Der Anarchismus findet in letzter Zeit wieder vermehrten Zulauf, insbesondere von jüngeren Menschen. Dies findet in einer Situation statt, wo der Kapitalismus immer offensichtlicher auf die Zerstörung der Menschheit zusteuert. Viele Leute, die sich Gedanken über eine Alternative zu diesem zerstörerischen System machen, wissen heute nicht, wo sie ansetzen sollen. Der Marxismus scheint gescheitert zu sein, die Arbeiterklasse ist nicht wahrnehmbar als eine Klasse, die der Menschheit eine neue Perspektive geben kann. So stösst man am ehesten noch auf den Anarchismus, der in seiner Radikalität und Unbeflecktheit sich scheinbar als Alternative zum Kapitalismus anbietet. Ist der Anarchismus aber tatsächlich eine Alternative zum Kapitalismus?
Zur Veranstaltung kamen Leute mit sehr verschiedenen Auffassungen und Vorstellungen.
Anarchistische Elemente und Gruppierungen engagieren sich heute stark in den sogenannten antikapitalistischen Bewegungen, die an verschiedenen Brennpunkten der Welt gegen die WTO, die EU oder allgemein gegen die ”Globalisierung” auftreten.
Die ”Globalisierung” ist aber schon seit Anbeginn ein permanentes Merkmal des Kapitalismus gewesen. Der Wunsch nach dem Schutz von kleinen Betrieben und Entwicklungsländern drückt zwar die Hoffnung von bestimmten kleinbürgerlichen Schichten innerhalb des Kapitalismus aus, einen vernünftigen Kapitalismus zu errichten, entspricht aber keineswegs dem Werdegang und der Entwicklung des Kapitalismus. Ein Kapitalismus ohne Ausschaltung der Konkurrenten, ohne Zentralisierung bis zur heutigen Entwicklung und Stufe des allesfressenden Staatskapitalismus ist eine bare Illusion.
Die von den Anarchisten hochgehaltene ‚Propaganda der Tat‘ als politisches Programm bietet der Menschheit keineswegs einen gangbaren Weg, um den Kapitalismus zu verändern. Die aus dem Mittelalter entlehnten Konzepte der Bauernaufstände zur Zeit der kleinwirtschaftlichen Produktion oder des auslaufenden Handwerkertums im 18. und 19. Jahrhundert werden als die letzten Errungenschaften der revolutionären Theorie und Praxis verkauft.
Die Arbeiterklasse und ihre politischen Bewegungen, die sich vor allem in ihren internationalen Organisationen manifestieren (Erste, Zweite und Dritte Internationale, besonders ihre linken Flügel) haben diese Konzepte und Auffassungen aber schon längst auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen.
Dass der Anarchismus mit seinen überholten Entwürfen der Theorie und Praxis der Arbeiterklasse nichts anbieten kann, war der Ausgangspunkt unserer Veranstaltungen.i [1] Wir halten weiterhin an der Arbeiterklasse als der einzig revolutionären Klasse im Kapitalismus fest, die auch eine Alternative zum Kapitalismus erkämpfen kann.
Mit unseren Veranstaltungen in mehreren Ländern bieten wir den politisierten Menschen eine Möglichkeit, die einzig wirkliche, historische Perspektive kennenzulernen. Der Gleichsetzung von Stalinismus und Kommunismus, wie das die herrschende Klasse propagiert und auch von den Anarchisten unterstützt wird, setzen wir unsere Auffassung des Kommunismus entgegen, die mit diesen ideologischen Verzerrungen aufräumt.
Die IKS eröffnete die Veranstaltung mit einer ausführlichen Einleitung über die Geschichte des Anarchismus.
Nach einigen Diskussionsbeiträgen zeigte sich, dass Teilnehmer mit unterschiedlichen Interessen anwesend waren. Die meisten von ihnen aber stellten die Frage in den Vordergrund: ”Wie soll man den Kapitalismus bekämpfen?” Es lag auch auf der Hand, dass nicht alle mit unseren Positionen und Ausführungen einverstanden waren. Es dauerte nicht lange, bis ein Teilnehmer engagiert andere Ansichten über den Anarchismus in die Diskussion einbrachte. Wir fanden es wichtig, dass einer der ersten Beiträge die Position der Anarchisten verteidigte. Solche Interventionen beleben Diskussionsveranstaltungen und zeigen, dass es in der Arbeiterklasse üblich ist, kontroverse politische Auffassungen einander gegenüberzustellen.
Es gab aber auch ganz grundsätzliche Fragen. Einige Teilnehmer wollten wissen, was den Anarchismus vom Kommunismus unterscheidet. Die IKS hob hervor, dass das Ziel einer humanen und klassenlosen Gesellschaft sowohl dem Anarchismus als auch dem Kommunismus eigen ist. Was uns allerdings von den Anarchisten unterscheidet, ist die Einsicht in die Notwendigkeit einer Übergangsphase nach dem Sturz des Kapitalismus. Diese Übergangsgesellschaft hat noch Merkmale der alten Gesellschaft, wie Marx festgestellt hatte. Sie hat aber nichts zu tun mit den stalinistischen staatskapitalistischen Monstren des ehemaligen Ostblocks. Ganz anders als diese totalitären Bürokratien muss der Staat in der Übergangsperiode absterben.
Schon der historische Anarchismus hat nie begriffen, weshalb es eine Übergangsphase nach der proletarischen Machtübernahme braucht. Die Diktatur des Proletariats bedeutet nicht die Unterdrückung der ganzen Gesellschaft, sondern vor allem die Unterdrückung der ehemals herrschenden Klasse, der Bourgeoisie. Das Ziel ist letztlich die Auflösung der Klassen, somit auch des Übergangsstaates, der nur ein notwendiges Übel auf dem Weg zum Kommunismus ist.
Die Isolierung der proletarischen Bastion in Russland und der daraus folgende Niedergang der Russischen Revolution brachten einen neuen Staat hervor, der nichts mit dem eben beschriebenen absterbenden Übergangsstaat zu tun hatte. Im Gegenteil, der neue Staat in Russland begann sogleich die Bevölkerung und insbesondere die Arbeiterklasse mehr und mehr zu kontrollieren und zu terrorisieren.
Das war Wasser auf die Mühlen der anti-kommunistischen Propaganda, die sich die Anarchisten vor allem heute, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, wieder zu Nutze machen.
Ein anderer Unterschied zu den anarchistischen Vorstellungen liegt in der Frage, wie der Kommunismus organisiert sein wird, bzw. ob schon innerhalb des Kapitalismus ‚Inseln‘ des Kommunismus errichtet werden könnten. Ein Teil der Anarchisten ist der Auffassung, dass die Produktion in möglichst kleinen und voneinander unabhängigen Kollektiven organisiert sein soll.
Der Kapitalismus ist eine weltumfassende Produktionsweise, die keine andere neben sich duldet. Solange dem so ist, wird es nicht möglich sein, andere ökonomische Produktionsweisen zu etablieren. Etliche historische Versuche haben das bewiesen. Bereits Marx und Engels haben dies in ihren Auseinandersetzungen mit Proudhon und Owen dargelegt. Zum Beispiel sind die Konsumgenossenschaften (wie Coop in der Schweiz), die damals von der Arbeiterbewegung gegründet wurden, heute normale bürgerliche Betriebe.
Das 20. Jahrhundert ist voller Beispiele, die belegen, dass weder die regionale und nicht einmal die landesweite Besetzung von Fabriken und Betrieben den Kapitalismus erschüttern kann, solange er weltweit das herrschende System ist.
Die politisch wichtigsten Beispiele, die aufzeigen, dass die Selbstverwaltung im Kapitalismus nicht funktioniert, kommen aus dem 20. Jahrhundert. Alle Versuche von Fabrikbesetzungen, wie anfangs der 20er Jahre in Italien oder in Deutschland, wo die Arbeiter vermeinten, es genüge, Betriebsrätegesetze zu entwickeln, sind kläglich gescheitert.
Das wohl bei den Anarchisten bekannteste Beispiel - die Kollektivierung in Spanien Mitte der 30er Jahre - endete gleichsam in einem Debakel.
Jener Teilnehmer, der die anarchistischen Positionen verteidigte, setzte die stalinistische Planwirtschaft mit dem Kommunismus gleich und meinte, dass dies die abgehobene Sichtweise der Marxisten beweise. Abgesehen davon, dass gerade in den 30er Jahren grosse Teile der anarchistischen Bewegung mit den Stalinisten zusammen die spanischen Republik anführten, hat die staatskapitalistische Planung, die von zentralen Organen der Bourgeosie geleitet wird, nichts mit der Diktatur des Proletariats zu tun.
Die Diktatur des Proletariats, d.h. die Leitung der Übergangsgesellschaft von der unteren Phase des Kommunismus in die höhere Phase, wird von den Arbeiterräten ausgeübt. Die Planung findet also nicht etwa in abgehobenen Organen statt, wie das die Anarchisten behaupten, sondern wird durch die Arbeiterräte aufgestellt (siehe hierzu auch unsere Broschüre Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus).
Was aber klar sein muss: Eine Gesellschaft, die nach den Bedürfnissen der Menschheit produziert (eben der Kommunismus, die klassenlose Gesellschaft), kann nicht aus autarken Kollektiven bestehen. Im Kommunismus gilt: Jeder arbeitet nach seinen Fähigkeiten (so dass “Arbeit” auch nicht mehr mit dem gleichzusetzen ist, was wir heute als solche bezeichnen), und jedem wird gegeben, was er braucht. Die autarken Kollektive (wie sie vielen Anarchisten vorschweben) würden weiterhin eine auf Tausch basierende Warenwirtschaft aufrechterhalten, was ja letztlich auch die Grundlage des Kapitalismus ist. Man würde letztlich versuchen, das Rad der Geschichte ins Mittelalter zurückzudrehen, wo diese kleinwirtschaftliche, kleinbürgerliche Produktionsweise entstanden und die Geburtsstätte des Kapitalismus gewesen war.
Ein wichtiger Teil der Diskussion berührte die Frage, wie man über solche kontroversen Themen und historischen Positionen diskutiert. Ein Teilnehmer meinte, dass wir alle stalinistische Umgangsformen hätten, indem wir immer das Negative der anderen Position hervorheben. Wir unterstützen die Sorge des Teilnehmers insofern, als sie das Verlangen nach Diskussionsbereitschaft und Offenheit gegenüber anderen Position ausdrückt. Die marxistische Methode konfrontiert die unterschiedlichsten Positionen, aber sie vereint nicht Unvereinbares unter einem Hut. In diesem Sinne konnten in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts auch nur die Marxisten, namentlich die marxistische Linke, die richtigen Kritiken und Lehren aus dem Niedergang der Russischen Revolution und der revolutionären Welle ziehen. Die tragischen Fehler z. B. im Kronstädter Aufstand konnten nur von der Kommunistischen Linken in den 30er Jahren in den richtigen Rahmen gestellt werden.
Die anarchistischen Strömungen versuchen, den Niedergang der Russischen Revolution, die negativen Entwicklungen und Erfahrungen, die in den 30er Jahren in Spanien gemacht wurden, dem angeblich autoritären Charakter des Marxismus unterzuschieben.
Dagegen analysierten die Marxisten genauestens das Kräfteverhältnis zwischen Weltbourgeoisie und Proletariat. Daraus zogen sie den Schluss, dass im Falle Kronstadts die Partei sich auf die Seite des Proletariats hätte stellen müssen, weil der Staat sich verselbständigt hatte. Bezüglich des spanischen Bürgerkriegs war den Linkskommunisten klar geworden, dass dieser zwar noch ein letztes Aufbäumen der revolutionären Welle nach 1923 darstellte (wie in China der ”Aufstand von Schanghai” 1927), dass aber die Revolution nicht mehr auf der Tagesordnung stand, weil in den wichtigsten Ländern des Kapitalismus die Arbeiterklasse niedergeschlagen war. So wie es einem weit grösseren Land wie der Sowjetunion nicht möglich gewesen war, den ”Sozialismus in einem Land” zu errichten, so unmöglich war es, ohne Rücksicht auf das internationale Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat in Spanien autarke Kollektive aufzubauen. Die Genossen von Bilan beteiligten sich nicht an der Sackgasse der ”Kollektive”, sondern hielten konsequent an den marxistischen Prinzipien fest: ”(...) da es nicht die Machtfrage stellen kann, muss sich das Proletariat in seinen Tageskämpfen um begrenztere, aber immer noch klassenmässige Ziele scharen (...) Statt sich der langfristigen Änderung der Arbeiterforderungen zu widmen, ist es die vordringliche Pflicht der Kommunisten, die Umgruppierung der Arbeiterklasse um ihre Klassenforderungen und innerhalb ihrer Klassenorganisationen, den Gewerkschaftenii [1], zu betreiben.”
Auch in einer solchen Situation, wo die Arbeiterklasse zerschlagen war und die Tendenz Richtung Weltkrieg wies, konnten allein die Marxisten, die sich als Opposition in der Komintern, als Linkskommunisten, gesammelt hatten, dem Proletariat die richtigen Antworten geben. Es ging zu dieser Zeit um die ‚Bilanzierung‘ der Niederlage der Arbeiterklasse und um die Verteidigung der unmittelbaren Lebensverhältnisse des Proletariats.
Die Verkennung der Situation führte die Anarchisten wie schon so oft auf die Seite der Bourgeoisie. An der Führung der bürgerlichen Republik war ihr früherer politischer Erzfeind, der Stalinismus, mit beteiligt. Indem sie die bürgerliche Republik gegen Franco verteidigten, verteidigten sie die stalinistischen Henker, die mit an der Spitze der Republik standen.
Die ”Propaganda der Tat”, der blinde Aktionismus, der nicht erkennt, wer Freund, wer Feind ist, führte die Anarchisten immer wieder in die Arme der Bourgeoisie. Die Lehren aus der Geschichte können uns nicht egal sein. Es kommt darauf an, die Geschichte nicht als etwas Abstraktes, sondern im Sinne einer Handlungsanleitung für das Proletariat gegen den Kapitalismus zu verwenden. Darum ist es äusserst wichtig, gerade in einer solchen Veranstaltung die historische Dimension miteinzubeziehen.
Es ist uns klar, dass wir viele dieser Ausführungen erst in diesem Bericht über die Veranstaltung machen können. Auch sind andere Themen, die sehr wichtig sind, wie ”Was tun?”, hier nicht mehr aufgegriffen und in der Veranstaltung selbst nicht gross diskutiert worden. Wir gehen aber wie Liebknecht davon aus, dass man ”zuerst Klarheit, dann Einheit” anstreben muss. In diesem Sinne freute uns natürlich der zum Platzen voll gefüllte Raum. Das zeigt auf, dass es viele suchende Menschen gibt, die eine Alternative zum Kapitalismus diskutieren wollen. Dies wurde dann auch in der „Schlussrunde“ deutlich, die wir jeweils am Ende einer Veranstaltung machen und wo die Teilnehmer ihre Ansicht über die Veranstaltung äussern können.
Es wurde ausnahmslos geäussert, dass das Diskussionsklima sehr gut gewesen sei. Andere bemängelten, dass man zu wenig über die aktuellen Entwicklungen diskutiert habe.
Für uns ist klar, dass die historischen Lehren der Kämpfe und Niederlagen der Arbeiterklasse der politische Kompass für die zukünftigen Klassenkämpfe sein müssen. Die Klassenautonomie kann nur mit diesem politischen Kompass aufrechterhalten bleiben. 2.1.01, Re/Ko
Alljährlich finden Mitte Januar in Berlin - anlässlich des Jahrestages der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg 1919 durch die sozialdemokratische Konterrevolution - politische Veranstaltungen statt, welche politisierte, „linksgerichtete“ Menschen aus ganz Deutschland anziehen. Obwohl die meisten der dort stattfindenden Veranstaltungen mit der revolutionären Tradition der Spartakisten um Liebknecht und Luxemburg nicht das geringste zu tun haben, so liefert dieses Wochenende doch eine der wenigen Gelegenheiten für an revolutionärer Klärung Interessierte, einander kennenzulernen.
Am Sonntagmorgen den 14. Januar wurde der traditionelle Gang zu den Grabstätten der ermordeten Marxisten von den Heerscharen der DDR-Veteranen absolviert. Was hier in einer Atmosphäre der Niedergeschlagenheit und Wehmut zelebriert wird, ist nicht der revolutionäre Marxismus, sondern eine nostalgische Erinnerung an den gescheiterten Stalinismus. So wurden die Presseverkäufer unserer Organisation manches mal beschimpft oder verhöhnt wegen des Namens unserer Zeitung: „Weltrevolution“. Diese Anhänger der PDS - der ehemaligen Regierungspartei des ostdeutschen Staatskapitalismus und der heutigen Regierungspartei des gesamtdeutschen Imperialismus im Wartestand - pilgern zu Karl und Rosa und wissen nicht mal, dass diese beiden großen Revolutionäre ihr Leben für die Weltrevolution hergegeben haben.
Später stieß der lärmende „revolutionäre Block“ dazu, welcher sich aufgrund der den Block begleitenden Polizeieskorte rühmen zu können glaubte, die umstürzlerische Tradition von Liebknecht und Luxemburg fortzusetzen. Doch dieser Block war zusammengesetzt aus Anhängern von „Linksruck“ und anderen trotzkistischen Organisationen, welche vor zwei Jahren die Arbeiter dazu aufgerufen haben, die SPD, den Henker von Karl und Rosa, zu wählen, aus Militanten der stalinistischen MLPD, welche die Ermordung von Lev Trotzki und anderen Weggefährten von Karl und Rosa gutheißen; sowie von Antifa-Aktivisten, welche die bürgerliche Demokratie weniger unmenschlich und weniger gefährlich empfinden als den Faschismus. Dabei gehört es doch unbestreitbar zum politischen Vermächtnis von Liebknecht und Luxemburg aus der Zeit der Deutschen Revolution, dass gerade die bürgerliche Demokratie der gefährlichste Feind des revolutionären Proletariats ist!
Dazu gesellte sich ein selbsternannter „unabhängiger Block“, dessen Kern aus fanatischen kurdischen und anderen Nationalisten zu bestehen schien, sowie aus „Anti-Imps“ und „Trikont“-Kämpfern, welche die Befürwortung von „nationalen Befreiungsbewegungen“ auf ihre politische Fahne geschrieben haben. Auch sie beriefen sich auf Rosa Luxemburg, obwohl bekannt ist, dass Rosa die erste Marxistin war, die bereits während des 1. Weltkrieges erkannte, dass im Zeitalter des Imperialismus jede Form des Nationalismus und jede nationale Befreiungsbewegung unweigerlich reaktionär und zu einem Teil der imperialistischen Barbarei geworden sind.
Kurzum: diese ganze ritualisierte „3 L“ (Liebknecht-Luxemburg-Lenin) Demonstration und der Friedhofsgang haben mit der Tradition des revolutionären Marxismus nicht das Geringste gemein. Sie stellen vielmehr eine von den bürgerlich-linken Feinden der Arbeiterklasse zu verantwortende Schändung des Andenkens dieser Revolutionäre dar.
Dies galt ebenfalls für die meisten der politischen Veranstaltungen, welche am Vortag abgehalten wurden. So z.B. die angebliche „öffentliche Debatte“ über „den Trotzkismus im 21. Jahrhundert“, welche am Nachmittag im Mehringhof abgehalten wurde. Dort warfen sich die trotzkistischen Sekten wie immer gegenseitig vor, den Trotzkismus verraten zu haben. Sie verschleiern damit nur, dass der Trotzkismus insgesamt durch seine Teilnahme am 2. imperialistischen Weltkrieg den proletarischen Internationalismus und damit auch das Lebenswerk von Trotzki und seiner Weggefährten verraten hat und seitdem eine linksbürgerliche Strömung geworden ist.
