1) Die weit verbreiteten Lügen, die, als die stalinistischen Regime Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre zusammenbrachen, vom ‘endgültigen Scheitern des Marxismus’ sprachen, sind nicht neu. Genau vor einem Jahrhundert mußte der linke Flügel der II. Internationale mit Rosa Luxemburg an seiner Spitze gegen die revisionistischen Auffassungen ankämpfen, die behaupteten, daß Marx sich vollkommen geirrt hatte, als er angekündigte, der Kapitalismus sei zum Scheitern verurteilt. In den nachfolgenden Jahrzehnten boten der 1. Weltkrieg und dann die große Depression der 30er Jahre nach dem kurzen Zeitraum des Wiederaufbaus der Bourgeoisie wenig Raum, um diese Botschaft zu verbreiten. Auf der anderen Seite ermöglichten die beiden Jahrzehnte ‘Wohlstand’ nach dem 2. Weltkrieg ein neues Aufblühen von ‘Theorien’, die ‘ein für allemal’ den Marxismus begruben und seine Vorhersage, daß der Kapitalismus zusammenbrechen werde. Diese Theorien waren auch in verschiedenen ‘radikalen’ Kreisen weit verbreitet. Mit dem Aufbrechen der offenen Krise Ende der 60er Jahre verstummten diese Lieder der Selbstbeweihräucherung dann, aber die langsame Entwicklung der Krise, die von Phasen des ‘Aufschwungs’ unterbrochen wurde, wie der des britischen und amerikanischen Kapitalismus zum gegenwärtigen Zeitpunkt, hat es der bürgerlichen Propaganda ermöglicht, gegenüber der großen Mehrheit von Arbeitern die Wirklichkeit und das Ausmaß der Sackgasse zu verbergen, in die die kapitalistische Produktionsform heute geraten ist. Deshalb ist es so wichtig für Revolutionäre, für Marxisten, ständig all die bürgerlichen Lügen über die Fähigkeit des Kapitalismus zu entblößen, derzufolge dieser ‘die Krise überwinden’ könne; insbesondere müssen all die ‘Argumente’ entlarvt werden, die diese ‘Fähigkeit’ des Kapitalismus angeblich unter Beweis stellen.
2) In Anbetracht der Unleugbarkeit der Krise fingen die ‘Experten’ Mitte der 70er Jahre an, alle möglichen Erklärungen aufzutischen, die die Bourgeoisie dank der rosigen Aussichten ihres Systems beruhigen sollten. Unfähig, sich ihren endgültigen Untergang vorzustellen, mußte die herrschende Klasse nicht nur ihre Ausgebeuteten mystifizieren, sondern sie brauchte diese Verschleierungen auch für sich selber, um die wachsenden Schwierigkeiten der Weltwirtschaft zu erklären, indem man auf einzelne Ursachen zeigte, und somit der Erklärung der wirklichen Ursachen aus dem Weg ging. Eine Erklärung nach der anderen wurde vorgeschoben:
- die ‘Ölkrise’, die dem Yom Kippur Krieg von 1973 folgte (diese Erklärung ‘vergißt’, daß die offene Krise 6 Jahre zuvor angefangen hatte, und daß die Ölpreise nur eine Verschlimmerung beschleunigten, die schon in den Rezessionen von 1967 und 71 aufgetreten war);
- die Exzesse der neo-keynesianischen Politik, die seit Kriegsende praktiziert worden war und zur galoppierenden Inflation geführt hatte. Die Schlußfolgerung lautete: wir brauchen ‘weniger Staat’;
- die Exzesse der ‘Reagonomics’ in den 80er Jahren, die eine bis dahin noch nie dagewesene Erhöhung der Arbeitslosigkeit in den Industriezentren mit sich brachte.
Im Grunde mußte sich die Bourgeoisie an der Idee festklammern, daß es einen Ausweg gab, und daß mit einem besseren Management die Weltwirtschaft wieder zu den Blütephasen des Nachkriegsbooms zurückkehren könnte. Es ging einfach darum, das verloren gegangene Geheimnis des ‘Wohlstands’ wieder zu finden.
3) Lange Zeit sollten die wirtschaftlichen Leistungen Deutschlands und Japans zum Zeitpunkt, als andere Länder schon im Dreck steckten, diese Fähigkeit des Kapitalismus, die Krise zu überwinden, verdeutlichen: ‘Wenn jedes Land so tugendhaft wäre wie die beiden Verlierer des 2. Weltkriegs, würde wieder alles in Ordnung kommen’ - so lautete das Glaubensbekenntnis vieler kapitalistischer Prediger. Heute gehören auch Japan und Deutschland zu den ‘Kranken’. Nachdem es sehr schwierig ist, zu den früheren alten fabelhaften Wachstumsraten zurückzukehren, ist Japan vor kurzem neben Brasilien und Mexiko in die Kategorie D des Indexes der wegen Anhäufung von Schulden von Staat, Firmen und Privathaushalten am meisten gefährdeten Staaten eingestuft worden (seine Gesamtverschuldung übersteigt die Produktion von zweieinhalb Jahren Wirtschaftstätigkeit). Was Deutschland betrifft, verzeichnet es heute die höchste Arbeitslosenrate in der EU und ist gegenwärtig nicht dazu in der Lage, die Maastrichter Kriterien zur Einführung der Einheitswährung zu erfüllen. Schließlich ist es offensichtlich geworden, daß die angebliche ‘Tugend’ dieser Länder in der Vergangenheit einfach die kopflose Flucht in die Verschuldung verdeckt, die den Kapitalismus schon seit Jahrzehnten geprägt hat. Tatsächlich sind die gegenwärtigen Schwierigkeiten dieser beiden Länder, die sich in den 70er und 80er Jahren in ‘bester Verfassung’ befanden, eine Verdeutlichung, daß es dem Kapitalismus unmöglich ist, endlos lange seine eigenen Gesetze auszuhebeln. Darauf hatte der Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg beruht; und dies hatte ihm bislang auch ermöglicht, einen ähnlichen Zusammenbruch wie den der 30er Jahre zu vermeiden: nämlich der systematische Einsatz des Kredits.
4) Zur Zeit, als sie die revisionistischen ‘Theorien’ entlarvte, war Rosa Luxemburg schon dazu gezwungen, deren Auffassung zu zerstören, derzufolge der Kredit es dem Kapitalismus ermöglichen würde, seine Krisen zu überwinden. Während der Kredit zweifelsohne ein Ansporn für die Entwicklung dieses Systems war, sowohl aus dem Blickwinkel der Zirkulation als auch der Konzentration des Kapitals, vermochte der Kredit nie einen wirklichen Markt als Boden der kapitalistischen Expansion zu ersetzen. Geld für die Zukunft zu borgen, erlaubt die Produktion und den Kauf von Gütern zu beschleunigen, aber früher oder später muß dieses Geld zurückbezahlt werden. Und diese Rückzahlung ist nur möglich, wenn ein Austausch auf dem Markt stattfindet - was aber nicht automatisch durch die Produktion geschieht, wie Marx systematisch gegen die bürgerlichen Ökonomen bewiesen hat. Schlußendlich vergrößert der Kredit - weit davon entfernt, die Krise des Kapitalismus zu überwinden, nur deren Ausmaß und ihre Schwere, wie Rosa Luxemburg in ihrer marxistischen Analyse herausstellte. Heute bleiben die Thesen der marxistischen Linken gegen die Revisionisten aus der Zeit der Jahrhundertwende grundlegend gültig. Der Kredit kann heute genausowenig einen zahlungsfähigen Markt schaffen. Aber in Anbetracht der endgültigen Sättigung der Märkte (wogegen im letzten Jahrhundert noch die Möglichkeit der Eroberung neuer Märkte bestand), ist der Kredit zu einer unabdingbaren Bedingung für das Aufsaugen von Gütern geworden und ersetzt somit den wirklichen Markt.
5) Diese Realität trat schon nach dem 2. Weltkrieg deutlich zum Vorschein, als der Marshall-Plan es den USA nicht nur ermöglichte, zur Bildung des amerikanischen Blocks beizutragen, sondern auch einen Absatzmarkt für ihre Industrie zu schaffen. Der Wiederaufbau der europäischen und japanischen Wirtschaft hatte diese in den 60er Jahren zu Rivalen der US-Wirtschaft werden lassen, womit die Rückkehr der offenen Krise des Weltkapitalismus eingeläutet wurde. Seitdem hat es die Weltwirtschaft vor allem mittels des Kredits, der Politik wachsender Verschuldung, geschafft, eine brutale Depression wie die der 30er Jahre zu vermeiden. So wurde die Rezession von 1974 dank der gigantischen Schulden, die die 3. Welt angehäuft hatte, bis Anfang der 80er Jahre herausgeschoben, womit die Schuldenkrise Anfang der 80er Jahre eingeleitet wurde, die mit dem Ausbruch einer neuen Rezession zusammenfiel, die sich als noch verheerender erweisen sollte als die von 1974. Diese neue weltweite Rezession wurde wiederum nur überwunden durch das schwindelerregende Handelsdefizit der USA, deren wachsenden Auslandsschulden mit denen der 3. Welt wetteiferten. Parallel dazu explodierten die Haushaltsdefizite der Industriezentren, die zwar eine gewisse Belebung der Nachfrage bewirkten, aber die Staaten in einen wirklichen Bankrott trieben (diese Staatsschulden liegen je nach Land zwischen 50 und 130% der Jahresproduktion). Darüber hinaus ist eine offene Rezession, die als negative Wachstumsrate der Produktion eines Landes definiert wird, keinesfalls der einzige Indikator des Ausmaßes der Krise. In nahezu allen Ländern ist das jährliche staatliche Haushaltsdefizit (das der Kommunen nicht mit einbezogen) höher als der Anstieg der Produktion. Das bedeutet, wenn der Haushalt ausgeglichen wäre (was der einzige Weg zur Stabilisierung der akkumulierten Staatsschulden wäre), würden all diese Länder in eine offene Rezession eintreten. Der größte Teil dieser Verschuldung wird natürlich nicht zurückbezahlt. Mit dieser Verschuldung verbunden sind periodische, immer stärker werdende Finanzkrachs, die für die Weltwirtschaft wahre Beben bedeuten (1980, 1989) und die mehr als je zuvor auf der Tagesordnung stehen.
6) Wenn wir diese Tatsachen in Erinnerung rufen, kann man die Realität hinter diesen Reden über die gegenwärtige ‘gesunde’ Wirtschaft in den USA und Großbritannien durchschauen, die als Gegenpol zu den schwachen Leistungen ihrer Konkurrenten dargestellt werden. Zunächst müssen wir die relative Beschränktheit dieser ‘Erfolge’ betonen. So ist der bedeutende Rückgang der Arbeitslosenrate in Großbritannien in einem großen Maße - selbst gemäß dem Eingeständnis der Bank von England - auf die Tatsache zurückzuführen, daß die Arbeitslosen aus der Statistik gestrichen wurden, die die Suche nach einem Job aufgegeben haben (die Kriterien für die Festlegung der Arbeitslosenzahl sind seit 1979 33 mal geändert worden). Diese Erfolge sind zu einem großen Teil auf die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder zurückzuführen, was wiederum sehr stark von der Schwäche ihrer Währungen abhängt. Das Pfund Sterling aus der europäischen Währungsschlange zu nehmen, hat sich bislang als guter Schachzug erwiesen. Mit anderen Worten: Dieser Erfolg fußt auf der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der anderen Länder. Diese Tatsache wurde zum Teil durch die weltweite Synchronisierung der Phasen von Rezession und ‘Aufschwung’ versteckt: Die relative Verbesserung findet nicht statt dank der Verbesserung der Lage der ‘Partner’, sondern grundsätzlich durch die Verschlechterung deren Lage, denn ‘Partner’ sind im wesentlichen Konkurrenten. Mit dem Verschwinden des amerikanischen Blocks nach dem Zusammenbruch seines russischen Rivalen Ende der 80er Jahre, ist die vorherige Abstimmung der Wirtschaftspolitik (z.B. durch die G7 Gipfel, was durchaus ein nicht zu vernachlässigender Faktor bei der Verlangsamung der Krise war) ersetzt worden durch eine zunehmend verzweifelte Tendenz des ‘Jeder für sich’. In solch einer Lage hat die führende Weltmacht das Privileg, ihre Diktate im Handelsbereich zugunsten ihrer eigenen Volkswirtschaft den anderen aufzuzwingen. Dies liefert zu einem beträchtlichen Ausmaß die Gründe für den gegenwärtigen ‘Erfolg’ des amerikanischen Kapitals.
Aber die gegenwärtigen Leistungen der britischen und amerikanischen Wirtschaft zeigen nicht nur keine mögliche Verbesserung der Weltwirtschaft insgesamt auf, sondern diese Entwicklung selber wird nicht lange anhalten. Als Teilnehmer am Weltmarkt, der seine völlige Sättigung nicht überwinden kann, wird die Wirtschaft dieser Länder unvermeidlich auf diese Sättigung stoßen. Vor allem ist es keinem dieser Länder gelungen, das Problem der allgemeinen Verschuldung zu überwinden (auch wenn die Haushaltsdefizite der USA in der letzten Zeit leicht zurückgegangen sind). Der beste Beweis dafür liegt in der Furcht der wichtigsten Wirtschaftsbehörden (wie des Chefs der US-Bundesbank), daß das gegenwärtige ‘Wachstum’ zu einer ‘Überhitzung’ der Wirtschaft und einer Rückkehr der Inflation führen wird. Tatsächlich verbirgt sich hinter dieser Furcht vor einer Überhitzung die Erkenntnis, daß das heutige ‘Wachstum’ sich auf ungeheure Schulden stützt, die unvermeidbar zu einem katastrophalen Ausschlag des Pendels führen werden. Die äußerst zerbrechliche Grundlage des gegenwärtigen Erfolgs der amerikanischen Wirtschaft wurde wieder durch die Panik an der Wall Street und anderen Börsenplätzen der Welt deutlich, als die Fed Ende März 97 eine geringfügige Erhöhung der Leitzinsen ankündigte.
7) Unter den Lügen, die von der herrschenden Klasse landauf landab verbreitet werden, um den Glauben an die Überlebensfähigkeit des Systems zu stärken, nehmen die südostasiatischen Länder, die ‘Drachen’ (Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur) und ‘Tiger’ (Thailand, Indonesien und Malaysia) einen besonderen Platz ein, denn deren Wachstumsraten (manchmal gar zweistellig) erregen den Neid der westlichen Bourgeoisie. Deren Beispiel sollen uns vor Augen halten, daß der Kapitalismus sowohl die rückständigen Länder entwickeln und den Rückfall in die Stagnation vermeiden kann. Aber das ‘Wirtschaftswunder’ der Mehrzahl dieser Länder (insbesondere Südkoreas und Taiwans) ist keineswegs zufällig. Es ist die Konsequenz einer dem Marshall-Plan ähnlichen Maßnahme, die von den USA während des Kalten Krieges mit dem Zweck entworfen wurde, das Vordrängen des russischen Blockes in dieser Region aufzuhalten (massive Kapitalspritzen gar bis zur Höhe von 15% des BSP, direktes Eingreifen in die Volkswirtschaft der Länder, insbesondere indem man sich auf den Militärapparat stützte, um die fast gar nicht vorhandene nationale Bourgeoisie zu ersetzen und den Widerstand des Finanzsektors zu überwinden usw.). Als solche können diese Beispiele keineswegs auf die ganze 3. Welt übertragen werden, denn der Großteil der 3. Welt rutscht weiter ab in eine unvorstellbare Katastrophe. Darüber hinaus haben die Schulden der meisten dieser Staaten - sowohl die Auslandsschulden als auch die Staatsverschuldung - so gewaltige Ausmaße erreicht, daß sie den gleichen Gefahren ausgesetzt sind wie alle anderen Staaten. Während die sehr niedrigen Arbeitskosten in diesen Ländern sehr attraktiv für viele westliche Unternehmen sind, liefert die Tatsache, daß sie jetzt auch zu Wirtschaftsrivalen der fortgeschrittenen Länder werden, sie auch dem Risiko aus, daß die Letztgenannten Handelsschranken gegen deren Exporte errichten. Obgleich sie bislang eine Ausnahme darstellten, wie ihr großer japanischer Nachbar auch, können diese Länder nicht endlos lange den Widersprüchen der Weltwirtschaft entfliehen, welche die anderen ‘Erfolgsgeschichten’ zu einem Schreckgespenst haben werden lassen wie im Falle Mexikos. Aus all diesen Gründen ergreifen die internationalen Experten und die Finanzinstitutionen - während sie gleichzeitig Lobesreden auf sie halten - jetzt schon Maßnahmen, um die Finanzrisiken, die diese Länder darstellen, einzuschränken. Und die Maßnahmen mit dem Ziel, die Arbeitskräfte zu mehr ‘Flexibilität’ zu zwingen, wie der Hintergrund der neulich in Korea stattgefundenen Streiks zeigt, beweisen, daß sich die nationale Bourgeoisie selber am deutlichsten darüber bewußt ist, daß das beste Stück Kuchen schon gegessen wurde. Wie die Zeitung ‘The Guardian’ am 16.10.96 schrieb: ‘Die Frage ist, welcher Tiger am ersten zusammenbrechen wird’.
