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Internationale Revue 30

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14. Kongress der IKS: Bericht über den Klassenkampf: Die revolutionäre Bewegung und das Konzept des Historischen Kurses, Teil 2

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In der letzten Ausgabe der Internationalen Revue veröffentlichten wir den 1. Teil dieses Artikels. Er umfasst die Entwicklung des Konzepts des Historischen Kurses in der Zeit von 1848 bis 1952. 

 

Teil 2: 1968-2000

 

Das Ende der Konterrevolution

Trotz der Fehler, die sie in den 40er und 50er Jahren begangen hatte – insbesondere die Schlussfolgerung, dass ein dritter Weltkrieg bevorstand -, versetzte die prinzipielle Loyalität der GCF gegenüber den Methoden der Italienischen Linken ihren unmittelbaren Nachfolger, die Gruppe Internacionalismo in Venezuela, Ende der 60er Jahre in die Lage zu erkennen, dass sowohl der Wiederaufbauboom der Nachkriegszeit als auch die lange Periode der Konterrevolution sich ihrem Ende neigten. Die IKS hat mehr als einmal die Gelegenheit genutzt, die treffenden Worte aus Internacialismo Nr. 8 im Januar 1968 zu zitieren, aber es schadet nicht, sie noch einmal zu zitieren, da sie ein schönes Beispiel für die Fähigkeit des Marxismus sind, den allgemeinen Kurs der Ereignisse vorwegzunehmen, ohne sich dabei auf prophetische Gaben zu berufen: ”Wir sind keine Propheten, noch können wir behaupten vorherzusehen, wann und wie sich die Ereignisse in der Zukunft entwickeln werden. Doch über eins sind wir uns bewusst und sicher: Der Prozess, in den der Kapitalismus heute gedrängt ist, kann nicht gestoppt werden... und er führt direkt in die Krise. Und wir sind uns gleichfalls sicher, dass der entgegengesetzte Prozess einer sich entwickelnden Kampfbereitschaft der Klasse, dessen Zeuge wir heute sind, die Arbeiterklasse zu einem blutigen und direkten Kampf für die Zerstörung des bürgerlichen Staates führen wird.”

Hier drückte die venezuelanische Gruppe ihr Verständnis aus, dass nicht nur eine neue Wirtschaftskrise zum Vorschein gekommen war, sondern dass es ein Wiedersehen mit einer neuen und ungeschlagenen Generation von Proletariern geben wird. Die Ereignisse vom Mai 68 in Frankreich und die internationale Welle von Kämpfen in den folgenden vier, fünf Jahren waren eine klare Bestätigung dieser Diagnose. Natürlich war eine Komponente dieser Diagnose die Erkenntnis, dass die Krise die imperialistischen Spannungen zwischen den beiden Militärblöcken, die den Globus beherrschten, verschärfen würde; doch der enorme Schwung der ersten internationalen Welle von Kämpfen zeigte, dass das Proletariat nicht gewillt war, sich in einen neuen Holocaust hineinziehen zu lassen. Mit einem Wort, der historische Kurs wies nicht in Richtung Weltkrieg, sondern in Richtung massiver Klassenkonfrontationen.

Eine direkte Konsequenz aus der Wiederbelebung des Klassenkampfes war das Auftreten neuer proletarischer Kräfte nach einer langen Periode, in der revolutionäre Ideen mehr oder weniger aus dem Blickfeld verschwunden waren. Die Ereignisse vom Mai 68 und ihre Nachwirkungen erzeugten eine Fülle neuer politischer Gruppierungen, die durch einen Haufen Konfusionen gekennzeichnet, aber gewillt waren, zu lernen und sich eifrig die wahrhaften kommunistischen Traditionen der Arbeiterklasse wiederanzueignen. Das Beharren von Internacionalismo und ihrer Nachkommen – Révolution Internationale in Frankreich und Internationalism in den USA – auf der Notwendigkeit einer ‚Umgruppierung der Revolutionäre‘ fasste diesen Gesichtspunkt der neuen Perspektive zusammen. Diese Strömungen übernahmen also die Führung und drängten auf Debatten, Korrespondenzen und internationale Konferenzen. Diese Bemühungen ernteten ein großes Echo unter den klarsten der neuen politischen Gruppierungen, denen es nicht schwer fiel zu verstehen, dass eine neue Periode eröffnet war. Dies trifft besonders auf jene Gruppen zu, die sich der ‚internationalen Tendenz‘ angeschlossen hatten, aber es trifft auch auf Gruppen wie Revolutionary Perspectives zu, deren ursprüngliche Plattform das historische Wiedererwachen  der Klassenbewegung anerkennt:

”Parallel zur Erneuerung der Krise wurde 1968 mit den Massenstreiks in Frankreich, denen die Erhebungen in Italien, Großbritannien, Argentinien, Polen, etc. folgten, eine neue Periode des internationalen Klassenkampfes eröffnet. Die heutigen Arbeitergenerationen sind, anders als nach dem Ersten Weltkrieg, unbelastet vom Reformismus oder von der Niederlage, wie in den 30er Jahren, was uns Anlass zur Hoffnung in ihre Zukunft und in die der Menschheit gibt. All diese Kämpfe zeigen zur Verlegenheit der modernistischen Dilettanten, dass das Proletariat trotz 50 Jahren nahezu vernichtender Niederlagen nicht im Kapitalismus integriert ist: Mit diesen Kämpfen belebt es die Erinnerung an seine eigene vergangene Geschichte wieder und bereitet sich selbst auf seine wichtigste Aufgabe vor.” (Revolutionary Perspectives Nr. 1, alte Reihe, c. 1974)

Leider hatten die ‚etablierten‘ Gruppen der Italienischen Linken, denen es gelang, während der Nachkriegsperiode eine organisatorische Kontinuität aufrechtzuerhalten, dies nur um den Preis eines Skleroseprozesses erreicht. Weder Battaglia Comunista (Publikation der Partito Comunista Internazionalista) noch Programma Comunista (von der Internationalen Kommunistischen Partei in Italien veröffentlicht) trugen viel Erhellendes zu den Revolten Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre bei. Sie richteten ihr Augenmerk auf die Studenten und kleinbürgerlichen Gestalten, die sich zweifellos in diese Revolten gemischt hatten. Für die genannten Gruppen – die, man erinnere sich, einst aufgebrochen waren, um in einer Periode der schlimmsten Niederlage den Kurs zur Revolution anzusteuern – war nun die Nacht der Konterrevolution noch nicht zu Ende. Sie sahen wenig Anlass, sich aus der splendid isolation zu begeben, die sie so lange ‚geschützt‘ hatte. Die Programma-Strömung erlebte in den 70er Jahren durchaus eine Periode beachtlichen Wachstums, doch sie war ein Gebilde, das auf dem Sand des Opportunismus, besonders in der nationalen Frage, gegründet war. Die katastrophalen Konsequenzen dieser Art von Wachstum sollten mit dem Zerbrechen der IKP in den frühen 80er Jahren offensichtlich werden. Was Battaglia angeht, so schaute sie lange Zeit kaum einmal über die italienischen Grenzen. Es dauerte fast ein Jahrzehnt, ehe sie ihren eigenen Appell für internationale Konferenzen der Linkskommunisten formulierte, wobei ihre Beweggründe unklar blieben (die ”Sozialdemokratisierung der Kommunistischen Parteien”).

Die Gruppen, die mit der Bildung der IKS fortfuhren, waren zu dieser Zeit mit einer Auseinandersetzung an zwei Fronten konfrontiert. Zum einen mussten sie Stellung gegen den Skeptizismus unter den existierenden linkskommunistischen Gruppen  beziehen, die Alles beim Alten sahen. Zum anderen mussten sie auch den Immediatismus und die Ungeduld vieler neuer Gruppen kritisieren, von denen einige überzeugt davon waren, dass der Mai 68 die Frage der unmittelbar bevorstehenden Revolution gestellt habe (dies war besonders bei denjenigen der Fall, die von der Situationistischen Internationalen beeinflusst waren, welche keine Verbindung zwischen dem Klassenkampf und dem Zustand der kapitalistischen Wirtschaft sah, die gerade in eine neue Phase, die der offenen Krise, eintrat). Doch so wie der ‚Geist von 68‘, die studentischen, rätekommunistischen oder anarchistischen Vorurteile in Bezug auf die Aufgaben und Funktionsweise einer revolutionären Organisation ein beträchtliches Gewicht auf die junge IKS ausübten, so drückten sich diese Einflüsse auch auf ihre Auffassung über den neuen historischen Kurs aus. Die absolut notwendige Verkündung eines neuen historischen Kurses, den der proletarischen Wiedererweckung, tendierte dahin, mit einer Unterschätzung der immensen Schwierigkeiten zusammenzufallen, die vor der internationalen Arbeiterklasse lagen. Dies drückte sich auf vielerlei Weise aus:

- in der Neigung zu vergessen, dass die Entwicklung des Klassenkampfes per se ein unsteter Prozess ist, der Fortschritte und Niederlagen durchmisst, und somit eine mehr oder weniger ununterbrochene Entwicklung zu revolutionären Kämpfen zu erwarten – eine Aussicht, die in gewisser Weise im oben genannten Zitat von Internacionalismo enthalten ist;

- in der Unterschätzung der Fähigkeit der Bourgeoisie, den Verlauf der Krise stufenweise zu gestalten, vielfältige staatskapitalistische Mechanismen zu nutzen, um die Heftigkeit der Krisenfolgen besonders für die zentralen proletarischen Konzentrationen zu reduzieren;

- in der Definition des neuen Kurses als einen ”Kurs zur Revolution”, was beinhaltet, dass das Wiedererwachen der Klasse unvermeidlich in einer revolutionären Konfrontation mit dem Kapital kulminieren würde;

- damit verknüpft war die – im damaligen Milieu sehr starke – Konzentration auf die Frage der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus. Diese Debatte war keineswegs irrelevant, besonders da sie Teil der Bemühungen des neuen Milieus war, sich die Lehren und Traditionen der vergangenen Bewegung wiederanzueignen. Doch die Leidenschaft, mit der sie geführt wurde (was beispielsweise zu Spaltungen zwischen verschiedenen Elementen des Milieus führte), drückte auch eine gewisse Naivität über die Schwierigkeiten aus, eine solche Periode erst einmal zu erreichen, in der solche Fragen wie die Form des Übergangsstaates zu einem akuten Problem für die Arbeiterklasse werden.

In den nächsten Jahrzehnten wurden die Analysen der IKS verfeinert und weiterentwickelt. Es begann die Arbeit der Untersuchung der bürgerlichen Mechanismen zur ‚Kontrolle‘ der Krise und somit der Gründe, warum die Krise unvermeidbar ein lang hingezogener und unsteter Prozess sein wird. Gleichfalls wurde sie nach den Rückflüssen Mitte der 70er Jahre und Anfang der 80er dazu gezwungen anzuerkennen, dass innerhalb des Rahmens einer allgemein aufwärts weisenden historischen Kurve des Klassenkampfes es da und dort wichtige Phasen des Rückzugs geben wird. Ferner hat die IKS 1983 ausdrücklich anerkannt, dass der historische Kurs von keinem Automatismus geregelt wird; so hat sie auf ihrem 5. Kongress eine Resolution verabschiedet, welche den Begriff ”Kurs zur Revolution” kritisierte:

”Die Existenz eines Kurses zu Klassenkonfrontationen bedeutet, dass die Bourgeoisie die Hände nicht frei hat, um ein neues imperialistisches Gemetzel auszulösen: Zunächst muss sie die Arbeiterklasse konfrontieren und schlagen. Aber dies nimmt nicht das Ergebnis dieser Konfrontationen in der einen oder anderen Weise vorweg. Deshalb ist es vorzuziehen, über einen ‚Kurs zu Klassenkonfrontationen‘ zu sprechen statt über einen ‚Kurs zur Revolution‘.” (Resolution über die internationale Lage, veröffentlicht in International Review Nr. 35)

Innerhalb des Milieus verstärkten jedoch die Schwierigkeiten und Rückschläge, die das Proletariat erlitten hatte, die skeptischen und pessimistischen Ansichten, denen sich lange Zeit die ‚italienischen‘ Gruppen verschrieben hatten. Dies kam besonders während der internationalen Konferenzen Ende der 70er Jahre zum Ausdruck, als sich die Communist Workers‘ Organisation (Nachfolgerin der Gruppe um Revolutionary Perspectives) die Ansichten von Battaglia zu Eigen machte, indem sie die Auffassung der IKS ablehnte, dass der Klassenkampf eine Barriere zum Weltkrieg bildet. Die CWO schwankte in ihrer Erläuterung, warum denn der Krieg noch nicht ausgebrochen ist, von der Behauptung, die Krise sei noch nicht tief genug, in dem einen Moment zu der Idee im nächsten Moment, dass die Blöcke in jüngerer Vergangenheit nicht mehr der Vernunft der russischen Bourgeoisie entsprochen hätten, die erkannt habe, dass sie einen Krieg nicht gewinnen kann. Kurz: Alles, nur nicht der Klassenkampf!

Es gab auch innerhalb der IKS selbst ein Echo auf diesen Pessimismus; die spätere Tendenz GCI (2) und insbesondere RC (3), der ähnliche Ansichten übernahm, gingen durch eine Phase, in der sie ‚päpstlicher als Papst‘, sprich: Bilan, waren und argumentierten, dass wir uns auf den Kurs Richtung Krieg befänden.

Ende der 70er Jahre musste daher der erste wichtige Text der IKS über den historischen Kurs, der auf dem 3. Kongress angenommen und in International Review Nr. 18 veröffentlicht wurde, unsere Position gegen den Empirizismus und Skeptizismus definieren, die das Milieu zu beherrschen begannen.

Der Text kreuzte die Klinge mit allen Konfusionen innerhalb des Milieus:

- die im Empirizismus verwurzelte Idee, dass es unmöglich für Revolutionäre sei, allgemeine Voraussagen über den Kurs des Klassenkampfes zu treffen. Gegen diesen Einwand unterstrich der Text die Tatsache, dass ihre Fähigkeit, die künftige Perspektive – und nicht nur die allgemeine Alternative zwischen Sozialismus und Barbarei – zu definieren, eines der erklärten Charakteristiken des Marxismus ist und stets gewesen war. Im Einzelnen beharrte der Text darauf, dass Marxisten ihre Arbeit stets auf die Fähigkeit gegründet haben, das besondere Kräfteverhältnis zwischen den Klassen in einem gegebenen Zeitraum zu erfassen, wie wir im ersten Teil dieses Berichts bereits sahen. Aus dem gleichen Grunde zeigt der Text auf, dass die Unfähigkeit, die Natur des Kurses zu erkennen, frühere Revolutionäre zu ernsthaften Irrtümern verleitet hatte;

- eine Steigerung dieser agnostischen Ansicht war das besonders vom IBRP vertretene Konzept eines ‚parallelen‘ Kurses zur Revolution und zum Krieg. Wir haben bereits gesehen, wie diese von Bilan und der GCF praktizierte Herangehensweise solch einen Begriff ausschloss; der Text des Dritten Kongresses fährt fort zu argumentieren, dass solch ein Konzept das Resultat des Außerachtlassens der marxistischen Methode selbst sei.

”Erst kürzlich sind noch andere Theorien aufgekommen, denen zufolge ‚mit der Entwicklung der Krise des Kapitalismus beide Ausdrücke des Widerspruchs gleichzeitig verstärkt wurden: Krieg und Revolution schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern entwickeln sich simultan und parallel, ohne dass es für uns möglich wäre zu wissen, welcher vor dem anderen seinen Höhepunkt erreicht‘. Der Hauptirrtum in dieser Konzeption ist, dass sie den Faktor des Klassenkampfes im gesellschaftlichen Leben vernachlässigt, so wie die Auffassung, die die Italienische Linke entwickelte (die Theorie der Kriegswirtschaft), auf einer Überschätzung dieses Faktors basierte. Ausgehend von der Formulierung im Manifest, wonach ‚die Geschichte aller bisher existierenden Gesellschaften die Geschichte von Klassenkämpfen‘ ist, wendete die Italienische Linke dies mechanisch auf die Analysen des imperialistischen Krieges an und erblickte im imperialistischen Krieg eine Antwort auf den Klassenkampf; sie vermochte nicht zu sehen, dass im Gegenteil der imperialistische Krieg nur dank der Abwesenheit oder Schwächung des Klassenkampfes stattfinden kann. Obwohl sie falsch war, ging diese Auffassung von richtigen Prämissen aus; der Fehler lag in der Weise, wie diese Voraussetzungen angewendet wurden. Im Gegensatz dazu räumt die Theorie von dem ‚parallelen und simultanen Kurs sowohl zum Krieg als auch zur Revolution‘ diese fundamentale marxistische Ausgangsbedingung völlig beiseite, da sie der Ansicht ist, dass beide prinzipiellen antagonistischen Klassen in der Gesellschaft ihre eigenen Antworten – imperialistischer Krieg für die eine, Revolution für die andere – völlig unabhängig voneinander, vom Kräfteverhältnis zwischen beiden, von den Konfrontationen und Zusammenstößen zwischen beiden vorbereiten können. Wenn es nicht zur Bestimmung der gesamten historischen Alternative für das gesellschaftliche Leben angewendet werden kann, dann hat das Schema des Kommunistischen Manifestes keinen Daseinsgrund, und wir können den Marxismus neben anderen aus der Mode gekommenen Produkten menschlicher Phantasie im Museum ausstellen.”

Schließlich greift der Text die Argumentation derjenigen auf, die offen über einen Kurs zum Krieg sprachen – ein Argument, das sich einer kurzen Beliebtheit erfreute, das aber seine Stoßkraft mit dem Zusammenbruch des einen der am Krieg beteiligten Blöcke verlor.

In vielerlei Hinsicht hat die Debatte innerhalb des proletarischen Milieus über den historischen Kurs keine großen Fortschritte gemacht, seitdem dieser Text verfasst worden war. 1985 verfasste die IKS eine weitere Kritik am Konzept des parallelen Kurses, das in einem vom 5. Kongress von Battaglia Comunista stammenden Dokument vertreten wurde (International Review Nr. 85: ”The 80s are not the 30s”). In den 90er Jahren wurde in Texten des IBRP erneut sowohl die ‚agnostische‘ Sichtweise, die die Fähigkeit der Marxisten zu allgemeinen Vorhersagen über die Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft anzweifelt, als auch der eng damit verknüpfte Begriff des parallelen Kurses bestätigt. So zitierte die CWO in einer Polemik über die Bedeutung vom Mai 68 in Revolutionary Perspectives Nr. 12 einen Artikel aus World Revolution Nr. 216, der eine Diskussion zusammenfasste, die auf einem unserer Londoner Foren über dieses Thema stattgefunden hat. Unserer Artikel hebt hervor, dass ”die offensichtliche Verneinung der Möglichkeit der Vorhersage des allgemeinen Verlaufs der Ereignisse durch die CWO auch eine Ablehnung der Arbeit bedeutet, die auf diesem überlebenswichtigen Gebiet von den Marxisten in der gesamten Geschichte der Arbeiterbewegung ausgeführt worden war”. Die Antwort der CWO ist äußerst lustig: ”Wenn dies der Fall wäre, dann hätten die Marxisten einen schlechten Ruf. Vergessen wir dabei einmal das gebräuchliche (aber irrelevante) Beispiel von Marx nach den Revolutionen von 1848 und schauen stattdessen auf die Italienische Linke in den 30er Jahren. Während sie manch gute Arbeit bei dem Versuch verrichtete, mit der fürchterlichen Niederlage der revolutionären Welle nach dem Ersten Weltkrieg klar zu kommen, theoretisierte sie sich noch vor dem zweiten imperialistischen Gemetzel um ihre eigene Existenz.” ‚Vergessen‘ wir einmal das unglaublich gönnerhafte Verhalten gegenüber der gesamten marxistischen Bewegung: Was wirklich bemerkenswert ist, ist die Unfähigkeit der CWO zu begreifen, dass die Italienische Linke genau aus dem Grunde, weil sie ihre frühere Klarheit über den historischen Kurs verloren hatte, am Vorabend des Krieges ”sich um die eigene Existenz theoretisierte”, wie wir im ersten Teil des Berichts sahen.

Was die bordigistischen Gruppierungen anbetrifft, so ist es kaum ihr Stil, an Debatten zwischen den Gruppen des Milieus teilzunehmen, doch in einem kürzlichen Briefwechsel zwischen einem Kontakt in Australien und unseren beiden Organisationen wies die Gruppe Programma die Möglichkeit von der Hand, dass die Arbeiterklasse eine Barriere zum Weltkrieg sei. Ihre Spekulationen darüber, ob die Wirtschaftskrise in einem Krieg oder in einer Revolution endet, unterscheiden sich inhaltlich nicht von jenen des IBRP.

Wenn sich irgendetwas in der vom IBRP vorgestellten Position geändert hat, dann ist es die Bösartigkeit ihrer Polemik gegen die IKS. Während in der Vergangenheit unsere ”rätekommunistische” Sichtweise der Partei ein Vorwand für den Abbruch der Diskussionen mit der IKS war, konzentrieren sich in der jüngsten Zeit die Gründe für die Ablehnung jeglicher vereinter Bemühungen noch viel schärfer auf unsere Differenzen über den historischen Kurs. Unsere Ansichten in dieser Frage werden als Hauptbeweis für unsere idealistische Methode und für unsere Loslösung von der Realität betrachtet. Ferner sei, gemäß des IBRP, der Schiffbruch unserer historischen Perspektiven, unseres Konzeptes über die ‚Jahre der Wahrheit‘, der wahre Grund für die jüngste Krise in der IKS und die ganze Debatte über die Funktionsweise im Kern eine Ablenkung von dieser zentralen Frage.

Die Folgen des Zerfalls 

Auch wenn sich die Debatte innerhalb des Milieus nur wenig entwickelt hat – die Realität hat dies zweifellos getan. Der Eintritt des dekadenten Kapitalismus in seine Zerfallsphase hat die Art, sich der Frage des historischen Kurses zu nähern, zutiefst verändert.

Das IBRP hat uns lange vorgehalten, wir behaupteten, dass die ‚Jahre der Wahrheit‘ bedeuteten, dass die Revolution in den 80er Jahre ausbrechen würde. Was sagten wir wirklich? Im Originalartikel ”Die 80er Jahre – Jahre der Wahrheit” (Internationale Revue Nr.   ) argumentierten wir, dass angesichts einer tiefen Verschärfung der Krise und einer Intensivierung der imperialistischen Spannungen, die mit der russischen Invasion Afghanistans deutlich wurde, die kapitalistische Klasse mehr und mehr dazu gezwungen wurde, die Sprache des Trostes und der Illusionen über Bord zu werfen und stattdessen die ‚Sprache der Wahrheit‘, den Ruf nach Blut, Schweiß und Tränen zu gebrauchen, und wir legten uns auf die folgende Vorhersage fest: ”Im heute beginnenden Jahrzehnt wird über die historische Alternative entschieden werden: Entweder wird das Proletariat seine Offensive fortsetzen, mit der Lahmlegung des mörderischen Arms des Kapitalismus in seiner Agonie fortfahren und seine Kräfte zu sammeln, um das System zu zerstören, oder es wird von den Reden und der Repression in die Falle gelockt, ausgelaugt, demoralisiert werden, womit der Weg frei wäre für einen neuen Holocaust, der die Eliminierung der menschlichen Gesellschaft riskiert.”

Es gibt hier gewisse Zweideutigkeiten, besonders was die Suggestion betrifft, dass der proletarische Kampf sich bereits in der Offensive befindet, eine fehlerhafte Formulierung, die aus der bereits angesprochenen Neigung entspringt, die Schwierigkeiten zu unterschätzen, denen sich eine Arbeiterklasse gegenübersieht, die sich von einem defensiven zu einem offensiven Kampf (in anderen Worten: zur politischen Konfrontation mit dem kapitalistischen Staat) bewegt. Doch dessen ungeachtet verbirgt sich hinter dem Begriff der Jahre der Wahrheit eine tiefe Einsicht. Die 80er Jahre sollten sich als ein entscheidendes Jahrzehnt erweisen, aber nicht ganz in dem Sinn, wie der Text es sich vorstellt. Wofür dieses Jahrzehnt steht, war nicht ein entscheidender Fortschritt der einen oder anderen Hauptklasse, sondern eine gesellschaftliche Pattsituation, die in den Prozess des Zerfalls mündete, der eine zentrale und charakteristische Rolle in der gesellschaftlichen Entwicklung einnimmt. So begann dieses Jahrzehnt mit der russischen Invasion Afghanistans, die eine Verschärfung der imperialistischen Spannungen provozierte; doch diesem Ereignis folgten die Massenstreiks in Polen auf dem Fuß, die sehr deutlich demonstrierten, dass es dem russischen Block gleichsam unmöglich war, für den Krieg zu mobilisieren. Der polnische Kampf warf jedoch auch ein Schlaglicht auf die chronische politische Schwäche der Arbeiterklasse. Nicht nur die polnischen Arbeiter standen angesichts der tief sitzenden Mystifikationen, die vom Stalinismus (und der Reaktion gegen ihn) in die Welt gesetzt worden waren, vor besonderen Problemen bei der Politisierung ihres Kampfes in einem proletarischen Sinne; auch die Arbeiter im Westen erwiesen sich, obschon sie in ihren Kämpfen während der 80er Jahre beträchtliche Fortschritte gemacht hatten, als unfähig, eine klare politische Perspektive zu entwickeln. Ihre Bewegung wurde somit vom Zusammenbruch des Stalinismus ‚überwältigt‘;  etwas allgemeiner gefasst, sollte der endgültige Beginn der Zerfallsphase die Klasse vor gewaltige Probleme stellen, da Erstere bei fast jeder Wendung den Rückgang im Bewusstsein verstärkte, welcher aus den Ereignissen 1989-91 resultierte.

Mit einem Wort, der Beginn des Zerfalls ist ein Resultat des historischen Kurses, so wie ihn die IKS seit den 60er Jahren festgestellt hatte, da er z.T. durch die Unfähigkeit der Bourgeoisie bedingt ist, die Gesellschaft für den Krieg zu mobilisieren. Aber er hat uns gleichfalls dazu gezwungen, das Problem des historischen Kurses in einer neuen und unvorhergesehene Weise zu stellen:

- Zunächst einmal wurde die Auflösung der beiden imperialistischen Blöcke, die 1945 gebildet worden waren, und die in Gang gesetzte Dynamik des ‚Jeder für sich selbst‘ – sowohl Ausdruck als auch Resultat des Zerfalls – zu einem neuen Faktor, der die Möglichkeit eines Weltkrieges erschwert. Während sich die imperialistischen Spannungen verschärften, hat diese neue Dynamik der Tendenz zur Bildung neuer Blöcke entgegengewirkt. Ohne die Existenz von Blöcken, ohne ein neues Machtzentrum, das zur direkten Herausforderung der US-Hegemonie imstande wäre, ist eine Schlüsselbedingung für die Auslösung eines Weltkrieges nicht vorhanden.

- Gleichzeitig ist diese Entwicklung wenig tröstlich für die Sache des Kommunismus, da sie eine Situation geschaffen hat, in der die Basis einer neuen Gesellschaft auch ohne Weltkrieg und somit ohne die Notwendigkeit, das Proletariat für den Krieg zu mobilisieren, untergraben werden kann. Im ersten Szenario ist es der Nuklearkrieg, der die Möglichkeit des Kommunismus definitiv aufs Spiel setzt, indem er den Planeten oder zumindest einen großen Teil der globalen Produktivkräfte, einschließlich des Proletariats, zerstört. Das neue Szenario sieht die Möglichkeit eines langsameren, aber nicht weniger tödlichen Rutsches in einen Zustand vor, in dem das Proletariat irreparabel zersplittert ist und die natürlichen sowie wirtschaftlichen Fundamente für die gesellschaftliche Umwandlung durch die Zunahme von lokalen und regionalen militärischen Konflikten, von Umweltkatastrophen und durch den gesellschaftlichen Zusammenbruch gleichermaßen ruiniert werden. Ferner kann das Proletariat zwar auf seinem eigenen Terrain gegen den Krieg kämpfen, doch ist dies mit Blick auf die Auswirkungen des Zerfalls weitaus schwieriger.

Dies wird besonders am ‚ökologischen‘ Aspekt des Zerfalls deutlich: Obgleich die Zerstörung der natürlichen Umwelt für sich schon zu einer wirklichen Bedrohung für das Überleben der Menschheit geworden ist – eine Bedrohung, die teilweise von der Arbeiterbewegung bis in die letzten Jahrzehnte hinein nur flüchtig wahrgenommen worden war -, handelt es sich hierbei um einen Prozess, den das Proletariat kaum ‚blockieren‘ kann, ehe es die politische Macht auf Weltebene übernommen hat. Kämpfe in Bereichen wie die Umweltverschmutzung sind durchaus auf Klassenbasis möglich, doch sie gehören aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu den Hauptfaktoren zur Stimulierung des proletarischen Widerstandes.

Wir sehen also, dass der Zerfall des Kapitalismus die Arbeiterklasse in eine schlechtere Lage versetzt als zuvor. In der vorherigen Situation war eine frontale Niederlage der Arbeiterklasse erforderlich, ein Sieg der Bourgeoisie in einer Konfrontation Klasse gegen Klasse, ehe alle Bedingungen für den Weltkrieg vereint sind. Im Rahmen des Zerfalls kann die ‚Niederlage‘ des Proletariats allmählicher, heimtückischer und weitaus weniger zu widerstehen sein. Und ganz zuoberst haben die Auswirkungen des Zerfalls, wie wir oft festgestellt haben, eine zutiefst negative Auswirkung auf das Bewusstsein des Proletariats, auf seinen Sinn für sich selbst, da sie in all ihren verschiedenen Aspekten – die Bandenmentalität, Rassismus, Kriminalität, Drogenmissbrauch, etc. – dazu dienen, die Klasse zu atomisieren, die Spaltungen in ihren Reihen zu vergrößern und sie im gesellschaftlichen Konkurrenzkampf aufzulösen.

Konfrontiert mit dieser äußerst bedeutenden Veränderung in der Weltlage, erweist sich die Antwort des proletarischen Milieus als völlig unzureichend. Obwohl sie die Auswirkungen des Zerfalls erkennen, sind die Gruppen des Milieus nicht in der Lage, seine Wurzeln – da sie den Begriff des Patts zwischen den Klassen ablehnen – oder seine tatsächliche Gefahr zu sehen. So tut das IBRP die Zerfallstheorie der IKS als nichts Anderes als eine Beschreibung des ”Chaos” ab, was praktisch darauf hinausläuft, nach Möglichkeiten für eine Stabilisierung des Kapitalismus zu suchen. Dies wird zum Beispiel an seiner Auffassung offensichtlich, dass das ”internationale Kapital” nach Frieden in Nordirland trachtet, um friedlich die Früchte der Ausbeutung genießen zu können, doch wird es ebenso deutlich in seiner Ansicht, dass um die Pole der wirtschaftlichen Konkurrenz (USA, Europäische Union, etc.) herum neue Blöcke im Entstehen begriffen sind. Obwohl diese Sichtweise (mit ihrer Weigerung, irgendeine langfristige ”Vorhersage” zu machen) durchaus die Idee eines nahenden Krieges enthalten kann, ist sie häufiger mit einem rührenden Glauben an die Vernunft der Bourgeoisie verknüpft: Da die neuen ”Blöcke” eher ökonomische denn militärische Gebilde sind und da wir nun in eine neue Periode der ”Globalisierung” eingetreten sind, ist die Tür zumindest halb offen für die Vorstellung, dass diese Blöcke, indem sie im Interesse des ”internationalen Kapitals” handeln, eine allseits nützliche Stabilisierung der Welt bis in eine unbestimmte Zukunft hinein erreichen könnten.

Die Ablehnung der Theorie des Zerfalls kann nur in eine Unterschätzung der Gefahren münden, denen die Arbeiterklasse gegenübersteht. Sie unterschätzt das Ausmaß der Barbarei und des Chaos‘, in der sich der Kapitalismus bereits befindet; sie neigt dazu, die Gefahr herunterzuspielen, dass das Proletariat durch die Auflösung des gesellschaftlichen Lebens fortschreitend unterminiert wird; und sie vermag nicht deutlich zu registrieren, dass die Menschheit auch ohne einen dritten Weltkrieg vernichtet werden kann.

Wo stehen wir? 

Der Beginn der Zerfallsperiode hat somit die Art und Weise verändert, in der wir die Frage nach dem historischen Kurs stellen. Aber sie hat sie nicht irrelevant gemacht – im Gegenteil. Tatsächlich ist man geneigt, sich noch schärfer auf die zentrale Frage zu konzentrieren: Ist es schon zu spät? Ist das Proletariat bereits besiegt worden? Gibt es irgendein Hindernis gegen den Abstieg in die totale Barbarei? Wie wir gesagt haben, ist eine Beantwortung dieser Fragen heute weniger leicht als in einer Periode, in der der Weltkrieg noch eine konkrete Option für die Bourgeoisie war. So war Bilan beispielsweise in der Lage, nicht nur auf die blutige Niederlage der proletarischen Erhebungen und den folgenden konterrevolutionären Terror in jenen Ländern, wo die Revolution am weitesten gediehen war, hinzuweisen, sondern auch auf die nachfolgende ideologische Kriegsmobilisierung und auf das ‚positive‘ Echo in der Arbeiterklasse gegenüber dem Säbelrasseln der herrschenden Klasse (Faschismus, Demokratie, etc.). Unter den gegenwärtigen Umständen, wo der kapitalistische Zerfall das Proletariat ohne eine einzige direkte Niederlage und ohne diese Art von ‚positiver‘ Mobilisierung verschlingen kann, sind die Zeichen einer unumkehrbaren Niederlage schwerer zu definieren. Nichtsdestotrotz liegt der Schlüssel zum Verständnis des Problems dort, wo er sich schon 1923 oder, wie wir in den Analysen der GCF sahen, 1945 befand – in den zentralen Konzentrationen des Weltproletariats und vor allem in Westeuropa. Haben diese Sektoren in den 80er Jahren (oder, wie es einige gern haben möchten, in den 70ern) ihr letztes Wort gesprochen, oder bergen sie noch genügend Kampfreserven und ein ausreichendes Potenzial für die Entwicklung des Klassenbewusstseins, um sicherzustellen, dass die wichtigen Klassenkonfrontationen noch auf der Tagesordnung der Geschichte stehen?

Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, eine vorläufige Bilanz des letzten Jahrzehnts zu ziehen – der Periode seit dem Kollaps des Ostblocks und dem endgültigen Beginn der Zerfallsphase.

Das Problem ist, dass die ‚Schnittmuster‘ des Klassenkampfes seit 1989 sich von jenen in der Periode nach 1968 unterscheiden. Während jener Periode gab es klar identifizierbare Wellen des Kampfes, mit ihrem Epizentrum in den kapitalistischen Hauptzentren, auch wenn die Schockwellen über den gesamten Globus gingen. Ferner war es möglich, diese Bewegungen zu analysieren und den Fortschritt kenntlich zu machen, den das Klassenbewusstsein in ihnen machte – zum Beispiel über die Gewerkschaftsfrage oder ihr Fortschritt bezüglich des Massenstreiks.

Ferner war es nicht allein die revolutionäre Minderheit, die diese Reflexionen anstellte. Während der verschiedenen Wellen des Kampfes war es offenkundig, dass Kämpfe in dem einen Land direkt Kämpfe in einem anderen Land anregen konnten (beispielsweise die Verbindung zwischen Mai 68 und Italien 69, zwischen Polen 1980 und den folgenden Bewegungen in Italien, zwischen den großen Bewegungen in Belgien in den 80ern und den Arbeiterreaktionen in den benachbarten Ländern). Gleichzeitig war ersichtlich, dass Arbeiter Lehren aus den vorausgegangenen Bewegungen zogen – zum Beispiel in Großbritannien, wo die Niederlage des Bergarbeiterstreiks ein Nachdenken in der Klasse über die Notwendigkeit auslöste, nicht in die Falle lang hingezogener und isolierter Streiks zu laufen, oder in Frankreich und Italien 1986 und 1987, wo verstärkt versucht wurde, sich außerhalb der Gewerkschaften zu organisieren.

Die Situation seit 1989 zeichnete sich nicht durch offen ersichtliche Fortschritte im Klassenbewusstsein aus. Dies soll nicht heißen, dass die Bewegung in den 90er Jahren völlig nichtssagend war. Im Bericht über den Klassenkampf auf dem 13. Kongress stellten wir die prinzipiellen Phasen heraus, die die Bewegung durchlaufen hat:

- der mächtige Einfluss des Zusammenbruchs des Ostblocks, der durch die pausenlosen Kampagnen der Bourgeoisie über den Tod des Kommunismus multipliziert wurde. Dieses historische Ereignis brachte die dritte Welle von Kämpfen zu einem plötzlichen Ende und leitete einen starken Rückgang sowohl im Bewusstsein als auch in der Klassenmilitanz ein, Auswirkungen, mit denen wir es immer noch tun haben, besonders in der Frage des Bewusstseins;

- die Tendenz zur Wiederbelebung der Militanz nach 1992, mit den Kämpfen in Italien, denen 1993 Kämpfe in Deutschland und Großbritannien folgten;

- die großen Manöver der Bourgeoisie in Frankreich 1995, die das Vorbild für ähnliche Operationen in Belgien und Deutschland waren. Hier fühlte sich die herrschende Klasse stark genug, um landesweite Bewegungen zu provozieren, in der Absicht, das Bild der Gewerkschaften aufzupolieren. In diesem Sinne waren diese Bewegungen ein Produkt sowohl der Unordnung innerhalb der Klasse als auch  der Erkenntnis der Bourgeoisie, dass diese Unordnung nicht ewig dauert und dass glaubwürdige Gewerkschaften ein sehr wichtiges Instrument zur Kontrolle künftiger Ausbrüche des Klassenwiderstands sind.

- die langsame, aber faktische Entwicklung von Unzufriedenheit und Militanz innerhalb der Arbeiterklasse angesichts der sich vertiefenden Krise wurde nach 1998, mit den massiven Streiks in Dänemark und Norwegen sowie einer Reihe von Kämpfen in den USA, Großbritannien und Frankreich so wie in peripheren Ländern wie Korea, China und Simbabwe, mit großem Nachdruck bekräftigt. Dieser Prozess ist ferner in den vergangenen Jahren durch die Demonstrationen der Transportarbeiter in New York, die Kämpfe der Postangestellten in Großbritannien und Frankreich und insbesondere durch den wichtigen Ausbruch von Kämpfen in Belgien im Herbst 2000 veranschaulicht worden, als wir so manch wirkliches Anzeichen nicht nur einer allgemeinen Unzufriedenheit, sondern auch einer Unzufriedenheit mit der gewerkschaftlichen Führung des Kampfes beobachten konnten.

Keine dieser Bewegungen hatte jedoch einen Einfluss bzw. ein Ausmaß erreicht, mit dem sie imstande gewesen wäre, den massiven ideologischen Kampagnen der Bourgeoisie über das Ende des Klassenkampfes wirklich etwas entgegenzusetzen oder den Arbeitern in der ganzen Welt neues Vertrauen in sich selbst und in ihre eigenen Kampfmethoden einzuflößen; keine von ihnen war vergleichbar mit den Ereignissen vom Mai 68 oder mit dem Massenstreik in Polen 1980 oder selbst mit den ständigen Kämpfen in den 80er Jahren. Selbst die wichtigsten Kämpfe ernteten nur ein geringes Echo innerhalb des Rests der Klasse: Das Phänomen, dass die Kämpfe in einem Land auf Bewegungen anderswo ‚antworten‘, scheint nahezu nichtexistent zu sein. Unter diesen Umständen ist es selbst für die Revolutionäre schwierig, ein klares Strickmuster oder definitive Anzeichen von Fortschritt im Klassenkampf der 90er Jahre zu erkennen. Für die Klasse im Allgemeinen trug die zersplitterte und separate Natur der Kämpfe – zumindest oberflächlich - wenig dazu bei, das Selbstvertrauen des Proletariats, sein Bewusstsein über sich selbst als eine besondere gesellschaftliche Kraft, als eine internationale Klasse mit dem Potenzial, die herrschende Ordnung herauszufordern, zu verstärken oder zu erneuern.

Diese Tendenz unter den desorientierten Arbeitern, den Blick für ihre spezifische Klassenidentität zu verlieren und angesichts einer immer schwierigeren Weltlage sich im Großen und Ganzen machtlos zu fühlen, ist das Ergebnis einer Reihe von miteinander verwobenen Faktoren. Zuunterst ist – und dies ist ein Faktor, der von den Revolutionären immer etwas unterschätzt wurde, eben weil er so elementar ist – die grundsätzliche Stellung der Arbeiterklasse als eine ausgebeutete Klasse, die unter dem Gewicht der gesamten Ideologie der herrschenden Klasse leidet. Zuoberst dieses ‚unveränderlichen‘ Faktors im Leben der Arbeiterklasse stehen die Auswirkungen des Dramas des 20. Jahrhunderts – die Niederlage der revolutionären Welle, die lange Nacht der Konterrevolution und das Beinahe-Verschwinden der organisierten proletarischen Bewegung während dieser Periode. Diese Faktoren bleiben wegen ihrer Natur auch in der Zerfallsphase äußerst mächtig; in der Tat, wenn überhaupt, dann verstärkten sie seine negativen Einflüsse, so wie die negativen Einflüsse sie verstärken. Dies wird besonders an den antikommunistischen Kampagnen deutlich: Historisch stammen sie aus den Erfahrungen der stalinistischen Konterrevolution, die als erste die Lüge verbreitete, Stalinismus ist gleich Kommunismus. Doch der Zusammenbruch des Stalinismus – ein Produkt des Zerfalls par excellence – wird nun seinerseits von der Bourgeoisie dazu benutzt, um auch weiterhin die Botschaft an den Mann  zu bringen, dass es keine Alternative zum Kapitalismus gibt und dass es mit der Klasse vorbei ist.

Um jedoch die besonderen Schwierigkeiten zu begreifen, mit denen es das Proletariat in dieser Phase zu tun hat, ist es notwendig, sich auf die spezifischeren Auswirkungen des Zerfalls auf den Klassenkampf zu konzentrieren. Ohne in die Details zu gehen, über die wir in vielen anderen Texten zu diesem Problem bereits geschrieben haben, können wir sagen, dass diese Auswirkungen auf zwei Ebenen stattfinden: An erster Stelle gibt es die wirklichen materiellen Auswirkungen der Zerfallsphase, an zweiter Stelle steht die Art und Weise, wie die herrschende Klasse diese Auswirkungen benutzt, um die Desorientierungen der ausgebeuteten Klasse zu verstärken. Einige Beispiele:

- der Prozess der Desintegration, der durch die massive und andauernde Arbeitslosigkeit besonders unter den jungen Menschen, durch die Auflösung traditioneller militanter Arbeiterkonzentrationen im Herzen der Industrie hervorgerufen wurde, was die Atomisierung und die Konkurrenz unter den Arbeitern intensivierte. Dieser objektive Prozess, der direkt mit der Wirtschaftskrise verknüpft ist, wird schließlich durch die ideologischen Kampagnen über die ‚postindustrielle Gesellschaft‘ und über das Außer-Mode-kommen des Proletariats weiter verstärkt. Dieser Prozess ist von etlichen Elementen aus dem proletarischen Milieu oder dem Sumpf als ‚Neuzusammensetzung‘ des Proletariats bezeichnet worden; tatsächlich rührt solch eine Terminologie, ähnlich wie die Neigung, in der Globalisierung eine neue Stufe in der kapitalistischen Gesellschaft zu betrachten, aus einer ernsthaften Unterschätzung der Gefahren her, denen sich die Klasse gegenübersieht. Die Fragmentierung der Klassenidentität, die wir besonders im letzten Jahrzehnt erlebt haben, ist kein irgendwie gearteter Fortschritt, sondern eine Manifestation des Zerfalls, die immense Gefahren für die Arbeiterklasse in sich birgt.

- die Kriege, die sich in den Peripherien des Systems ausbreiteten und die sich immer mehr den Kernländern des Kapitals nähern, sind offenkundig eine klare Äußerung des Zerfallsprozesses und beherbergen eine direkte Drohung an das Proletariat in jenen Gebieten, die sie verwüsten, sowohl wegen des Gemetzels und der Zerstörung, die sie begleiten, als auch wegen der ideologischen Vergiftung der Arbeiter, die für diese Konflikte mobilisiert werden. Die Lage im Nahen Osten beweist Letzteres in aller Deutlichkeit. Doch die herrschende Klasse in den Hauptzentren des Kapitals schlägt auch aus diesen Konflikten einen Nutzen – nicht nur bei der Weiterverfolgung ihrer imperialistischen Interessen, sondern auch bei der Verstärkung ihrer Angriffe auf das Bewusstsein der zentralem Bataillone des Proletariats, indem sie Gefühle der Machtlosigkeit, der Abhängigkeit von den ‚demokratischen‘ und ‚humanitären‘ Staaten bei der Lösung der globalen Probleme usw. verstärkt.

- ein anderes wichtiges Beispiel ist der Prozess der ‚Kriminalisierung‘, der sich im letzten Jahrzehnt enorm ausgeweitet hat. Dieser Prozess schließt sowohl die höheren Ränge der herrschenden Klasse (die russische Mafia ist nur die Karikatur eines viel weiter verbreiteten Phänomens) als auch die niederen Schichten der Gesellschaft einschließlich einer beträchtlichen Menge proletarischer Jugendlicher mit ein. Dies ist überall der Fall, ob wir auf Länder wie Sierra Leone, wo Bandenrivalitäten Teil des interimperialistischen Konflikts sind, oder auf die Innenstädte in den entwickelten Ländern schauen, wo nur die Straßenbanden den am meisten marginalisierten Gesellschaftsbereichen ‚Gemeinschaft‘ und eine Quelle des Lebensunterhalts anzubieten scheinen. Gleichzeitig hat die herrschende Klasse, während sie diese Banden zur Organisierung der ‚gesetzwidrigen‘ Seite ihres Geschäfts (Waffen-, Drogenhandel, etc.) benutzt, nicht gezögert, die ‚Gangsta‘-Ideologie mit Musik, Film oder Mode zu verbinden und sie als eine Art falsche Rebellion zu kultivieren, die jeglichen Zugehörigkeitssinn zur Klasse auslöscht, indem die Identität der Bande, ob sie durch lokale, rassische, religiöse oder andere Kategorien bestimmt ist, überhöht wird.