Die zur selben Zeit im großen Hörsaal der Humboldt Universität von der „gewendeten“ stalinistischen „Jungen Welt“ gesponserte Podiumsdiskussion über „Die Linke und den Krieg“ zog wesentlich mehr Interessierte an. Doch abgesehen davon, dass sogar ein Sprecher der Rote-Grünen Regierung des deutschen Imperialismus, welcher jüngst Jugoslawien mit in Schutt und Asche gelegt hat, als Redner dort auftreten durfte, zeigte allein schon durch die Form einer ‚Podiumsdiskussion‘ den antiproletarischen Charakter dieser Veranstaltung. Da werden die Veranstaltungsbesucher von ‚Podiumsdiskussionen‘ in die Rolle des andächtig den Ausführungen der „Experten“ Lauschenden gedrängt, welche am Ende vielleicht sogar knappe Fragen stellen dürfen.
Doch es fand an diesem Wochenende wenigstens eine Veranstaltung statt, welche tatsächlich an der revolutionären Tradition der Spartakisten anknüpfte und mittels einer radikalen, freimütigen marxistischen Debatte das Andenken an Liebknecht und Luxemburg wirklich ehrte. Dies war die Debatte zum Thema „Die Kinderkrankheit stellt sich vor. Links ist uns nicht links genug: Die revolutionäre Perspektive muss auch gegen linke Realpolitik gerichtet sein!“, welche die Zeitschrift „Aufbrechen“ am Abend im Mehringhof abhielt. Das interessante und kämpferische Einleitungsreferat zu dieser Veranstaltung ist als Sondernummer von „Aufbrechen“ erschienen und kann von der Gruppe angefordert werden. Darin haben die Genossen einiges zur Geschichte der Kommunistischen Linken erläutert und viele der Grundprinzipien dieser revolutionären Strömung aufgezeigt.
Die anschließende Debatte gewann einen Teil ihrer Lebendigkeit dadurch, dass eine Gruppe der kapitalistischen Linken - die Maoisten von „Trotz Alledem“ - gekommen war, um den Einfluss des Linkskommunismus zu bekämpfen. Diese Gruppe ist anscheinend darüber aufgeschreckt, dass ehemalige, „stadtbekannte“ Weggefährten des Stalinismus nunmehr mit dieser konterrevolutionären Staatsdoktrin brechen und nicht davor zurückschrecken, sich öffentlich zum Linkskommunismus zu bekennen. So wurde von dieser Seite groß bedauert, dass „Genossen“, welche einst „eine so gute Politik betrieben haben“, nun ins Lager der „Kinderkrankheit des Kommunismus“ (sprich auf die Seite der proletarischen Internationalisten) übergelaufen sind. Um zu verhindern, dass weitere Kämpfer diesem Beispiel der „Aufbrechen“-Genossen folgen, haben sie die üblichen Vorwürfe gegen den Linkskommunismus vorgetragen, welche Herman Gorter Anfang der 20er Jahre in seiner „Antwort an den Genossen Lenin“ bereits auseinandergenommen hatte. Anstatt über politische Prinzipien zu debattieren und die Lehren aus der Geschichte zu ziehen, wollten die Maoisten von den Genossen von „Aufbrechen“ wissen, welche konkrete Aktionen diese Gruppe plane, um „die Massen zu erobern“ und welchen strategischen „Stufenplan“ sie erstellen wollen, um diese „Massen“ zur Revolution zu führen.
Im Laufe einer recht lebendigen Debatte wurde sehr überzeugend darauf geantwortet, dass die erste Verantwortung der Revolutionäre nicht darin bestehen kann, irgend welche „Aktionen“ oder „Bündnisse“ zu stiften, welche nur den Anschein von Radikalität und von „Masseneinfluss“ erwecken und aus Ermangelung an proletarischen Prinzipien in einer Unterstützung der Bourgeoisie enden. Statt dessen ist es die erste Pflicht der Revolutionäre, politische Klarheit zu erlangen und diese Klarheit gegenüber dem Rest der Arbeiterklasse zu verteidigen. Es ist diese Klarheit und proletarische Prinzipientreue, welche die Marxisten am Ende einen „Masseneinfluss“ gewinnen lassen können, und zwar dann, wenn die Klasse aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen und ihrer eigenen, selbstorganisierten Kämpfe selbst sich in eine revolutionäre Richtung bewegt und somit die Positionen der Revolutionäre als ihre eigenen, als die Lehren ihrer eigenen Geschichte erkennt.
Bedeutsam an dieser Debatte war vor allem, dass die Vertreter von vier verschiedenen politischen Gruppen, welche sich mit den Positionen des Linkskommunismus identifizieren, gemeinsam an einem Strang zogen, so dass die Maoisten sich geschlagen geben mussten und nach der Pause nicht mehr wieder kamen. Diese Vier waren neben der IKS und „Aufbrechen“ „Revolution Times“ und „Soziale Befreiung“. Diese vier Gruppen verteidigten nicht nur gemeinsam das Erbe des Linkskommunismus bei dieser Veranstaltung, sondern unterstützten sich gegenseitig beim Verkauf der jeweiligen Presse an diesem Wochenende.
Den Presseorganen dieser Gruppen gemeinsam ist derzeit vor allem die öffentliche Bekämpfung des Antifaschismus, welcher in Deutschland nun unter Rot-Grün zur Staatsideologie Nr. 1 avanciert. Es ist äußerst wichtig, dass gerade jetzt proletarische Stimmen gegen die bürgerliche Demokratie erhoben werden, da der Antifaschismus, nachdem er bereits als ideologische Rechtfertigung des Kosovokrieges diente, nun unter dem Schlagwort „Aufstand der Anständigen“ auch noch zur Verstärkung des Staates gegen die Arbeiterklasse massiv eingesetzt wird.
Die Gruppen „Revolution Times“ und „Soziale Befreiung“ werden von Genossen getragen, die mit dem Trotzkismus gebrochen haben und sich nunmehr „rätekommunistischen“ Positionen annähern. Da es gerade für Genossen, die aus einem linkskapitalistischen Milieu stammen, besonders schwer, aber entscheidend wichtig ist, mit ihrer politischen Vergangenheit vollständig zu brechen, finden wir es besonders verdienstvoll, dass die zweite Ausgabe der Zeitschrift „Soziale Befreiung“ sich eingehend mit einer Kritik des Trotzkismus befasst. Diese Broschüre fand übrigens in Berlin einen reißenden Absatz und kann somit vielleicht weiterhelfen, um auch andere Genossen aus den Klauen des Trotzkismus zu befreien.
Beide Zeitschriften jedenfalls haben öffentlich auf die antifaschistische Kampagne der Bourgeoisie geantwortet. „Revolution Times“ mit der dritten Broschüre aus der Reihe „Bibliothek des Widerstandes“ mit dem Titel „Auschwitz als Alibi. Kritik des bürgerlichen Antifaschismus“. Darin wird auch der Text „Auschwitz als Alibi“ von Amadeo Bordiga wieder veröffentlicht - ein „Klassiker“ des Linkskommunismus. Die Nummer 3 der „Sozialen Befreiung“ behandelt ebenfalls die Frage des Antifaschismus wie auch des Nationalismus.
Die Verwerfung der Ideologie des Antifaschismus durch diese Zeitschriften knüpft an der Verteidigung des proletarischen Internationalismus während des 2. Weltkriegs durch die Linkskommunisten an.
„Hitlers Wahnideen entsprachen [...] der Irrationalität der kapitalistischen Produktionsweise und den materiellen Interessen der deutschen Bourgeoisie. Der deutsche Kapitalismus kam zu spät. Die Welt war schon aufgeteilt. Hitlers Phrasen vom Überlebenskampf des Ariers entsprach dem imperialistischen Hunger der deutschen Bourgeoisie. Der Zweite Weltkrieg war von allen beteiligten Nationalstaaten ein imperialistischer Krieg. Die deutsche Bourgeoisie kämpfte für eine Neuaufteilung der Welt, während Großbritannien die alte Welt (einschließlich seiner Kolonien) verteidigte. Die USA und die UdSSR wurden durch den zweiten Weltkrieg zu Supermächten.“ (Soziale Befreiung Nr. 3, S. 8).
Welche Klasse von dieser Ideologie profitiert, ist klar: „Der bürgerliche ‚Antifaschismus‘ war und ist nationalistisch, er ist die ideologische Verschleierung des demokratischen Kapitalismus. Die deutsche Bourgeoisie, die Bourgeoisie von Auschwitz, ist jetzt demokratisch und ihre Vergangenheit dient der demagogischen Verschleierung ihrer Gegenwart. ‚Nie wieder Auschwitz!‘ wurde zur staatstragenden Parole der deutschen Klassengesellschaft. Mit ihr wird die ‚demokratische‘ Ausbeutung von Lohnarbeit gefestigt und legitimiert. ‚Nie wieder Auschwitz!‘ war das verlogene Geschrei von Scharping und Fischer im imperialistischen Feldzug gegen Jugoslawien“. (ibid S. 8).
Mit gewaltigen Worten prangert auch „Revolution Times“ die bürgerliche Demokratie an, die sich mittels des Antifaschismus reinzuwaschen versucht.
„Da die kapitalistische Gesellschaft - sowohl unter der politischen Form der Demokratie als auch unter der Form des Faschismus - eine Organisation von Herrschaft und Gewalt ist, stellt der Faschismus nichts Eigenständiges dar. Weder der Rassismus, noch der Massenmord, noch der Mord durch Arbeit stellten etwas Neues dar.
Es ist der Wahn der Vernunft, der die großen Verbrechen von Auschwitz, Hiroshima und Dresden bestimmt. Alle diese Grauen, die dem Moralisierenden als „Machwerk von Irren“ erschienen, waren vernünftig geplant und vernünftig-wissenschaftlich begründet. Die Irrationalität prägt den Kapitalismus als ganzes (erinnert sei nur an die kapitalistische Konkurrenz, Produktion um des Profits wegen, Vergeudung von Ressourcen, Vernichtung von Lebensmitteln und Waren, Rassismus, Auschwitz, Krieg etc.), in kleinen Teilbereichen hingegen ist der Kapitalismus äußerst rational...“
Wir begrüßen diese mutigen Annäherungen an diese und andere Positionen des Linkskommunismus. Dennoch meinen wir, dass diese energischen Verwerfungen der bürgerlichen Demokratie noch an einer bedeutenden Schwäche leiden, an einer Unklarheit über die Klassennatur der staatskapitalistischen Linken (der radikalsten Verteidiger der bürgerlichen Demokratie). Diese Unklarheit verleitet die Genossen dazu, zwischen einem Staatsantifaschismus und einem vermeintlichen echten, proletarischen Antifaschismus zu unterscheiden.
„Wir RätekommunistInnen sind zu jedem militanten antifaschistischen Bündnis, das auch dazu bereit ist, den Faschisten ein paar auf das Maul zu geben, bereit.“ Und weiter:
„Aber trotz dieser Differenzen sehen wir in der militanten Antifa, die sich nicht hinter dem Staat versteckt, eine Bündnispartnerin gegen den Neofaschismus“. (Soziale Befreiung Nr. 3, S. 11)
„Der Großteil der Antifa und der Restlinken befanden sich im Schlepptau der Regierung und der Parteien. Sie haben es jahrelang versäumt, eigene Akzente im Kampf gegen die Nazis zu setzen.“ („Auschwitz als Alibi – Kritik des bürgerlichen Antifaschismus“ S. 29, herausgegeben von Revolution Times)
Hier merkt man, meinen wir, dass die Genossen noch nicht den Kerngedanken des Linkskommunismus hierzu erfasst haben, welchen Bordiga in dem bekannten Ausspruch zusammenfasste, das schlimmste Produkt des Faschismus sei der Antifaschismus. Der Stalinismus etwa oder der Trotzkismus auch in Form der heutigen „Restlinken“ ist nämlich genau so wie der Faschismus ein Produkt der Konterrevolution. Mehr noch: diese linkskapitalistischen Strömungen, weit entfernt, potenzielle Bündnispartner darzustellen, stellen für den Befreiungskampf des Proletariats eine weitaus gefährlichere Hürde dar als der Faschismus, der heute ohnehin nicht auf der Tagesordnung steht.
Doch diese Meinungsunterschiede liefern aus unserer Sicht nur noch einen weiteren Grund, um die öffentliche Debatte zwischen diesen Gruppen um die Frage des Antifaschismus voranzutreiben. Denn es gibt nichts anderes, was den politischen Klärungsprozess unserer Klasse so sehr vorantreibt. So nähert sich beispielsweise „Aufbrechen“, welche unserer Ansicht nach die Unklarheiten der anderen Gruppen über die kapitalistische Linke teilt, scheinbar jetzt der linkskommunistischen Haltung in dieser Frage. Am Ende der bereits erwähnten Januar 2001 Sonderausgabe lesen wir jedenfalls: „Egal, ob den demokratischen Sozialisten an den Gräbern der ermordeten kommunistischen Revolutionäre ein beredtes Schweigen verordnet oder der Demonstrationszug lautstark vom antifaschistischen Block angeführt wird. Das Ziel, „Politik“ zu machen verbindet beide. (...) Sie sind nichts anderes als der linke Flügel des kapitalistischen Systems.“ Weltrevolution
Adressen o.g. Gruppen
In Weltrevolution Nr. 103 haben wir einen Leserbrief veröffentlicht „National-Stalinisten zu Gast beim DGB“, den der Autor auch an die anarcho-syndikalistische Zeitschrift ‚Direkte Aktion‘ (‚DA‘ - Zeitung der FAU) geschickt hatte, dessen Mitglied er ist. Die ‚Direkte Aktion‘ druckte den Leserbrief aus nicht erwähnten Gründen nicht vollständig ab. Mittlerweile hat der Leserbrief innerhalb der FAU eine heftige Diskussion ausgelöst. Aus Platzgründen können wir hier nicht näher auf diese Debatte eingehen. Wir veröffentlichen nachfolgend ungekürzt die Antwort des Genossen auf die Reaktionen in der ‚DA‘, die von zwei weiteren Genossen der FAU mitgetragen wird, und die mittlerweile auch von der ‚DA‘ abgedruckt wurde. Mit Ausnahme der Unterstützung von Anarchie & Anarchismus, für die sich die Genossen aussprechen, stimmen wir mit dieser Antwort überein. Wir begrüßen es auch ausdrücklich, dass Genossen aus dem anarchistischen Lager wie hier der Fall, sich mit den Positionen und dem theoretisch-historischen Erbe der Kommunistischen Linken befassen und sich eine ganze Reihe ihrer Prinzipien zu eigen machen.
In der da 143 setzen sich zwei Leserbriefe mit einem Bericht über die Veranstaltung einer national-stalinistischen Gruppe ("Patriotismus im FDJ-Hemd", da 142) kritisch auseinander. Bevor wir auf beide Leserbriefe eingehen, möchten wir darauf hinweisen, daß die da-Redaktion einen Teil des Berichtes nicht abgedruckt hat. Die ungekürzte Version des Artikels wurde hingegen in der Zeitung "Weltrevolution" (Nr. 103) der Internationalen Kommunistischen Strömung veröffentlicht (Adresse: Pf. 410308, 50863 Köln).
Beide Kritiker (jhr und Louis Lerouge) vertreten Auffassungen, die sowohl in der direkten aktion , als auch in Medien der sonstigen Linken und in weiten Teilen der "aufgeklärten" Bourgeoisie zum guten und korrekten Ton gehören. Dies hat uns bewogen, sich eingehender mit den Themen Antisemitismus, Volksgemeinschaft, Kollektivschuld, Faschismus, Antifaschismus, Kapital und Proletariat zu befassen.
Die - trotz der guten Absicht - letztlich "völkische" und bürgerliche Perspektive beider Leserbriefe ist gerade das, wogegen sich der Veranstaltungsbericht richtete. Als "völkisch" bezeichnen wir Positionen, die sich positiv ("die Guten") oder negativ ("die Bösen, "die Schurken") auf irgendwelche Völker beziehen, anstatt auf die beiden entscheidenden Klassen des kapitalistischen Weltsystems: das Kapital und das Proletariat. Eine völkische Perspektive ist naturgemäß eine andere, als eine klassenbezogene. Wir sind der Ansicht, daß sich die FAU-IAA, mit Klassenpositionen identifizieren und bürgerliche Interpretationsmuster der Geschichte zurückweisen sollte. Unserer Artikel soll einen Beitrag dazu liefern.
Beide Leserbriefe finden folgende Passage des Berichtes besonders empörend: Der Verfasser des Veranstaltungsberichtes (JS) erklärte gegenüber den National-Stalinisten, "daß bereits die ethnische Säuberung Polens von 'Deutschen' nach Ende des Zweiten Weltkrieges, aus proletarischer Perspektive betrachtet, ein Verbrechen war. Die Vertreibung von Millionen Arbeitern 'deutscher Nationalität' kann unter keinen Umständen mit den barbarischen Verbrechen des (deutschen) Kapitals in Polen während des Krieges und der Besatzungszeit gerechtfertigt werden".
Die Kritiker dieser proletarischen Position orientieren sich vor allem an folgenden Eckpunkten: Kollektivschuld, Bestrafungsmanie, Verherrlichung von Verbrechen der demokratischen und stalinistischen Armeen, Identifikation des (deutschen) Proletariats mit der (deutschen) Bourgeoisie in Form einer "Volksgemeinschaft", Antisemitismus-Vorwurf, als trauriger Versuch, die bürgerliche Ideologie gegen sozialrevolutionäre Kritik zu immunisieren. Daß wesentliche Teile der Bourgeoisie und der Linken dabei mehr oder weniger übereinstimmen, macht das Ausmaß des Problems deutlich.
Anstatt soziale Widersprüche und Konflikte aus der Perspektive der Sozialen Revolution zu analysieren, erfolgt hier ein Rückgriff auf jene bürgerliche Propaganda, die gerade davon lebt, die Existenz unserer Klasse in Frage zu stellen und den Klassenkampf zu leugnen.
Besonders typisch für das Milieu, in dem diese Art der Kritik populär ist, ist der Vorwurf des "Antisemitismus". Der Satz "Die Vertreibung von Millionen Arbeitern 'deutscher Nationalität' kann unter keinen Umständen mit den barbarischen Verbrechen des (deutschen) Kapitals in Polen während des Krieges und der Besatzungszeit gerechtfertigt werden" muß dafür herhalten. Internationalistische Kritik an den Wirkungen kapitalistischer Politik wird als "antisemitisch" denunziert.
Der Begriff "(deutsches) Kapital" sei durch "die Klammerung latent antisemitisch", meint jhf, da diese Formulierung ihn "nicht zufällig an das 'internationale Finanzjudentum' der Nazi-Propaganda" erinnere. Gleichzeitig wendet er sich aber dagegen, von einem "abstrakten Kapital" zu reden. Es ist doch jhf, der es gern weniger abstrakt, sondern lieber konkreter, "völkischer", und vor allem "deutscher" haben möchte (zu diesem Thema später mehr).
Aber wenn wir schon über den Antisemitismus reden, dann sollte doch klar sein, daß die Nationalsozialisten mit ihrer antijüdischen Hetze deshalb so erfolgreich waren, auch unter ArbeiterInnen, weil es ihnen gelang, das tatsächlich vorhandene und wirkende (abstrakte) Kapital scheinbar im "Juden", insbesondere im "Finanzjuden", d.h. einer Gruppe konkreter Menschen, zu verkörpern. Der Unterschied zwischen der erfolgreichen Verschleierung der kapitalistischen Wirklichkeit durch die Nationalsozialisten und der völkischen Mystifikation des abstrakten Kapitals durch Kritiker wie jhf, ist, daß die einen das Böse im "Juden", die anderen es dagegen im "Deutschen" konkretisiert und verkörpert sehen.
Reichskanzler Adolf Hitler sei der wahre Repräsentant des "deutschen Volkes" gewesen und er übte seine Regierungsgewalt zurecht im Namen und mit voller Unterstützung "der Deutschen" aus. Die "Volksgemeinschaft" sei keine Erfindung der Nazis, sondern eine Tatsache, meinen beide Kritiker. Im Gegensatz zu ihnen wissen wir zwar nicht genau wer, oder was "das deutsche Volk" ist oder "die Deutschen" sind ("die Polen" sind uns auch noch nicht begegnet). Und im Widerspruch zu beiden, sehen wir im Begriff "deutsches Volk" eine zwar sehr mächtige, wirksame und insbesondere für das (globale) Proletariat verhängnisvolle Kraft, aber vor allem eines: Eine ideologische Mystifikation im Kampf gegen das (globale) Proletariat. Für Revolutionäre kommt es darauf an, zu entschleiern und nicht, sich an einer fortgesetzten Verschleierung der kapitalistischen Realität zu beteiligen. Während also beide sogar an die nationalsozialistische "Volksgemeinschaft" glauben, glauben Internationalisten noch nicht einmal an die von den demokratischen Politikern ausgerufene Gemeinschaft "der Anständigen".