8) Der Fall Chinas, das von einigen als die kommende Weltmacht des nächsten Jahrhunderts gepriesen wird, ist auch keine Ausnahme von der Regel. Die Bourgeoisie dieses Landes hat bislang einen erfolgreichen Übergang hin zu den klassischen Formen des Kapitalismus vollzogen, im Gegensatz zu Osteuropa, das, von einigen Ausnahmen abgesehen, total im Dreck steckt, womit dem ganzen Gerede über die ‘gewaltigen Aussichten’ dieser Länder nach dem Zusammenbruch des Stalinismus der Boden entzogen wird. China bleibt jedoch nach wie vor von einer gewaltigen Unterentwicklung geprägt, wobei der Großteil der Wirtschaft wie in allen stalinistischen Regimen unter dem Gewicht der Bürokratie und der Rüstungslasten erstickt. Die Behörden selber haben zugegeben, daß der staatliche Bereich überall defizitär arbeitet und daß unzähligen Arbeitern die Löhne noch nicht ausgezahlt wurden. Und auch wenn der private Bereich dynamischer ist, kann damit das Gewicht des Staatssektors nicht überwunden werden, und er bleibt ohnehin besonders abhängig von den Schwankungen des Weltmarktes. Schließlich kann die ‘eindrucksvolle Dynamik’ der chinesischen Wirtschaft die Tatsache nicht verdecken, daß selbst bei Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Wachstumsraten gegen Ende des Jahrhunderts ca. 250 Millionen Arbeitslose vorhanden sein werden.
9) Egal aus welchem Blickwinkel man schaut, solange man den Lobliedern der Anhänger der kapitalistischen Produktionsform widersteht und sich auf die Lehren des Marxismus verläßt, kann die Perspektive der Weltwirtschaft nur die einer wachsenden Katastrophe sein. Der sogenannte ‘Erfolg’ bestimmter Länder zum jetzigen Zeitpunkt (der angelsächsischen und südostasiatischen Länder) stellt keineswegs die Zukunftsperspektive des Kapitalismus insgesamt dar. Es handelt sich nur um eine optische Illusion, die die Katastrophe nicht mehr lange verbergen kann. Ebenso ist das ganze Gerede von ‘Globalisierung’, die angeblich einen Zeitraum des freien, expandierenden Handels öffnet, nichts anderes als ein Schutzschild, um die in diesem Maße nicht dagewesene Zuspitzung des Handelskrieges zu übertünchen. Auf diesem Hintergrund stellen Handelsblöcke wie die Europäische Union genauso eine Festung gegen die Konkurrenz anderer Länder dar. So wird die Weltwirtschaft, die gefährlich und unsicher auf einem Schuldenberg gratwandert, der nie zurückbezahlt werden wird, mehr und mehr den Erschütterungen des ‘Jeder für sich’ ausgesetzt sein, das ein ständiges Merkmal des Kapitalismus war, aber in der Phase des Zerfalls eine neue Stufe erreicht hat. Revolutionäre Marxisten können die genaue Form oder den Rhythmus des wachsenden Zusammenbruches der kapitalistischen Produktionsform nicht vorhersagen. Aber es gehört zu ihrer Aufgabe, zu verkünden und aufzuzeigen, daß das System in eine ausweglose Sackgasse geraten ist, und all die Lügen und Mythen des ‘Lichtes am Ende des Tunnels’ zu entblößen.
10) Mehr noch als in der Wirtschaft hat das dem Zerfall eigene Chaos Auswirkungen auf die politischen Beziehungen zwischen den Staaten. Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs des Ostblocks, der zur Auflösung der Allianzen führte, die aus dem 2. Weltkrieg hervorgegangen waren, schrieb die IKS:
- daß diese Lage die Bildung neuer Blöcke auf die Tagesordnung setzte, auch wenn dies noch nicht sofort möglich würde, wobei einer der Blöcke von den USA, der andere von Deutschland angeführt würde;
- daß die neue Lage sofort zu einer Reihe von offenen Zusammenstößen führen würde, die zuvor durch das Abkommen von Jalta in einem für die beiden Gendarmen der Welt ‘annehmbaren’ Rahmen gehalten werden konnten.
Die Tendenz zur Führung eines neuen Blocks um Deutschland hat nach der Wiedervereinigung dieses Landes anfänglich bedeutsame Schritte zurücklegen können. Aber dann hat die Tendenz des ‘Jeder für sich’ ziemlich schnell Überhand genommen im Verhältnis zur Tendenz der Bildung von festen Bündnissen, die als Grundlage zukünftiger imperialistischer Blöcke dienen könnten, wodurch wiederum die militärischen Zusammenstöße zugenommen haben. Das bedeutendste Beispiel war Jugoslawien, dessen Auseinanderbrechen durch antagonistische imperialistische Interessen der großen europäischen Staaten Deutschland, Großbritannien und Frankreich begünstigt wurde. Die Zusammenstöße im ehemaligen Jugoslawien haben einen Graben zwischen den beiden großen Verbündeten der europäischen Gemeinschaft, Deutschland und Frankreich aufgerissen, und zu einer spektakulären Annäherung zwischen Frankreich und Großbritannien sowie dem Ende der Allianz zwischen Großbritannien und den USA geführt, die im 20. Jahrhundert am stabilsten gewesen war und am längsten gedauert hatte. Seitdem ist diese Tendenz des ‘Jeder für sich’, des Chaos in den Beziehungen zwischen den Staaten mit seiner Reihe von zeitlich begrenzten und kurzweiligen Bündnissen nicht in Frage gestellt worden, sondern genau das Gegenteil ist eingetreten.
11) So sind in der letzten Zeit eine Reihe von wichtigen Änderungen der Bündnisse eingetreten, die sich zuvor gebildet hatten:
- tiefgreifende Aufweichung der Beziehungen zwischen Frankreich und Großbritannien, die besonders verdeutlicht wird durch die ausgebliebene Unterstützung der Forderung Frankreichs nach der Wiederwahl Boutros-Ghalis an der Spitze der UNO oder der Übernahme des Kommandopostens der Südflanke der NATO im Mittelmeer durch einen Europäer;
- der neuen Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland, deren Konkretisierung durch die Unterstützung Deutschlands der Forderungen Frankreichs zu erkennen war;
- die Konflikte zwischen den USA und Großbritannien wurden auf Eis gelegt, wobei Großbritannien unter anderem die Forderungen der USA bei diesen beiden Fragen unterstützte.
Eines der Merkmale dieser Entwicklung der Bündnisse hängt mit der Tatsache zusammen, daß nur die USA und Deutschland langfristig eine kohärente Politik entwickeln können. Dabei verteidigen die USA ihre Führungsrolle, Deutschland kämpft um die Ausdehnung seiner eigenen Führung in einem Teil der Welt. Die anderen Mächte müssen sich darauf beschränken, eine mehr punktuelle Politik zu verfolgen, die zum Großteil danach strebt, der von den beiden erstgenannten Mächten praktizierten Politik gegenzusteuern. Seitdem die Teilung der Welt in zwei Blöcke aufgehoben ist, wird die Autorität der ersten Großmacht der Welt ständig durch ihre ehemaligen Verbündeten herausgefordert.
12) Der spektakulärste Ausdruck dieser Führungskrise des Weltpolizisten ist der Bruch des historischen Bündnisses mit Großbritannien gewesen, den Großbritannien 1994 vollzogen hat. Auch die lange Machtlosigkeit der USA bis zum Sommer 1995 auf einem Hauptschauplatz der imperialistischen Zusammenstöße, im ehemalige Jugoslawien, hat dies verdeutlicht. Und im September 96 wurde dann nahezu einhellig die Bombardierung des Irak durch 44 Marschflugkörper verworfen, während es die USA 1990-91 noch geschafft hatten, von den gleichen Ländern für die Operation Wüstensturm Unterstützung zu erhalten. Insbesondere die entschlossene Ablehnung dieser Bombardierung durch Ägypten und Saudi-Arabien hebt sich deutlich ab von der totalen Unterstützung dieser Staaten der Region für Onkel Sam während des Golfkriegs. Als weitere Beispiele dieser Herausforderung der US-Führungsrolle wollen wir herausgreifen:
- den Proteststurm gegen das Helms-Burton-Gesetz, das die Verschärfung des Embargos gegen Kuba beabsichtigt; der kubanische Führer wurde anschließend mit großem diplomatischen Zeremoniell zum ersten Mal im Vatikan empfangen;
- die Regierungsübernahme der Rechten in Israel, die gegen den Willen der USA geschah; seitdem hat die rechte Regierung alles unternommen, um den Friedensprozeß mit den Palästinensern zu sabotieren, der einer der größten Erfolge der US-Diplomatie war;
- auf einer allgemeinen Ebene der Verlust der alleinigen Kontrolle in dieser entscheidenden Region, dem Nahen Osten. Die Aufwertung Frankreichs verdeutlicht dies, denn Frankreich hat sich als zweite Kraft bei der Lösung des Konfliktes zwischen Israel und dem Libanon Ende 1995 aufgedrängt. Der Erfolg Frankreichs in der Region wurde durch den herzlichen Empfang Chiracs durch Saudi-Arabien im Oktober 1996 bestätigt.
- die Einladung an mehrere europäische Staatschefs (unter ihnen Chirac, der mehrfach zur Unabhängigkeit von den USA aufgerufen hat) durch eine Reihe südamerikanischer Staaten, womit das Ende der grenzenlosen Kontrolle dieses Subkontinents durch die USA deutlich wird.
13) Wie der 12. Kongreß der Sektion der IKS in Frankreich schon vor einem Jahr feststellte, haben die USA in der letzten Zeit eine massive Gegenoffensive gestartet. Dies hat ein verstärktes Auftreten der USA im ehemaligen Jugoslawien vom Sommer 1995 ermöglicht. Dabei traten die USA im Rahmen des IFOR-Mandates auf, das die UNPROFOR ablösen sollte, welche jahrelang das Instrument des Übergewichtes des französisch-britischen Tandems gewesen war. Der größte Beweis des US-amerikanischen Erfolgs war die Unterzeichnung des Dayton-Abkommens zur Regelung des Bosnien-Konfliktes in den USA. Seitdem haben die USA ihre Offensive fortsetzen können. Vor allem haben sie dem Land, das sie am offensten herausgefordert hat, Frankreich, einen Schlag in dem Gebiet versetzen können, das Frankreich bislang als seinen ‘Hinterhof’ bezeichnen konnte - Afrika. Nach dem Zurückdrängen des französischen Einflusses in Ruanda entgleitet jetzt vor allem der Hauptstützpfeiler Frankreichs auf dem Kontinent, Zaire, seiner Kontrolle. Das Regime Mobutus zerfällt immer mehr unter den Auswirkungen der ‘Rebellion’ Kabilas, der massiv von Ruanda und Uganda, d.h. von den USA, unterstützt wird. Damit erhält Frankreich von den USA eine besonders harte Bestrafung. Die USA wollen somit exemplarisch gegenüber allen anderen Ländern handeln, die genauso wie Frankreich ständig die USA herausfordern möchten. Und diese Bestrafung soll die anderen Schläge ergänzen, die die USA in der letzten Zeit Frankreich nach der Ernennung des Nachfolgers von Boutros-Ghali und bei der Besetzung des NATO Oberbefehlshabers der Südflanke haben versetzen können.
14) Zum Großteil gerade weil die britische Bourgeoisie die Risiken erkannte hatte, die für sie entstehen, wenn sie die abenteuerliche Politik Frankreichs unterstützt (das sich immer wieder Ziele setzt, die seine wirklichen Möglichkeiten übersteigen), hat sie sich in der letzten Zeit gegenüber der französischen Bourgeoisie abgegrenzt. Diese Entwicklung wurde von den USA und Deutschland stark gefördert, denn sie konnten der von Frankreich und Großbritannien bei der Jugoslawienfrage eingegangenen Allianz nicht mit Wohlwollen begegnen. So hattten die amerikanischen Bombardierungen Iraks im September 96 den großen Vorteil, daß zwischen Frankreich und Großbritannien ein Keil getrieben wurde, da Frankreich Saddam Hussein nach besten Kräften unterstützt hatte, während Großbritannien genauso wie die USA auf den Umsturz dieses Regimes zielte. Deutschland hat ebenso alles unternommen, um die französisch-britische Solidarität bei Fragen, die Deutschland schaden, zu untergraben, wie bei der Frage der Europäischen Union und der Einheitswährung (im Dezember 96 fanden allein dazu drei deutsch-französische Gipfel statt). Auf dem Hintergrund dieses Rahmens muß man die jüngste Entwicklung der Bündnisse in der letzten Zeit einschätzen. Die Haltung Deutschlands und vor allem die der USA bestätigt das, was wir auf unserem letzten Kongreß sagten. ‘In solch einer Situation der Instabilität ist es für jedes Land einfacher, für Unruhe zu sorgen und dem Gegner Ärger zu bereiten, die Bündnisse zu untergraben, die es bedrohen, als selbst solide Bündnisse aufzubauen und für Stabilität im eigenen Herrschaftsgebiet zu sorgen.’ (Resolution zur internationalen Situation, Punkt 11, April 1995) Jedoch muß man auch die wichtigen Unterschiede sowohl hinsichtlich der Methode als auch hinsichtlich der Ergebnisse der Politik dieser beiden Mächte berücksichtigen.
15) Das Ergebnis der internationalen Politik Deutschlands begrenzt sich bei weitem nicht darauf, Frankreich von Großbritannien loszureißen und zu versuchen durchzusetzen, daß Frankreich das früher eingegangene Bündnis wieder erneuert. Dies konnte man anhand der militärischen Vereinbarungen in der letzten Zeit sowohl vor Ort in Bosnien feststellen (eine gemeinsame deutsch-französische Brigade wurde aufgestellt), als auch durch das Abkommen über militärische Zusammenarbeit (am 9. Dezember 96 wurde ein Abkommen über ein ‘gemeinsames Konzept im Bereich der Sicherheit und Verteidigung’ unterzeichnet). In Wirklichkeit können wir ein sehr starkes Vordrängen des deutschen Imperialismus beobachten, das sich konkret ausdrückt durch:
- die Tatsache, daß innerhalb der neuen Allianz zwischen Frankreich und Deutschland, Deutschland eine wesentlich günstigere Stellung gegenüber Frankreich einnimmt im Vergleich zur Zeit 1990-94 (Frankreich wurde zu einem guten Teil dazu gezwungen, sich wieder seiner alten Liebe zuzuwenden, nachdem sich Großbritannien von ihm abgewendet hat);
- eine Ausdehnung seines traditionellen Einflußgebietes in Richtung Osteuropa und insbesondere durch die Errichtung eines Bündnisses mit Polen;
- eine Verstärkung seines Einflusses in der Türkei (dessen neue, von dem Islamisten Erbakan geführte Regierung eher pro-deutsch eingestellt ist als die vorherige Regierung), und die ihm als Brückenkopf Richtung Kaukasus (wo sie nationalistische, gegen Rußland gerichtete Bewegungen unterstützt) und Iran dient, mit dem die Türkei eine Reihe wichtiger Abkommen unterzeichnet hat;
- die Entsendung von Kampfeinheiten außerhalb der Landesgrenzen, ein Novum seit dem 2. Weltkrieg, gerade in die besonders kritische Balkanregion mit der Stationierung von Kampfeinheiten in Bosnien im Rahmen des IFOR-Mandates (deshalb erklärte der deutsche Verteidigungsminister, daß ‘Deutschland in der neuen Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen wird’).