Es könnten noch weitere Beispiele genannt werden; doch letztendlich geht es darum, die beträchtliche Reichweite und Wirkung jener Kräfte hervorzuheben, die in jüngster Zeit als Gegengewicht zur proletarischen Selbstkonstituierung als Klasse fungieren. Nichtsdestotrotz müssen Revolutionäre gegen all die Drangsalierungen, gegen alle Kräfte, die behaupten, das Proletariat sei tot und begraben, weiter darauf bestehen, dass die Arbeiterklasse nicht verschwunden ist, dass der Kapitalismus nicht ohne Proletariat existieren kann und dass das Proletariat nicht ohne den Kampf gegen das Kapital existieren kann. Dies ist elementar für jeden Kommunisten. Doch die Besonderheit der IKS besteht darin, dass sie bereit ist, sich der Analyse des historischen Kurses und des allgemeinen Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen anzuvertrauen. Und an dieser Stelle muss festgestellt werden, dass das Weltproletariat zu Beginn des 21. Jahrhunderts trotz all der Widrigkeiten, denen es gegenübersteht, noch nicht sein letztes Wort gesprochen hat, noch immer die einzige Barriere gegen die vollständige Entwicklung der kapitalistischen Barbarei darstellt und noch immer das Potenzial in sich trägt, massive Klassenkonfrontationen gegen das Innerste des Systems auszulösen.

Dies ist kein abstrakter Glauben und auch keine ewige Wahrheit. Wir werden auch nicht davor zurückschrecken, in Zukunft unsere Analyse gegebenenfalls zu revidieren und anzuerkennen, dass eine fundamentale Verschiebung in diesem Kräfteverhältnis zum Schaden des Proletariats stattgefunden hat. Unsere Argumente basieren auf einer ständigen Beobachtung der Prozesse innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, die uns bisher zur Schlussfolgerung geleitet haben:

- dass trotz der Schläge gegen ihr Bewusstsein im letzten Jahrzehnt die Arbeiterklasse immer noch gewaltige Kampfreserven besitzt, die in einer beträchtlichen Zahl von Bewegungen in dieser Periode sichtbar geworden sind. Dies ist von enormer Bedeutung, denn obgleich man nicht Kampfgeist mit Bewusstsein verwechseln darf, ist die Entwicklung von offenem Widerstand gegen die Angriffe des Kapitals unter den heutigen Bedingungen wichtiger denn je für das Proletariat bei der Wiederentdeckung seiner Identität als Klasse, die eine Vorbedingung für eine allgemeinere Entwicklung des Klassenbewusstseins ist.

- dass sich der Prozess der unterirdischen Reifung fortgesetzt hat und unter anderem durch die Entstehung von ”suchenden Elementen” überall auf der Welt, von einer wachsenden Minderheit demonstriert wird, die ernsthafte Fragen über das herrschende System stellt und nach einer revolutionären Alternative sucht. Diese Elemente bestehen aus einer Mehrheit, die zum Sumpf, zu den mannigfaltigen Ausdrücken des Anarchismus und so weiter strebt. Die gegenwärtige Zunahme von ”antikapitalistischen” Protesten drückt auch – auch wenn von der herrschenden Klasse zweifellos manipuliert und ausgenutzt – eine massive Ausweitung des Sumpfes aus, jener hin und her schwankenden Übergangszone zwischen der Politik der Bourgeoisie und der Politik der Arbeiterklasse. Doch noch viel bedeutsamer in den letzten Jahren ist die beträchtliche Steigerung der Zahl jener Elemente, die direkt den Kontakt zu den existierenden revolutionären Gruppen, besonders zur IKS und dem IBRP, suchen. Dieser Zustrom von Elementen, die weiter gehen als der zweifelnde Sumpf und nach einem wirklichen kommunistischen Zusammenhang suchen, ist die ‚Spitze des Eisberges‘, Zeichen eines tieferen und weiterreichenden Prozesses innerhalb des Proletariats als Ganzes. Ihr Auftreten auf der Bühne wird erhebliche Auswirkungen auf das existierende proletarische Milieu haben, indem sie seine Physiognomie verändern und es dazu zwingen, mit althergebrachten sektiererischen Verhaltensweisen zu brechen.

- Die fortgesetzte Existenz einer proletarischen Bedrohung kann auch in einem gewissen Umfang an ”negativen” Parametern gemessen werden – durch die Untersuchung der Politik und Kampagnen der Bourgeoisie. Wir können dies auf etlichen miteinander verbundenen Ebenen sehen – ideologisch, ökonomisch und militärisch. Auf der ideologischen Ebene ist die Kampagne um den ”Antikapitalismus” solch ein Fall. Zu Beginn des letzten Jahrzehnts zielten die Kampagnen der Bourgeoisie darauf ab, das Durcheinander in der Klasse, die gerade erst durch den Zusammenbruch des Ostblocks einen Schlag erlitten hatte, zu vergrößern; und ihre Themen konnten damals noch offen bürgerlich sein: Die Dutroux-Affäre zum Beispiel bewegte sich völlig im Rahmen der Demokratie. Das Betonen des ”Antikapitalismus” heute ist dagegen ein Zeichen für die Erschöpfung der Mystifikation des ”Triumphs des Kapitalismus”, für die Notwendigkeit des Kapitalismus, dem Potenzial für eine wirkliche Infragestellung des Kapitalismus durch die Arbeiterklasse beizukommen und es zu entstellen. Die Tatsache, dass die antikapitalistischen Proteste die Arbeiter nur marginal als solche mobilisiert haben, vermindert nicht ihren allgemeinen ideologischen Einfluss. Dasselbe kann von der Taktik der Linken in der Regierung gesagt werden. Obwohl ein Großteil der Ideologie der linken Regierungen direkt von den Kampagnen über das Scheitern des Sozialismus und die Notwendigkeit für einen zweiten oder dritten Weg in die Zukunft übernommen wurde, sind diese Regierungen größtenteils nicht einfach zur Aufrechterhaltung der herrschenden Desorientierungen in der Klasse, sondern als Vorbeugemaßnahme installiert worden, um die Arbeiterklasse daran zu hindern, ihren Kopf zu heben, ihre Unzufriedenheit, die sich in ihren Reihen im letzten Jahrzehnt breitgemacht hat, freien Lauf zu lassen.

Auf der wirtschaftlichen Ebene, so haben wir stets argumentiert, wird die Bourgeoisie der Hauptzentren damit fortfahren, jedes zu ihrer Verfügung stehende Mittel zu nutzen, um ihre Ökonomie vor dem Kollaps und davor zu bewahren, dass sie auf ihr wahres Maß zurechtgestutzt wird. Die Logik dahinter ist sowohl ökonomisch als auch sozial. Sie ist ökonomischer Natur in dem Sinn, dass die Bourgeoisie koste es was es wolle ihre Wirtschaft auswringen muss, um ihre eigenen Illusionen über die Aussicht auf Expansion und Wohlstand aufrechtzuerhalten. Doch diese Logik ist auch gesellschaftlicher Natur in dem Sinn, dass die herrschende Klasse immer noch in Angst davor lebt, dass dramatische Abstürze der Wirtschaft massive Reaktionen im Proletariat hervorrufen, die einen viel klareren Blick auf den wahren Bankrott der kapitalistischen Produktionsweise erlauben würden.

Was möglicherweise noch wichtiger ist – in allen großen militärischen Konflikten dieses Jahrzehnts, in denen die zentralen imperialistischen Mächte verwickelt waren (Golfkrieg, Balkan, Afrika) waren wir Zeuge einer extremen Vorsicht der herrschenden Klasse, ihres Widerstrebens, andere Soldaten außer den Berufssoldaten in diesen Operationen einzusetzen, und gar ihres Zauderns davor, das Leben dieser Soldaten aus Angst vor der Provozierung einer Reaktion ‚in der Heimat‘ zu riskieren.

Es ist sicherlich bedeutsam, dass mit der Bombardierung Serbiens durch die NATO der imperialistische Krieg einen weiteren Schritt zu den Kernländern des Systems gemacht hat. Doch Serbien ist nicht Westeuropa. Wir erblicken keinerlei Anzeichen dafür, dass die Arbeiterklasse der Hauptindustrieländer bereit ist, sich hinter ihren Nationalfahnen zu sammeln und direkt für die imperialistischen Hauptkonflikte (und selbst innerhalb solcher Länder wie Serbien sind die Grenzen der Opferbereitschaft in Sicht, auch wenn die massive Unzufriedenheit durch den demokratischen Karneval kanalisiert wurde) anzumustern. Der Kapitalismus ist immer noch dazu gezwungen, seine imperialistischen Spaltungen hinter der Fassade von Bündnissen für humanitäre Interventionen zu maskieren. Dies spiegelt teilweise die Unfähigkeit der zweitrangigen Mächte wider, die US-Vorherrschaft offen herauszufordern, aber es drückt auch die Tatsache aus, dass das System keine ernsthafte ideologische Grundlage für die Zementierung neuer imperialistischer Blöcke besitzt – eine Tatsache, die von den proletarischen Gruppen völlig missachtet wird, die solche Blöcke im Wesentlichen auf ökonomische Funktionen reduzieren. Imperialistische Blöcke sind in ihrer Funktion eher militärisch denn ökonomisch ausgerichtet, doch um auf militärischer Ebene zu operieren, müssen sie auch ideologisch begründet sein. Zurzeit ist es unmöglich abzusehen, welche ideologischen Themen benutzt werden könnten, um einen Krieg zwischen den imperialistischen Hauptmächten heute zu rechtfertigen – alle treten für dieselbe demokratische Ideologie ein, und keiner von ihnen ist in der Lage, mit dem Finger auf ein böses Reich zu zeigen, dass eine große Bedrohung für den eigenen Way of Life abgeben könnte: Der Antiamerikanismus, der in einem Land wie Frankreich gepflegt wird, ist ein müder Abklatsch früherer Ideologien wie der Antifaschismus oder der Antikommunismus. Wir haben geäußert, dass der Kapitalismus der Arbeiterklasse in den entwickelten Ländern immer noch eine schwere und offene Niederlage zufügen muss, eher er die ideologischen Bedingungen für ihre offene Mobilisierung für den Weltkrieg schaffen kann. Doch es gibt starke Beweggründe für die Auffassung, dass dies auch auf die begrenzteren Konflikte zwischen den in der Entstehung begriffenen Blöcken zutrifft, die den Boden für einen allgemeineren Konflikt bereiten. Dies ist ein wirkliches Statement des ‚negativen‘ Gewichts, das das unbesiegte Proletariat auf die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft ausübt.

Wir haben natürlich erkannt, dass im Rahmen des Zerfalls die Arbeiterklasse ohne eine frontale Niederlage und ohne einen großen Krieg zwischen den Zentralmächten überwältigt werden könnte. Es könnte dem Fortschreiten der Barbarei in den zentralen Ländern, einem Prozess des sozialen, ökonomischen und ökologischen Zusammenbruchs unterliegen, vergleichbar, obwohl noch viel alptraumhafter, mit dem, was in Ländern wie Ruanda und dem Kongo bereits eingetroffen ist. Doch auch wenn er viel heimtückischer ist, solch ein Prozess kann kaum unsichtbar bleiben, und wir sind noch ein Stück weit entfernt von ihm – eine weitere Tatsache, die sich ‚negativ‘ in der jüngsten Kampagne über die ‚Asylanten‘ äußerte, welche sich zu einem großen Teil auf die Erkenntnis stützt, dass Westeuropa und Nordamerika Oasen des Wohlstands und der Stabilität sind im Verhältnis zu jenen Teilen Osteuropas und der ‚Dritten Welt‘, die viel direkter von den Schrecken des Zerfalls erfasst sind.

Es kann daher ohne Zögern festgestellt werden, dass der unbesiegte Charakter des Proletariats in den fortgeschrittenen Ländern eine Barriere gegen die vollständige Entfesselung der Barbarei in den Zentren des Weltkapitals bleibt.

Nicht nur, dass die Entwicklung der Weltwirtschaftskrise die Illusionen darüber zerbröckeln lässt, dass wir vor einer glänzenden neuen Zukunft stehen – eine Zukunft, die auf einer ‚neuen Wirtschaft‘ gegründet sei, wo jeder ein Aktionär ist. Hinzu kommt, dass diese Illusion weiter dahinschwindet, sobald die Bourgeoisie gezwungen wird, ihre Angriffe gegen die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zu zentralisieren und zu vertiefen, um sie dem wahren Zustand ihrer Wirtschaft ‚anzupassen‘. Obwohl wir noch weit entfernt sind von einem offenen politischen Kampf gegen den Kapitalismus, sind wir wohl kaum ebenso weit entfernt von einer Reihe erbitterter und selbst weltweiter Verteidigungskämpfe, da die siedende Unzufriedenheit innerhalb des Proletariats die Form einer offenen Kampfbereitschaft annimmt. Und es sind diese Kämpfe, in denen die Saat für eine künftige Politisierung gesät wird. Es erübrigt sich fast zu sagen, dass die Intervention der Revolutionäre ein Schlüsselelement in diesem Prozess sein wird.

Somit können die Revolutionäre trotz ihres klaren Blicks für die fürchterlichen Schwierigkeiten und Gefahren für unsere Klasse fortfahren, mit Fug und Recht festzustellen, dass der historische Kurs sich nicht gegen uns gewendet hat. Die Aussicht auf massive Klassenkonfrontationen besteht weiterhin und wird unsere gegenwärtigen und künftigen Aktivitäten bestimmen.

 

Dezember 2000

 

1 – Mitchell starb 1945 in Folge seiner Inhaftierung im Konzentrationslager Buchenwald während des Krieges.

2  - Diese Tendenz verließ die IKS, um die Gruppe Communiste Internationliste, die eine Form des Anarcho-Bordigismus predigte und selbst in einer Reihe von kleineren Mini-Gruppen zerbrach.

3   - ein ehemaliger Militantrer der IKS;

4  - Internationale Büro für die Revolutionäre Partei, gegründet von Battaglia Comunista  und der CWO:

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • Mai 1968 in Frankreich [1]

Theoretische Fragen: 

  • Historischer Kurs [2]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Das Klassenbewusstsein [3]

Außerordentliche Konferenz der IKS: Der Kampf für die Verteidigung der organisatorischen Prinzipien

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Der Kampf um die Verteidigung organisatorischer Prinzipien

Zu Beginn dieses Jahres beschloss die IKS, den 15. Kongress ihrer Sektion in Frankreich in eine Außerordentliche Internationale Konferenz umzuwandeln. Motiviert wurde der Beschluss durch den offenen Ausbruch einer Krise in der Organisation, die unmittelbar nach unserem 14. Internationalen Kongress im April 2001 folgte. Diese Krise hatte zu einer Abkehr mehrerer Militanter von unserer Organisation geführt, die sich gegenwärtig als, wie sie es nennen, „Interne Fraktion der IKS“ gesammelt haben. Wie wir sehen werden, stellte die Konferenz fest, dass diese Militanten sich selbst vorsätzlich außerhalb der Organisation gestellt haben, auch wenn sie heute jedem gegenüber, der ihnen zuzuhören bereit ist, behaupten, dass sie „ausgeschlossen“ worden seien.

Obwohl die Konferenz sich größtenteils auf organisatorische Fragen konzentrierte, wurde auch die Analyse der internationalen Situation diskutiert und eine Resolution verabschiedet, die in dieser Ausgabe der Internationalen Revue veröffentlicht ist.

Zweck dieses Artikels ist es, Rechenschaft abzulegen über die wichtigste Arbeit der Konferenz, über das Wesen ihrer Diskussionen und Beschlüsse zu organisatorischen Fragen, da dies ihr Hauptzweck war. Er soll ebenso unsere Analyse der selbsternannten „Internen Fraktion der IKS“ darlegen, die sich heute als wahre Vertretung der organisatorischen Errungenschaften der IKS präsentiert, doch in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine neue parasitäre Gruppierung wie diejenigen, mit denen die IKS und andere Organisationen aus dem politischen Milieu des Proletariats bereits in der Vergangenheit konfrontiert waren. Bevor wir uns jedoch mit diesen Fragen beschäftigen, ist es notwendig, eine andere zu berücksichtigen, die  Gegenstand vieler Missverständnisse im heutigen proletarischen politischen Milieu gewesen war: die Bedeutung der Fragen der Funktionsweise von kommunistischen Organisationen.

Wir sagen dies, weil wir oft die Bemerkung gehört und gelesen haben, dass „die IKS besessen ist von Organisationsfragen“ oder dass „ihre Artikel über diese Frage von keinerlei Interesse und lediglich interne Angelegenheit der IKS sind“. Solcherlei Beurteilung ist bei jenen Nicht-Militanten, die mit den Positionen des Linkskommunismus sympathisieren, durchaus nachvollziehbar. Wenn man nicht Mitglied einer politischen Organisation des Proletariats ist, ist es natürlich schwierig, die Probleme voll zu erfassen, auf die eine Organisation bei ihrem Funktionieren stoßen kann. So weit, so gut. Dagegen ist es erstaunlich, auf solcherlei Kommentierung bei Mitgliedern von organisierten politischen Gruppierungen zu treffen. Dies ist einer der Ausdrücke der Schwäche des proletarischen politischen Milieus, die aus dem organischen und politischen Bruch zwischen den heutigen Organisationen und jenen der vergangenen Arbeiterbewegung infolge der Konterrevolution resultierte, welche die Klasse vom Ende der 1920er Jahre bis zum Ende der 1960er Jahre in Schach gehalten hatte.

Aus diesem Grund beginnen wir, bevor wir uns mit den die Konferenz betreffenden Fragen befassen, mit einer kurzen Erinnerung an einige organisatorische Lehren der vergangenen Arbeiterbewegung, und zwar auf der Grundlage zweier der bekanntesten: der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) bzw. der I. Internationale (in der Marx und Engels Mitglieder waren) und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR), aus der die bolschewistische Partei hervorging, die die Führung der einzigen proletarischen Revolution inne hatte, ehe sie infolge ihrer internationalen Isolation degenerierte. Wir werden besonders auf die beiden Kongresse dieser Organisationen schauen, auf denen Organisationsfragen im Mittelpunkt standen: den Haager Kongress der IAA von 1872 und den Kongress der

SDAPR von 1903, bei dem es zur Entstehung der bolschewistischen und menschewistischen Fraktionen gekommen ist, welche in der Revolution 1917 eine direkt entgegengesetzte Rolle spielen sollten.

Die IAA wurde im September 1864 in London auf Initiative einer Reihe von französischen und englischen Arbeiter gegründet. Sie nahm von Anfang an eine zentralisierte Struktur an, mit einem Zentralrat, der nach dem Genfer Kongress 1866 als Generalrat bekannt wurde. Marx sollte eine führende Rolle innerhalb des Rats spielen, da es an ihm lag, eine große Zahl seiner elementarsten Texte zu verfassen, wie die Inauguraladresse der IAA, ihre Statuten, und die Adresse über die Pariser Kommune. Die IAA (oder die „Internationale“, wie die Arbeiter sie nannten) wurde schnell zu einer „Macht“ in den fortgeschrittenen Ländern (vor allem in Westeuropa). Bis zur Pariser Kommune von 1871 sammelte sie eine wachsende Zahl von Arbeitern um sich und war der ausschlaggebende Faktor bei der Entwicklung der beiden wesentlichen Waffen des Proletariats: ihrer Organisation und ihres Bewusstseins. Daher wurde die Internationale zur Zielscheibe wachsender brutaler Angriffe der Bourgeoisie: Presseverleumdung, Infiltration durch Informanten, Verfolgung ihrer Mitglieder, etc. Doch die größte Gefahr drohte der IAA von den Angriffen einiger ihrer Mitglieder gegen die eigentliche Organisationsweise der Internationalen.

 Bereits zum Zeitpunkt der Gründung der IAA wurden die provisorischen Regeln von den Pariser Sektionen, die stark von Proudhons föderalistischen Auffassungen beeinflusst waren, auf eine Weise übersetzt, die den zentralisierten Charakter der Internationalen erheblich schwächte. Doch die gefährlichsten Angriffe sollten später erfolgen, mit dem Eintritt der von Bakunin gegründeten Allianz der sozialistischen Demokratie in ihre Reihen. Ersterer sollte fruchtbaren Boden innerhalb wichtiger Sektionen der Internationalen finden; eine Folge ihrer eigenen Schwächen, die umgekehrt das Resultat der Schwächen des Proletariats zu jener Zeit waren, ein Merkmal seines frühen Entwicklungsstadiums.

Diese Schwächen äußerten sich besonders in den rückständigsten Bereichen des europäischen Proletariats, wo es sich gerade von den Klassen der Bauern und Handwerker gelöst hatte. Bakunin, der der Internationalen 1868 nach dem Zusammenbruch der Liga für Frieden und Freiheit beitrat, nutzte diese Schwächen aus, um zu versuchen, die Internationale seinen anarchistischen Auffassungen zu unterwerfen und sie unter seine Kontrolle zu bringen. Das Werkzeug für diese Operation sollte die Allianz der sozialistischen Demokratie sein, die er als eine Minderheit in der Liga für Frieden und Freiheit gegründet hatte.

Letztere war eine Organisation bürgerlicher Republikaner, gegründet auf Initiative von Garibaldi und Victor Hugo, deren Hauptziel es war, mit der IAA um die Unterstützung durch die Arbeiterklasse zu buhlen. Bakunin war ein Führungsmitglied der Liga für Frieden und Freiheit, der er, wie  er behauptete, den „revolutionären Impetus“ verliehen und dazu gedrängt habe, eine Fusion mit der IAA vorzuschlagen, die von der IAA auf ihrem Brüsseler Kongress 1868 verweigert wurde. Nach dem Scheitern der Liga für Frieden und Freiheit beschloss Bakunin, der IAA beizutreten, nicht als bloßer Militanter, sondern als Teil der Führung.

“Um sich als Haupt der Internationalen zur Geltung zu bringen, musste er als Haupt einer anderen Armee dastehen, deren absolute Ergebenheit gegen seine Person ihm durch eine geheime Organisation gesichert war. Hatte er seine Gesellschaft einmal offen in die Internationale eingepflanzt, dann rechnete er darauf, jene in alle Sektionen zu verzweigen und sich hierdurch deren absolute Leitung zu verschaffen. Zu diesem Zwecke gründete er in Genf die (öffentliche) Allianz der sozialistischen Demokratie. (...) Aber diese öffentliche Allianz barg in sich eine andere, die ihrerseits durch die noch geheimere Allianz der internationalen Brüder, der Hundert-Garden des Diktators Bakunin, geleitet wurde.“[i] (Ein Bericht über die Allianz, den Marx, Engels, Lafargue und andere Militante im Auftrag des Haager Kongresses der IAA verfassten.)

Die Allianz war also eine öffentliche und eine geheime Gesellschaft, die tatsächlich dazu neigte, eine Internationale innerhalb der Internationalen zu bilden. Ihre geheime Struktur und die geheimen Absprachen, die so ihren Mitgliedern ermöglicht wurden, bezweckten, ihren „Einfluss“ über so viel Sektionen der IAA wie möglich zu sichern, besonders jener, in denen anarchistische Auffassungen auf ein großes Echo stießen. Für sich genommen, stellte die Existenz von mehreren verschiedenen Gedankenrichtungen innerhalb der IAA kein Problem dar. Die Aktivitäten der Allianz, die auf die Ersetzung der offiziellen Strukturen der IAA abzielten, waren dagegen ein ernsthafter Faktor der Desorganisation und bedrohten die eigentliche Existenz Letzterer. Die Allianz versuchte zuerst auf dem Basler Kongress im September 1869, die Kontrolle über die Internationale zu übernehmen, indem sie versuchte, einen Antrag zugunsten der Abschaffung des Erbrechts gegen den vom Generalrat vorgeschlagenen Antrag durchzusetzen. Dieses Ziel vor Augen, unterstützten ihre Mitglieder, insbesondere Bakunin und James Guillaume, wärmstens eine administrative Resolution, die die Macht des Generalrats stärken sollte. Nachdem sie mit ihrem eigenen Anliegen gescheitert war, begann die Allianz (die selbst Geheimstatuten verabschiedet hatte, die auf einer extremen Zentralisierung beruhten) jedoch eine Kampagne gegen die „Diktatur“ des Generalrats, um damit zu erreichen, ihn auf die Rolle eines „Statistik- und Verbindungsbüros“, um den Begriff der Allianz zu benutzen, oder eines bloßen „Briefkastens“, wie Marx ihr entgegnete, zu reduzieren. Entgegen dem Prinzip der Zentralisierung als einem Ausdruck der internationalen Einheit des Proletariats predigte die Allianz den „Föderalismus“, die vollständige „Autonomie der Sektionen“ und die Unverbindlichkeit von Kongressbeschlüssen. In der Tat wollte die Allianz in den Sektionen, die unter ihre Kontrolle geraten waren, tun, was sie wollte. Der Weg zur vollständigen Desorganisation der IAA wäre offen gewesen.

Dies war die Gefahr, der sich der Haager Kongress von 1872 gegenübersah. Dieser Kongress war im Wesentlichen den Organisationsfragen gewidmet. Wie wir in der Internationalen Revue Nr. 19 geschrieben haben, „wurde es nach dem Fall der Pariser Kommune zur absoluten Priorität für die Arbeiterbewegung, den Ballast ihrer eigenen sektiererischen Vergangenheit abzuschütteln, den Einfluss des kleinbürgerlichen Sozialismus zu überwinden. Dieser politische Rahmen erklärte die Tatsache, dass die zentrale Frage, die auf dem Haager Kongress behandelt wurde, nicht die Pariser Kommune selbst war, sondern die Verteidigung der Statuten der Internationalen gegen die Komplotte Bakunins und seiner Anhänger.“ (Der Haager Kongress von 1872: Der Kampf gegen den politischen Parasitismus, MEW 18)

Nach der Bestätigung der Beschlüsse der Londoner Konferenz, die ein Jahr zuvor abgehalten worden war, insbesondere derjenigen, die die Notwendigkeit für die Arbeiterklasse betreffen, ihre eigene politische Partei zu schaffen, und jener über die Stärkung der Autorität des Generalrats, debattierte der Kongress auf der Grundlage eines Berichts einer Untersuchungskommission die Frage der Allianz und beschloss letztendlich den Ausschluss von Bakunin und James Guillaume, der Führer der Jura-Föderation der IAA, die völlig unter der Kontrolle der Allianz  stand. Es lohnt sich, gewisse Aspekte im Verhalten von Mitgliedern der Allianz am Vorabend des Kongresses zu beleuchten:

–             Mehrere von der Allianz kontrollierte Sektionen (insbesondere die Jura-Föderation sowie bestimmte Sektionen in Spanien und in den Vereinigten Staaten) weigerten sich, ihren Beitrag an den Generalrat zu zahlen, und ihre Delegierten beglichen ihre Schulden (der ausstehenden Beiträge) erst, als sie die Gültigkeit ihres Mandats gefährdet sahen.

–             Die Delegierten der von der Allianz kontrollierten Sektionen erpressten den Kongress regelrecht, forderten, dass er seine eigenen Regeln verletze, indem er allein die auf einem imperativen Mandat beruhenden Stimmen berücksichtige, und drohten mit ihrem Rückzug, falls der Kongress nicht ihren Forderungen entspreche.[ii]

–             Bestimmte Mitglieder der Allianz weigerten sich, mit der vom Kongress ernannten Untersuchungskommission zu kooperieren oder sie überhaupt anzuerkennen, indem sie diese der „Heiligen Inquisition“ beschuldigten.[iii]

Dieser Kongress war ein Höhepunkt im Leben der IAA (es war der einzige Kongress, an dem Marx und Engels teilnahmen, was erahnen lässt, wie wichtig sie ihn nahmen), aber auch ihr Schwanengesang auf die vernichtende Niederlage der Pariser Kommune und die Demoralisierung, die diese innerhalb des Proletariats ausgelöst hatte. Marx und Engels waren sich dieser Realität bewusst. Daher schlugen sie neben den Maßnahmen, um die IAA vor den Händen der Allianz fernzuhalten, auch vor, dass der Generalrat nach New York umzieht, weit entfernt von den Konflikten, die die Internationale spalteten. Es war zugleich ein Mittel, um der Internationalen zu erlauben, einen natürlichen Tod zu sterben (der auf der Konferenz von Philadelphia 1876 bestätigt wurde), ohne dass ihr Prestige von den bakunistischen Intriganten gefleddert wurde.

Sie und die Anarchisten haben (wenn sie nicht gerade den Konflikt zwischen Marx und Bakunin als persönliche Frage erklärten) die Legende fortleben lassen, dass Marx und der Generalrat Bakunin und Guillaume wegen ihrer unterschiedlichen Vision in der Frage des Staates ausgeschlossen hätten. Kurz, Marx wurde unterstellt, Meinungsverschiedenheiten über allgemeine, theoretische Fragen mit administrativen Mitteln regeln zu wollen. Nichts liegt der Wahrheit ferner.

Der Haager Kongress ergriff keine Maßnahmen gegen die Mitglieder der spanischen Delegation, die Bakunins Ideen teilten und der Allianz angehörten, aber erklärten, dass dies nicht mehr der Fall sei. Auch bestand die „Antiautoritäre IAA“, die nach dem Haager Kongress von den Föderationen gegründet wurde, welche sich weigerten, seine Beschlüsse zu akzeptieren, nicht allein aus Anarchisten, da sie auch die deutschen Lassalleaner umfasste, die eifrige Vertreter des „Staatssozialismus“ waren, um in den Worten von Marx zu sprechen. In der Tat fand der wahre Kampf innerhalb der IAA zwischen denjenigen, die für die Einheit der Arbeiterbewegung (und damit für den bindenden Charakter der Kongressbeschlüsse) standen, und denjenigen statt, die das Recht forderten zu tun, was immer sie wollten, jeder isoliert von den anderen, mit einem Kongress als Versammlung, auf der jeder seine „Ansichten“ mit den Anderen austauschen kann, ohne einen Beschluss zu fassen. Mit dieser informellen Organisationsart wäre es der Allianz leicht gefallen, insgeheim eine wirkliche Zentralisierung der Föderationen durchzuführen, wie Bakunins Korrespondenz ausdrücklich feststellt. Diese „antiautoritären“ Auffassungen in der Internationalen wirken zu lassen wäre der beste Weg gewesen, sie den Intrigen, der versteckten und unkontrollierten Macht der Allianz, mit anderen Worten: den Abenteurern, die sie anführten, auszuliefern.

Der 2. Kongress der SDAPR war Anlass einer ähnlichen Konfrontation zwischen den Vertretern einer proletarischen Auffassung der revolutionären Organisation und jenen einer kleinbürgerlichen Auffassung.

Es gibt Ähnlichkeiten zwischen der Situation der westeuropäischen Arbeiterbewegung zur Zeit der IAA und der Bewegung in Russland zur Jahrhundertwende. In beiden Fällen befand sich die Arbeiterbewegung immer noch im jugendlichen Stadium, wobei der Zeitunterschied zwischen beiden der verspäteten industriellen Entwicklung Russlands entsprach. Die Absicht der IAA war es, die verschiedenen Arbeitervereinigungen, die die Entwicklung des Proletariats geschaffen hatte, in einer vereinten Organisation zu sammeln. Ähnlich war es das Ziel des 2. Kongresses der SDAPR, die verschiedenen Komitees, Gruppen und Zirkel der Sozialdemokratie, welche sich in Russland und im Exil entwickelt hatten, zu vereinen. Nach dem Verschwinden des Zentralkomitees, das auf dem 1. Kongress der SDAPR 1897 gebildet worden war, gab es fast keine formellen Verbindungen mehr zwischen diesen verschiedenen Formationen. Der 2. Kongress sah sich somit wie die IAA einer Konfrontation zwischen der Auffassung einer die Vergangenheit der Bewegung repräsentierenden Organisation, jener der „Menschewiki“ („Minderheit“), und einer Auffassung gegenüber, die die Erfordernisse der neuen Situation ausdrückte, jene der „Bolschewiki“ („Mehrheit“).

Die menschewistische Vorgehensweise war, wie später deutlich wurde (sehr schnell in der Revolution von 1905 und natürlich noch mehr während der Revolution von 1917, als die Menschewiki auf der Seite der Bourgeoisie standen), von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologien durchdrungen, insbesondere von der anarchistischen Vielfalt innerhalb der russischen Sozialdemokratie. Insbesondere bestand, wie Lenin bemerkte, „die Opposition [d.h. die Menschewiki] in ihrer Mehrheit aus den intellektuellen Elementen der Partei“, die somit zu Trägern kleinbürgerlicher Auffassungen in der Organisationsfrage wurden. Diese Elemente erhoben infolgedessen „das Banner der Rebellion gegen die unabdingbaren Einschränkungen durch die Organisation, und sie errichteten ihren spontanen Anarchismus zum Kampfprinzip, indem sie mehr ‚Toleranz‘ forderten, etc.“ (Lenin, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, LW Bd. 7, S. 197ff) Und in der Tat gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen dem Verhalten der Menschewiki und jenem der Anarchisten in der IAA (Lenin sprach bei mehreren Gelegenheiten vom menschewistischen „Edelanarchismus“).

Wie die Anarchisten nach dem Haager Kongress, so weigerten sich die Menschewiki, die Beschlüsse des 2. Kongresses der SDAPR anzuerkennen und anzuwenden, indem sie erklärten, dass „der Kongress nicht göttlich ist“ und dass „seine Beschlüsse nicht heilig sind“. Insbesondere war – genauso wie bei den Anarchisten, die zum Krieg gegen das Prinzip der Zentralisierung und gegen die „Diktatur des Generalrats“ übergingen, als sie daran gescheitert waren, die Kontrolle über ihn zu erlangen - ein Grund, warum die Menschewiki begannen, nach dem Kongress die Zentralisierung abzulehnen, die Tatsache, dass einige von ihnen aus den vom Kongress gewählten Zentralorganen herausgewählt wurden. Es gibt sogar Ähnlichkeiten in der Art und Weise, wie die Menschewiki ihre Kampagne gegen Lenins „persönliche Diktatur“ und „eiserne Faust“ führten; sie war ein Widerhall auf Bakunins Beschuldigungen gegen die „Diktatur“ Marx‘ über den Generalrat.

„Betrachte ich das Verhalten der Martow-

leute nach dem Parteitag, (...) so kann ich nur sagen, dass das ein irrsinniger, eines Parteimitglieds unwürdiger Versuch ist, die Partei zu sprengen ... und weshalb? Nur weil man unzufrieden ist mit der Zusammensetzung der Zentralstellen, denn objektiv war das die einzige Frage, in der wir uns trennten, die subjektiven Urteile aber (wie Kränkung, Beleidigung, Hinauswurf, Beseitigung, Verunglimpfung etc. etc.) sind die Frucht gekränkter Eigenliebe und krankhafter Phantasie. Diese krankhafte Phantasie und diese gekränkte Eigenliebe führen geradewegs zu schändlichen Klatschereien, nämlich dazu, dass man, ohne die Tätigkeit der neuen Zentralstellen kennengelernt und ohne sie gesehen zu haben, Gerüchte verbreitet über ihre ‚Arbeitsunfähigkeit‘, über die ‚eiserne Hand‘ eines Iwan Iwanowitsch, die ‚Faust‘ eines Iwan Nikiforowitsch usw. (...) Die russische Sozialdemokratie muss den letzten schwierigen Übergang vollziehen vom Zirkelwesen zum Parteiprinzip, vom Spießertum zur Erkenntnis der revolutionären Pflicht, vom Handeln auf Grund von Klatschereien und Zirkeleinflüssen zur Disziplin.“ (Lenin, Schilderung des II. Parteitags der SDAPR, LW Bd. 7, S. 20)

Es ist bemerkenswert, dass die Waffe der Erpressung, die damals von Guillaume und der Allianz benutzt worden war, auch Teil des menschewistischen Arsenals war. Martow, einer der Führer der Menschewiki, weigerte sich, am Redaktionskomitee der Parteipublikation Iskra teilzunehmen, in das er durch den Kongress gewählt worden war, weil seine Freunde Axelrod, Potressow und Sassulitsch nicht ernannt worden waren.

Aus den Beispielen der IAA und des 2. Kongresses der SDAPR können wir die Bedeutung der Fragen ersehen, die mit der Organisationsweise revolutionärer Formationen zusammenhängen. In der Tat waren dies die Fragen, die die erste Scheidung zwischen der proletarischen Strömung einerseits und bürgerlichen sowie kleinbürgerlichen Strömungen andererseits bewirkten. Diese Bedeutung ist kein Zufall. Sie entspringt exakt der Tatsache, dass einer der Hauptkanäle für die Infiltration von dem Proletariat fremden Ideologien – bürgerlich oder kleinbürgerlich – sich just in ihrer Funktionsweise befindet.

Marxisten haben der Organisationsfrage stets die höchste Aufmerksamkeit geschenkt. Innerhalb der IAA übernahmen Marx und Engels die Führung im Kampf für die Verteidigung proletarischer Prinzipien. Und es war kein Zufall, dass sie eine entscheidende Rolle beim Beschluss des Haager Kongresses spielten, den größten Teil seiner Arbeit der Organisationsfrage zu widmen und dagegen zwei der wichtigsten Ereignisse dieser Periode, mit denen die Arbeiterklasse damals konfrontiert wurde, weitaus weniger Aufmerksamkeit zu schenken: der deutsch-französische Krieg und die Pariser Kommune. Diese Priorität hat die meisten bürgerlichen Historiker dazu verleitet, diesen Kongress als weniger wichtig in der Geschichte der IAA zu betrachten, wohingegen er in Wahrheit der wichtigste war, da er es der späteren 2. Internationalen ermöglichte, neue Fortschritte in der Entwicklung der Arbeiterbewegung zu erzielen.

Auch innerhalb der 2.Internationalen wurde Lenins Beschäftigung mit der Organisationsfrage als „Obsession“ betrachtet. Die Streits, die die russische Sozialdemokratie vom Zaun brach, waren für die anderen sozialistischen Parteien unverständlich, und Lenin wurde als ein „Sektierer“ betrachtet, der nichts anderes als Spaltungen im Kopf habe. Tatsächlich war Lenin stark vom Kampf von Marx und Engels gegen die Allianz inspiriert. Die Gültigkeit dieser Auseinandersetzung sollte durch die Fähigkeit seiner Partei brillant demonstriert werden, die Führung in der Revolution von 1917 zu übernehmen.

Was die IKS angeht, so ist sie der Tradition von Marx und Lenin gefolgt, indem sie den Organisationsfragen die größte Aufmerksamkeit gewidmet hat. Im Januar 1982 widmete die IKS diesen Fragen infolge der Krise von 1981 eine Außerordentliche Konferenz.[iv] Schließlich führte unsere Organisation zwischen 1993 und 1996 eine grundsätzliche Auseinandersetzung, um ihre organisatorischen Belange zu stärken, gegen den „Zirkelgeist“ und für den „Partei-

geist“, wie Lenin sie 1903 definierte. Unsere Internationale Revue Nr. 16 liefert Rechenschaft über den 11. Kongress der IKS, der im Wesentlichen den Organisationsfragen gewidmet war, denen wir damals gegenüberstanden.[v] Wir verfolgten dies weiter durch eine Reihe von Artikeln über Organisationsfragen, die den Kämpfen innerhalb der IAA gewidmet waren (Internationale Revue, Nr. 17-20), und in Form von zwei Artikeln mit dem Titel „Sind wir ‚Leninisten‘ geworden?“ (Internationale Revue, Nr. 23-24) über den Kampf Lenins und der Bolschewiki in der Organisationsfrage. Und endlich publizieren wir in der vorliegenden Ausgabe große Auszüge aus einem internen Dokument über die Frage der Funktionsweise innerhalb der IKS, der als Orientierungstext für den Kampf von 1993–96 diente.

Ein transparentes Verhalten im Angesicht der Schwierigkeiten, auf die unsere Organisation stößt, hat nichts mit irgendeinem „Exhibitionismus“ unsererseits zu tun. Die Erfahrung kommunistischer Organisation ist ein integraler Bestandteil der Erfahrungen der Arbeiterklasse. Daher widmete Lenin dem 2. Kongress der

SDAPR ein ganzes Buch – Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück. Indem sie Rechenschaft über ihr Organisationsleben ablegt, tut die IKS nichts anderes, als ihre Verantwortung im Angesicht der Arbeiterklasse zu erfüllen.

Wenn eine revolutionäre Organisation ihre Probleme und internen Diskussionen veröffentlicht, ist dies natürlich ein gefundenes Fressen für all ihre Feinde, die darauf lauern, sie zu verunglimpfen. Dies ist auch und besonders bei der IKS der Fall. Wie wir auf unserem 11. Kongress gesagt haben: „Natürlich werden wir kein Lob in der bürgerlichen Presse ernten aufgrund der Schwierigkeiten, mit denen unsere Organisation jetzt kämpft. Die IKS ist noch zu klein – sowohl was Größe und Einfluss innerhalb der Arbeiterklasse angeht, so dass die Bourgeoisie noch kein Interesse daran hat, von uns zu sprechen und uns diskreditieren will. Die Bourgeoisie zieht es vor, eine Mauer des Schweigens aufzubauen um unsere Positionen und die Existenz revolutionärer Organisationen überhaupt. Deshalb sind die Verleumdung und die Sabotage unserer Intervention das Steckenpferd einer ganzen Reihe von Gruppen und parasitären Elementen, deren Funktion darin besteht, diejenigen abzuschrecken, die sich auf Klassenpositionen zubewegen, damit in ihnen das Gefühl der Abscheu gegenüber der Mitarbeit an der Entwicklung des proletarischen Milieus entsteht.

(...) Innerhalb der parasitären Bewegung gibt es heute voll entwickelte Gruppen wie die ‚Groupe Communiste Internationliste‘ (GCI) und ihre Abspaltung (wie ‚Gegen den Strom‘), die jetzt aufgelöste ‚Communist Bulletin Group‘ (CBG) aus Großbritannien und die Abspaltung der ehemaligen ‚Externen Fraktion der IKS‘, die alle aus Abspaltungen von der IKS hervorgingen. Aber das Parasitentum ist nicht auf solche Gruppen beschränkt. Es wird auch von unorganisierten Elementen getragen, die sich von Zeit zu Zeit zu Diskussionen treffen und deren Hauptsorge darin besteht, alles mögliche Gerede über unsere Organisation in Umlauf zu bringen.[vi] Zu diesen Leuten gehören oft ehemalige Mitglieder der IKS, die sich dem Druck der kleinbürgerlichen Ideologie ergeben und sich als unfähig erwiesen haben, ihr Engagement in der Organisation aufrechtzuerhalten, oder die darüber frustriert sind, dass die Organisation ihnen nicht die ‚Anerkennung‘ liefert, die sie meinten zu ‚verdienen‘. Oder sie hielten es nicht aus, sich der Kritik der Organisation zu stellen (...) Offensichtlich sind diese Leute völlig unfähig, irgendetwas Konstruktives aufzubauen. Dagegen sind sie sehr wirksam, wenn es darum geht, ihr Gerede zu verbreiten und das mit Schmutz zu besudeln, das zu zerstören und zu diskreditieren, was die Organisation dabei ist aufzubauen.“ (Internationale Revue Nr. 16, deutsche Ausgabe)

Dennoch wird das Gewese der Parasiten die IKS nicht daran hindern, dem gesamten proletarischen Milieu die Lehren seiner eigenen Erfahrung preiszugeben. Im Vorwort zu Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, 1904, schrieb Lenin: „Sie (die Feinde, die Red.) feixen und sind schadenfroh über unsere Streitigkeiten; sie werden sich natürlich bemühen, einzelne Stellen aus meiner Broschüre, die den Mängeln und Unzulänglichkeiten unserer Partei gewidmet sind, für ihre Zwecke aus dem Zusammenhang zu reißen. Die russischen Sozialdemokraten haben bereits genügend im Kugelregen der Schlachten gestanden, um sich durch diese Nadelstiche nicht beirren zu lassen, um dessenungeachtet ihre Arbeit der Selbstkritik und rücksichtslosen Enthüllung der eigenen Mängel fortzusetzen, die durch das Wachstum der Arbeiterbewegung unbedingt und unvermeidlich ihre Überwindung finden werden. Die Herren Gegner aber mögen versuchen, uns ein Bild der wahren Sachlage in ihren ‚Parteien‘ zu zeigen, das auch nur im entferntesten dem Bild ähnelt, das die Protokolle unseres zweiten Parteitags bieten.“

Wir haben vor, dieselbe Vorgehensweise zu verfolgen, indem wir Rechenschaft über die Probleme der Funktionsweise ablegen, die im Mittelpunkt der Arbeit der Konferenz standen.

Die Ursprünge der jüngsten organisatorischen Schwierigkeiten der IKS

Der 11. Kongress der IKS nahm eine Resolution über ihre Aktivitäten an, die die Hauptlehren aus der 1993 durchlittenen Krise unserer Organisation und aus dem Kampf für ihre Genesung gezogen hatte. Wir veröffentlichten lange Auszüge in der Internationalen Revue Nr. 16, und wir zitieren sie hier erneut, da sie ein Licht auf unsere jüngsten Schwierigkeiten werfen.