Die Überschrift eines Leserbriefes lautet "Deutsche TäterInnen sind keine Opfer". Von der allzumenschlichen Erfahrung einmal abgesehen, daß aus "TäterInnen" binnen kürzester Zeit und sozusagen umständehalber "Opfer" und aus "Opfern" "TäterInnen" werden können, zieht sich durch den ganzen Artikel ein überzogener Wunsch nach kollektiver Bestrafung. Theoretische Grundlage für die Begründung einer ausgiebigen Bestrafung "der Deutschen", ist die völkische These einer "Kollektivschuld des deutschen Volkes".
Diese ahistorische, völkische und bürgerliche Vorstellung geht davon aus, daß "die Deutschen", für den Zweiten Weltkrieg und die Vernichtung eines großen Teils der europäischen Juden verantwortlich sind und daher "kollektiv" bestraft werden mußten. Begriffe wie "die Deutschen", "die Juden", "die Franzosen" usw. sind aufgrund bestimmter Interessen geschaffene Konstrukte. Sie sind daher für eine proletarische Kritik des Kapitals und seiner Politikergebnisse absolut ungeeignet.
Der von jhf und Louis Lerouge vorgetragene Standpunkt zur "Kollektivschuld" weist die größtmögliche Distanz zu sozialrevolutionären Positionen gegen Faschismus und Demokratie auf. Das Tragische daran ist, daß viele GenossInnen, einerseits unter dem schreckenerregenden Eindruck der "deutschen nationalsozialistischen " Politik, der unbezweifelbaren Teilnahme eines Teiles des Proletariats und eines nicht gerade kleinen Teiles des sogenannten "deutschen Volkes" an dieser Politik und andererseits aufgrund der jahrzehntelangen Wirkung bürgerlicher Ideologie, der relativen Abwesenheit proletarischer Kämpfe, der systematisch geschürten Unkenntnis über revolutionäre Traditionen des weltweiten Proletariats sozusagen nicht anders können, als so zu denken. Und es ist durchaus verständlich, daß es ihnen, wie Louis Lerouge, buchstäblich "schlecht wird", wenn sie mit tatsächlich sozialrevolutionären Positionen konfrontiert werden, mit denen sie zunächst nichts anfangen können, weil sie die Gedankenwelt der Antifa-Szene sprengen.
Der Faschismus und der Nationalsozialismus (wie auch der Stalinismus, die Sozialdemokratie und die Demokratie) waren bzw. sind historische Konstrukte, die dazu dienen sollten, die Stellung bestimmter Elemente des Kapitals im Weltsystem zu stärken. Und natürlich ist die jeweilige Form bürgerlicher Herrschaft vom Bewußtseinsstand des Proletariats und dem Entwicklungsgrad des Klassenkampfes abhängig. Ist die Klasse in der Lage, ihre ökonomischen Interessen durchzusetzen, ist sie sogar im Stande, das Kapital bzw. die Lohnarbeit frontal anzugreifen, oder erleidet sie eine Niederlage nach der anderen, ist sie zerschlagen und demoralisiert? Das sind die entscheidenden Fragen.
Die verheerende historische Niederlage der weltweiten Arbeiterklasse, vor allem in Deutschland, aber auch in Groß-Britanien, Rußland und China, in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts, war die eigentliche Ursache der Entstehung von Faschismus, Nationalsozialismus und Stalinismus und des Fortbestandes der Demokratie.
Der Faschismus war also nicht das Ergebnis "italienischer Männerfantasien", ebensowenig wie der Nationalsozialismus durch "deutsche Untertanen- und Herrenmenschen-Mentalitäten" oder der "multinationale" Stalinismus aus einer psychischen Disposition zur "asiatischen Despotie" entstanden sind. All das mag eine Nebenrolle gespielt haben. Die eigentliche Ursache für diese Manifestationen kapitalistischer Herrschaft war die nachhaltige Niederlage des globalen Proletariats, war die globale Konterrevolution. Die Niederlage des Proletariats öffnete den Damm und eine ganze Welt wurde von Barbarei (bzw. kapitalistischer Zivilisation) überflutet. Die Teilnahme an diesem großen Schlachten - als Handlanger, Täter und Opfer - war der ungeheure Preis, den das Proletariat (und selbstverständlich nicht nur das Proletariat) für diese historische Niederlage zahlen mußte. Daß gerade die erbitterten Gegner der Sozialen Revolution auch zu den Verfechtern des Antifaschismus gehören, ist sicherlich kein Zufall.
Die Konsequenzen der Niederlage unserer Klasse und die Resultate der Auseinandersetzungen innerhalb der globalen Klasse des Kapitals, die repräsentiert wurde durch den Stalinismus und die Demokratie auf der einen Seite und den Faschismus, Nationalsozialismus und die "japanische" Monarchie auf der anderen Seite, in den 30er und 40er Jahren, sind bekannt.
In einem bis dahin beispiellosen Ausmaß wurden - von allen Seiten planmäßig und zum Teil mit den fortgeschrittensten wissenschaftlichen und technologischen Methoden und Mitteln - menschliche Leben vernichtet. Weit mehr als 50 Millionen Menschen, Soldaten wie Zivilisten, wurden im Interesse dieser oder jener Seite des Kapitals getötet. Dazu kommen noch jene Millionen Opfer, welche die stalinistische Variante des Kapitals zum Gesamtergebnis beisteuerte. Und dann die Toten der vielfältigen und zahlreichen demokratischen Kriege der "Nachkriegszeit". Die "französische" Demokratie, die "Große Nation", feierte bereits am 8. Mai 1945 ihren Sieg gegen die "deutsche" Diktatur mit einem standesgemäß großen Blutbad unter der Bevölkerung der algerischen Stadt Sétif.
Die Todesopfer unter der jüdischen Bevölkerung Europas machen etwa 10 Prozent der Gesamtzahl der Toten aus. Indem sich die demokratische Propaganda verlogen vor allem auf die ermordeten "Juden" bezieht und das Grauen, das diesen Menschen zugefügt wurde in den Vordergrund schiebt, versucht sie das gesamte Ausmaß der planmäßigen Destruktion und des industriellen Mordens zu relativieren.
Alles das an Verbrechen, was zu Recht mit dem Begriff "Auschwitz" zusammengefaßt wird, wurde vor allem nachträglich als das große Alibi der stalinistischen und demokratischen Staaten für das globale Blutbad genutzt, in der das Proletariat aller Kontinente hineingezogen wurde. "Auschwitz" war kein durch "die Deutschen" begangener Zivilisationsbruch, wie es die Bourgeoisie nicht müde wird zu behaupten, sondern Ausdruck kapitalistischer Zivilisation. Es macht deshalb auch keinen Unterschied von (kapitalistischer) Barbarei oder Zivilisation zu sprechen. Umso deutlicher wird die Alternative: Kommunismus oder Barbarei!
Beide Leserbriefe haben recht, wenn sie darauf hinweisen, daß in Polen nicht ein abstraktes Kapital mordete, sondern daß es "deutsche" Soldaten waren. Im kritisierten Veranstaltungsbericht steht aber an keiner Stelle, daß ein "abstraktes Kapital" irgendwelche oder bestimmte Menschen zusammentrieb, in Scheunen sperrte und diese dann anzündete, sie in Auschwitzer "Duschräume" sperrte und diese dann mit Gas füllte. Es wurde auch nicht behauptet, daß Flugzeuge, die ihre Phosphorbomben auf das mit Flüchtlingen vollgestopfte Dresden abwarfen oder eine High-Tech-Atombombe über Hiroshima plazierten vom "abstrakten Kapital" gelenkt wurden. Selbst in den feuernden oder brennenden Panzern oder zusammengekauert in den Schützengräben saß - bekanntlich - nicht gerade das "abstrakte Kapital". Weder wurde ein einzelner Gewehrlauf, noch die Atombombe vom "abstrakten Kapital" produziert.
Nein, in den Waffenfabriken waren Lohn- oder ZwangsarbeiterInnen damit beschäftigt, jene Waffen zu schmieden, die gegen ihre Klassenbrüder und -schwestern gerichtet wurden. ArbeiterInnen bedienten alle Waffensysteme und es waren auch ArbeiterInnen, die jedes mögliche - aus einer moralischen Perspektive gesehen - Verbrechen mit Grauen, Gleichgültigkeit oder Eifer begingen. Das war eben die Konsequenz der großen Niederlage des globalen Proletariats in den 20er Jahren des 20. Jahrhundert. Wer hat davon gesprochen, das ArbeiterInnen "gut", KapitalistInnen" dagegen "böse" sind?
Solche moralischen Kategorien sind ein Einfallstor für die unter dem globalen Proletariat nicht gerade selten anzutreffende Verirrung, daß zwar ein bestimmter Kapitalist ein übler Ausbeuter ist, der Kapitalismus hingegen erträglich sei. Oder, daß eine bestimmte Art des Kapitalismus einer anderen vorzuziehen ist.
Das "deutsche Kapital" ist in diesem Milieu nicht nur Träger aller nur möglichen singulär-negativen Attribute, sondern - und das ist das Besondere - es wird umstandslos mit dem "Volk", der "Volksgemeinschaft" und sogar mit dem Proletariat identifiziert. Diese "Antinationalen" unterscheiden sich von den Nationalsozialisten insofern nicht, als beide von der realen Existenz einer "deutschen Volksgemeinschaft" ausgehen, beide reden nicht von Klassen, sondern von "Volk", nicht von Klassenkampf, sondern von "Gemeinschaft" und beide haben sich ein "Volk" als Träger des Bösen ausgesucht: Die einen halten es mit "den Deutschen", die anderen mit "den Juden".
Um jeder für das globale Proletariat verhängnisvollen Personifizierung oder "Nationalisierung" des Kapitals zu entgehen und um zu betonen, daß sich der Verwertungsprozeß des Kapitals, das kapitalistische Wertgesetz, die kapitalistische Konkurrenz (die letztlich zum Krieg tendiert) usw. unabhängig von den guten oder schlechten Absichten einzelner Kapitalisten und unabhängig von einer "völkischen" Zuordnung bestimmter Kapitalisten durchsetzt, ist es für das Proletariat wichtig, "abstrakt" vom Kapital und nicht von individuellen Kapitalisten zu sprechen. Die Erfahrungen des globalen Proletariats, das es in seinem alltäglichen Leben macht, sind natürlich "konkret".
Der offizielle wie auch der "autonome" Antifaschismus ist eine Ideologie und eine Praxis, die sich letztlich ebenso gegen das Proletariat richtet, wie der Faschismus selbst. Die Antifaschisten und die Faschisten differenzieren dort, wo es für das Proletariat grundsätzlich nichts zu unterscheiden gibt. Die eine, unteilbare und globale Klasse des Kapitals ("global" nicht im Sinne eines Gegensatzes zu "lokal", "national", sondern im Sinne von "global herrschend") wird in "gute" und "böse" Teile zergliedert. Gibt es Interessenunterschiede zwischen einzelnen Kapitalfraktionen, dann haben die Antifaschisten nichts besseres zu tun, als sich sofort einzumischen und sich selbstverständlich für die "gute oder bessere Seite" des Kapitals zu entscheiden. Übrigens waren "die Guten" bisher auch immer "die Siegreichen". Und "die Sieger" setzten auch immer ihre Interpretation der Geschichte, als gesellschaftlich verbindliche Sichtweise durch.
Bekanntlich forderten die Antifaschisten vom Proletariat nichts weniger, als im Zweiten Weltkrieg auf einer bestimmten Seite des Kapitals zu kämpfen, zu morden und zu sterben, wie ja auch in "Friedenszeiten" die Sozialdemokraten, Stalinisten und Liberalen, also die klassischen Antifaschisten, von der Klasse der Lohnarbeit die Unterordnung unter die Interessen des Kapitals verlangen. Die Faschisten, Nationalsozialisten und die japanischen Monarchisten zwangen die Arbeiter wiederum auf einer anderen Seite des Kapitals zu kämpfen, zu morden und zu verrecken. Sowohl der Faschismus, als auch der Antifaschismus erzwangen den gleichen Dienst. Proletarische Bewegungen, die sich mit einer der beiden Seiten eingelassen haben, waren verloren. In diesem Sinne hatte der Revolutionär Amadeo Bordiga recht, als er sagte, daß der Antifaschismus das schlimmste Produkt des Faschismus ist.
Der Antifaschismus als bürgerliche Ideologie und die Soziale Revolution schließen sich aus. Selbstverständlich kann das nicht so verstanden werden, daß der Kampf gegen den Faschismus und gegen Faschisten nicht geführt werden soll. Der Kampf gegen das Kapital und gegen alle von ihm produzierten Ideologien beinhaltet notwendigerweise, sowohl die Gegnerschaft zur Demokratie, als auch zum Faschismus und zu anderen Formen bürgerlicher politischer Herrschaft. Abgelehnt werden muß der Mythos von der Existenz "kleinerer Übel im Kapitalismus", der unweigerlich und logischerweise zur Unterordnung des Proletariats unter das politische Regime des Kapitals führt.
Die Demokratie ist nichts anderes, als ein politischer Ausdruck des Kapitals. Ihre Funktion besteht ausschließlich darin, die Existenz des Kapitals zu sichern. Darin unterscheidet sie sich nicht vom Faschismus oder Stalinismus. Die Demokratie ist unter bestimmten Bedingungen einfach die effizientere Form kapitalistischer Herrschaft.
Die autonome Antifa-Szene hat die historischen Erfahrungen des Kampfes jener wenigen und mutigen GenossInnen, die sowohl gegen den Faschismus, als auch gegen den Antifaschismus, wie auch gegen Demokratie und Stalinismus, seit den 20er Jahren kämpften, nicht zur Kenntnis genommen. Natürlich ist hier darauf hinzuweisen, daß der heroische Einsatz dieser GenossInnen von sämtlichen Fraktionen des Kapitals systematisch bekämpft, denunziert oder totgeschwiegen wurde. Deshalb ist es auch kein Wunder, daß es sehr lange dauerte, bis sich - wenn auch nur winzige - Teile der Klasse wieder auf diese Erfahrungen beziehen konnten.
Die Antifaschisten unterstützen auf Kosten der Arbeiterklasse eine Interessengruppe des Kapitals gegen eine andere. Die Antifas können auch nichts anderes tun, als das, was ihre historischen Vorläufer getan haben. Immerhin, könnte man glauben, spielen sie nicht, wie Teile der (historischen) KPD, der PCF oder der KPdSU - um nur einige Beispiele zu nennen - die deutsch-nationale, französich-nationale oder die russisch-nationale Karte. Das Fragwürdige dieser Szene zeigt sich aber, wenn man sieht, was dort unter einem "antinationalen" Mäntelchen alles geboten wird. Da wird der (alliierte) Bombenterror gegen Arbeiterviertel bejubelt, dem Dresdner Massaker Beifall geklatscht, da werden ethnische Säuberungen befürwortet, sofern davon "Deutsche" betroffen sind , und es wird für Massenvergewaltigungen durch Soldaten der Siegermächte Verständnis aufgebracht.
Diese Bestrafungsmanie wird damit begründet, daß deutsche Soldaten, Polizisten, Bürokraten, Männer wie Frauen, daß "normale Deutsche" Ähnliches oder Schlimmeres getan haben. Es ist unbestritten: Sie haben es getan! Wieso kommen jhr und Louis Lerouge überhaupt auf die unglaubliche Idee, sozialrevolutionäre Kritik hätte damit zu tun, irgendwelche oder besondere Verbrechen, mit anderen Worten: Ergebnisse kapitalistischer Politik zu leugnen oder zu verharmlosen. Und daß alles, um es sich angeblich nicht mit einem als "Klientel" gedachten Proletariat zu verscherzen! Welch eine abwegige Vorstellung!
Nein, Anarchosyndikalisten leugnen keines der Resultate kapitalistischer Herrschaft. Im Gegenteil, sie kämpfen gerade deshalb gegen das Kapital, weil sie sich seiner negativen Resultate bewußt sind und weil sie wissen, daß sie als Einzelne gegen die Bewegungsgesetze des Kapitals machtlos sind.
Selbst die vielleicht so clever scheinende Idee der radikaleren Linken, den Antifaschismus als taktisches Mittel zu nutzen, um durch Kampagnien viele Leute zu mobilisieren, scheiterte. Denn "Massen" können in einer Situation, in der das proletarische Klassenbewußtsein nur sehr schwach entwickelt ist, nur - wenn überhaupt - mit Hilfe moralisierender, platter und demokratischer Parolen gewonnen werden. Denn die herrschende Ideologie ist die Ideologie der Herrschenden. Und nachdem der Staat in den letzten Jahren selbst als "der größte Antifaschist von allen" auftrat, war das Erstaunen groß. Eine Linke, die sich darauf konzentrierte, irgendwelchen bürgerlichen Charaktermasken oder pauschal den Bewohnern ganzer Landstriche besondere "rassistische Ekelhaftigkeiten nachzuweisen", mußte - wenn sie logisch handelte - darüber erfreut sein. Denn was sind schon Farbbeutel gegen die NPD-Zentrale, im Vergleich zu einem möglichen Parteiverbot durch das Bundesverfassungsgericht? Haben nicht Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung den Verbotsantrag gestellt? Deshalb wundert es auch nicht, wenn die Linke wieder einmal ihren Frieden mit der normalen kapitalistischen Politik macht, mit der Wirklichkeit des Kapitals: der globalen Warengesellschaft.
Es kommt letztlich nicht darauf an, für die einzelnen Wirkungen kapitalistischer Politik, das eine oder andere bürgerliche Herrschaftssystem, den einen oder anderen Nationalstaat, den einen oder anderen Kapitalisten, die eine oder andere Gruppe von Menschen oder sozusagen als Höhepunkt der Idiotie, moralisierend das einzelne Individuum verantwortlich zu machen. Das kapitalistische Weltsystem, die generalisierte Warengesellschaft als Ganzes ist der mächtige Feind des globalen Proletariats.
Das Kapital versucht erfolgreich, seine Gesamtverantwortung für sämtliche zivilisatorisch-barbarischen Handlungen überall und zu jeder Zeit zu fragmentieren. Die zeitweilig dominierenden Fraktionen versuchen dabei die Verantwortung für besonders "schreckliche Resultate" anderen, zeitweilig schwächeren Fraktionen, unterzujubeln. Bei diesem Differenzierungsgeschäft mischen die Antifaschisten und völkischen Antinationalen fleißig mit.
Die proletarischen Revolutionäre führen den globalen Klassenkampf nicht unter der lächerlichen Parole "Nie wieder Deutschland" gegen "Deutschland", sondern weltweit Klasse gegen Klasse, für die Anarchie, für den Kommunismus!
Jan, Kersten, Sven, FAU-IAA, Frankfurt am Main
Welchen Widerstand kann die Arbeiterklasse gegen die Angriffe des Staates oder von rechten Gruppen gegen Ausländer und einzelne ethnische Gruppen leisten? Auf welcher Grundlage kämpft die Arbeiterklasse gegen rassistische Pogrome – auf nationalistischer oder internationalistischer? Über welche Mittel verfügt die Arbeiterklasse, um sich als Klasse gegen diese Angriffe zur Wehr zu setzen? Welche Intervention der Revolution gegenüber solch einer Situation? Dass die Arbeiterklasse keineswegs zur Hilflosigkeit verdammt ist und tatenlos zusehen muss, beweisen die Reaktionen der Arbeiter in Holland im Winter 1941, über die wir hier berichten wollen.