Darüber hinaus hat Deutschland mit Frankreich an seiner Seite diplomatische Vorstöße gegenüber Rußland unternommen, dessen erster Kreditgeber es ist. Auch hat Rußland keine entscheidenden Vorteile aus seinem Bündnis mit den USA gezogen.
16) So richtet sich Deutschland in seiner Rolle als imperialistischer Hauptrivale der USA ein. Man muß jedoch hinzufügen, daß Deutschland es bislang geschafft hat, seine Bauern vorzuschieben, ohne sich der Repression des amerikanischen Mastodons aussetzen zu müssen. Insbesondere hat Deutschland es systematisch vermieden, die USA so offen herauszufordern, wie es Frankreich tut. Die Politik des deutschen Adlers (der es bislang vermocht hat, seine Krallen zu verstecken) erweist sich letztendlich wirksamer als die des gallischen Hahns. Dies ist die Folge sowohl der Beschränkungen, die ihm sein Verliererstatus nach dem 2. Weltkrieg weiter auferlegt, (obgleich seine gegenwärtige Politik darauf abzielt, diesen Status zu überwinden), als auch der Sicherheit der einzigen Macht, die eventuell die Möglichkeit besitzt, langfristig die Führung eines neuen imperialistischen Blocks zu übernehmen. Aber dies ist auch auf die Tatsache zurückzuführen, daß Deutschland bislang seine Positionen hat ausbauen können, ohne seine militärische Stärke direkt einzusetzen (obgleich es seinen Verbündeten Kroatien in dessen Krieg gegen Serbien umfangreich unterstützt hat). Aber der historische Schritt, den die Entsendung von Kampfverbänden nach Bosnien darstellt, hat nicht nur ein Tabu gebrochen, sondern zeigt die Richtung auf, die es mehr und mehr einschlagen muß, um seinen Rang zu verteidigen. So wird der deutsche Imperialismus langfristig nicht nur durch Stellvertreter (wie im Falle Kroatiens und in einem geringerem Maße im Kaukasus) seinen Beitrag zu den blutigen Konflikten und den Massakern leisten, in denen die Welt heute versinkt, sondern er wird vermehrt direkt daran beteiligt sein.
17) Hinsichtlich der internationalen Politik der USA ist der Aufmarsch von Truppen nicht nur seit langem Bestandteil ihrer Methoden, sondern er ist heute das Hauptinstrument der Verteidigung ihrer imperialistischen Interessen, wie die IKS seit 1990 aufgezeigt hat, selbst bevor der Golfkrieg schon ausgelöst war. Gegenüber einer Welt, die von der Dynamik des ‘Jeder für sich’ beherrscht wird, und wo insbesondere die früheren Vasallen des amerikanischen Gendarms danach streben, sich so weit möglich aus der erdrückenden Vorherrschaft dieses Gendarmen zu befreien, die sie wegen der Bedrohung durch den gegnerischen Block ertragen mußten, besteht für die USA das einzige Mittel zur Aufrechterhaltung ihrer Autorität darin, sich auf das Instrument zu stützen, bei dem sie gegenüber allen andern Staaten eine haushohe Überlegenheit besitzen: die militärische Gewalt. Aber aufgrund dieses Einsatzes geraten die USA selber in einen Widerspruch:
- einerseits, falls sie auf den Einsatz oder die Zurschaustellung ihrer militärischen Überlegenheit verzichten, kann das die anderen, sie herausfordernden Staaten nur ermuntern, noch weiter vorzudrängen bei dieser Herausforderung;
- andererseits, falls sie diese rohe Gewalt anwenden, und selbst und vor allem wenn sie es dank dieses Mittels schaffen, die imperialistischen Appetite ihrer Gegner vorübergehend zurückzudrängen, werden diese aber danach streben, die erstbeste Gelegenheit zu ergreifen, um sich zu revanchieren und wieder versuchen, aus der US-Vorherrschaft auszubrechen.
Wenn die USA diese militärische Überlegenheit als Trumpfkarte ins Spiel bringen, bewirken sie das Gegenteil - je nachdem ob die Welt in Blöcke geteilt ist wie vor 1989, oder wenn die Blöcke nicht mehr bestehen. Als die Blöcke noch bestanden, neigte das Zur-Schau-Stellen dieser Überlegenheit dazu, das Vertrauen der Vasallen gegenüber ihrem Führer zu verstärken, da er die Fähigkeit besaß, sie wirkungsvoll zu verteidigen; deshalb stellt diese Karte dann einen Faktor des Zusammenhaltes um die USA dar. Wenn die Blöcke nicht mehr bestehen, bewirken die Demonstrationen der Stärke der einzig übrig gebliebenen Supermacht im Gegenteil nur, daß die Dynamik des ‘Jeder für sich’ nur noch verstärkt wird, solange es keine Macht gibt, die mit ihr auf dieser Ebene konkurrieren kann. Deshalb kann man die Erfolge der gegenwärtigen Konteroffensive der USA keinesfalls als endgültig ansehen oder als Überwindung ihrer Führungskrise. Die rohe Gewalt, die Manöver zur Destabilisierung ihrer Konkurrenten (wie heute in Zaire) mit all den tragischen Folgen werden deshalb weiter von den USA zum Einsatz kommen, und sie werden im Gegenteil das blutige Chaos, in das der Kapitalismus versinkt, noch weiter verschärfen.
18) Bislang hat dieses Chaos den Fernen Osten und Südostasien noch relativ verschont. Aber man muß die Anhäufung der explosiven Zündsätze erkennen, die sich dort vollzieht:
- Intensivierung der Aufrüstung der beiden Hauptmächte China und Japan;
- das Bestreben Japans, sich so weit wie möglich aus der Kontrolle durch die USA, die eine Erbschaft des 2. Weltkriegs ist, zu entwinden;
- eine offenere Politik der Herausforderung durch China (China spielt gewissermaßen die gleiche Rolle wie Frankreich im Westen, während Japans Diplomatie viel mehr der Deutschlands ähnelt);
- die Gefahr der politischen Destabilisierung Chinas (insbesondere nach dem Tod Dengs);
- das Gären einer Reihe von ‘Reibungspunkten’ zwischen Staaten (Taiwan und China, die beiden koreanischen Staaten, Vietnam und China, Indien und Pakistan usw.).
Genausowenig wie sie im Bereich der Wirtschaft den Erschütterungen wird ausweichen können, kann diese Region den imperialistischen Erschütterungen ausweichen, die heute die Welt erfassen und zum weltweiten Chaos beitragen, in das heute die kapitalistische Gesellschaft versinkt.
19) Dieses generalisierte Chaos mit der Flut von blutigen Konflikten, Massakern, Hungersnöten und allgemeiner der Zerfall, der in alle Bereiche der Gesellschaft eindringt und sie langfristig zu zerstören droht, wird hauptsächlich durch die Tatsache verstärkt, daß die kapitalistische Wirtschaft in einer völlig ausweglosen Sackgasse steckt. Aber diese Sackgasse und die mit ihr verbundenen, immer heftiger werdenden ständigen Angriffe, die sie notwendigerweise gegen die allen gesellschaftlichen Reichtum produzierende Klasse, das Proletariat, führt, liefert somit auch die Bedingungen für ein Zurückschlagen seitens des Proletariats und die Perspektive der Entwicklung revolutionärer Kämpfe. Seit dem Ende der 60er Jahre hat das Weltproletariat bewiesen, daß es nicht bereit ist, die kapitalistischen Angriffe passiv hinzunehmen, und die Kämpfe, die es seit den ersten Erschütterungen der Krise geliefert hat, haben bewiesen, daß es die furchtbare Konterrevolution überwunden hat, welche sich nach der Welle von revolutionären Kämpfen von 1917-23 gegen es gerichtet hatte. Aber die Arbeiterklasse hat ihre Kämpfe nicht kontinuierlich weiter entwickelt, sondern sie stieß dabei jeweils auf Hindernisse, es gab Fortschritte und Rückflüsse. So gab es zwischen 1968 und 1989 drei aufeinanderfolgende Kampfeswellen (1968-74, 1978-81, 1983-89), während denen die Arbeitermassen trotz Niederlagen, Zögerungen, Rückschritten eine wachsende Erfahrung angehäuft haben, durch die sie immer mehr die gewerkschaftliche Umklammerung verworfen haben. Aber dieses schrittweise Voranschreiten der Arbeiterklasse hin zu einer Bewußtwerdung der Ziele und Mittel ihres Kampfes wurde brutal Ende der 80er Jahre unterbrochen.
‘Diese Kämpfe, die Ende der 60er Jahre mit großer Wucht ausgebrochen waren und die schrecklichste Konterrevolution, unter der die Arbeiterklasse zu leiden gehabt hatte, beendeten, sind in einen umfangreichen Rückfluß nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime, den damit verbundenen ideologischen Kampagnen und Ereignissen (Golfkrieg, Balkankrieg usw.) getreten. Der massive Rückfluß war auf zwei Ebenen zu spüren: auf der Ebene der Kampfbereitschaft und des Klassenbewußtseins, ohne daß dies jedoch gleichzeitig, wie die IKS schon damals hervorhob - den historischen Kurs zu Klassenzusammenstößen umgeschmissen hat’ (Resolution zur Internationalen Situation, Punkt 14, April 1995).
20) Vom Herbst 1992, d.h. von den großen Mobilisierungen der Arbeiter in Italien, an hat die Arbeiterklasse wieder zum Weg des Kampfes zurückgefunden. Aber auf diesem Weg stößt die Arbeiterklasse auf viele Fallen und Schwierigkeiten. Als die stalinistischen Regime im Herbst 1989 zusammenbrachen, kündigte die IKS bereits an, daß dieses Ereignis einen Rückfluss des Bewußtseins bewirken würde, während sie gleichzeitig präzisierte, daß ‘die reformistische Ideologie noch ein sehr großes Gewicht in den zukünftigen Kämpfen haben wird, wodurch der Spielraum der Gewerkschaften größer werden wird’ (Thesen über die wirtschaftliche und politische Krise in der UdSSR und in Osteuropa, Internationale Revue Nr. 12). In der Tat ist es in der letzten Zeit zu einer Verstärkung der Gewerkschaften gekommen, die auf eine geschickte Strategie aller Kräfte der Bourgeoisie zurückzuführen ist. Dies Strategie strebt zunächst danach, die Verwirrung auszunützen, welche in der Arbeiterklasse durch die Ereignisse von 1989-91 entstanden ist, um das Ansehen der Gewerkschaftsapparate so stark wie möglich wieder aufzumöbeln, deren Glaubwürdigkeit während der 80er Jahre in vielen Ländern angekratzt worden war. Am einleuchtendsten wurde diese politische Offensive der Bourgeoisie durch das Manöver der verschiedenen Teile der Bourgeoisie im Herbst 1995 in Frankreich vorgeführt. Dank einer klug ausgetüftelten Arbeitsteilung zwischen der Rechten an der Regierung, die auf besonders provokative Weise eine Reihe von Angriffen gegen den Lebensstandard der Arbeiterklasse einleitete, und den Gewerkschaften, die sich als die besten Verteidiger der Arbeiter aufspielten, wobei sie selber für proletarische Kampfmethoden eintraten - Ausdehnung über Branchengrenzen hinweg und Leitung der Bewegung durch Vollversammlungen - hat die gesamte bürgerliche Klasse dem gesamten Gewerkschaftsapparat zu neuem Ansehen wie seit langem nicht mehr verholfen. Wie sehr dieses Manöver international und systematisch geplant war, konnte man anhand des gewaltigen Medienrummels um die Streiks Ende 1995 erkennen, der in allen Ländern veranstaltet wurde, während es gegenüber den meisten Massenbewegungen in den 80er Jahren ein vollständiges Black-out gegeben hatte. Dies wurde weiterhin bestätigt durch das Manöver in Belgien, das zur gleichen Zeit stattfand und eine Wiederauflage des Manövers in Frankreich war. Die Streiks in Frankreich im Herbst 1995 wurden ebenfalls während des Manövers im Frühjahr 1996 in Deutschland in den Mittelpunkt gestellt, das seinen Höhepunkt fand in der Großdemonstration in Bonn im Juni 1996. Während die Gewerkschaften als Verhandlungsexperten und Spezialisten der Abstimmung mit den Unternehmen gehandelt wurden, sollte anhand dieses Manövers den Gewerkschaften ein viel kämpferisches Bild verliehen werden, damit sie zukünftig besser die sozialen Kämpfe kontrollieren können, die aufgrund der bislang noch nie so starken ökonomischen Angriffe gegen die Arbeiterklasse unvermeidlich entstehen werden. So bestätigte sich die Analyse der IKS, die wir auf unserem 11. Kongreß erstellt hatten: ‘Aber die gegenwärtigen Manöver der Gewerkschaften sind auch und vor allem ein vorbeugendes Mittel: sie müssen ihre Kontrolle über die Arbeiter ausdehnen, bevor diese ihre Kampfbereitschaft noch stärker entfalten, denn diese Kampfbereitschaft wird aufgrund der immer härteren Angriffe der Krise noch zunehmen’ (Resolution zur Internationalen Situation, Punkt 17).
Und das Ergebnis dieser Manöver verstärkte die Verwirrung, die die Ereignisse von 1989-91 hervorgerufen hatten, aufgrund derer wir auf dem 12. Kongreß unserer Sektion in Frankreich die Einschätzung entwickelten, daß ’in den wichtigsten Ländern des Kapitalismus die Arbeiterklasse auf eine Stufe zurückgeworfen wird, die mit den 70er Jahren hinsichtlich ihres Verhältnis zu den Gewerkschaften und den gewerkschaftlichen Kampfmethoden vergleichbar ist: eine Situation, in der die Arbeiterklasse global gesehen unter den Gewerkschaften kämpfte, ihren Anweisungen und Parolen folgte und sich ihnen schließlich unterwarf. So hat die Bourgeoisie es geschafft, die in den 80er Jahren erworbenen Lehren, die die Arbeiter nach den wiederholten Erfahrungen der Konfrontation mit den Gewerkschaften gewonnen hatten, vorübergehend auszulöschen’. (Resolution zur internationalen Situation, Pkt. 12).
21) Die politische Offensive der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse beschränkt sich bei weitem nicht auf die Verstärkung der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaftsapparate. Die herrschende Klasse nutzt die verschiedenen Ausdrücke des Zerfalls der Gesellschaft (ansteigender Fremdenhaß, Konflikte zwischen bürgerlichen Cliquen usw.) aus, um sie gegen die Arbeiterklasse einzusetzen. So wurden in verschiedenen Ländern Europas Kampagnen zur Ablenkung der Arbeiter eingeleitet, um ihre Wut und ihre Kampfbereitschaft auf eine Ebene zu lenken, die mit der Arbeiterklasse absolut nichts zu tun haben:
- Ausnutzung der Fremdenfeindlichkeit der Extremen Rechte (Le Pen in Frankreich, Haider in Österreich), um Kampagnen gegen die ‘faschistische Gefahr’ durchzuführen;
- in Spanien wurden Kampagnen gegen den ETA-Terrorismus gestartet, in denen die Arbeiter aufgerufen wurden, sich mit den Firmenchefs zu solidarisieren;
- Abrechnungen zwischen Teilen des Sicherheitsapparate (Polizei) und Justiz wurden ausgenutzt, um Kampagnen für einen ‘sauberen Staat & Justiz’ einzuleiten - dies geschah in Ländern wie Italien (Operation ‘saubere Hände’) und besonders in Belgien (Dutroux-Affäre).