„Der Rahmen für das Begreifen des Ursprungs der Schwächen ist eingebettet in den vom Marxismus geführten historischen Kampf gegen den Einfluss der kleinbürgerlichen Ideologie, der in den Organisationen des Proletariats zu spüren ist (...) Insbesondere ging es darum, dass die Organisation in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten genau wie die Bolschewiki von 1903 an den Kampf gegen den Zirkelgeist und für den Aufbau des Parteigeistes stellt (...) Deshalb war die Feststellung des Vorhandenseins eines starken Zirkelgeistes in unserer Anfangsphase ein Teil unserer allgemeinen Analyse, die wir seit langem erarbeitet hatten und die die Wurzeln unserer Schwächen auf den organischen Bruch der kommunistischen Organisationen zurückführte, welcher durch die Konterrevolution seit dem Ende der 20er Jahre entstanden war. Diese Feststellung erlaubte uns jedoch, einen Schritt weiterzugehen als die früheren Ergebnisse und tiefer an die Wurzeln unserer Schwächen heranzukommen. Dadurch haben wir besser das Phänomen verstanden, dass wir früher schon aufgedeckt, aber unzureichend angepackt hatten, nämlich die Bildung von Clans innerhalb der Organisation. Diese Clans waren tatsächlich das Ergebnis des grassierenden Zirkelgeistes, der sich länger am Leben hielt als die Phase, in der die Zirkel eine unvermeidbare Etappe bei der Neugründung der kommunistischen Avantgarde gewesen waren.“

In der Frage der Clans erwähnte unser Artikel über den 11. Kongress folgenden Punkt: „Diese Analyse stützte sich auf die Erfahrung der Arbeiterbewegung (z.B. die Haltung der alten Redakteure der Iskra, auf die Gruppe um Martow, welcher aus Unzufriedenheit mit den Entscheidungen des 2. Kongresses der SDAPR die menschewistische Fraktion gebildet hatte), aber auch auf Erfahrungen in der IKS. Wir können hier nicht in Einzelheiten gehen, aber hervorheben, dass die ‚Tendenzen‘ , die es in der IKS gegeben hat (...) viel eher auf eine jeweilige Clandynamik zurückzuführen waren als auf eine wirkliche Tendenz, die sich auf eine alternative positive Orientierung stützten. Die Haupttriebkraft dieser ‚Tendenzen‘ wurden nicht aufgrund von Divergenzen ihrer Mitglieder mit den Orientierungen der Organisation gebildet (...), sondern eher durch einen Zusammenschluss der Unzufriedenen und der Frustrierten mit den Zentralorganen und die persönliche Gefolgschaft gegenüber den Elementen, die sich als ‚Verfolgte‘ oder als unzureichend ‚anerkannt‘ ansahen.“

Dieser Artikel unterstrich, dass die gesamte IKS (einschließlich jener Militanter, die besonders stark darin verwickelt waren) erkannte, dass sie es mit einem Clan zu tun hatte, der sich einer besonders wichtigen Position in der Organisation bemächtigt hatte und der, obwohl er nicht einfach ein organisches Produkt der Schwächen der IKS war, „eine Vielzahl der gefährlichen Merkmale in sich konzentrierte und bündelte, mit denen die Organisation zu kämpfen hatte und deren gemeinsamer Nenner der Anarchismus war“ (Aktivitätenresolution des 11. IKS-Kongresses, Punkt 5). Die Resolution fuhr fort: „... haben wir nach Begreifen des Phänomens der Clans eine Reihe von schlechten Funktionsweisen aufdecken können, unter denen die meisten territorialen Sektionen litten“ (ebenda).

Sie zog eine Bilanz unserer Organisationsarbeit: „... der Kongress stellt den globalen Erfolg des von der IKS im Herbst 1993 begonnenen Kampfes fest (...) Die manchmal spektakuläre Genesung der von den organisatorischen Schwierigkeiten seit 1993 betroffenen Sektionen (...), die von zahlreichen Teilen der IKS eingebrachten Vertiefungen (...), all diese Tatsachen bestätigen die uneingeschränkte Gültigkeit des begonnenen Kampfes, seiner Methode, seiner theoretischen Grundlagen wie auch seiner konkreten Aspekte.“

Jedoch warnte die Resolution ebenfalls vor jeglicher Art von Triumphalismus: „Das heißt nicht, dass der von uns geführte Kampf aufhören müsse (...) Die IKS muss ihn jederzeit mit der größten Wachsamkeit fortsetzen, mit der Entschlossenheit, jede Schwäche aufzudecken und sie ohne zu zögern anzupacken (...) Tatsächlich zeigt uns die Geschichte der Arbeiterbewegung und auch der IKS, wie die jetzt abgeschlossene Debatte einleuchtend verdeutlicht hat, dass der Kampf für die Verteidigung der Organisation ein ständiger, pausenloser Kampf ist. Insbesondere muss sich die IKS vor Augen halten, dass der von den Bolschewiki geführte Kampf gegen den Zirkelgeist für die Einführung des Parteigeistes Jahre gedauert hat. Das gleiche trifft für unsere Organisation zu, die jede Demoralisierung überwinden und jedem Gefühl der Hilflosigkeit infolge der Dauer des Kampfes entgegentreten muss.“ (ebenda, Pkt. 13)

Und gerade die jüngste Konferenz der IKS hob hervor, dass eine der Hauptursachen unserer organisatorischer Probleme während des letzten Jahrzehnts ein Nachlassen unserer Wachsamkeit angesichts des Wiederauftauchens der Schwierigkeiten und Schwächen war, die die Organisation bereits in der Vergangenheit betroffen hatten. In Wirklichkeit verlor der größere Teil der Organisation die Warnung aus dem Blick, die als Schlussfolgerung in die Resolution des 11. Kongresses aufgenommen worden war. Sie hatte deshalb die größten Schwierigkeiten bei der Identifizierung des wiederauflebenden Clanwesens innerhalb der Pariser Sektion und innerhalb des Internationalen Sekretariats (IS)[vii]; mit anderen Worten: in den beiden Teilen der Organisation, die bereits 1993 am stärksten von dieser Krankheit betroffen waren.

Die Entwicklung der Krise inmitten der IKS und die Bildung der „internen Fraktion“

Das Abgleiten in das Clanwesen vollzog sich im März 2000, als das IS ein Dokument über Fragen der Funktionsweise verabschiedete, das von einer kleinen Zahl von Genossen kritisiert wurde. Während sie die allgemeine Gültigkeit der meisten Gedanken im Text guthießen, besonders über die Notwendigkeit eines größeren Vertrauens unter den verschiedenen Teilen der Organisation, meinten sie, dass das Dokument gewisse Zugeständnisse an demokratistische Illusionen mache und dazu neige, unsere Auffassung über die Zentralisierung in Frage zu stellen. Alles in allem, meinten sie, verleite das Dokument zur Idee, dass „mehr Vertrauen weniger Zentralisierung“ bedeute. Es war nie ein Problem für die IKS gewesen, dass einige Teile der Organisation einen vom Zentralorgan verabschiedeten Text kritisieren. Im Gegenteil, die IKS und ihre Zentralorgane haben stets darauf bestanden, dass jede Meinungsverschiedenheit oder jeder Zweifel offen innerhalb der Organisation ausgedrückt wird, um größtmögliche Klarheit zu erzielen. Das Verhalten des Zentralorgans gegenüber Meinungsverschiedenheiten bestand stets darin, ihnen so ernsthaft wie möglich zu antworten. Doch im Frühjahr 2000 nahm die Mehrheit des IS eine völlig andere Haltung an, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen war. Für diese Mehrheit konnte die Tatsache, dass eine kleine Minderheit von Genossen einen Text des IS kritisiert, nur aus einem Geist der Opposition um der Opposition willen oder aus der Tatsache herrühren, dass einer von ihnen von familiären Problemen betroffen sei oder ein anderer an Depressionen leide. Ein Argument, dass von IS-Mitgliedern benutzt wurde, lautete, dass der Text von einem besonderen Militanten verfasst worden sei und eine andere Aufnahme gefunden hätte, wäre dies das Werk eines anderen Genossen gewesen. Die Antwort auf die Argumente jener Genossen, die anderer Auffassung waren, bestand also nicht darin, Gegenargumente zu suchen, sondern darin, die Genossen zu verunglimpfen oder gar zu versuchen, die Veröffentlichung ihrer Texte mit der Begründung zu verhindern, dass sie „Scheiße in der Organisation verbreiten“ würden, oder dass eine der GenossInnen, die unter dem Druck, der ihr gegenüber ausgeübt wurde, litt, die Antworten, die die anderen Genossen der IKS ihren Texten erteilen würden, nicht „aushalte“. Kurz, das IS betrieb eine völlig heuchlerische Politik, um im Namen der Solidarität die Debatte zu ersticken.

Dieses politische Verhalten, dass den bis dahin geltenden Methoden der IKS völlig fremd ist, erlebte plötzlich eine weitere Degeneration, als ein Mitglied des IS seinerseits begann, einigen der Kritiken beizupflichten, die an dem von der Kommission im März 2000 angenommenen Dokument geübt worden waren. Nachdem er bis dahin von Verleumdungen verhältnismäßig unbehelligt geblieben war, wurde dieser Genosse nun selbst zur Zielscheibe einer Kampagne, die darauf abzielte, ihn zu diskreditieren: Wenn er die eine oder andere Position eingenommen habe, so sei dies deshalb geschehen, weil er „von jemandem manipuliert sei, der ihm nahesteht“. Gleichzeitig bestand die Haltung des IS darin, die Diskussionen über die Frage so weit wie möglich auf Banalitäten zu reduzieren, indem erklärt wurde, dies sei keine „Jahrhundertdebatte“. Und als nachdrücklichere und kritischere Beiträge aufzutauchen begannen, versuchte die Mehrheit des IS, sämtliche Zentralorgane der IKS dahin zu drängen, die Debatte für beendet zu erklären. Das Internationale Büro weigerte sich, dem IS zu folgen. Es beschloss zugleich gegen den Willen der Mehrheit des IS, eine Informationsdelegation zu bilden, die – zum größten Teil aus Mitgliedern zusammengesetzt, die nicht dem IS angehörten – es damit beauftragte, die Probleme der Arbeitsweise zu untersuchen, die in und um das IS herum entstanden waren.

Diese Beschlüsse bewirkten eine weitere „Radikalisierung“ unter der Mehrheit der IS-Mitglieder. Diese erhoben gegenüber der Informationsdelegation alle möglichen Beschuldigungen gegen die andersdenkenden Genossen, hoben alle möglichen besonders ernsthaften „organisatorischen Versagen“ hervor, „warnten“ die Delegation vor dem „dubiosen“ oder „unwürdigen“ Verhalten eines dieser Militanten. Kurz, jene Mitglieder des IS, die die Bildung der Delegation zunächst als Zeitverschwendung angesehen hatten, informierten diese nun über einen schlauen und zerstörerischen Angriff gegen die IKS, was sie eigentlich dazu hätte veranlassen müssen, als erste die Schaffung einer solchen Delegation zu fordern, um eine Untersuchung über diese Militanten einzuleiten. Ein Mitglied des IS – Jonas – sträubte sich nicht nur dagegen, vor der Delegation zu erscheinen, sondern weigerte sich auch von Anfang an, sie überhaupt anzuerkennen.[viii] Gleichzeitig begann er hinter den Kulissen den Gedanken zu verbreiten, dass einer der andersdenkenden Militanten ein staatlicher Agent sei, der die Leute um ihn herum in der Absicht manipuliere, „die IKS zu zerstören“. Andere IS-Mitglieder versuchten anfang Mai 2001, unmittelbar vor dem 14. Kongress der IKS, auf entschiedene Weise, die Informationsdelegation einzuschüchtern mit dem Ziel, dass diese darauf verzichte, dem Kongress einen „vorläufigen Bericht“ vorzulegen, der einen Rahmen für das Verständnis der Probleme, die des IS und der Pariser Sektion betrefen, geliefert hätte.[ix] Am Morgen des Kongresses, kurz vor seinem Beginn, versuchte die Mehrheit des IS ein letztes Manöver: Sie forderte, dass sich das Internationale Büro trifft, um eine Resolution zu verabschieden, die die Arbeit der Informationsdelegation desavouieren sollte. Letztere war da bereits von der Existenz einer Clandynamik innerhalb des IS überzeugt, und zwar weitaus mehr aufgrund des Verhaltens der Mehrheit der IS-Mitglieder als durch das Zeugnis der Genossen, die die Politik des IS kritisiert hatten. Auch die Mehrheit des IB war im Wesentlichen durch die Haltung der IS-Mitglieder auf diesem letzten Treffen vor dem Kongress von der Existenz derselben Dynamik überzeugt worden. Zu diesem Zeitpunkt rechnete das IB aber noch mit der Fähigkeit dieser Militanter, zu Sinnen zu kommen, wie dies bereits für eine wesentliche Anzahl von Militanten der Fall gewesen war, die 1993 von dieser Clandynamik erfasst worden waren. Daher schlug das IB vor, dass alle Militanten, die dem alten IS angehört hatten, wieder in das Zentralorgan gewählt werden sollten. Gleichzeitig schlug es vor, dass die alte Informationsdelegation durch die Einbeziehung anderer Genossen gestärkt und in eine Untersuchungskommission umgewandelt werden sollte. Schließlich schlug es dem Kongress vor, dass dieser sich noch nicht mit den der IS vorauseilenden Schlussfolgerungen befasst, und bat ihn, der neuen Untersuchungskommission sein Vertrauen auszusprechen. Der Kongress ratifizierte einmütig diese Vorschläge.

Zwei Tage nach dem Kongress verletzte ein Mitglied des alten IS die Beschlüsse des Kongresses, indem es in der Pariser Sektion die Information preisgab, wonach das IB mit der Zustimmung des Kongresses beschlossen hatte, sich zurückzuhalten, bis es sich in Gänze und in einem geeigneten Rahmen damit befassen könne. Absicht dieses Mitglieds war es, die Pariser Sektion gegen den Rest der IKS und gegen das Internationale Büro zu stellen. Die anderen Mitglieder der alten IS-Mehrheit unterstützen ihn und weigerten sich, diese offene Verletzung der Organisationsstatuten zu verurteilen.

In Anbetracht der Tatsache, dass der Kongress das souveräne Organ der Organisation ist, ist die bewusste Verletzung seiner Beschlüsse (wie bei den Menschewiki 1903) ein besonders schweres Vergehen. Damals wurde der Militante jedoch nicht mit Sanktionen belegt, abgesehen von einer verbalen Verurteilung seiner Handlung: Die Organisation rechnete auch weiterhin mit der Fähigkeit der Clanmitglieder, sich selbst in den Griff zu bekommen. Tatsächlich war diese Verletzung der Statuten aber nur der erste einer langen Kette von Verstößen durch Mitglieder des alten IS oder jene, die sie überzeugten, ihnen in ihrem offenen Krieg gegen die Organisation zu folgen. Wir haben nicht den Platz, all diese Verstöße hier detailliert aufzulisten und werden uns auf einige charakteristische Beispiele beschränken, für die die Mitglieder der jetzigen „internen Fraktion“ in unterschiedlichem Ausmaß verantwortlich sind:

–          der Gebrauch und die Publizierung der Protokolle der Zentralorgane ohne deren Zustimmung;

–          Verleumdungskampagnen gegen Mitglieder der Informationskommission, die beschuldigt wurden, „Lügner“ und „Torquemadas“ (nach einem Führer der spanischen Inquisition, was an Alerinis Beschimpfung der Untersuchungskommission des Haager Kongresses als „Heilige Inquisition“ erinnert) zu sein;

–          systematische und verleumderische Kampagnen hinter den Kulissen gegen ein Mitglied der Organisation, das ohne den Schatten eines Beweises beschuldigt wurde, ein Abenteurer, ja, ein staatlicher Agent zu sein (die letztgenannte Beschuldigung wurde ausdrücklich von Jonas und einem anderen Mitglied der jetzigen „Fraktion“ genannt, aber auch von anderen, ihnen nahestehenden Militanten suggeriert), mit dem Zweck, andere zu manipulieren, um die IKS zu zerstören;

–          ein geheimer Briefwechsel von Mitgliedern des Zentralorgans der IKS mit Militanten in anderen Ländern, um gegen diejenigen Verleumdungen zu verbreiten, die sie nun als „liquidatorische Fraktion“ bezeichnen, und um die Angeschriebenen gegen das Internationale Büro aufzubringen (mit anderen Worten: dieselbe Politik, die Bakunin betrieb, um für seine „Allianz“ zu werben);

–          das Abhalten geheimer Treffen im August und September 2001, deren Zweck es war, nicht politische Analysen auszuarbeiten, sondern ein Komplott gegen die IKS auszuhecken. Als die an diesem Treffen beteiligten Militanten die Bildung eines „Arbeitskollektivs“ ankündigten, erklärten sie unter anderem, dass „wir keine Geheimtreffen abhalten“.

Nur durch Zufall und infolge der Ungeschicklichkeit eines dieser Bruderschaftsmitglieder kam das Protokoll eines dieser Geheimtreffen in die Hände der Organisation.

Kurz darauf verabschiedete die Vollversammlung des Internationalen Büros einmütig (das heißt, einschließlich der Stimmen zweier Mitglieder der aktuellen „internen Fraktion“) eine Resolution, deren Hauptpassagen wir hier zitieren:

„1. Nach dem Studium (...) des Protokolls vom Treffen am 20.8. zwischen den sieben Genossen, die das so genannte ‚Arbeitskollektiv‘ gebildet haben, und nach Untersuchung seines Inhalts, wo zum Ausdruck kommt:

–          ein offen zur Schau getragenes Bewusstsein darüber, dass sie außerhalb der Statuten handeln und nichts Wichtigeres im Sinn haben, als diese Tatsache vor dem Rest der Organisation zu verbergen;

–          ein Betrachten der restlichen Organisation als ‚die anderen‘, ‚sie‘, mit anderen Worten: als Feinde, die, in den Worten eines der Teilnehmer, ‚destabilisiert‘ werden müssen;

–          die Absicht, ihre wahren Gedanken und Aktivitäten vor dem Rest der Organisation zu verstecken;

–          die Etablierung einer Gruppendisziplin zu gleichen Zeit, als sie die Verletzung der Organisationsdisziplin befürworteten;

–          die Erstellung einer Strategie, um die Organisation in die Irre zu führen und ihr die eigene Politik aufzuzwingen;

verurteilt das IB dieses Verhalten, das eine flagrante Verletzung unserer Organisationsprinzipien ist und eine ausgesprochene Illoyalität gegenüber dem Rest der Organisation offenbart (...)

2. Die Aktivitäten der Mitglieder des ‚Kollektivs‘ stellen ein äußerst ernstes organisatorisches Vergehen dar und verdienen die höchste Sanktion. Doch in Anbetracht dessen, dass die Teilnehmer dieses Treffens sich entschieden haben, das ‚Kollektiv‘ aufzulösen, beschließt das IB, auf Sanktionen zu verzichten in der Aussicht, dass die Militanten, die diesen Fehler begangen haben, nicht nur das ‚Kollektiv‘ auflösen, sondern:

–          ihr Verhalten einer gründlichen Kritik unterziehen;

–          über die Gründe, warum sie sich als Feinde der Organisation benommen haben, vertieft nachzudenken.

In diesem Sinne sollte diese Resolution des IB nicht als eine Unterschätzung des Ernstes des begangenen Fehlers interpretiert werden, sondern als eine Ermutigung für die Teilnehmer des Geheimtreffens vom 20.8., sich über diesen Ernst klar zu werden.“

Konfrontiert mit dem zerstörerischen Charakter ihres Verhaltens, wichen die Mitglieder des „Kollektivs“ einen Schritt zurück. Zwei von denen, die an den geheimen Treffen teilgenommen hatten, erfüllten tatsächlich, was die Resolution gefordert hatte: Sie unterzogen ihre Vorgehensweise einer ernsthaften Kritik und sind heute loyale Militante der IKS. Zwei andere zogen es, obwohl sie zugunsten der Resolution gestimmt hatten, vor, lieber auszutreten, als sich der erforderlichen Kritik zu unterziehen. Was die anderen angeht, so ließen sie ihre guten Vorsätze fallen und bildeten nur ein paar Wochen später die „interne Fraktion der IKS“, wobei sie die „Deklaration zur Bildung eines Arbeitskollektivs“ übernahmen, die sie noch kurz zuvor verworfen hatten.

Kaum war die selbsternannte „Fraktion“ gebildet worden, ließen ihre Mitglieder nichts unversucht, um ihre Angriffe gegen die Organisation und ihre Militanten eskalieren zu lassen, um die absolute Nichtigkeit ihrer politischen Argumente mit den empörendsten Lügen, den ekelhaftesten Verleumdungen und einer systematischen Verletzung unserer Funktionsregeln zu kombinieren, so dass die IKS selbstverständlich gezwungen war, dies zu unterbinden.[x] Eine Resolution, die am 18. November 2001 vom Zentralorgan der Sektion in Frankreich verabschiedet worden war, erklärte: „Die Militanten der ‚Fraktion‘ sagen, dass sie den Rest der Organisation von der Gültigkeit ihrer ‚Analysen‘ überzeugen möchten. Ihr Verhalten und ihre enormen Lügen beweisen, dass auch dies nur eine Lüge ist (...) Mit ihrem gegenwärtigen Verhalten wird es ihnen sicherlich nicht gelingen, auch nur einen Einzigen zu überzeugen (...) Die Exekutivkommission verurteilt vor allem die ‚Taktik‘, die darin besteht, die Statuten der IKS systematisch zu verletzen, um in der Lage zu sein – wenn die Organisation gezwungen wird, zur Selbstverteidigung Maßnahmen zu ergreifen – über die ‚stalinistische Degeneration‘ zu jammern und so die Bildung einer selbsternannten ‚Fraktion‘ zu rechtfertigen.“

Eine der von der „Fraktion“ endlos wiederholten Lügen ist die, dass die IKS sie mit Sanktionen belegt habe, um eine Debatte über fundamentale Fragen zu verhindern. Die Wahrheit ist, dass ihre Argumente von zahllosen Beiträgen einzelner Genossen und ganzer Sektionen der IKS wiederholt und gründlich widerlegt worden waren, wohingegen ihre eigenen Texte es systematisch vermieden, sowohl auf diese Beiträge als auch auf die offiziellen Berichte und Orientierungstexte zu antworten, die von den Zentralorganen vorgestellt worden waren. Dies ist in der Tat eine der von der „Fraktion“ bevorzugten Methoden: ihre eigene Verworfenheit dem Rest der Organisation und ganz besonders der, wie sie es nennen, „liquidatorischen Fraktion“ zu unterstellen. Zum Beispiel beschuldigen sie in einem ihrer ersten „Gründungstexte“, dem „Gegenbericht“ über die IKS-Aktivitäten für das im September 2001 tagende IB-Plenum, die Zentralorgane der IKS, „eine Orientierung (angenommen zu haben), die mit jener bisher in der Organisation (...) vom Ende der Auseinandersetzung 1993–96 bis zum gerade abgehaltenen 14. Kongress geltenden bricht“. Und nur um zu demonstrieren, wie sehr er den Orientierungen des 14. Kongresses zustimmt, lehnt der Autor dieses Dokuments ein paar Wochen später en bloc die vom Kongress verabschiedete Aktivitätsresolution ab, obwohl er für sie gestimmt hatte. In demselben Stil erklärt er scheinheilig, dass „wir uns auf die Auseinandersetzung berufen, die stets (...) für einen strengen statt ‚starren‘ Respekt gegenüber den Statuten gestanden hat. Ohne den hohen Respekt gegenüber den Statuten und ihrer Verteidigung gibt es keine Organisation mehr“. Und noch immer dient dieses Dokument als Plattform für geheime Treffen, deren Teilnehmer sich untereinander klar darüber sind, dass sie sich außerhalb der Statuten bewegen. Nur einige Wochen später beginnen sie, Seiten um Seiten einer vorgeblichen Pseudotheorie zu verfassen, mit der einzigen Absicht, die systematische Verletzung der Statuten zu rechtfertigen.

Wir könnten mit Beispielen derselben Art fortfahren, doch dann würde der Artikel die gesamte Revue füllen. Wir wollen jedoch ein weiteres bedeutsames Beispiel zitieren: den Anspruch der „Fraktion“, der wahre Vertreter der Kontinuität unseres Kampfes von 1993–96 für die Verteidigung der Organisation zu sein. Dies hindert den „Gegenbericht“ nicht daran zu erklären, dass die „Lehren von 1993 sich nicht auf das Clanwesen beschränken. Tatsächlich ist Letzteres nicht einmal ihr prinzipielles Element“. Besser noch, die „Deklaration zur Bildung eines ‚Arbeitskollektivs‘“ fragt: „Clans und Clanwesen: Sind das nicht Begriffe, die in der Geschichte von Sekten und der Freimaurerei angetroffen werden, aber nicht (...) in der Arbeiterbewegung der Vergangenheit? Kann das Alpha und Omega der Organisationsfragen auf die ‚Gefahr des Clanwesens‘ reduziert werden?“ In der Tat beabsichtigen die Mitglieder der „Fraktion“, uns für die Idee zu gewinnen, dass der Begriff des „Clans“ nicht zur Arbeiterbewegung gehört (was falsch ist, da bereits Rosa Luxemburg diesen Begriff benutzte, um die Führungsclique der deutschen Sozialdemokratie zu beschreiben). Dies ist nun wirklich eine radikale Methode, um die Analyse der IKS zu widerlegen, dass das Verhalten dieser Militanten Anzeichen einer Clandynamik ist: „Der Begriff des Clans ist ungültig.“ Und all dies im Namen des Kampfes von 1993–96, dessen wichtigste Dokumente wir lang und breit zitiert haben und die alle auf der fundamentalen Rolle des Clanwesens in den Schwächen der IKS bestehen!

Die Bildung einer parasitären Gruppe

Wie die Allianz innerhalb der IAA, so wurde die „Fraktion“ zu einem parasitären Organismus innerhalb der IKS. Und genauso wie die Allianz, die der IAA offen und öffentlich den Krieg erklärte, nachdem sie gescheitert war, die Kontrolle zu übernehmen, hat der Clan der alten Mehrheit im IS und seiner Freunde beschlossen, unsere Organisation öffentlich anzugreifen, sobald er sich vergegenwärtigte, dass er alle Kontrolle verloren hat und dass sein Verhalten, weit davon entfernt, die Zaudernden um sich zu scharen, es im Gegenteil ermöglicht hat, dass diese Genossen verstanden, was im Kampf um unsere Organisation auf dem Spiel stand. Der entscheidende Moment in diesem qualitativen Schritt im Krieg der „Fraktion“ gegen die IKS war die Vollversammlung des Internationalen Büros zu Beginn des Jahres 2002. Nach ernsthaften Diskussionen fasste dieses Treffen eine Reihe von wichtigen Beschlüssen:

a)         die Umwandlung des Kongresses der französischen Sektion, für Mai 2002 geplant, in eine Außerordentliche Internationale Konferenz der gesamten IKS;

b)         die Suspendierung der Mitglieder der „Fraktion“ wegen einer ganzen Reihe von Verletzungen der Statuten (einschließlich der Weigerung, ihre Beiträge voll zu bezahlen); die Organisation überließ es ihnen, bis zur Konferenz zur Einsicht zu kommen und zu versprechen, die Statuten zu respektieren, widrigenfalls die Konferenz nur den Schluss ziehen kann, dass sie sich selbst wohl überlegt und aus eigenem Willen außerhalb der Organisation stellen;

c)         die prinzipielle Entscheidung, Jonas auszuschließen aufgrund eines detaillierten Berichts der Informationskommission, der ein Licht auf sein Verhalten warf, das demjenigen eines Agent provocateur würdig ist; die endgültige Entscheidung sollte erst getroffen werden, nachdem Jonas die Beschuldigungen gegen ihn unterbreitet wurden und er die Gelegenheit erhalten hatte, sich zu verteidigen.[xi]

Es ist bemerkenswert, dass die beiden Mitglieder der „Fraktion“, die an der Vollversammlung teilnahmen, sich bei der Abstimmung über den ersten Beschluss enthielten. Dies ist ein durch und durch paradoxes Verhalten von Militanten, die ständig erklären, dass die Militanten der IKS insgesamt von der „liquidatorischen Fraktion“ und den „Entscheidungsgremien“ in die Irre geführt und manipuliert seien. Kaum nahm die gesamte Organisation die Gelegenheit wahr, über unsere Probleme kollektiv zu diskutieren und zu entscheiden, gingen unsere tapferen „Fraktionäre“ zur Obstruktion über. Dies ist ein Verhalten, das in völligem Gegensatz zu jenem der linken Fraktionen in der Arbeiterbewegung steht, die stets forderten, dass Kongresse abgehalten werden, um Probleme in der Organisation anzupacken, etwas, was die Rechten systematisch verhinderten.

Was die beiden anderen Entscheidungen anbetraf, so betonte das Internationale Büro, dass die betroffenen Militanten dagegen Berufung einlegen können, und schlug vor, dass Jonas seinen Fall vor einem Ehrengericht, das aus Militanten des politischen Milieus des Proletariats gebildet werden sollte, vortragen kann, wenn er sich zu Unrecht von der IKS beschuldigt wähnt. Ihre Antwort bestand in einer neuen Eskalation. Jonas weigerte sich, sowohl die Organisation zu treffen, um seine Verteidigung darzulegen, als auch Berufung gegenüber der Konferenz einzulegen und um Gehör bei einem Ehrengericht zu ersuchen: So überwältigend sind die Beweise, dass es für alle Militanten der IKS und auch für Jonas selbst klar ist, dass er keine Ehre zu verteidigen hat. Gleichzeitig bekundete Jonas sein vollkommenes Vertrauen in der „Fraktion“. Die „Fraktion“ selbst begann, öffentlich Verleumdungen über die IKS zu verbreiten, zunächst indem sie an andere linkskommunistische Gruppen schrieb, dann indem sie etliche Texte an unsere Abonnenten verschickte, womit offenbar wurde, dass jenes Mitglied der „Fraktion“, das bis zum Sommer 2001 für die Abonnentenkartei verantwortlich gewesen war, die Kartei noch vor der Bildung des „Arbeitskollektivs“, ganz zu schweigen von der „Fraktion“, gestohlen hatte. Aus den Dokumenten, die an unsere Abonnenten geschickt wurden, können wir insbesondere entnehmen, dass die Zentralorgane der IKS gegen Jonas und die „Fraktion“ „gemeine Kampagnen (führen), mit denen sie die politischen Positionen, auf die sie ernsthaft zu antworten unfähig sind, verbergen und in Misskredit zu bringen versuchen“. Der Rest besteht aus der gleichen Brühe. Die Dokumente der „Fraktion“, die außerhalb der IKS verteilt wurden, bezeugen die totale Solidarität der „Fraktion“ mit Jonas und rufen ihn auf, mit ihr zusammenzuarbeiten. Die „Fraktion“ offenbart so sich selbst als etwas, was sie von Anbeginn gewesen war, als Jonas im Schatten einer Kamarilla der Freunde von Bürger Jonas geblieben war.

Trotz des offenen und öffentlichen Kampfes der Jonas-Kamarilla gegen die IKS sandte unsere Organisation mehrere Briefe an alle Pariser Mitglieder der „Fraktion“, worin diese dazu eingeladen wurden, ihre Verteidigung auf der Konferenz darzulegen. Zunächst ging die „Fraktion“ zum Schein darauf ein, doch im letzten Moment führte sie stattdessen ihre endgültige und erbärmlichste Aktion gegen unsere Organisation aus. Sie weigerte sich, vor der Konferenz zu erscheinen, es sei denn, die Organisation erkenne die „Fraktion“ schriftlich an und nähme alle Sanktionen (einschließlich die des Ausschlusses von Jonas) zurück, die in Übereinstimmung mit unseren Statuten beschlossen worden waren. Indem sie sich über die von der Organisation verabschiedeten Sanktionen beschwerten, forderten diese Militanten ganz einfach, dass wir den ersten Schritt machen, indem wir die Sanktionen zurücknehmen. Dies ist natürlich die einfachste Lösung – sie hätten nichts mehr, worüber sie sich beschweren könnten! Konfrontiert mit dieser Situation, hatten sämtliche Delegationen der IKS trotz ihrer Bereitschaft, den Argumenten dieser Militanten zuzuhören (tatsächlich hatten die Delegationen bereits am Vorabend der Konferenz eine Berufungskommission gebildet, die sich aus Mitgliedern mehrerer territorialer Delegationen zusammensetzte, und berücksichtigt, dass es den Pariser Mitgliedern der „Fraktion“ ermöglicht wurde, ihre Argumente darzustellen), keine andere Alternative, als anzuerkennen, dass diese Elemente sich selbst außerhalb der Organisation gestellt haben. Angesichts ihrer Weigerung, sich selbst vor der Konferenz zu verteidigen und ihre Argumente vor der Berufungskommission darzulegen, stellte die IKS ihr Ausscheiden fest und konnte sie somit nicht mehr als Mitglieder der Organisation anerkennen.[xii]

Die Konferenz verurteilte ebenfalls einstimmig die kriminellen Methoden, die von der Jonas-Kamarilla benutzt wurden und darin bestanden, zwei Delegierte der mexikanischen Sektion zu „kidnappen“ (“mit ihrem Einverständnis“?), sobald diese auf dem Flughafen ankamen. Diese Mitglieder der „Fraktion“ wurden von ihrer Sektion delegiert, ihre Positionen auf der Konferenz zu vertreten, und ihre Flüge waren bereits von der IKS bezahlt worden. Sie trafen sich mit zwei Pariser Mitgliedern der „Fraktion“, die sie mitnahmen und die ihnen die Erlaubnis verweigerten, die Konferenz aufzusuchen. Als wir protestierten und forderten, dass die „Fraktion“ den Flugpreis zurückbezahlt, sollte es den mexikanischen Delegierten nicht gelingen, die Konferenz aufzusuchen, antwortete ein Pariser Mitglied der „Fraktion“ mit unglaublichem Zynismus: „Das ist euer Problem!“ Alle Militanten der IKS haben ihre große Empörung ausgedrückt und eine Resolution angenommen, die die Veruntreuung von IKS-Vermögen und die Weigerung, das von der Organisation ausgegebene Geld zurückzuzahlen, als Offenbarung der kriminellen Methoden der Jonas-Kamarilla verurteilte.Diese Methoden sind denen der Chenier-Tendenz (die 1981 Ausrüstungsgegenstände der Organisation gestohlen hatte) ebenbürtig und überzeugten schließlich auch die letzten Genossen, die noch zögerten, die parasitäre und antiproletarische Natur dieser selbsternannten „Fraktion“ anzuerkennen. Die „Fraktion“ hat inzwischen der IKS geantwortet, indem sie sich weigerte, das politische Material und das Geld, das unser Organisation gehört, zurückzugeben. Die Jonas-Kamarilla ist heute nicht nur zu einer parasitären Gruppe verkommen, deren Natur die IKS bereits in ihren Thesen über den politischen Parasitismus, veröffentlicht (Internationalen Revue Nr. 22, deutsche Ausgabe), analysiert hatte, sondern auch zu einer kriminellen Bande, die nicht nur Verleumdungen und Erpressungen benutzt, um unsere Organisation zu zerstören, sondern sie auch bestiehlt.[xiii]

Die Metamorphose langjähriger Militanter unserer Organisation, die zumeist wichtige Verantwortung in den Zentralorganen ausgeübt hatten, in eine kriminelle Bande erhebt sofort die Frage: Wie ist so etwas möglich? Der Einfluss von Jonas hat natürlich seinen Teil dazu beigetragen, die Mitglieder der „Fraktion“ dazu zu treiben, ihre Angriffe gegen die IKS im Namen eines „verneinenden Zentrismus“ zu „radikalisieren“. Dennoch ist dies nicht ausreichend für eine Erklärung solch einer Degeneration. Die Konferenz hat erst die Basis geschaffen, um unser Verständnis voranzutreiben.

Der politische Rahmen der Konferenz zum Verständnis unserer Schwierigkeiten

Auf der einen Seite stellte die Konferenz fest, dass die Tatsache, dass langjährige Militante einer proletarischen Organisation den Kampf verraten, in dem sie sich seit Jahrzehnten engagiert hatten, kein neues Phänomen in der Arbeiterbewegung ist: Militante aus der ersten Reihe wie Plechanow (der Gründungsvater des Marxismus in Russland) oder Kautsky (die marxistische Eminenz der deutschen Sozialdemokratie, der „Papst“ der II. Internationalen) beendeten ihr politisches Leben in den Reihen der herrschenden Klasse (der Erste unterstützte 1914 den Krieg, der Zweite verurteilte die russische Revolution von 1917).

Ferner stellte die Konferenz die Frage des Clanwesens innerhalb der weiter gefassten Frage des Opportunismus:

„Der Zirkelgeist und das Clanwesen, Schlüsselfragen, die vom Orientierungstext von 1993 gestellt worden waren, sind nur besondere Ausdrücke eines allgemeinen Phänomens: des Opportunismus in Organisationsfragen. Es ist offensichtlich, dass diese Tendenz, die im Falle der verhältnismäßig kleinen Gruppen wie die der russischen Partei 1903 oder der IKS eng mit affinitären Zirkel- und Clanformen verknüpft ist, sich beispielsweise in den Massenparteien der zerfallenden Zweiten oder Dritten Internationalen nicht auf dieselbe Weise ausdrückt.

Nichtsdestotrotz teilen die verschiedenen Ausdrücke desselben Phänomens bestimmte prinzipielle Charakteristiken. Unter ihnen ist die Unfähigkeit des Opportunismus, sich in einer proletarischen Debatte zu engagieren, eine der bemerkenswertesten. Insbesondere ist er unfähig, eine organisatorische Disziplin aufrechtzuerhalten, sobald er sich mit seinen Positionen in der Minderheit wiederfindet.

Es gibt zwei prinzipielle Ausdrücke dieser Unfähigkeit. In Situationen, in denen der Opportunismus sich innerhalb der proletarischen Organisationen im Aufwind befindet, neigt er dazu, die Divergenzen herunterzuspielen, indem er sie entweder als Missverständnisse darstellt, wie es die Bernsteinianer taten, oder systematisch die politischen Positionen des Opponenten annimmt, wie in den frühen Tagen der stalinistischen Strömung.

Wo sich der Opportunismus in der Defensive befindet, wie 1903 in Russland oder in der Geschichte der IKS, reagiert er hysterisch, indem er den Statuten den Krieg erklärt und sich selbst als Opfer der Repression bezeichnet, um der Debatte aus dem Weg zu gehen. Die beiden Hauptcharakteristiken des Opportunismus in solch einer Situation sind, wie Lenin betonte, die Sabotage der Organisationsarbeit und die Inszenierung von Vorfällen und Skandalen.

Der Opportunismus ist seinem Inhalt nach zu einer klaren Herangehensweise bei der theoretischen Klärung und zur geduldigen Überzeugung nicht in der Lage, was die revolutionären Minderheiten während des Weltkriegs, Lenins Verhalten 1917 oder jenes der italienischen Fraktion in den 30er Jahren und anschließend der französischen Fraktion auszeichnete.(...)

Der aktuelle Clan ist eine Karikatur dieser Vorgehensweise. Solange er sich im Besitz der Kontrolle wähnte, versuchte er, die in RI aufkommenden Divergenzen herunterzuspielen (‚keine Jahrhundertdebatte‘), während er sich darauf konzentrierte, diejenigen zu diskreditieren, die ihre Meinungsverschiedenheiten laut äußerten. Sobald die Debatte eine theoretische Dimension zu erreichen begann, wurde der Versuch unternommen, sie vorzeitig zu beenden. Sobald sich der Clan in der Minderheit fühlte13 und noch bevor sich die Debatte entwickeln konnte, wurden Fragen wie die des angeblichen ‚Idealismus‘ des Orientierungstextes zu programmatischen Divergenzen aufgeblasen, um die systematische Ablehnung der Statuten zu rdrechtfertigen.“ (Aktivitätenresolution der ausserordentlichen Konferenz der IKS 2002, Punkt 10)

Die Konferenz anerkannte ebenfalls das Gewicht des kapitalistischen Zerfalls, das auf der Arbeiterklasse lastet:

“Eines der Hauptcharakteristiken der Zerfallsphase besteht darin, dass das Patt zwischen Bourgeoisie und Proletariat die Gesellschaft in eine peinigende und sich dahinschleppende Agonie stürzt. Infolgedessen wird der Prozess der Entwicklung des Klassenkampfes, der Reifung des Bewusstseins und des Aufbaus der Organisation viel langsamer, zähflüssiger und widersprüchlicher sein. Die Konsequenz daraus ist eine Tendenz zur allmählichen Erosion der politischen Klarheit, der militanten Überzeugung und der organisatorischen Loyalität, den hauptsächlichen Gegengewichten zu den politischen und persönlichen Schwächen der einzelnen Militanten. (...)

Da die Opfer solch einer Dynamik begonnen haben, sich den Mangel jeglicher Perspektive zu teilen, was heute das Los einer zerfallenden bürgerlichen Gesellschaft ist, sind sie dazu verdammt, mehr als jeder andere Clan in der Vergangenheit einen irrationalen Immediatismus, eine fieberhafte Ungeduld, einen Mangel an Reflexion und einen radikalen Verlust theoretischer Fähigkeiten – also sämtliche Hauptaspekte des Zerfalls – auszudrücken.“ (ebenda, Punkt 6)

Die Konferenz hob ebenfalls hervor, dass eine grundlegende Ursache für die anfangs unrichtigen Positionen des IS und der gesamten Organisation über die Frage der Funktionsweise und für die organisationsfeindliche Kehrtwende der Mitglieder der „Fraktion“ sowie für die späte Identifizierung dieser Wende durch die IKS das Gewicht des Demokratismus in unseren Reihen ist. Sie beschloss folglicherweise, eine Diskussion über die Frage des Demokratismus auf der Grundlage eines Orientierungstextes zu eröffnen, der vom Zentralorgan der IKS entworfen werden soll.

Schließlich bestand die Konferenz auf der Bedeutung des Kampfes, der in der Organisation vonstatten geht:

“Die Auseinandersetzung der Revolutionäre ist eine ständige Schlacht an zwei Fronten: die Verteidigung und Errichtung der Organisation und die Intervention gegenüber der Klasse als Ganzes. Alle Aspekte dieser Arbeit hängen wechselseitig voneinander ab (...)

Im Zentrum der gegenwärtigen Auseinandersetzung steht die Verteidigung der Fähigkeit der Generation von Revolutionären nach 1968, die richtige marxistische Praxis, die revolutionäre Leidenschaft sowie die Erfahrungen von Jahrzehnten des Klassenkampfes und der organisatorischen Auseinandersetzung an eine neue Generation weiterzureichen. Es ist daher im Wesentlichen dieselbe Auseinandersetzung, ob sie nun innerhalb der IKS oder außerhalb, gegenüber den suchenden, vom Proletariat sekretierten Elementen, bei der Vorbereitung der künftigen Klassenpartei geführt wird.“ (ebenda, Punkt 20)

IKS


[i] aus: Ein Komplott gegen die IAA – Bericht über das Treiben Bakunins (MEW Bd. 18 S. 337)

[ii] Die Reaktion auf diese Drohungen waren bezeichnend: „Ranvier protestiert gegen die Drohung von Splingard, Guillaume und anderen, sie würden den Saal verlassen, da sie mit ihrem Verhalten beweisen, dass SIE, und nicht wir es sind, die sich IM VORAUS über die zur Diskussion stehenden Fragen abgesprochen haben“. „Morago [ein Mitglied der Allianz] spricht von der Tyrannei des Rates, doch ist es nicht Morago selber, der dem Kongress die Tyrannei seines Mandats aufzwingen will?“ (Intervention von Lafargue)

[iii] James Guillaume erklärte: „Alerini meint, dass die Kommission nur moralische Überzeugungen hat, und keine materiellen Beweise; er gehörte zur Allianz und ist stolz darauf (...) ihr seid die Heilige Inquisition; wir verlangen eine öffentliche Untersuchung und stichhaltige Beweise.“

[iv] s. die Artikel „Krise im revolutionären Milieu“, Internationale Revue Nr. 8, „Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre“, Internationale Revue Nr. 22 und „Presentation of the ICC’s 5th Congress“ in der International Review Nr. 35

[v] „Der 11. Kongress der IKS: Der Kampf zur Verteidigung und zum Aufbau der revolutionären Organisation“

[vi] Dies ist der Fall beim „Cercle de Paris“, der Ende der 1990er Jahre von Ex-Militanten der IKS, welche Simon (einem Abenteurer, der 1995 aus der IKS ausgeschlossen wurde) nahestanden, gegründet wurde und ein Pamphlet mit dem Titel „Que ne pas faire“ herausgegeben hatte, welches aus einem Haufen Verleumdungen gegen unsere Organisation bestand und sie als stalinistische Sekte darstellte.

[vii] mit anderen Worten: die ständige Kommission des Zentralorgans der IKS, des Internationalen Büros (IB), das sich aus Militanten aller territorialen Sektionen zusammensetzt;

[viii] Mit anderen Worten: er nahm dasselbe Verhalten an, wie James Guillaume vor dem Haager Kongress der IAA.

[ix] Auch dieses Verhalten, eine Informationskommission einzuschüchtern, ist nicht neu: Utin, der das Verhalten Bakunins vor der Untersuchungskommission des Haager Kongresses bezeugt hatte, wurde von einem Anhänger Bakunins körperlich angegriffen.

[x] In einem Zirkular vom November 2001 an alle Sektionen listete das Internationale Büro diese Vergehen gegen unserer Statuten auf. Hier ist ein kurzer Auszug aus dieser Liste:

– „das Streuen von Informationen über interne Fragen (...);

– die Weigerung dreier Mitglieder des Zentralorgans, an Treffen teilzunehmen, wo ihre Anwesenheit aufgrund der Statuten erforderlich war;

– das Verschicken eines Bulletins an die Privatadresse von Genossen in totaler Verletzung unserer zentralisierter Funktionsmechanismen und in Verletzung unserer Statuten;

– die Weigerung, ihre Beiträge in vollem Umfang, wie er von der IKS beschlossen wurde, zu bezahlen (die Mitglieder der ‚Fraktion‘ hatten ausdrücklich beschlossen, nur 30% ihrer Beiträge zu zahlen);

– die Weigerung, die Zentralorgane über den Inhalt einer angeblichen ‚Geschichte des IS‘ in Kenntnis zu setzen, die unter bestimmten Militanten zirkulierte und die völlig unerträgliche Angriffe gegen die Organisation und einige ihrer Militanten enthält;

– Erpressung durch die Drohung, interne Dokumente der Organisation und besonders ihrer Zentralorgane außerhalb der Organisation zu veröffentlichen.“

[xi] s. „Mitteilung an unsere Leser“, Weltrevolution Nr. 111

[xii] So wie die Bakunisten den Beschluss des Haager Kongresses als einen Trick anprangerten, um sie daran zu hindern, ihre Positionen vorzustellen, denunzierte die Jonas-Kamarilla die Feststellung der IKS, dass sie die Organisation verlassen haben, als einen versteckten Ausschluss, der bezweckte, ihre Meinungsverschiedenheiten zum Schweigen zu bringen.