Inmitten des 2. Weltkriegs, als Holland von deutschen Truppen besetzt war, das deutsche Kapital Zwangsarbeiter für die Fabriken in Deutschland aushob und Repressionsmaßnahmen und den Abtransport von Juden in die KZs einleitete, entfalteten die Arbeiter in Holland einen Klassenwiderstand, der für uns heute viele Lehren bietet.
Wir veröffentlichen nachfolgend einen ungekürzten Auszug aus dem Buch „Die Holländische Linke", das die IKS 1990 auf Französisch veröffentlichte. Diese Arbeit war das Ergebnis einer historischen Untersuchung des Wirkens der „Holländischen Linken". In dem Artikel wird der Einfluss der holländischen Marx-Lenin-Luxemburg-Front behandelt, die nach der deutschen Besetzung Hollands als illegale Organisation von den Linkskommunisten beeinflusst mit ca. 400-600 Mitgliedern gegründet worden war. Aus Platzgründen können wir nicht näher auf die Geschichte dieser Gruppe eingehen. Wir verweisen hier auf eine ausführliche Abhandlung ihrer Geschichte in der nun erschienen englischen Ausgabe des Buches „Die Holländische Linke".
Der Februarstreik wurde sowohl von der Verfolgung der Juden durch die deutschen Behörden wie auch von der wachsenden Unzufriedenheit der holländischen Arbeiter ausgelöst, die mit einer wachsenden materiellen Not und der Zwangsarbeit in den Fabriken Deutschlands konfrontiert waren. Schon Ende 1940 hatte der Reichskommissar Seyss-Inquart anti-semitische Maßnahmen ergriffen, wobei er Unterstützung von der NSB (National-Sozialistischen Bund) Musserts erhielt, einer kleinen holländischen Nazi-Partei. Für die holländischen Beamten jüdischen Ursprungs wurde ein Beförderungsverbot verhängt, jegliche Beschäftigung im öffentlichen Dienst wurde den Juden verboten. Diese Maßnahmen lösten unter den Studenten in Delft und Leiden Streiks aus. Ungeachtet dessen setzten die deutschen Besatzungsmächte und die holländischen Nazis ihre Verfolgungen der zahlenmäßig großen jüdischen Bevölkerung Amsterdams fort. Der Besuch von Cafés und Kinos wurde ihnen untersagt, und ab Januar 1941 mussten sie sich auf besonderen Listen eintragen.
Die Protestbewegung gegen die anti-semitischen Maßnahmen – die die gesamte holländische Bevölkerung schockierten – wurde anfangs hauptsächlich von Studenten getragen. Aber die Grundlage ihres Protestes gegen den Antisemitismus war eine nationalistische, wie ihre Reaktion zeigt, als sie am 31. Januar in den Schulen und auf den Straßen den Geburtstag der ins Londoner Exil geflüchteten Prinzessin Beatrix feierten. Die im Juni 1940 erfolgte Bombardierung Rotterdams, bei der mehr als 30.000 Menschen zu Tode kamen und die zu Einschränkungen in der Lebensmittelversorgung geführt hatte, förderte die deutsch-feindliche Stimmung in der Bevölkerung.
Aus der Sicht der MLL-Front (Marx-Lenin-Luxemburg-Front) war es besonders wichtig, dass die verständliche deutsch-feindliche Stimmung in Holland nicht zu einer Verschärfung der nationalistischen und pro-englischen Haltung führte. Der Kampf gegen den Antisemitismus war aus ihrer Sicht verbunden mit dem allgemeinen Kampf gegen das gesamte kapitalistische System.
Die MLL-Front rief zum Boykott jener Einrichtungen auf, die sich judenfeindlich verhielten, obwohl sie sich der Tatsache bewusst war, dass ein allgemeiner Boykott kaum durchführbar war. Sie berücksichtigte dabei, dass der Kampf gegen den Antisemitismus allein nicht ausreichte, und rief die Juden zum Kampf für den Sozialismus auf. Sie erinnerte daran, dass die Befreiung der Juden nur unter dem Sozialismus möglich sein werde, und prangerte den Zionismus als gefährliches Streben nach einem Nationalstaat innerhalb der kapitalistischen Welt an.
Während sich eine tiefgreifende Ablehnung gegen die wachsenden judenfeindlichen Maßnahmen entwickelte, nahm gleichzeitig die Unzufriedenheit der Arbeiter zu. Sie litten insbesondere unter der Arbeitslosigkeit: Im August 1939 gab es allein in Amsterdam mehr als 40.000 Arbeitslose, im Juli war ihre Zahl auf 60.000 angewachsen und erreichte damit ein Ausmaß wie während der schlimmsten Zeiten der Weltwirtschaftskrise. In Holland waren insgesamt ca. 300.000 Arbeiter arbeitslos. Innerhalb eines Jahres waren die Lebensmittelpreise um mehr als 36% gestiegen, was die Not weiter zuspitzte.
Den Arbeitslosen wurde ein Arbeitsbeschaffungsprogramm aufgezwungen. Sie sollten insbesondere gegen Zahlung eines Hungerlohns an der Landgewinnung und der Befestigung von Deichen mitarbeiten. Im Oktober 1940 pendelten allein aus Amsterdam jeden Tag 11.000 Arbeiter in die Provinz Utrecht. Von November an kam es zu Demonstrationen und Zusammenstößen. In Amsterdam wurde im Januar immer wieder gegen die ‚Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen‘ protestiert; die Proteste richteten sich gegen die Arbeitsverwaltung der Gemeinden und der Stadt Amsterdam. Jedesmal griff die holländische Polizei ein und zerstreute die Protestierenden.
Gleichzeitig wurden die ersten Arbeitskräfte mit Hilfe der holländischen Behörden – insbesondere der Amsterdamer Verwaltung - nach Deutschland verschleppt, 7000 allein im Oktober 1940. Im Januar 1941 sollten den Anweisungen der deutschen Kriegsmarine zufolge 3000 Arbeiter nach Deutschland zur Zwangsarbeit geschickt werden, andernfalls drohte ihnen das Konzentrationslager. Es handelte sich um qualifizierte Arbeiter, um Metaller und Schiffsbauer. Ab Mitte Februar spitzte sich unter den Werftarbeitern die Unruhe stark zu.
In dieser zunehmend angespannten Atmosphäre ergriffen die deutschen Behörden immer brutalere anti-semitische Maßnahmen. Seit Dezember waren die Angriffe der holländischen und deutschen Nazis gegen das Judenviertel im Zentrum Amsterdams in Pogrome ausgeartet. Dabei wurde am 11. Februar 1941 eine Gruppe von Nazis von jüdischen und nicht-jüdischen Arbeitern angegriffen, die sich, aus anderen Stadtvierteln kommend, ihnen angeschlossen hatten. Dabei kam ein holländischer Nazi ums Leben.
Am 12. Februar riegelten die deutschen Besatzungsmächte das gesamten Judenviertel ab. Jüdische Persönlichkeiten wurden zur Bildung eines Judenrates aufgefordert, der die „Ordnung aufrechterhalten" und für die Entwaffnung sorgen sollte. Aber die Bevölkerung verfügte über keine Waffen, die Suche blieb ergebnislos. In Wirklichkeit war diese Forderung nur ein Vorwand, um das Viertel in eine Ghetto umzuwandeln und Hausdurchsuchungen durchzuführen.
Am 17. Februar streikten 2000 Werftarbeiter aus Solidarität mit ihren 128 verschleppten, zu Zwangsarbeit in Deutschland gezwungenen Kollegen. Die deutschen Behörden gaben nach; die Arbeiter errangen einen moralischen Sieg, der später eine wichtige Rolle bei der Ausdehnung des Streiks spielen sollte.
Nach einem Vorfall, bei dem sich die Besitzer eines jüdische Cafés den Angriffen der deutschen Polizei widersetzt hatten, nahmen die Behörden mehr als 400 jugendliche Juden am Wochenende des 22./23. Februar fest. Kurze Zeit später wurden sie nach Buchenwald verschleppt. Der Aufmarsch von mit Maschinengewehren bewaffneten SS-Truppen sorgte für große Unruhe und Wut unter den Arbeitern Amsterdams.
Am 25. Februar brach in den Betrieben der Stadt spontan ein Streik aus. Es kam zu Demonstrationen unter der Parole „Weg mit den Pogromen gegen die Juden". Am 26. Februar dehnte sich der Massenstreik auf Den Haag, Rotterdam, Groningen, Utrecht, Hilversum, Haarlem und andere Städte aus. Sogar bis nach Belgien dehnte sich die Bewegung teilweise aus.
Die deutschen Behörden griffen mit harter Hand durch: Aufmarsch ganzer SS-Bataillone in den bestreikten Städten mit der Order, auf die Demonstranten zu schießen, Todesstrafe, Massenverhaftungen, Anweisungen an die Arbeitgeber, für die zwei Streiktage keine Löhne zu zahlen. Die Streikbewegung war zerschlagen. Man begann, Streikende zu erschießen. Die Massendeportationen von Juden wurden fortgesetzt, im Juni 1942 erreichten sie einen Höhepunkt. Ende des Krieges hatten von den einst 120.000 Juden nur 20.000 überlebt, die rechtzeitig mit falschen Papieren abgetaucht und geflüchtet waren.
Es steht fest, dass die holländische KP, die am 20. Juli 1940 nach dem Beginn der Besatzung verboten worden war, eine große Rolle bei der Auslösung der Streiks gespielt hat. Aber sie war über die schnelle Ausdehnung der Streiks selbst überrascht. Die Ausdehnung außerhalb Amsterdams geschah spontan, ohne ihr Zutun. Als die KP zum landesweiten Generalstreik am 6. März aufrief, wurde dieser Aufruf von den Arbeitern nicht befolgt. Doch dieser Streik war massiv und hatte Ausmaße wie der große Streik von 1903 angenommen. Der Aspekt des spontanen Massenstreiks, der sich von einem Generalstreik unterschied, sollte auch innerhalb der MLL-Front Wirkung zeigen, die anfing, immer mehr luxemburgistische Positionen zu vertreten.
Auch wenn sie nur eine kleine Organisation mit ungefähr 300 Mitgliedern war, hat die MLL-Front bei den Streiks eine große Rolle gespielt. Sie hatte eine Jugendorganisation (MJC) gegründet, die die Monatszeitung ‚Het Kompas‘ veröffentlichte. Seit Januar 1941 veröffentlichte sie regelmäßig die Propagandazeitung ‚Spartacus‘ mit einer Auflage von 5.000 Exemplaren im Februar 1941. Dies war die höchste Auflage einer illegalen Zeitung. Die Wahl des Namens bezog sich ausdrücklich auf Rosa Luxemburg. Die Tatsache, dass Sneevliet selbst die Junius-Broschüre „Die Krise der Sozialdemokratie" übersetzte, brachte eine Distanzierung von den leninistischen Positionen zur nationalen Frage zum Ausdruck.
Vor dem Streik verbreitete die MLL-Front viele Schriften (Flugblätter, Manifeste) mit Aufrufen zum Kampf. In ihrer Propaganda trat sie dafür ein, dass die Arbeiter Selbstverteidigungsgruppen in den Arbeitervierteln gegen die antisemitischen Maßnahmen bilden sollten. Als die Razzien gegen die Juden begannen, verfasste sie folgenden Aufruf: „Wenn Männer und Frauen der Arbeiterviertel im Judenviertel Amsterdams zusammenkommen, (...) wenn sie den Kampf gegen die Banditen der holländischen Nazis führen, werden wir eine große spontane Solidaritätskundgebung erleben, die in den Betrieben in einer höheren und wirksameren Form zu sehen sein wird.
Reagiert gegenüber jeder Gewaltanwendung der Nazis durch Agitation und Proteststreiks in den Betrieben!
Verlasst massenhaft die Betriebe, legt die Arbeit nieder und schließt Euch massiv Euren Klassengenossen an, die sich in den bedrohten Vierteln im Kampf befinden!"
Der Einfluss der MLL-Front in Amsterdam war schwer einzuschätzen, obgleich dort vor der Besatzung ca. 400 Mitglieder der NAS ( (Nationaal arbeids secretariaat) gezählt wurden. Während die KP auf dem Hintergrund einer allgemeinen sozialen Gärung, die sich unabhängig von ihr entwickelt hatte, zum Streik aufgerufen hatte, spielte die MLL-Front eine wichtige Rolle bei der Ausdehnung der Streiks auf andere Städte. Aber der Streik war vor allem das Ergebnis und wurde von den Arbeitern selbst angeführt, die unabhängig von Parteiaufrufen handelten.
Am Ende des Streiks trat die MLL-Front, die sich gegen den Aufruf zum Generalstreik der KP für den 6. März ausgesprochen hatte, für die Bildung von Streikkomitees und für illegale Aktionen in den Betrieben ein.
Aber im Gegensatz zu den großen Massenstreiks der Vergangenheit brachten der Februarstreik keine Streikkomitees hervor, die den Kampf hätten anführen können. Er fand spontan statt, ohne dass typische Kampforgane gebildet wurden.
Während man in der MLL-Front dazu neigte, den revolutionären Charakter der Bewegung zu überschätzen, die nie eigenständige Arbeiterforderungen aufgestellt hatte, bewies ihre Ablehnung des Nationalismus, dass sie die Notwendigkeit eines Kamfes gegen die Ideologie des nationalen Widerstandes nicht unterschätzte. Weil sie nicht als ein Bestandteil der gegen Deutschland gerichteten nationalen Widerstandsfront aufgefasst werden wollte, betonte sie die Notwendigkeit des Internationalismus. Der oben zitierte Aufruf beweist dies eindeutig: „Wie gewinnen? Durch einen Sieg Deutschlands? Nein! Einen Sieg Englands? Nein! Die Dritte Front, das sozialistische Proletariat im Kampf gegen den Nationalsozialismus und den Nationalbolschewismus muss siegen! Der internationale Klassenkampf muss siegen!"
Der Ton dieses Manifestes hob sich von dem Streikaufruf der KP ab, in dem diese gegen die Nazis gerichtete Forderungen mit nationalistischen Parolen wie die des „entschlossenen Kampfes für die Befreiung unseres Landes" in einen Topf schmiss.
Die MLL-Front trat nie für antifaschistische Parolen ein. Im Unterschied zu den sozialdemokratischen Gruppen Hollands, die den Antifaschismus zur ersten Etappe im Kampf um den Sozialismus erklärten, hob sie hervor, dass es nur darum gehen könne, dem Kapitalismus auf der ganzen Welt den Kampf anzusagen.
In diesem Sinne betrieb die „Dritte Front" Propaganda unter den deutschen Soldaten. In Rotterdam wurden ihre Flugblätter sogar in den deutschen Kasernen verteilt. Ihre Propaganda stützte sich weder auf eine Verteidigung der Demokratie noch auf pazifistische Aufrufe. Im auf Deutsch verfassten Manifest vom Mai 1941 steht: „Die Volksmassen haben kein Interesse an einem Sieg Englands – genauso wenig wie an einem Sieg Deutschlands. Sie müssen ihr Schicksal selbst in die Hände nehmen. Sie sind die Dritte Front, die siegen kann und muss!
Nieder mit dem Krieg, aber auch nieder mit dem kapitalistischen Frieden!
Der Weltfrieden ist nur durch den Sieg des internationalen Sozialismus möglich!" („An die niederländischen Arbeiter, Bauern und Intellektuellen", Beilage zu Spartacus Nr. 10).
(Auszug aus dem Buch „Die Holländische Linke", französische Ausgabe S. 246)
Obwohl der Krieg in wachsendem Maße als etwas "Normales" dargestellt wird, löst er ein reelles Unbehagen besonders in der Arbeiterklasse aus. Wohin führt der Weg der Menschheit? Gibt es irgendeine historische Alternative zur unbarmherzigen Verschlimmerung der imperialistischen Konflikte?
Seiner eigenen Dynamik überlassen, kann der Kapitalismus dem imperialistischen Krieg nicht entweichen. All das Geschwätz der herrschenden Klasse über den "Frieden" ist unerheblich und "Friedens"zeiten sind lediglich Momente, in denen die Bourgeoisie sich auf noch zerstörerische und barbarischere Konfrontationen vorbereitet.
Seitdem der Kapitalismus in seine historische Dekadenzperiode eingetreten ist, nämlich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, haben die Revolutionäre den Krieg stets als Dauerzustand dieses Systems gebrandmarkt, der nur eine wachsende und massive Verwüstung bewirken kann. In Übereinstimmung mit der Kommunistischen Internationalen hat die IKS stets bekräftigt, dass mit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Dekadenz eine "Periode von imperialistischen Kriegen und proletarischen Revolutionen" eröffnet wurde. Der imperialistische Krieg ist in diesem Sinne der markanteste Ausdruck des historischen Bankrotts der kapitalistischen Produktionsweise. Er macht die Notwendigkeit, die Dringlichkeit des Sturzes des Kapitalismus deutlich, ehe Letzterer die Menschheit in ihre endgültige Vernichtung treibt.
Im 19. Jahrhundert war der Krieg besonders in Fragen der kolonialen Eroberungen ein unersetzliches Mittel zur äußeren Ausdehnung des Kapitalismus. Dagegen drücken Kriege in der dekadenten Periode des Kapitalismus die Tatsache aus, dass diese Produktionsweise all ihre Ausdehnungsmöglichkeiten erschöpft hat. Im Gegensatz zu den Kriegen in der Aufstiegsperiode des Kapitalismus, die lediglich ein begrenztes Gebiet auf dem Globus betrafen und nicht das gesamte gesellschaftliche Leben dominierten, verbreiten sich die imperialistischen Kriege in der Dekadenz des Kapitalismus über die ganze Welt und erfordern die Unterwerfung der gesamten Gesellschaft unter den unersättlichen Kapitalismus. Vor allem verlangen sie die Einbeziehung jener Klasse, die den wesentlichen Teil des gesellschaftlichen Reichtums produziert: das Proletariat. Dies wurde auf tragische Weise in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts veranschaulicht, die nur aufgrund der massiven Mobilisierung der Arbeiterklasse als Kanonenfutter hinter den verschiedenen Nationalflaggen stattfinden konnten.
Gerade, weil die Arbeiterklasse den Löwenanteil der Opfer trägt, die der imperialistische Krieg erfordert, liegt der Schlüssel zur Überwindung aller Kriege und zur einzig möglichen Zukunft der Menschheit, dem Kommunismus, in ihren Händen. Des Eigentums an Produktionsmitteln beraubt, heimatlos und ohne nationale Wirtschaftsinteressen, die es zu verteidigen gilt, ist das Proletariat die einzige wirklich internationale Klasse in der Gesellschaft. Nur diese Klasse kann der Menschheit eine Perspektive geben, indem sie sich der Tendenz des Kapitalismus zum Krieg entgegenstellt, einer Tendenz, die unvermeidbar ist, da der Krieg die einzige Reaktion ist, die die Bourgeoisie gegenüber der ständigen und unaufhaltsamen Zuspitzung der Krise ihres Systems kennt.
Ausschlaggebend für die Entwicklung des historischen Kurses ist die Wirtschaftskrise und die Fähigkeit des Proletariats, gegenüber der Krise eine eigene Antwort zu liefern. Von seiner Fähigkeit, auf eigenem Klassenterrain gegen die von der Krise aufgezwungenen Angriffe zu handeln, hängt die historische Alternative ab, die von den Revolutionären seit fast einem Jahrhundert hervorgehoben wird: Sozialismus oder Barbarei, weltweite proletarische Revolution oder Zerstörung der Menschheit.
Die ständigen Kriegsvorbereitungen erfordern die Errichtung einer Kriegswirtschaft durch den Kapitalismus, deren Hauptlast fraglos dem Proletariat aufgebürdet wird. Und so ist es der Kampf des Proletariats gegen die von der Bourgeoisie aufgezwungenen Austeritätsmaßnahmen, der die Kriegsvorbereitungen bremsen kann. Zudem macht die Arbeiterklasse mit der Verweigerung dieser Opfer auch deutlich, dass sie erst recht nicht bereit ist, die noch größeren Opfer hinzunehmen, die der imperialistische Krieg ihr abverlangt. Der Klassenkampf stellt, selbst wenn er für noch so beschränkte Ziele geführt wird, einen Bruch der Solidarität der Arbeiterklasse mit "ihrer" nationalen Bourgeoisie dar; einer Solidarität, die die herrschende Klasse in Kriegszeiten unbedingt verlangt. Die Bewegung zu einer Vereinigung der Arbeiterkämpfe auf internationaler Ebene steht in deutlichem Widerspruch zur Fähigkeit des Kapitalismus, die Arbeiter hinter den Nationalfahnen zu mobilisieren.
