhnen, ihren Konsum noch mehr zu reduzieren.
Amos (April 2024)
[1] Vgl. unsere Aktualisierung der Thesen zum Zerfall (2023) [10], Internationale Revue 59
[2] Less is More: How Degrowth Will Save the World, 2020 (auch auf Deutsch: Weniger ist mehr – Warum der Kapitalismus den Planeten zerstört und wir ohne Wachstum glücklicher sind)
[3] Hickels Kritik am Grünen New Deal geht jedoch nicht sehr weit: Für ihn förderte der New Deal der 1930er Jahre das Wachstum, "um den Lebensunterhalt der Menschen zu verbessern und fortschrittliche soziale Ergebnisse zu erzielen ... die frühen progressiven Regierungen behandelten Wachstum als einen Gebrauchswert" (S. 94 im Original). In Wirklichkeit war das Ziel des New Deal die Rettung des Kapitalismus und die Vorbereitung auf den Krieg ...
[4] Beispielsweise Marx’s Ecology: Materialism and Nature, 2000 (auf Deutsch: Marx‘ Ökologie – Materialismus und Natur)
[5] Karl Marx’s Ecosocialism: Capital, Nature and the Unfinished Critique of Political Economy 2017; Marx in the Anthropocene: Towards the Idea of Degrowth Communism, 2022
[6] Saito entlehnt diesen Begriff von Althusser, einem sehr raffinierten Apologeten des Stalinismus, der ihn auf das anwandte, was er als den Übergang vom jugendlichen, idealistischen Marx der Manuskripte von 1844 zum knallharten Wissenschaftler von Das Kapital ansah. Wir haben hier dagegen argumentiert: The study of Capital and the foundations of Communism [11] („Das Studium des Kapitals und die Grundlagen des Kommunismus“), International Review (engl./frz./span. Ausgabe) Nr. 75. Wenn es einen solchen Bruch gab, dann fand er statt, als Marx mit der radikalen Demokratie brach und sich mit dem Proletariat als Träger des Kommunismus identifizierte, etwa 1843/44.
[7] Beispielsweise in den Schlussfolgerungen von Engels in Der Ursprung der Familie, der Privateigentums und des Staats
[8] MEW Bd. 19 S. 398. Vgl. auch The Mature Marx - Past and Future Communism [12], International Review 81 (engl./frz/span. Ausgabe).
[9] MEW Bd. 19. S. 296. Vgl. auch The Mature Marx - Past and Future Communism [12], International Review 81 (engl./frz/span. Ausgabe).
[10] Vgl. Bordiga und die Großstadt [13], IKSonline Juli 2020
"Die Kommunisten sind da! Vorwärts zur britischen Revolution! Die Notwendigkeit, zu Lenin zurückzukehren; Kommunismus ist die einzige Lösung; Der Aufbau einer neuen Internationale!" Dies sind einige der Slogans der Internationalen Marxistischen Tendenz (IMT) in der Kampagne für das, was sie "eine Wiedergeburt, eine Renaissance!" ihrer Organisation nennt, "indem sie die Menschen auf einer direkt kommunistischen Basis anspricht".
Dem Beispiel der Sektion der IMT in Großbritannien folgend, haben mehrere nationale Sektionen den Namen ihrer Organisation und ihrer Zeitung geändert: Verweise auf "Sozialismus" werden durch "Kommunismus" ersetzt! Auf einer internationalen Konferenz, die vom 10. bis 15. Juni stattfand, wurde die Internationale Marxistische Tendenz in Revolutionäre Kommunistische Internationale (RKI) umbenannt.[1]
Der unmittelbare Grund für diese scheinbar radikale Veränderung war der Ausschluss der Gruppe Socialist Appeal aus der britischen Labour Party im November 2022, gefolgt vom Ausschluss der PCB-RR[2] aus der brasilianischen Kommunistischen Partei im Juli-August 2023.