[xiii] Zum Beispiel versucht die „Fraktion“ nun, die Gruppen des proletarischen Milieus gegeneinander auszuspielen und ihre Unterschiedlichkeiten überzubetonen. Auf dieselbe Weise hat ihr Bulletin Nr. 11 eine schmeichelnde Verführungskampagne gegenüber Elementen des parasitären Milieus wie dem „Cercle de Paris“, dem die Mitglieder der „Fraktion“ seine Verurteilung in der Vergangenheit nachsahen, betrieben. Einmal mehr nahmen sie das Verhalten von vollendeten „anti-autoritären“ Bakunisten an, die sich ihrerseits nach dem Haager Kongress mit den „staatssozialistischen“ Lassalleanern verbündet hatten.

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Kommunistische Linke [4]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [5]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [6]

Der Kommunismus ist nicht nur eine schöne Idee, sondern eine Notwendigkeit: Die Debabtte um die "proletarische Kultur"

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Die Debatte über die „proletarische Kultur“

Die vorangegangenen Artikel dieser Reihe untersuchten, wie die kommunistische Bewegung in den 20er, 30er und 40er Jahren, den dunkelsten Jahren der Konterrevolution, darum gekämpft haben zu begreifen, was aus der ersten proletarischen Diktatur, die sich in den Grenzen eines Landes etabliert hatte, geworden war – die Sowjetmacht in Russland. Künftige Abhandlungen werden einen Blick auf die Lehren werfen, die die Revolutionäre aus dem Hinscheiden dieser Diktatur gezogen und auf ein künftiges proletarisches Regime angewendet haben. Doch bevor wir diese Richtung weiter verfolgen, müssen wir zu jenen Tagen zurückkehren, als die Russische Revolution noch am Leben war, um einen Schlüsselaspekt der kommunistischen Umwandlung zu studieren, der während dieser entscheidenden Periode aufgekommen war, wenn auch nicht gelöst wurde. Wir meinen hier die Frage der „Kultur“.

Wir tun dies nicht ohne ein gewisses Zögern, weil dieses Thema so weitläufig ist und der Begriff Kultur so oft missbraucht wird. Dies trifft vor allem auf dieses Zeitalter der Zersplitterung zu, das wir als den Zerfall des Kapitalismus bezeichnen. In früheren Phasen des Kapitalismus wurde die „Kultur“, das ist wahr,  allgemein mit der „Hochkultur“ identifiziert, mit den künstlerischen Produkten der herrschenden Klasse; eine Sichtweise, die all ihre „marginalisierten“ Ausdrücke ignoriert oder über sie hinweggeht (so sei zum Beispiel auf die klassische bürgerliche Verachtung gegenüber den kulturellen Ausdrücken von eroberten primitiven Gesellschaften hingewiesen). Heute wird uns dagegen erzählt, dass wir in einer „multikulturellen“ Welt leben, wo sämtliche kulturellen Ausdrücke gleichermaßen gültig sind und wo praktisch jeder Teilaspekt des gesellschaftlichen Lebens selbst zur „Kultur“ wird (die „Kultur der Gewalt“, die „Kultur der Raffgier“, die „Kultur der Abhängigkeiten“ usw. usw.) Solche Vereinfachungen machen es unmöglich, zu einem allgemeinen, einheitlichen Begriff der Kultur als Produkt sämtlicher Epochen der menschlichen Geschichte bzw. der menschlichen Geschichte als Ganzes zu gelangen. Ein besonders schädlicher Missbrauch dieser Haltung zur Kultur wird im aktuellen imperialistischen Konflikt in Afghanistan ersichtlich: Wir werden aufgefordert, dies als einen Konflikt zwischen Kulturen, zwischen Zivilisationen – noch genauer: zwischen der „westlichen Zivilisation“ und der „muslimischen Gesellschaft“ – anzusehen. Dies ist zweifellos eine Frage, die sich dazu eignet, den wahren Kern zu verschleiern: dass es nur eine Zivilisation auf dem Planeten gibt, die dekadente Zivilisation des Weltkapitals.

Im Gegensatz dazu definierte Trotzki im Vertrauen auf die monistische Herangehensweise des Marxismus die Kultur folgendermaßen: „Erinnern wir uns daran, dass„Kultur“ ursprünglich ein gepflügtes, bestelltes Feld im Unterschied zum Urwald und noch ungenutzten Boden bedeutete. Kultur stand im Gegensatz zur Natur, das heisst, man unterschied zwischen dem, was der Mensch durch seine Anstrengungen erwarb, und dem, was die Natur ihm schenkte. Diese Antithese ist auch heute noch von grunglegender Bedeutung.

Kultur ist alles, was vom Menschen im Laufe seiner gesamten Geschichte geschaffen, gebaut, gelernt und erobert wurde; ihr stehen die Gaben der Natur, einschliesslich der Naturgeschichte des Menschen selbst als einer Tierart, gegenüber. Die Wissenschaft, die den Menschen als ein Erzeugnis der tierischen Entwicklung erforscht, wird (biologisch) Anthropologie genannt. Doch von dem Augenblick an, in dem der Mensch sich vom Tierreich trennte – und das geschah, als er zum ersten Mal primitive Werkzueuge aus Stein und Holz ergriff und seine Glieder mit ihnen bewehrte -, begann die Schöpfung und Anhäufung von Kultur, das heisst aller Arten von Kenntnissen und Fertigkeiten im Kampf mit der Natur und zum Zweck ihrer Unterwerfung.“ (Trotzki, Kultur und Sozialismus, 1926). Dies ist in der Tat eine sehr weitgefasste Definition – eine Verteidigung der materialistischen Ansicht, dass die Entstehung des Menschen und damit die Entwicklung von der Natur zur Kultur ein Produkt sind, das so grundlegend und universal ist wie die Arbeit.

Es bleibt jedoch das Problem, dass nach dieser Definition Politik und Wirtschaft in ihrem weitesten Sinn selbst Ausdrücke der menschlichen Kultur sind und wir Gefahr laufen, den Blick dafür, worüber wir reden, zu verlieren. Jedoch hebt Trotzki in einem anderen Essay, „Der Mensch lebt nicht nur von der Politik“, hervor, dass, um das reale Verhältnis zwischen Politik und Kultur zu verstehen, es notwendig sei, neben der weitestmöglichen Definition eine „enger gefasste“ Definition der politischen Sphäre zu schaffen, „die einen bestimten Teil der sozialen Aktivitäten charakterisiert, direckt verbunden mit dem Kampf um die Macht, und entgegengesetzt der ökonomischen und kulturellen Arbeit.“Wir können ohne weiteres dasselbe über den Begriff der Kultur sagen, den swir in diesem Zusammenhang zum großen Teil auf Bereiche wie die Kunst, die Erziehung und die „Alltagsprobleme“ (der Titel einer Sammlung von Abhandlungen, die die beiden o.g. Artikel enthält) anwenden werden. Von dieser Warte aus betrachtet, erscheinen die kulturellen Aspekte der Revolution zweitrangig oder zumindest abhängig von den politischen und ökonomischen Sphären. Und dies ist in der Tat der Fall: Wie Trotzki in dem Text, den wir in dieser Ausgabe wiederveröffentlichen, zeigt, ist es närrisch, eine wirkliche kulturelle Renaissance zu erwarten, solange die Bourgeoisie noch nicht besiegt worden ist und die materiellen Grundlagen einer sozialistischen Gesellschaft noch nicht gebildet worden sind. Genauso stellt Letztere, auch wenn wir das Problem der Kultur weiterhin auf das Reich der „Kunst“ einengen, die tiefsten Fragen über die Natur der Gesellschaft, die die Revolution zu bilden beabsichtigt. Es ist zum Beispiel kein Zufall, dass Trotzkis ausgefeiltester Beitrag zur marxistischen Theorie der Kunst, „Literatur und Revolution“, mit einer ausführlichen Vision über die Natur des Menschen in einer fortgeschrittenen kommunistischen Gesellschaft schließt. Denn wenn Kunst der Ausdruck der menschlichen Kreativität par excellence ist, dann verschafft sie uns einen unersetzlichen Schlüssel zum Verständnis darüber, wie die menschliche Gattung sein wird, wenn sie einmal die Ketten der Klassenausbeutung endgültig gebrochen hat.

Um uns selbst in diesem riesigen Bereich zu orientieren, beabsichtigen wir, uns eng an Trotzkis Schriften über diese Angelegenheit zu halten, die zwar nicht so bekannt sind, aber mit Sicherheit den klarsten Rahmen zu schaffen, um die Vorgehensweise bei diesem Problem herzuleiten.[i] Und ehe wir mit eigenen Worten formulieren, was Trotzki selbst bereits gesagt hatte, wollen wir lange Auszüge aus zwei Kapiteln von Literatur und Revolution wiederveröffentlichen. Das zweite dieser Kapitel konzentriert sich auf sein anregendes Porträt einer zukünftigen Gesellschaft. In dieser Internationalen Revue veröffentlichen wir einen Auszug aus dem ersten dieser Kapitel mit dem Titel „Was ist proletarische Kultur und ist sie möglich“, das eine besonders wichtige Komponente in Trotzkis Beitrag zur Debatte über die Kultur innerhalb der bolschewistischen Partei und der revolutionären Bewegung in Russland ist. Um diesen Beitrag richtig einzuschätzen, ist es notwendig, seinen historischen Hintergrund zu beschreiben.

Die Debatte über die „proletarischKultur“ im revolutionären Rusland

Die Tatsache, dass die Kulturdebatte keinesfalls zweitrangig war, wird durch die Tatsache veranschaulicht, dass sie Lenin dazu veranlasste, die folgende Resolution zu entwerfen, die auf dem Proletkult-Kongress 1920 von der kommunistischen Fraktion vorgestellt wurde:

1. In der Sowjetrepublik der Arbeiter und Bauern muss das gesamte Bildungswesen, sowohl auf dem Gebiet der politischen Bildung im allgemeinen als auch auf dem Gebiet der Kunst im besonderen, vom Geist des Klassenkampfes durchdrungen sein, den das Proletariat zur Verwirklichung der Ziele seiner Diktatur führt, d. h. für den Sturz der Bourgeoisie, für die Aufhebung der Klassen, für die Abschaffung jeglicher Ausbeutung des Menschen durch den menschen.

2. Deshalb muss das Proletariat sowohl durch seine Vorhut, die Kommunistische Partei, als auch durch die ganze Masse der verschiedenen proletarischen Organisationen überhaupt als aktivste und ausschlaggebende Kraft an der gesamten Volksbildung mitwirken.

3. Die ganze Erfahrung der neueren Geschichte und insbesondere der über ein halbes Jahrhundert währende revolutionäre Kampf des Proletariats aller Länder seit dem Erscheinen des „Kommunistischen Manifests“ haben unwiderleglich bewiesen, dass nur die Weltanschauung des Marxismus die Interessen, die Auffassungen und die Kultur des revolutionären Proletariats richtig zum Ausdruck bringt

4. Der Marxismus hat seine weltgeschichtliche Bedeutung als Ideologie des revolutionären Proletariats dadurch erlangt, dass er die wertvollsten Errungenschaften des bürgerlichen Zeitalters keineswegs ablehnt, sondern sich umgekehrt alles, was in der mehr als zweitausendjährigen Entwicklung des menschlichen Denkens und der menschlichen Kultur wertvoll war, angeeignet und es verarbeitet. Nur die weitere Arbeit auf dieser Grundlage und in dieser Richtung, inspiriert durch die praktische Erfahrung der Diktatur des Proletariats, dieses seines letzten Kampfes gegen jegliche Ausbeutung, kann als Aufbau einer wirklichen Kultur anerkannt werden.

5. Der gesamtrussische Kongress des Proletkult, der diesen prinzipiellen Standpunkt unwandelbar vetritt, weist alle Versuche, eine eigene, besondere Kultur auszuklügeln, sich in eigenen, abgesonderten Organisationen abzukapseln, die Arbeitsgebiete des Volkskommisariats für Bildungswesen und des Proletkults voneinander abzugrenzen oder eine „Autonomie„ des Proletkults innerhalb der Institutionen des Volkskommissariats für Bildungswesen herzustellen usw., als theoretisch falsch und praktisch schädlich aufs entschiedenste zurück. Der Kongress macht es im Gegenteil allen Organisationen des Proletkults zur unabdingbaren Pflicht, sich alsHilfsorgane des Volkskommissariats für Bildungswesen zu betrachten und ihre Aufgaben, die einen Teil der Aufgaben der Diktatur des Proletariats bilden, unter der allgemeinen Leitung der Sowjetmacht (Insbesondere des Volkskommissariats für Bildungswesen) und der Kommunistischen Partei Russlands zu lösen.“ (Lenin, Resolutionsentwurf, Bd. 31, S. 307)   

Die Bewegung der proletarischen Kultur, kurz: Proletkult, war 1917 mit der Absicht gebildet worden, eine politische Orientierung für die kulturelle Dimension der Revolution zu schaffen. Sie wird häufig mit Alexander Bogdanow in Verbindung gebracht, der ein Mitglied der bolschewistischen Fraktion in in ihren ersten Jahren gewesen war, aber mit Lenin über eine Reihe von Themen aneinander geraten war, und zwar nicht nur über die Bildung der Ultimatistischen[ii] Gruppe nach 1905, sondern auch, was viel bekannter ist, über Bogdanows Verarbeitung der Ideen Machs und Avenarius im Reich der Philosophie und, etwas allgemeiner, über seine Bemühungen, den Marxismus mit vielfältigen theoretischen Systemen wie sein Begriff der „Strukturlehre“ zu vervollständigen. Wir können hier nicht auf jedes Detail im Denken Bogdanows eingehen; nach dem bisschen, was wir darüber wissen (nur bestimmte Arbeiten sind aus dem Russischen übersetzt worden), war er trotz seiner Mängel in der Lage, einige wichtige Einsichten zu entwickeln – insbesondere über die Frage des Staatskapitalismus in der Epoche des kapitalistischen Niedergangs. Genau aus diesem Grund verlangen seine Ideen eine viel ausführlichere Kritik, und zwar von einem deutlich proletarischen Standpunkt aus.[iii] Proletkult war jedoch keineswegs auf Bogdanow begrenzt; Bucharin und Lunascharski, um nur die beiden führenden Bolschewiki zu nennen, waren ebenfalls mit der Organisation verbunden und teilten nicht immer Lenins Standpunkt über sie. Bucharin z.B., dem es oblag, die Resolution auf dem Proletkult- Kongress zu präsentieren, beanstandete bestimmte Elemente in Lenins Resolutionsentwurf, die daraufhin in einer etwas modifizierten Form präsentiert wurde.

Proletkult blühte während der heroischen Phase der Revolution auf, als die Entfesselung der revolutionären Energien einer riesigen Welle von Ausdrücken und des Experimentierens an der Künstlerfront Auftrieb gab, wobei viele von ihnen sich ausdrücklich mit der Revolution identifizierten. Darüber hinaus beschränkte sich das Phänomen nicht auf Russland, wie die Entwicklung von Bewegungen wie den Dadaismus und den Expressionismus in Deutschland oder etwas später den Surrealismus in Frankreich und anderswo bezeugte. In den Jahren zwischen 1917 und 1920 schnellte die Mitgliederzahl des Proletkults auf ungefähr eine halbe Million hoch, mit über 30 Zeitschriften und ungefähr 300 Gruppen. Für Proletkult war der Kampf an der kulturellen Front genauso wichtig wie der Kampf an der politischen und ökonomischen Front. Er sah sich selbst als führende Kraft im Kulturkampf, während die Partei den politischen Kampf und die Gewerkschaften den wirtschaftlichen Kampf anführten. Er schuf zahlreiche Studios, damit Arbeiter zusammenkommen und sich an Experimenten in Malerei, Musik, im Drama, in der Poesie und in anderen Kunstbereichen beteiligen konnten und gleichzeitig zu neuen Formen des Gemeinschaftslebens, der Erziehung und so weiter ermutigt wurden. Es sollte betont werden, dass die Explosion des gesellschaftlichen und kulturellen Experimentierens in Russland während dieser Periode sich viel weiter erstreckte als der Proletkult selbst und unter anderem Namen auftrat. Doch die Bedeutung der Diskussionen im Proletkult damals und heute liegt darin, dass er versuchte, diese Phänomene innerhalb einer marxistischen Interpretation festzulegen. Die sich dahinter verbergende Leitidee war, wie der Name andeutet, dass das Proletariat, wenn es sich vom Joch der bürgerlichen Ideologie befreien sollte, seine eigene Kultur entwickeln musste, die auf einem radikalen Bruch mit der hierachischen Kultur der alten herrschenden Klasse basierte. Proletarische Kultur würde egalitär und kollektiv sein, während bürgerliche Kultur elitär und individualistisch ist; so wurden z.B. Experimente mit Orchestern ohne Dirigenten und mit kollektiv geschaffenen Gedichten und Gemälden unternommen. Zusammen mit der futuristischen Bewegung, mit der Proletkult eine enge, aber manchmal auch kritische Beziehung unterhielt, gab es eine starke Neigung, alles zu erhöhen, das modern, urban und Maschinen gestützt war, im Gegensatz zu den ländlichen Vorlieben für das Mittelalter, die bis dahin die russische Kultur dominiert hatten.

Die Kulturdebatte wurde zu einer brennenden Frage in der Partei, nachdem der Bürgerkrieg siegreich beendet worden war. Es war dieser Punkt, an dem Lenin begann, die Bedeutung des Kulturkampfes zu betonen: „...und zugleich müssen wir zugeben, dass sich unsere Auffassung vom Sozialismus grundlegend geändert hat. Diese grundlegende Änderung besteht darin, dass wir früher das Schwergewicht auf den politischen Kampf, die Revolution, die Eroberung der Macht usw. legten und auch legen mussten. Heute dagegen ändert sich das Schwergewicht soweit, dass es auf die friedliche organisatorische ‚Kultur‘arbeit verlegt wird. Ich würde sagen, dass sich das Schwergewicht für uns auf blosse Kulturarbeit verschiebt, gäbe es nicht die internationalen Beziehungen, hätten wir nicht die Pflicht, für unsere Position in internationalem Masstab zu kämpfen. Wenn man aber davon absieht und sich auf die inneren ökonomischen Verhältnisse beschränkt, so reduziert sich bei uns jetzt das Schwergewicht der Arbeit tatsächlich auf blosse Kulturarbeit.“ (LW, Bd. 33, Seite 460)

Doch für Lenin hatte dieser Kulturkampf eine andere Bedeutung als für Proletkult, da er mit dem Wechsel von der Periode des Bürgerkriegs zur Wiederaufbauperiode der NEP verbunden war. Für Lenin bestand das Problem, dem sich die Sowjetmacht gegenübersah, nicht in der Schaffung einer neuen proletarischen Kultur: Diese erschien ihm in Anbetracht der internationalen Isolation des russischen Staates und der fürchterlichen kulturellen Rückständigkeit der russischen Gesellschaft (Unwissenheit, Vorherrschaft von Religionen und „asiatischer“ Gebräuche, etc.) völlig utopisch. Für Lenin mussten die russischen Massen erst das Laufen lernen, bevor sie rennen konnten, was bedeutete, dass sie noch nicht den Schritt zur Verinnerlichung der wichtigsten Errungenschaften der bürgerlichen Kultur gemacht, geschweige denn eine proletarische geschaffen hatten. Diese Vorgehensweise entsprach der Forderung, dass das Sowjetregime zu lernen habe, wie man Handel treibt: Mit anderen Worten, es sollte von den Kapitalisten lernen, um in einer kapitalistischen Umgebung zu überleben. Gleichzeitig war Lenin in wachsendem Maße darüber besorgt, dass das Wachstum der Bürokratie ein direktes Resultat der kulturellen Rückständigkeit Russlands war: Der Kampf für kulturellen Fortschritt war also auch ein Bestandteil des Kampfes gegen die wachsende Bürokratie. Aus diesem Grund konnte nur ein gebildetes und kulturelles Proletariat das staatliche Management in die eigenen Hände nehmen. Gleichzeitig wurde die neue Bürokratenschicht größtenteils als ein Auswuchs des bäuerlichen Konservatismus in Russland und des Mangels an moderner Kultur betrachtet.

Die auf dem Proletkult-Kongress vorgebrachte Resolution schien, obgleich sie vor der Annahme der NEP (Neue ökonomische Politik) verfasst worden war, diesen Sorgen Rechnung zu tragen. Ihr stärkster Punkt war, dass sie darauf beharrte, dass der Marxismus die kulturellen Errungenschaften der Vergangenheit keinesfalls ablehnte, sondern tatsächlich all das Gute aus ihnen verinnerlichte. Dies war eine klare Zurückweisung des „Ikonologismus“ von Proletkult, seiner Tendenz, alle vorherigen kulturellen Entwicklungen zu leugnen. Auch wenn Bogdanow selbst sich dieser Frage differenzierter annäherte, so gibt es doch keinen Zweifel, dass die immediatistische und ouvrieristische Haltung in Proletkult weit verbreitet war. Auf seiner ersten Konferenz wurde z.B. die Ansicht ausgedrückt, dass „alle Kultur der Vergangenheit als bürgerlich bezeichnet werden kann, dass dabei – ausser den Naturwissenschaften und technischen Kenntnissen (...) nichts lohnendes zu retten sei, und dass das Proletariat seine Arbeit mit der Zerstörung der alten Kultur beginnen und unmittelbar nach der Revolution mit dem Aufbau einer neuen fortfahren soll“ (aus: „Revolutionary Dreams: Utopian Vision and Experimental Life in the Russian Revolution“ von Richard Stites 1989 – eine sehr sorgfältige Untersuchung der zahlreichen kulturellen Experimente in den frühen Jahren der Revolution). In Tambow planten 1919 „die lokalen Anhänger des Proletkult alle Bücher in den Bibliotheken zu verbrennen und glaubten, dass mit dem beginnenden neuen Jahr die Regale nur noch mit proletarischen Werken aufgefüllt würden.“ (ebenda).

Entgegen dieser vergangenheitsbezogenen Sichtweise beharrte Trotzki in „Literatur und Revolution“ darauf, „...dass wir Marxisten immer mit der Tradition gelebt haben und dass wir gerade deshalb Revolutionäre geworden sind“. Die Überhöhung des Proletariats, wie es zu einem beliebigen Zeitpunkt ist, war nie die Haltung der Marxisten gewesen, die das Proletariat in seiner historischen Dimension betrachten, welche die entfernteste Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, wenn das Proletariat sich in der menschlichen Gemeinschaft auflösen wird, umschließt. Mittels sprachlicher Ironie wurde aus Proletkult oft „ein Kult des Proletariats“, der nur äußerlich radikal ist und leicht eingeholt werden kann vom Opportunismus, welcher auf einer beschränkten und unmittelbaren Vision der Klasse aufblüht. Derselbe Ouvrierismus fand seinen Ausdruck in der Neigung Proletkults zu behaupten, dass die proletarische Kultur nur das Produkt der Industriearbeiter sein könne. Doch wie Trotzki in Literatur und Revolution feststellte, waren die besten Künstler nicht notwendigerweise Arbeiter; die gesellschaftliche Dialektik, welche die radikalsten Kunstwerke herstellt, ist weitaus komplexer als die reduktionistische Ansicht, dass sie von den individuellen Mitgliedern der revolutionären Klasse kommen müsse. Dasselbe, wollen wir hinzufügen, trifft auf das Verhältnis zwischen der sozialen und politischen Revolution des Proletariats einerseits und neuen künstlerischen Durchbrüchen zu: Es gibt eine grundlegende Verbindung zwischen beiden, aber sie ist weder mechanisch noch national. Zum Beispiel: Während Proletkult versuchte, eine neue, „proletarische“ Musik in Russland zu kreieren, fand mit dem Durchbruch des Jazz eine der durchschlagendsten Entwicklungen in zeitgenössischer Musik im kapitalistischen Amerika statt.

Lenins Resolution drückte auch seinen unversöhnlichen Gegensatz zur Neigung von Proletkult aus, sich selbst auf autonome Weise, fast wie eine eigene Partei, mit Kongressen, einem Zentralkomitee und so weiter, zu organisieren. Und in der Tat schien diese Organisationsweise auf einer realen Verwechslung zwischen politischer und kultureller Sphäre zu beruhen, eine Tendenz, die beiden zu verschmelzen, und, im Falle Bogdanows, gar eine Versuchung, die kulturelle Sphäre als die wichtigere anzusehen.

Wir sollten dabei allerdings immer kritisch im Auge behalten, dass es sich hier um jene Periode handelte, in der Lenin sich feindlich gegen jede Form des Dissidententums in der Partei wandte. Wie wir in früheren Artikeln dieser Reihe bemerkt hatten, wurden 1921 die „Fraktionen“ verbannt, und linke Gruppen und Strömungen innerhalb der Partei gerieten ins volle Feuer, das 1923 in der physischen Repression gegen linkskommunistische Gruppen kulminierte. Und einer der Gründe für Lenins unüberbrückbaren Gegensatz zu Proletkult bestand darin, dass Letztere dazu neigte, zu einer Anlaufstelle für gewisse Dissidenten in und rund um der Partei zu werden. Die Betonung des Egalitarismus und der spontanen Kreativität der Industriearbeiter durch Proletkult kreuzte sich mit den Ansichten der Arbeiteropposition, und 1921 ließ eine Gruppe, die sich die Kollektivisten nannte, einen Text auf dem Proletkult-Kongress herumgehen, in dem neben der Sympathie für die Arbeiteropposition wie auch für Proletkult auch die Ansichten Bogdanows über die Philosophie und seine Analyse des Staatskapitalismus vertreten wurde, die eigentlich die NEP kritisierte. Ein Jahe später stellte die Gruppe Arbeiterwahrheit ähnliche Ansichten vor; Bogdanow wurde wegen Verwicklung in letztgenannter Gruppe kurzzeitig inhaftiert, obwohl er abstritt, sie in irgendeiner Weise unterstützt zu haben. (Nach dieser Episode zog sich Bogdanow aus der aktiven Politik zurück und konzentrierte sich auf die wissenschaftliche Arbeit.) So ist Lenins Beharren darauf, dass Proletkult sich selbst mehr oder minder in der staatlichen „Kulturinstitution“, dem Volkskommissariat für Erziehung, aufzulösen habe, in diesem Zusammenhang zu betrachten.

Unserer Ansicht nach ist die direkte Unterordnung der künstlerischen Bewegungen unter den Übergangsstaat nicht die richtige Antwort auf die Verwechslung zwischen der künstlerischen und der politischen Sphäre; tatsächlich neigt sie dazu, beides zu vermischen. Laut Senowia Sochor in Revolution und Kultur war Trotzki gegen Lenins Bemühungen, Proletkult im Staat verschwinden zu lassen, auch wenn er mit vielen Kritiken Lenins an Proletkult übereinstimmte; in „Literatur und Revolution“ stellt er eine deutlichere Grundlage zur Bestimmung der kommunistischen Politik gegenüber der Kunst vor: „Die marxistische Methode bietet die Möglichkeit, die Entwicklungsbedingungen für die neue Kunst zu beurteilen, all ihre Quellen zu beobachten und die fortschrittlichsten unter ihnen durch kritische Durchleuchtung der Wege zu unterstützen – mehr aber nicht. Die Kunst muss ihre Wege auf eigenen Füssen zurücklegen. Die Methoden des Marxismus sind nicht die Methoden der Kunst. Die Partei lenkt das Proletariat, nicht den historischen Prozess. Es gibt Gebiete, auf denen sie kontrolliert und fördert. Und es gibt Gebiete auf denen sie nur fördert. Es gibt schliesslich Gebiete, auf denen sie sich nur orientiert. Auf dem Gebiet der Kunst ist die Partei nicht berufen zu kommandieren. Sie kann kann und soll schützen, fördern und lediglich indirekt lenken. Sie kann und soll den verschiedenen Künstlergruppen, die sich aufrichtig um eine Annäherung an die Revolution bemühen, den bedingten Kredit ihres Vertrauens gewähren, um ihre künstlerische Gestaltung zu fördern. Und schon auf keinen Fall kann und wird die Partei sich auf den Standpunkt einer literarischen Clique stellen, die andere literarische Cliquen bekämpft, teilweise einfach nur, weil sie Konkurrenten sind.“ (Kapitel 7 „Die Parteipolitik in der Kunst“) 1938 äußerte sich Trotzki in Erwiderung auf die nazistischen und stalinistischen Absichten, die Kunst auf ein bloßes Anhängsel der Staatspropaganda zu reduzieren, noch deutlicher: „Wenn zur besseren Entwicklung der materiellen Produktion die Revolution ein sozialistisches Regime mit einer zentralisierten Kontrolle aufbauen muss, so muss zur Entwicklung der intelektuellen Kreativität ein Regime der individuellen Freiheit im anarchistischen Sinne etabliert werden. Keine Autorität, kein Diktat, nicht die geringsten Order von oben.“ (ebenda)

Trotzki ging auch bei dem allgemeinen Problem der proletarischen Kultur tiefer als Lenin: Während Lenins Resolution Raum für diese Auffassung ließ, lehnte sie Trotzki rundweg ab; und er tat dies auf der Basis gründlicher Überlegungen über die Natur des Proletariats als die erste revolutionäre Klasse in der Geschichte als eigentumslose und ausgebeutete Klasse. Dieses Verständnis, ein Schlüssel, um praktisch jeden Aspekt des proletarischen Klassenkampfes zu begreifen, wird in jenem Auszug aus „Literatur und Revolution“ äußerst deutlich aufgeführt, den wir im Anschluss an diesem Artikel veröffentlichen. Es gibt auch eine sehr kurze Zusammenfassung dieser Thesen über proletarische Kultur in der kurzen Einleitung zu diesem Buch: „Es ist grundfalsch, der bürgerlichen Kultur und der bürgerlichen Kunst die proletarische Kultur und die proletarische Kunst gegenüberzustellen. Diese letztgenannte wird es überhaupt nicht geben, da das proletarische Regime provisorisch, vorübergehend ist. Der historische Sinn und die moralische Grösse der proletarischen Revolution bestehen darin, dass sie den Grundstein für eine klassenlose, ersmals wahrhafte menschliche Kultur legt.“

„Literatur und Revolution“ wurde in der Periode von 1923–24 verfasst – mit anderen Worten, in genau jener Periode, in welcher der Kampf der Linken gegen die emporkommende stalinistische Bürokratie ernst zu werden begann. Trotzki schrieb dieses Buch in seinem Sommerurlaub. In gewisser Weise vermittelt es ein Bild von den Spannungen und Anstrengungen in der täglichen „politischen“ Auseinandersetzung innerhalb der Partei. Doch in einer anderen Beziehung war es auch Teil des Kampfes gegen den Stalinismus. Nachdem der ursprüngliche Proletkult im Anschluss an der Parteikontroverse 1920–21 einem rapiden Niedergang anheimfiel, erlebten Teile von ihm Mitte der 20er Jahre eine Wiedergeburt als falscher Radikalismus, der eines der Gesichter des Stalinismus ist. So verschaffte 1925 einer seiner Ableger, die Gruppe Proletarische Schriftsteller eine „kulturelle“ Ausrede für die Kampagne der Bürokratie gegen den Trotzkismus: „Trotski leugnet die Möglichkeit einer proletarischen Klassenkultur und Kunst mit dem Argument, dass wir auf eine klassenlose Gesellschaft zuschreiten. Doch mit demselben Argument verwerfen die Menschewiki die Notwendigkeit der Klassendiktatur, eines Klassenstaates und so fort. Die Standpunkte Trotzkis und Voronskis sind Trotzkismus angewandt auf Fragen der Ideologie und der Kunst“. Hier dient die Phraseologie der „Linken“ über eine Kunst ausserhalb von Klassen zur Kaschierung von opportunistischen Beschneidungen der kulturellen Aufgaben des Proletariates“. An anderer Stelle behauptete sie, dass „...der bemerkenswerte Erfolg der proletarischen Literatur nur durch den politischen und wirtschaftlichen Fortschritt detr arbeitenden Massen in der Sowjetunion möglich war.“ (“First Phase of the Cultural Revolution in Soviet Russia“, Wiliam G. Rosenberg, 1990). Doch dieses „politische und kulturelle Wachstum“ wurde nun unter dem Banner des „Sozialismus in einem Land“ ausgeführt. Stalins monströse  ideologische Revision, die die Diktatur des Proletariats mit dem Sozialismus verschmolz, um beide zu untergraben, erlaubte so gewissen Strängen von Proletkult zu behaupten, dass auf den Fundamenten einer sozialistischen Wirtschaft die proletarische Kultur tatsächlich errichtet worden sei.

Auch Bucharin lehnte Trotzkis Kritik der proletarischen Kultur ab, und zwar aus dem Grund, weil er nicht verstand, dass die Übergangsperiode zur kommunistischen Gesellschaft ein äußerst lang hingezogener Prozess sein kann. Infolge des Phänomens der ungleichen Entwicklung würde die Periode der proletarischen Diktatur lang genug dauern, so dass eine gesonderte proletarische Kultur entstehen kann. Dies war auch die theoretische Grundlage für die Abschaffung der Perspektive der Weltrevolution zugunsten des Aufbaus des „Sozialismus“ im isolierten Russland[iv].

Das blutige und grausame Register der stalinistischen Staaten auf der politischen und wirtschaftlichen Ebene ist Beweis genug, dass das, was in diesen Ländern aufgebaut wurde, nicht das Geringste mit Sozialismus zu tun hat. Doch die völlige kulturelle Leere dieser Regimes, ihre Unterdrückung aller wirklichen künstlerischen Kreativität zugunsten der ekelerregendsten Art des totalitären Kitsches liefert eine weitere Bestätigung, dass sie niemals ein Ausdruck des Fortschritts zu einer wahrhaft menschlichen Kultur war, sondern ein besonders brutales Produkt dieses senilen und morbiden kapitalistischen Systems. Die Art und Weise, wie der stalinistische Apparat in Russland ab den 30er Jahren das ganze „avantgardistische“ Experimentieren in Kunst und Erziehung ablegte, ist zusammen mit der so genannten „Kulturrevolution“ in den 60er Jahren in China der wohl schlagendste Beweis dafür. Die traurige Geschichte der stalinistisch-maoistischen Leviathane bieten keine sonst wie gearteten Lehren über die kulturellen Themen, mit denen die Arbeiterklasse in der zukünftigen Revolution konfrontiert ist.                                                                                                 

CDW


[i] Eines der Resultate der Konterrevolution ist, dass die linkskommunistische Tradition, die den Marxismus während dieser Periode bewahrte und weiterentwickelte, wenig Zeit und Gelegenheit hatte, den allgemeinen Bereich von Kunst und Kultur zu untersuchen; und jene Beiträge, die geleistet worden waren (z.B. Rühle, Bordiga und andere), harren ihre Ausgrabung und Synthese.

[ii] Die „Ultimatisten“ waren zusammen mit den „Otsovisten“ eine Tendenz innerhalb des Bolschewismus, die nicht mit den parlamentarischen Taktiken der Partei nach dem Aufstand von 1905 einverstanden waren. Der Streit mit Lenin über Bogdanows philosophische Motive erhitzte sich, als er mit den mehr direkten politischen Divergenzen kombiniert wurde, und endete mit dem Ausschluss Bogdanows aus der bolschewistischen Gruppe 1909. Bogdanows Gruppe verblieb innerhalb der breiteren russischen solzialdemokratischen Partei und veröffentliche die Zeitschrift Vpered (Vorwärts) für die nächsten paar Jahre. Auch hier muss eine kritische Geschichte dieser frühen „linken“ Trends im Bolschewismus erst noch geschrieben werden.

[iii] siehe dazu: Revolution and Culture, The Bogdanov-Lenin Controversy von Senovia Sochor, Cornell University, 1988; um sich ein Bild über die Hauptunterschiede zwischen Lenin und Bogdanow zu machen. Der Ausgangspunkt des Autors ist jedoch eher akademisch als revolutionär. In der Frage des Staatskapitalismus verhielt sich Bogdanow kritisch gegenüber Lenins Neigung, ihn als eine Art Vorzimmer zum Sozialismus zu betrachten, und schien ihn als einen Ausdruck des kapitalistischen Abstiegs anzuerkennen (Kap. 4 in o.g. Schrift).

[iv] s. Isaac Deutscher, Der unbewaffnete Prophet.   Deutschers Kapitel über Trotzkis Schriften über die Kultur ist genauso brillant wie der Rest der Biographie, und wir haben ausgiebig davon für diesen Artikel Gebrauch gemacht. Es enthüllt jedoch auch das tragische Schicksal des Trotzkismus. Deutscher stimmt zu 99% der Ansicht Trotzkis über „proletarische Kultur“ zu, macht jedoch eine höchst bedeutende Konzession gegenüber Bucharins Idee, dass ein isoliertes „Übergangsregime“ jahrzehntelang oder länger existieren könne. Laut Deutscher und dem Nachkriegs-Trotzkismus waren die stalinistischen Regimes, die außerhalb der UdSSR etabliert wurden, genauso wie die UdSSR selbst allesamt „Arbeiterstaaten“, gefangen in einer etwas zwielichtigen Welt zwischen einer proletarischen Revolution zur nächsten – und „Trotzki unterschätzte zweifellos die Dauer der Diktatur des Proletariates und den damit unvermeidlich verbundenen bürokratischen Charakter.“ In Wahrheit war dies nichts anderes als eine kritische Verteidigung des stalinistischen Staatskapitalismus.

Theoretische Fragen: 

  • Kultur [7]

Dokumente aus dem Organisationsleben: Die Frage der Funktionsweise in der IKS

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Die Frage der Funktionsweise der Organisation in der IKS

Die IKS hat kürzlich eine Außerordentliche Konferenz abgehalten, die den Organisationsfragen gewidmet war. In unserer Territorialpresse und in der nächsten Ausgabe der Internationalen Revue werden wir auf die Arbeit dieser Konferenz zurückkommen. Da die hier behandelten Fragen große Ähnlichkeiten mit bereits in der Vergangenheit behandelten aufweisen, sahen wir es als nützlich an, Auszüge aus einem internen Dokument (das von der IKS einstimmig angenommen worden war) zu veröffentlichen, das als Grundlage im Kampf zur Verteidigung der Organisation diente. Wir haben diese Auseinandersetzung in den Jahren 1993–1995 geführt und darüber auch in der International Review Nr. 82 (engl./frz./span. Ausgabe) anlässlich des 11. Kongresses der IKS Rechenschaft abgelegt.
Der auf der Vollversammlung des IB1 im Oktober 1993 vorgelegte Aktivitätenbericht stellt die Existenz bzw. das Fortdauern von organisatorischen Schwierigkeiten in einer großen Anzahl von Sektionen der IKS fest. Der Bericht für den 10. Internationalen Kongress hatte bereits in aller Ausführlichkeit diese Schwierigkeiten behandelt. Er hatte vor allem auf die Notwendigkeit einer größeren internationalen Einheit der Organisation, auf eine lebendigere und strengere Zentralisation bestanden. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten sind ein Beweis dafür, dass die damals eingeleiteten, diesbezüglichen Anstrengungen nicht ausreichend waren. Die im Verlauf der letzten Periode verzeichneten Unregelmäßigkeiten in der Funktionsweise bringen das Vorhandensein von Verzögerungen und Lücken im Verständnis dieser Fragen zum Ausdruck. Wir haben den Rahmen unserer Prinzipien in Organisationsfragen aus den Augen verloren. Diese Situation verlangt von uns die Verantwortung, die auf dem 10. Kongress aufgeworfenen Fragen nach tiefgreifender anzugehen. Es ist notwendig, dass die Organisation, die Sektionen und alle Militanten sich nochmals über diese Grundfragen und besonders über die Prinzipien beugen, die eine für den Kommunismus kämpfende Organisation benötigt.
Ein solches Nachdenken war bereits im Anschluss an die Krise von 1981/82, von der die IKS damals erschüttert wurde (Verlust der Hälfte der Sektion in Großbritannien, Verlust von ca. 40 Militanten), erfolgt. Die Grundlage dieser Reflexionen hatte der Bericht über „Die Struktur und die Funktionsweise der Organisation“ (Internationale Revue Nr. 22), der auf der Außerordentlichen Konferenz im Januar 1982  angenommen worden war, gebildet. In diesem Sinn bleibt dieses Dokument nach wie vor ein Bezugspunkt für die Gesamtheit der Organisation2. Der nun folgende Text ist als Zusatz, Illustration und Aktualisierung (aufgrund der inzwischen gemachten Erfahrungen) des Textes von 1982 zu verstehen. Insbesondere möchte er die Aufmerksamkeit der Organisation und der Militanten auf die Erfahrung nicht nur der IKS, sondern auch anderer revolutionärer Organisationen in der Geschichte lenken.