Am Ende der Wiederaufbauperiode, die dem Zweiten Weltkrieg gefolgt war, nahm die Arbeiterklasse beim ersten Anzeichen der Wiederkehr einer offenen Wirtschaftskrise den Kampf gegen den Kapitalismus wieder auf. So bewies der große Generalstreik Mai 1968 in Frankreich und die gesamte Welle von internationalen Kämpfen, die ihm folgten, dass der proletarische Riese nach vier Jahrzehnten der Konterrevolution erneut sein Haupt erhob und sich entschlossen zeigte, sich der Verschlechterung seiner Lebensbedingungen zu widersetzen. Von dem Zeitpunkt an hatte es die Bourgeoisie nicht mehr in der Hand, einen neuen Weltkrieg auszulösen. Tatsächlich war die Neuaufteilung des imperialistischen Kuchens unter den beiden militärischen Hauptmächten, den USA und der UdSSR, nach dem Zweiten Weltkrieg nichts anderes als erste Schritte in der Vorbereitung eines Dritten Weltkrieges. Dies ist deutlich belegt durch die enorme Entwicklung des Wettrüstens und der Spannungen zwischen den beiden rivalisierenden, imperialistischen Blöcken, die zur Häufung von militärischen Konflikten in Asien, Afrika und Lateinamerika führten.
Die "glorreichen" Jahre der Wiederaufbauperiode waren nur eine kurze Verschnaufpause beim dem unaufhaltsamen Abstieg des Kapitalismus. Mit dem Ende dieser Periode eines verhältnismäßigen "Wohlstands" konnte die Dynamik des Kapitalismus die Bourgeoisie nur zu einem neuen Weltkrieg, zum Umsturz der in Jalta geborenen Ordnung durch eine bewaffnete Konfrontation zwischen dem amerikanischen und dem russischen Block führen.
Dass der Dritte Weltkrieg nicht stattfand, lag am Wiedererwachen des Klassenkampfes Ende der 60er Jahre insbesondere in den Zentren Westeuropas. Trotz einer sich ausweitenden Wirtschaftskrise war die Bourgeoisie nicht imstande, der Arbeiterklasse ihre Lösung aufzuzwingen.
Schon in der Vergangenheit war Europa (insbesondere die industriellen Hauptzentren in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien) jenes Gebiet, wo über den historischen Kurs entschieden wurde. In Europa wurden die beiden Weltkriege ausgelöst. Europa war der Hauptschauplatz der Konfrontation zwischen den beiden rivalisierenden, imperialistischen Blöcken nach 1945. Der Ausgang der Oktoberrevolution 1917 in Russland hing von der Ausbreitung der proletarischen Revolution auf Europa (und besonders auf Deutschland) ab. Auch heute ist Europa der Ort, wo über die historischen Alternativen, Weltkrieg oder Sieg der proletarischen Revolution, entschieden wird.
Das Wiedererwachen des Klassenkampfes in Westeuropa eröffnete einen neuen historischen Kurs in Richtung massiver Klassenkonfrontationen; einen Kurs, der sich fundamental von der Logik des Kapitalismus, von der Auslö-sung eines neuen Weltkrieges, unterschied. Mit der Wiederauferstehung des Klassenkampfes zeigte das Proletariat, dass es sich der Logik der kapitalistischen Krise (insbesondere den Lohnsenkungen und der Perspektive einer Rückkehr zur Massenarbeitslosigkeit Ende der 60er Jahre) verweigerte und deutlich machte, dass es nicht daran dachte, das äußerste Opfer zu bringen: Blut zu vergießen auf den Schlachtfeldern des Kapitals. Die Bourgeoisie konnte die Arbeiter nicht in einen Dritten Weltkrieg pressen, da sie nicht in der Lage war, der neu herangewachsenen Generation von Proletariern, die die dunkle Zeit der Konterrevolution nicht erlebt hatten, eine tiefgreifende ideologische und physische Niederlage beizufügen, so wie das im 2. Weltkrieg der Fall war. Im Verlauf von drei internationalen Wellen von Arbeiterkämpfen in den 20 Jahren nach dem Mai `68 artikulierte die Arbeiterklasse in den Zentren des Kapitalismus keinerlei begeisterte Loyalität gegenüber den bürgerlichen Idealen (wie dem der Verteidigung des "demokratischen Staates", des "Antifaschismus" oder des Mythos des "sozialistischen Vaterlandes" im Osten). Im Gegenteil, sie neigte dazu, sich von den Mystifikationen abzuwenden, die zur Mobilisierung für die beiden Weltkriege benutzt worden waren:
- Der Mythos des "Antifaschismus" und der Verteidigung des "sozialistischen Vaterlandes" wurde durch die Abwesenheit des faschistischen Schreckgespensts und durch die Enthüllung der Ausbeutung und des Terrors in den Ostblockländern abgeschwächt.
- Die Idee von einem immerwährenden, friedlichen Fortschritt des Kapitalismus wurde durch eine mehr als ein halbes Jahrhundert dauernde Barbarei in allen Ecken der Welt ernsthaft erschüttert, und die Illusionen über den "wirtschaftlichen Wohlstand", die sich mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hatten, zerstoben mit der Verschlimmerung der Krise und der dauernden Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse.
- Der Nationalismus hat, auch wenn er immer noch einige Arbeiter im Griff hat, nicht dieselbe Auswirkung wie in der Vergangenheit. Sein Fundament wurde durch die Entwicklung des Kapitalismus untergraben, der Tag für Tag nationale Unterschiede abschafft. Die gellenden Forderungen der Bourgeoisie gegenüber den Arbeitern, Opfer zu leisten, lässt sie in wachsendem Maße als direkter Feind der Interessen der ausgebeuteten Klasse erscheinen.
- Die Verteidigung der ‚Demokratie' und der ‚Zivilisation', die heute in Form von Kampagnen zum Schutz der ‚Menschenrechte' geführt wird, stößt nur unter den üblichen Unterzeichnern von Petitionen im Intellektuellenmilieu auf bedeutenden Widerhall, wenig dagegen bei den neuen Proletariergenerationen, die keine Verbindung erkennen können zwischen ihren Interessen und diesen ‚Menschenrechten', die deren Verteidiger zynisch mit Füßen treten.
- Die alten Arbeiterparteien (die sozialistischen und kommunistischen Parteien) haben die Arbeiterklasse zu lange verraten, um noch irgendeine vergleichbare Glaubwürdigkeit als Repräsentanten der Arbeiterklasse zu besitzen. Während der 70er Jahre und auch heute waren und sind viele von ihnen in der Regierung und führen offene Angriffe gegen die Arbeiterklasse aus.
Mit dem Ende des Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg verfügte die Bourgeoisie somit nicht mehr über diese wesentliche Trumpfkarte, um das Proletariat für die Verteidigung des nationalen Kapitals zu mobilisieren.
Aufgrund des Verschleisses der bürgerlichen Mystifikationen, welche seinerzeit die Mobilisierung von Millionen von Arbeitern im Ersten und Zweiten Weltkrieg ermöglicht hatten, hat das Proletariat durch die Entfaltung seiner Abwehrkämpfe gegen die offene Krise des Kapitalismus Ende der 60er Jahre das einzige Hindernis für die Auslösung eines 3. Weltkriegs dargestellt.
Im Verlauf der 70er und 80er Jahre war die Arbeiterklasse dank der Entwicklung ihrer Kämpfe in der Lage, die Bourgeoisie daran zu hindern, einen neuen Weltkrieg auszulösen, der mit Blick auf das Zerstörungspotenzial der modernen Waffentechnik wahrscheinlich das Ende der Menschheit bedeutet hätte. Doch die Arbeiterklasse war nicht in der Lage gewesen, ihre eigene historische Alternative - den Sturz des Kapitalismus und die Etablierung einer neuen Gesellschaft, die nicht auf der Profitgier, sondern auf der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse fußt - zu bekräftigen. Es gibt mehrere Gründe für dieses Misslingen:
- die Gegenoffensive der Bourgeoisie gegen die erste Welle von Kämpfen Ende der 60er Jahre; insbesondere die Falle der Wahlen, die es der herrschenden Klasse erlaubte, die Alternative der Linken in der Regierung vorzubringen. Dies säte die Illusion, dass diese Parteien für die Arbeiter eintreten und dass die Linken an der Macht durch ihr besseres Wirtschafts-management alles besser für die Arbeiterklasse machen. Die 70er Jahre waren die "Jahre der Illusion", die es der herrschenden Klasse ermöglichten, die Dynamik der ersten Welle von Kämpfen zu brechen;
- die Fähigkeit des Kapitalismus, die Krise teilweise zu verlangsamen, die schlimmsten und zerstörerischsten Auswirkungen der Krise auf die Länder der kapitalistischen Peripherie abzuwälzen;
- die Fähigkeit der herrschenden Klasse, die Entwicklung des Klassenkampfes zu sabotieren, insbesondere durch den intelligenten Gebrauch der Gewerkschaften. Im Verlauf der 70er und vor allem der 80er Jahre führten die wiederholten Konfrontationen mit gewerkschaftlichen Manövern die Arbeiterklasse tendenziell dazu, mit den Beschränkungen der Gewerkschaften zu brechen und die Kämpfe in die eigenen Hände zu nehmen, um sie auszuweiten und zu vereinen. Angesichts dessen entwickelte die Bourgeoisie die höchst effektive Waffe des "Basis"gewerkschaftertums, um die Arbeiter in das Gefängnis des Korporatismus einzusperren und die Ausweitung und Vereinigung ihrer Kämpfe zu blockieren;
- das Gewicht von nahezu einem halben Jahrhundert der Konterrevolution und das Auslöschen der Erinnerung an die Erfahrungen der vergangenen Arbeiterbewegung. Dies zeigte sich in den Schwierigkeiten, die die Arbeiter hatten, sich ihre eigenen Kampfmethoden, ihre eigenen Traditionen, insbesondere die Lehren aus der Revolution von 1917 bis 1923 wiederanzueignen;
- das Misstrauen gegenüber politischen Organisationen (und besonders gegenüber revolutionären Organisationen, welche die Oktoberrevolution 1917 verteidigten), das eine Folge des Gewichts der stalinistischen Konterrevolution war, die der Bourgeoisie zu ihrer größten Kampagne verhalf zur Behauptung, dass Kommunismus gleich Stalinismus sei.
Trotz dieser gigantischen Gegenoffensive war die Bourgeoisie international nicht in der Lage, den Kurs zu Klassenkonfrontationen umzukehren. Die 80er Jahre waren die "Jahre der Wahrheit", da die historischen Alternativen - generalisierter imperialistischer Krieg und Weltrevolution - immer offensichtlicher wurden. Einerseits warf die russische Invasion in Afghanistan ein grelles Licht auf die Antwort der Bourgeoisie gegenüber der Krise und auf die Eröffnung einer Periode akuter militärischer Spannungen zwischen den beiden rivalisierenden Blöcken. Andererseits machte der Massenstreik der Arbeiter in Polen 1980 die proletarische Antwort deutlich. Die polnischen Arbeiter zeigten, wie sich das Proletariat selbst als vereinte gesellschaftliche Kraft aufstellen kann, die imstande ist, nicht nur den Attacken des Kapitalismus zu widerstehen, sondern auch die Perspektive der Arbeitermacht vorzubringen, eine Gefahr, die von der Bourgeoisie deutlich gesehen wurde, die ihre imperialistischen Rivalitäten hintanstellten, um die Luft aus der Bewegung zu lassen, insbesondere durch den Aufbau der Gewerkschaft Solidarnosc. Der Massenstreik bewies ebenfalls definitiv, dass der Klassenkampf die einzige Kraft ist, die den Krieg bremsen kann. Insbesondere verdeutlichte er, dass der russische Block unfähig war, seine Antwort auf die wachsende Wirtschaftskrise, die Politik der militärischen Expansion, durchzusetzen, dass die Arbeiter des Ostblocks sich nicht als Kanonenfutter für irgendeinen zukünftigen Krieg zum Ruhme des "Sozialismus" anmustern ließen. Der Massenstreik in Polen bestätigte die historische Perspektive, die vom französischen Generalstreik im Mai `68 eröffnet worden war: die direkte Konfrontation zwischen den beiden fundamentalen Klassen der Gesellschaft, der Bourgeoisie und dem Proletariat.
Angesichts der Vertiefung der Wirtschaftskrise setzte sich der Klassenkampf während der 80er Jahre in den zentralen Ländern des Kapitalismus trotz der Niederlage und Unterdrückung der Arbeiter in Polen fort. Dennoch erreichte er nicht die Ebene, die für die Bestätigung des Proletariats als revolutionäre Kraft erforderlich gewesen wäre. Zwar geboten die Arbeiterkämpfe der Tendenz zum Krieg Einhalt, doch gingen sie nie über die Ebene einfacher, defensiver Kämpfe gegen die Angriffe des Kapitalismus hinaus. In dieser Situation, in der weder die Bourgeoisie noch die Arbeiterklasse ihre eigene Antwort auf die Konvulsionen des Kapitalismus durchsetzen konnten, herrschte eine Blockierung beider historischer Alternativen, Weltkrieg und Weltrevolution, vor. Ende der 80er Jahre, nach 20 Jahren offener Krise, bewirkte diese Blockierung das Phänomen des Zerfalls: Der Kapitalismus begann an lebendigem Leibe zu verfaulen. Dieser Zerfall kulminierte in den bedeutenden Ereignissen von 1989, die die Eröffnung einer neuen Phase im langen Dahinsiechen des Kapitalismus markierte, einer Phase, in der das gesamte gesellschaftliche Gefüge ächzte, auseinanderfiel und kollabierte.
Der Zusammenbruch der stalinistischen Regimes des Ostblocks versetzte der allgemeinen Dynamik des im Mai `68 eröffneten Klassenkampfes einen herben Schlag. Er ermöglichte der Bourgeoisie, eine ganze Reihe von Kampagnen rund um das Thema des "Todes des Kommunismus" und des "Endes des Klassenkampfes" zu entfalten. Dies traf die Fähigkeit des Proletariats, seine Kämpfe mit der Perspektive des Aufbaus einer neuen Gesellschaft zu führen, sich selbst als unabhängige gesellschaftliche Kraft gegen das Kapital und für die eigenen Interessen zu positionieren, bis ins Mark. Die Tatsache, dass der Klassenkampf beim Kollaps des Stalinismus keine Rolle gespielt hatte, traf das Selbstvertrauen des Proletariats heftig. Sowohl seine Kampffä-higkeit als auch sein Bewusstsein erlebten einen beträchtlichen Rückgang. Die herrschende Klasse verbreitete ihre Kampagnen über die "Wohltaten" des westlichen, demokratischen Kapitalismus, der als die einzig mögliche Alternative zum stalinistischen Terror dargestellt wurde. Sie nutzte den Verlust an Selbstvertrauen unter den Arbeitern auch, um die Gewerkschaften zu stärken. Diese erlebten eine triumphale Rückkehr als "die einzigen Vertreter der Arbeiterinteressen".
Indes kehrte der beträchtliche Rückgang, den das Proletariat aufgrund der Kampagne über den "Tod des Kommunismus" erlitten hatte, den Kurs zu Konfrontationen, der Ende der 60er Jahre eröffnet worden war, nicht um.
Heute engagiert sich die Bourgeoisie der "demokratischen" Großmächte hinter dem amerikanischen Weltpolizisten in einer steigenden Zahl blutiger Kriege, wie wir am Golf, im Kosovo und nun in Afghanistan gesehen haben. Dies geschieht nicht mit der begeisterten Zustimmung durch die Arbeiter Westeuropas. Die Tatsache, dass die Arbeiter nicht in Uniformen stecken, in Reih und Glied hinter der Nationalfahne stehen, dass stattdessen Berufsarmeen eingesetzt werden, bedeutet, dass das Proletariat vor der barbarischen Logik des Kapitalismus nicht kapituliert hat. Es ist nicht willens, sein Blut für die Dienste "humanitärer" Kreuzzüge oder im "Kampf gegen den Terrorismus" zu vergießen. Es ist stimmt, dass es nicht in der Lage ist, die Anzettelung dieser Massaker zu stoppen, und bloßer Zuschauer bei der Orgie der kapitalistischen Hyänen ist, doch es besitzt noch immer den Schlüssel der weiteren geschichtlichen Entwicklung in seiner Hand. Die Zukunft der Menschheit liegt noch immer in seinen Händen.
Trotz all der Schwierigkeiten, die in den letzten zehn Jahren der Entwicklung ihrer Kämpfe entgegenstanden, ist die Arbeiterklasse nicht besiegt. Es hat zudem eine Unterminierung solcher Mystifikationen wie die der "neuen Weltordnung", einer Periode des Friedens und Wohlstandes, gegeben, die der Kapitalismus der Menschheit nach dem Zusammenbruch des "Reichs des Bösen" in Aussicht gestellt hatte. Dies trifft auch auf den Mythos vom "chirurgischen" und "humanitären" Krieg zu, den die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Gehilfen seit dem Golfkrieg in unsere Ohren zu hämmern versucht haben. Heute beginnt der Kreuzzug zur "Befreiung der Welt vom Terrorismus" das wahre Gesicht der bürgerlichen "Zivilisation" zu enthüllen. Noch deutlicher wird dies anhand des unbeschreiblichen Zynismus der demokratischen Großmächte, die im Namen von Frieden und Freiheit Bevölkerungen massakrieren, terrorisieren und zu Flucht, Hunger und Epidemien verurteilen. Es hat ein Ausmaß erreicht, dass selbst die Medien davon sprechen, dass die US-Vergeltungsmaßnahmen gegen Afghanistan zu einer wahren "humanitären Katastrophe" führen.
Je mehr die herrschende Klasse dazu getrieben wird, sich in blutigere militärische Abenteuer zu stürzen, desto mehr muss sie gegenüber der Arbeiterklasse die grenzenlose Barbarei des Kapitalismus offenlegen.
So können die Zuspitzung der Wirtschaftskrise und die Zunahme militärischer Kreuzzüge seitens der großen Demokratien Europas und der USA nicht anders als weiterhin den unvermeidbaren Bankrott des Kapitalismus offenbaren und somit für die Arbeiterklasse als ein Faktor wirken, der das Bewusstsein über die Notwendigkeit der Überwindung dieses Systems vorantreiben wird.
Mit dem Rückfluss ihres Bewusstseins infolge der antikommunistischen Kampagnen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks hinkt das Proletariat gegenüber der Entwicklung stark hinterher. Während der Kapitalismus immer tiefer im Chaos und der Barbarei versinkt, hat die Arbeiterklasse bislang noch nicht zu einer revolutionären Perspektive zurückgefunden. Aber dieser tiefgreifende Rückschlag bedeutet keineswegs, dass der Kurs hin zu verstärkten Klassenzusammenstößen infrage gestellt sei. In Wirklichkeit hat der Ernst der historischen Lage, der nach dem Zusammenbruch es Stalinismus entstanden ist, unter einer Minderheit der Arbeiterklasse ein in die Tiefe gehendes Nachdenken hervorgerufen, wodurch sich einige nach Klärung Suchende revolutionären Positionen angenähert haben und sie gar unterstützen. Dies bestätigt, dass die gegenwärtige Lage ebenso ein Potenzial enthält für eine Bewusstwerdung des Bankrotts des Kapitalisus und der Notwendigkeit der kommunistischen Revolution, auch wenn dieser Bewusstwerdungsprozess heute noch sehr stark auf eine kleine Minderheit beschränkt ist.