Belgien war in der letzten Zeit eine Art ‘Labor’, um die ganze Bandbreite an Verschleierungen gegen die Arbeiterklasse durch die Bourgeoisie auszutesten. Die Bourgeoisie hat dort:
- die Manöver der französischen Bourgeoisie vom Herbst 95 neu aufgelegt;
- dann ein ähnliches Manöver wie die deutsche Bourgeoisie vom Frühjahr 96 durchgeführt;
- vom Sommer 96 an die Dutroux-Affäre in den Vordergrund gestellt, die passenderweise zum ‘richtigen Zeitpunkt aufgedeckt’ wurde (obgleich der Justiz viele Tatsachen schon längst bekannt waren), um mittels eines bislang nie dagewesenen Medienrummels eine wahre Psychose in den Arbeiterfamilien hervorzurufen, während es gleichzeitig eine Reihe von Angriffen gegen die Arbeiter hagelte; dadurch sollte die Wut der Arbeiter auf das klassenneutrale Terrain einer ‘Justiz im Dienste des Volkes’ abgeleitet wurden, wie insbesondere beim ‘weißen Marsch’ am 20. Oktober;
- mit dem ‘bunten Marsch’ vom 2. Februar 97, der anläßlich der Betriebsschließung des Stahlwerkes von Forges de Clabecq veranstaltet wurde, wurde die den Klassengraben verschleiernde Kampagne einer ‘Justiz im Dienst des Volkes’ und einer ‘Wirtschaft im Dienst der Bürger’ erneut aufgelegt; eine weitere Verstärkung erfolgte durch die Medienaufmachung um die ‘kämpferischen Basis-Gewerkschaften’ und den in den Medien sehr wirksam auftretenden D’Orazio;
- eine neue Schicht demokratischer Lügen wurde dann nach der Ankündigung der Werksstilllegung Renaults in Vilvoorde (die Gerichte verurteilten diese Werksschließung) aufgetragen, während gleichzeitig die Trommel für ein ‘soziales Europa’ im Gegensatz zu einem ‘Europa der Kapitalisten’ gerührt wurde.
Die gewaltige internationale Medienaufmachung all dieser Manöver liefert erneut einen Beweis dafür, daß sie nicht nur zu internen Zwecken bestimmt waren, sondern Teil eines von der Bourgeoisie aller Länder abgestimmten Plans waren. Die herrschende Klasse ist sich dessen bewußt, daß ihre wachsenden Angriffe gegen die Arbeiterklasse große Widerstandskämpfe derselben hervorrufen werden; deshalb will sie zu einem Zeitpunkt vorbeugend handeln, wo die Kampfbereitschaft noch in einer frühen Entwicklungsstufe steckt und wo die Folgen des Zusammenbruchs der angeblich ‘sozialistischen’ Regime noch unter den Arbeitern zu spüren sind, um ‘das Pulver naß zu machen’ und die Bandbreite gewerkschaftlicher und demokratischer Illusionen so stark wie möglich auszudehnen.
22) Die unleugbare Verwirrung, in der heute die Arbeiterklasse steckt, hat der Bourgeoisie einen größeren Spielraum eröffnet, um ihre internen politischen Auseinandersetzungen auszutragen. Wie die IKS Anfang 1990 schrieb: ‘Deshalb muß man heute die Analyse der IKS aktualisieren, die wir zur Strategie der ‘Linken in der Opposition’ gemacht hatten. Seit Ende der 70er Jahre und während der 80er Jahre war es für die Bourgeoisie notwendig geworden, diese Karte aufgrund der allgemeinen Dynamik der Klasse hin zu immer mehr entschlossenen und bewußten Klassenkämpfen, zu einer deutlicheren Verwerfung der demokratischen, parlamentarischen und gewerkschaftlichen Verschleierungen, einzusetzen. Die in einigen Ländern (z.B. in Frankreich) aufgetretenen Schwierigkeiten, um diese Karte unter den besten Bedingungen zu spielen, ändert nichts an der Tatsache, daß sie die zentrale Achse der Strategie der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse war. Die rechten Regierungen in so wichtigen Ländern wie den USA, BRD und GB verdeutlichen dies. Dagegen zwingt der gegenwärtige Rückzug der Klasse die Bourgeoisie vorübergehend nicht mehr dazu, diese Strategie prioritär einzusetzen. Das heißt nicht, daß in diesen Ländern unbedingt die Linke wieder die Regierungsgeschäfte übernehmen wird. Wir haben mehrfach... aufgezeigt, daß solch eine Vorgehensweise nur in revolutionären Phasen oder im imperialistischen Krieg zwingend notwendig ist. Man darf dagegen nicht überrascht sein, wenn solch ein Ereignis eintritt, oder vermuten, daß es sich um einen ‘Unfall’ oder den Ausdruck einer ‘besonderen Schwäche’ der herrschenden Klasse des jeweiligen Landes handeln würde’ (Internationale Revue Nr. 12, S. 7, 10.2.1990).
Deshalb konnte die italienische Bourgeoisie zum Großteil aus internationalen politischen Gründen im Frühjahr 1996 eine Mitte-Links-Regierung einsetzen, in der die alte „Kommunistische“ Partei (PDS) dominiert und die eine Zeitlang von der extrem-linken Partei ‘Rifondazione Comunista’ unterstützt wurde. Deshalb darf der Sieg der Labour-Partei in Großbritannien im Mai 97 nicht als ein Faktor angesehen werden, der der Bourgeoisie dieses Landes Schwierigkeiten bereiten würde (die übrigens Sorge dafür getragen hat, die organische Verbindung zwischen Gewerkschaften und Labour Partei zu beenden, um es den Gewerkschaften zu ermöglichen, sich falls nötig, der Regierung entgegenzustellen). Es ist wichtig hervorzuheben, daß die herrschende Klasse nicht mehr die Themen aus den 70er Jahren auflegt, als die ‘Alternative der Linken’ mit ihren ‘Sozialprogrammen’ und Verstaatlichungen dazu dienten, den Schwung der Arbeiterkämpfe zu bremsen, der 1968 eingesetzt hatte, und Unzufriedenheit und Kampfbereitschaft in die Sackgasse der Wahlen gelenkt worden waren. Wenn Linksparteien (deren Wirtschaftsprogramm sich übrigens immer weniger von dem der Rechten unterscheidet) die Regierung übernehmen sollten, wird dies hauptsächlich auf die Schwierigkeiten der Rechten zurückzuführen sein, und nicht auf die Mobilisierung der Arbeiter, die durch die Entwicklung der Krise die Illusionen über einen ‘gesunden Kapitalismus’ verloren haben, während diese in den 70er Jahren noch bestanden.
23) Auf diesem Hintergrund muß man auch einen deutlichen Unterschied zwischen den ideologischen Kampagnen von heute und denen der 30er Jahre gegen die Arbeiterklasse herausheben. Bei diesen beiden Arten von Kampagnen gibt es einen gemeinsamen Punkt: Sie drehen sich alle um das Thema der ‘Verteidigung der Demokratie’. Aber die Kampagnen der 30er Jahre
- fanden auf einem Hintergrund der historischen Niederlage der Arbeiterklasse, des ungeteilten Sieges der Konterrevolution statt;
- verfolgten das Ziel des Einspannens der Arbeiter für den heraufziehenden Weltkrieg;
- stützten sich auf einen ‘Daseinsgrund’, die faschistischen Regime in Italien, Deutschland und Spanien, die tatsächlich vorhanden waren, wodurch diese Kampagnen dauerhaft, gezielt und massiv durchgeführt werden konnten.
Die gegenwärtigen Kampagnen dagegen
- finden auf dem Hintergrund statt, wo die Arbeiterklasse die Konterrevolution überwunden und keine entscheidende Niederlage eingesteckt hat, die den historischen Kurs hin zu Klassenzusammenstößen infragestellt;
- verfolgen das Ziel, den Kurs wachsender Kampfbereitschaft und wachsenden Bewußtseins in der Arbeiterklasse zu untergraben,
- verfügen nicht über eine einzige Zielscheibe, sondern müssen sehr zerstreute Themen in den Mittelpunkt stellen, die oft von besonderen Anlässen abhängig sind (Terrorismus, ‘faschistische Gefahr’, Netz von Kinderschändern, Korruption der Justiz, usw.), wodurch ihre Tragweite international und zeitlich begrenzt wird.
Während die Kampagnen Ende der 30er Jahre die Arbeitermassen dauerhaft um sich mobilisieren konnten, zeichnen sich die heutigen Kampagnen dadurch aus,
- daß sie es entweder schaffen, die Arbeiter massiv auf die Straße zu bringen (wie beim ‘weißen Marsch’ in Brüssel am 20. Oktober 1996), aber dies gelingt dann nur für eine kurze Dauer (deshalb hat die belgische Bourgeoisie danach sofort andere Manöver eingeleitet);
- daß sie ständig betrieben werden (wie bei der Kampagne gegen den ‘Front National’ in Frankreich), aber sie schaffen es nicht, dafür die Arbeiter einzuspannen, dienen somit hauptsächlich der Ablenkung.
Deswegen darf man jedoch die Gefahr, die von diesen Kampagnen ausgeht, nicht unterschätzen, denn die Auswirkungen des allgemeinen und wachsenden Zerfalls der bürgerlichen Gesellschaft können ihnen ständig neuen Nährstoff liefern. Nur ein entscheidender Fortschritt des Bewußtseins in der Arbeiterklasse wird es dieser ermöglichen, diese Art Verschleierungen zu enthüllen. Und dieser Fortschritt wird nur durch eine massive Entfaltung von Arbeiterkämpfen zustande kommen, die, wie sie es Mitte der 80er Jahre schon angefangen hatten zu tun, die wichtigsten Instrumente der Bourgeoisie in den Reihen der Arbeiter, die Gewerkschaften und den gewerkschaftlichen Kampf infragestellen.
24) Diese Infragestellung, mit der eine direkte Kontrolle der Kämpfe durch die Arbeiter und ihre Ausdehnung durch Vollversammlungen und gewählten und abwählbaren Streikkomitees einhergeht, muß notwendigerweise einen ganzen Prozeß der Konfrontation mit der Sabotagearbeit der Gewerkschaften durchlaufen. Diese Prozeß wird notwendigerweise in der Zukunft stattfinden, weil die Kampfbereitschaft als Reaktion auf die immer heftigeren Angriffe des Kapitalismus weiter ansteigt. Heute schon macht es die Entwicklung der Kampfbereitschaft der Bourgeoisie in Anbetracht der Gefahr eines Ausbrechens aus der gewerkschaftlichen Kontrolle unmöglich, die großen Manöver wie in Frankreich 1995-96 zu wiederholen, die auf eine umfangreiche Verstärkung der Gewerkschaften abzielten. Den Gewerkschaften ist es bislang jedoch gelungen, eine größere Entblößung zu vermeiden, auch wenn sie in der letzten Zeit angefangen haben, häufiger ihre ‘klassischen’ Methoden der Spaltung zwischen staatlichen und privat Beschäftigten (wie beispielsweise während der Demonstration am 11. Dezember 1996 in Spanien) und den Berufsegoismus einzusetzen. Das spektakulärste Beispiel dieser Taktik sind die Streiks, die nach der Ankündigung der Stilllegung des Renault-Werkes Vilvoorde ausgelöst wurden, als die Gewerkschaften aus verschiedenen Ländern mit Renault-Werken eine ‘europaweite’ Mobilisierung der Renault-Beschäftigten einleiteten. Aber die Tatsache, daß dieses lumpige Manöver der Gewerkschaften über die Bühne gehen konnte, ohne aufgedeckt zu werden, und daß sie es gar schafften, mit seiner Hilfe ihr Prestige noch ein wenig zu verbessern, wobei sie gleichzeitig weiter die Rolle eines ‘sozialen Europas’ verschleierten, beweist, daß wir heute in einer Schlüsselphase stecken zwischen der Verstärkung der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften und ihrer immer größeren Entblößung, wo sie immer mehr in Verruf geraten. Eines der Merkmale dieser Phase besteht darin, daß man angefangen hat, die Themen der ‘kämpferischen Gewerkschaften’ aufzutischen, denen zufolge die ‘Basis’ dazu in der Lage wäre, die Gewerkschaftsführung zu zwingen, sich zu radikalisieren (so das Beispiel von Forges de Clabecq, des Hafenarbeiterstreiks in Großbritannien oder der Bergarbeiter letzten März in Deutschland).
25) So muß die Arbeiterklasse noch einen langen Weg hin zu ihrer Befreiung zurücklegen, und die Bourgeoisie wird ihn systematisch durch alle möglichen Fallen untergraben, wie in der letzten Zeit deutlich wurde. Der Umfang der Manöver der Bourgeoisie beweist, daß sie sich der Gefahren bewußt ist, die die gegenwärtige Lage des Weltkapitalismus in sich birgt. Während Engels schrieb, daß die Arbeiterklasse ihren Kampf auf drei Ebenen führt, der ökonomischen, politischen und ideologischen, belegt die gegenwärtige Strategie der Bourgeoisie, die auch gegen die revolutionären Organisationen gerichtet ist (siehe die Kampagne gegen den angeblichen ‘Negationismus’ der Kommunistischen Linken), daß die Bourgeoisie sich dessen voll bewußt ist. Es ist die Aufgabe der Revolutionäre, die von der herrschenden Klasse und all ihren Organen, insbesondere den Gewerkschaften, aufgestellten Fallen nicht nur systematisch aufzuspüren und zu entblößen, sondern sie müssen auch gegen all die Verfälschungen während der letzten Zeit die wirkliche Perspektive der kommunistischen Revolution als Endziel der gegenwärtigen Kämpfe des Proletariats hervorheben. Nur wenn die kommunistische Minderheit ihre Rolle voll erfüllt, kann die Arbeiterklasse ihre Kräfte und ihr Bewußtsein zur Erreichung dieses Ziels entfalten.
Nichts macht eine herrschende Klasse rasender als eine Erhebung der Ausgebeuteten. Die Revolten der Sklaven im Römischen Reich, der Bauern unter dem Feudalismus sind immer mit einer unübertroffenen Grausamkeit niedergeschlagen worden. Doch der Aufstand der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus ist ein noch größerer Affront gegen die herrschende Klasse dieses Systems, da er auf seiner Fahne klar die Inschrift einer neuen Gesellschaft trägt, einer kommunistischen Gesellschaft, die tatsächlich einer historischen Möglichkeit und Notwendigkeit entspricht. Deshalb kann sich die Kapitalistenklasse nicht damit zufrieden geben, die revolutionären Versuche der Arbeiterklasse zu unterdrücken, sie im Blut zu ertränken, auch wenn die kapitalistische Konterrevolution bestimmt die blutigste in der ganzen Geschichte ist. Sie muß darüber hinaus die Idee ins Lächerliche ziehen, daß die Arbeiterklasse die Trägerin einer neuen gesellschaftlichen Ordnung ist, sie muß die totale Bedeutungslosigkeit der kommunistischen Perspektive propagieren. Zu diesem Zweck braucht sie ein ganzes Arsenal von Lügen und Verfälschungen parallel zum realen, gegenständlichen Waffenarsenal. Aus diesem Grund brauchte das Kapital auch während dem größten Teil des 20. Jahrhunderts die Aufrechterhaltung der größten Lüge der Geschichte: die Lüge, daß der Stalinismus Kommunismus sei.
Der Zusammenbruch des Ostblocks 1989 und der UdSSR zwei Jahre später hat, obwohl er der Bourgeoisie das lebendige "Beispiel" dieser Lüge wegnahm, diese gewaltig verstärkt, indem die herrschende Klasse nun eine riesige Kampagne über den offensichtlichen Mißerfolg des Kommunismus, des Marxismus und sogar über das Veralten der Idee des Klassenkampfs selber startete. Die für das Bewußtsein des Weltproletariats zutiefst zerstörerischen Auswirkungen dieser Kampagne sind verschiedentlich in den Spalten dieser Internationalen Revue untersucht worden, so daß wir hier diesen Punkt nicht weiter entwickeln. Auch wenn der Einfluß dieser Kampagnen im Laufe der letzten Jahre abgenommen hat – v.a. wegen der Versprechungen der Bourgeoisie über die "Neue Weltordnung" des Friedens und des Wohlstands, die angeblich den Tod des Stalinismus ablösen sollten, sich aber nur als Unsinn entpuppt haben –, ist es wichtig zu unterstreichen, daß sie für den ideologischen Kontrollapparat der Bourgeoisie so zentral sind, daß diese keine Gelegenheit versäumt, ihr neues Leben und neuen Einfluß zu verleihen. Wir sind nun in das Jahr des 80. Jubiläums der Russischen Revolution eingetreten, und zweifellos werden wir neue Lügen über diesen Gegenstand hören. Und eines ist sicher: Der Haß und die Verachtung der Bourgeoisie für die proletarische Revolution, die 1917 in Rußland begonnen hat, ihre Anstrengungen, die Erinnerungen an sie in Form und Inhalt zu entstellen, werden v.a. die politischen Organisation zum Ziel haben, die den Geist der großen Aufstandsbewegung verkörpert hat, die bolschewistische Partei. Das darf uns nicht überraschen: Seit der Zeit des Bundes der Kommunisten und der I. Internationale war die Bourgeoisie immer bereit, der Mehrheit der armen Arbeiter "zu verzeihen", daß sie durch die Komplotte und Machenschaften der revolutionären Minderheiten übers Ohr gehauen worden waren, während sie diese unabänderlich als Verkörperung des Bösen sieht. Und für das Kapital war keine dieser Organisationen so schlimm wie die Bolschewiki; diese haben es geschafft, die einfachen Arbeiter länger und nachhaltiger "irrezuführen" als irgendeine andere revolutionäre Partei in der Geschichte.