1. Die Wichtigkeit des Problems in der Geschichte

Die Frage der Struktur und der Funktionsweise der Organisation stellte sich in allen Phasen der Arbeiterbewegung. Jedesmal waren die Auswirkungen dieser Fragestellung von größter Bedeutung. Dies ist kein Zufall. In der Organisationsfrage findet man auf konzentrierte Weise eine ganze Reihe von wichtigen Aspekten der revolutionären Perspektive des Proletariats:
die Grundeigenschaften der kommunistischen Gesellschaft und der Beziehungen, die sich unter ihren Mitgliedern herausbilden;
das Wesen des Proletariats als Erschaffer des Kommunismus;
die Natur des Klassenbewusstseins, die Eigenschaften seiner Entwicklung sowie seine Vertiefung und Ausdehnung in der Klasse;
die Rolle der kommunistischen Organisation im Prozess der Bewusstseinsbildung im Proletariat.
Die Folgen der Entwicklung von Meinungsverschiedenheiten zu Organisationsfragen wirken sich oft dramatisch oder sogar katastrophal auf das Leben der politischen Organisationen des Proletariats aus. Das ist so aus folgenden Gründen:
Solche Meinungsverschiedenheiten sind in letzter Instanz Anzeichen des Eindringens von dem Proletariat feindlich gesinnten Ideologien, die aus der Bourgeoisie oder dem Kleinbürgertum stammen.
Mehr als in anderen Fragen wirken sich Meinungsverschiedenheiten hier notwendigerweise auf die Funktionsweise der Organisation aus; sie können gar ihre Einheit und Existenz überhaupt bedrohen.
Insbesondere neigen sie dazu, eine persönliche und somit emotionale Form anzunehmen.
Unter den vielen historischen Beispielen dieses Phänomens wollen wir zwei der bekanntesten herausgreifen:
den Konflikt zwischen dem Generalrat der I. Internationalen und der Allianz;
die Spaltung zwischen Bolschewiki und Menschewiki während des 2. Kongresses der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) 1903.
Im ersten Beispiel ist es klar, dass die Bildung der Internationalen Allianz für die sozialistische Demokratie innerhalb der I. Internationalen ein Ausdruck des Einflusses der kleinbürgerlichen Ideologie war, mit der die Arbeiterbewegung sich in ihren ersten Schritten immer wieder auseinandersetzen musste. Es ist also keineswegs ein Zufall, wenn sich die Allianz hauptsächlich aus Vertretern von Handwerkern (Uhrenarbeiter aus dem Schweizer Jura beispielsweise) oder aus Gebieten, in denen das Proletariat noch schwach entwickelt war (wie in Italien und hauptsächlich in Spanien), zusammensetzte.
Die Bildung der Allianz stellte für die Gesamtheit der I. Internationalen aus folgenden Gründen eine Gefahr dar:
Sie war eine „Internationale in der Internationalen“ (Marx), die zugleich innerhalb und ausserhalb derselben existierte, was für sich selbst schon eine Infragestellung der Einheit bedeutete.
Sie arbeitete klandestin und setzte ihr Treiben trotz des Auflösungsbeschlusses der I. Internationalen fort.
Sie widersetzte sich den Auffassungen der I. Internationalen auf Organisationsebene, hauptsächlich in der Frage der Zentralisierung (Verteidigung des Föderalismus), obwohl sie selbst übrigens ultrazentralistisch in Gestalt des mit eiserner Hand von Bakunin beherrschten Zentralkomitees funktionierte. Sie forderte von ihren Mitgliedern „die strengste Disziplin auf der Grundlage der totalen Selbstverleugnung und Selbstaufopferung“ (Bakunin).
Die Allianz stellte eine totale Verneinung der Grundlagen dar, auf denen die Internationale gegründet worden war. Um zu verhindern, dass sie in die Hände der Allianz fällt und zerstört wird, haben Marx und Engels auf dem Kongress von Den Haag 1872 den Vorschlag gemacht, ihren Sitz nach New York zu verlegen, dem der Generalrat zustimmte. Sie wussten, dass diese Verlegung zu einem langsamen Absterben der I. Internationalen führen würde (was 1872 auch geschah). Nach der Niederschlagung der Pariser Kommune, die einen schweren Rückschlag für die Klasse bewirkte, haben sie dieses Ende einer Degenerierung vorgezogen, die alle positiven Errungenschaften der Jahre 1864 bis 1872 diskreditiert hätte.
Der Konflikt zwischen der I. Internationalen und der Allianz hat sich sehr stark um Marx und Bakunin personalisiert. Letzterer, der der Internationalen erst 1868 nach seiner gescheiterten Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Demokraten in der Liga für Frieden und Freiheit beitrat, beschuldigte Marx, Diktator des Generalrats und somit der gesamten IAA zu sein.3 Das war eine vollständig falsche Anschuldigung (es reicht aus, hierzu die Protokolle der Treffen des Generalrats und der Kongresse der Internationalen zu studieren). Marx seinerseits hat völlig richtig die Intrigen des heimlichen Chefs der Allianz denunziert. Diese Intrigen sind durch den geheimen Charakter und die sektiererischen Auffassungen der Allianz erleichtert worden. Die sektiererische und konspirative Konzeption sowie das Charisma Bakunins begünstigten seinen persönlichen Einfluss auf seine Anhänger und die Ausübung seiner Autorität als „Guru“. Mit der Behauptung, Opfer einer Verfolgungskampagne zu sein, säte er Verwirrung und gewann einige Anhänger unter einer gewissen Anzahl von schlecht informierten oder gegenüber den Ideologien des Kleinbürgertums offenen Arbeitern.
Die gleichen Charakteristiken beobachtet man bei der Spaltung zwischen den Bolschewiki und den Menschewiki, die sich von Anbeginn über Organisationsfragen auftat.
Wie sich später bestätigte, war das Vorgehen der Menschewiki vom Eindringen bürgerlicher und kleinbürgerlicher Ideologien in die russische Sozialdemokratie bestimmt (obwohl auch gewisse Vorstellungen der Bolschewisten die Folge einer bürgerlich-jakobinistischen Sichtweise waren). Lenin stellte in Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück dazu fest, „dass die Opposition in ihrer Mehrheit aus den intelektuellen Elementen der Partei...” bestand, und ein Vehikel kleinbürgerlicher Organisationsauffassungen war.
(LW Bd.7, S 197ff)
Zweitens vernachlässigte die Organisationsauffassung, die von den Menschewiki auf dem 2. Kongress vertreten wurde und die Trotzki lange geteilt hatte (obwohl er sich deutlich von ihnen besonders in der Frage der Natur der Revolution in Russland sowie der Aufgaben des Proletariats in ihr distanziert hatte), die Bedürfnisse des revolutionären Kampfes des Proletariats und barg die Zerstörung der Organisation in sich. Einerseits war sie unfähig, eine klare Unterscheidung zwischen Parteimitgliedern und Sympathisanten vorzunehmen, wie dies die Meinungsverschiedenheit zwischen Lenin und Martow, dem Führer des menschewistischen Flügels, über den Punkt 1 der Statuten zum Ausdruck brachte4. Andererseits war sie vor allem der Ausdruck einer vergangenen Periode der Arbeiterbewegung (als die Allianz  noch von der sektiererischen Phase der Arbeiterbewegung gekennzeichnet war):
„Unter der Bezeichnung ‚Minderheit‘ haben sich in der Partei heterogene Elemente zusammen gefunden, die den bewussten oder unbewussten Wunsch vereint, Zirkelbeziehungen aufrecht zu erhalten, der Partei vorausgehende Organisationsformen. Gewisse bedeutende Mitglieder der alten einflussreichsten Zirkel, die es nicht gewihnt sind in Organisationsfragen eingeschränkt zu werden, die sich der Parteidisziplin fügen müssen, neigen dazu, gedankenlos di e allgemeinen Parteiinteressen mit ihren Zirkelinteressen zu verwischen, die tatsächlich in der Phase des Zirkelwesens zusammenfallen mochten.“ (Lenin, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück) Insbesondere erhoben dies Elemente aufgrund ihrer Kleinbürgerlichen Haltung „...das Banner der Rebellion gegenn die unabdingbaren Einschränkungen durch die Organisation, und sie errichteten ihren spntanen Anarchismus zum Kampfprinzip (...), indem sie mehr ‚Toleranz‘ forderten, etc.“
(a.a.O.)
Drittens führten der Zirkelgeist und der Individualismus der Menschewiki zur Personalisierung von politischen Fragen. Der dramatischste Augenblick des Kongresses, der einen unüberbrückbaren Graben zwischen den beiden Gruppen schuf, war die Nominierung für die diversen verantwortlichen Instanzen der Partei, insbesondere für die Redaktion der Iskra, die als die eigentliche politische Führung angesehen wurde (während das Zentralkomitee hauptsächlich für Organisationsfragen zuständig war). Vor dem Kongress bestand die Redaktion aus sechs Mitgliedern: Plechanow, Lenin, Martow, Axelrod, Starover (Potressow), Vera Sassulitsch. Aber nur die drei Erstgenannten waren wirklich Redakteure, während Letztere praktisch nichts taten oder sich damit begnügten, Artikel zu senden5. Um den in der alten Redaktion herrschenden Zirkelgeist zu überwinden, schlug Lenin dem Kongress eine Formel  vor, die die Ernennung einer geeigneteren Redaktion ermöglichen sollte, ohne dass dies als Misstrauensvotum gegenüber jenen drei Militanten erschien: Der Kongress wählte eine kleinere Redaktion aus drei Mitgliedern, die dann darüber hinaus in Übereinstimmung mit dem Zentralkomitee weitere Mitglieder kooptieren sollte. Nachdem dieser Vorschlag zunächst von Martow und den anderen Redakteuren akzeptiert wurde, änderte Martow am Ende der Debatte seine Meinung, als er mit Lenin über die Frage der Statuten in einen Gegensatz geriet (und als evident wurde, dass diese alten Genossen Gefahr liefen, ihre Stellung zu verlieren): Er verlangte nun vom Kongress (in der Tat schlug Trotzki eine Resolution in diesem Sinn vor), dass die alte Redaktionskommission mit ihren sechs Mitgliedern „bestätigt“ wird. Es war schließlich Lenins Vorschlag, der den Ärger und das Wehklagen der späteren Menschewiki (Minderheit) auslöste. Martow erklärte „im Namen der Mehrheit der ehemaligen Redaktion, dass keiner von uns in dieser neuen Redaktion teilnehmen wird“.
(O. a.a. LW Bd. 7, S. 318)
Anstelle politischer Betrachtungen setzte Martow die sentimentale Verteidigung seiner alten Freunde, den Opfern des „Belagerungszustands, der in der Partei herrscht“. Der Menschewist Tsarew erklärte: „Wie sollen sich die nicht gewählten Mitglieder der Redaktion verhalten, wenn der Kongress sie nicht mehr als Teil der Redaktion sehen will?“ Die Bolschewiki verurteilten die konspiratorische Art und Weise, wie diese Probleme dargestellt wurden.6 In der Folge lehnten die Menschewiki die Entscheidungen des Kongresses ab und sabotierten sie. Sie boykottierten die gewählten Zentralorgane und richteten sytematische, persönliche Angriffe gegen Lenin. Trotzki beispielsweise bezeichnete ihn als „Maximilius Lenin“ und bezichtigte ihn, à la Robespierre die „Rolle des Unbestechlichen zu spielen“ sowie eine „Republik der Tugend und des Terrors“ zu errichten (Bericht der sibirischen Delegation). Die Ähnlichkeit zwischen den Anklagen der Menschewiki gegen Lenin und denjenigen der Allianz gegen Marx und seine „Diktatur“ ist frappierend. Angesichts dieses Verhaltens der Menschewiki, ihrer Personalisierung von politischen Fragen, ihrer Attacken, die ihn ins Visier nahmen, und der Subjektivität Martows und seiner Freunde antwortete Lenin: „Betrachte ich das Verhalten der Martowleute  nach dem Parteitag ... so kann ich nur sagen, dass das ein irrsiniger, eines Parteimitglieds unwürdiger Versuch ist, die Partei zu sprengen... und weshalb? Nur weil man unzufrieden ist mit der Zusammensetzung der Zentralstellen, denn objektiv war das die e i n z i g e  Frage, in der wir uns trennten, die subjektiven Urteile aber ( wie Kränkung, Beleidigung, Hinauswurf, Beseitigung, Verunglimpfung etc. etc) sind die Frucht gekränkter Eigenliebe und krankhafter Phantasie. Diese krankhafte Phantasie und diese gekränkte Eigenliebe führen geradewegs zu schädlichen Klatschereien nämlich dazu, dass man, ohne die Tätigkeit der neuer Zentralstellen kennengelernt und ohne sie gesehen zu haben, Gerüchte verbreitet über ihre ‚Arbeitsunfähigkeit‘, über die ‚eiserne Hand‘ eines Iwan Iwanowitsch... Die russische  Sozialdemokratie muss den letzten schwierigen Übergangg vollziehen vom Zirkelwesen zum Parteiprinzip, vom Spiessertum zur Erkenntnis der revolutionären Pflicht, vom Handeln auf Grund von Klatschereien und Zirkeleinflüssen zur Disziplin.“ (Bericht vom 2. Kongress der SDAPR;
LW 7, S. 20)

2. Organisationsprobleme in der Geschichte der IKS

Wie alle anderen Organisationen des Proletariats hat auch die IKS mit ähnlichen organisatorischen Schwierigkeiten, mit denen wir uns weiter oben befassten, zu tun gehabt. Unter diesen Schwierigkeiten sind Folgende zu nennen:
1974: die Debatte in der Gruppe Révolution Internationale, der späteren französischen Sektion der IKS, über die Zentralisierung; Bildung und Austritt der „Bérard–Tendenz“;
1978: die Bildung der „Sam-MM-Tendenz“, die 1979 die GCI gründete;
1981: die Krise der IKS, Bildung und Austritt der „Chénier-Tendenz“;
1984: das Auftreten der Minderheit, die sich 1985 als „Tendenz“ konstituieren und dann die IKS verlassen sollte, um die FECCI zu gründen;
1987/88: die Schwierigkeiten in der spanischen Sektion, die zum Verlust der Sektion im Norden des Landes führten;
1988: die Dynamik der Anfechtung und Demobilisierung in der Pariser Sektion, die infolge des Gewichts des Zerfalls auf unsere Reihen auf dem 8. Kongress von RI (Révolution Internationale, der IKS-Sektion in Frankreich) ans Tageslicht getreten waren.
Trotz ihrer Unterschiede kann man aus diesen Schwierigkeiten eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen destillieren, die an die Probleme anknüpfen, die in der bisherigen Geschichte der Arbeiterbewegung bereits vorgekommen waren:
das Gewicht der kleinbürgerlichen Ideologie, insbesondere des Individualismus;
die Infragestellung des einheitlichen und zentralisierten Charakters der Organisation;
die Bedeutung der persönlichen und subjektiven Faktoren.
Es würde zuviel Platz einnehmen, wenn wir nun all diese schwierigen Perioden Revue passieren lassen würden. Es genügt vollauf, jene Merkmale hervorzuheben, die stets, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, präsent waren.

a) Das Gewicht der kleinbürgerlichen Ideologie

Dieses Gewicht wird deutlich, wenn man untersucht, was aus der Tendenz von 1978 geworden ist: Die GCI (Group Communiste Internationale) hat sich einer Art von Anarcho-Bordigismus hingegeben, begeistert sich für terroristische Aktivitäten und misstraut den Kämpfen des Proletariats in den fortgeschrittenen Ländern, während sie angebliche proletarische Kämpfe in der Dritten Welt glorifiziert. In der Dynamik jener Gruppe von Genossen, die die FECCI gründen sollten, haben wir frappante Ähnlichkeiten mit jenen identifiziert, die die Menschewiki 1903 motiviert hatten (s. den Artikel „Die externe Fraktion der IKS“, Revue Internationale Nr. 45, engl., franz., span.), insbesondere das Gewicht des intellektuellen Elements. In der Dynamik der Anfechtung und Demobilisierung, die die Pariser Sektion betroffen hatte, haben wir bereits die Bedeutung des Zerfalls hervorgehoben, der das Eindringen der kleinbürgerlichen Ideologie in unsere Reihen begünstigte, insbesondere in der Form des „Demokratismus“

b) Die Infragestellung des einheitlichen und zentralisierten Charakters der Organisation

Es handelt sich hier um ein Phänomen, das wir systematisch und bezeichnenderweise während der verschiedenen Organisationsschwierigkeiten der IKS angetroffen haben:
Den Ausgangspunkt der Dynamik, die zur „Bérard-Tendenz“ führte, war der Beschluss der Pariser Sektion, eine Organisationskommission (OK) zu gründen. Eine gewisse Anzahl von Genossen, besonders die Mehrheit derjenigen, die aus der trotzkistischen LO (Lutte Ouvrier)e stammten, sahen in diesem embryonalen Zentralorgan die „große Gefahr einer Bürokratisierung“ der Organisation. Bérard verglich das OK unaufhörlich mit dem Zentralkomitee von LO (Bérard war mehrere Jahre lang Mitglied dieser Organisation gewesen), er setzte RI mit dieser trotzkistischen Organisation gleich. Dieses Argument hatte einen großen Einfluss auf die anderen Genossen seiner „Tendenz“, denn alle (außer einer) kamen von LO.
Anlässlich der Krise von 1981 machte sich (mit Unterstützung des dubiosen Elements Chénier, aber nicht nur mit seiner) die Sichtweise breit, dass jede lokale Sektion eine eigene Politik bezüglich der Intervention verfolgen könne, was eine totale Infragestellung des Internationalen Büros (IB) und seines Sekretariats (IS) bedeutete (man warf diesen Organen insbesondere ihre Auffassung über die Linke in der Opposition sowie die Provozierung einer stalinistischen Degeneration vor). Zwar vertrat man die Notwendigkeit von Zentralorganen, doch beschränkte man sie letztlich auf die Rolle bloßer Briefkästen.
In der ganzen Dynamik, die zur Bildung der FECCI führte, machte sich erneut die Infragestellung der Zentralisierung bemerkbar, jedoch mit dem Unterschied, dass fünf von zehn Mitgliedern der „Tendenz“ im IB waren. Sie wurde hauptsächlich durch wiederholte Akte der Disziplinverletzung gegenüber  dem IB, aber auch gegenüber anderen Instanzen der Organisation in Frage gestellt: In ihrer gewissermaßen aristokratischen Haltung betrachteten sich bestimmte Mitglieder der „Tendenz“ als „über den Gesetzen stehend“. Konfrontiert mit der Notwendigkeit der Disziplin in der Organisation, erblickten diese Militanten darin eine „stalinistische Degenerierung“ und wiederholten die Argumente der „Chénier-Tendenz“, die sie selbst drei Jahre zuvor bekämpft hatten.
Die Schwierigkeiten der Sektion in Spanien von 1987/88 hängen direkt mit dem Problem der Zentralisierung zusammen. Die neuen Militanten der Sektion von San Sebastian gerieten in eine Dynamik, die zur Anfechtung der Sektion von Valencia führte, die gleichzeitig als Zentralorgan wirkte. In der „baskischen“ Sektion existierte eine Reihe von Meinungsverschiedenheiten und politischen Konfusione bemerkenswerterweise über die Frage der Arbeitslosenkomitees; Konfusionen, die zu einem beträchtlichen Teil auf die linksextremen Ursprünge gewisser Elemente dieser Sektion zurückzuführen waren. Doch anstelle einer Diskussion über diese Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Organisation, wurde dies zum Anlass genommen für eine Art „My-home-is-my-castle“-Politik und für eine prinzipielle Ablehnung aller Orientierungen von Valencia. Infolge dieser Dynamik verlor die Sektion in Spanien die Hälfte ihrer Mitglieder.
Im Geist der Anfechtung und Demobilisierung, der sich 1988 in der französischen Sektion und besonders in Paris breitmachte,  drückte sich die Infragestellung der Zentralisierung im Wesentlichen gegen das Zentralorgan der Sektion aus. Am klarsten wurde diese Infragestellung durch ein Mitglied der Organisation ausgedrückt, das in seinen Texten und in seinem Verhalten eine dem Anarcho-Rätekommunismus nahe Vorgehensweise entwickelte. Insbesondere enthielt einer seiner ersten Beiträge eine Kritik der Zentralorgane und die Idee des Rotationsprinzips bei der Ernennung der Militanten für dieses Organ.
Die Ablehnung bzw. Anfechtung der Zentralisierung stellte jedoch nicht die einzige Form der Infragestellung des Einheitscharakters der Organisation während all der erwähnten schwierigen Momente dar. Es sei hier eine weitere Manifestation dieser Dynamik hinzugefügt, die, wie es von Lenin 1903 getan wurde, als „Zirkel“, ja, gar als „Clan“ beschrieben werden kann. Das heißt, eine informelle Umgruppierung einer gewissen Anzahl von Genossen auf der Basis nicht einer politischen Übereinstimmung, sondern von seltsamen Kriterien wie persönlicher Affinitäten, der Unzufriedenheit über diese oder jene Orientierung der Organisation oder die Anfechtung eines Zentralorgans.
Alle „Tendenzen“ die sich bis auf den heutigen Tag innerhalb der IKS formiert hatten, unterlagen mehr oder weniger dieser Dynamik. Aus diesem Grund führten sie übrigens auch alle zur Abspaltung. Wir haben jedes Mal darauf hingewiesen: Die Tendenzen bildeten sich nicht auf der Grundlage einer positiven Orientierung als Alternative zur von der Organisation eingenommenen Position, sondern als eine Ansammlung von „Unzufriedenen“, die erst alle ihre Divergenzen in einen gemeinsamen Topf warfen und anschließend versuchten, sich selbst eine gewisse Kohärenz zu verleihen. Auf solchen Grundlagen konnte eine Tendenz nichts Positives hervorbringen, denn ihre Dynamik bestand nicht darin, die Organisation durch eine möglichst große Klarheit zu stärken, sondern im Gegenteil in einer (oft unbewussten) Vorgehensweise, die zerstörerisch für die Organisation ist. Solche Tendenzen waren nicht das organische Produkt der IKS oder des Proletariats, sondern der Ausdruck des Eindringens von fremden Einflüssen. Im Allgemeinen handelte es sich hierbei um die kleinbürgerliche Ideologie. Folglich erscheinen diese Tendenzen  wie Fremdkörper innerhalb der IKS. Deshalb stellen sie eine Gefahr für die Organisation dar, daher führen sie fast zwangsläufig zu Abspaltungen.7
In gewisser Weise wies die Bérard-Tendenz die grösste Homogenität auf. Doch es gab kein gemeinsames Verständnis über die Fragen ihres Ursprungs. Ihre „Homogenität“ basierte im Wesentlichen auf:
dem gemeinsamen Ursprung (LO) der Mitglieder dieser Tendenz, die sie spontan in einer gemeinsamen Vorgehensweise und insbesondere in der Ablehnung der Zentralisierung vereinigte;
dem Charisma von Bérard, der ein brilliantes Element war und dessen Interventionen weniger erfahrene Elemente blendeten,  die in ihrer Gesamtheit keine große Ahnung hatten und sich ihm blindlings anschlossen.
Aus diesem letzgenannten Grund findet man in dieser „Tendenz“ sehr akademistische und gleichzeitig eher aktivistische Elemente vor. Es erübrigt sich zu sagen, dass die „Kommunistische Tendenz“ die erste Nummer ihrer Publikation nicht überlebte.
Was die anderen „Tendenzen“ der IKS anbelangt, beinhaltete jede ein Allerlei  von Positionen.
Tendenz Sam-MM: tendenzieller Fall der Profitrate als Erklärung für die Wirtschaftskrise (Sam) plus die proletarische Natur des Übergangsstaates (Sam) plus bordigistische Ansichten über die Rolle der Organisation (MM) plus Überschätzung der Klassenkämpfe in der 3. Welt (Ric);
Tendenz Chénier: Ablehnung der Analyse über die Linke in der Opposition plus Verwandlung von gewerkschaftlichen Organismen in Organe des Klassenkampfes plus stalinistische „Degenerierung“ der IKS (dazu verdeckte Praktiken eines vielleicht im Dienste des bürgerlichen Staates stehenden Individuums);
Tendenz FECCI: nichtmarxistische Sichtweise des Klassenbewusstseins (ML) plus rätekommunistische Schwächen (JA und Sander) plus Meinungsverschiedenheiten über die Intervention der IKS in die gewerkschaftlich organisierten Aktionen zur Lähmung der Arbeiterklasse (ROSE) plus Ablehnung der Begriffe Zentrismus und Opportunismus (McIntosh).
Betrachten wir den zusammengewürfelten Charakter dieser Tendenzen, so muss man sich fragen, worauf sich denn ihre Vorgehensweise stützte.
Ursprünglich gab es zweifellos Unzufriedenheiten und Konfusionen über allgemeine politische wie auch über organisatorische Fragen. Doch nicht jeder Genosse, der in diesen Fragen anderer Meinung war, schloss sich diesen Tendenzen an. Andererseits haben gewisse Genossen, die anfangs keine Meinungsverschiedenheiten hatten, sie im weiteren Verlauf „entdeckt”, um sich der Bildung einer „Tendenz“ anzuschließen Deshalb müssen wir, wie das bereits Lenin 1903 gemacht hat, an einen anderen Aspekt des Organisationslebens erinnern: an die Bedeutung „persönlicher“ Fragen und der Subjektivität.

c) Die Bedeutung „persönlicher“ Fragen und der Subjektivität

Die Fragen bezüglich Verhaltensweisen, Benehmen, Subjektivität, emotionalen Reaktionen von Militanten sowie der Personifizierung von bestimmten Debatten besitzen keine „psychologische“ Natur, sind aber eminent politisch. Perönlichkeit, individuelle Geschichte, Kindheit, emotionale Probleme u. a. erlauben uns nicht, regelwidrige, abweichende Verhaltensweisen von Mitgliedern der Organisation zu erklären, die sie in diesem oder jenem Fall angenommen haben. Hinter solchem Benehmen findet man immer, direkt oder indirekt, Individualismus oder Sentimentalitäten, welche Ausdruck von nicht-proletarischen Klassen sind: dem Bürgertum und Kleinbürgertum. Man kann zumeist sagen, dass bestimmte Persönlichkeiten angesichts des Drucks von solchen ideologischen Einflüssen zerbrechlicher sind als andere.
Das bedeutet nicht, dass „persönliche“ Aspekte keine wichtige Rolle im Leben der Organisation spielen, wie man anhand zahlreicher Beispiele sehen kann:
Die Bérard-Tendenz: Es genügt die Tatsache aufzuzeigen, dass einige Tage nach der Einsetzung einer Organisationskommission, die von Bérard nicht anerkannt wurde, derselbe Bérard gegenüber MC8 folgenden Handel vorschlug: „Ich werde für die Untersuchungskommission stimmen, wenn du mich für sie vorschlägst. Andernfalls werde ich kämpfen.” MC machte den Vorfall nicht publik, um Bérard nicht öffentlich „niederzumachen“ und um zu ermöglichen, dass die Debatte an die Wurzeln gelangt. Die OK stellte also eine Gefahr der „Bürokratisierung“ dar, weil Bérard nicht aufgenommen wurde. Kein weiterer Kommentar!
Die Sam-MM-Tendenz:  Sie setzte sich aus drei Gruppen (teilweise familiärer Natur) zusammen, deren „Anführer“ verschiedene Vorurteile hatten, welche alle in der Anfechtung der Zentralorgane zusammenfanden. Da „es keinen Platz für mehrere männliche Krokodile im selben Teich gibt“ (wie ein afrikanisches Sprichwort sagt), trennten sich die drei kleinen Krokodile bald darauf. Sam spaltete sich als erster von der GCI ab, um die Eintagsfliege der „Fraction Communiste Internationaliste“ zu gründen; später verrließ auch MM die GCI, um die „Movement Communiste“ zu bilden.
Die Chénier-Tendenz: Persönliche Konflikte und Persönlichkeiten spalteten die englischen Sektion in zwei Gruppen, welche nicht miteinander sprachen und zum Beispiel in  verschiedenen Restaurants essen gingen. Militante aus dem Ausland, welche diese Treffen besuchten, wurden von dem einen oder dem anderen Clan vereinnahmt und mit Klatsch über die anderen bedrängt. Die Krise wurde durch die Manöver von Chénier, der ständig Öl ins Feuer goss, noch verschlimmert9:
Die EFICC-Tendenz: Abgesehen von den politischen Differenzen (welche unvereinbar waren) war eine Hauptquelle für den Werdegang derjenigen, die die EFICC gründeten, der verletzte Stolz einiger (besonders JA und ML), die es wenig gewohnt waren, kritisiert zu werden (besonders von MC), und die „Solidarität“, welche ihre alten Freunde ihnen gegenüber bekunden wollten. Wenn man die Geschichte des zweiten Kongresses der SDAPR untersucht und die Affäre der „EFICC-Tendenz“ erlebt hat, stößt man auf all die Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden Ereignissen. Doch wie Marx sagte: „die Geschichte wiederholt sich, zuerst als Tragödie und dann als Farce.”
Persönliche Fragen spielten nicht nur im Zeitraum sich bildender Tendenzen in verschiedener Hinsicht eine Rolle. So entwickelten sich zurzeit der Schwierigkeiten in der spanischen Sektion 1987–88 unter den Genossen aus San Sebastian, die auf einer unzureichend soliden politischen Grundlage und zu einem erheblichen Umfang aufgrund der Persönlichkeit integriert worden waren, sehr starke Animositäten gegenüber gewissen Genossen aus Valencia. Dieser personalisierte Ablauf wurde besonders betont durch den ungesunden und  entstellten Geist eines der Elemente aus San Sebastian und vor allem durch die Agitation Albars, der eine Triebkraft des Kerns in Lugo war und dessen Verhalten dem von Chénier ähnelte: Geheimkontakte und -korrespondenz, Verunglimpfungen und Verleumdungen, der Einsatz von Sympathisanten, um auf die Genossen aus Barcelona „einzuwirken”, die schließlich die IKS verließen 
Diese unvermeidlicherweise zu schnelle und oberflächliche Untersuchung, der organisatorischen Schwierigkeiten, auf die die  IKS im Verlauf ihrer Geschichte gestoßen ist, enthüllt trotzdem zwei wesentliche Tatsachen:
Diese Schwierigkeiten sind nicht ungewöhnlich und existierten die gesamte Geschichte der Arbeiterklasse hindurch.
Die IKS ist von diesen Arten von Schwierigkeiten wiederholt und häufig konfrontiert worden.
Gerade das letzte Element muss die Organisation und die Genossen dazu anregen, die Organisationsprinzipien, welche 1982 von der Außerordentlichen Konferenz im „Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre“ und in den Statuten ausgearbeitet worden waren, gründlich zu studieren.

3. Die prinzipiellen Punkte des  „Berichts zur Struktur und Funktionsweise“ von 1982 und der Statuten.

Die Grundidee des Berichts von 1982 ist die Einheit der Organisation. In diesem Dokument war die Idee zuerst unter dem Gesichtspunkt der Zentralisierung behandelt worden, ehe sie unter dem Gesichtspunkt der Beziehungen der Militanten zur Organisation betrachtet wurde. Die Wahl dieser Reihenfolge entsprach den Problemen, auf die die IKS 1981 gestoßen war, als die Schwächen durch die Anfechtung der Zentralorgane und der Zentralisierung offenkundig wurden. Heute sind die meisten Schwierigkeiten, denen sich die Sektionen gegenübersehen, nicht direkt mit der Frage der Zentralisierung verknüpft, sondern viel mehr mit dem Organisationsgewebe, mit dem Platz und den Verantwortlichkeiten von Militanten innerhalb der Organisation. Und selbst wenn Schwierigkeiten bezüglich der Zentralisierung aufkommen, wie in der französischen Sektion, gehen sie zurück auf das vorhergehende Problem. Daher ist es bei der Bewertung der verschiedenen Aspekte des Berichts von 1982 angebracht, mit dem letzten
– Punkt 12 – zu beginnen, der richtigerweise die Beziehungen zwischen der Organisation und den Militanten betrifft

3 .1. Die Beziehungen zwischen den Militanten und der Organisation

a) Das Gewicht des Individualismus

Eine grundlegende Bedingung der Fähigkeit einer Organisation, ihre Aufgaben innerhalb der Klasse zu erfüllen, ist das richtige Verständnis des Verhältnisses zwischen ihren Mitgliedern und der Organisation. Dies ist eine in der gegenwärtigen Zeit besonders schwer zu verstehende Frage, weil es einen organischen Bruch zwischen den Fraktionen der Vergangenheit und dem Einfluss der Studenten in den revolutionären Organisationen in der Zeit nach 1968 gegeben hat, der das Wiederauftauchen eines Lasters aus der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts bewirkt hat: den Individualismus.“ (Bericht von 1982, Punkt 12)
Es ist notwendig festzustellen, dass zu den Ursachen des Eindringens des Individualismus, welche bereits identifiziert wurden, heute noch das Gewicht des Zerfalls hinzukommt. Im Besonderen fördert der Zerfall die „Atomisierung“ und das „Jeder für sich“. Es ist wichtig, dass sich die ganze Organisation vollständig bewusst ist über diesen konstanten Druck, den der verfaulende Kapitalismus in den Köpfen der Militanten ausübt. Ein Druck, welcher außerhalb einer offen revolutionären  Periode nur wachsen kann. In diesem Sinne sind die  folgenden Punkte, die auf die Schwierigkeiten und Gefahren antworten, welche bereits in der Vergangenheit auf die Organisation gelauert haben, heute gültiger denn je. Selbstverständlich darf uns dies nicht entmutigen, sondern im Gegenteil zu noch größerer Wachsamkeit gegenüber diesen Schwierigkeiten und Gefahren ermutigen.

b) Die „Erfüllung“ der Militanten

„Das gleiche Verhältnis, das zwischen einem besonderen Organismus (Gruppe oder Partei) und der Klasse besteht, existiert auch zwischen der Organisation und dem Militanten. Und ebenso wenig, wie die Klasse  für die Bedürfnisse der kommunistischen Organisation existiert, existieren kommunistische Organisationen, um die Probleme des individuellen Militanten zu lösen. Die Organisation ist nicht das Produkt der Bedürfnisse ihrer Mitglieder. Man ist Militanter in dem Maße, wie man die Aufgaben und die Funktion der Organisation verstanden hat und ihnen beipflichtet.
Infolgedessen zielt die Verteilung der Aufgaben und der Verantwortlichkeiten innerhalb der Organisation nicht auf eine ‚Verwirklichung‘ der einzelnen Mitglieder ab. Die Aufgaben müssen so verteilt werden, dass die Organisation als ein Ganzes optimal funktionieren kann. Wenn die Organisation soweit wie möglich die Situation und das Wohlergehen eines einzelnen Mitglieds berücksichtigt, dann geschieht dies vor allem deshalb, weil es im Interesse der Organisation ist, dass alle ihre ‚Zellen‘ in der Lage sind, ihren Teil zur Arbeit der Organisation beizutragen. Das heißt nicht, dass die Individualität und die Probleme eines einzelnen Mitgliedes außer Acht gelassen würden; es bedeutet, dass  Ausgangs- und Endpunkt die Fähigkeit der Organisation sein muss, ihre Aufgaben im Klassenkampf auszuführen.“ (Bericht, Punkt 12)
Dies ist ein Punkt, den wir nie vergessen dürfen. Wir stehen im Dienst der Organisation, nicht umgekehrt. Insbesondere ist Letztere keine Art von Klinik, wo besonders die psychischen Krankheiten geheilt werden, an denen ihre Mitglieder möglicherweise laborieren. Dies bedeutet nicht, dass das Revolutionär-Werden nicht dabei hilft, die persönlichen Schwierigkeiten, die jedermann hat, in einen Zusammenhang zu stellen, wenn es sie schon nicht alle zusammen überwinden kann. Ganz im Gegenteil: Ein Kämpfer für den Kommunismus zu werden bedeutet, seiner Existenz einen tiefen Sinn zu geben. Einen Sinn, der dazu beitragen kann, auch allen anderen Aspekte des Lebens einen grundsätzlicheren Sinn zu geben (Erfolg in Beruf oder Familienglück, Kindererziehung, wissenschaftliche oder künstlerische Tätigkeiten, alles Befriedingungen, die von allen geteilt werden sollten, aber einem großen Teil der Menschheit versagt bleiben) Die größte Befriedigung, die ein menschliches Wesen in seinem Leben erfahren kann, ist ein positiver Betrag für seine Nachfahren, für die Gesellschaft und Menscheit. Was den kommunistischen Militanten von seinen Mitmenschen unterscheidet und ihm Sinn gibt in seinem Leben, ist, dass er ein Glied in der Kette ist, die zur Emanzipation der Menschheit, ihren Eintritt in das “Reich der Freiheit“ führt; eine Kette, die auch nach seinem Tode weitergeführt wird. Folglich ist das, was ein Militanter heute vollbrint, unvergleichlich wichtiger als das, was das größte Genie tun kann, sei es die Entdeckung eines Heilmittels gegen Krebs oder einer unerschöplichen Quelle umweltfreundlicher Energie. In diesem Sinne muss die Leidenschaft seines Engagements dem Militanten erlauben, über die Schwierigkeiten hinauszugehen, auf die jedes menschliche Wesen stößt.
Deshalb muss angesichts der besonderen Schwierigkeiten, auf die Mitglieder der Organisation stoßen können, eine politische Haltung eingenommen werden, nicht eine psychologische. Es ist klar, dass psychologische Aspekte bei Problemen, die einen Militanten betreffen, durchaus berücksichtigt werden können. Aber sie müssen grundsätzlich im Rahmen der Organisation gestellt werden, und nicht umgekehrt. So muss, wenn ein Mitglied häufig seine Aufgaben nicht erfüllen kann, die Organisation grundsätzlich politisch und in Übereinstimmung mit ihren Prinzipien und ihrer Funktion reagieren, auch wenn sie selbstverständlich imstande sein muss, die Besonderheiten der Situation anzuerkennen, in der sich ein Militanter befindet. Wenn die Organisation es z.B. mit einem Genossen zu tun hat, der  dem Alkoholismus verfällt, darf sie nicht die Rolle des Psychotherapeuten spielen (eine Rolle, wofür sie sowieso keine Qualifizierung hat und mit der sie nur riskiert, „Zauberlehrling“ zu sein), sondern sie muss auf ihrem eigenen  Terrain reagieren:
das Problem zur Sprache bringen, indem es innerhalb der Organisation und mit dem betroffenen Militanten diskutiert wird;
das Trinken von Alkohol auf den Treffen und bei Aktivitäten verbieten;
die Militanten dazu verpflichten, zu Treffen und Aktivitäten nüchten zu erscheinen
Die Erfahrungen haben reichlich gezeigt, dass dies der beste Weg ist, solche Probleme zu überwinden.
Aus denselben Gründen darf militantes Engagement nicht als Routine, wie  am Arbeitsplatz, betrachtet werden, auch wenn bestimmte Aufgaben an sich nicht so anregend sind. Im Besonderen ist es wichtig, dass diese Aufgaben – wie alle Aufgaben im Allgemeinen – so ausgeglichen wie möglich verteilt werden, damit nicht die einen überlastet werden, während die anderen nichts zu tun haben. Es ist auch wichtig, dass jeder Militante die Überzeugung aus seinen Gedanken und aus seinem Verhalten verbannt, er sei ein „Opfer“ der Organisation, die ihn schlecht behandle und ihm zuviel Arbeit gebe. Die große Stille, welche es oft in den Sektionen gibt, wenn es darum geht, freiwillig Aufgaben zu übernehmen, ist vor allem für junge Militante erschreckend und demoralisierend.10

c) Verschiedene Arten von Aufgaben und die Arbeit in den Zentralorganen

„In der Organisation gibt es keine ‚erhabene‘ und keine ‚zweitrangige‘, weniger erhabene‘  Aufgaben. Sowohl die Aufgabe der theoretischen Ausarbeitung als auch die Verwirklichung der praktischen Aufgaben, die Arbeit innerhalb der Zentralorgane wie auch die spezifische Arbeit in den örtlichen Sektionen sind gleichermaßen wichtig für die Organisation und dürfen nicht hierarchisch geordnet werden (nur der Kapitalismus errichtet solche Hierarchien). Deshalb muss man die Idee als bürgerlich verwerfen, derzufolge die Berufung eines Mitglieds in ein Zentralorgan einen ‚Aufstieg‘, den Zugang zu einem ‚Ehrenposten‘ oder zu einem Privileg bedeuten würde. Das Karrieredenken muss vollkommen aus der Organisation verbannt werden, da es im Gegensatz steht zu der selbstlosen Aufopferung, die ein charakteristisches Merkmal der kommunistischen Militanten ist.“ (ebenda)
Dies wurde nicht nur in der Situation, in der sich die IKS 1981 befand, bekräftigt, sondern hat darüber hinaus eine allgemeine und permanente Bedeutung.11 In gewisser Hinsicht war das Phänomen der Anfechtungen in der IKS oft mit der Vorstellung verbunden, welche die Organisation als „Pyramide“ oder „hierarchisch“ betrachtet, was der Sichtweise entspricht, die die Erlangung von Verantwortlichkeiten in einem Zentralorgan als eine Art „Ziel“ für jeden Militanten betrachtet . Dieselbe Vision sieht die Zugehörigkeit zu einem Zentralorgan, als eine Art Ziel für jeden Militanten an (die Erfahrung lehrt, dass Anarchisten sozusagen oft hervorragende Bürokraten sind).
Darüber hinaus muss man nur den Widerwillen betrachten, mit dem die Organisation einen Militanten von seiner Verantwortung in einem Zentralorgan entbindet, das Trauma, das eine solche Maßnahme provoziert, um einzusehen, dass dies ein echtes Problem ist. Es ist klar, dass solche Traumen der bürgerlichen Ideologie direkt Tribut zollen. Aber es genügt nicht, völlig davon überzeugt zu sein, um ihm zu entkommen. Angesichts einer solchen Situation ist es wichtig, dass die Organisation und ihre Militanten alles bekämpfen, was das Eindringen solcher Ideologien begünstigt:
Mitglieder von Zentralorganen dürfen weder von besonderen Privilegien profitieren noch sie akzeptieren, insbesonders die Vernachlässigung von Aufgaben und der Disziplin, welche für alle Mitglieder der Organisation gültig sind.
Sie dürfen mit ihrem Verhalten und ihrer Ausdrucksweise anderen Genossen nicht ihre Mitgliedschaft in diesem oder jenem Zentralorgan „spüren“ lassen: Solch eine Mitgliedschaft ist keine Medaille, die man überheblich zur Schau trägt, sondern eine besondere Aufgabe, die mit der gleichen Ernsthaftigkeit und Verantwortung übernommen werden muss wie alle anderen.
Es gibt keine „Begünstigung durch die Alten“ in den Zentralorganen, eine Art von „Karrierestruktur”, wie in bürgerlichen Firmen und Verwaltungen, deren Beschäftigte angeblich auf der hierarchischen Leiter zum Erfolg klettern können. Im Gegenteil: Um sich auf die Zukunft vorzubereiten, muss die Organisation dafür Sorge tragen, dass auch auf der höchsten Ebene Verantwortlichkeiten an junge Militante übertragen werden, sofern diese ihre Fähigkeit gezeigt haben, Verantwortung zu übernehmen (erinnert sei dabei, dass Lenin vorschlug, gegen den Widerstand des “alten“ Plechanow den 22jährigen Trotzki in die Redaktion der Iskra aufzunehmen. Wir wissen, was aus dem Einen und dem Anderen wurde).
Was die Bedürfnisse der Organisation angeht, ist es erforderlich und zweckmäßig, Militante im Zentralorgan zu ersetzen, ohne dass dies als Sanktion, als eine Art Degradierung oder Vertrauensentzug gesehen und dargestellt wird. Die IKS verlangt weder die Rotation von Aufgaben wie die Anarchisten noch erkennt sie die Lebenserfahrung von Leuten als Ausschlag gebend bei der Verteilung von Verantwortlichkeiten an, wie dies in der Académie française oder in der Führung der Kommunistischen Partei Chinas der Fall ist.

d) Ungleichheit zwischen Militanten

„Auch wenn es unterschiedliche Fähigkeiten unter Individuen und Militanten gibt, welche durch die Klassengesellschaft aufrechterhalten und verschärft werden, besteht die Rolle der Organisation nicht darin, wie die utopischen Sozialisten vorzutäuschen, diese abschaffen zu können. Die Organisation muss versuchen, die politischen Kapazitäten ihrer Militanten maximal voranzutreiben, da diese eine Vorbedingung für ihre eigene Stärkung sind. Doch sie behandelt diese nie als eine Frage der individuellen Schulbildung oder einer Gleichmacherei der individuellen Erziehung.
Die wirkliche Gleichheit zwischen Militanten ist die, das Maximum für das Leben der Organisation zu geben (”Jeder nach seinen Fähigkeiten”, eine von Saint-Simon stammende, von Marx übernommene Formulierung). Die wirkliche ‚Erfüllung‘ als Militanter besteht darin, alles zu tun, um die Organisation zu unterstützen, ihre Aufgaben, welche sie von der Klasse erhalten hat, zu verwirklichen.” (ebenda)
Gefühle von Eifersucht, Rivalität, Konkurrenz oder „Minderwertigkeitskomplexen”, die zwischen Militanten aufkommen können und mit ihren Ungleichheiten verknüpft sind, sind typische Ausdrücke des Eindringens der herrschenden Ideologie in die Reihen der kommunistischen Organisation12. Auch wenn es eine Illusion ist zu glauben, man könne solche Gefühle vollständig aus den Köpfen aller Mitglieder der Organisation verbannen, so ist es dennoch wichtig, dass jeder Militante die permanente Sorge haben muss, sich in seinem Verhalten nicht durch diese Gefühle steuern zu lassen und sie innerhalb der Organisation zu bekämpfen.
Anfechtungen sind oft das Resultat solcher Gefühle und Frustrationen. In der Tat ist die Anfechtung von Zentralorganen oder von Militanten, die ein „größeres Gewicht“ als andere haben (wie gerade die Mitglieder der Zentralorgane), die typische Haltung von Militanten oder Teilen der Organisation, welche „Komplexe“ gegenüber anderen haben. Deshalb nimmt dies oft die Form einer Kritik um der Kritik willen an (und nicht über das, was wirklich gesagt bzw. getan wurde) gegenüber allem, was eine „Autorität“ repräsentiert (das klassische Verhalten des Halbwüchsigen, der gegen seinen Vater aufbegehrt). Als Ausdruck des Individualismus deckt sich das Protestlertum exakt mit einer anderen Erscheinung des Individualismus: dem autoritären Verhalten, dem „Gefallen an der Macht“13. Das Protestlertum kann aber auch unauffälligere Formen annehmen, die nicht weniger gefährlich sind, im Gegenteil, denn sie sind schwerer zu erkennen. Es drückt sich gleichermaßen  im Streben aus, den Platz dessen (Militanter oder Zentralorgan) einzunehmen, der angefochten wird, und dabei zu hoffen, so den Grund seines Komplexes zu beseitigen.
Ein anderer Aspekt, den es zu beachten gilt, wenn neue Genossen zur Organisation  stoßen, ist das Misstrauen von Seiten alter Genossen, die befürchten, die Neuen könnten sie „in den Schatten stellen”, besonders dann, wenn die Neuen über wichtige politische Kapazitäten verfügen. Dies ist ein echtes Problem: Einer der Hauptgründe für die Feindschaft Plechanows gegen Trotzki bei dessen Aufnahme in die Redaktion der Iskra war die Angst, dass sein eigenes Ansehen durch dieses brilliante Element geschmälert würde.14 Was zu Beginn des 20. Jahrhundert gültig war, ist heute aktueller denn je. Wenn die Organisation (und ihre Militanten) nicht fähig ist, solche Verhaltensweisen loszuwerden oder zumindest zu neutralisieren, wird sie nicht fähig sein, ihre Zukunft im revolutionären Kampf vorzubereiten.
Schließlich ist es bezüglich der Frage der „individuellen Erziehung“, die im Bericht von 1982 aufgegriffen wurde, wichtig zu unterstreichen, dass der Eintritt in ein Zentralorgan in keiner Weise als ein Mittel zur „Schulung“ von Militanten zu sehen ist. Der Ort, an dem sich die Militanten formen, sind ihre Aktivitäten innerhalb der „Basisorganismen der Organisation“ (Statuten), der lokalen Sektionen. In diesem Rahmen eignen sie sich ihre Fähigkeiten an und vervollkommnen sich, um einen besseren Beitrag zum Leben der gesamten Organisation zu leisten (theoretische, organisatorische und praktische Fähigkeiten, das Verantwortungsbewusstsein usw.) Wenn die lokalen Sektionen nicht fähig sind, diese Rolle zu spielen, bedeutet dies, dass ihre Funktionsweise, ihre Aktivitäten und Diskussionen sich nicht auf dem Niveau befinden, auf dem sie sich befinden sollten. Wenn die Organisation neue Genossen für die Erfüllung besonderer Aufgaben in den Zentralorganen oder spezifischen Kommissionen heranzieht (zum Beispiel um gerüstet zu sein für Situationen, in denen diese Organe durch die Repression lahmgelegt sind), dann geschieht dies keineswegs zur Befriedigung eines „Schulungsbedürfnisses“ für die betroffenen Militanten, sondern um der Organisation als Ganzes zu ermöglichen, ihre Verantwortung wahrzunehmen.