Für die IMT ist dies ein glorreicher Abschied von der historischen "Entrismus"-Strategie des Trotzkismus – das Ende der Politik, die Trotzki in den 1930er Jahren befürwortete, als er vorschlug, dass die sich politisch auf seine Positionen beziehenden Gruppen selbst auflösen und den sozialistischen Parteien als Fraktion beitreten sollten, um in ihnen Einfluss zu gewinnen. Heute rühmt sich die IMT, die wahrscheinlich eine der letzten Organisationen ist, die bis heute eine Entrismus-Politik verfolgt hat, mit der Ankündigung "eines sauberen Bruchs mit der so genannten 'Linken'. Wir wollen viel mehr, in Worten und in der Praxis".[3]
Mit der jetzigen umfangreichen Kampagne will sich die IMT als echte politische Organisation der Arbeiterklasse ins Rampenlicht stellen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die IMT ist keine Organisation der Arbeiterklasse, sie wird es nie sein, und das Gleiche gilt für alle ihre Vorgänger seit dem Zweiten Weltkrieg: die WIL, die RCP, die RSL, die Militant Tendency, die CWI und das CMI.[4]
Ted Grant, der Gründungsvater der IMT, begann seine politische Laufbahn in den 1930er Jahren. Er wurde Mitglied der britischen Workers' International League, der WIL, "dem direkten Vorfahren in gerade Linie der heutigen IMT".[5] Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als die Gruppen, die mit der von Trotzki inspirierten Opposition verbunden waren, noch Teil der Arbeiterklasse waren, auch wenn sie bereits zunehmend enorme politische Verwirrungen verkörperten. Ende der 1930er Jahre beschlossen sie Schritt für Schritt, den demokratischen Bourgeoisien im imperialistischen Krieg gegen die faschistischen Regime in Europa ihre "kritische" Unterstützung zu geben und verrieten das Prinzip des proletarischen Internationalismus, das für proletarische Organisationen von zentraler Bedeutung ist.
Dasselbe geschah auch mit der WIL. Nach der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht war die WIL damit einverstanden, Trotzkis "berühmtes 'Proletarisches Militärisches Programm' anzunehmen, das im Grunde eine Anwendung des Übergangsprogramms auf eine Periode des allgemeinen Krieges und Militarismus war. (...) Sie konzentrierte sich auf die Forderung nach einer obligatorischen militärischen Ausbildung der Arbeiterklasse in speziellen vom Staat getragenen Schulen, unter der Obhut von offiziell gewählten Offizieren, jedoch unter der Kontrolle der Arbeiterinstitutionen, womit insbesondere die Gewerkschaften gemeint waren. Es liegt auf der Hand, dass kein kapitalistischer Staat solche Forderungen der Arbeiterklasse bewilligen konnte, wenn dies die Existenz des Staates in Frage gestellt hätte".[6]
Diese Politik war im Wesentlichen eine Art Neuauflage der von Trotzki Anfang der 1920er Jahre im revolutionären Russland vertretenen Position: die Kontrolle der Arbeiterklasse durch die Militarisierung der Arbeit unter der Leitung der Gewerkschaften. Aber die Politik der Rekrutierung für die kapitalistische Kriegsmaschinerie auf "proletarischer" Basis im imperialistischen Krieg gegen den "Hitlerismus" war nur ein Vorwand, um eine maximale Anzahl von Arbeitern zu mobilisieren, die schließlich in die Struktur der regulären bürgerlichen Armee eingezogen wurden. Diese Politik implizierte auch, dass die Arbeiterklasse nicht nur die westlichen Demokratien, einschließlich der USA, die von der IMT als "die reaktionärste Kraft auf dem Planeten" bezeichnet werden, sondern auch die stalinistische Sowjetunion verteidigen sollte. Der Titel eines Artikels von Ted Grant im April 1943: Aid Red Army with Lenin's Weapon (Helft der Roten Armee mit Lenins Waffe), nahm kein Blatt vor den Mund, was die Position der WIL in diesem imperialistischen Krieg betraf.
Wie die WIL positionierte sich der Trotzkismus mit dieser Politik eindeutig als linksradikale Fraktion der herrschenden Klasse. Und seit diesen Jahren haben Ted Grant und seine Mitstreiter konsequent das eine oder andere imperialistische Lager bei den Schlächtereien unterstützt, die stattfanden, sei es in Korea, Vietnam, Afghanistan, Angola, Irak usw.
Auch 2014 im Krieg im Donbass ergriff die IMT Partei für eines der kriegführenden Lager. Sie unterstützte die "Volksrepubliken" gegen die ukrainische Regierung und behauptete: "Die Anti-Maidan-Bewegung – die Quelle der Unterstützung der Rebellen durch die Bevölkerung – hatte einen deutlich stärkeren Charakter der Arbeiterklasse" und "der Aufstand im Donbass stützte sich weitgehend auf die arbeitende Bevölkerung der Region".[7] In Wirklichkeit waren sie jedoch nur Stellvertreter des russischen Imperialismus und völlig abhängig von der militärischen Macht der russischen Armee.