Es ist hier nicht der Ort, um alle Bücher, Artikel und Dokumente zu behandeln, die in letzter Zeit dem Thema der Russischen Revolution gewidmet worden sind. Es genügt festzuhalten, daß diejenigen, die am meisten Publizität erhalten – z.B. "The Unknown Lenin: from the Soviet Archives" (Der unbekannte Lenin: aus den sowjetischen Archiven) und "Der wahre Lenin" des früheren Archivars des KGB Volkogonow, der behauptet, Zugang zu den unzugänglichsten Dossiers seit 1917 gehabt zu haben – ein sehr genau umschriebenes Ziel haben: zu zeigen, daß Lenin und die Bolschewiki eine Horde von fanatischen Machtgierigen waren, die alles daran gesetzt haben, die demokratischen Errungenschaften der Februarrevolution 1917 rückgängig zu machen und Rußland sowie die Welt in eines der schrecklichsten Experimente der Geschichte zu stürzen. Selbstverständlich "beweisen" diese Herren mit einer minutiösen und detaillierten Aufmerksamkeit, wie der stalinistische Terror nichts anderes war, als die Fortsetzung und Vollendung des leninistischen Terrors. Der Untertitel der deutschen Ausgabe der Arbeit von Volkogonow über Lenin, "Utopie und Terror", faßt die Methode der Bourgeoisie sehr gut zusammen: die Idee, daß die Revolution gerade deshalb im Terror untergegangen ist, weil sie versucht hat, ein utopisches Ideal zu erreichen, nämlich den Kommunismus, der wahrhaftig ein Gegensatz zur menschlichen Natur sei. Ein wichtiges Element in diesem antibolschewistischen Unterfangen ist die Idee, daß der Bolschewismus mit seinem ganzen Diskurs über den Marxismus und die Weltrevolution v.a. ein Ausdruck der Rückständigkeit Rußlands gewesen sei. Diese Leier ist alles andere als neu: Sie war ein Lieblingsthema des "Renegaten Kautsky" nach dem Oktoberaufstand. Aber sie hat später eine beträchtliche akademische Würde angenommen. Eine der besten Studien über die Anführer der Russischen Revolution – "Three who made a revolution" (Drei, die eine Revolution machten) von Betram Wolfe –, die in den 50er Jahren geschrieben wurde, baut diese Idee mit einem besonderen Augenmerk auf Lenin aus. Aus dieser Sicht schuldet der Standpunkt Lenins über die proletarische politische Organisation als einem zahlenmäßig "beschränkten", aus überzeugten Revolutionären zusammengesetzten Körper, mehr den konspiratorischen und geheimen Auffassungen der "Narodniki" und Bakunins als Marx. Solche Historiker stellen diese Auffassungen oft den "ausgeklügelteren", "europäischeren" und "demokratischeren" der Menschewiki gegenüber. Und selbstverständlich wird uns weiter erklärt, daß, da die Form der revolutionären Organisation eng an die Form der Revolution selber gebunden ist, die demokratische menschewistische Organisation uns ein demokratisches Rußland beschert hätte, während die diktatorische bolschewistische Form, ein diktatorisches Rußland zum Resultat hatte.
Es sind nicht nur die offiziellen Sprecher der Bourgeoisie, die solche Ideen kolportieren. Vielmehr werden diese Ideen, leicht anders verpackt, auch durch Anarchisten jeder Art verkauft, die hinsichtlich der Russischen Revolution Spezialisten der Methode sind: "Wir haben es euch schon immer gesagt". "Wir wußten von Anfang an, daß der Bolschewismus schlecht ist und mit Tränen enden würde – all diese Diskurse über die Partei, den Übergangsstaat und die Diktatur des Proletariats konnten nur dahin führen." Aber der Anarchismus hat die Gewohnheit, sich andauernd zu erneuern, und er kann auch viel subtiler auftreten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Argumentation, die eine parasitäre Sorte des Anarchismus, die sich (u.a.) "London Psychogeographical Association" nennt, in Umlauf setzt. Die LPA hat sich warmherzig dem Argument der IKS angeschlossen, wonach der Bakunismus mit seinem ganzen Gerede von Freiheit und Gleichheit, seiner Kritik des marxistischen "Autoritarismus" im Grunde genommen auf zutiefst hierarchischen und sogar esoterischen Sichtweisen beruhte, die eng verbunden waren mit der Freimaurerei. Doch für die LPA ist dies nur die Vorspeise. Im Hauptgang tischt sie auf, daß die bolschewistische Organisationsauffassung die wahre Fortsetzung des Bakunismus und somit der Freimaurerei sei. Der Kreis schließt sich: Die "Kommunisten" der LPA käuen die Reste der Professoren des Kalten Krieges wieder.
Was mit all diesen Verleumdungen des Bolschewismus ins Spiel gebracht wird, ist beträchtlich, und man kann darauf nicht im Rahmen eines einzigen Artikels antworten. Eine kritische Einschätzung der "leninistischen" Organisationsauffassung zu liefern z.B., das Vorurteil zu widerlegen, nach dem sie nichts anderes als eine neue Version des Narodnikitums oder des Bakunismus sei, würde allein eine ganze Artikelserie erfordern. Das Ziel des vorliegenden Artikels ist ein anderes. Es geht darum, eine spezielle Phase der Ereignisse der Russischen Revolution zu untersuchen: die Aprilthesen, die Lenin bei seiner Rückkehr nach Rußland 1917 verteidigte. Dies nicht nur deshalb, weil das fast auf den Monat genaue Jubiläum eine gute Gelegenheit dazu bietet, sondern v.a. darum, weil dieses kurze und präzise Dokument einen vorzüglichen Ausgangspunkt darstellt, um alle Lügen über die bolschewistische Partei zu widerlegen und um das wesentliche über sie nachzuweisen: Diese Partei war nicht das Produkt der russischen Barbarei, eines entstellten Anarchoterrorismus oder eines absoluten Machthungers der Anführer. Der Bolschewismus war v.a. das Produkt des Weltproletariats; unauflöslich verknüpft mit der gesamten marxistischen Tradition, war er nicht der Keim einer neuen Ausbeutungs- oder Unterdrückungsform, sondern die Avantgarde einer Bewegung, die dazu bestimmt war, jeder Ausbeutung und jede Unterdrückung zu beseitigen.
Gegen Ende Februar 1917 traten die Petrograder Arbeiter in Massenstreiks gegen die unerträglichen, durch den imperialistischen Krieg aufgezwungenen Lebensbedingungen. Die Losungen der Bewegung wurden schnell politisch, die Arbeiter verlangten die Beendigung des Krieges und den Umsturz der Autokratie. In wenigen Tagen weitete sich der Streik in andere Städte, große und kleine, aus, und als sich die Arbeiter bewaffneten und mit den Soldaten verbrüderten, wurde der Massenstreik zum Aufstand.
Die Arbeiter erinnerten sich an die Erfahrung von 1905 und zentralisierten den Kampf mit dem Mittel der Sowjets der Arbeiterdeputierten, die durch die Fabrikversammlungen gewählt und jederzeit abwählbar waren. Im Gegensatz zu 1905 begannen die Soldaten und Bauern dem Beispiel in breitem Maßstab zu folgen. Die herrschende Klasse erkannte, daß die Tage der Autokratie gezählt waren, und entledigte sich selbst des Zars; sie rief die Liberalen und die "linken" Parteien, v.a. die diejenigen Elemente, die einst proletarisch gewesen und mit der Unterstützung des Krieges ins bürgerliche Lager übergetreten waren, dazu auf, eine Provisorische Regierung mit dem offen erklärten Ziel zu bilden, Rußland hin zu einem parlamentarisch-demokratischen System zu führen. Effektiv entstand eine Situation der Doppelmacht, da die Arbeiter und Soldaten nur den Sowjets wirklich trauten und die bürgerliche Provisorische Regierung noch nicht in einer genügend starken Lage war, um sie zu ignorieren, geschweige denn, um sie zu beseitigen. Aber diese grundsätzliche Trennungslinie zwischen den Klassen wurde teilweise durch einen demokratischen Euphorienebel verwischt, der nach dem Februaraufstand über das Land fiel. Nachdem der Zar beseitigt worden war und sich das Volk einer nie erlebten Freiheit erfreute, schienen alle für die "Revolution" zu sein – inklusive die demokratischen Verbündeten Rußlands, die hofften, daß dies dem Land erlauben würde, effektiver an den Kriegsanstrengungen teilzunehmen. So stellte sich die Provisorische Regierung als den Hüter der Revolution dar; die Sowjets waren politisch beherrscht durch die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre, die alles daran setzten, um die Räte gegenüber dem neu eingerichteten bürgerlichen Regime zu entmachten. Kurz, die ganze Kraft des Massenstreiks und des Aufstands – die in Wirklichkeit ein Ausdruck einer allgemeineren revolutionären Bewegung war, die aufgrund des Krieges in allen wichtigen kapitalistischen Ländern brütete – wurde auf kapitalistische Bahnen umgeleitet.
Wo standen die Bolschewiki in dieser Situation, die so voller Gefahren und Versprechungen war? Sie befanden sich in einer vollständigen Verwirrung.
"Der erste Monat der Revolution war für den Bolschewismus eine Zeit der Fassungslosigkeit und Schwankungen. Im
‘Manifest’ des Zentralkomitees der Bolschewiki, verfaßt gleich nach dem Siege des Aufstands, hieß es, ‘die Arbeiter der Fabriken und Werkstätten wie auch die aufständischen Truppen müssen sofort ihre Vertreter in die revolutionäre Provisorische Regierung wählen’. (...) Sie handelten nicht wie Vertreter einer proletarischen Partei, die sich zum selbständigen Kampf um die Macht vorbereitet, sondern als linker Flügel der Demokratie, der, seine Prinzipien verkündend, die Absicht hat, während einer unbestimmt langen Zeit die Rolle der loyalen Opposition zu spielen."
Als Stalin und Kamenew im März 1917 die Führung der Partei übernahmen, standen sie noch weiter rechts. Stalin entwickelte eine Theorie über die sich ergänzenden Rollen der Provisorischen Regierung und der Sowjets. Schlimmer noch: Das offizielle Organ der Partei, die Prawda, nahm offen eine Position zur Verteidigung des Krieges ein: "Nicht das inhaltlose ‘Nieder mit dem Krieg’ ist unsere Losung. Unsere Losung ist – der Druck auf die Provisorische Regierung mit dem Ziele, sie zu zwingen ... mit einem Versuch hervorzutreten, alle kämpfenden Länder zur sofortigen Aufnahme von Friedensverhandlungen zu bewegen ... Bis dahin bleibt aber jeder auf seinem Kampfposten!"
Trotzki berichtet, wie zahlreiche Mitglieder der Partei zutiefst beunruhigt und sogar wütend auf das opportunistische Abgleiten der Partei reagierten. Aber sie waren programmatisch nicht ausgerüstet, um der Position der Führung entgegenzutreten, da sie auf der Perspektive zu fußen schien, die Lenin selbst entwickelt hatte und die während eines ganzen Jahrzehnts die offizielle Position der Partei dargestellt hatte: die Perspektive der "demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern". Das Wesen dieser Theorie bestand darin, daß die Revolution in Rußland, obwohl sie ökonomisch gesprochen bürgerlicher Natur sein werde, nicht von der russischen Bourgeoisie getragen werden könne, da diese zu schwach sei. Deshalb müsse die kapitalistische Modernisierung Rußlands durch das Proletariat und die ärmsten Schichten der Bauern wahrgenommen werden. Diese Position befindet sich zwischen derjenigen der Menschewiki – die vorgeben, orthodoxe Marxisten zu sein, und folglich vertreten, die Aufgabe des Proletariats bestehe darin, die Bourgeoisie in ihrem Kampf gegen den Absolutismus kritisch zu unterstützen, bis Rußland reif für den Sozialismus sei – und derjenigen von Trotzki, dessen Theorie der "permanenten Revolution", die er nach den Ereignissen von 1905 entwickelte, davon ausgeht, daß die Arbeiterklasse in der kommenden Revolution an die Macht getrieben und gezwungen sein würde, über die bürgerliche Etappe der Revolution hinauszugehen, bis zur sozialistischen Phase unter der einzigen Bedingung, daß die russische Revolution mit einer sozialistischen Revolution in den industrialisierten Ländern zusammenfällt oder sie hervorruft.
In Tat und Wahrheit ist die Theorie Lenins bestenfalls das Produkt einer Epoche, wo es immer offensichtlicher wird, daß die russische Bourgeoisie keine revolutionäre Kraft ist, aber wo auch noch nicht klar ist, daß die Zeit der internationalen sozialistischen Revolution angebrochen ist. Doch die Überlegenheit der These Trotzkis liegt gerade darin, daß sie von einem internationalen, statt einfach einem russischen Rahmen ausgeht; und Lenin selber hat sich trotz seiner zahlreichen und scharfen Divergenzen mit Trotzki nach den Ereignissen von 1905 verschiedentlich des Begriffs der permanenten Revolution bedient.
In der Praxis erwies sich die Idee der "demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern" als substanzlos; die "orthodoxen Leninisten", die diese Formel 1917 wieder aufgriffen, benützten sie als Feigenblatt für ihr ganz banales Abgleiten zum Menschewismus. Kamenew behauptete mit Nachdruck, daß man die Provisorische Regierung kritisch unterstützen müsse, da die bürgerlich demokratische Phase noch nicht abgeschlossen sei: Dies entsprach kaum noch der ursprünglichen Auffassung von Lenin, die die Tatsache unterstrich, daß die Bourgeoisie unweigerlich mit der Autokratie paktieren würde. Es gab sogar ernsthafte Versuche einer Wiedervereinigung zwischen den Menschewiki und den Bolschewiki.
Die politisch entwaffnete bolschewistische Partei zieht es so Richtung Kompromiß und Verrat. Die Zukunft der Revolution steht auf dem Spiel, als Lenin aus dem Exil zurückkommt.
In seiner Geschichte der Russischen Revolution gibt Trotzki uns eine genaue Beschreibung der Ankunft Lenins am 3. April 1917 im Finnländischen Bahnhof von Petrograd. Der Petrogrades Sowjet, der noch von Menschewiki und Sozialrevolutionären beherrscht ist, organisierte eine große Empfangsfeier und hieß Lenin mit Blumen willkommen. Im Namen des Sowjets empfängt Tschcheidse Lenin mit den folgenden Worten:
"Genosse Lenin, im Namen des Petersburger Sowjets und der gesamten Revolution begrüßen wir Sie in Rußland ... Aber wir sind der Ansicht, daß die Hauptaufgabe der revolutionären Demokratie jetzt in der Verteidigung unserer Revolution gegen alle Anschläge, von innen wie von außen, besteht ... Wir hoffen, daß Sie gemeinsam mit uns diese Ziele verfolgen werden."
Die Antwort von Lenin richtete sich nicht an die Führer des Empfangskomitees, sondern an die Hunderte von Arbeitern und Soldaten, die zum Bahnhof geströmt waren:
"Liebe Genossen, Soldaten, Matrosen und Arbeiter! Ich bin glücklich, in eurer Person die siegreiche Russische Revolution zu begrüßen, euch als die Avantgarde der proletarischen Weltarmee zu begrüßen ... Die Stunde ist nicht fern, wo auf den Ruf unseres Genossen Karl Liebknecht die Völker die Waffen gegen ihre Ausbeuter, die Kapitalisten, richten werden ... Die Russische Revolution, von euch vollbracht, hat eine neue Epoche eingeleitet. Es lebe die sozialistische Weltrevolution ..."