Mit der Zuspitzung der Angriffe gegen ihre Lebensbedingungen, mit der Welle von Massenentlassungen, die mit der Rezession einhergehen, wird das Proletariat insgesamt keine Alternative haben als seinen Kampf zu verstärken. Nur im und durch den Kampf kann es seine Klassenidentität wiederentdecken, wieder Selbstvertrauen fassen, seine eigene Kraft und die historische Perspektive seiner Kämpfe erkennen. Die Krise bleibt heute mehr als je zuvor der beste Verbündete des Proletariats. CF
Gegenüber den Anschlägen vom 11. September und dem darauffolgenden, erneuten Krieg in Afghanistan haben sich weltweit neben den Gruppen der Kommunistischen Linken eine Reihe von Stimmen erhoben, um proletarisch internationalistische Positionen zu verteidigen.
So auch im deutschsprachigen Raum. Gegenüber der kapitalistischen Linken, welche von liberalen Zeitungsredakteuren und grünen "Pazifisten" über die PDS bis zu den Trotzkisten die Anschläge in den USA als ein Zurückschlagen der "Dritten Welt" gegen die imperialistischen Metropolen bewerten, weist ein "Aufruf sozialrevolutionärer ArbeiterInnen" auf die Wurzeln dieser Ereignisse in der kapitalistischen Zivilisation hin.
"Die islamischen Terroristen handeln nicht aus schierer Mordlust. Sie sind Soldaten des Kapitals, auch wenn ihre Bärte länger und ihre Gewänder wallender sind als die ihrer westlichen Gesprächspartner. Mit ihren Anschlägen und Massakern in Algerien, Israel oder nun in den USA verfolgen sie direkt oder indirekt große Ziele: Sei es die Schaffung eines Horror-Gottesstaates, die Vertreibung der Juden aus Israel, die Knechtung von Frauen, die Ausbeutung der islamischen ArbeiterInnen und der bäuerlichen Bevölkerung. Die Anschläge tragen die Handschrift der kapitalistischen Zivilisation."1
Der bürgerliche "Antiimperialismus", die "antikapitalistische" Verklärung des Kampfes des kleinen imperialistischen Gangsters gegen den Großen, ist nichts anderes als eine weitere Kriegsmobilisierungsideologie der herrschenden Klasse.
"Die Angriffe auf das World Trade Centre und das Pentagon haben bei einigen Leuten eine klammheimliche Freude aufkommen lassen. Die New Yorker Skyline in Rauch gehüllt, das WTC in Flammen und schließlich völlig aus der Landschaft getilgt, das Pentagon brennend, die Symbole - ökonomischer wie militärischer - kapitalistischer Macht zerstört, das waren Bilder, die manchem ein Lächeln aufs Gesicht zauberten. Dies ist eine groteske Fehleinschätzung der Anschläge als einen Angriff auf den Kapitalismus."2
Auch der Anti-Amerikanismus ist eine bürgerliche Kriegsideologie, welche heutzutage hoch im Kurs steht bei den imperialistischen Rivalen der USA.
"Für viele Linke scheint der US-Imperialismus das Hauptproblem zu sein. Die Beteiligung der BRD am imperialistischen Krieg ist für diese Leute nur ein Problem der übertriebenen Bündnistreue. Die materiellen Interessen der deutschen Bourgeoisie werden bei dieser Art von "Analyse" ebenso unterschlagen wie die großen Erfolge des deutschen Imperialismus seit 1989."3
Die Entlarvung der Rolle des deutschen Imperialismus vom Standpunkt des proletarischen Internationalismus, der alle Seiten im imperialistischen Krieg bekämpft, hat nichts mit der bürgerlichen Ideologie der "Nie wieder Deutschland" Bewegung zu tun, dessen Vertreter wie die Zeitschrift "Jungle World" heute die USA und Israel als fortschrittlich bezeichnen gegenüber dem islamischen Fundamentalismus wie auch gegenüber Deutschland.
Wie die "Soziale Befreiung" zurecht schreibt:
"Egal ob sie als "Antideutsche" dem israelischen Staat die Treue halten, oder als LeninistInnen-StalinistInnen den "palästinensischen Befreiungskampf" hochjubeln oder mit dem staatskapitalistischen Ostblock in nekrophiler Liebe verbunden sind und um die verbliebenen Staaten Kuba und China einen Mythos aufbauen - stets sind sie NationalistInnen, zwar in Gegnerschaft zum eigenen Staat, aber vom proletarischen Internationalismus meilenweit entfernt." (Soziale Befreiung ebenda)
Aber auf den proletarischen Internationalismus kommt es gegenüber dem imperialistischen Krieg in erster Linie an.
So heißt es in einem Flugblatt unter dem Titel "Keine Solidarität mit der internationalen Bourgeoisie und ihren Terrorbanden: "Deshalb ist es äußerst wichtig, niemals den Schulterschluss zu suchen mit den ganzen verbrecherischen Bourgeoisien, die sich anderntags, andernorts, mit allen Mitteln bekämpfen, ganz gleich, ob ihre Heimatländer Rußland, China, Deutschland oder sonstwie heißen. Es ist an der Zeit, über die globale kapitalistische Warengesellschaft nachzudenken und die Betriebe und die Straße zum Ort der politischen Auseinandersetzung zu machen."
Wir begrüßen diese internationalistischen Stimmen gegen den Krieg. Wir unterstützen Wildcat, wenn es die Notwendigkeit unterstreicht, "radikal auf die Selbsttätigkeit der Ausgebeuteten in ihren Kämpfen" zu setzen und hinzugefügt: "Nur indem wir diese Kämpfe ernst nehmen, sie unterstützen, und das in ihnen enthaltene emanzipatorische Potenzial aufgreifen, können wir dieser allgemeinen Selbstentmachtung, zu der Krieg und Kriegsangst führen sollen, entgegenwirken. Dazu gehört der revolutionäre Defätismus gegenüber dem Krieg, der auf die Niederlage aller beteiligten Kriegsparteien setzt." (Wildcat ebenda).
Gegenüber dem imperialistischen Krieg ist es die Pflicht der Internationalisten, gemeinsam die Interessen des Proletariats hochzuhalten und eine politische Solidarität untereinander zu üben gegenüber dem gemeinsamen kapitalistischen Feind. Aber es ist ebenfalls ihre Pflicht, eine gemeinsame öffentliche Debatte zu entwickeln, sich gegenseitig zu kritisieren, damit die Schwächen und Halbheiten in unseren Reihen überwunden werden können. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, wollten wir allein alle hier besprochenen Aussagen und Stellungnahmen kritisieren, mit denen wir nicht einverstanden sind. Wir werden auf einige dieser Fragen in späteren Ausgaben unsere Presse zurückkommen.
Wir wollen an dieser Stelle lediglich auf die Tatsache hinweisen, dass einige dieser Stellungnahmen offensichtlich die zentrale Rolle der Verschärfung der imperialistischen Spannungen zwischen den Großmächten unterschätzen, welche nach unserer Überzeugung das Wesensmerkmal der Ereignisse um den 11. September bilden.
So schreibt beispielsweise "Soziale Befreiung" in seiner bereits zitierten Stellungnahme: "Die deutsche Bourgeoisie hat aus ihrer Vergangenheit gelernt, sie legt sich nicht mehr mit ihren mächtigen Klassenbrüdern in Europa und der USA kriegerisch an, sondern suchte und sucht das Bündnis zu ihnen. Innerhalb und durch dieses Bündnis betreibt die BRD sehr erfolgreich imperialistische Politik."
Richtig an dieser Aussage ist, dass die deutsche Bourgeoisie aus ihrer Vergangenheit gelernt hat, und dass es durch Strukturen wie beispielsweise die NATO oder die EU nicht daran gehindert wird, sehr erfolgreich imperialistische Politik zu betreiben. Die Tatsache aber, dass der deutsche Imperialismus sich heute nicht kriegerisch anlegt mit seinen europäischen und amerikanischen Rivalen, ist aus unserer Sicht keineswegs darauf zurückzuführen, dass er die Lehren aus seiner Vergangenheit gezogen hat und deswegen das Bündnis mit diesen Rivalen sucht. Diese, für den Imperialismus im allgemeinen, und für den deutschen Imperialismus insbesondere sehr uncharakteristische Zurückhaltung ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass Deutschland heutzutage noch lange nicht stark genug ist, seine wichtigsten europäischen Rivalen (geschweige denn die USA) militärisch herauszufordern. Und es ist darauf zurückzuführen, dass es heute, im Gegensatz zur Lage von 1914 oder 1939, noch nicht imstande ist, die Arbeiterklasse für einen Weltkrieg zu mobilisieren.
"Die NATO ist die Weltpolizei der US-amerikanischen und westeuropäischen Bourgeoisie" schreibt Soziale Befreiung. Das ist so nicht richtig. Wenn es heute einen Weltpolizisten gibt, so sind das die USA. Washington denkt nicht daran, diese Aufgabe brüderlich mit seinen westeuropäischen Rivalen zu teilen. Dies ist auch der Grund, weshalb die USA den Krieg in Afghanistan unter eigener Regie führen und nicht im Rahmen der NATO. Denn eine Kriegsführung durch die NATO würde bedeuten, den "Bündnispartnern" ein Mitspracherecht einzuräumen. Im Kosovo sah sich Washington dazu gezwungen, die "Partner" mitreden zu lassen. Denn Kosovo liegt in Europa, und dort können selbst die USA ohne die europäischen Führungsmächte nicht viel ausrichten. Aber dort, wie in Zentralasien, wo Amerika sehr wohl auf eigene Faust vorgehen kann, will es den Europäern am liebsten lediglich die Rolle von Wasserträgern einräumen. Die nur noch "kritische Solidarität", welche die Grünen als treue Vertreter des deutschen Imperialismus mit den USA jetzt verkünden, kommt also nicht von ungefähr.
"Soziale Befreiung" behauptet: "Der Krieg gegen Afghanistan wird ebenfalls auch in deutschem Interesse geführt. Der "realsozialistische" Staatskapitalismus wurde vom "freien Westen" besiegt, jetzt muss der ehemaligen "dritten Welt" gezeigt werden, wer der Herr im Haus ist."
Wir meinen aber, dass dieser Krieg sich keineswegs gegen die "dritte Welt" richtet, sondern in erster Linie - wenn auch indirekt - gegen die europäischen Verbündeten der USA selbst. Europa war nicht zufällig das wichtigste militärische Aufmarschgebiet der imperialistischen Konflikte des 20. Jahrhunderts: die zwei Weltkriege, der Kalte Krieg. Denn Europa ist nach wie vor neben Amerika das Hauptzentrum der kapitalistischen Weltwirtschaft. Nur von Europa aus kann von neuem ein imperialistischer Militärblock entstehen, welcher die USA herausfordern könnte. Es kommt hinzu, dass Europa, weil es geographisch den westlichen Zipfel des riesigen, bevölkerungsreichen eurasischen Raums darstellt, strategische Vorteile besitzt, wenn es darum geht, in Richtung Asien vorzustoßen. Dies trifft besonders auf Deutschland zu, die führende Zentralmacht des alten Kontinents. Heute betreibt der deutsche Imperialismus seine Ostexpansion nach Asien gleich über zwei verschiedene Optionen: über den Balkan, die Türkei und Iran, sowie über ein mögliches Bündnis mit Russland. Wir wagen somit zu behaupten, dass Amerikas Krieg in Afghanistan eben nicht "ebenfalls auch im deutschem Interesse geführt" wird. Wir glauben vielmehr, dass in dieser Hinsicht die amerikanische Bourgeoisie ihre eigenen Lehren aus dem 2. Weltkrieg gezogen hat und einer Situation vorbeugen will, indem sie wie damals gleichzeitig Krieg in Europa und Asien führen muss, ohne starke militärische Stützpunkte im Kernbereich des asiatischen Festlandes zu besitzen.
Die Kombination zweier überragender Tatsachen - dass das Weltproletariat nicht geschlagen ist, und dass es keine Aufteilung der Welt in zwei einander gegenüberstehenden Militärblöcke gibt - schließen direkte militärische Konfrontationen zwischen den Großmächten zumindest in nächster Zeit aus. Diese Tatsachen ändern aber nichts an dem Grundgesetz der imperialistischen Konkurrenz, dass die Hauptrivalität immer unter den führenden imperialistischen Mächten zu finden ist und nicht zwischen einem Bündnis der Stärksten gegen "die dritte Welt" oder anderen hypothetischen Gebilden. Dass diese Rivalität heute nur indirekt ausgetragen werden kann, verschleiert die überragende Rolle dieser Rivalität der Großen. Aber dies darf die Marxisten nicht dazu verleiten, diese Hauptkonfliktlinien zu unterschätzen oder gar zu missachten.
Sogar die Bourgeoisie selbst sieht sich angesichts der jetzigen Zuspitzung der Rivalitäten veranlasst, zumindest indirekt an dem Mythos des "Bündnisses" der westlichen Nationalstaaten zu zweifeln. Die vollkommene Abwesenheit der Europäischen Union gegenüber den jüngsten Ereignissen kommentierte beispielsweise die Financial Times vom 15.10.2001 so:
"Es schien alles so vielversprechend. Vor den Anschlägen des 11. Septembers in den USA war die Europäische Union gerade dabei, endlich ihre diplomatische Schlagkraft anzuwenden. Die fünfzehn Mitgliedsstaaten sprachen mit einer Stimme zu den Ereignissen auf dem Balkan. Und tatsächlich bewahrten deren Anstrengungen in Mazedonien die Republik vor einem Bürgerkrieg. Auch gegenüber der Herausforderung des nationalen Raketenabwehrsystems (NMD) von George W. Bush hielt man zusammen. (...) Die Ereignisse des 11.Septembers ändern all dies. Die Staatsoberhäupter der führenden EU-Mitgliedsstaaten haben die Gelegenheit für ihre eigenen Vorstellungen beim Schopfe gepackt. Die Folge ist, dass die gemeinsame Stimme der europäischen Außenpolitik, welche nun langsam hörbar wurde, in einem Missklang von individuellen Erklärungen zusammen gebrochen ist. "Die politische Macht ist schrittmarsch zurück in die Hauptstädte zurückgezogen worden." sagte ein EU-Beamter." (Die FAZ äußert sich ähnlich in ihrem Kommentar auf der ersten Seite am 6. November: "Was die EU tun muss")
Während unsere Kritik an der Stellungnahme der "Soziale Befreiung" sich innerhalb des Rahmens einer Debatte unter Marxisten bewegt, hat der Erklärungsansatz des imperialistischen Krieges durch die Gruppe Wildcat mit dem Marxismus nichts zu tun. Für Wildcat ist die jetzige Verschärfung der imperialistischen Spannungen etwas ganz anderes: ein gemeinsam von allen Ausbeutern geführter Krieg gegen die Ausgebeuteten. "Kriege sind nie nur die Auseinandersetzung zwischen den Kriegsparteien, sondern im wesentlichen der gemeinsame Kampf der kriegsführenden Parteien um die Sicherung ihrer Herrschaft", heißt es in der Stellungnahme von Wildcat. Und weiter: "Auf der Oberfläche vermitteln Kriege den Eindruck eines Gegensatzes zwischen den kriegsführenden Parteien, im Wesen sind sie aber für beide Seiten das gemeinsame Mittel, um gegen das proletarische Aufbegehren, den Kampf um ein besseres Leben, die Revolution als Bewegung der Emanzipation der Menschen vorzugehen."
Hier werden die "Gegensätze zwischen den kriegsführenden Parteien" nicht nur unterschätzt, sondern beinahe schon gänzlich verneint.
Die politischen Ursprünge dieser gravierenden Fehleinschätzung liegen in der Weltsicht des Operaismus, welcher in den 60er Jahren in Italien entstand und aus dessen Tradition Gruppen wie Wildcat hervorgegangen sind. Damals, gegen Ende der Nachkriegswiederaufbauphase waren die unterschiedlichsten Theorien populär geworden, welche Grundthesen des Marxismus verwarfen, der angeblich durch die lange Wiederaufbauphase widerlegt sei. So z.B. die Situationisten, welche die marxistische Klassenanalyse zugunsten einer Vorstellung des Kampfes zwischen Befehlshabern und Untergebenen aufgaben. So Marcuse und die "Frankfurter Schule", welche das Proletariat als revolutionäre Klasse abschrieben. Der Operaismus hingegen gab die Klassenanalyse nicht auf. Was er statt dessen verwarf, war die marxistische Auffassung zur Wirtschaftskrise und zum Konkurrenzkampf unter den Kapitalisten. Er missdeutete auf groteske Weise den Satz des Kommunistischen Manifestes, dass die Geschichte der Menschheit eine Geschichte des Klassenkampfes ist, indem er behauptete, dass alle objektiven Widersprüche des kapitalistischen Systems wie die Überproduktionskrise, die Massenarbeitslosigkeit, die ständige Revolutionierung des Produktionsprozesses unter dem Druck der Konkurrenz aber auch des imperialistischen Krieges, nichts als Mittel der Herrschenden seien, um das Proletariat zu bekämpfen. Zwar besitzt diese Position eine gewisse innere Logik. Wenn es keine unlösbare Krise des Systems gibt und keinen Überlebenskampf der Kapitalisten untereinander, gibt es auch keinen zwingenden Grund für die Herrschenden, imperialistischen Krieg gegeneinander zu führen. Nur, diese Logik ist sehr, sehr realitätsfern.
Nun ist aber die Haltung des Operaismus in den letzten Jahren auch noch in sich widersprüchlich geworden. Zwar sahen sich operaistische Gruppen wie Wildcat in letzter Zeit genötigt, unter den Hammerschlägen der Wirklichkeit das Vorhandensein einer Wirtschaftskrise anzuerkennen. Dafür klammert man sich scheinbar um so hartnäckiger an die Vorstellung des Krieges "gegen die ArbeiterFklasse". Denn man spürt wohl, dass das gesamte Gebäude des Operaismus zusammenkrachen wird, wenn man auch noch diese alte Kamelle aufgibt.
Diese Haltung hat bei Wildcat zur Folge, dass man ständig nach Anzeichen einer nahen Revolution sucht und ziemlich wahllos hinter allem, was sich bewegt (von Straßenschlachten irgendwelcher Jugendlicher bis hin zu der reformistischen "Antiglobalisierungsbewegung"), ein revolutionäres Potenzial vermutet. Denn muss die Revolution nicht ständig irgendwo um die Ecke lauern, wenn die Herrschenden stets gezwungen zu sein scheinen, alles von den neuesten Mikroprozessoren bis zu der Bombardierung Afghanistans aufzubieten, um eine solche Eventualität zu verhindern? Andererseits ist man selbst außerstande, die Arbeiterklasse vor den Gefahren des imperialistischen Krieges zu warnen. Man ist auch nicht mehr imstande, den unkontrollierten, von den Herrschenden selbst nicht mehr beherrschten Charakter der geschichtlichen Weltlage zu erkennen, der die Menschheit seit einem Jahrhundert schon vor die Wahl stellt: Sozialismus oder Barbarei.
Man mag natürlich einwenden, diese Schwächen der Analyse seien zweitrangig, Hauptsache man verteidige proletarisch-internationalistische Positionen gegenüber dem Krieg. Das ist in der Tat die Hauptsache. Doch die Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt uns, dass eine falsche Analyse der Weltlage, insbesondere aber eine Unterschätzung der imperialistischen Konflikte immer wieder dazu führt, dass Revolutionäre den proletarischen Internationalismus am Ende aufgeben. Dies geschah beispielsweise mit Karl Kautsky, der am Anfang des 20. Jahrhunderts im Gegensatz zu Rosa Luxemburg den Imperialismus unterschätzte und nach und nach den revolutionären Marxismus aufgab, bis er schließlich eine Theorie des "Superimperialismus" entwickelte. Damit schloss er aus den durch den Krieg verursachten Verwüstungen, dass der Kapitalismus an den imperialistischen Kriegen nicht mehr "interessiert" sei und sich nun lieber gemeinsam der Ausbeutung des Proletariats widmen würde.