In Bezug auf den Krieg, der im Februar 2022 begann, ist die Position der IMT nicht so deutlich wie beim Krieg im Donbass. Aber trotz all ihrer angeblich internationalistischen Erklärungen wie: "wir können in diesem Krieg keine Seite unterstützen, weil es sich um einen reaktionären Krieg auf beiden Seiten handelt", und sogar: "ein Konflikt zwischen zwei Gruppen von Imperialisten", ist ihre Präferenz immer noch überwiegend auf Russland gerichtet. Dies geht aus einem Artikel über den Krieg in der Ukraine hervor, in dem es heißt, dass die Kommunisten kämpfen müssen gegen:
- "NATO und gegen den amerikanischen Imperialismus – die konterrevolutionärste Kraft auf dem Planeten";
- "die Amerikaner und die NATO (...) die aggressivsten und reaktionärsten imperialistischen Kräfte";
- "das verabscheuungswürdige Verhalten der Kiewer Regierung, ihre Kollaboration mit reaktionären Faschisten".[8]
Im Falle des gegenwärtigen Krieges im Nahen Osten verteidigen sie die palästinensische Bourgeoisie, obwohl sie schreiben, dass "wir die Hamas nie unterstützt haben. Wir teilen weder ihre Ideologie noch billigen wir die Methoden, die sie anwendet. Aber unsere Differenzen mit der Hamas sind zwar grundlegend, aber nicht annähernd so grundlegend wie die Unterschiede, die uns vom US-Imperialismus (...) und seinen Komplizen, der israelischen herrschenden Klasse, trennen".[9]
All diese Beispiele, die älteren und die neueren, zeigen, dass der angebliche Internationalismus der IMT ein reiner Betrug ist, und ihre Slogans, die vorgeben, ihre Unterstützung für den revolutionären Kampf der Arbeiterklasse auszudrücken, sind bare Lüge! Die IMT ist, wie alle anderen trotzkistischen Organisationen, ein Instrument der Konterrevolution, das dazu bestimmt ist, jeden Kampf der Arbeiterklasse für den Sturz des Kapitalismus zu sabotieren.
Unsere Vorgänger der Gauche Communiste de France (GCF) haben bereits in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg darauf hingewiesen, als sie schrieben: "Die ganze Geschichte des Trotzkismus dreht sich um die 'Verteidigung' von etwas im Namen des 'kleineren Übels', wobei dieses alles andere als die Interessen des Proletariats ist." Und: "Ausgehend von der ewigen Wahl des 'kleineren Übels' haben sich die Trotzkisten am imperialistischen Krieg beteiligt"[10]. Die Gauche Communiste de France führte weiter aus, dass trotzkistische Erklärungen zum Krieg in der Regel "mit einer allgemeinen Erklärung gegen den Krieg beginnen. Aber sobald sie die Litanei über den 'revolutionären Defätismus' zitiert haben, kommen sie zu den konkreten Fragen und beginnen, Unterscheidungen zu treffen, beginnen mit dem Wenn und Aber, was in der Praxis dazu führt, dass sie sich bestehenden Kriegsfronten anschließen und die Arbeiter auffordern, sich am imperialistischen Gemetzel zu beteiligen".[11] Dies zeigt, dass für den Trotzkismus die politische Praxis entscheidender ist als seine politischen Positionen und dass seine Praxis unerbittlich auf die Mobilisierung für den imperialistischen Krieg ausgerichtet ist
Der Trotzkismus ist im Grunde genommen der Stalinismus ohne die Staatsbürokratie und den Archipel Gulag. Im Übrigen gibt es keinen grundlegenden politischen Unterschied zu den stalinistischen Parteien. Aber er tarnt seinen bürgerlichen Charakter hinter der Figur Trotzkis, der bis zu seiner Ermordung ein Revolutionär war. Es versteht sich von selbst, dass der Trotzkismus fest in den kapitalistischen Verhältnissen verankert ist und dass seine gesamte Dynamik von den Bedürfnissen des Kapitals bestimmt wird.
Seit dem Verrat des Trotzkismus während des Zweiten Weltkriegs haben wir viele "Wiedergeburten" innerhalb dieser Strömung erlebt, aber abgesehen von den Versuchen einiger Aktivisten wie Munis, Stinas usw., mit dem Trotzkismus zu brechen, haben sie nie zu Organisationen geführt, die sich dem Lager der Arbeiterklasse angeschlossen hätten. Und auch die jüngste Änderung der Politik der IMT wird keine grundsätzliche Wende herbeiführen. Der Grund dafür ist die Unmöglichkeit für bürgerliche Organisationen, Teil der Arbeiterklasse zu werden. Und das gilt auch für alle politischen Organisationen, die einmal Teil der Arbeiterklasse waren und dann in das Lager der Bourgeoisie übergegangen sind.
Die IMT kann tausendmal schreien, dass sie eine "Wiedergeburt" erlebt hat, aber diese "Wiedergeburt" geht nicht viel weiter als die Änderung der Namen der Organisation, ihrer Zeitungen und ihrer Sektionen. Sie hat sich von der "Linken" distanziert, sieht sich aber immer noch als Teil desselben politischen Umfelds und bezeichnet sogar die Labour Party in Grossbritannien weiterhin als "reformistisch", d.h. als eine Art Schwesterorganisation, die lediglich Fehler macht.