So geht der Spielverderber Lenin mit dem demokratischen Karneval von allem Anfang an um. In dieser Nacht arbeitete Lenin seinen Standpunkt zu einer zweistündigen Rede aus, die mehr noch all die Demokraten und sentimentalen Sozialisten vor den Kopf stoßen würde, die wollten, daß die Revolution nicht weitergehe als es diejenige des Februars getan hatte, die den Massenstreiks der Arbeiter applaudierten, als diese den Zaren verjagten und der Provisorischen Regierung erlaubten, die Macht zu ergreifen, die aber jede weitere Polarisierung zwischen den Klassen fürchteten. Am folgenden Tag legte Lenin in einer gemeinsamen Sitzung der Bolschewiki und der Menschewiki das vor, was später unter dem Namen der Aprilthesen bekannt wurde. Sie sind ziemlich kurz, so daß sie hier in voller Länge abgedruckt werden können:
"1. In unserer Stellung zum Krieg, der von seiten Rußlands auch unter der neuen Regierung Lwow und Co. – infolge des kapitalistischen Charakters dieser Regierung – unbedingt ein räuberischer, imperialistischer Krieg bleibt, sind auch die geringsten Zugeständnisse an die ‘revolutionäre Vaterlandsverteidigung’ unzulässig.
Einem revolutionären Krieg, der die Vaterlandsverteidigung wirklich rechtfertigen würde, kann das klassenbewußte Proletariat seine Zustimmung nur unter folgenden Bedingungen geben: a) Übergang der Macht in die Hände des Proletariats und der sich ihm anschließenden ärmsten Teile der Bauernschaft; b) Verzicht auf alle Annexionen in der Tat und nicht nur in Worten; c) tatsächlicher und völliger Bruch mit allen Interessen des Kapitals.
In Anbetracht dessen, daß breite Schichten der revolutionären Vaterlandsverteidiger aus der Masse es zweifellos ehrlich meinen und den Krieg anerkennen in dem Glauben, daß er nur aus Notwendigkeit und nicht um Eroberungen geführt werde, in Anbetracht dessen, daß sie von der Bourgeoisie betrogen sind, muß man sie besonders gründlich, beharrlich und geduldig über ihren Irrtum, über den untrennbaren Zusammenhang von Kapital und imperialistischem Krieg aufklären, muß man den Nachweis führen, daß es ohne den Sturz des Kapitals unmöglich ist, den Krieg durch einen wahrhaft demokratischen Frieden und nicht durch einen Gewaltfrieden zu beenden.
Organisierung der allerbreitesten Propaganda dieser Auffassung unter den Fronttruppen.
Verbrüderung.
2. Die Eigenart der gegenwärtigen Lage in Rußland besteht im Übergang von der ersten Etappe der Revolution, die infolge des ungenügend entwickelten Klassenbewußtseins und der ungenügenden Organisiertheit des Proletariats der Bourgeoisie die Macht gab, zur zweiten Etappe der Revolution, die die Macht in die Hände des Proletariats und der ärmsten Schichten der Bauernschaft legen muß.
Dieser Übergang ist gekennzeichnet einerseits durch ein Höchstmaß an Legalität (Rußland ist zur Zeit von allen kriegführenden Ländern das freieste Land der Welt), andererseits dadurch, daß gegen die Massen keine Gewalt angewandt wird, und schließlich durch die blinde Vertrauensseligkeit der Massen gegenüber der Regierung der Kapitalisten, der ärgsten Feinde des Friedens und des Sozialismus.
Diese Eigenart fordert von uns die Fähigkeit, uns den besonderen Bedingungen der Parteiarbeit unter den unerhört breiten, eben erst zum politischen Leben erwachten Massen des Proletariats anzupassen.
3. Keinerlei Unterstützung der Provisorischen Regierung, Aufdeckung der ganzen Verlogenheit aller ihrer Versprechungen, insbesondere hinsichtlich des Verzichts auf Annexionen, Entlarvung der Provisorischen Regierung statt der unzulässigen, Illusionen erweckenden ‘Forderung’, diese Regierung, die Regierung der Kapitalisten, solle aufhören, imperialistisch zu sein.
4. Anerkennung der Tatsache, daß unsere Partei in den meisten Sowjets der Arbeiterdeputierten in der Minderheit, vorläufig sogar in einer schwachen Minderheit ist gegenüber dem Block aller kleinbürgerlichen opportunistischen Elemente, die dem Einfluß der Bourgeoisie erlegen sind und diesen Einfluß in das Proletariat hineintragen – von den Volkssozialisten und Sozialrevolutionären bis zum Organisationskomitee (Tschcheidse, Zereteli usw.), Steklow usw. usf.
Aufklärung der Massen darüber, daß die Sowjets der Arbeiterdeputierten die einzig mögliche Form der revolutionären Regierung sind und daß daher unsere Aufgabe, solange sich diese Regierung von der Bourgeoisie beeinflussen läßt, nur in geduldiger, systematischer, beharrlicher, besonders den praktischen Bedürfnissen der Massen angepaßter Aufklärung über die Fehler ihrer Taktik bestehen kann.
Solange wir in der Minderheit sind, besteht unsere Arbeit in der Kritik und Klarstellung der Fehler, wobei wir gleichzeitig die Notwendigkeit der Übergangs der gesamten Staatsmacht an die Sowjets der Arbeiterdeputierten propagieren, damit die Massen sich durch die Erfahrung von ihren Irrtümern befreien.
5. Keine parlamentarische Republik – von den Sowjets der Arbeiterdeputierten zu dieser zurückzukehren wäre ein Schritt rückwärts –, sondern eine Republik der Sowjets der Arbeiter, Landarbeiter- und Bauerndeputierten im ganzen Land, von unten bis oben.
Abschaffung der Polizei, der Armee, der Beamtenschaft.
Entlohnung aller Beamten, die durchweg wählbar und jederzeit absetzbar sein müssen, nicht über den Durchschnittslohn eines guten Arbeiters hinaus.
6. Im Agrarprogramm Verlegung des Schwergewichts auf die Sowjets der Landarbeiterdeputierten.
Konfiskation aller Gutbesitzerländereien.
Nationalisierung des gesamten Bodens im Lande; die Verfügungsgewalt über den Boden liegt in den Händen der örtlichen Sowjets der Landarbeiter- und Bauerndeputierten. Bildung besonderer Sowjets von Deputierten der armen Bauern. Schaffung von Musterwirtschaften aus allen großen Gütern (im Umfang von etwa 100 bis 300 Desjatinen, je nach den örtlichen und sonstigen Verhältnissen und nach dem Ermessen der örtlichen Institutionen) unter Kontrolle der Landarbeiterdeputierten und für Rechnung der Gesellschaft.
7. Sofortige Verschmelzung aller Banken des Landes zu einer Nationalbank und Errichtung der Kontrolle über die Nationalbank durch den Sowjet der Arbeiterdeputierten.
8. Nicht ‘Einführung’ des Sozialismus als unsere unmittelbare Aufgabe, sondern augenblicklich nur Übergang zur Kontrolle über die gesellschaftliche Produktion und die Verteilung der Erzeugnisse durch den Sowjet der Arbeiterdeputierten.
9. Aufgaben der Partei:
a) sofortige Einberufung des Parteitags;
b) Änderung der Parteiprogramms, in der Hauptsache in folgenden Punkten:
1. Imperialismus und imperialistischer Krieg;
2. Stellung zum Staat und unsere Forderung eines ‘Kommunestaates’;
3. Berichtigung des veralteten Minimalprogramms;
c) Änderung des Namens der Partei.
10. Erneuerung der Internationale.
Initiative zur Gründung einer revolutionären Internationale, einer Internationale gegen die Sozialchauvinisten und gegen das ‘Zentrum’."
Zalewski, Mitglied des bolschewistischen Zentralkomitees, faßte die Reaktion auf die Thesen Lenins in der Partei und der Arbeiterbewegung folgendermaßen zusammen: "Die Thesen Lenins hatten die Wirkung einer explodierenden Bombe." Die anfängliche Reaktion war Ungläubigkeit, und ein Regen von Verdrehungen prasselte auf Lenin nieder: Er sei zu lange im Exil gewesen und habe so den Kontakt mit der Russischen Revolution verloren, seine Ansichten über die Perspektive der Revolution seien in den "Trotzkismus" abgeglitten und seine Position über die Machtergreifung durch die Sowjets stelle einen Schritt zurück zum Blanquismus, Abenteurertum und Anarchismus dar. Goldberg, ein früheres Mitglied des bolschewistischen Zentralkomitees, nun außerhalb der Partei, äußerte sich dazu folgendermaßen: "Während einigen Jahren war der Platz von Bakunin in der Russischen Revolution unbesetzt; nun ist er von Lenin eingenommen worden." Kamenew sah in den Auffassungen Lenins für die Bolschewiki gar eine Behinderung, als Massenpartei zu funktionieren, indem er ihre Rolle auf eine "Gruppe von kommunistischen Propagandisten reduziere".
Dies war nicht das erste Mal, daß sich die "alten Bolschewiki" im Namen des Leninismus an alten Formeln festklammerten. Schon 1905 stützte sich die anfängliche Reaktion der Bolschewiki gegenüber dem Auftauchen der Räte auf eine mechanische Interpretation von Lenins Kritik am Spontaneismus in "Was Tun?". Die Parteileitung hatte den Petrograder Sowjet sogar aufgefordert, sich der Partei zu unterwerfen oder sich aufzulösen. Lenin hatte als einer der Ersten die Bedeutung der Räte als Organ der proletarischen Macht verstanden und jene Auffassungen kategorisch verworfen. Er bestand darauf, sich nicht die Frage "Sowjet oder Partei" zu stellen, sondern "Sowjet und Partei", da sie beide eine sich gegenseitig ergänzende Rolle haben. Schon damals hatte Lenin diesen "Leninisten" eine Lehre über die marxistische Methode erteilt, indem er ihnen aufzeigte, daß der Marxismus das Gegenteil eines toten Dogmas ist, sondern eine wissenschaftliche und lebendige Theorie, welche dauernd im Laboratorium der sozialen Bewegung bestätigt wird. Die Aprilthesen sind ein Beispiel der Fähigkeit des Marxismus, überholte Auffassungen im Lichte des Klassenkampfes auszusondern, anzupassen, zu verbessern und zu bereichern: "Jetzt gilt es, sich die unbestreitbare Wahrheit zu eigen zu machen, daß der Marxist mit dem lebendigen Leben, mit den exakten Tatsachen der Wirklichkeit rechnen muß, statt sich an die Theorie von gestern zu klammern, die, wie jede Theorie, bestenfalls nur das Grundlegende, Allgemeine aufzeigt und die Kompliziertheit des Lebens nur annähernd erfaßt. ‘Grau, treuer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldener Baum.’" Und im selben Brief warnte Lenin, "es jenen ‘alten Bolschewiki’ gleichzutun, die schon mehrmals eine traurige Rolle in der Geschichte unserer Partei gespielt haben, indem sie sinnlos eine auswendig gelernte Formel wiederholt haben, anstatt die Eigenart der neuen, der lebendigen Wirklichkeit zu studieren."
Für Lenin bestand die "Demokratische Diktatur" in den Deputiertenräten der Arbeiter und Bauern und war somit zu einer veralteten Formel verkommen. Die wichtigste Aufgabe der Bolschewiki war nun das Vorwärtsstoßen der proletarischen Dynamik innerhalb dieser breiten sozialen Bewegung in Richtung eines Kommune-Staates in Rußland, als erster Meilenstein der sozialistischen Weltrevolution. Man kann sich über die Bemühungen Lenins, die Ehre der alten Formeln zu retten, streiten, aber das Wesentliche in seinen Bemühungen war die Fähigkeit, die Zukunft der Bewegung zu sehen und daraus mit veralteten Methoden zu brechen.
Die marxistische Methode ist nicht nur dialektisch und dynamisch, sie ist auch global, sie stellt jede Teilfrage in einen internationalen und historischen Rahmen. Und genau dies erlaubte Lenin, den wirklichen Sinn der Ereignisse zu erkennen. Seit 1914 hatten die Bolschewiki mit Lenin an der Spitze und im Bewußtsein der Dekadenz des Kapitalismus und der angebrochenen Etappe der proletarischen Weltrevolution, die konsequenteste internationalistische Haltung gegen den imperialistischen Krieg verteidigt. Dies war der Dreh- und Angelpunkt der Position der "Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg", die Lenin gegen alle Variationen des Chauvinismus und Pazifismus verteidigte. Sich immer eng an dieser Analyse orientierend, verfiel Lenin nie der Idee, daß die Beteiligung an der Macht der Provisorischen Regierung den imperialistischen Charakter des Krieges verändern würde, und er hielt sich in seinen Kritiken gegenüber denjenigen Bolschewiki, welche diesem Irrtum verfallen waren, nicht zurück: "Die "Prawda" fordert von der Regierung, sie solle auf Annexionen verzichten. Von einer Regierung der Kapitalisten verlangen, sie soll auf Annexionen verzichten – ist Unsinn, schreiender Hohn..."
Die Unnachgiebigkeit in der Verteidigung der internationalistischen Haltung gegenüber dem Krieg war eine Notwendigkeit, um das opportunistische Abgleiten der Partei zu verhindern. Es war aber auch Ausgangspunkt zur theoretischen Liquidierung der Formel der "Demokratischen Diktatur" und aller anderen menschewistischen Rechtfertigungen zur Unterstützung der Bourgeoisie. Das Argument, das rückständige Rußland sei für den Sozialismus noch nicht reif, beantwortete Lenin als wahrer Internationalist in der These Nr. 8: "Nicht die "Einführung" des Sozialismus als unsere unmittelbare Aufgabe, sondern augenblicklich nur Übergang zur Kontrolle über die gesellschaftliche Produktion und die Verteilung der Erzeugnisse durch den Sowjet der Arbeiterdeputierten."
Rußland alleine war für den Sozialismus nicht reif, doch der imperialistische Krieg hatte gezeigt, daß der Kapitalismus weltweit wahrlich mehr als nur reif war. Daher bei der Ankunft im Finnländischen Bahnhof auch der Appell Lenins an die Arbeiter, bei der Machtübernahme als eine Vorhut der internationalen proletarischen Armee zu handeln – daher auch der Aufruf zu einer neuen Internationale am Ende der Aprilthesen. Und für Lenin, wie für alle wahrhaften Internationalisten von damals, war die Weltrevolution nicht nur einfach ein heiliges Gelübde, sondern eine konkrete Perspektive, die sich aus der internationalen proletarischen Revolte gegen den Krieg entwickelte, aus den Streiks in England und Deutschland, den politischen Demonstrationen, den Meutereien und Verbrüderungen in den Armeen der wichtigsten Länder und der revolutionären Springflut in Rußland selbst. Diese Perspektive, zum damaligen Zeitpunkt noch embryonal, sollte sich nach dem Oktoberaufstand durch die Ausbreitung der revolutionären Welle auf Italien, Ungarn, Österreich und vor allem Deutschland voll und ganz bestätigen.
Die Verteidiger des "orthodoxen" Marxismus unterstellten Lenin blanquistische und anarchistische Auffassungen zur Frage der Machtergreifung und des Charakters des nachrevolutionären Staates. Blanquistisch, weil er angeblich für einen Staatsstreich durch eine Minderheit eintrete – entweder durch die alleine agierenden Bolschewiki oder das Industrieproletariat unter Ausschluß der bäuerlichen Mehrheit. Bakunistisch deshalb, weil die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie eine Konzession an die unpolitischen Vorurteile der Anarchisten und Anarchosyndikalisten sei.
In seinen "Briefen über die Taktik" verteidigte Lenin die Aprilthesen gegen die erste Anschuldigung: "Ich habe mich in meinen Thesen entschieden von jedem Überspringen der noch nicht überwundenen bäuerlichen oder überhaupt kleinbürgerlichen Bewegung, von jedem Spiel mit der "Machtergreifung" durch eine Arbeiterregierung, von jedem blanquistischen Abenteuer abgegrenzt, denn ich habe direkt auf die Erfahrungen der Pariser Kommune verwiesen. Diese Erfahrungen haben aber bekanntlich, wie Marx 1871 und Engels 1891 eingehend nachgewiesen haben, gezeigt, daß für Blanquismus kein Platz war, sie haben klar gezeigt, daß die direkte, unmittelbare, unbedingte Herrschaft der Mehrheit und die Aktivität der Massen nur in dem Maße gesichert waren, wie die Mehrheit selbst bewußt auftrat.