Unmittelbar vor dem Ausbruch des 2. Weltkrieges schloss ein bedeutender Teil der Italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken aus den unmittelbaren wirtschaftlichen Erfolgen der deutschen und anderer Kriegswirtschaften, dass der Imperialismus nicht mehr an einem Weltkrieg interessiert sei, es sei denn, es handele sich um einen "Krieg gegen die Arbeiterklasse". Als der Krieg dann doch ausbrach, wurde Vercesi, der führende Vertreter dieser Theorie, aufgrund seiner politischen Desorientierung Opfer des bürgerlichen Antifaschismus. Diese und andere Beispiele zeigen uns, dass die Analyse der Weltlage keine akademische Übung ist. Die Auseinandersetzung und das Ringen um eine richtige marxistische Analyse ist vielmehr unerlässlich für die Verteidigung und Vertiefung einer revolutionären Perspektive des Proletariats und für die langfristige Aufrechterhaltung des proletarischen Internationalismus angesichts der Wirrnisse des niedergehenden, heute zerfallenden Kapitalismus.
Weltrevolution (20.11.01)
Angesichts des Wütens des imperialistischen Krieges wird es umso wichtiger, dass die proletarischen Internationalisten ihre Verantwortung gegenüber der Arbeiterklasse wahrnehmen. Ihre erste Verantwortung besteht darin, dafür einzutreten, dass der proletarische Klassenkampf gegen alle kriegsführenden Fraktionen, gegen den Kapitalismus fortgesetzt und verschärft wird. Denn zu der internationalistischen Grundeinstellung des Marxismus gehört die tiefe Überzeugung, dass allein das Proletariat eine wirkliche Kraft gegen die imperialistische Barbarei darstellt. Dieser internationalistische Kampf schließt die Notwendigkeit ein, dass die Internationalisten sich gegenseitig unterstützen. Diese gegenseitige Unterstützung erfordert, dass die verschiedenen proletarischen Stimmen miteinander öffentlich diskutieren, ihre Meinungsunterschiede klären, sich gegenseitig solidarich kritisieren. Und es erfordert, dass sie sich gegenseitig verteidigen gegenüber den Angriffen des Klassenfeindes. Gerade im heutigen Kontext der Verschärfung imperialistischer Rivalitäten in Zentralasien und überall auf der Welt begrüßen wir das Erscheinen der fünften Ausgabe der Zeitschrift "Soziale Befreiung" (SB). Denn diese Zeitschrift hat sich in letzter Zeit engagiert, um diese obengenannten Pflichten zu erfüllen. Auf ihrer Website hat die Zeitschrift im Sinne des Proletariats Stellung genommen gegen den Afghanistankrieg, wie wir bereits in Weltrevolution 109 berichtet haben. In der neusten Ausgabe der Zeitschrift wird diese prinzipielle Einstellung ebenfalls angewandt in einem Artikel, der Lehren aus den Balkankriegen zieht. Die Verteidigung der revolutionären Natur und des Potentials des Proletariats als geschichtlich berufener Totengräber des kapitalistischen Systems bleibt ebenfalls ein Bestandteil der redaktionellen Arbeit dieser Zeitschrift. Und auch die gegenseitige Unterstützung der Internationalisten gegenüber den Angriffen der Bourgeoisie finden wir in dieser Ausgabe. Dieser unbedingt notwendige Reflex findet seinen Ausdruck in der Wiederveröffentlichung von Texten der Frankfurter Internationalisten und die Inschutznahme ihres Kampfes gegenüber den nationalistischen Angriffen von Seiten einer stalinistischen Gruppe bzw. in Artikeln, welche in der FAU Zeitschrift "Direkte Aktion" veröffentlicht worden sind (über diese Auseinandersetzungen der Frankfurter Internationalisten haben wir in den letzten Ausgaben von Weltrevolution ebenfalls mehrfach berichtet). Ansonsten befndet sich u.a. auch eine Polemik mit der IKS in dieser Ausgabe der Soziale Befreiung, welche sich hauptsächlich mit zwei zentralen Themen der Debatte unter Revolutionären befasst: mit der Einschätzung der Klassennatur der russischen Revolution, und mit der Frage, ob es neben dem bürgerlichen, konterrevolutionären Antifaschismus so etwas wie einen "proletarischen Antifaschismus" geben kann.
Wie der Rätekommunismus insgesamt, schließt SB aus der damals relativ schwache Entwicklungsstand des Kapitalismus in Russland daß die dortige Oktoberrevolution von 1917 eine bürgerliche Umwälzung war. "Lenins Theorie versuchte die bürgerliche Revolution mit dem Marxismus zu versöhnen und dann den bürgerlichen Charakter der Oktoberrevolution durch marxistische Phrasen zu verschleiern", behauptet die "Soziale Befreiung" (S. 57). Es begreift nicht daß das rote Oktober der Auftakt zur Weltrevolution war, und daß die Frage der geschichtliche Notwendigkeit der proletarischen Revolution nur auf Weltebene gestellt werden kann. Die damalige Revolutionäre haben aus den 1. Weltkrieg völlig zurecht geschlossen daß der Menschheit nur noch vor der Alternative Sozialismus oder Barbarei stand.
Aber nicht nur dieser Wesensunterschied zwischen der bürgerliche Revolution, der notwendigerweise eine nationale Umwälzung ist, und die proletarische Weltrevolution sieht SB äußerst unklar. Hinter seine Argumentation steckt eine viel gründsätzlichere Schwammigkeit hinsichtlich der Demarkationslinien zwischen Bourgeoisie und Proletariat. In ein Abschnitt über den Unterschied zwischen "Leninismus" und Stalinismus z.B. (S. 57) wird erklärt: "Auch wenn der Leninismus nicht zur sozialen Revolution der internationalen ArbeiterInnenbewegung taugte, war er für die Parteibürokratie immer noch zu internationalistisch".
Hier ist mit Händen zu greifen daß noch nicht verstanden worden ist, daß der Internationalismus Lenins und der Bolshewiki gegenüber den imperialistischen Weltkrieg der sicherste beweis dafür ist, dass sie Vorkämpfer des Proletariats waren. Denn der erste Grundsatz der Arbeiterbewegung seit das Kommunistische Manifest lautet, daß die Proletarier kein Vaterland haben. Die Sozialdemokratie, die ehemalige KPs, die Trotzkisten sind ja auch in erster Linie ins Lager der imperialistische Bourgeoisie übergelaufen, weil sie den proletarischen Internationalismus verraten und den imperialistsichen Weltkrieg unterstützt haben. Die Kommunistische Linke hingegen setzt sich aus den politischen Strömungen zusammen, welche auch im 2. imperialistichen Weltkrieg diese internationalistische Prinzipien truegeblieben sind. Und während SB die IKS als zentristisch bezeichnet, weil es den proletarischen Charakter der Oktoberrevolution und des ursprünglichen Bolschewismus verteidigt, zeigt die Praxis der revolutionären Arbeit im 2. Weltkrieg etwas ganz anderes. Denn die Organisationen, welche diesen bisher schwerste Prüfung der Treue gegenüber das Proletariat bestanden haben, wie die klarste Vertreter der Italienische Linke, der Spartakusbond in den Niederlanden oder der deutsch-österreichische RKD, beriefen sich gerade auf die internationalistische Tradition der Bolschewiki.
Doch gerade in dieser Frage, durch welche Kriterien die politische Organisationen der Bourgeoisie und des Proletariats voneinander unterschieden werden, bleibt SB erschreckend schwammig: "Der Zentrismus zwischen linksbürgerlichen und kommunistischen Positionen wird sich in der sozialen Revolution nicht halten. In ihr wird alles halbe und unvollkommene zerrieben. Die meisten linksbürgerlichen Organisationen, von der SPD bis zur PDS, werden das Lager der Konterrevolution wählen - ein Teil der lohnabhängigen Basis wird sich abspalten und auf die Seite der Revolution - ihrer Revolution! - übergehen. Ein geringer Teil der linksbürgerlichen Organisationen - zum Beispiel einige Trotzki-Sekten - wird nicht auf der Seite der Bourgeoisie stehen. Diese Kräfte werden versuchen, das revolutionäre Lager zu beherrschen und sie mit ihrer bolschewistischen Ideologie geistig zu beeinflussen." (S. 58). Weiter unten heißt es: "Die Zeit für den Staatskapitalismus ist vorbei. Aber der Bolschewismus wird die proletarische Selbstorganisation bremsen und damit die Kraft der sozialen Revolution lähmen. Wir können nur hoffen, daß in der Zeit der relativen Stabilität der Klassengesellschaft so viele bolschewistische Organisationen wie möglich vor die Hunde gehen. Sie sind Schatten der Vergangenheit, keine Wegbereiter der Zukunft. Das gilt auch für den Halbbolschewismus der IKS." (ebenda). Einerseits wird erwartet, dass die "lohnabhängige Basis" bürgerlicher Organisationen wie der SPD oder der PDS sich revolutionär abspalten werde, und dass manche linksbürgerlichen Trotzkisten sich nicht auf die Seite der Bourgeoisie stellen werden (als ob sie dies nicht schon längst getan hätten!). Andererseits wird eine internationalistische, linkskommunistische Organisation wie die IKS mit den Bluthunden des Staatskapitalismus in einen Topf geschmissen, die "einen Schatten der Vergangenheit" darstellen und "vor die Hunde" gehen sollen. Die Unterschiedung von "Führung" und "Basis" bürgerliche Organisationen wie die Sozialdemokratie, oder auch die Gewerkschaften, bildete einst einer der Grundlagen der opportunistische Argumentationsweise Lenins in seiner Polemik gegen den Linkskommunisten ("Der Linksradikalismus: Eine Kinderkrankheit des Kommunismus") Heute gehört es zum täglichen Brot der Trotzkisten und andere linksradikale Vertreter des Kapitalismus. Man sieht dass SB sich noch nicht vollständig von der Denkweise seiner trotzkistische Vergangenheit befreit hat.
Diese Unklarheit über die Unterscheidungskriterien zwischen Proletariat und Bourgeoisie tritt ebenso deutlich in Erscheinung, wenn die SB die Existenz eines angeblichen "proletarischen Antifaschismus" gegen die Position der IKS zu vertreten versucht. "Es gab und gibt auch einen ganz konkreten Klassenkampf gegen Nazis - den proletarischen Antifaschismus. Dieser ist vom bürgerlichen Antifaschismus klar zu unterscheiden", behauptet SB (S. 68) "Die Organisationsform des proletarischen Antifaschismus ist die Einheitsfront von unten." (ebenda). "Die Einheitsfront von unten gegen den Nazifaschismus ist die Organisationsform des konkreten und zu allen Mitteln bereite Kampf aller Betroffenen gegen den Naziterror - unabhängig ihrer Parteizugehörigkeit. Wir nehmen als revolutionäre Minderheit an allen radikalen Bündnissen teil, die nicht das Bündnis mit Kapital, Staat und bürgerlichen Parteien suchen, sondern durch eigene Mobilisierung die Nazis [bekämpfen] wollen. Solche Bündnisse sind notwendig und auch tendenziell fortschrittlich, weil sie der Selbstorganisation proletarischer und kleinbürgerlicher Schichten dienlich ist, auch wenn noch nicht alle Beteiligte auf dem Standpunkt der sozialen Revolution stehen." (S. 70). Weiter unten heißt es: "Die Einheitsfronten des proletarischen Antifaschismus sind vergleichbar mit Streiks für höhere Löhne - rätekommunistische ArbeiterInnen werden an ihnen teilnehmen und gleichzeitig betonen, daß nur die Aufhebung der Lohnsklaverei die ArbeiterInnenklasse befreien kann. Nicht an Streiks teilnehmen, weil diese sich nicht grundsätzlich gegen den Kapitalismus richten, sondern "nur" für ein besseres Leben in ihm geführt werden - wäre nicht nur sektiererisch - das wäre Streikbruch, Klassenverrat! Nichts anderes ist das Verhalten der IKS gegenüber dem proletarischen Antifaschismus und seiner Kampfform, der Einheitsfront von unten." (S. 71).Was hier über die Frage von Streiks für höhere Löhne gesagt wird, ist vollkommen richtig. Doch was für den "proletarischen Antifaschismus" daraus geschlussfolgert wird, beweist erneut das Unvermögen, zwischen dem Kampfterrain der verfeindeten Klassen klar zu unterscheiden. Der Streik für höhere Löhne bringt den Grundantagonismus zwischen Proletariat und Bourgeoisie zum Ausdruck. Das ist der Grund, weshalb sowohl Lenin wie auch Rosa Luxemburg erklärten, dass hinter jedem Streik das Gespenst der Revolution steckt. Deshalb ist die Teilnahme an solchen Streiks auch dann Pflicht, wenn sie von den Gewerkschaften aufgerufen und organisiert werden - nicht zuletzt um der gewerkschaftlichen Sabotage des Kapitals entgegenzutreten. Ganz anders stellt sich die Frage in Bezug auf Aktionen gegen Nazis. Solche Aktionen haben von ihrer Natur her keinen proletarischen Charakter. Vielmehr haben solche Aktionen, welche sich in erster Linie politisch oder militärisch gegen eine ganz bestimmte Fraktion der Bourgeoisie richten, prinzipiell einen eindeutig bürgerlichen Charakter. Sie sind der klassische Ausdruck des Kampfes zwischen Fraktionen des Kapitals. Dies trifft ebensogut für die üblichen Schlägereien zwischen rechten und linken Gruppen zu, wie für große militärische Auseinandersetzungen wie etwa der Kampf zwischen der Republik und Franco im spanischen Bürgerkrieg oder zwischen den faschistischen und antifaschistischen Lagern im 2. imperialistischen Weltkrieg. Kämpfe gegen bestimmte, in diesem Fall extrem rechte Fraktionen des Kapitals gewinnen nur dann einen proletarischen Charakter, wenn sie in direkter Verbindung mit dem Arbeiterkampf geführt werden. Dies war der Fall gegenüber dem Kapp-Putsch, als die Massenstreiks und die Selbstbewaffnung des deutschen Proletariats einen Militärputsch 1920 vereitelten. Ebenso 1941 in den Niederlanden, als das Proletariat die Arbeit niederlegte, um die ersten Deportationen der Juden durch die deutsche Besatzungsmacht zu verhindern. Und es war auch 1905 der Fall, als das kämpfende, in Arbeiterräten organisierte russische Proletariat bewaffnete Gruppen aufstellte, um die jüdische Bevölkerung vor Übergriffen der antisemitischen "Schwarzen Hundertschaften" zu schützen. Leider haben die heutigen Aktionen "gegen Nazis" mit diesem proletarischen Kampf nichts zu tun. Sie sind Auseinandersetzungen zwischen rechtsextremen und linksextremen Gruppierungen der Bourgeoisie, welche das Elend und das Gefährdetsein von Minderheiten, von Asylanten (fast immer von Proletariern also) ausnutzen, um politisches Kapital daraus zu schlagen. Die SB will nicht nur das Proletariat, sondern auch sich selbst offenbar täuschen durch seine spitzfindigen, in Wahrheit opportunistischen Unterscheidungen zwischen "Führung" und "Basis" linkskapitalistischer Organisationen, welche seine Teilnahme an diesen antifaschistischen Aktionen rechtfertigen sollen.Selbstverständlich gehört es zu den Aufgaben des Proletariats, Minderheiten vor den rassistischen, nationalistischen Übergriffen der Nazis in Schutz zu nehmen, genau so wie es sich mobilisieren müsste gegen die rassistische Gewalt der Polizei, die Abschiebung von Flüchtlingen durch den demokratischen Terrorstaat usw. Da das Proletariat aber heute eindeutig zu schwach und zu wenig bewusst ist, um diese Verantwortung wahrzunehmen, gehört es zu den dringendsten Aufgaben der Revolutionäre, der Klasse die Notwendigkeit der Solidarität mit allen Opfern des Kapitalismus aufzuzeigen. Diese dringende Aufgabe kann aber keineswegs gelöst werden, indem die Revolutionäre versuchen, an Stelle der Klasse diesen Kampf zu führen. Denn ohne die Verbindung zum lebendigen Arbeiterkampf kann dieser Kampf nur auf einem bürgerlichen Terrain geführt werden. Das schwächt das Bewusstsein der Klasse noch zusätzlich, anstatt es zu stärken. Die bisherige Unfähigkeit von SB, sich von der bürgerlichen Theorie und Praxis des Antifaschismus zu verabschieden, erinnert daran, dass auch die wortradikalste Verwerfung der Notwendigkeit einer proletarischen Partei, welche den Rätekommunismus auszeichnet, keineswegs davor schützt, geradeaus in die Falle der "Stellvertreterpolitik", des Handelns an Stelle der Arbeiterklasse also, zu tappen.
Abschließend ein Wort über den polemischen Stil von SB gegenüber der IKS. Die Zeitschrift behauptet, in Bezug auf unsere Polemik über die Frage des Antifaschismus in Weltrevolution 106: "Die IKS-Kritik an der Sozialen Befreiung ist nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Lügen, Unterstellungen und Halbwahrheiten." (S. 63). An anderer Stelle, um zu rechtfertigen, dass SB und die "Bibliothek des Widerstandes" von einer Debatte über den Antfaschismus in Berlin (an der die IKS, Aufbrechen und Genossen der FAU teilnahmen) ferngeblieben sind, da man die "Öffentlichkeit der Veranstaltung immer mehr in Frage gestellt" hätte", heißt es: "Der wirkliche soziale Kampf ist für uns tausendmal wichtiger als die Auseinandersetzung mit unverbesserlichen SektierInnen. Damit sind eindeutig nicht die GenossInnen der Aufbrechen und der Frankfurter FAU gemeint - aber ausdrücklich die IKS." Die SB sollte vielleicht ihren Lesern erklären, weshalb die IKS-Genossen "Sektierer" sind, obwohl es SB war, die der Debatte unter Revolutionären in Berlin ferngeblieben ist. Sie sollte vor allem aber erklären, weshalb sie solche schwerwiegenden Vorwürfe gegen eine proletarische Organisation erhebt, wie die einer "Aneinanderreihung von Lügen, Unterstellungen und Halbwahrheiten" ohne dafür Beweise vorzulegen. Doch anstatt Beweise anzuführen behauptet SB, dass obwohl sie an uns einen Brief geschrieben hat, wo sie klargestellte "daß die Führungsschichten linksbürgerlicher Organisationen keine Bündnispartner sind", die IKS in Weltrevolution 106 weiterhin behaupten würde, "daß unsere Einheitsfront von unten den Führungsschichten linksbürgerlicher Organisationen dienen würde. Wie wir sehen, führt die IKS keinen Kampf gegen unsere wirklichen Ansichten, sondern sie verfälscht sie." (S. 70). Wir fordern SB dazu auf, nachzuweisen, wo die IKS behauptet haben soll, in Weltrevolution oder sonstwo, dass eine "Einheitsfront von unten den Führungsschichten linksbürgerlicher Organisationen dienen würde." Wir haben niemals eine solche Behauptung aufgestellt, denn diese Art der Unterscheidung zwischen "Führungsschichten" und Basis linksbürgerlicher Organisationen ist uns vollkommen fremd.Wir hoffen also, dass die SB diese unverantwortliche Art, sehr ernste, aber durch nichts bewiesene Behauptungen in die Welt zu setzen, in Zukunft sein lässt. Nicht weil wir glauben, dass durch solche Behauptungen der Ruf der IKS ruiniert wird. Wir fürchten vielmehr, dass SB ihrem eigenen Ruf damit schadet. Denn wir meinen, dass sowohl Soziale Befreiung wie auch viele andere Publikationen weltweit, welche die Überwindung ihrer linkskapitalistischen Vergangenheit und die Annäherung an linkskommunistische Positionen anstreben, einen wichtigen und konstruktiven Beitrag zur Entwicklung einer proletarischen Debattenkultur und zur öffentliche Klärung der Interessen unserer Klasse leisten können. Weltrevolution
Antworten auf die Zweifel an der Arbeiterklasse (IV)
Zu vertrauen in die gesellschaftliche Kraft der Arbeiterklasse, davon auszugehen, dass sie die einzige revolutionäre Klasse der Gesellschaft darstellt, ist einfach, wenn Millionen von entschlossenen Arbeitern auf der Strasse sind, die die Menschheit vom kapitalistischen Joch befreien wollen. In Zeiten wie während der weltrevolutionären Welle von 1917-23 bestanden darüber keinerlei Zweifel. Aber das Proletariat, welches sowohl die ausgebeutete als auch die revolutionäre Klasse ist, kann im Kapitalismus nicht in ständiger Bewegung sein. Deshalb geht sein Kampf durch Höhen und Tiefen. Die Perioden der gesellschaftlichen Konfrontationen sind, quantitativ gesehen, sehr kurz, verglichen mit den langen Phasen der Ruhe, wo die kapitalistische Herrschaft als ewig erscheint und sogar die bewusstesten Arbeiter von Zweifeln überfallen werden.