Wir stimmen mit der Communist Workers Organisation (CWO) überein, dass der neue Name der Sektion der IMT in Grossbritannien, Revolutionäre Kommunistische Partei, bedeutet: "Raus mit dem Alten, rein mit dem Alten".[12]
Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, zu behaupten, dass sie "eine bankrotte politische Tendenz" geworden sei, wie die CWO in demselben Artikel schreibt. Der Trotzkismus ist und bleibt ein wichtiges Instrument für die Bourgeoisie, um Minderheiten in der Klasse, die sich unter dem Einfluss des Arbeiterkampfes oder des imperialistischen Krieges radikalisieren, zu kontrollieren und auf unergiebige Fährten zu führen. Was wir heute sehen, ist eine Politik der Wiederbelebung der IMT unter dem Deckmantel der "internationalistischen Internationale", damit sie ihre Rolle als Hindernis auf dem Weg zu massiveren und politisierten Klassenauseinandersetzungen besser spielen kann.
Dennis, 12. Juli 2024
[1] Im deutschsprachigen Raum hat sich die IMT-Sektion Der Funke in Revolutionäre Kommunistische Partei umbenannt.
[2] Brazilian Communist Party – Revolutionary Refoundation
[3] How the communists in Britain are preparing for power [14], The Communist vom 2. Mai 2024
[4] Die Revolutionary Communist Party RCP, die Revolutionary Socialist League RSL, die Militant Tendency, das Committee for a Workers International CWI und das Committee for a Marxist International CMI
[5] Siehe: Trotsky’s suppressed letter: an introduction by Alan Woods [15], The Communist vom 8. Februar 2019
[6] Die Ermordung Trotzkis im Jahre 1940 [16], Internationale Revue 27, 2001
[7] Perspectives for the People’s Republics: The external and domestic struggle of the left and progressive forces [17], IMT (marxist.com)
[8] Quelle: The Ukrainian conflict: is this the start of World War III? [18], IMT (marxist.org)
[9] Down with hypocrisy! Defend Gaza! – RCI statement [19] (marxist.org)
[10] Internationalisme 1947: Was die Revolutionäre von den Trotzkisten unterscheidet [20], Internationale Revue 45, 2010
[11] ebenda
[12] Revolutionary Communist Party: Out with the Old, In with the Old [21], ICT (leftcom.org). Der Titel spielt an auf “Out with the old, in with the new” aus der Kuppelstadt im Buch Logan's Run, die nicht genug groß ist. Deshalb werden Bürger, die das Alter von 30 Jahren erreichen, rituell getötet, woraufhin sie angeblich reinkarniert würden.
Links
[1] https://de.internationalism.org/files/de/welt_187-einzelseiten_0.pdf
[2] https://actionweek.noblogs.org
[3] https://de.internationalism.org/files/de/nok-2007-web.pdf
[4] https://anarcomuk.uk/articles/
[5] https://de.internationalism.org/content/1373/nach-dem-zusammenbruch-des-ostblocks-destabilisierung-und-chaos
[6] https://de.internationalism.org/content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus
[7] https://de.internationalism.org/content/758/orientierungstext-militarismus-und-zerfall
[8] https://de.internationalism.org/content/3192/resolution-zur-nationalen-situation-deutschland
[9] https://de.internationalism.org/en/tag/geographisch/deutschland
[10] https://de.internationalism.org/content/3129/aktualisierung-der-thesen-zum-zerfall-2023
[11] https://en.internationalism.org/internationalreview/199311/1570/study-capital-and-foundations-communism
[12] https://en.internationalism.org/internationalreview/199506/1685/mature-marx-past-and-future-communism
[13] https://de.internationalism.org/content/2946/bordiga-und-die-grossstadt
[14] https://communist.red/how-the-communists-in-britain-are-preparing-for-power/
[15] https://communist.red/trotsky-s-suppressed-letter-an-introduction-by-alan-woods/
[16] https://de.internationalism.org/content/845/die-ermordung-trotzkis-im-jahre-1940
[17] https://marxist.com/perspectives-for-the-peoples-republics-the-external-and-domestic-struggle-of-the-left-and-progressive-forces.htm
[18] https://marxist.com/the-ukrainian-conflict-is-this-the-start-of-world-war-iii.htm
[19] https://marxist.com/down-with-hypocrisy-defend-gaza-imt-statement.htm
[20] https://de.internationalism.org/content/1977/internationalisme-1947-was-die-revolutionaere-von-den-trotzkisten-unterscheidet
[21] https://www.leftcom.org/en/articles/2024-05-03/revolutionary-communist-party-out-with-the-old-in-with-the-old