In Bezug auf die anarchistischen Positionen über den Staat unterstrich Lenin im April, wie er es in ausführlicher Art und Weise schon in "Staat und Revolution" gemacht hatte, daß die "orthodoxen" Marxisten mit Kautsky und Plechanov an der Spitze die wahren Lehren von Marx und Engels unter einem Haufen von parlamentarischen Verwünschungen begraben hatten. Die Erfahrung der Kommune hatte gezeigt, daß die Aufgabe des Proletariats in der Revolution nicht die Bemächtigung des alten Staates ist, sondern seine Zerstörung in Grund und Boden, und sie hatte gezeigt, daß das neue Instrument der proletarischen Macht, der Kommune-Staat, nicht auf den Prinzipien der parlamentarischen Repräsentation beruht, die nichts anderes als eine Fassade zur Verschleierung der Macht der Bourgeoise ist, sondern auf direkten Mandaten und der jederzeitigen Abwählbarkeit durch die bewaffneten und selbstorganisierten Massen. Durch die Bildung der Sowjets haben die Erfahrung von 1905 und die 1917 aufflammende Revolution diese Perspektive nicht nur bestätigt, sondern um vieles bereichert. Wenn die Pariser Kommune noch einen "volkstümlichen" Charakter hatte, in der alle ausgebeuteten Klassen der Gesellschaft gleich beteiligt waren, so hatten nun die Sowjets einen höherstehenden Charakter, da sie dem Proletariat erlaubten, sich eigenständig und klassenautonom innerhalb der ganzen Massenbewegung zu organisieren. In ihrer Gesamtheit stellten die Sowjets schließlich einen neuen Staat dar, mit einer anderen Qualität als der alte bürgerliche Staat, aber trotzdem noch einen Staat. Hier unterschied sich Lenin auf klarste Art und Weise vom Anarchismus: "...denn der Anarchismus ist die Verneinung der Notwendigkeit des Staates und der Staatsmacht für die Epoche des Übergangs von der Herrschaft der Bourgeoisie zur Herrschaft des Proletariates. Ich aber trete mit einer Bestimmtheit, die jede Möglichkeit eines Mißverständnisses ausschließt, für die Notwendigkeit des Staates in dieser Epoche ein, jedoch – in Übereinstimmung mit Marx und mit den Erfahrungen der Pariser Kommune – nicht des gewöhnlichen bürgerlich-parlamentarischen Staates, sondern eines Staates ohne stehendes Heer, ohne eine gegen das Volk gerichtete Polizei, ohne eine über das Volk gestellte Beamtenschaft.
Wenn Herr Plechanov in seinem "Jedinstwo" aus Leibeskräften über Anarchismus zetert, so ist das nur ein weiterer Beweis für seinen Bruch mit dem Marxismus."
Die Anschuldigung, Lenin habe einen blanquistischen Staatsstreich geplant, hängt eng mit dem Irrglauben zusammen, sein Ziel sei lediglich die Machtergreifung der eigenen Partei gewesen. Dies war denn auch eine der Hauptachsen der bürgerlichen Propaganda nach der Russischen Revolution. Es wurde behauptet, in Rußland handle es sich um nichts anderes als um einen bolschewistischen Staatsstreich. Wir wollen hier nicht auf alle Einzelheiten und Schattierungen dieser Verdrehungen eingehen. In seinem Buch "Die Geschichte der Russischen Revolution" lieferte schon Trotzki demgegenüber eine der treffendsten Antworten, indem er aufzeigte, daß es nicht die bolschewistische Partei, sondern die Sowjets waren, die im Oktober 1917 die Macht übernommen hatten. Eines der Hauptargumente all dieser Auffassungen ist jedoch immer wieder, die Positionen Lenins zur Partei als einer einheitlichen und stark zentralisierten Organisation führe unweigerlich zu einem Putsch einer Minderheit wie angeblich 1917, zum "Roten Terror" und schließlich zum Stalinismus.
Wie schon erwähnt, hat diese Auseinandersetzung ihre Wurzeln in der Spaltung zwischen Bolschewiki und Menschewiki, doch ist hier nicht der Platz, alle Einzelheiten dieser entscheidenden Epoche neu aufzurollen. Lenins Auffassungen über die revolutionäre Organisation wurden damals als jakobinerhaft, elitär, militaristisch oder gar terroristisch verunglimpft. Selbst herausragende Marxisten, unter ihnen Rosa Luxemburg und Trotzki, übten Lenin gegenüber solche Kritik. Wir streiten nicht ab, daß die damaligen Auffassungen Lenins über die Organisationsfragen Fehler enthielten, so zum Beispiel 1902 die Wiederaufnahme von Kautskys These, nach der das Bewußtsein von außen in die Arbeiterklasse hineingetragen werden müsse, oder seine Auffassungen zum Verhältnis zwischen Partei und Staat. Aber ganz im Gegenteil zu den Menschewiki von damals und ihren anarchistischen, sozialdemokratischen und rätistischen Nachfolgern, stellen für uns diese Fehler keinesfalls das Entscheidende dar, so wie auch die Fehler, die während der Pariser Kommune oder der Russischen Revolution begangen wurden, nicht der Kernpunkt für die Analyse darstellen. Das Entscheidende ist der Kampf, den Lenin in seinem ganzen Leben für den Aufbau der revolutionären Organisation geführt hat und dessen historische Bedeutung innerhalb der Arbeiterbewegung. Lenin legte gerade auch für die Revolutionäre von heute unersetzbare Grundlagen zum Verständnis der internen Funktionsweise der Organisation und ihrer Rolle, die sie innerhalb der Klasse einnimmt.
Die "engherzige" Organisationsauffassung der Bolschewiki, die Lenin der menschewistischen "Offenherzigkeit" gegenüberstellte, war nicht, wie viele oberflächliche Analysen behaupten, nur ein Produkt der Bedingungen, welche die zaristische Repression setzte. Gleich wie die Massenstreiks und revolutionären Erhebungen 1905 nicht das letzte Echo der bürgerlichen Revolutionen des neunzehnten Jahrhunderts waren, sondern die aufkommende Perspektive des Klassenkampfes im dekadenten Kapitalismus aufzeichneten, so waren auch die bolschewistischen Vorstellungen einer Partei aus entschlossenen Revolutionären mit einem klaren Programm und zentralisierter Funktionsweise ein weitsichtiges Begreifen der Rolle und Struktur der Partei unter den Bedingungen des dekadenten Kapitalismus, der Epoche der proletarischen Revolution. Die Menschewiki orientierten sich in ihren Organisationsauffassungen nicht, wie viele Anti-Bolschewiki behaupteten, an westlichen Organisationsmodellen, sondern vor allem an der überholten Vergangenheit sozialdemokratischer Massenparteien, welche die Klasse vereinigten und vor allem auf parlamentarischer Ebene repräsentierten. Und ganz im Gegensatz zu allen Anschuldigungen, nach denen die Bolschewiki in die archaischen, rückständigen Umstände Rußlands verwickelt gewesen seien, und deshalb zu einem konspirativen Organisationsmodell gegriffen hätten, waren es die Bolschewiki, die vorwärts blickten, vorwärts in eine turbulente revolutionäre Periode, welche nicht durch eine Partei organisiert, geplant oder einverleibt werden konnte. Eine Periode jedoch, welche die Rolle der Partei wie nie zuvor umrissen hat: "Verlassen wir nämlich das pedantische Schema eines künstlich von Partei und Gewerkschafts wegen kommandierten demonstrativen Massenstreiks der organisierten Minderheit und wenden wir uns dem lebendigen Bilde einer aus äußerster Zuspitzung der Klassengegensätze und der politischen Situation mit elementarer Kraft entstehenden wirklichen Volksbewegung zu, (...) so muß offenbar die Aufgabe der Sozialdemokratie nicht in der technischen Vorbereitung und Leitung des Massenstreiks, sondern vor allem in der politischen Führung der ganzen Bewegung bestehen."
Mit diesen Worten beschrieb Rosa Luxemburg in ihrer herausragenden Analyse die Bedeutung des Massenstreiks und die neuen Bedingungen des internationalen Klassenkampfes. Rosa Luxemburg, welche 1903, zur Zeit der Spaltung innerhalb der russischen Sozialdemokratie, noch eine der bissigsten Kritiken an Lenin geübt hatte, stimmte nun mit den grundlegenden Elementen der bolschewistischen Organisationsauffassung überein.
Mit größter Klarheit sind diese wichtigsten Eckpfeiler in den Aprilthesen umrissen, diese verwerfen jegliche Auffassung einer "Revolution von oben": "Solange wir in der Minderheit sind, besteht unsere Arbeit in der Kritik und Klarstellung der Fehler, wobei wir gleichzeitig die Notwendigkeit des Übergangs der gesamten Staatsmacht an die Sowjets der Arbeiterdeputierten propagieren, damit die Massen sich durch die Erfahrungen von ihren Irrtümern befreien." Diese Arbeit der "geduldigen, systematischen und beharrlichen Aufklärung" ist haargenau die Rolle einer politischen Führung in einer revolutionären Periode. Der Aufstand im Oktober 1917 wäre unmöglich gewesen ohne die vorangegangene Übernahme der revolutionären bolschewistischen Positionen durch die Sowjets. Doch bevor dies möglich war, stand der Sieg von Lenins Positionen innerhalb der bolschewistischen Partei auf der Tagesordnung, und dies bedingte einen langen und kompromißlosen Kampf, der mit Lenins Ankunft in Rußland begonnen hatte.
"Wir sind keine Scharlatane, wir stützen uns lediglich auf das Bewußtsein der Massen."
Diese Rolle genügte den "alten Bolschewiki", welche "handfestere" Pläne hatten, nicht. Sie wollten sich an der existierenden "bürgerlichen Revolution" beteiligen und erstrebten wie früher einen massiven Einfluß der bolschewistischen Partei in den Massen. Wie die Worte Kamenews zeigen, waren sie entsetzt über den Gedanken, daß die Partei mit ihren "reinen" Positionen in der Ecke verharren müsse, reduziert auf eine "Gruppe von propagandistischen Kommunisten".
Für Lenin war es keine Kunst, diese Positionen bloßzustellen, hatten doch die Chauvinisten nicht schon dieselben Argumente zu Beginn des Krieges gegenüber den Internationalisten ins Feld geführt und behauptet, sie würden den Kontakt mit den Massen aufrechterhalten, während sie die Bolschewiki und Spartakisten als marginale Sekten bezeichneten. Nun dieselben Argumente aus dem Munde eines bolschewistischen Genossen zu hören war verwirrend, doch dies stumpfte die Schärfe von Lenins Antwort keinesfalls ab: "Genosse Kamenew stellt die ‘Partei der Massen’ einer ‘Gruppe von Propagandisten’ entgegen. Aber die ‘Massen’ sind ja gerade jetzt dem Taumel der ‘revolutionären’ Vaterlandsverteidigung erlegen. Ist es in einem solchen Augenblick nicht auch für die Internationalisten geziemender, dem ‘Massen’taumel zu widerstehen, als bei den Massen ‘bleiben zu wollen’, d.h. Opfer der allgemeinen Seuche zu werden? Haben wir nicht in allen kriegführenden europäischen Ländern gesehen, wie die Chauvinisten sich damit zu rechtfertigen suchten, daß es ihr Wunsch sei, ‘bei den Massen zu bleiben’? Müssen wir es nicht verstehen, eine gewisse Zeit lang gegen den ‘Massen’taumel in der Minderheit zu sein? Ist es den nicht die Arbeit eben der Propagandisten gerade im gegenwärtigen Augenblick der Angelpunkt, um die proletarische Linie frei zu machen von dem kleinbürgerlichen ‘Massen’taumel der Vaterlandsverteidigung? Gerade das Ineinanderfliessen der Massen, der proletarischen wie der nichtproletarischen, ungeachtet der Klassenunterschiede innerhalb der Massen, war eine Voraussetzungen der Vaterlandsverteidigungspsychose. Es ist wahrlich wenig angebracht, verächtlich von einer ‘Gruppe von Propagandisten’ der proletarischen Linie zu reden."
Dieser Wille gegen den Strom zu schwimmen und in der Minderheit zu sein, um die Klassenprinzipien klar und präzise zu verteidigen, hatte nichts puritanisches oder sektiererisches an sich. Im Gegenteil basierte er auf einem Verständnis der wirklichen Bewegung innerhalb der Klasse und auf der Fähigkeit, den fortgeschrittensten Elementen des Proletariates eine Richtung und Orientierung zu geben.
Trotzki zeigte auf, wie Lenin auf dem Weg zur Eroberung der Partei für seine Positionen und die Verteidigung der "proletarischen Linie" innerhalb der gesamten Klasse die Unterstützung dieser Elemente suchte: "Gegen die alten Bolschewiki fand Lenin in einer anderen, bereits gestählten, aber frischeren und mehr in den Massen verbundenen Parteischicht eine Stütze. In der Februarrevolution hatten die bolschewistischen Arbeiter, wie wir wissen, eine entscheidende Rolle gespielt. Sie betrachteten es als selbstverständlich, daß jene Klasse die Macht übernehmen müsse, die den Sieg errungen hatte. Diese Arbeiter hatten stürmisch gegen den Kurs Kamenew-Stalin protestiert und der wyborger Bezirk sogar mit dem Ausschluß der "Führer" aus der Partei gedroht. Das gleiche war in der Provinz zu beobachten. Fast überall gab es linke Bolschewiki, die man des Maximalismus und sogar des Anarchismus beschuldigte. Den revolutionären Arbeitern mangelten nur die theoretischen Mittel, um ihre Positionen zu verteidigen. Doch waren sie bereit, den ersten Zuruf mit Widerhall zu beantworten."
Die Fähigkeit Lenins, die wirkliche Dynamik innerhalb der sozialen Bewegung zu erkennen, ist ein weiteres Beispiel der Bereicherung der marxistischen Methode. Später, in den Zwanzigerjahren, griff Lenin selbst auf das Argument "innerhalb der Massen" zu bleiben zurück, um die "Einheitsfront" und die organisatorische Vereinigung mit den zentristischen Organisationen zu rechtfertigen; Zeichen eines Verlustes über das Verständnis der marxistischen Methode und Abgleitens der Partei in den Opportunismus. Doch dies war das Resultat der Isolierung der Russischen Revolution und der Fusion der Bolschewiki mit dem Staat. Während der aufsteigenden Phase der Russischen Revolution war Lenin mit seinen Aprilthesen nie ein isolierter Prophet, nie ein Weltverbesserer unter den vulgären Massen, sondern die klarste Stimme der revolutionärsten Tendenz innerhalb des Proletariates. Eine Stimme, welche mit höchster Präzision den Weg aufzeigte der zum Oktoberaufstand führte. Amos.
Zu Beginn der Revolution hatte das Proletariat die Macht der Bourgeoisie abgegeben, eine Tatsache, die keinen Marxisten überraschen darf, "denn wir haben es stets gewußt und viele Male darauf hingewiesen, daß die Bourgeoisie sich nicht nur mittels der Gewalt hält, sondern auch infolge der mangelnden Bewußtheit der Massen, ihrer Unfähigkeit, vom Althergebrachten loszukommen, ihrer Verschüchterung, ihrer Unorganisiertheit." Somit war die Hauptaufgabe der Bolschewiki die Entwicklung des Klassenbewußtsein und die Organisierung der Arbeitermassen.
Ich haben in den Thesen mit größter Bestimmtheit den Kampf um den Einfluß innerhalb der Sowjets der Arbeiter-, Landarbeiter-, Bauern- und Soldatendeputierten in den Mittelpunkt gestellt. Um auch nicht den leisesten Zweifel in dieser Beziehung aufkommen zu lassen, habe ich in den Thesen zweimal die Notwendigkeit der geduldigen, beharrlichen, ‘den praktischen Bedürfnissen der Massen angepaßten’ ‘Aufklärungs’arbeit betont."