Doch ist der unregelmäßige Rhythmus des Arbeiterkampfes nicht der einzige Faktor für Zweifel auch unter den bewusstesten Elementen. Die Bourgeoisie versucht auf systematische Weise das Vertrauen seines Totengräbers zu untergraben. Die Aktivitäten der Gewerkschaften, die die Kämpfe sabotieren; die parlamentarische Mystifizierung, die versucht, die Arbeiter in eine unterschiedslose Masse von „Staatsbürgern" aufzulösen, die alle vier Jahre atomisiert zu wählen haben; die „wissenschaftlichen" Predigten der Soziologen, die aufzeigen wollen, dass die „objektiven" Veränderungen des Kapitalismus die Arbeiterklasse „objektiv" zum Verschwinden gebracht hätten - dies sind einige von den Mitteln, die der Staat einsetzt, um die Arbeiterklasse zu demoralisieren. Hinzu kommen die Auswirkungen der Ereignisse von 1989 mit dem Fall der sogenannten „sozialistischen" Regimes, der es der gesamten Weltbourgeoisie erlaubten, eine gewaltige antikommunistische Kampagne zu lancieren und das „Ende des Klassenkampfes" zu verkünden.
Die Zweifel an den Fähigkeiten der Arbeiterklasse zu bekämpfen ist eine grundlegende Aufgabe. Dieses Ziel hat die vorliegende Artikelreihe, die möglichst nachvollziehbar auf ganz konkrete Fragen antworten will, die unsere Leser und die Teilnehmer an unseren Veranstaltungen aufwerfen. An einer Diskussionsveranstaltung, die wir im Sommer 1999 gegen den imperialistischen Krieg in Jugoslawien durchführten, hatten einige Teilnehmer folgende Zweifel: Die Zunahme der Arbeitslosigkeit, das Verschwinden der traditionell sehr kämpferischen Schichten der Arbeiterklasse wie der Bergarbeiter, die Ausbreitung von Tätigkeiten, die in völliger individueller Isolation ausgeführt werden müssen (wie die Heimarbeit am Computer, Drecksarbeit oder die Verwandlung der Lohnarbeiter in „Selbstständige" etc.) - hat all das die kollektiven Fähigkeiten der Arbeiterklasse nicht auf eine Weise verringert, so dass ihr letztlich die gesamte materielle Kraft für die Revolution entrissen wird?
Es ist völlig richtig, dass mit der Verschärfung der Krise die Zahl der angestellten Arbeiter tendenziell abnimmt, und zwar sowohl in den industrialisierten wie auch in den peripheren Ländern. Der Kapitalismus basiert auf der Ausbeutung der Lohnarbeit; der sicherste und beständigste Ursprung der Ausdehnung seiner Gewinne ist der ständige Zuwachs von Lohnarbeitern, aus denen der Mehrwert herausgepresst wird. Einer der schlagenden Beweise des historischen Bankrotts des Kapitalismus ist die während dem 20. Jahrhundert stattgefundene Verringerung der Anzahl von Lohnarbeitern im Verhältnis zur aktiven Bevölkerung überhaupt. Diese Tendenz hat seit Beginn der 80er Jahre mit dem massiven Prozess der industriellen Demontage rasant zugenommen.
Doch bedeutet dies, dass wir an einen Punkt gelangen werden, wo „keine Arbeiter mehr übrig bleiben"? Dies ist die illusorische Spekulation, die gewisse Verteidiger der bürgerlichen Ordnung betreiben, wenn sie von einer Welt reden, in der die Technologie, die Roboter, die Klone und andere „große Erfindungen" es erlauben, die Arbeiterklasse praktisch zum Verschwinden zu bringen. Angesichts dieser Dummheiten wollen wir daran erinnern, dass der Kapitalismus, so sehr es seinen Ideologen auch widerstrebt, dies einzugestehen, ohne die Ausbeutung der Arbeiterklasse gar nicht existieren kann. „Die Arbeiterklasse zieht ihre Kraft aus ihrer zentralen Position im Produktionsprozess. Das Kapital besteht nicht einzig aus Maschinen und Rohstoffen, sondern es ist vor allem eine gesellschaftliche Beziehung (...) Es kann keinen Kapitalismus ohne Mehrwert und geben und keinen Mehrwert ohne Arbeit des Proletariats" (International Review Nr. 34 „Die Zweifel an der Arbeiterklasse", S. 26, frz./engl./span. Ausgabe).
Diese Ideologen verheimlichen dreist, dass die Hauptursachen der Verminderung der Zahl der Arbeiter die Arbeitslosigkeit und die Krise sind, die jene nach sich zieht. In Wirklichkeit sind die „neuen Technologien" einzig eine hoffnungslose Anpassung an die ausweglose Krise. Es besteht ein qualitativer Unterschied zwischen der Anwendung der neuen Technologien in der aufsteigenden Periode des Kapitalismus und seiner Anwendung in der Gegenwart. Die Arbeitslosigkeit, die während der aufsteigenden Periode entstand, hatte einen vorübergehenden Charakter, die entlassenen Arbeiter wurden zu einer „Reservearmee", die schlussendlich von anderen Wirtschaftszweigen absorbiert wurde. Im Gegensatz dazu ist die Einführung neuer Technologien heute eine Antwort auf das Problem der Überproduktion, welche weit davon entfernt ist, sich abzuschwächen, sich vielmehr weiter verschärft und immer mehr Arbeiter aufs Pflaster wirft.
Wenn man von der zahlenmäßigen Verminderung der Arbeiterklasse spricht, wird meist fälschlicherweise unterstellt, dass die Arbeitslosen kein Teil der Klasse mehr seien. Die ideologische Propaganda der Bourgeoisie und die Gewerkschaften wollen uns und den Arbeitslosen selbst weismachen, dass sie eine besondere Kategorie seien, eine Masse von Ausgeschlossenen und Marginalisierten, ein Haufen von Gescheiterten und Unnützen, für die man paternalistische „Umschulungs-" und „Wiedereingliederungsprogramme" anwenden müsse.
Aber diese Sicht ist eine Mystifizierung, die vom kapitalistischen Staat bewusst fabriziert worden ist. Die Arbeitslosigkeit ist eine Lebensbedingung, mit der die gesamten Arbeiterklasse konfrontiert ist. Alle Arbeitslosen sind Arbeiter, und alle Arbeiter sind potentielle Arbeitslose, in der Gegenwart oder in der Zukunft. Die Arbeitslosigkeit entsteht aus der spezifischen Lage der Arbeiter: Sie sind getrennt von den Produktionsmitteln und den Lebensmitteln, sehen sich gezwungen, den Leidensweg der Lohnarbeit zu beschreiten, um sich ihren Lebensunterhalt zu sichern. Eine Arbeit zu bekommen ist abhängig von einigen unerbittlichen und globalen Faktoren, die jenseits der beruflichen Fähigkeiten des Proletariers liegen, jenseits von seiner Bereitschaft, seinen Anstrengungen: von der Verschlimmerung der historischen Krise des Kapitalismus. Während die Arbeitslosigkeit „im 19. Jahrhundert ein vorübergehendes Problem darstellte und der Kapitalismus noch die Fähigkeit besaß, die Arbeitslosen wieder im Produktionsprozess zu absorbieren, sind im 20. Jahrhundert die ‚Lösungen’, die er erfindet, nur vorübergehend und die Unfähigkeit, die Arbeitslosen zu absorbieren, andauernd" (Manifest über die Arbeitslosigkeit).
Aus diesen Gründen müssen die Arbeitslosen in ihren Kämpfen die Einheit und die Solidarität mit ihren arbeitenden Brüdern suchen. Sie müssen in Massen zu den Fabrikentoren, in die Wohnblocks und die Arbeitsämter strömen. Gleichzeitig müssen die erwerbstätigen Arbeiter in ihren Kämpfen in die Quartiere strömen, um dort die Vereinigung des Kampfes mit den arbeitslosen Genossen zu suchen. Die einen oder anderen werden den Ruf der Streiks von Vitoria (Spanien) von 1976 ausstoßen: Wir sind Arbeiter, vereinigen wir uns!
All das macht die materielle Grundlage der Arbeiter aus (sowohl der angestellten als auch der arbeitslosen) und hat sich in unzähligen Kämpfen während er 20er, der 30er und der 80er Jahre konkret bestätigt. Was die einen von den anderen trennt, liegt nicht in der Technologie oder den „Veränderungen der gesellschaftlichen Beziehungen und der Lebensbedingungen" begründet, wie die Soziologen mit akademischen Scheuklappen betonen, sondern in der Politik des kapitalistischen Staates, der mit seinen Gewerkschaften und ideologischen Kampagnen alles Mögliche unternimmt, um die Arbeiter voneinander zu trennen und gegeneinander aufzuhetzen.
Auch wenn die Arbeiterklasse in der Gesamtbevölkerung nur eine Minderheit ausmacht, besitzt sie ein entscheidendes politisches und gesellschaftliches Gewicht. Die Revolution von 1917 in Russland wurde von einem Proletariat vollzogen, das gerade einmal drei Prozent der Bevölkerung ausmachte. Lenin betonte, dass „die Macht des Proletariats in einem kapitalistischen Land ungemein größer ist als sein zahlenmäßiger Anteil innerhalb der Bevölkerung. Das liegt darin begründet, dass das Proletariat in der kapitalistischen Wirtschaft eine Schlüsselstellung einnimmt und auch auf der politischen und ökonomischen Ebene die wirklichen Interessen der großen Mehrheit der werktätigen Bevölkerung ausdrückt."
Das illustrierte die weltrevolutionäre Welle von 1917-23, als sich das Proletariat an die Spitze des Kampfes gegen den Krieg und das grausame Elend der Nachkriegszeit stellte und damit einen enormen Enthusiasmus bei den Ausgebeuteten aller Länder auslöste. Wenn heute die Bourgeoisie versucht, den Korporatismus in den Arbeiterkämpfen1 zu begünstigen, wenn sie Ränke schmiedet, um Streiks unbeliebt zu machen, so geschieht dies genau deshalb, weil sie weiß, dass die Arbeiterklasse ein Potential in ihren Händen hält, das es ihr erlaubt, die Frustration und die Unzufriedenheit der Mehrheit der Weltbevölkerung in eine gigantische revolutionäre Flut umzuwandeln.
Haben die neuen Formen der Arbeitsbedingungen, die verschiedenen Arbeitsverträge, die Flexibilität, das Erscheinen neuer an die „neuen Technologien" angepasster Berufsrichtungen nicht zu einer Vereinzelung und Zerstreuung geführt, bis hin zur Unfähigkeit, sich als vereinigte und kollektive Kraft zusammenzuschließen? Die Soziologen stellen in der Arbeiterklasse viele Spaltungen fest. Für sie existiert die Arbeiterklasse soziologisch nicht mehr. Für sie gibt es eine privilegierte Minderheit mit garantierten Arbeitsstellen auf der einen, eine wachsende Masse von Marginalisierten auf der anderen Seite. Zudem gehen sie von dem Verschwinden des „klassischen Arbeiters" aus, der kämpferisch ist und in der Traditionen des Klassenkampfes steht (Bergleute, Metall- und Werftarbeiter), und vom Auftauchen zahlreicher Schichten, die sich nicht als Arbeiter fühlen, weil sie über eine gute berufliche Ausbildung verfügen, sich spezialisiert haben und ein gewisses Sozialprestige genießen etc.. All dies führte jene Soziologen dazu, den Tod des Konzepts der Arbeiterklasse zu proklamieren.
Leider gibt es revolutionäre Gruppen, die zur Kommunistischen Linken gehören und sich dennoch von solchen haltlosen Analysen anstecken lassen, deren „Überzeugungskraft" hauptsächlich in der ständigen Wiederholung durch die bürgerlichen Medien liegt2. Auf der einen Seite sprechen einige bordigistische Gruppen von der Spaltung der Arbeiterklasse zwischen der ersten und der dritten Welt. Die Arbeiter der ersten Welt würden mit ihrer Bourgeoisie in Bezug auf die nationale Unterdrückung und die Lohnausbeutung gegen ihre Brüder der dritten Welt kollaborieren. Die Bordigisten weisen ferner auf eine Trennungslinie innerhalb der beiden proletarischen Sektoren zwischen Festangestellten, Armen und Marginalisierten hin.Auf der anderen Seite gehen die Genossen von Battaglia Communista, die zwar in ihren Verirrungen weniger weit gehen, davon aus, dass die „technologische Revolution" die Zusammensetzung der Arbeiterklasse derart verändert habe, dass die materielle und subjektive proletarische Substanz verschwinde.
Wir bestreiten die Wichtigkeit, die diese Spaltungen haben können, nicht. Wir möchten aber zwei Momente anfügen, die die bürgerliche Ideologie sorgfältig verdeckt.
Es scheint so, als ob die „Globalisierung und die Revolution der Kommunikationstechnologie" die Schwelle zu einer neuen Ära wären. Das Gegenteil ist der Fall. Diese „Globalisierung" und der „Austausch via Internet" gründen immer noch auf dem, was die grundlegende Substanz des Kapitalismus ausmacht: auf der Trennung der Produzenten von ihren Lebensmitteln, auf der Lohnarbeit, der Abschöpfung des Mehrwerts, dem Widerspruch wischen der gesellschaftlichen und weltweiten Produktion und der privaten und nationalen Form ihrer Aneignung.
Diese „neuen Formen der Arbeit" sind weit davon entfernt, eine neue, „jugendliche" Etappe in der Entwicklung des Kapitalismus zu sein. Sie sind vielmehr verzweifelte Versuche der Unternehmen, sich im Zuge der Zuspitzung der ökonomischen und finanziellen Schwierigkeiten über Wasser zu halten. Deshalb bedeutet die Verschärfung der Krise auf der Ebene des proletarischen Alltags immer eine Zuspitzung der Ausbeutung und der Unsicherheit, unabhängig von den konkreten Formen, die die Arbeitsbedingungen gerade annehmen. Die Schlussfolgerung von Marx in seiner Polemik mit Proudhon bleibt gültig und ist überhaupt nicht „veraltet": „Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter verwandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen. So ist diese Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapital" (Das Elend der Philosophie, MEW Bd. 4 S. 180 f.).
Abgesehen davon: Sind denn diese „neuen Formen der Arbeitsbedingungen" überhaupt neu? Im Laufe der kapitalistischen Geschichte ist eine feste Lebensstelle eher die Ausnahme als die Regel gewesen. Sie kam teilweise während des Aufbaus großer Industrien in der Blütezeit des Kapitalismus zwischen 1877-1913 vor und auf der anderen Seite während der Phase nach dem Zweiten Weltkrieg, als der „Sozialstaat" eine garantierte Arbeitsstelle anbot als Ausgleich zur anwachsenden Ausbeutung und den niedrigen Löhnen. Trotzdem blieb der Stellenwechsel, die Emigration, die Unsicherheit bei unzähligen Generationen der Arbeiterklasse bestehen. Heute zerfällt diese Illusion der Sicherheit der Nachkriegsphase 1945-1980 und offenbart sich die nackte Realität der Bedingungen der Arbeiter. Der Kapitalismus beraubt sie der für das Überleben notwendigen Mittel. Doch bedeutet das nicht eine Rückkehr ins 19. Jahrhundert. Während die Arbeiter damals von Stadt zu Stadt, von Arbeitsstelle zu Arbeitsstelle wanderten, um ihre Situation zu verbessern, hatten sie in jener Phase der Entwicklung der Produktivkräfte und der Ausweitung der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse noch reale Möglichkeiten der Verbesserung und der Reformen bezüglich der Arbeitsbedingungen. Heute dagegen passiert das Gegenteil. Wir leben in der Epoche der permanenten Überproduktion, in einem nicht aufzuhaltenden Verfall aller das Leben betreffender Aspekte, von der Unfallgefahr bis zur ständig zunehmenden Furcht, im Alter keine existenzsichernde Rente zu haben.
Die garantierte, lebenslängliche Arbeitsstelle, von der die Arbeiter des öffentlichen Dienstes angeblich profitieren, ist die Fahne, die die Bourgeoisie bis zum Erbrechen schwenkt, um die Arbeiter im Privatsektor zu provozieren und sowohl die einen wie die anderen daran zu hindern zu verstehen, dass die wirtschaftliche Lage letztlich nicht so verschieden, sondern im wesentlichen die gleiche ist: bedrohte Altersrenten, sinkende Löhne, immer härtere Arbeitsbedingungen.
Es stimmt, dass einige Sektoren der Arbeiterklasse die Illusion haben, dass ihre Ausbildung und Spezialisierung eine individuelle Waffe im Arbeitskampf darstellt, und deshalb nicht auf die kollektive Kraft der Arbeiterklasse vertrauen. Es ist auch wahr, dass die Chefs eine Ideologie der individuellen Beziehung jedes Arbeiters mit seinem Arbeitgeber auf Kosten des gemeinsamen Arbeiterkampfes propagieren. Was bleibt, ist aber die nackte Realität der Unsicherheit des Arbeitsplatzes, die zunehmende Ausbeutung und das Kürzen der Sozialleistungen, die Verschlechterung der Renten, die Arbeitslosigkeit, die Inflation, die die Löhne senkt. Das ist die allgemeine Wahrheit für alle Arbeiter, Arbeitslosen, Hilfsarbeiter, kleine Selbständige etc.
Was die Vereinigung all dieser Kategorien verhindert, sind nicht „technologische" Faktoren oder „objektive Veränderungen" der „gesellschaftlichen Strukturen". Die Bourgeoisie setzt alles daran, diese Verfälschungen am Leben zu erhalten und sie zu verbreiten. Denn die Arbeiter, die an sie glauben, gehen davon aus, dass ihre Schwierigkeiten im Kampf und in ihrer Einheit etwas „Objektives", Festgelegtes sei, gegen das man nichts machen könne, so dass nur die Verzweiflung und die blinde Rebellion bleibe.
Doch die zentralen Ursachen der Schwierigkeiten, sich zu organisieren, Bewusstsein zu erlangen und zu kämpfen, liegen in der politischen Tätigkeit des bürgerlichen Staatsapparates: der Gewerkschaften, der linken Parteien, der „extremen Linken" und deren ideologischen Kampagnen. Es gilt, gegen die Isolierung und für die Organisierung in Vollversammlungen und in von den Arbeitern gewählten und vor ihnen verantwortlichen Streikkomitees zu kämpfen. Das ist der Weg, um die Einheit, die Kraft und das Klassenbewusstsein zu gewinnen.
Adalen, 9.9.99
1 Korporatismus ist die meist von den Gewerkschaften verfolgte Politik, den Kampf der Arbeiter auf eine bestimmte Berufsbranche (eine Korporation) zu beschränken.
2 Die „demokratische" Bourgeoisie lässt sich diesbezüglich durch Hitlers Propagandaminister Goebbels beraten, der gesagt hat, dass sich eine Lüge, wenn sie tausendmal wiederholt wird, schließlich in Wahrheit verwandelt.
Links
[1] https://de.internationalism.org/content/1217/kommunismus-oder-anarchismus-welche-perspektive-fuer-die-arbeiterklasse
[2] https://de.internationalism.org/en/tag/2/32/die-einheitsfront
[3] https://de.internationalism.org/en/tag/historische-ereignisse/zweiter-weltkrieg
[4] https://de.internationalism.org/en/tag/3/44/internationalismus
[5] http://www.de
[6] mailto:sozialbefreiung@gmx.de