e) Die Beziehungen zwischen den Militanten

„Auch wenn sie die Narben der kapitalistischen Gesellschaft tragen, (...) dürfen die Beziehungen zwischen den Militanten nicht im flagranten Widerspruch zu dem von den Revolutionären verfolgten Ziel stehen (...) und müssen notwendigerweise auf der Solidarität und dem gegenseitigen Vertauen beruhen, die ein Kennzeichen der Zugehörigkeit der Organisation zu jener Klasse sind, die den Kommunismus verwirklichen wird.” (Auszug aus der Plattform der IKS)
Dies bedeutet insbesondere, dass das Verhältnis der Militanten durch Brüderlichkeit und nicht durch Feindschaft geprägt sein soll. Im Besonderen :
darf die Praktizierung einer politisch-organisatorischen und nicht „psychologischen“ Herangehensweise gegenüber Genossen, die in Schwierigkeiten stecken, nicht als Funktion einer unpersönlichen oder administrativen Maschinerie verstanden werden. Die Organisation und ihre Militanten müssen verstehen, wie sie in solchen Fällen ihre Solidarität zeigen, ohne zu vergessen, dass Brüderlichkeit nicht Nachgiebigkeit bedeutet;
deutet das Aufkommen feindschaftlicher Gefühle unter Militanten, die den anderen als Feind betrachten, an, wie sehr der Blick für den Daseinsgrund der Organisation verloren gegangen ist. Es signalisiert, dass es notwendig ist, sich die Grundlagen des militanten Engagements wiederanzueignen.
Außerhalb solcher extremen Fälle, die in der Organisation keinen Platz haben, ist es klar, dass Abneigungen in Letzterer nicht total verschwinden können. In solchen Fällen darf das Funktionieren der Organisation solche Abneigungen nicht fördern, sondern muss sie im Gegenteil verringern und neutralisieren. Insbesondere bedeutet die notwendige Offenheit, die unter Genossen existieren muss, nicht Rücksichtslosigkeit oder Respektlosigkeit. Ferner sollten Beleidigungen absolut aus den Beziehungen zwischen Militanten verbannt werden.
Doch dies heisst keinesfalls, dass die Organisation sich als eine „Gruppe von Freunden“ oder als eine Ansammlung solcher Gruppen ansehen darf.15
Tatsächlich ist eine der größten Gefahren, die die Organisation ständig bedroht, ihre Einheit in Frage stellt und sie zerstören kann, die Gründung von „Clans”, auch wenn dies nicht absichtlich und bewusst geschieht. In einer Clandynamik fußt das gemeinsame Vorgehen nicht auf wirklicher politischer Übereinstimmung, sondern vielmehr auf Freundschaft, Loyalität, gemeinsamen persönlichen Interessen oder geteilten Frustrationen. Oft ist eine solche Dynamik in dem Maße, wie sie nicht auf gemeinsamen politischen Übereinstimmungen basiert, von der Existenz von „Gurus“ und „Leitwölfen“ begleitet, welche die Einheit des Clans garantieren und ihre Kraft aus einen besonderen Charisma schöpfen. Diese können die politischen Fähigkeiten und die Urteilskraft anderer Militanter lahmlegen, indem sie als „Opfer“ dieser oder jener Politik der Organisation präsentiert werden oder sich selbst als solches darstellen. Wenn eine solche Dynamik entsteht, entscheiden die Mitglieder oder Sympathisanten des Clans nicht infolge einer bewussten und rationalen Wahl über ihre Haltung und die Entscheidungen, die sie treffen, sondern als Resultat der Claninteressen, die dazu neigen, sich gegen jene der Organisation zu richten.16
Im Besonderen werden alle Interventionen, die eine Position beziehen, welche ein Clanmitglied (bzw. das, was es sagt oder tut) herausfordert, als eine „persönliche Abrechnung“ mit ihm oder dem ganzen Clan betrachtet. Ferner neigt in einer solchen Dynamik ein Clan oft dazu, eine monolithische Front zu präsentieren (und es vorzuziehen, seine schmutzige Wäsche innerhalb der Familie zu waschen), die begleitet wird von einer blinden Disziplin, indem man sich ohne Diskussion um die Orientierungen des „Rudelführers“ schart.
Es ist eine Tatsache, dass einzelne Mitglieder der Organisation aufgrund ihrer Erfahrungen, politischen Kapazitäten oder der Bestätigung ihrer Einschätzungen durch die Realität eine größere Autorität erlangen können als andere Militante. Das Vertrauen, welches ihnen die anderen Militanten spontan entgegenbringen, auch wenn sie deren Standpunkt im Moment nicht mit Sicherheit teilen, ist eine normale Sache im Leben der Organisation. Es kann auch vorkommen, dass die Zentralorgane oder einzelne Militante vorübegehend um Vertrauen ersuchen, auch wenn sie noch nicht unmittelbar alle Elemente haben, um ihre Überzeugung fundiert darlegen zu können oder die Bedingungen für eine klare Debatte in der Organisation noch nicht existieren. Im Gegenteil dazu ist es nicht normal, definitiv mit einer Position einverstanden zu sein, nur weil sie von dem Genossen X vertreten wird. Sogar die größten Namen in der Geschichte der Arbeiterbewegung haben Fehler gemacht. In diesem Sinne kann das Festhalten an Positionen nur auf einer wirklichen Übereinstimmung basieren, für welche eine unerlässliche Bedingung die Qualität und Tiefe der Debatte ist. Dies ist auch die beste Garantie für die Solidität und Dauerhaftigkeit einer Position innerhalb der Organisation, die nicht einfach in Frage gestellt werden kann, nur weil Genosse X seine Meinung geändert hat. Die Militanten sollten nicht ein für allemal daran „glauben“, was ihnen selbst von einem Zentralorgan gesagt wird. Ihr kritischer Geist muss ständig aktiv sein (auch wenn dies nicht heißt, dass sie ständig kritisieren müssen). Dies verleiht den Zentralorganen wie auch den Militanten, welche ein großes „Gewicht“ haben, die Verantwortung, nicht bei jeder Gelegenheit und wahllos die „Argumente der Autorität“ zu nutzen. Im Gegenteil, sie müssen jede Tendenz zum „Hinterherdackeln“, zu oberflächlichen Argumenten ohne Überzeugung und ohne Nachdenken bekämpfen.
Eine Clandynamik kann auch von der Vorgehensweise einer nicht notwendigerweise bewussten „Infiltration“ geprägt sein, das heißt,  die Besetzung von Schlüsselpositionen in der Organisation (wie den Zentralorganen zum Beispiel, aber nicht nur) mit Clanmitgliedern oder Personen, die vom Clan überzeugt werden können. Das ist eine gebräuchliche Praxis und wird systematisch in den bürgerlichen Parteien angewandt. Es muss von einer kommunistischen Organisation entschieden zurückgewiesen werden. Sie muss gegenüber diesen Methoden sehr wachsam sein. Besonders bei der Besetzung der Zentralorgane „ist es notwendig, die Fahigkeit (der Kandidaten), kollektiv zu arbeiten, zu berücksichtigen“ (Statuten). Es ist ebenfalls wichtig, bei der Auswahl jener Militanten, die in solchen Organen arbeiten sollen, darauf zu achten, dass die Möglichkeit einer Clandynamik bezüglich Affinitäten und persönlichen Verbindungen zwischen den betroffenen Militanten möglichst gering gehalten wird. Deshalb muss die Organisation besonders soweit wie möglich vermeiden, dass zwei Militante, die in einer privaten Beziehung zusammenleben, für die gleiche Kommission nominiert werden. Ein Mangel an Wachsamkeit auf diesem Gebiet kann sehr schädliche Konsequenzen für die politische Kapazität der Militanten und der ganzen Organisation haben. Bestenfalls könnte das fragliche Organ, gleichgültig wie die Qualität seiner Arbeit ist, vom Rest der Organisation als „Gang von Freunden“ übelgenommen werden und damit zu einem bedeutsamen Verlust der Autorität des Organs führen. Schlimmstenfalls endet dieses Organ in einem Verhalten als abgesonderter Clan, mit allen Gefahren, die dies beinhaltet, oder wird von den Konflikten zwischen den Clans in ihm gar gelähmt. Im beiden Fällen kann die Existenz der ganze Organisation davon betroffen sein.
Letztendlich kann eine Clandynamik den Boden schaffen, auf dem eine Praxis ausgeübt wird, die der des bürgerlichen Wahlspektakels näher steht als jener der kommunistischen Militanz:
Kampagnen zur Verführung derjenigen, die der Clan für sich gewinnen will oder um deren Stimme bzw. Unterstützung für diese oder jene Nominierung für besondere Verantwortlichkeiten er wirbt17;
Verleumdungskampagnen gegen diejenigen, die den Clan ablehnen oder „Posten“ besetzen, die von Mitgliedern des Clans begehrt werden, oder die einfach ein Hindernis für seine Ziele sind.
Warnungen vor der Gefahr, ein Verhalten anzunehmen, das dem kommunistischen Militanten fremd ist, sollten nicht als „Kampf gegen Windmühlen“ betrachtet werden. Tatsächlich war die Arbeiterbewegung  in ihrer Geschichte häufig mit dieser Art von Benehmen, diesem beredten Zeugnis für den Druck der herrschenden Ideologie in ihren Reihen, konfrontiert. Auch die IKS kann dem nicht entweichen. Anzunehmen, dass die IKS von jetzt an immun gegen diese Plage sei, ist keine politische Klarsicht, sondern religiöser Glaube. Im Gegenteil, das zunehmende Gewicht des Zerfalls, der das Ausmaß der Atomisierung (und somit die Suche nach einem Schutz), Irrationalitat, emotionalen Herangehensweise und Demoralisierung noch verstärkt, kann nur die Bedrohung steigern, die von einem derartigen Verhalten ausgeht. Dies muss gegenüber den Gefahren, die dies darstellt, noch wachsamer machen. 
Das heisst nicht, dass sich in der Organisation eine ständiges Misstrauen unter den Genossen breitmachen soll. Das Gegenteil ist der Fall. Das beste Mittel gegen Misstrauen ist Wachsamkeit gegenüber Situationen, die das Misstrauen nähren könnten. Diese Wachsamkeit muss gegenüber jederlei Verhalten ausgeübt werden, das zu solchen Gefahren führen können. Insbesondere bei informellen Diskussionen unter Genossen und Fragen, welche das Leben der Organisation betreffen, gilt: Wenn sie in einem gewissen Umfang schon unumgänglich sind, so müssen sie wenigstens so weit wie möglich begrenzt werden und in verantwortlicher Art geführt werden. Während der formale Rahmen der Organisation, der bei den lokalen Sektionen beginnt, für zuverlässige Protokolle und Diskussionen wie auch für ein wirklich bewusstes und politisches Nachdenken am geeignetesten ist, lässt der „informelle“ Rahmen Spielraum für unverantwortliche Haltungen und ist darüber hinaus von Subjektivität gekennzeichnet. Besonders wichtig ist, allen Verleumdungskampagnen gegen Mitglieder der Organisation (wie natürlich auch der Zentralorgane) den Weg zu versperren. Diese Wachsamkeit gegenüber solches Verhalten muss gegenüber sich selbst wie auch gegenüber anderen ausgeübt werden. Auf diesem Gebiet wie auch auf vielen anderen, müssen sich die erfahrensten Militanten und besonders die Mitglieder der Zentralorgane vorbildlich verhalten und immer die Wirkung dessen bedenken, was sie sagen. Und was sie sagen ist noch wichtiger und schwerwiegender gegenüber neuen Genossen:
welche die Opfer von Verleumdungen nicht gut kennen und das, was gesagt wird, wörtlich nehmen;
welche Gefahr laufen, entweder sich dieser Art von Benehmen anzupassen oder von dem Bild, das die Organisation bietet, angeekelt und demoralisiert werden;
Um diesen Teil über die Beziehungen zwischen der Organisation und ihren Militanten zu schließen, ist es notwendig, zu betonen und  daran zu erinnern, dass die Organisation nicht einfach die Summe ihrer Militanten ist. Im historischen Kampf für den Kommunismus bringt das kollektive Wesen des Proletariats als Teil seiner selbst ein anderes kollektives Wesen ans Tageslicht, die revolutionäre Organisation. Kommunistische Militante sind diejenigen, die ihr Leben dafür widmen, dieses kollektive und vereinigte Wesen, das ihre Klasse ihnen anvertraut, am Leben zu erhalten, es fortzuentwickeln und zu verteidigen. Alle anderen Konzeptionen, besonders jene, welche die Organisation als die Summe ihrer Militanten betrachtet, sind von der bürgerlichen Ideologie beeinflusst und bilden eine tödliche Gefahr für die Existenz der Organisation.
Nur mittels dieser kollektiven und einheitlichen Auffassung der Organisation kann die Frage der Zentralisierung verstanden werden.

3.2. Die Zentralisierung der Organisation

Diese Frage stand im Zentrum des Aktivitätenberichts, welchen wir auf dem 10. Internationalen Kongress präsentierten. Darüber hinaus betreffen die Schwierigkeiten, mit denen die meisten Sektionen konfrontiert sind, nicht direkt die Frage der Zentralisierung. Schließlich ist es weitaus einfacher, die Frage der Zentralisierung zu verstehen, wenn man die Frage der Beziehungen zwischen der Organisation und ihren Militanten begriffen hat. Daher ist dieser Teil des vorliegenden Textes weniger detailliert als der erste Teil und größtenteils aus Auszügen des grundlegenden Textes Bericht zur Struktur und Funktionsweise von 1982 zusammengestellt, zu welchem wir wegen der Verständnislosigkeit, die sich in letzter Zeit breitgemacht hat, notwendigerweise Kommentare hinzufügen.

a) Die Einheit der Organisation und die Zentralisierung

„Der Zentralismus ist kein abstraktes oder frei wählbares Prinzip für die Organisationsstruktur. Er stellt die Konkretisierung ihres Einheitscharakters dar. Er spiegelt die Tatsache wider, dass die Organisation als ein einheitlicher Körper Position bezieht und in der Klasse handelt. In der Beziehung zwischen den verschiedenen Teilen der Organisation und dem Ganzen überwiegt das Ganze (...) Wir müssen resolut die Auffassung verwerfen, derzufolge einzelne Teile der Organisation gegenüber der Klasse oder der Organisation Positionen oder Einstellungen vertreten können, die ihnen im Gegensatz zu den von ihnen als falsch erachteten Positionen der Organisation, als richtig erscheinen: (...) Wenn die Organisation einen falschen Weg einschlägt, besteht die Verantwortung der Mitglieder, die glauben, eine richtige Position zu verteidigen, nicht darin, sich in ihre eigene kleine Ecke zurückzuziehen, sondern einen Kampf innerhalb der Organisation zu führen, um damit beizutragen, sie wieder auf den richtigen Weg zu bringen.” (ebenda, Punkt 3)
“In der Organisation setzt sich das Ganze nicht aus der Summe der Teile zusammen. Die einzelnen Teile erhalten ein Mandat für  die Durchführung einer besonderen Aufgabe  (territoriale Presse, lokale Intervention usw.) und sind somit gegenüber der gesamten Organisation für die Durchführung des Mandats verantwortlich.” (ebenda, Punkt 4)
Diese kurzen Abstecher zum Bericht von 1982  zeigen deutlich, dass das Beharren auf die Frage der Einheit der Organisation die prinzipielle Achse dieses Dokuments ist. Die veschiedenen Teile der Organisation können nur als Teile des Ganzen, als Delegationen und Instrumente dieses Ganzen begriffen werden. Ist es notwendig zu wiederholen, dass diese Auffassung ständig in allen Teilen der Organisation präsent sein muss?
Nur auf dieser Basis, dem Beharren auf die Einheit der Organisation, bringt der Bericht die Frage des Kongresses (welcher hier keine Rolle spielt) und der Zentralorgane ein.
„Das Zentralorgan ist ein Teil der Organisation, und als solches ist es der Organisation gegenüber verantwortlich, wenn diese zu ihrem Kongress zusammenkommt. Jedoch handelt es sich um einen Teil, der zur Aufgabe hat, das Ganze zum Ausdruck zu bringen und zu repräsentieren. Deshalb sind die Positionen und Beschlüsse des Zentralorgans immer höherwertig gegenüber denen, die andere Teile der Organisation getrennt davon getroffen haben.” (ebenda, Punkt 5)
“Im Gegensatz zu bestimmten Auffassungen, insbesondere der so genannten ‚leninistischen‘, ist das Zentralorgan ein Instrument der Organisation und nicht umgekehrt. Es ist nicht die Spitze einer Pyramide, wie das eine hierarchische und militärische Auffassung von der Organisation der Revolutionäre meinen könnte. Die Organisation besteht nicht aus dem Zentralorgan plus Militante, sondern stellt ein dichtes und vereinigtes Netz dar, innerhalb dessen alle Teile miteinander verbunden sind und zusammenwirken. Man muss deshalb das Zentralorgan eher als den Kern einer Zelle auffassen, der den Stoffwechsel eines lebendigen organischen Einheit koordiniert.” (ebenda)
Dieses Bild ist grundlegend für das Verständnis der Zentralisierung. Es alleine, erlaubt uns im Besonderen das Verständnis dafür, weshalb es in einer einheitlichen Organisationen mehrere Zentralorgane mit verschiedenen Verantwortlichkeiten geben kann. Wenn wir die Organisation wie eine Pyramide betrachten, deren Spitze das Zentralorgan ist, wären wir mit einer unmöglichen geometrischen Figur konfrontiert: mit einer Pyramide, die eine Spitze hat und aus  vielen kleinen Pyramiden besteht, die alle eine eigene Spitze haben. In der Praxis wäre eine solche Organisation genauso abwegig wie diese geometrische Figur und könnte auch nicht funktionieren. Es sind die Administrationen und die Unternehmen der Bourgeoisie, welche eine pyramidenhafte Architektur haben. Damit Letztere funktionieren, werden die Verantwortlichkeiten zwangsläufig von oben nach unten delegiert. Dies ist nicht der Fall bei der IKS, die gewählte Zentralorgane auf den verschiedenen territorialen Ebenen hat. Solch eine Funktionsweise entspricht genau der Tatsache, dasss die IKS eine lebendige Einheit (wie die einer Zelle in einem Organismus) ist, in der die verschiedenen organisatorischen Momente Ausdruck des einheitlichen Ganzen sind.
In einer solchen Auffassung, welche detailliert in den Statuten ausgedrückt wird, kann es keine Konflikte und Widersprüche zwischen den verschiedenen Strukturen der Organisation geben. Es können durchaus Meinungsverschiedenheiten irgendwo in der Organisation entstehen. Aber das ist Teil des normalen Lebens. Doch wenn Meinungsverschiedenheiten zu Konflikten  führen, bedeutet dies, dass irgendwo diese Auffassung über die Struktur verlorengegangen ist und sich eine andere Sichtweise eingeschlichen hat, welche nur zu Gegensätzen zwischen den verschiedenenen „Spitzen“ führt. In einer solchen Dynamik, welche zum Auftauchen mehrerer „Zentren“ und dadurch zu Konflikten zwischen ihnen führt, ist die Einheit der Organisation und somit ihre ganze Existenz in Frage gestellt.
Die Fragen der Organisation und des Funktionierens sind nicht nur von höchster Wichtigkeit, sie sind auch am schwierigsten zu begreifen.18 Viel mehr als andere Fragen ist ihr Verständnis mit der Subjektivität der Militanten verbunden, welche ein wichtiges Einfallstor für das Eindringen fremder Ideologien in das Proletariat sein kann. Als solche sind sie Fragen, die par excellence niemals endgültig beantwortet werden. Es ist daher wichtig, dass sie Gegenstand anhaltender Wachsamkeit auf Seiten der Organisation und aller ihrer Militanten sind.                                                                                                                                                14. Oktober 1993

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Kommunistische Linke [4]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [5]

Kriegsdrohungen gegen den Irak

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Das Versinken in die kriegerische Barbarei

Täglich konkretisiert sich die Gefahr eines neuen Krieges gegen den Irak. Bush jun. beabsichtigt, einen Schritt weiter zu gehen als sein Vater 1991. Er möchte dem Irak nicht nur eine neue militärische Niederlage bereiten, sondern diesmal auch gleich das Regime von Saddam Hussein zerschlagen. Diese neuen Kriegsdrohungen passen in die allgemeine Situation der immer größeren Allgegenwart des Krieges in der internationalen Arena. Ein Jahr nach den Attentaten vom 11. September und dem von den USA der ganzen Welt, insbesondere den als „Achse des Bösen“ bezeichneten Ländern, erklärten „Krieg gegen den Terror“ hat sich die Situation nur verschlimmert.

Offensichtlich klärten die Zerschlagung des Talibanregimes und der Krieg gegen die al-Kaida in Afghanistan nichts: Die große internationale antiterroristische Koalition unter straffer Kontrolle des Weißen Hauses war nicht von Dauer. Hinter der Flut der Reportagen und offiziellen Mitteilungen über die „internationale Solidarität“ anlässlich der Erinnerungsfeierlichkeiten vom 11. September haben sich nun die Kritiker gegenüber der amerikanischen Politik insbesondere in Europa und in den arabischen Ländern viel offener geäußert. In Afghanistan selbst zeigten das Attentat vom 5. September auf dem Markt von Kabul, das ca. 30 Tote und Hunderte von Verletzten forderte, und einige Stunden später das Attentat gegen den Präsidenten Karzai die Zerbrechlichkeit eines Regimes, das auf Gedeih und Verderb vom Weißen Haus abhängt.

Seit einem Jahr kann man aber hauptsächlich einer Zunahme von kriegerischen Spannungen in anderen Ländern beiwohnen. Zu Sommerbeginn drohte ein neuer, möglicherweise mit Atomwaffen geführter Krieg zwischen Indien und Pakistan auszubrechen, dessen Risiken nach wie vor bestehen (s. International Review  Nr. 110, engl./frz./span. Ausgabe). Ebenso hat sich die Situation in Palästina verschlimmert. Und jetzt zeichnet sich eine Neuauflage des Golfkrieges von 1991 ab. „Die Ära des Friedens“, die uns Bush sen. noch 1989 anlässlich des Zusammenbruchs des Ostblocks versprochen hatte, offenbart sich nun als eine Ära einer seit dem Zweiten Weltkrieg beispiellosen Intensivierung der kriegerischen Barbarei. Diese Entwicklung bestätigt klar die Analysen und Voraussagen, die die Revolutionäre angesichts des einschläfernden Geredes der Hauptdirigenten der Weltbourgeoisie gemacht hatten.

Der Militarismus und der Krieg in der aktuellen Periode

In der Internationalen Revue Nr 13 gab unser Orientierungstext Militarismus und Zerfall, der noch vor dem Golfkrieg geschrieben worden war, einen Analyserahmen für die imperialistischen Rivalitäten in der kapitalistischen Welt für die Periode nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der darauf folgenden Auflösung des westlichen Blocks: „Seit dem Anfang des Jahrhunderts war der Krieg die entscheidendste Frage, vor der die Arbeiterklasse und ihre revolutionären Minderheiten standen. (...) Der Grund dafür liegt darin, dass der Krieg die konzentrierteste Form der Barbarei des dekadenten Kapitalismus ist, der seinen Todeskampf und die Bedrohung, die er für das Überleben der Menschheit darstellt, am deutlichsten zum Ausdruck bringt. Mehr noch als während der vergangenen Jahrzehnte wird gegenwärtig die kriegerische Barbarei (obgleich z.B. Bush und Mitterand immer von einer ‘neuen Friedensordnung’ reden) ein ständiger und überall vorhandener Faktor der Weltlage sein, wobei immer mehr entwickelte Länder daran beteiligt sein werden.“ (Punkt 13)

Weiter schrieben wir damals: „Der allgemeine Zerfall der Gesellschaft stellt die letzte Phase des Zeitraums der Dekadenz des Kapitalismus dar. In dieser Phase werden die typischen Merkmale der Dekadenzperiode nicht hinfällig: die historische Krise der kapitalistischen Wirtschaft, der Staatskapitalismus und auch die grundlegenden Phänomene wie der Militarismus und der Imperialismus. Weil der Zerfall als die Spitze der Widersprüche erscheint, in die der Kapitalismus in seiner Dekadenz verfällt, werden die typischen Merkmale dieser Periode noch verschärft. (...) Das gleiche trifft für den Militarismus und Imperialismus zu, wie man es schon während der 80er Jahre feststellen konnte, als das Phänomen des Zerfalls in Erscheinung trat und sich verbreitete. Und wenn die Welt jetzt nicht mehr nach dem Zusammenbruch des Ostblocks in zwei Blöcke gespalten ist, ändert das auch nichts an dieser Wirklichkeit. Denn die Bildung zweier imperialistischer Blöcke ist nicht die Ursache für den Militarismus und den Imperialismus. Das Gegenteil ist der Fall: die Bildung der Blöcke ist nur die extremste Konsequenz, ein Ausdruck  des Versinkens des dekadenten Kapitalismus im Militarismus und im Krieg. Bei der Beziehung zwischen der Bildung der Blöcke und dem Imperialismus gibt es gewisse Parallelen zwischen dem Verhältnis Stalinismus und Staatskapitalismus. Genau so wenig wie das Ende des Stalinismus die historische Tendenz des Staatskapitalismus infrage stellt, von dem er nur ein Ausdruck war, kann das gegenwärtige Verschwinden der Blöcke keinesfalls zu einer Abschwächung des Imperialismus und seines Gewichtes in der Gesellschaft führen. Der grundlegende Unterschied liegt in der Tatsache, dass das Ende des Kapitalismus einerseits der Eliminierung einer besonders abartigen Form des Staatskapitalismus entspricht, andererseits ist das Ende der Blöcke nur der Auftakt einer noch barbarischeren, abartigeren, chaotischeren Form des Imperialismus.“ (Punkt 5)

Ab Januar 1991 zeigte der Golfkrieg, „dass gegenüber der für den Zerfall typischen Tendenz zum allgemeinen Chaos, welche wiederum durch den Zusammenbruch des Ostblocks beschleunigt wurde, es keinen anderen Ausweg für den Kapitalismus gibt als den Einsatz von Waffen. Sein Versuch, die verschiedenen Teile eines Körpers zusammenzuhalten, der auseinander bricht, kann nur mit Gewalt erfolgen. Deshalb sind die Mittel selber, die er einsetzt, um dieses immer blutiger werdende Chaos einzudämmen, selber ein gewaltiger Faktor der Verschärfung der kriegerischen Barbarei, in die der Kapitalismus immer mehr versinkt.“ (Punkt 8)

Deshalb besteht „heute die Perspektive einer Vervielfachung und Ausweitung von lokalen Kriegen und Interventionen der großen Mächte, die die bürgerlichen Staaten bis zu einem gewissen Grad ohne Zustimmung des Proletariats führen können“ (Resolution des 13. Kongresses der IKS 1999, International Review Nr. 97, engl./frz./span. Ausgabe)

Die gegenwärtige Lage bestätigt die Zunahme der permanenten Barbarei in einer vom „Jeder-für-sich“ und der allgemeinen Konkurrenz zwischen den großen als auch kleinen imperialistischen Mächten beherrschten kapitalistischen Welt. In diesem Kontext haben die nationalen Bourgeoisien, allen voran die USA, die in der Bevölkerung ein Klima der Psychose und der nationalen Hysterie entfacht und aufrechterhalten haben, aber auch all die anderen Staaten, die eine Rolle in der globalen Arena spielen, eine neue Etappe in der Mobilisierung ihrer Armeen zur Kriegsführung eingeleitet. Auch haben sie die Verteidigungsbudgets beträchtlich gesteigert.

Wenn die Attacken vom 11. September, wie Bush gesagt hat, ein „Kriegsakt“ waren, so waren sie „ein Akt eines kapitalistischen Krieges, ein Moment des permanenten imperialistischen Krieges, der die Epoche der Dekadenz des Kapitalismus kennzeichnet.“ (Resolution der außerordentlichen Konferenz der IKS im April 2002 zur internationalen Lage) Im Gegenzug zu den Attentaten vom 11. September haben die USA in Afghanistan im Namen des Krieges gegen den Terror intervenieren können. Sie haben sich als Herren im Herzen Zentralasiens installiert: in Afghanistan, Tadschikistan, Usbekistan und auch in Georgien. Dieses Land ist heute als Folge der amerikanischen Präsenz enormen Pressionen durch Russland ausgesetzt. Die USA steuern aber viel weitreichendere strategische Zielsetzungen an.

Das Ziel der amerikanischen Bourgeoisie ist die Sicherung der Kontrolle nicht nur über diese Region, die sich ehemals im Besitz Russ-

lands befand, sondern über den Nahen und Mittleren Osten bis zum indischen Subkontinent. Mit Nordkorea auf der Liste der “Achse des Bösen“ wollen die USA auch China und Japan herausfordern. Dieses Vorgehen zielt auf die Einkreisung der westeuropäischen Mächte und vor allem auf die Blockade des deutschen Imperialismus ab, der der gefährlichste imperialistische Rivale ist und der über die slawischen Gebiete nach Osten expandieren will.

In diesem Kontext stehen die Kriegsdrohungen gegen den Irak.

Welche Interessen stehen hinter diesem Kriegsplan?

Weshalb diese Hartnäckigkeit gegenüber Saddam Hussein?

Ganz klar stellt der Irak unter Saddam Hussein heute keine reale Gefahr dar. Während seine Armee noch vor 1991 als die fünftgrößte der Welt galt, wurde sie in der Folge stark dezimiert und hat seit dem Ende des Golfkrieges zwei Drittel ihres Bestandes verloren. Was das seither bestehende Embargo anbelangt, so hat es nicht nur die Wiederaufrüstung der irakischen Armee verhindert, sondern auch die Beschaffung von Ersatzteilen. Beinahe das gesamte militärische Material des Iraks stammt aus der Zeit vor dem Golfkrieg, was selbst die New York Times vom 26. 8. 2002 zugibt.

Weiter haben die USA seither über den Irak unter dem Vorwand, Massaker an der kurdischen und schiitischen Minderheit zu verhindern, sowohl im Norden als auch im Süden Flugverbotszonen verhängt. Der irakischen Luftwaffe ist es somit untersagt, die Hälfte des eigenen Territoriums zu überfliegen.[i] Die USA haben nun eine „nukleare Gefahr“ hervorgezaubert. Im Bericht des Internationalen Instituts für strategische Studien (IISS) wird dieses Argument zugunsten „eines bedeutenden Vorrats an biologischen und chemischen Waffen“ zurückgestellt. Auf diesem Bericht beruht jetzt auch die „potentielle irakische Gefahr“.

Offensichtlich ist die von der Regierung Bush zur Rechtfertigung einer Intervention beschworene allgegenwärtige Gefahr nichts als eine Propagandalüge. Unter denjenigen, die die Politik der USA offen kritisieren, gibt es solche, die einen anderen Grund für den amerikanischen Wunsch nach einer Intervention nennen: Die USA wollten die Kontrolle über die irakischen Ölreserven, die zweitgrößten der Welt, sicherstellen. Le Monde Diplomatique schrieb im Oktober 2002 dazu: „Die Kontrolle über die zweitgrößten Reserven an Rohöl in der Welt würde es dem amerikanischen Präsidenten erlauben, den ganzen globalen Erdölmarkt umzustürzen. Unter einem amerikanischen Protektorat könnte der Irak seine Produktion innert Kürze verdoppeln, was als unmittelbare Folge einen Preissturz nach sich ziehen würde und somit vielleicht zu einer Ankurbelung des Wachstums in den USA führen könnte.“

Zuerst muss man dazu sagen, dass die Idee, das irakische Öl könnte die amerikanische Wirtschaft antreiben (oder - eine sich mehr „marxistisch“ gebende Variante derselben Argumentation - den USA eine „Erdölrente“ sichern), lässt einige sehr wichtige Aspekte außer Betracht: Der erhöhten Förderung müssten fünf Jahre von hohen Investitionen vorausgehen, bevor aus dem irakischen „Manna“ wirklich Profit gezogen werden könnte.[ii] Zudem unterliegt bereits die heutige Förderung weitgehend einem amerikanischen Diktat: politisch durch die Exportkontrolle unter Führung der UNO; militärisch durch die amerikanischen Bomber, die die ganze Erdölindustrie des Irak im Visier haben; wirtschaftlich durch den Einfluss der großen amerikanischen Erdölfirmen.

Man muss vielmehr man auf der Tatsache beharren, dass das Interesse aller großen Mächte am Nahen Osten hauptsächlich ein strategisches ist. Dieses Interesse ging selbst der Entdeckung des Erdöls in dieser Region voraus. Bereits im 19. Jahrhundert trugen Großbritannien, Russland und Deutschland um Irak, Iran und Afghanistan das seinerzeit so genannte „Große Spiel“ um Einfluss aus. Dieses Gebiet gewann mit dem Bau des Suezkanals, einer strategischen Verbindung Großbritanniens zu seiner Kronkolonie Indien, noch mehr an Bedeutung. Heute bleibt die geostrategische Bedeutung dieser Region vollumfänglich bestehen, jedoch ist sie durch die strategische Bedeutung des Erdöls als unabdingbarer Rohstoff für die Wirtschaft und den Krieg erweitert worden. Wenn die USA zu einer absoluten Kontrolle über Erdöllieferungen an Europa oder Japan gelangen würden, würde dies bedeuten, dass sie in der Lage wären, im Falle einer schweren internationalen Krise starken Druck auf ihre Kontrahenten auszuüben. Sie müssten nicht einmal mehr mit nackter Gewalt drohen, um diese Länder gefügig zu machen.

Mit diesem erneuten Gewaltbeweis gegenüber dem Irak wollen die USA ihre Glaubwürdigkeit und ihre Autorität sowohl in der Region als auch auf dem ganzen Planet wirkungsvoll verstärken. Der Golfkrieg von 1991 zielte hauptsächlich darauf ab, die ehemals im Westblock Verbündeten wieder hinter den USA aufzureihen. Diese Verbündeten begannen nach der Auflösung des „Reichs des Bösen“ (wie es Reagan genannt hatte), dem Ostblock und der UdSSR, die Hegemonie der USA infrage zu stellen. Die Operation war von einem zeitweiligen Erfolg gekrönt, jedoch begannen die Ex-Alliierten schon bald, seit Ende Sommer 1991, mit der Entwicklung des Kriegs in Ex-Jugoslawien erneut ihre eigenen Karten zu spielen (an allererster Stelle Deutschland, das Slowenien und Kroatien zur Abspaltung gedrängt hatte). In dieser Zeit begnügten sich die USA mit der Vertreibung der irakischen Truppen aus Kuwait ohne weitere Behelligung Saddam Husseins. Dafür gab es verschiedene Gründe. Die Zusammenarbeit von Saudi-Arabien und Frankreich war an die Bedingung geknüpft, Saddam Hussein am Ruder zu belassen. Hätten sich die USA nicht an diese Abmachung gehalten, wäre die Koalition, die ja ein Ziel von Bush sen. war, schnell auseinander gebrochen. Jedoch waren auch alle „Alliierten“ inklusive den USA am Erhalt der Macht Saddam Husseins interessiert, damit dieser weiterhin seiner Rolle als lokaler Gendarm bei den Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden im Norden und der Schiiten im Süden gerecht werden konnte. Diese Feindseligkeiten hätten die ganze Region destabilisieren können. Die Tatsache, dass die USA heute jegliche diesbezügliche Vorsicht missen lassen, dass sie die Gefahr der Opposition einer gewissen Anzahl von Mächten und mehrerer wichtiger arabischer Länder gegen ihr Vorgehen in Kauf nehmen, dass sie selbst das Risiko einer weiteren Destabilisierung der Situation in dieser Region auf sich nehmen, zeigt nichts anderes als die Verschärfung der globalen Situation seit 1991. Es bedeutet ein weiteres Abtauchen ins wachsende Chaos, das immer blutiger wird. Wie wir bereits vor mehr als zehn Jahren angekündigt haben, sind die USA zu einer Flucht nach vorn unter Anwendung ihrer militärischen Kraft genötigt, wenn sie ihre Führerschaft bewahren wollen.

Ein weiteres Verdienst des jetzigen Vorgehens gegen den Irak ist die Sprengung der europäischen Front. Das ist ein exzellentes Mittel zur Spaltung der europäischen Mächte, hauptsächlich zwischen Großbritannien auf der einen und Frankreich und vor allem Deutschland auf der anderen Seite. Großbritannien bleibt die Hauptstütze in einem Krieg gegen den Irak. Nicht aus Solidarität gegenüber den USA handelt die britische Bourgeoisie auf diese Weise, sondern weil sich Großbritannien schon immer entschieden für eine Vertreibung von Saddam Hussein eingesetzt hat, um wieder vermehrt Einfluss in dieser ehemaligen britischen Kolonie ausüben zu können. Es ist also ein reiner Zufall, dass ihre Interessen mit denjenigen der USA übereinstimmen. Sie erwarten von den USA auch eine Entschädigung für die militärische Unterstützung. Im Gegensatz dazu hat sich Frankreich immer gegen eine neue militärische Intervention auf irakischem Boden gestellt und die Verbindung zu Saddam Hussein selbst nach dem Golfkrieg weiter gepflegt (wie auch mit Libanon und Syrien). Frankreich hat im UNO-Sicherheitsrat auch immer die Beendigung des Embargos gegen den Irak verlangt. Auch Deutschland hat immer versucht, seine Position im Nahen Osten durch eine Achse Berlin-Bagdad über den Balkan und die Türkei zu verstärken.

Ein waghalsigeres Unterfangen als in Afghanistan

Der Norden wie der Süden Iraks sind schon von unzähligen, nicht enden wollenden englisch-amerikanischen Luftangriffen heimgesucht worden, welche unter diversen Vorwänden als Generalprobe der Kriegsoperation dienen (so z.B. am 27. August, als die Entdeckung von Radaranlagen in einer demilitarisierten Zone dazu diente, den Flughafen von Mossul als Zielscheibe zu benutzen). In diesem Sinne hat sich das Weiße Haus mit strategischen Basen zur Intervention abgesichert (in Kuwait sind nahezu 50’000 amerikanische Soldaten stationiert). Im Vergleich zum Golfkrieg von 1991 kann das Weiße Haus nun die Schwächen der einen durch die Unterstützung der anderen wettmachen. So ist zum Beispiel die Türkei bereit, von jetzt den amerikanischen Geschwadern an als Basis im Hinterland zu dienen. Die Arabischen Emirate, Kuwait, Oman, Bahrain und vor allem Katar würden wohl als strategische Regionalbasen dienen.[iii] Jordanien wird mit seinem Territorium der Neutralisierung der Westgrenze Iraks, nahe zu Israel, dienen.

Nichtsdestotrotz scheint dieses Unterfangen noch riskanter als das Kriegstreiben in Afghanistan, da die Vereinigten Staaten im jetzigen Fall die Drecksarbeit vor Ort nicht anderen (wie der afghanischen Nordallianz) überlassen können, und trotz des Rückzugs aus der afghanischen Militäroperation mit „null Toten“ kann das Vietnamsyndrom wiedererweckt werden. Auch die Bereitstellung einer breiten demokratischen Opposition auf diesem Terrain  für die Zeit „nach Saddam Hussein“ ist weit davon entfernt, schon eine klare Tatsache zu sein. Eine weitere Schwierigkeit ist die viel größere Vielfalt von entgegengesetzten Einflüssen auch auf regionaler Ebene, als dies in Afghanistan der Fall ist. Die kurdischen und schiitischen Minderheiten sind aus amerikanischer Sicht nicht zuverlässig, die Ersteren, da unter Druck mehrerer europäischer Mächte beeinflussbar, die Letzteren, da in Abhängigkeit vom iranischen Staat und im Dienste seiner Interessen stehend. Hinzu kommen die Vorbehalte der Türkei mit ihrer Sensibilität gegenüber der kurdischen Frage einerseits, wobei Saddam Hussein immerhin noch die Grenze absichert; andererseits und vor allem wegen der Anziehung, die die Türkei gegenüber der Europäischen Union verspürt, die umgekehrt den Druck auf sie verstärkt. Das andere Risiko betrifft das Image der amerikanischen Bourgeoisie, deren Ruf als „Wegbereiter des Friedens“ im Nahen Osten in den gesamten arabischen Staaten definitiv getrübt wird und deren in dieser Region erreichte Positionen längerfristig geschwächt werden.

Schon bei ihrer Absicht, der Welt ihre Vision einer „ernsthaften Gefahr“ aus dem Irak einzuhämmern, sehen sich die Vereinigten Staaten zwangsweise mit einem ersten Hindernis konfrontiert: Die amerikanische Bourgeoisie kann sich, anders als bei ihren vorangegangenen Militärinterventionen, auf keine Vorschrift des Völkerrechts stützen, um ihr Kriegstreiben zu rechtfertigen. Während 1991 Saddam Husseins Intervention in Kuwait als Vorwand zur Entfesselung des Golfkriegs diente, gibt es heute keine rechtliche Absicherung für einen Präventivkrieg. Mit dem neu von der amerikanischen Bourgeoisie gegenüber dem Irak verwendeten Begriff des „potentiellen Angreifers“ versucht sie in der Tat, jeglichen rechtlichen Rahmen auf der Ebene internationaler Beziehungen abzuschaffen und neue Regeln durchzusetzen. Diese Regeln, falls geduldet, würden unterschiedslos jede Invasion in beliebigen Territorien durch beliebige Nationen rechtfertigen und eine weitere Türe zur Verschärfung des Chaos öffnen. Diese Schwäche in der amerikanischen Strategie wird oft und ausgiebig von denjenigen Großmächten ideologisch ausgeschlachtet, die heute vorgeben, sich an die von der UNO erteilten „legalen Mandate“ zu halten. Das ist im übrigen der Grund, weshalb die Vereinigten Staaten, um ihr Handeln zu „legitimieren“, sich über die Beschlüsse der UNO und des Sicherheitsrats hinwegsetzen und die Risiken eines Misserfolgs in Kauf nehmen mussten. Dies wiederum hat Saddam Hussein einen ersten diplomatischen Erfolg beschert, als er die Zulassung von Waffeninspektoren auf irakischem Territorium erklärte: Russland, China und Frankreich, drei der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, haben sofort die irakische Position begrüßt und erklärt, als Konsequenz müsse, um die Arbeit der Inspektoren zu organisieren, auf eine Militäraktion verzichtet werden. Das Tauziehen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Irak, aber auch anderen Staaten ist also keineswegs schon im voraus entschieden.

Die Spaltungen innerhalb der amerikanischen Bourgeoisie

Der Golfkrieg wurde „legal“ im Rahmen von UNO-Resolutionen, der Kosovokrieg „illegal“ im Rahmen der NATO und die Militärkampagne in Afghanistan unter dem Banner des „Unilateralismus“ der Amerikaner geführt. Diese Politik verschärft natürlich die Feindseligkeit der anderen Staaten gegenüber Onkel Sam. Gleichzeitig lässt diese Situation das Anwachsen des Antiamerikanismus seit dem Golfkrieg von 1991 ermessen, und zwar vor allem unter der Mehrheit der europäischen Mächte. Sahen sich damals die Großmächte noch zur Beteiligung an Militäroperationen gezwungen, so tritt heute Kritik und sogar offene Opposition zum amerikanischen Vorgehen an den Tag. In Frankreich wird die Absicht Bushs, den Irak anzugreifen und Saddam Hussein zu stürzen, letztlich als krankhafte Besessenheit eines „Rambos“ präsentiert. In Deutschland, wo seit mehr als einem Jahrzehnt als goldene Regel der Diplomatie gilt, die Vereinigten Staaten wegen eigenen imperialistischen Ambitionen nicht vor den Kopf zu stoßen, hat Schröder mit der kategorischen Ablehnung jeglicher Beteiligung Deutschlands an Militärinterventionen im Irak jetzt einen Bruch vollzogen.[iv] Auch Mächte von untergeordneterer Bedeutung wie Spanien erlauben sich, an der Politik des Weißen Hauses betreffend den Irak oder den Nahen Osten Kritik zu üben.

Dieser Widerspruch findet seinen Wiederhall in Debatten und den in der amerikanischen Bourgeoisie aufgetretenen „Unstimmigkeiten“. Gewiss, schon beim Ausbruch des 2. Weltkriegs sind, betreffend der Notwendigkeit eines amerikanischen Kriegseintritts, Unstimmigkeiten in der US-Bourgeoisie ausgebrochen, nämlich zwischen den „Isolationisten“ und den „Interventionisten“. Während das republikanische Lager insgesamt „isolationistische“ Positionen vertrat, stammten die „Interventionisten“ hauptsächlich aus der demokratischen Partei. 1941 hat die von Roosevelt wohlbedacht provozierte Katastrophe von Pearl Harbor (s. Der Machiavellismus der herrschenden Klasse, Internationale Revue Nr. 29) den „Interventionisten“ ermöglicht sich durchzusetzen. Heute ist diese Kluft verschwunden. Aber die Widersprüche der amerikanischen Politik haben neue interne Divergenzen hervorgerufen, die sich nicht mehr wirklich mit denjenigen der traditionellen Parteien decken. Wohlverstanden: In der amerikanischen herrschenden Klasse existieren keine Zweifel über die Notwendigkeit, ihre weltweite imperialistische Vorherrschaft bewahren zu müssen, und dies zuallererst auf militärischem Terrain. Die divergierenden Beurteilungen betreffen vielmehr die folgende Frage: Müssen die Vereinigten Staaten die Dynamik akzeptieren, die sie zum Alleingang drängt, oder sollen sie sich um die Gunst anderer kümmern und Rücksicht nehmen auf eine gewisse Anzahl Verbündeter, wenngleich eine solche Allianz heute keinerlei Stabilität hat? Diese beiden Positionen erscheinen deutlich im Bezug auf die beiden im Brennpunkt stehenden Kriegsherde: den israelisch-palästinensischen Konflikt und die geplante Militärintervention im Irak. Als Ausdruck dieser Widersprüche zeigt sich die amerikanische Politik schwankend zwischen der vollumfänglichen Unterstützung Sharons mit der Absicht, sich Arafats zu entledigen, und den gleichzeitigen Diskursen über die unabwendbare Schaffung eines palästinensischen Staates. Der 11. September bedeutete den Antrieb zu einer Politik der quasi bedingungslosen Unterstützung Israels, wobei jedoch klar ist, dass die von Sharon und anderen noch radikaleren Fraktionen der israelischen Bourgeoisie geführte Flucht nach vorn mit der Politik der Panzer den Konflikt in eine endlose Spirale blinder Gewalt treibt, was zu einer selbstmörderischen Isolation Israels und indirekt der Vereinigten Staaten beiträgt.[v] Überdies irritiert die offene amerikanische Unterstützung Sharons viele arabische Staaten, die eigentlich nicht bedingungslose Anhänger Arafats wären. Dies könnte einen Großteil der herrschenden Klassen der arabischen Länder (v.a. Ägypten, Saudi-Arabien, Syrien) den Mächten der Europäischen Union näher bringen. Die Letzteren erklären jetzt nach dem eigenen Scheitern in der Rolle als „Wegbereiter des Friedens“ offen ihre Ablehnung einer Absetzung Arafats und schlüpfen so in die Rolle des Spielverderbers mit der Absicht, sich mittels Diplomatie die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

Die Divergenzen, welche die amerikanische Bourgeoisie in Mitleidenschaft ziehen, sind in der republikanischen Führung zu Tage getreten. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Vizepräsident Dick Cheney und Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice verteidigen die Position einer Intervention im Alleingang und dies so bald als möglich. Demgegenüber äußern sich andere hohe Köpfe des republikanischen Lagers wie Colin Powell, James Baker oder Henry Kissinger (mit der Unterstützung gewisser Wirtschaftskreise, in denen sich angesichts der im Falle eines amerikanischen Alleingangs hohen Kosten einer Militäroperation wegen der „Konjunktur der gegenwärtigen Wirtschaftskrise“ Nervosität breit macht) zurückhaltend; noch bevorzugen sie die Alternative Zuckerbrot und Peitsche.

Wenn auch die „Falken“, die Anhänger einer energischen Vorgehensweise und Verfechter einer schnellen Intervention der Vereinigten Staaten im Irak, sich durchgesetzt zu haben scheinen, verunmöglichen die dadurch in der amerikanischen Bourgeoisie aufgetauchten Probleme jegliche Sicherheit. Dies zeigen in aller Deutlichkeit die jüngsten, Aufsehen erregenden Erklärungen Al Gores, der bei den letzten Präsidentschaftswahlen (um Haaresbreite) von Bush überrundete Kandidat der Demokraten, der die Offensichtlichkeit einer unmittelbar bevorstehenden Bedrohung aus dem Irak abstreitet und die internationale Strategie Bushs folgendermaßen kritisiert: „Nach dem 11. September trafen wir weltweit auf Sympathie, Wohlwollen und Unterstützung. Dies haben wir verschwendet und an deren Stelle sind im Laufe eines Jahres Angst, Beklemmung und Unsicherheit getreten, nicht hinsichtlich bevorstehender Taten von Terroristen, sondern in Hinsicht auf die unsrigen, unsere Taten!“ (Le Monde vom 26. September). Und dann, als mangle es noch an Ausdrücklichkeit, kündigen zwei demokratische Abgeordnete an, sich nach Bagdad zu begeben, um die Risiken abzuschätzen, denen im Falle eines Kriegs die Zivilbevölkerung ausgesetzt würde. Sie ziehen bei dieser Gelegenheit am selben Strick wie gewisse Gegner der USA, die entschlossen sind, die amerikanische Kriegsinitiative im Irak zu sabotieren. Man täusche sich aber nicht betreffend die Initiative gewisser Demokraten, welche es gegenwärtig zu ihrem Ziel erklärt haben, den Krieg gegen den Irak, so wie von Bush vorgesehen, zurückzustellen. Diese Initiative soll keinesfalls der kriegerischen Seite des amerikanischen Imperialismus in den Rücken fallen, sondern, wie schon erwähnt, Vorkehrungen treffen gegen eine schon heute durch das amerikanische Säbelrasseln immer mehr fortscheitende Isolierung der Vereinigten Staaten[vi], welche wiederum die Streitpunkte der amerikanischen Führung verschärft.[vii]

Wahrhaftig drücken diese Uneinigkeiten, die innerhalb der weltweit mächtigsten herrschenden Klasse zu Tage treten, einzig den fundamentalen Widerspruch aus, in dem sich diese Bourgeoisie befindet: „Gegenüber einer Welt, die von der Dynamik des “Jeder-für-sich„ beherrscht wird, und wo insbesondere die früheren Vasallen des amerikanischen Gendarms danach streben, sich so weit als möglich aus der erdrückenden Vorherrschaft dieses Gendarmen zu befreien, die sie wegen der Bedrohung durch den gegnerischen Block ertragen mussten, besteht für die USA das einzige Mittel zur Aufrechterhaltung ihrer Autorität darin, sich auf das Instrument zu stützen, bei dem sie gegenüber allen andern Staaten eine haushohe Überlegenheit besitzen: die militärische Gewalt. Aber aufgrund dieses Einsatzes geraten die USA selber in einen Widerspruch:

–          einerseits, falls sie auf den Einsatz oder die Zurschaustellung ihrer militärischen Überlegenheit verzichten, kann das die anderen, sie herausfordernden Staaten nur ermuntern, noch weiter vorzudrängen bei dieser Herausforderung;

–          andererseits, falls sie diese rohe Gewalt anwenden, und selbst und vor allem wenn sie es dank dieses Mittels schaffen, die imperialistischen Appetite ihrer Gegner vorübergehend zurückzudrängen, werden diese aber danach streben, die erstbeste Gelegenheit zu ergreifen, um sich zu revanchieren und wieder versuchen, aus der US-Vorherrschaft auszubrechen.

Wenn die USA diese militärische Überlegenheit als Trumpfkarte ins Spiel bringen, bewirken sie das Gegenteil – je nachdem ob die Welt in Blöcke geteilt ist wie vor 1989, oder wenn die Blöcke nicht mehr bestehen. Als die Blöcke noch bestanden, neigte das Zur-Schau-Stellen dieser Überlegenheit dazu, das Vertrauen der Vasallen gegenüber ihrem Führer zu verstärken, da er die Fähigkeit besaß, sie wirkungsvoll zu verteidigen; deshalb stellt diese Karte dann einen Faktor des Zusammenhaltes um die USA dar. Wenn die Blöcke nicht mehr bestehen, bewirken die Demonstrationen der Stärke der einzig übrig gebliebenen Supermacht im Gegenteil nur, dass die Dynamik des “Jeder-für-sich„ nur noch verstärkt wird, solange es keine Macht gibt, die mit ihr auf dieser Ebene konkurrieren kann. Deshalb kann man die Erfolge der gegenwärtigen Konteroffensive der USA keinesfalls als endgültig ansehen oder als Überwindung ihrer Führungskrise.“ (Resolution des 12. Kongresses der IKS, Internationale Revue Nr. 19). Folglich treibt die Absicht der Vereinigten Staaten, ihre Führung zu stärken, sie zur Entfesselung des Krieges, was wiederum in sich die Unmöglichkeit birgt, ihre Ziele längerfristig zu verwirklichen. In der heutigen Weltlage führt dieser Widerspruch, für den es keine Lösung gibt, zwangsweise zu einem unaufhörlichen Antrieb der Kriegsspirale.

Die Entwicklung der gegenwärtigen Situation steht daher ganz im Zeichen derselben Kriegspolitik wie sie damals im Golfkrieg, dann in Ex-Jugoslawien und in Afghanistan verfolgt wurde, jetzt jedoch auf einer höheren Stufe des Wagnisses und der Gefahr des Chaos. Die Politik des Weltpolizisten wirkt als aktiver Faktor des wachsenden Kriegschaos, des Versinkens in der Barbarei mit zunehmend unkontrollierbaren Konsequenzen. Sie bringt immer destabilisierendere Risiken mit sich, namentlich auf dem asiatischen Kontinent vom Nahen Osten bis Zentralasien, vom indischen Subkontinent bis Südostasien. Derartige Risiken enthüllen die tödliche Gefahr, der die gesamte Menschheit durch die kriegerischen Konfrontationen in der Zerfallsperiode des Kapitalismus ausgesetzt ist. Wenn auch ein Dritter Weltkrieg nicht unmittelbar bevorsteht, muss sich die Arbeiterklasse bewusst sein, dass es nur ein einziges Mittel gibt, die Zerstörung der Menschheit durch den Kapitalismus zu verhindern: dieses System muss gestürzt werden.

Wim (29. September)


[i] Hier zeigt sich einmal mehr der Machiavellismus der amerikanischen Bourgeoisie, die 1991 die kurdische Minderheit im Norden und die schiitische im Süden mitten im Golfkrieg zur Rebellion angestiftet hatte und dann, sobald der Aufstand begonnen hatte, in der Operation Wüstensturm zynisch die Nationalgarde von Saddam Hussein, die sich aus Elitetruppen zusammen setzte, bestehen ließ, damit sie diese Minderheiten niederschlagen konnten. In der Folge wurde nach Beendigung des Krieges die Niederschlagung dieser Minderheiten auf ideologischer Ebene von der amerikanischen Bourgeoisie ausgenutzt, um den blutrünstigen Charakter der Herrschaft Saddam Husseins aufzuzeigen und somit im Nachhinein den Golfkrieg und die Errichtung von entmilitarisierten Zonen unter direkter Kontrolle der USA zu rechtfe rtigen, ”um die lokale Bevölkerung zu schützen“.

[ii] s. The Economist, 14. 9. 2000

[iii] Den Vorbehalten namentlich Saudi-Arabiens, wo eine schiitische Beteiligung in einer zukünftigen ”demokratischen“Regierung Missgunst auslöst, ist Rechnung getragen worden. Der Stützpunkt von Al-Charg, der während des Golfkrieges und vor allem im Krieg von Afghanistan in so großem Masse von den amerikanischen Streitkräften benutzt wurde, wird nun demontiert und zu einer im Aufbau begriffenen Basis in Al-Udeid verlegt, an der westkatarischen Küste südlich von Doha, wo sie für die Vereinigten Staaten dieselbe Rolle wie Al-Charg zu spielen hat.

[iv] Nicht ohne eine gute Dosis Heuchelei, da mehrere Hundert deutsche Spezialisten für chemische und biologische Waffen, die dem Irak Zugang zu eben diesen Waffen besorgt hatten, heute als ”technische Berater“in dieser Region im Dienste der Amerikaner präsent sind. Und auch Schröder bemühte sich, nachdem er mit Hilfe seiner offenkundig antiamerikanischen Stellungnahme die Wahlen gewonnen hatte, schon am Tage darauf eiligst darum, Blair einen Besuch abzustatten. Schröder bat diesen, so ein englischer Diplomat, eine Wiederversöhnung mit Washington zu fördern, welches in heftiger Weise seine Verbitterung ausgedrückt hatte. Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass die deutsche Bourgeoisie nun beabsichtigen würde, sich hinter die herrschende Klasse der USA zu stellen, sondern lediglich dass sie bevorzugt, wieder zu ihrer alten behutsamen Diplomatie zurückzukehren, die ihr bis jetzt so gut bekommen ist.

[v] Überdies bedingt die durch die Wirtschaftsprobleme Israels ausgelöste wachsende Unzufriedenheit angesichts der enormen Opfer in der Bevölkerung im Strudel der Kriegswirtschaft eine Kluft in der Politik der nationalen Einheit in Israel selbst. Dies zeigt auch der Rücktritt Shlomo Ben Amis, des ehemaligen Arbeitsministers von Yehud Barak, von seinem Abgeordnetenmandat.

[vi] Anhand der politischen Laufbahn Al Gores selbst sind derartige Illusionen zurückzuweisen, da ebendieser 1991 zur damals demokratischen Minderheit gehörte, welche für den Golfkrieg gestimmt hatte.

[vii] Überzeugender Ausdruck dieser wachsenden Feindseligkeit gegenüber den Vereinigten Staaten ist der kürzlich erstattete Besuch des japanischen Premierministers Koizumi in Nordkorea. Dieser herzliche Besuch in einem Land, welches von den Amerikanern zur Achse des Bösen gerechnet wird, bedeutet eine direkte Herausforderung gegenüber den USA.7 Überzeugender Ausdruck dieser wachsenden Feindseligkeit gegenüber den Vereinigten Staaten ist der kürzlich erstattete Besuch des japanischen Premierministers Koizumi in Nordkorea. Dieser herzliche Besuch in einem Land, welches von den Amerikanern zur Achse des Bösen gerechnet wird, bedeutet eine direkte Herausforderung gegenüber den USA.

Geographisch: 

  • Naher Osten [8]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Irak [9]

Theoretische Fragen: 

  • Krieg [10]

Leo Trotzki: „Literatur und Revolution“

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Proletarische Kultur und proletarische Kunst?

Jede herrschende Klasse entwickelt ihre eigene Kultur und folglich auch ihre eigene Kunst. Die Geschichte kennt die Kultur der Sklavenhalter des Ostens und der klassischen Antike, die Feudalkultur des europäischen Mittelalters und die bürgerliche Kultur, die zur Zeit die Welt beherrscht. Daraus folgt anscheinend selbstverständlich, dass das Proletariat seine eigene Kultur und seine eigene Kunst schaffen müsste.

Das Problem ist aber bei weitem nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die Gesellschaft, in der die Sklavenhalter herrschten, existierte im Verlaufe von sehr vielen Jahrhunderten. Dasselbe gilt vom Feudalismus. Die bürgerliche Kultur, selbst wenn man sie erst vom Zeitpunkt ihres offenen und stürmischen Auftretens, d. h. von der Renaissancezeit an rechnet, existiert fünf Jahrhunderte, wobei sie ihre volle Blüte erst im 19. Jahrhundert erreichte, eigentlich erst in dessen zweiter Hälfte. Die Bildung einer neuen Kultur um eine herrschende Klasse erfordert, wie die Geschichte zeigt, viel Zeit und erreicht ihren Höhepunkt in einer Epoche, die dem politischen Verfall der Klasse vorausgeht.

Hat denn nun das Proletariat überhaupt genügend Zeit, eine „proletarische“ Kultur zu schaffen? Im Unterschied zum Regime der Sklavenhalter, der Feudalen und der Bourgeoisie betrachtet das Proletariat seine Diktatur als eine kurzfristige Übergangszeit. Wenn wir allzu optimistische Ansichten hinsichtlich des Übergangs zum Sozialismus entlarven wollen, erinnern wir daran, dass die Epoche der sozialen Revolution im Weltmaßstab nicht Monate, sondern Jahre und Jahrzehnte dauern wird – Jahrzehnte, aber nicht Jahrhunderte und schon gar nicht Jahrtausende. Kann denn das Proletariat in dieser Zeit eine neue Kultur entwickeln? Zweifel daran sind um so berechtigter, als die Jahre der sozialen Revolution Jahre eines erbitterten Klassenkampfs sein werden, in denen die Zerstörungen mehr Raum einnehmen werden als der Aufbau einer neuen Kultur. In jedem Falle wird das Proletariat selbst seine Hauptenergie auf die Eroberung der Macht, deren Behauptung, Festigung, deren Anwendung bei der Lösung der allerdringlichsten Daseinsbedürfnisse und auf den weiteren Kampf richten müssen, so dass der Möglichkeit planmäßigen kulturellen Aufbaues sehr enge Grenzen gesetzt sind. Und umgekehrt: Je vollständiger das neue Regime gegen politische und kriegerische Erschütterungen abgesichert sein wird, je günstiger sich die Bedingungen für kulturelles Schaffen gestalten werden, um so mehr wird sich das Proletariat in der sozialistischen Gemeinschaft auflösen, sich von seinen Klassenmerkmalen befreien, das heißt also, nicht mehr Proletariat sein. Mit anderen Worten: In der Epoche der Diktatur kann von der Schaffung einer neuen Kultur, d. h. von einem Aufbau in allergrößtem historischem Maßstab keine Rede sein; und jener mit nichts Früherem vergleichbare kulturelle Aufbau, der einsetzt, wenn die Notwendigkeit der eisernen Klammern der Diktatur entfällt, wird schon keinen Klassencharakter mehr tragen. Hieraus muss man die allgemeine Schlussfolgerung ziehen, dass es eine proletarische Kultur nicht nur nicht gibt, sondern auch nicht geben wird; Und es besteht wahrhaftig keinerlei Veranlassung dazu, dies zu bedauern: Das Proletariat hat ja gerade dazu die Macht ergriffen, um ein für allemal der Klassenkultur ein Ende zu setzen und der Menschheitskultur den Weg zu bahnen. Das scheinen wir nicht selten zu vergessen.

Die formlosen Gespräche über die proletarische Kultur in Analogie und Antithese zur bürgerlichen finden ihren Nährboden in der äußerst unkritischen Gleichsetzung des geschichtlichen Schicksals des Proletariats mit dem der Bourgeoisie. Die oberflächliche, rein liberale Methode der formalen historischen Analogien hat mit Marxismus nichts gemein. Es gibt keine materielle Analogie der historischen Bahnen der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse.

Die Entwicklung der bürgerlichen Kultur setzte einige Jahrhunderte früher ein, bevor die Bourgeoisie mit Hilfe einer Reihe von Revolutionen die Staatsgewalt in ihre Hände nahm. Schon als die Bourgeoisie noch ein halb rechtloser dritter Stand war, spielte sie auf allen Gebieten des kulturellen Aufbaues eine große, ständig wachsende Rolle. Das kann man besonders deutlich am Beispiel der Architektur verfolgen. Die gotischen Kirchen sind nicht plötzlich, nicht in einer schlagartigen religiösen Begeisterung erbaut worden. Der Entwurf zum Kölner Dom, seine Architektur und seine Skulptur stellen die Summe von Bauerfahrungen der Menschen dar, die, beginnend mit den Vorrichtungen des Höhlenbewohners, die Elemente dieser Erfahrungen zu einem neuen Stil zusammenfassten, der die Kultur der Epoche, d. h. letzten Endes ihre soziale Struktur und ihre Technik, zum Ausdruck brachte. Die alte, in Zünften und Gilden organisierte Vorbourgeoisie war die tatsächliche Erbauerin der Gotik. Als sich die Bourgeoisie entwickelt und konsolidiert hatte, d. h. als sie reich geworden war und die Gotik schon bewusst und aktiv durchlaufen hatte, schuf sie sich einen eigenen Architekturstil – aber schon nicht mehr für die Kirchen, sondern für ihre eigenen palastartigen Häuser. Sie stützte sich hierbei auf die Errungenschaften der Gotik, wandte sich der Antike, vorwiegend der römischen Architektur zu, benutzte auch die maurische, unterwarf alles dies den Vorbedingungen und Bedürfnissen der neuen städtischen Gemeinschaft und schuf die Renaissance (in Italien gegen Ende des ersten Viertels des XV. Jahrhunderts). Spezialisten mögen nachrechnen – und sie tun es auch – mit welchen ihrer Elemente die Renaissance der Antike verpflichtet ist und mit welchen der Gotik, sowie welche von diesen das Übergewicht haben. Auf jeden Fall beginnt die Renaissance nicht vor dem Augenblick, in dem die neue Gesellschaftsklasse, kulturell gesättigt sich stark genug fühlt, das Joch des gotischen Bogens abzuschütteln und die Gotik sowie alles, was ihr voraufging, als Material zu betrachten und die technischen Elemente der Vergangenheit frei den eigenen künstlerischen Bauzwecken unterzuordnen. Das bezieht sich auch auf alle anderen Künste mit dem Unterschied, daß die „freien“ Künste infolge ihrer größeren Elastizität, d. h. infolge der geringeren Abhängigkeit vom Verwendungszweck und vom Material, die Dialektik der Überwindung und der Aufeinanderfolge der Stile nicht mit einer derartigen steinernen Überzeugungskraft offenbaren.

Zwischen der Renaissance und der Reformation, die zur Aufgabe hatten, der Bourgeoisie günstigere ideelle und politische Existenzbedingungen innerhalb der feudalistischen Gesellschaft zu verschaffen, und der Revolution, die (in Frankreich) der Bourgeoisie die Macht übertrug, vergingen drei bis vier Jahrhunderte, in denen die materielle und ideelle Macht der Bourgeoisie wuchs. Die Epoche der großen Französischen Revolution und der aus ihr entstandenen Kriege lassen das materielle Kulturniveau vorübergehend sinken. Aber danach setzt sich das kapitalistische Regime als „natürlich“ und „ewig“ fest ...

Auf diese Weise wurde der grundlegende Sammlungsprozeß der Elemente der bürgerlichen Kultur und deren Kristallisation zu einem Stil von den sozialen Eigenschaften der Bourgeoisie als der besitzenden Ausbeuterklasse bestimmt: Sie entwickelte sich innerhalb der feudalistischen Gesellschaft nicht nur materiell, war nicht nur mit ihr vielfältig verflochten und zog nicht nur den Reichtum an sich, sondern brachte auch die Intelligenz auf ihre Seite, gründete eigene Kulturstützpunkte (Schulen, Universitäten, Akademien, Zeitungen, Zeitschriften), lange bevor sie sich an der Spitze des dritten Standes offen des Staates bemächtigte. Es genüge, daran zu erinnern, daß die deutsche Bourgeoisie mit ihrer unvergleichlichen technischen, philosophischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Kultur bis zum Jahre 1918 die Macht in den Händen einer feudalbürokratischen Kaste beließ und sich erst dann entschloß, oder richtiger: sich gezwungen sah, die Macht unmittelbar in die eigene Hand zu nehmen, als sich das materielle Gerüst der deutschen Kultur in einen Scherbenhaufen zu verwandeln begann.

Man könnte einwenden: Die Kunst der Sklavenhalter wurde in Jahrtausenden geschaffen, die bürgerliche in Jahrhunderten; warum sollte die proletarische nicht in Jahrzehnten geschaffen werden können? Die technischen Grundlagen des Daseins sind heute ganz andere, und deshalb ist auch das Tempo ein anderes. Dieser scheinbar so überzeugende Einwand geht in Wirklichkeit am Kern der Sache vorbei. Zweifellos tritt in der Entwicklung einer neuen Gesellschaft der Zeitpunkt ein, in dem die Wirtschaft, der kulturelle Aufbau und die Kunst eine äußerst weitgehende Freiheit in ihrer Bewegung nach vorn erhalten. Über das Tempo können wir heute nur Mutmaßungen anstellen. In einer Gesellschaft, die alle beklemmenden und abstumpfenden Sorgen um das tägliche Brot abgeworfen hat, für die in Gemeinschaftsrestaurants gute, bekömmliche, schmackhafte Speisen zubereitet werden in einer alle befriedigenden Auswahl; in der öffentliche Wäschereien gute Wäsche – für alle – gut waschen; in der die Kinder satt, gesund und vergnügt sind – alle Kinder – und die Grundelemente der Wissenschaft verschlingen wie Eiweiß, Luft und Sonnenwärme; in der die Elektrizitätswerke und der Rundfunk nicht mehr so primitiv arbeiten wie heute, sondern wie ein unerschöpflicher Wasserfall zentralisierter Energie, der auf einen Knopfdruck planmäßig reagiert; in der es keine „überflüssigen“ Esser gibt; in der der befreite Egoismus des Menschen – eine gewaltige Kraft! – voll und ganz auf die Erkenntnis, Umgestaltung und Verbesserung des Weltalls gerichtet ist – in einer solchen Gesellschaft wird die Dynamik der kulturellen Entwicklung alles übersteigen, was es in der Vergangenheit gegeben hat. Aber das wird erst nach dem langen und mühseligen Weg zur Paßhöhe eintreten, der noch vor uns liegt. Wir aber sprechen gerade von der Epoche der Paßbezwingung.

Aber ist denn unsere heutige Zeit nicht dynamisch? In höchstem Grade. Aber ihre Dynamik konzentriert sich auf die Politik. Auch Krieg und Revolution sind dynamisch – aber in ungeheurem Umfange auf Kosten der Technik und der Kultur. Zugegeben, der Krieg hat eine große Reihe technischer Erfindungen mit sich gebracht. Aber das Elend, das er verursachte, hat für lange Zeit deren praktische Anwendung in der Revolutionierung des Seins hinausgeschoben. Dies bezieht sich auf das Radio, die Luftfahrt und auf viele chemische Entdeckungen. Die Revolution schafft ihrerseits die Voraussetzungen für die neue Gesellschaft. Aber sie vollzieht dies mit den Methoden der alten Gesellschaft: mit dem Klassenkampf, mit Gewalt, Ausrottung und Zerstörung. Wenn die proletarische Revolution nicht gekommen wäre, wäre die Menschheit an ihren Widersprüchen erstickt. Der Umsturz rettet die Gesellschaft und die Kultur, aber mit den Methoden der grausamsten Chirurgie. Alle aktiven Kräfte konzentrieren sich in der Politik, im revolutiönaren Kampf – alles übrige rückt in den Hintergrund, und alles, was stört, wird mitleidlos niedergetrampelt. In diesem Prozeß gibt es natürlich eigene, private Ebbe- und Fluterscheinungen: Der Kriegskommunismus wird von der NEP abgelöst, die ihrerseits verschiedene Stadien durchläuft. Aber in ihren Grundzügen ist die Diktatur des Proletariats keine Produktions- und Kulturorganisation der neuen Gesellschaft, sondern ein revolutionäres Kampfregime im Kampf für diese Gesellschaft. Das darf man nicht vergessen. Der Historiker der Zukunft wird, so müßte man denken, die Kulmination der alten Gesellschaft auf den zweiten August 1914 zurückführen, als die tobsüchtig gewordene Macht der bürgerlichen Kultur die ganze Welt in Blut und Feuer des imperialistischen Krieges tauchte. Der Anfang der neuen Geschichte der Menschheit wird wahrscheinlich auf den 7. November 1917 zurückgeführt werden. Die grundlegenden Etappen der Menschheitsentwicklung werden vermutlich etwa folgendermaßen festgelegt werden: außergeschichtliche „Geschichte“ des Urmenschen; antike Geschichte, die sich auf der Sklaverei entwickelte; das Mittelalter – mit der Arbeit der Leibeigenen; der Kapitalismus mit der Lohnausbeutung und schließlich die sozialistische Gesellschaft mit ihrem hoffentlich schmerzlosen Übergang zur obrigkeitslosen Kommune. Auf jeden Fall werden die 20, 30 oder 50 Jahre, die die proletarische Weltrevolution dauern wird, in die Geschichte als äußerst schwieriger Übergang von einer Gesellschaftsordnung zur anderen eingehen, auf keinen Fall aber als selbständige Epoche einer proletarischen Kultur.

Jetzt, in den Jahren einer Atempause, können bei uns in der Sowjetrepublik in dieser Hinsicht Illusionen entstehen. Wir haben die Fragen der kulturellen Betriebsamkeit auf die Tagesordnung gesetzt. Wenn man in Gedanken Linien von unseren heutigen Sorgen auf eine lange Reihe von Jahren hinaus in die Zukunft zieht, dann könnte man sich eine proletarische Kultur zurechtdenken. In Wirklichkeit aber steht unser Kulturbetrieb, so wichtig und lebensnotwendig er ist, immer noch vollkommen im Zeichen der europäischen Revolution und der Weltrevolution. Wir sind nach wie vor Soldaten auf dem Vormarsch. Wir haben nur einen Rasttag. Da muß man sich sein Hemd waschen, die Haare schneiden und kämmen und vor allen Dingen sein Gewehr reinigen und einfetten. Unsere gesamte gegenwärtige wirtschaftlich-kulturelle Arbeit ist nichts anderes als eine Gelegenheit, uns zwischen zwei Schlachten und Feldzügen ein wenig in Ordnung zu bringen. Die Hauptkämpfe stehen uns noch bevor – und sind vielleicht gar nicht mehr so fern. Unsere Epoche ist noch nicht die Epoche einer neuen Kultur, sondern nur ein Vorhof zu ihr. Wir  müssen in erster Linie die wichtigsten Elemente der alten Kultur unserem Staat dienstbar machen, und sei es nur, um der neuen den Weg zu bahnen.

Dies wird besonders deutlich, wenn man die Aufgabe, wie es sich auch gehört, in ihrem internationalen Ausmaß betrachtet. Das Proletariat ist die besitzlose Klasse geblieben, die es früher war. Infolgedessen waren die Grenzen für ihren Anschluß an die Elemente der bürgerlichen Kultur, die für immer zum Inventar der Menschheit geworden sind, sehr eng gesetzt. In einem gewissen Sinne kann man zwar sagen, daß auch das Proletariat, mindestens das europäische, seine eigene Epoche der Reformation hatte, vorwiegend in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als es, ohne schon direkt nach der Staatsmacht zu greifen, sich günstigere rechtliche Voraussetzungen für seine Entwicklung innerhalb des bürgerlichen Regimes erobert hatte. Aber erstens hat die Geschichte der Arbeiterklasse für diese „Reformationszeit“ (des Parlamentarismus und sozialer Reformen), die zum größten Teil mit der Periode der II. Internationale zusammenfiel, etwa so viele Jahrzehnte bewilligt wie der Bourgeoisie Jahrhunderte. Zweitens wurde das Proletariat in dieser Vorbereitungsperiode keinesfalls eine reichere Klasse, und es hat auch keine Macht in seiner Hand konzentriert – im Gegenteil, vom sozialen und kulturellen Standpunkt verelendete es immer mehr. Die Bourgeoisie kam zur Macht, voll ausgerüstet mit den kulturellen Möglichkeiten ihrer Zeit; das Proletariat jedoch kommt an die Macht, voll ausgerüstet mit dem dringenden Bedürfnis, sich der Kultur zu bemächtigen. Die Aufgabe des Proletariats, das die Macht erobert hat, besteht vor allen Dingen darin, den ihm vorher nicht dienstbar gewesenen Kulturapparat – die Industrie, die Schulen, Verlage, die Presse, die Theater u. a. m. in die Hand zu bekommen und sich dadurch den Weg zur Kultur freizumachen.

Bei uns in Rußland wird diese Aufgabe noch erschwert durch die Armut unserer gesamten Kulturtradition und durch die materiell so vernichtenden Ereignisse des letzten Jahrzehnts. Nach der Eroberung der Macht und nach fast sechs Jahren des Kampfes um ihre Erhaltung und Konsolidierung ist unser Proletariat gezwungen, alle seine Kräfte auf die Schaffung der elementarsten materiellen Voraussetzungen für die Existenz und auf die Aneignung des Alphabets im wahren, buchstäblichen Sinn des Wortes zu richten. Nicht umsonst haben wir uns die Aufgabe gestellt, zum zehnjährigen Jubiläum der Sowjetmacht das Analphabetentum zu liquidieren.

Irgend jemand mag vielleicht einwenden, daß ich den Begriff der proletarischen Kultur zu weit fasse. Eine voll entfaltete Kultur des Proletariats wird es tatsächlich nicht geben, aber immerhin wird es der Arbeiterklasse, bevor sie sich in der kommunistischen Gesellschaft auflöst, gelingen, der Kultur ihren Stempel aufzudrücken. Einen derartigen Einwand müßte man in erster Linie als eine schwerwiegende Abweichung von den Positionen der proletarischen Kultur registrieren. Es ist nicht zu bezweifeln, daß das Proletariat während seiner Diktatur der Kultur ihren eigenen Stempel aufdrücken wird. Aber von da bis zur proletarischen Kultur ist es noch sehr weit, wenn man sie als ein entfaltetes und innerlich harmonisiertes System von Kenntnissen und Fertigkeiten auf allen Gebieten des materiellen und geistigen Schaffens auffaßt. Die Tatsache, daß Dutzende Millionen von Menschen zum ersten Male die Kunst des Lesens und Schreibens und die vier Grundrechenarten erlernen, wird allein schon zu einem neuen Kulturfaktor werden, und zwar zu einem ungeheuren. Die neue Kultur wird ja ihrem ganzen Wesen nach keine aristokratische sein, für eine privilegierte Minderheit, sondern eine allgemeine, für die Massen und das Volk bestimmte. Die Quantität wird auch hier in Qualität umschlagen: Zugleich mit der zunehmenden Massenverbreitung der Kultur wird sich ihr Niveau heben und ihr ganzes Aussehen verändern. Aber dieser Prozeß wird sich erst in einer Reihe von historischen Etappen entwickeln. Nach Maßgabe der Erfolge wird die Klassenbindung des Proletariats schwächer werden und folglich auch der Boden für eine proletarische Kultur schwinden.

Aber die Spitzen der Klasse? Ihre geistige Avantgarde? Kann man denn nicht sagen, daß sich in dieser, wenn auch dünnen Schicht jetzt schon die Entwicklung einer proletarischen Kultur vollzieht? Haben wir denn nicht eine sozialistische Akademie? Rote Professoren? Mit einer solchen, sehr abstrakten Fragestellung begeht man einen groben Fehler. Man faßt die Sache so auf, als ließe sich die proletarische Kultur im Laboratoriumsverfahren entwickeln. In Wirklichkeit bildet sich das Grundgewebe der Kultur auf der Basis der wechselseitigen Beziehungen und der gegenseitigen Einflußnahme zwischen der Intelligenz der Klasse und der Klasse selbst. Die bürgerliche Kultur – die technische, politische, philosophische und künstlerische – wurde im Zusammenwirken der Bourgeoisie mit ihren Erfindern, Führern, Denkern und Dichtern geschaffen. Der Leser schuf den Schriftsteller und der Schriftsteller – den Leser. In unvergleichlich größerem Umfang muß dies für das Proletariat gelten, weil seine Wirtschaft, Politik und Kultur nur auf der schöpferischen Selbständigkeit der Massen aufgebaut werden kann. Die Hauptaufgabe der proletarischen Intelligenz ist in den nächsten Jahren allerdings nicht eine Abstraktion der neuen Kultur – solange für sie noch nicht einmal das Fundament gelegt ist – sondern eine äußerst konkrete kulturelle Betätigung, d. h. die systematische, planmäßige und, natürlich, kritische Weitergabe der notwendigsten Elemente der Kultur, die schon da ist, an die zurückgebliebenen Massen. Man darf die Kultur einer Klasse nicht hinter ihrem Rücken entwickeln. Um sie aber gemeinsam mit der Klasse – in enger Anpassung an ihren allgemeinen historischen Aufstieg - aufzubauen, ist es notwendig, den Sozialismus zu verwirklichen, wenn auch nur ins Unreine. Auf dem Wege dahin werden die Klassenmerkmale der Gesellschaft nicht verschärft, sondern im Gegenteil – sie werden verschwommener, lösen sich direkt proportional den Erfolgen der Revolution in nichts auf. Der befreiende Sinn der Diktatur des Proletariats besteht ja gerade darin, daß diese nur eine vorübergehende, kurzfristige Erscheinung ist – ein Mittel, den Weg freizumachen, den Grundstein zu legen für eine klassenlose Gesellschaft und die Solidarität der gegründeten Kultur.

Um den Sinn der kulturschaffenden Periode in der Entwicklung der Arbeiterklasse konkreter zu erklären, nehmen wir die historische Reihenfolge nicht der Klassen, sondern der Generationen. Ihre Kontinuität liegt darin, daß jede der Generationen ihren Beitrag zu der bisher von früheren Generationen angesammelten Kultur in ihrer Entwicklung und nicht im Zustand des Verfalles leistet. Doch bevor sie dieses tut, muß die neue Generation durch eine Lehre gehen. Sie erfaßt die vorhandene Kultur und gestaltet sie nach ihrer Art um, die sich mehr oder weniger von der Art der älteren Generation unterscheidet. Diese Aneignung ist noch nichts Schöpferisches, d. h. es werden noch keine neuen kulturellen Werte geschaffen, sondern nur die Voraussetzung dafür. Das Gesagte kann auch – in gewissen Grenzen – auf das Schicksal der sich zu historischem Schöpfertum erhebenden Massen der Werktätigen übertragen werden. Man muß nur hinzufügen, daß das Proletariat, sobald es das Stadium der kulturellen Lehrzeit verläßt, aufhört, Proletariat zu sein. Wollen wir noch einmal daran erinnern, daß die bürgerliche Spitze des dritten Standes ihre kulturelle Lehrzeit unter dem Dach der feudalen Gesellschaft durchgemacht hat; bereits in deren Schoß hat sie die alten herrschenden Stände kulturell überflügelt und ist zu einem Motor der Kultur geworden, bevor sie zur Macht gelangte. Mit dem Proletariat überhaupt, und dem russischen im besonderen, verhält es sich genau umgekehrt: Es ist gezwungen, die Macht zu ergreifen, bevor es sich die Grundelemente der bürgerlichen Kultur angeeignet hat; es ist gezwungen, die bürgerliche Gesellschaft gerade deshalb mit revolutionärer Gewalt zu stürzen, weil diese ihm keinen Zutritt zur Kultur gewährt. Ihren Staatsapparat sucht die Arbeiterklasse in eine mächtige Pumpe zu verwandeln, um den Durst der Volksmassen nach Kultur zu stillen. Das ist eine Arbeit von immenser historischer Wichtigkeit. Aber das ist, wenn man nicht leichtfertig mit Worten spielt, noch nicht die Schaffung einer besonderen proletarischen Kultur. Unter der Bezeichnung „proletarische Kultur“, „proletarische Kunst“ u. a. m. figurieren bei uns kritiklos in drei von etwa zehn Fällen die Kultur und die Kunst der kommenden kommunistischen Gesellschaft, in zwei Fällen von zehn – die tatsächliche Aneignung einzelner Elemente der vorproletarischen Kultur durch einzelne Gruppen des Proletariats, und schließlich herrscht in fünf von zehn Fällen – eine derartige Verwirrung von Begriffen und Wörtern, daß man sich darin überhaupt nicht mehr zurechtfinden kann.

Nachstehend ein frisches Beispiel – eines von hundert – einer liederlichen, unkritischen und gefährlichen Verwendung des Begriffs „proletarische Kultur“: „Die wirtschaftliche Basis und das entsprechende System des Überbaues“, schreibt Genosse Sisow, „stellen die kulturelle Charakteristik einer Epoche dar (feudal, bürgerlich, proletarisch).“ Auf diese Art und Weise wird die Epoche der proletarischen Kultur in demselben Sinn wie die bürgerliche aufgefaßt. Aber das, was hier als proletarische Epoche bezeichnet wird, ist nur eine kurze Übergangszeit von einer Gesellschaftsform zur anderen: vom Kapitalismus zum Sozialismus. Der Erreichung des bürgerlichen Systems ist ebenfalls eine Übergangsperiode voraufgegangen, aber im Gegensatz zur bürgerlichen Revolution, die, nicht ohne Erfolg, danach strebte, die Herrschaft der Bourgeoisie zu verewigen, hat die proletarische Revolution zum Ziel, die Existenz des Proletariats als Klasse in einer möglichst kurzen Zeit zu liquidieren.

Die Dauer dieser Zeit hängt unmittelbar von den Erfolgen der Revolution ab. Ist es nicht geradezu ungeheuerlich, diese Tatsache zu vergessen und die proletarische Epoche mit der feudalen und bürgerlichen in eine Reihe zu stellen?

Wenn dem aber so ist, folgt dann daraus, daß wir auch keine proletarische Wissenschaft haben? Können wir denn nicht tatsächlich behaupten, daß die Theorie des historischen Materialismus und die Kritik von Marx an der politischen Ökonomie unschätzbare wissenschaftliche Elemente der proletarischen Kultur sind?

Natürlich ist die Bedeutung des historischen Materialismus und der Mehrwerttheorie unermeßlich groß, sowohl für die klassenmäßige Ausrüstung des Proletariats wie auch für die Wissenschaft überhaupt. Im „Kommunistischen Manifest“ allein schon gibt es mehr echte Wissenschaft als in ganzen Bibliotheken historischer und historisch-philosophischer professoraler Kompilationen, Spekulationen und Falsifikationen. Kann man aber sagen, daß der Marxismus an sich ein Produkt der proletarischen Kultur sei? Und kann man denn behaupten, daß wir uns tatsächlich schon des Marxismus – nicht nur für politische Kampfaufgaben, sondern auch für umfangreiche wissenschaftliche Aufgaben bedienen?

Marx und Engels sind aus der kleinbürgerlichen Demokratie hervorgegangen und sind selbstverständlich in deren Kultur und nicht in einer Kultur des Proletariats erzogen worden. Wenn es nicht die Arbeiterklasse mit ihren Streiks, ihrem Kampf, ihren Leiden und Aufständen gegeben hätte, dann hätte es natürlich auch keinen wissenschaftlichen Kommunismus gegeben, weil dann dazu keine historische Notwendigkeit bestanden hätte. Das zusammenfassende Denken der bourgeoisen Demokratie erhebt sich in Gestalt ihrer kühnsten, ehrlichsten und weitblickendsten Vertreter – getrieben von den kapitalistischen Widersprüchen – bis zur genialen Selbstverleugnung, ausgerüstet mit dem ganzen kritischen Arsenal, das dank der Entwicklung der bourgeoisen Wissenschaft zur Verfügung stand. Das ist die Herkunft des Marxismus.

Das Proletariat fand im Marxismus nicht sofort seine Methode und hat sie bis zum heutigen Tage bei weitem nicht völlig gefunden. Diese  Methode dient heute vorwiegend – fast ausschließlich – politischen Zielen. Eine breite erkenntnismäßige Anwendung und methodologische Entwicklung des dialektischen Materialismus liegt noch völlig in der Zukunft. Nur in einer sozialistischen Gesellschaft wird der Marxismus aus einer einseitigen Waffe des politischen Kampfes zu einer Methode des wissenschaftlichen Schaffens, zum wichtigsten Element und Instrument der geistigen Kultur.

Daß die gesamte Wissenschaft in mehr oder weniger großem Umfang die Tendenzen der herrschenden Klasse wiedergibt, steht fest. Je näher eine Wissenschaft den wirklichen Problemen der Meisterung der Natur (Physik, Chemie, Naturwissenschaften) überhaupt steht, um so größer ist ihr nicht klassenbedingter, allgemein menschlicher Beitrag. Je enger eine Wissenschaft mit der sozialen Mechanik der Ausbeutung (politische Ökonomie) verstrickt ist, oder je abstrakter sie die gesamte menschliche Erfahrung verallgemeinert (Psychologie nicht im experimentellphysiologischen, sondern im sogenannten „philosophischen“ Sinn), um so mehr ist sie dem Klasseneigennutz der Bourgeoisie unterworfen, um so nichtiger ihr Beitrag zur Gesamtsumme des menschlichen Wissens. Auf dem Gebiet der experimentellen Wissenschaften gibt es ebenfalls verschiedene Stufen der wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit und Objektivität, die von der Großzügigkeit der Schlußfolgerungen abhängt. In der Regel richten sich die bürgerlichen Tendenzen am ungezwungensten in den Gipfelsphären der methodologischen Philosophie, der „Weltanschauung“ ein. Deshalb ist eine Säuberung des wissenschaftlichen Gebäudes von unten bis oben oder richtiger von oben bis unten erforderlich, denn man muß in den obersten Etagen anfangen. Aber es wäre naiv anzunehmen, daß das Proletariat, bevor es die von der Bourgeoisie ererbte Wissenschaft für den sozialistischen Aufbau anwendet, diese in ihrer Gesamtheit kritisch überarbeiten müsse. Das ist fast dasselbe, als wenn man mit den Moralisten und Utopisten erklären würde: vor dem Aufbau einer neuen Gesellschaft müsse sich das Proletariat auf die Höhe der kommunistischen Moral erheben. In Wirklichkeit wird das Proletariat die Moral wie auch die Wissenschaft erst dann radikal umbauen, wenn es, und sei es erst im Rohbau, eine neue Gesellschaft aufgebaut hat. Aber geraten wir da nicht in einen Teufelskreis? Wie soll man eine neue Gesellschaft mit Hilfe der alten Wissenschaft und der alten Moral aufbauen? Hier muß man nun schon ein wenig Dialektik zu Hilfe nehmen, dieselbe, die man bei uns so verschwenderisch sowohl in die lyrische Poesie wie in den Kanzleibetrieb in die Kohlsuppe wie in die Buchweizengrütze[i] hineinstopft. Gewisse Stützpunkte und gewisse wissenschaftliche Methoden, welche das Bewußtsein von dem ideellen Joch der Bourgeoisie befreien, braucht die proletarische Avantgarde, um an die Arbeit gehen zu können; sie erkämpft sie sich und hat sie sich teilweise schon erkämpft. Ihre grundlegende Methode hat sie unter verschiedenen Umständen in vielen Kämpfen erprobt. Aber von da bis zur proletarischen Wissenschaft ist es noch sehr weit. Die revolutionäre Klasse wird den Ablauf ihres Kampfes nicht verlangsamen, nur weil ihre Partei noch nicht entschieden hat, ob die Hypothese von den Elektronen und Ionen, die psychoanalytische Theorie Freuds, die Homogenese der Biologen, die neuen mathematischen Relativitätsoffenbarungen u. a. m. zu akzeptieren sind oder nicht. Nach der Eroberung der Macht erhält das Proletariat allerdings bedeutend größere Möglichkeiten, sich der Wissenschaft zu bemächtigen und sie zu revidieren. Aber auch dies ist schneller gesagt als getan. Das Proletariat vertagt keineswegs seinen sozialistischen Aufbau, bis seine neuen Gelehrten, von denen viele noch in kurzen Höschen herumlaufen, alle Instrumente und Kanäle der Erkenntnis überprüft und gereinigt haben werden. Das Proletariat wirft das unverkennbar Unnötige, Falsche und Reaktionäre ab und benutzt auf den verschiedenen Gebieten seines Aufbaus die Methoden und Resultate der gegenwärtigen Wissenschaft, wobei es je nach Notwendigkeit einen gewissen Prozentsatz in ihr enthaltener reaktionärer Klassenligatur mit in Kauf nimmt. Das praktische Ergebnis rechtfertigt sich im großen und ganzen selbst, denn die unter die Kontrolle der sozialistischen Zielsetzung gestellte Praxis wird allmählich die Theorie, ihre Methoden und Ergebnisse kontrollieren und auswählen. Inzwischen werden auch die unter den neuen Verhältnissen erzogenen Gelehrten herangewachsen sein. Auf jeden Fall muß das Proletariat seinen sozialistischen Aufbau bis zu einer recht bedeutenden Höhe führen, d. h. bis zu einer tatsächlichen materiellen Sicherstellung und kulturellen Sättigung der Gesellschaft, bevor eine Generalreinigung der Wissenschaft von oben bis unten durchgeführt werden kann. Damit will ich gar nichts gegen jene marxistische kritische Arbeit sagen, die bereits in Form von Zirkeln oder von Seminaren auf verschiedenen Gebieten durchgeführt wird oder um deren Durchführung man sich bemüht. Diese Arbeit ist notwendig und fruchtbar. Man muß sie in jeder Weise erweitern und vertiefen. Aber man muß auch das marxistische Augenmaß bei der Bewertung des gegenwärtigen spezifischen Gewichts derartiger Experimente und Versuche im Gesamtmaßstab unserer historischen Tätigkeit bewahren.

Schließt denn aber das Gesagte die Möglichkeit aus, daß aus den Reihen des Proletariats hervorragende Gelehrte, Erfinder, Dramaturgen oder Dichter schon in der Periode der revolutionären Diktatur erscheinen können? Keineswegs, es wäre aber äußerst oberflächlich, Leistungen, und wären sie noch so wertvoll, schon als proletarische Kultur zu bezeichnen, weil sie von Personen vollbracht wurden, die aus dem Arbeitermilieu stammen. Man darf den Begriff Kultur nicht in kleine Münzen individueller Alltagsbedürfnisse verzetteln und die Erfolge einer Kultur, einer Klasse, nicht nach den proletarischen Pässen einzelner Erfinder und Dichter beurteilen. Die Kultur ist ein organisches Ganzes von Wissen und Können, die die ganze Gesellschaft oder mindestens deren herrschende Klasse charakterisiert. Sie umfaßt und durchdringt alle Gebiete menschlicher schöpferischer Tätigkeit, indem sie diese in ein einheitliches System bringt. Individuelle Errungenschaften wachsen über dieses Niveau hinaus und heben es nach und nach.

Gibt es diese organische Wechselbeziehung zwischen unserer heutigen proletarischen Dichtkunst und dem kulturellen Schaffen der Arbeiterklasse im ganzen? Es ist vollkommen offensichtlich, daß es sie nicht gibt. Einzelne Arbeiter oder Gruppen wenden sich jener Kunst zu, die von den bürgerlichen Intelligenzlern geschaffen wurde, und benutzen deren Technik vorläufig noch ziemlich eklektisch. Doch wohl dazu, um ihre eigene, innere proletarische Welt auszudrücken? Das ist es eben, daß dem bei weitem nicht so ist. Dem Schaffen proletarischer Dichter fehlt das Organische, das allein durch ein tiefgehendes inneres Zusammenwirken der Kunst und durch den Stand und die Entwicklung der Kultur als Ganzes erreichbar ist. Das sind literarische Werke begabter oder talentierter Proletarier, jedoch keine proletarische Literatur. Aber ist das vielleicht eine ihrer Quellen ?

Selbstverständlich werden sich in der Arbeit heutiger Generationen viele Keime, Triebe und Quellen finden lassen, von denen aus ein ferner geschäftiger Nachfahre Verbindungslinien zu verschiedenen Sektoren der zukünftigen Kultur wird ziehen können, ähnlich wie die heutigen Kunsthistoriker Verbindungslinien von den Kirchenmysterien zum Theater Ibsens oder von der Malerei der Mönche – zum Impressionismus und Kubismus ziehen. Im Haushalt der Kunst wie auch im Haushalt der Natur geht nichts verloren, und alles ist mit allem verbunden.

Aber faktisch, konkret, lebensfähig entwickelt sich das heutige Schaffen der Dichter, die aus dem Proletariat stammen, bei weitem noch nicht auf der Ebene, auf der sich der Prozeß der Vorbereitung der Voraussetzungen für die künftige sozialistische Kultur bewegt: ein Prozeß, der die Massen in Bewegung bringt                            

Leo Trotzki


[i] Ein uralter Volksspruch: Kohlsuppe und Grütze sind unsere Nahrung

Theoretische Fragen: 

  • Kultur [7]

„Volksaufstand“ in Argentinien

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Nur das Proletariat auf seinem Klassenterrain kann die Bourgeoisie zurückdrängen

Die Ereignisse in Argentinien zwischen dem Dezember 2001 und dem Februar 2002 haben großes Interesse unter den politisch bewussten Elementen überall auf der Welt geweckt. Sie haben unter kämpferischen Arbeitern am Arbeitsplatz Diskussionen und Nachdenken ausgelöst. Einige trotzkistische Gruppen haben sogar vom „Beginn der Revolution“ gesprochen.

Unter den Linkskommunisten hat das IBRP (Internationale Büro für die revolutionäre Partei)  mehrere Artikel diesen Ereignissen gewidmet und eine Deklaration veröffentlicht, derzufolge in „Argentinien (...) die verheerende Wirtschaftskrise eine machtvolle und entschlossene proletarische Bewegung auf einem Klassenterrain und in Selbstorganisation belebt (hat), die einen Bruch zwischen den Klassen ausdrückt“.[i]

Das Interesse, das die sozialen Erhebungen in Argentinien weckten, ist verständlich und völlig legitim. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 hat die internationale Lage keinerlei proletarische Massenbewegungen mit denselben Ausmaßen wie die Streikbewegung in Polen 1980 oder die Kämpfe im argentinischen Cordoba 1969 mehr erlebt. Die Bühne des Weltgeschehens wurde von Kriegen (der Golfkrieg 1991, Jugoslawien, Afghanistan, Nahost ...) dominiert, von den noch verheerenderen Auswirkungen der fortschreitenden Weltwirtschaftskrise (Massenentlassungen, Arbeitslosigkeit, sinkende Löhne und Renten) und von den verschiedenen Ausdrücken des kapitalistischen Zerfalls (Umweltzerstörung, Häufung von „natürlichen“ und „zufälligen“ Katastrophen, die Entwicklung von religiösem und sozialem Fanatismus, Kriminalität etc.).

Diese Situation – deren Ursachen wir bereits im Detail analysiert haben[ii] – ist ein Grund, warum politisierte Elemente den Ereignissen in Argentinien, die einen Bruch in dieser ununterbrochenen Folge von „schlechten Neuigkeiten“ zu markieren scheinen, so große Aufmerksamkeit schenken: In Argentinien haben Straßenproteste ein bisher nie dagewesenes Bäumchen-wechsle-dich-Spiel der Präsidenten verursacht (fünf in 15 Tagen) und  dabei die Form von „selbstorganisierten“ Nachbarschafts-Versammlungen angenommen, die lautstark „alle Politiker“ ablehnen.

Revolutionäre haben die Pflicht, solche gesellschaftlichen Bewegung genau zu verfolgen, um Stellung zu beziehen und zu intervenieren, wo immer die arbeitende Klasse einen Ausdruck findet. Es trifft sicherlich zu, dass die Arbeiter an der Welle der Mobilisierung in Argentinien teilgenommen haben und dass in einigen isolierten Kämpfen klare Klassenforderungen formuliert wurden sowie das offizielle Gewerkschaftstum konfrontiert wurde. Wir erklären uns solidarisch mit diesen Auseinandersetzungen, doch der beste Beitrag, den wir als eine revolutionäre Organisation leisten können, besteht darin, die Ereignisse so klar wie möglich zu analysieren. Diese Klarheit entscheidet über die Fähigkeit revolutionärer Organisationen, adäquat zu intervenieren und dabei den historischen und internationalen Rahmen zu berücksichtigen, der von der marxistischen Methode definiert wird. Das Schlimmste, was die Vorhutorganisationen des Proletariats tun können, wäre, Illusionen innerhalb der Arbeiterklasse zu streuen, indem sie ihre Schwächen stark redet und ihre Niederlagen mit Siegen verwechselt. Weit entfernt davon, dem Proletariat zu helfen, die Initiative zu erringen, seine Kämpfe auf seinem eigenen Terrain weiterzuentwickeln und sich selbst als einzige gesellschaftliche Kraft in totalem Gegensatz zum Kapitalismus zu behaupten, würde dies eine solche Wiederbelebung weitaus schwieriger gestalten.

Von dieser Perspektive aus betrachtet, heißt die Frage, die wir uns selbst zu stellen haben: Worin besteht die Klassennatur der Ereignisse in Argentinien? Handelt es sich um eine Bewegung, in der das Proletariat seine „Selbstorganisation“ und seinen „Bruch“ mit dem Kapitalismus vollziehen kann, wie das IBRP sagt? Unsere Antwort kann nur lauten: NEIN. Das Proletariat in Argentinien ist von einer Bewegung der Klassen übergreifenden Revolte durchtränkt und verwässert worden, einer Bewegung des Volksprotestes, die nicht die Stärke des Proletariats, sondern seine Schwäche ausdrückt. Die Klasse ist nicht imstande gewesen, sowohl ihre Autonomie als auch ihre Selbstorganisation zu behaupten.

Das Proletariat hat kein Bedürfnis, sich mit Illusionen abzufinden und sich krampfhaft an sie zu klammern. Was es benötigt, ist, den Faden seiner eigenen revolutionären Perspektiven wieder aufzunehmen, sich selbst auf der gesellschaftlichen Bühne als die einzige Klasse zu behaupten, die in der Lage ist, der Menschheit eine Zukunft anzubieten und dabei die anderen nicht-ausbeutenden Gesellschaftsschichten mit sich zu ziehen. Dabei muss das Proletariat der Realität ins Gesicht schauen und darf nicht Angst vor ihr haben. Um sein Klassenbewusstsein weiterzuentwickeln und um seinen Kampf den auf dem Spiel stehenden Schicksalsfragen anzupassen, darf es nicht mit der schonungslosesten Kritik an seinen eigenen Schwächen und Fehlern, mit einem gründlichen Nachdenken über die Schwierigkeiten geizen, denen es auf seinem Weg begegn et. Die Ereignisse in Argentinien werden dem Weltproletariat – und dem Proletariat in Argentinien, dessen Kampffähigkeit noch lange nicht erschöpft ist – als eine klare Lektion dienen: Klassen übergreifende Revolten schwächen nicht die Macht der Bourgeoisie, sondern das Proletariat.

Der Zusammenbruch der argentinischen Wirtschaft ist eine deutliche Manifestation der sich verschlimmernden Krise.

Wir wollen uns hier nicht auf eine detaillierte Analyse der Wirtschaftskrise in Argentinien einlassen. Wir verweisen unsere Leser auf unsere territoriale Presse. (s. insbesondere Weltrevolution, Nr. 110 und 111)Von besonderer Bedeutung in dieser Situation ist der brutale Anstieg der Arbeitslosigkeit von 7% im Jahr 1992 auf 17% im Oktober 2001 und schließlich auf 30% im Verlauf nur eines Monats (Dezember 2001) sowie – zum ersten Mal seit der spanischen Kolonialära – das Auftreten von Hunger, und das in einem Land, das bis vor kurzem noch als dem „europäischen Niveau“ sehr nahestehend galt und dessen hauptsächliche Produkte ausgerechnet Fleisch und Weizen sind.

Weit entfernt davon, ein lokales Phänomen zu sein, das durch Korruption oder den Wunsch, „wie Europäer zu leben“, verursacht worden ist, ist die argentinische Krise eine neue Episode in der Verschärfung der kapitalistischen Wirtschaftskrise. Diese Krise ist weltweit und betrifft alle Länder. Doch bedeutet dies nicht, dass sie alle von ihnen in derselben Weise oder in demselben Ausmaß betrifft. „Obwohl sie kein Land ausspart, wirkt sich die Weltkrise am verheerendsten nicht in den mächtigsten, hochentwickelten Ländern aus, sondern in den Ländern, die zu spät die weltwirtschaftliche Arena betreten haben und denen der Weg zur Weiterentwicklung von den alten Mächten endgültig versperrt worden war.“ („The proletariat of Western Europe in the centre of the generalisation of the class struggle“, International Review Nr. 31, engl./frz./span.) Darüber hinaus haben die mächtigsten Länder angesichts der sich verschlimmernden Krise Maßnahmen ergriffen, um sich gegen sie zur Wehr zu setzen und sie auf die schwächsten Länder abzuwälzen („Liberalisierung“ des Welthandels, „Globalisierung“ von Finanztransaktionen, Investitionen in den Schlüsselsektoren der schwächsten Länder auf dem Weg der Privatisierungen, die Politik des IWF, etc. – d. h. all das, was „Globalisierung“ genannt wird). Es handelt sich hier um nichts anderes als die durch die größten Länder erzwungene Anwendung einer ganzen Reihe von staatskapitalistischen Maßnahmen auf die gesamte Weltwirtschaft, was den Zweck verfolgt, sich selbst vor der Krise zu schützen und zu ermöglichen, die schlimmsten Auswirkungen auf die Schwächsten abzulenken (s. „Bericht über die Wirtschaftskrise“ in Internationale Revue Nr. 28). Die von der Weltbank gelieferten Zahlen (World Development Indicators 2001) sind in diesem Zusammenhang vielsagend: Zwischen 1980 und 2000 erhielten private Kreditgeber von den lateinamerikanischen Ländern 192 Milliarden Dollar mehr zurück, als sie ihnen geliehen hatten, während 1999–2002, also in nur zwei Jahren, diese Differenz nicht weniger als 86,2 Milliarden Dollar betrug, das heißt, nahezu die Hälfte des Betrages der 20 Jahre zuvor. Der IWF seinerseits bewilligte zwischen 1980 und 2000 diesen Ländern Kredite in Höhe von 71,3 Milliarden Dollar, während diese Länder in der gleichen Periode 87,7 Milliarden Dollar zurückzahlten!

Und die Situation in Argentinien ist nur die Spitze des Eisberges. Hinter Argentinien gibt es weitere Länder, die, aus verschiedenen Gründen (Erdölfelder, strategische Position, etc.) genauso wichtig, potenzielle Kandidaten für den nächsten ökonomischen und politischen Kollaps sind: Venezuela, Türkei, Mexiko, Brasilien, Saudiarabien ...

Eine autonome proletarische Bewegung oder eine blinde, chaotische, Klassen übergreifende Revolte?

Wie das IBRP in seiner italienischen Zeitschrift kurz und bündig feststellte, antwortet der Kapitalismus auf Hunger mit noch mehr Hunger. Es machte ebenfalls klar, dass die vielfältigen „wirtschaftlichen Lösungen“, die von den Regierungen, der Opposition oder „alternativen Bewegungen“ wie das Sozialforum von Porto Alegre vorgeschlagen werden, keine Alternative anbieten. Dieses raffinierte Gebräu der Demagogen ist nach und nach von den Tatsachen der jetzt 30 Jahre dauernden Krise diskreditiert worden (s. den „Bericht über die Wirtschaftskrise“ in der Internationalen Revue Nr. 28 und „30 Jahre offene Wirtschaftskrise des Kapitalismus“ in der Internationalen Revue, Nrn. 24–26). Es zieht daher die richtige Schlussfolgerung, dass es „nutzlos ist, sich selbst etwas vorzumachen: Auf dieser Stufe der Krise hat der Kapitalismus nichts anderes anzubieten als allgemeine Armut und Krieg. Nur das Proletariat kann diesen tragischen Kurs aufhalten.“ (IBRP-Website, oben zitiert)

Und dennoch schätzt das IBRP die Protestbewegung in Argentinien wie folgt ein:

“Spontan gingen Proletarier raus auf die Straßen und zogen junge Leute, Studenten und wesentliche Bereiche des proletarisierten Kleinbürgertums mit sich, die wie sie selbst pauperisiert waren. Gemeinsam richteten sie ihren Ärger gegen die kapitalistischen Heiligtümer: all die Supermärkte und Geschäfte im Allgemeinen, die wie die Bäckereien im Gefolge vorsintflutlicher Brotrevolten angegriffen wurden. In der Hoffnung, die Rebellen einzuschüchtern, fand die Regierung keine bessere Antwort, als eine brutale Repression anzuzetteln, die in Dutzenden von Toten und Tausenden von Verletzten mündete. Die Revolution wurde jedoch nicht ausgelöscht, sondern verbreitete sich stattdessen auf den Rest des Landes und begann in wachsendem Maße einen Klassencharakter anzunehmen.“

Wir können drei Komponenten in der sozialen Bewegung Argentiniens unterscheiden:

–             Zuerst die Angriffe auf die Supermärkte, die im Wesentlichen von Randschichten, Verlumpten und auch von den jungen Arbeitslosen ausgeführt wurden. Diese Bewegungen sind von der Polizei, privatem Wachschutz und den Ladeninhabern grausam unterdrückt worden. In mehreren Fällen sind sie ausgeartet in Wohnungseinbrüchen in armen Wohngegenden und in der Ausplünderung von Büros, Warenhäuser, etc.[iii] Die Hauptkonsequenz aus dieser „ersten Komponente“ der sozialen Bewegung waren tragische Konfrontationen unter Arbeitern gewesen, wie dies durch die blutige Konfrontation zwischen den piqueteros, die sich Nahrungsmittel aneignen wollten, und Arbeitern der Läden des Zentralmarkts von Buenos Aires am 11. Januar verdeutlicht wurde (s. dazu Weltrevolution Nr. 111). Für die IKS ist dieser Gewaltausbruch innerhalb der Arbeiterklasse (eine Veranschaulichung der Methoden, die den verlumpten Schichten des Proletariats eigen sind) ein Ausdruck ihrer Schwäche, nicht ihrer Stärke. Diese gewaltsamen Konfrontationen zwischen verschiedenen Teilen der Arbeiterklasse sind ein Hindernis für ihre Einheit und können nur den Interessen der herrschenden Klasse dienen.

–             Die zweite Komponente war die Bewegung der cacerolas (Kochtopfschläger) gewesen. Diese setzte sich vornehmlich aus den „Mittelklassen“ zusammen, die wegen der Beschlagnahme und Abwertung ihrer Ersparnisse im so genannten „kleinen Bankurlaub“ (dem corralito) aufgebracht waren. Diese Schichten sind in einer verzweifelten Situation. „In Argentinien wird die Armut mit hoher Arbeitslosigkeit kombiniert, in die die ‚neuen Armen‘, Ex-Angehörige der Mittelklassen, infolge der zerfallenden gesellschaftlichen Mobilität fallen; die Umkehrung der Immigrationswelle in das Land zu Beginn des 20. Jahrhunderts“ (aus einer Website, die Zusammenfassungen der argentinischen Presse enthält). Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, Rentner, einige Bereiche des Industrieproletariats teilten mit dem Kleinbürgertum das fürchterliche Los des corralito: Die Mühen eines Lebens voller Arbeit, angespart, um die kümmerliche staatliche Rente aufzubessern, haben sich buchstäblich in Nichts aufgelöst. Jedoch verleiht keines dieser Merkmale der Bewegung der cacerolas einen proletarischen Charakter: Sie bleibt eine Klassen übergreifende Volksrevolte, die von nationalistischem und ‚ultra-demokratischem‘ Denken geprägt ist.

–             Die dritte Komponente wird von einer Reihe von Arbeiterkämpfen gebildet. Es hat Streiks von Lehrern in den meisten der 23 Provinzen Argentiniens, eine landesweite, kämpferische Bewegung von Eisenbahnarbeitern und einen Streik von Bankangestellten gegeben. Die Kämpfe im Ramos-Mejias-Krankenhaus in Buenos Aires führten zu Zusammenstößen sowohl mit der uniformierten Polize, als auch mit den Gewerkschaften. Während der letzten beiden Jahre gab es zahllose Mobilisierungen von Arbeitslosen mit denjenigen, die sich engagierten, Straßen im ganzen Land zu blockieren (die berühmten piqueteros).

Selbstverständlich können Revolutionäre einen solchen Kampfgeist, der von der Arbeiterklasse in Argentinien an den Tag gelegt wird, nur begrüßen. Doch wie wir stets gesagt haben, ist der Kampfgeist der Arbeiter, so groß er ist, nicht das einzige, ja, nicht einmal ein Hauptkriterium, das uns ermöglicht, das Kräfteverhältnis zwischen den beiden fundamentalen Klassen in der Gesellschaft, der Bourgeoisie und dem Proletariat, klar zu ermessen. Die erste Frage, die wir beantworten müssen, ist diese: Kann die Dynamik dieser Arbeiterkämpfe, die überall im Land und in vielen verschiedenen Industriebranchen ausgebrochen sind, zu einer Massenbewegung führen, die imstande wäre, die Feuerschneisen zu überspringen, die von der herrschenden Klasse gelegt worden sind (besonders von der demokratischen Opposition und von den Gewerkschaften)? Die Realität der Ereignisse zwingt uns, mit „nein“ zu antworten. Gerade weil die Arbeiterkämpfe zerstreut blieben und sich als unfähig erwiesen, sich zu einer massiven, vereinten Bewegung der gesamten Arbeiterklasse zu entwickeln, zeigte sich das Proletariat in Argentinien nicht imstande, sich selbst an die Spitze der Bewegung des sozialen Protestes zu stellen und den Rest der nicht-ausbeutenden Schichten in sein Kielwasser zu ziehen. Im Gegenteil, weil die Arbeiter außerstande waren, die Führung der Bewegung zu übernehmen, wurden ihre eigenen Kämpfe von der hoffnungslosen Revolte anderer gesellschaftlicher Schichten durchtränkt und vergiftet. Auch wenn sie selbst Opfer des Kollapses der argentinischen Wirtschaft sein mögen, haben Letztere keine historische Zukunft. Für Marxisten wird die einzige Methode, die es uns erlaubt, in solch einer Situation klar zu sehen, in der Frage zusammengefasst: Wer führt die Bewegung an? Welche Klasse hat die Initiative ergriffen und den Ereignissen ihre Dynamik aufgeprägt? Nur wenn sie diese Frage richtig beantworten können, können Revolutionäre zum Fortschritt des Proletariats in Richtung seiner eigenen Befreiung und daher zur Befreiung der Menschheit von dem tragischen Kurs beitragen, auf den der Kapitalismus zusteuert.

Und hier begeht das IBRP einen verhängnisvollen Fehler in der Methode. Es ist nicht das Proletariat, das neben den Studenten die jungen und großen Bereiche des Kleinbürgertums mit sich gezogen hat: Im Gegenteil, die verzweifelte, konfuse und chaotische Revolte wild durcheinander gewürfelter Volksschichten hat die Arbeiterklasse durchtränkt und in die Irre geführt. Schon eine oberflächliche Überprüfung der Positionen, Forderungen und Mobilisierungsmethoden der Nachbarschafts-Versammlungen, die in Buenos Aires gewuchert und sich übers ganze Land ausgebreitet haben, demonstrieren dies mit brutaler Deutlichkeit. Was wurde in der Ankündigung des „weltweiten cacerolazo“ am 23. Februar 2002, die auf ein weites Echo in mehr als 20 Städten auf vier Kontinenten stieß, gesagt? „Globale cacerolazo. Wir sind alle Argentinier – jedermann auf die Straßen in New York – Porto Allegre – Barcelona – Toronto – Montreal (fügt eure Städte und eure Länder hinzu); die räuberische Weltbank – Alca – die Multis – weg mit ihnen allen! Regierungen und Politiker sind korrupt, keiner von ihnen sollte bleiben, keiner von ihnen! Lang leben die Volksversammlungen! Argentinisches Volk, erhebe dich!“ Dieses „Programm“, das all den Ärger über die „Politiker“ artikuliert, ist dasselbe wie jenes, das tagtäglich von jenen selbst ernannten Politikern von der extremen Rechten bis zur extremen Linken und selbst von „ultraliberalen“ Regierungen vertreten wird, die alle wissen, wie man den Ultraliberalismus, die Multis, die Korruption, etc. „kritisiert“.

Darüber hinaus ist diese Bewegung des „Volksprotestes“ stark vom extremen und reaktionären Nationalismus geprägt worden. In allen Demonstrationen der Nachbarschafts-Versammlungen ist dasselbe Ziel bis zum Erbrechen wiederholt worden: „ein anderes Argentinien schaffen“, „unser Land auf eigenen Fundamenten wiederaufbauen“. Auf der Internet-Seite der vielen Nachbarschafts-Versammlungen gab es nationalistische Debatten wie: „Sollen wir die Auslandsschulden zurückbezahlen?“ „Sollen wir den Peso oder den Dollar benutzen?“ Eine Website schlägt lobenswerterweise die „Erziehung und Bewusstwerdung“ der Leute und die Eröffnung einer Debatte über Rousseaus Gesellschaftsvertrag vor und ruft zur Rückkehr zu den Klassikern Argentiniens im 19. Jahrhunderts wie San Martín oder Sarmiento auf. Man muss mit Blindheit geschlagen sein (oder Märchen für bare Münze nehmen), übersähe man, dass dieser Nationalismus auch die Arbeiterkämpfe infiziert hat: Die Arbeiter von TELAM führten ihre Demonstration mit argentinischen Flaggen an; in einem Arbeiterbezirk von Groß-Buenos Aires begann eine Nachbarschafts-Versammlung mit der Ablehnung der Zahlung einer neuen Gemeindesteuer und endete mit dem Singen der Nationalhymmne.

Weil sie Klassen übergreifend und ohne Perspektive war, konnte diese Bewegung nichts anderes tun, als dieselben reaktionären Lösungen fordern, die zur tragischen Situation geführt haben, in die die Bevölkerung gestürzt wurde. Doch diese Wiederholung des Alten, diese Suche nach der guten, alten Zeit ist ein beredtes Zeugnis des Charakters dieser impotenten und zukunftslosen gesellschaftlichen Revolte. Wie von einem Teilnehmer der Versammlungen in aller Offenheit geäußert wurde: „Viele haben gesagt, dass wir keine Vorschläge machen, dass alles, was wir tun können, darin besteht zu opponieren. Und wir können mit Stolz sagen, dass dies richtig ist, wir sind gegen das etablierte System des Neoliberalismus. Wie der Bogen, der durch Unterdrückung überspannt wird, sind wir die Pfeile, die gegen die totalitäre Vorherrschaft des ultra-liberalen Denkens abgeschossen werden. Unsere Aktion wird von unseren Leuten unterstützt werden, Zentimeter für Zentimeter, um das älteste Volksrecht, den Volkswiderstand, auszuüben.“ (entnommen der Website)

Zwischen 1969 und 1973 waren in Argentinien die Ereignisse in Cordoba, der Mendoza-Streik, das Anschwellen der Streiks, die das Land überschwemmten, der Schlüssel zur sozialen Revolution. Obgleich sie weit entfernt von einem aufständischen Charakter waren, markierten diese Kämpfe die Wiederbelebung des Proletariats, das die gesamte politische und gesellschaftliche Tagesordnung des Landes beeinflusste.

Doch im Argentinien vom Dezember 2001 ist die Situation angesichts der Verschlimmerung des kapitalistischen Zerfalls nicht mehr dieselbe. Das Proletariat ist heute mit neuen Schwierigkeiten  konfrontiert, Hindernisse, die noch überwunden werden müssen, um sich selbst zu behaupten und seine Klassenidentität und Autonomie weiterzuentwickeln. Anders als in der Periode zu Beginn der 70er Jahre ist die soziale Lage in Argentinien heute durch eine Klassen übergreifende Bewegung gekennzeichnet, die die Stärke des Proletariats verwässert und sich als unfähig erwiesen hat, mehr als nur flüchtig auf die politische Situation einzuwirken. Die Bewegung der cacerolas hat sicherlich eine große Leistung vollbracht, die es wert ist, ins Guinness-Buch der Rekorde eingetragen zu werden – den Sturz von fünf Präsidenten innerhalb von 15 Tagen. Aber all dies ist nur kurzlebig. Welche Clique auch immer an der Regierung ist, es ist immer noch die Bourgeoisie, die die Macht in Argentinien so wie anderswo in den Händen hält. Nun beklagen sich die Volksversammlungen auf ihren Websites bitterlich darüber, dass sich die Bewegung auf mysteriöse Weise soweit zerstreut hat, dass es dem raffinierten Duhalde gelungen ist, die Ordnung wiederherzustellen, ohne die galoppierende Verarmung wenigstens zu mindern und ohne einen Wirtschaftsplan zu haben, der auch nur zur minimalsten Lösung führt.

Die Lehren aus den Ereignissen in Argentinien

In der gegenwärtigen historischen Periode, die wir als die Zerfallsphase des Kapitalismus bezeichnen, läuft das Proletariat ernsthaft Gefahr, seine Klassenidentität, das Vertrauen in sich selbst zu verlieren, in seine revolutionären Fähigkeiten, sich selbst als eine autonome und bestimmende gesellschaftliche Kraft in der gesellschaftlichen Entwicklung zu etablieren. Diese Gefahr ist das Produkt von mehreren miteinander verknüpften Faktoren:

–             der Schlag gegen das Bewusstsein des Proletariats infolge des Zusammenbruchs des Ostblocks und der Fähigkeit der Bourgeoisie, dies mit dem „Zusammenbruch des Kommunismus“ und dem „historischen Scheitern des Marxismus und des Klassenkampfes“ zu identifizieren;

–             das Gewicht des Zerfalls des kapitalistischen Systems, das soziale Bande aushöhlt und eine Atmosphäre der Konkurrenz selbst innerhalb des Proletariats fördert;

–             die Angst vor der Politik und Politisierung, die eine Konsequenz der Form ist, die die Konterrevolution (durch die Mittel des Stalinismus aus dem „Inneren“ der proletarischen Bastion und der Parteien der Kommunistischen Internationalen) angenommen hat, und des enormen historischen Schlages ist, der durch die Degeneration zweier der besten Kreationen der politischen Fähigkeiten und des Bewussteins des Proletariats innerhalb des Zeitraums von nur einer Generation ausgeübt worden war: zunächst der sozialistischen Parteien und schließlich, keine zehn Jahre später, der kommunistischen Parteien.

Diese Gefahr könnte letztendlich das Proletariat daran hindern, angesichts des vollkommenen Zusammenbruchs der gesamten Gesellschaft, wohin die historische Krise des Kapitalismus führt, die Initiative zu ergreifen. Argentinien zeigt deutlich diese potenzielle Gefahr: Die allgemeine Lähmung der Wirtschaft und die heftigen Erschütterungen im politischen Apparats der Bourgeoisie konnten vom Proletariat nicht dazu genutzt werden, sich selbst als eine autonome gesellschaftliche Kraft zu etablieren, um für seine eigenen Ziele zu kämpfen und die anderen Gesellschaftsschichten in sein Kielwasser zu ziehen. Untergetaucht in einer Klassen übergreifenden Bewegung, die typisch für den Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft ist, ist das Proletariat in eine sterile und zukunftslose Revolte gezwängt worden.

Aus diesem Grund sind die Spekulationen von den Trotzkisten, Anarchisten und der „Antiglobalisierungsbewegung“ im Allgemeinen über die Ereignisse in Argentinien, die als „Beginn der Revolution“, als eine „neue Bewegung“ oder als „praktische Demonstration, dass eine andere Gesellschaft möglich ist“, dargestellt werden, sehr gefährlich.

Weitaus Besorgnis erregender ist, dass das IBRP diesen konfusen Schwärmereien durch den Beitrag der eigenen Illusionen über die „Stärke des Proletariats in Argentinien“ Vorschub leistet.[iv]

Diese Spekulationen entwaffnen die jungen Minderheiten, die das Proletariat weltweit hervorbringt und die angesichts einer auseinanderbrechenden Welt nach einer revolutionären Alternative suchen. Daher ist es uns wichtig, die Gründe für die Annahme des IBRP zu erklären, dort auf eine „gigantische Klassenbewegung“ gestoßen zu sein, wo sich in Wahrheit nur die Windmühlen der Klassen übergreifenden Revolte bewegen.

Zunächst einmal sei gesagt, dass das IBRP stets das Konzept des historischen Kurses abgelehnt hat, mit dem wir versuchen, die Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen Proletariat und Bourgeoisie in der gegenwärtigen Lage zu verstehen, die mit der historischen Wiederbelebung des Proletariats seit 1968 geschaffen wurde. Für das IBRP erscheint all dies als reiner Idealismus, als ein Absturz in „Prognosen und Vorhersagen“.[v] Seine Ablehnung dieser historischen Methode verleitet es zu einer immediatistischen und empiristischen Sichtweise, sowohl was das Militär als auch was den Klassenkampf angeht. Dabei lohnt es sich, die Analyse des IBRP über den Golfkrieg in Erinnerung zu rufen, die ihn als „den Beginn des III. Weltkrieges“ darstellte. Dieselbe photographische Methode verleitete das IBRP dazu, die Palastrevolution, die das Ceausescu-Regime in Rumänien zu Fall brachte, als eine „Revolution“ darzustellen: „Rumänien ist das erste Land in den Industrieregionen, wo die Weltwirtschaftskrise eine wahre und authentische Volksrevolution zum Leben erweckt hat, die in den Sturz der Regierung mündete (...) in Rumänien sind alle objektiven und fast alle subjektiven Bedingungen versammelt, um den Aufstand in eine wahre und authentische soziale Revolution umzuwandeln.“ („Ceausescu ist tot, aber der Kaptialismus ist immer noch am Leben“ in Battaglia Comunista, Januar 1990)

Wer jegliche Art von Analyse des historischen Kurses ablehnt, liefert sich auf Gedeih und Verderb den unmittelbaren Ereignissen aus. Das Fehlen jeglicher Methode, um die historische Weltlage und das wirkliche Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zu analysieren, verleitet das IBRP zur Idee, dass wir an dem einen Tag am Rande des III. Weltkriegs stehen und an dem anderen Tag vor einer proletarischen Revolution. Wie das Proletariat – gemäß der „analytischen Methode“ des IBRP – von einer Situation, in der es sich für die Vorbereitung eines Dritten Weltkrieges hinter der Fahne des Nationalismus anwerben lässt, unversehens in eine Situation gerät, wo es bereit ist, einen revolutionären Angriff zu starten, bleibt für uns ein Geheimnis, und wir warten noch immer auf eine kohärente Erklärung des IBRP für diese Sprünge.

Im Gegensatz zu diesem demoralisierenden Hin und Her sind wir selbst davon überzeugt, dass nur eine globale und historische Vision die Revolutionäre davor bewahrt, zum Spielball der Ereignisse zu werden und fälschlicherweise Volksrevolten für proletarischen Klassenkampf zu halten.

Das IBRP verspottet ohne Ende unsere Theorie über den Zerfall des Kapitalismus, indem es sagt, dass „sie benutzt wird, um alles zu erklären“. Dennoch ist das Konzept des historischen Kurses sehr wichtig, um eben diese Unterscheidung zwischen Revolten und dem Klassenkampf des Proletariats zu machen. Solch eine Unterscheidung ist wichtig in unserer Zeit. Die gegenwärtige Lage des Kapitalismus führt in der Tat zu Protesten, Tumulten, Zusammenstößen zwischen Klassen, Schichten und Fraktionen. Die Revolte ist die faule und welke Frucht einer in ihren Grundfesten erschütterten, sterbenden Gesellschaft. Sie hilft nicht, ihre Widersprüche zu überwinden, sondern verschlimmert sie stattdessen. Sie ist der eine Teil der Alternative, die im Kommunistischen Manifest für den Klassenkampf in der ganzen Geschichte dargestellt worden war: „ein Kampf, der jedes Mal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endet oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“. Es ist diese zweite Alternative, der „gemeinsame Untergang der kämpfenden Klassen“, die das Fundament für das Konzept des Zerfalls des Kapitalismus bildet. Dies ist das Gegenteil zum Klassenkampf des Proletariats, der, falls er auf seinem eigenen Klassenterrain Ausdruck findet und seine Autonomie durch sein Streben nach Ausweitung und Selbstorganisation bewahrt, das Potenzial besitzt, um die „selbständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl“ (ebenda) zu werden. All die Bemühungen der bewusstesten Elemente des Proletariats und, etwas allgemeiner, der kämpfenden Arbeiter müssen danach trachten zu vermeiden, die Volksrevolte mit dem autonomen Klassenkampf zu verwechseln, müssen danach streben, das Gewicht des allgemeinen gesellschaftlichen Zerfalls daran zu hindern, dass das Proletariat in die Sackgasse blinder Revolten gezerrt wird. Während das Terrain der Revolte zu einer fortschreitenden Auszehrung der Fähigkeiten des Proletariats führt, führt das Terrain des Klassenkampfes zur revolutionären Zerstörung des kapitalistischen Staates in allen Ländern.

Die proletarische Perspektive

Während die Ereignisse in Argentinien klar die Gefahr aufzeigen, der das Proletariat gegenübersteht, falls es zulässt, auf das verrottete Terrain des Klassen übergreifenden „Volks“aufstandes gezerrt zu werden, wird das Endspiel der sozialen Evolution zur Barbarei oder Revolution jedoch nicht hier ausgespielt werden, sondern in den weltgrößten Arbeiterkonzentrationen und besonders in Westeuropa.

“Eine soziale Revolution ist nicht einfach das Zerschlagen der Ketten, der Zusammenbruch der alten Gesellschaft. Sie ist auch und gleichzeitig eine Handlung zum Aufbau einer neuen Gesellschaft. Sie ist kein mechanischer Vorgang, sondern eine gesellschaftliche Tatsache, die mit den Antagonismen der menschlichen Interessen, mit dem Streben und den Kämpfen der Klassen verknüpft ist.“ (International Review Nr. 31, engl./frz./span.) Die mechanistischen und vulgären materialistischen Visionen erblicken in der proletarischen Revolution nur einen Aspekt in der Explosion des Kapitalismus, doch sie sind nicht in der Lage, den wichtigsten und entscheidendsten Aspekt zu sehen – die revolutionäre Zerstörung des Kapitalismus durch die bewusste Aktion der proletarischen Klasse, das heißt, durch den, wie Lenin und Trotzki ihn nannten, „subjektiven Faktor“. Diese vulgärmaterialistischen Sichtweisen verhindern die Wahrnehmung des Ernstes der historischen Situation, die gekennzeichnet ist durch den Eintritt des Kapitalismus in die letzte Phase seiner Dekadenz: seinen Zerfall. Stattdessen gibt sich der mechanistische und betrachtende Materialismus mit dem „objektiv revolutionären“ Aspekt zufrieden: mit der unerbittlichen Verschlimmerung der Wirtschaftskrise, den gesellschaftlichen Erschütterungen, der Verkommenheit der herrschenden Klasse. Der Vulgärmaterialismus geht leichtfertig über die Gefahren für das Bewusstsein des Proletariats und für die Entwicklung seiner Einheit und seines Selbstvertrauens hinweg, die im Zerfall des Kapitalismus verborgen sind (genauso wie in seinem ideologischen Gebrauch durch die herrschende Klasse).[vi]

Doch der Schlüssel zur revolutionären Perspektive in unserer Epoche ist gerade die Fähigkeit des Proletariats, die „subjektiven“ Elemente (Selbstvertrauen, Vertrauen in seine revolutionäre Zukunft, Einheit und Klassensolidarität) in seinem Kampf zu entwickeln, die es ihm in wachsendem Maße erlauben, dem Gewicht des sozialen und ideologischen Zerfalls des Kapitalismus entgegenzuwirken und Letzteren zu überwinden. Und in eben jenen großen Arbeiterkonzentrationen Westeuropas existieren die günstigsten Bedingungen für diese Entwicklung. „Soziale Revolutionen fanden nicht da statt, wo die herrschende Klasse am schwächsten war und ihre Strukturen am wenigsten entwickelt waren, sondern im Gegenteil da, wo ihre Strukturen hinsichtlich der Produktivkräfte den höchsten Punkt erreicht haben und wo die Klasse, die die neuen Produktionsverhältnisse trägt und dazu bestimmt ist, die alte Klasse zu ersetzen, am stärksten ist (...) Marx und Engels richteten ihre Perspektive nach den Punkten aus, wo das Proletariat am stärksten, konzentriertesten und am besten positioniert war, um die gesellschaftliche Umwandlung durchzuführen. Obwohl die Krise die unterentwickelten Länder gerade infolge ihrer wirtschaftlichen Schwäche und ihres Mangels an Spielraum für Manöver am brutalsten trifft, dürfen wir nicht vergessen, dass die Quelle der Krise in der Überproduktion, also in den Hauptzentren der kapitalistischen Entwicklung liegt. Dies ist ein weiterer Grund, warum die Bedingungen für eine Antwort auf die Krise und für ihre Überwindung im Wesentlichen in den Hauptzentren ruhen.“[vii]

In der Tat muss die deformierte Vision des IBRP, die einen Klasseninhalt in den Ereignissen in Argentinien zu erblicken vermeint, im Zusammenhang mit seiner Analyse des Potenzials des Proletariats in den peripheren Ländern des Kapitalismus betrachtet werden, die insbesondere in seinen „Thesen über kommunistische Taktik in den Ländern der kapitalistischen Peripherie“ zum Ausdruck kommt, welche auf dem 6. Kongress von Battaglia Comunista verabschiedet worden waren (veröffentlicht in Italien in Prometeo, Nr. 13, Juni 1997, und auf Englisch in Internationalist Communist Nr. 16). Diesen Thesen zufolge schaffen die Bedingungen in den Ländern der Peripherie „ein größeres Potenzial für die Radikalisierung des Bewusstseins als in den großen Metropolen“. Infolgedessen „besteht die Möglichkeit, dass die Zirkulierung des kommunistischen Programms unter den Massen leichter sein wird und der ‚Aufmerksamkeitsgrad‘, den kommunistische Militante dort erzielen können, höher ist als in den gesellschaftlichen Gebilden des fortgeschrittenen Kapitalismus.“  Wir haben diese Analyse bereits im Detail zurückgewiesen (s. International Review Nr. 100, „The class struggle in the countries of the capitalist periphery“, engl./frz./span.Ausgabe), so dass es unnötig ist, dies hier erneut zu tun. Was wir dennoch sagen wollen, ist, dass die verzerrte Sichtweise des IBRP über die Bedeutung der gegenwärtigen Revolte in Argentinien eine Veranschaulichung nicht nur seiner Unfähigkeit ist, die Idee des kapitalistischen Zerfalls oder des historischen Kurses zu begreifen, sondern auch der Unrichtigkeit dieser Thesen.

Unsere Analyse bedeutet absolut nicht, dass wir die Kämpfe des Proletariats in Argentinien und in anderen Zonen, wo der Kapitalismus schwächer ist, mit Verachtung strafen oder unterschätzen. Sie bedeutet einfach, dass Revolutionäre, als die Vorposten des Proletariats und mit einer klaren Vision von der Marschrichtung der proletarischen Bewegung als Ganzes ausgestattet, die Verantwortung haben, deutlich und exakt auf die Stärken und Grenzen des Arbeiterkampfes hinzuweisen, darauf, wer die Verbündeten sind und welche Richtung sein Kampf einschlagen sollte. Um dem gerecht zu werden, müssen Revolutionäre sich mit all ihrer Kraft der opportunistischen Versuchung – durch Ungeduld, Immediatismus oder einen historischen Mangels an Vertrauen in das Proletariat – entgegenstemmen und dürfen nicht eine Klassen übergreifende Revolte (wie wir sie in Argentinien gesehen haben) mit einer Klassenbewegung verwechseln.

Adalen,  10. März 2002


[i] Die Deklaration befindet sich auf der Website des IBRP (www.ibrp.org [11]) und trägt den Titel „A lesson from Argentina: Either the Revolutionary Party and Socialism or Generalised Poverty and War“.

[ii] s. unsere Artikel über den Zusammenbruch des Ostblocks in der Internationalen Revue Nr. 12, über die Frage „Why the proletariat has not yet overthrown capitalism?“ in der International Review Nr. 103-104 (engl./frz./span. Ausgabe) sowie den „Bericht über den Klassenkampf“ in der letzten und vorliegenden Nummer der Internationalen Revue Nr. 30.

[iii] Die Zeitung Pagina vom 12. Januar 2002 veröffentlichte „einen sensationellen Bericht, demzufolge  in einigen Wohngegenden von Groß-Buenos Aires die Plünderungen sich von den Geschäften zu den Wohnungen verlagert haben“.

[iv] Im Gegensatz dazu hat der PCI in Le Proletaire eine klare Position eingenommen, was schon im Titel dieses Artikels deutlich wird: „Die Cacerolazos können Präsidenten stürzen. Um gegen den Kapitalismus zu kämpfen, ist der Klassenkampf notwendig“, der den Klassen übergreifenden Charakter der Bewegung entlarvt und sagt, dass „ein Weg, dieser Politik zu trotzen, nicht existiert: Der Kampf gegen den Kapitalismus, der Arbeiterkampf vereint alle Proletarier nicht hinter populistischen Absichten, sondern hinter jenen der Klasse; der Kampf ist nicht national, sondern international; das endgültige Ziel des Kampfes ist nicht die Reform, sondern die Revolution.“

[v] zu unserer Auffassung über den historischen Kurs siehe die Artikel in der Internationalen Revue Nrn. 5, 29 und der vorliegenden Nummer. Wir haben mit dem IBRP über diese Konzeption in Artikeln der International Review Nr. 36 und 89 (engl./frz./span. Ausgabe) polemisiert.

[vi] „Die verschiedenen Elemente, die die Stärke der Arbeiterklasse bilden, stoßen direkt mit den verschiedenen Erscheinungsweisen des ideologischen Zerfalls zusammen:

– solidarische und kollektive Aktionen sehen sich einer Atomisierung des „Nach-mir-die-Sintflut“ gegenüber;

– das Bedürfnis nach einer Organisation steht dem gesellschaftlichen Zerfall gegenüber, der Desintegration von sozialen Beziehungen, auf die jede Gesellschaft baut;

– das Vertrauen des Proletariats in die Zukunft und in seine eigene Stärke wird ständig durch die alles durchdringende Hoffnungslosigkeit und den Nihilismus innerhalb der Gesellschaft untergraben;

– Bewusstsein, Klarheit, der zusammenhängende und einheitliche Gedanke, der Sinn für Theorie haben eine harte Zeit, um sich der Flucht in die Illusion, in Drogen, Sekten, in den Mystizismus, die Ablehnung oder Zerstörung des Gedankens zu erwehren, die für unsere Epoche kennzeichnend sind.“ (“Der Zerfall: letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus“ in der Internationalen Revue Nr. 13)

[vii] ebenda

Geographisch: 

  • Argentinien [12]

Theoretische Fragen: 

  • Politische Ökonomie [13]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [6]

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Links
[1] https://de.internationalism.org/en/tag/geschichte-der-arbeiterbewegung/mai-1968-frankreich [2] https://de.internationalism.org/en/tag/3/42/historischer-kurs [3] https://de.internationalism.org/en/tag/2/40/das-klassenbewusstsein [4] https://de.internationalism.org/en/tag/politische-stromungen-und-verweise/kommunistische-linke [5] https://de.internationalism.org/en/tag/entwicklung-des-proletarischen-bewusstseins-und-der-organisation/internationale-kommunistische [6] https://de.internationalism.org/en/tag/2/29/proletarischer-kampf [7] https://de.internationalism.org/en/tag/3/47/kultur [8] https://de.internationalism.org/en/tag/geographisch/naher-osten [9] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/irak [10] https://de.internationalism.org/en/tag/3/46/krieg [11] http://www.ibrp.org [12] https://de.internationalism.org/en/tag/geographisch/argentinien [13] https://de.internationalism.org/en/tag/3/49/politische-konomie