In den ersten beiden Teilen dieser Reihe haben wir Ursprung und Entwicklung der Allianz Bakunins und die Art und Weise aufgezeigt, wie die Bourgeoisie diese Sekte als eine Kampfmaschine gegen die Erste Internationale unterstützte und manipulierte. Wir haben gesehen, daß für Marx, Engels und all die gesunden proletarischen Elemente in der Internationalen die Verteidigung der Funktion der Klassenprinzipien der Arbeiter im Kampf gegen den organisierten Anarchismus absolute Priorität besaß. In diesem Artikel werden wir die Lehren aus dem Haager Kongreß ziehen, einem der wichtigsten Momente im Kampf des Marxismus gegen den politischen Parasitismus. Sozialistische Sekten, die keinen Platz mehr fanden in der zwar jungen, aber sich entwickelnden Arbeiterbewegung, begannen, ihre Hauptaktivität dafür zu verwenden, nicht die Bourgeoisie, sondern die revolutionären Organisationen selbst zu bekämpfen. All diese parasitären Elemente scharten sich, trotz ihrer eigenen Divergenzen, um Bakunin, der versuchte, die Internationale zu zerstören.
Der Haager Kongreß der Ersten Internationale 1872 ist einer der bekanntesten Kongresse in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Auf diesem Kongreß fand der historische „Showdown" zwischen Marxismus und Anarchismus statt. Dieser Kongreß stellte einen entscheidenden Schritt bei der Überwindung der sektiererischen Phase dar, die die frühen Tage der Arbeiterbewegung gekennzeichnet hatte. In Den Haag wurde der Grundstein zur Überwindung der Spaltung zwischen den sozialistischen Organisationen auf der einen und den Massenbewegungen des proletarischen Klassenkampfes auf der anderen Seite gelegt. Der Kongreß verurteilte strikt die kleinbürgerliche anarchistische „Ablehnung der Politik" ebenso wie ihre Zurückhaltung gegenüber den täglichen Verteidigungskämpfen der Klasse. Vor allem erklärte er, daß die Emanzipation des Proletariats seine Organisierung als autonome politische Klassenpartei erfordert, die in Opposition zu all den Parteien der besitzenden Klassen steht (Resolution über die Statuten, Haager Kongreß). Es war kein Zufall, daß diese Fragen zu jenem Zeitpunkt behandelt wurden. Den Haag war der erste internationale Kongreß, der der Niederlage der Pariser Kommune 1871 folgte. Er fand statt angesichts einer internationalen Welle des reaktionären Terrors, der nach dieser Niederlage auf die Arbeiterklasse niederging. Die Pariser Kommune hat den politischen Charakter des proletarischen Klassenkampfes aufgezeigt. Sie hat der revolutionären Klasse die Notwendigkeit gezeigt, ihre Konfrontation mit dem bürgerlichen Staat zu organisieren, ihre Fähigkeit, so zu verfahren, ihre historische Neigung, diesen Staat zu zerstören und ihn durch die Diktatur des Proletariats zu ersetzen, die Vorbedingung des Sozialismus. Die Ereignisse in Paris bewiesen der Arbeiterklasse, daß der Sozialismus nicht durch Experimente mit Kooperativen des proudhonistischen Typs, nicht durch Pakte mit der herrschenden Klasse, wie sie die Lassalleaner propagierten, oder durch die verwegene Aktion einer begrenzten Minderheit, die der Blanquismus befürwortete, errungen werden kann. Vor allem bewies die Pariser Kommune all den wahren proletarischen Revolutionären, daß die sozialistische Revolution keine Orgie von Anarchie und Zerstörung ist, sondern ein zentralisierter, organisierter Prozeß. Und daß der Aufstand der Arbeiter nicht zur sofortigen „Abschaffung" von Klassen, Staat und „Autorität" führt, sondern zwingend die Autorität der Diktatur des Proletariats erfordert. Mit anderen Worten, die Pariser Kommune bekräftigte vollkommen die Position des Marxismus und bewies die totale Falschheit der „Theorien" der Bakunisten. In der Tat vergegenwärtigten sich zur Zeit des Haager Kongresses die besten Repräsentanten der Arbeiterklasse, daß das Gewicht der Proudhonisten, Blanquisten, Bakunisten und anderer Sektierer innerhalb der Führung des Aufstands die grundsätzliche politische Schwäche der Kommune gewesen war. Damit verknüpft war die Unfähigkeit der Internationalen, die Ereignisse in Paris in der zentralisierten und koordinierten Manier einer Klassenpartei zu beeinflussen Daher wurde es nach dem Fall der Pariser Kommune zur absoluten Priorität der Arbeiterbewegung, den Ballast ihrer eigenen sektiererischen Vergangenheit abzuschütteln, den Einfluß des kleinbürgerlichen Sozialismus zu überwinden. Dieser politische Rahmen erklärte die Tatsache, daß die zentrale Frage, die auf dem Haager Kongreß behandelt wurde, nicht die Pariser Kommune selbst war, sondern die Verteidigung der Statuten der Internationale gegen die Komplotte Bakunins und seiner Anhänger. Durch diese Tatsache verblüfft, schließen bürgerliche Historiker daraus, daß dieser Kongreß selbst Ausdruck des Sektierertums sei, da es die Internationale „vorzog", sich mit sich selbst zu befassen, statt mit den Resultaten eines Klassenkampfes von internationaler Bedeutung. Was die Bourgeoisie nicht begreifen kann, ist, daß die Verteidigung der politischen und organisatorischen Prinzipien des Proletariats, die Eliminierung kleinbürgerlicher Theorien und organisatorischer Verhaltensweisen aus ihren Reihen die notwendige Antwort der Revolutionäre auf die Pariser Kommune war. So kamen die Delegierten nach Den Haag, nicht nur um die internationale Repression und Verleumdungen gegen die Assoziation abzuwehren, sondern auch und vor allem um die Angriffe gegen die Organisation von innen zurückzuschlagen. Diese inneren Angriffe wurden von Bakunin angeführt, der nun offen zur Abschaffung des organisierten Zentralismus, zur Nichtachtung der Statuten, zur Nichtzahlung der Mitgliedsbeiträge an den Generalrat und zur Ablehnung des politischen Kampfes aufrief. Vor allem widersetzte er sich allen Entscheidungen der Londoner Konferenz von 1871, die, indem sie die Lehren aus der Pariser Kommune zog, die Notwendigkeit für die Internationale verteidigte, die Rolle der Klassenpartei zu übernehmen. Auf organisatorischer Ebene rief diese Konferenz den Generalrat dazu auf, ohne Zögern seine Aufgabe der Zentralisierung anzunehmen, indem er die Einheit der Internationale zwischen den Kongressen verkörpert. Und sie verurteilte die Existenz von Geheimgesellschaften innerhalb der Internationalen, wobei sie die Vorbereitung eines Berichts über die skandalösen Aktivitäten von Bakunin und Netschajew in Rußland im Namen der Internationalen in Auftrag stellte. Bakunins Arroganz bestand zum Teil im Versuch, der Aufdeckung seiner Aktivitäten gegen die Internationale unverfroren die Stirn zu bieten. Vor allem aber gründete sie sich auf eine strategische Kalkulation. Die Allianz kalkulierte damit, die Schwächung und Desorientierung großer Teile der Organisation nach der Niederlage der Pariser Kommune mit dem Ziel auszunutzen, die Internationale vor den Augen der gesamten Welt auf dem Haager Kongreß zu zertrümmern. Im Sonvilliers-Rundschreiben, das an alle Sektionen gesandt wurde, war Bakunins Angriff gegen die „Diktatur des Generalrats" enthalten, der geschickt darauf abzielte, alle kleinbürgerlichen Elemente zu sammeln, die sich durch die gründliche Proletarisierung der organisatorischen Methoden der Internationalen bedroht fühlten, welche von deren Zentralorganen befürwortet wurden. In der bürgerlichen Presse wurden lange Auszüge des Sonvilliers-Rundschreibens unter dem Titel „Das Monster Internationale enthüllt sich selbst" veröffentlicht. „In Frankreich, wo alles, was auf irgendeine Weise mit der Internationalen verbunden war, wütend verfolgt wurde, wurde es an die Häuser angeschlagen". Allgemeiner ausgedrückt, war nicht nur die Pariser Kommune, sondern auch die Gründung der Internationalen selbst Ausdruck ein und desselben historischen Prozesses. Das Wesen dieses Prozesses bestand in der Reifung des Emanzipationskampfes des Proletariats. Mitte der 1860er hatte die Arbeiterbewegung begonnen, ihre eigenen „Kinderkrankheiten" zu überwinden. Die Lehren aus den Revolutionen von 1848 ziehend, akzeptierte das Proletariat nicht länger die Führung des radikalen Flügels der Bourgeoisie und kämpfte nun darum, seine eigene Klassenautonomie zu etablieren. Diese Autonomie erforderte jedoch, daß das Proletariat innerhalb seiner eigenen Organisationen die Vorherrschaft der Theorien und organisatorischen Konzepte des Kleinbürgertums, der Bohemiens und entwurzelten Elemente etc. überwand. Daher mußte der Kampf zur Durchsetzung einer proletarischen Vorgehensweise innerhalb seiner Organisationen, der nach der Pariser Kommune eine neue Stufe erklimmen sollte, nicht nur nach außen geführt werden, gegen die Angriffe der Bourgeoisie, sondern auch innerhalb der Internationalen selbst. Innerhalb ihrer Reihen führten die kleinbürgerlichen und entwurzelten Elemente einen erbitterten Kampf gegen die Verhängung dieser proletarischen politischen und organisatorischen Prinzipien, da dies die Eliminierung ihres eigenen Einflusses über die Arbeiterorganisation bedeutete. In diesem Sinn werden diese Sekten „..., im Anfange Hebel der Bewegung, ... ein Hindernis, sowie diese sie überholt; sie werden dann reaktionär" (Marx, Engels: Die angeblichen Spaltungen in der Internationale, MEW Bd. 18, S. 33/34).
Der Haager Kongreß setzte sich also selbst zum Ziel, die Sabotage der Reifung und Autonomie des Proletariats durch die Sektierer auszumerzen. Einen Monat vor dem Kongreß erklärte der Generalrat in einem Rundschreiben an alle Mitglieder der Internationalen, daß es höchste Zeit sei, ein für allemal die inneren Kämpfe zu beenden, die vom „Vorhandensein dieser parasitären Körperschaft" verursacht worden waren. Und er erklärte: „Indem die Allianz die Tätigkeit der Internationale gegen die Feinde der Arbeiterklasse lähmt, dient sie ausgezeichnet der Bourgeoisie und den Regierungen" (Engels: Der Generalrat an alle Mitglieder der IAA, MEW Bd. 18, S. 121).
Der Haager Kongreß enthüllte, daß die Sektierer, die nicht mehr Hebel der Bewegung, sondern zu Parasiten geworden waren, die auf Kosten der proletarischen Organisationen lebten, sich international organisiert hatten, um ihren Krieg gegen die Internationale zu koordinieren. Eher zogen sie es vor, die Arbeiterpartei zu zerstören, als zu akzeptieren, daß sich das Proletariat von ihrem Einfluß befreit. Es wurde enthüllt, daß der politische Parasitismus sich darauf vorbereitete, eine Allianz mit der Bourgeoisie zu bilden, um zu verhindern, auf dem berühmten „Müllhaufen der Geschichte" zu landen, wohin er gehört. Die Basis dieser Allianz war der gemeinsame Haß gegen das Proletariat, auch wenn dieser Haß nicht denselben Gründen entsprang. Eine der großen Errungenschaften von Den Haag war die Fähigkeit des Kongresses, das Wesen dieses politischen Parasitismus aufzuzeigen, der die Arbeit der Bourgeoisie ausübt und sich am Krieg der besitzenden Klassen gegen die kommunistischen Organisationen beteiligt.Die Aufgaben der Revolutionäre nach der Pariser Kommune
Das Bündnis zwischen Parasitismus und herrschenden Klassen
Die schriftlichen Erklärungen, die von verschiedenen Sektionen nach Den Haag geschickt wurden, besonders aus Frankreich, wo die Assoziation heimlich arbeitete und viele Delegierte nicht den Kongreß besuchen konnten, zeigten die Stimmung innerhalb der Internationalen am Vorabend des Kongresses. Die Hauptpunkte, die behandelt werden sollten, waren die vorgeschlagene Ausweitung der Macht des Generalrates, die Orientierung zu einer politischen Klassenpartei und die Konfrontation mit Bakunins Allianz und den anderen eklatanten Verletzungen der Statuten.
Marx' Entscheidung, den Kongreß selbst zu besuchen, war nur eines von vielen Zeichen der Entschlossenheit innerhalb der Reihen der Organisation, die verschiedenen innerhalb der Assoziation entwickelten Komplotte, welche sich alle um Bakunins Allianz konzentrierten, aufzudecken und zu zerstören. Diese Allianz, eine verborgene Organisation in der Organisation, war eine Geheimgesellschaft, die entsprechend dem bürgerlichen Modell der Freimaurerei gegründet wurde. Die Delegierten waren sich völlig im klaren, daß hinter diesen sektiererischen Manövern um Bakunin die herrschende Klasse stand.
„Bürger, nie war ein Kongreß ernster und wichtiger als der, deren Tagung euch in Den Haag zusammengebracht hat. Was in der Tat diskutiert wird, wird nicht diese oder jene bedeutsame Frage der Gestalt, dieser oder jener banale Artikel der Statuten sein, sondern das eigentliche Leben der Assoziation.
Schmutzige Hände, besudelt mit republikanischem Blut, haben lange Zeit versucht, Zwietracht unter uns zu säen, wovon lediglich das kriminellste der Ungeheuer, Louis Bonaparte, profitieren würde; Intriganten, die mit Schande aus unserer Mitte ausgestoßen wurden - die Bakunins, Malons, Gaspard Blancs und Richards - versuchen, eine, wir wissen nicht wie geartete, Förderation zu gründen, bestimmt für ihre ehrgeizigen Projekte, die Assoziation zu zerschmettern. Also, Bürger, es ist dieser Keim der Zwietracht, grotesk in seiner Machart, aber gefährlich in seinen dreisten Manövern, der, koste es, was es wolle, zunichte gemacht werden muß. Sein Leben ist unvereinbar mit unserem, und wir können uns auf unsere unnachgiebige Energie stützen, um einen entscheidenden und brillanten Erfolg zu erringen. Seid ohne Mitleid, schlagt zu ohne Zögern, denn solltet ihr euch zurückziehen, solltet ihr euch schwächen lassen, würdet ihr nicht nur für die Katastrophe, die die Assoziation dann erleidet, verantwortlich sein, sondern auch und vor allem für die fürchterlichen Konsequenzen, die dies für die Sache des Proletariats bedeuten würde."
Entgegen der bakunistischen Forderung nach Autonomisierung der Sektionen und nach faktischer Abschaffung des Generalrats, dem Zentralorgan, das die Einheit der Internationalen repräsentierte, erklärten die Pariser Sektionen:
„Wenn ihr behauptet, daß der Rat eine nutzlose Körperschaft ist, daß die Förderationen es auch ohne ihn schaffen, indem sie untereinander korrespondieren (...), dann wird die Internationale Assoziation entstellt. Das Proletariat weicht zurück bis zur Periode der Korporationen (....) Also, wir Pariser erklären, daß wir nicht unser Blut in jeder Generation in Strömen vergossen haben für die Befriedigung engstirniger Interessen. Wir erklären, daß ihr überhaupt nichts über den Charakter und die Mission der Internationalen Assoziation begriffen habt" (Pariser Sektionen: M+D, S. 235).
(Ferré-Sektion, Paris: Minutes and Documents (M+D) of Hague Congress, S. 238; hier und im folgenden Übersetzung aus dem Englischen)Was die Infiltration proletarischer Organisationen durch den politischen Parasitismus konkret bedeuten kann, wird von der Tatsache veranschaulicht, daß von den sechs für den Kongreß (2. - 7. September 1872) veranschlagten Tagen volle zwei Tage der Kontrolle der Mandate gewidmet werden mußten. Mit anderen Worten, es war nicht immer klar, welche Delegierte wirklich ein Mandat und von wem besaßen. In einigen Fällen war es nicht einmal klar, ob Delegierte Mitglieder der Organisation waren, oder ob die Sektionen, die sie geschickt hatten, tatsächlich existierten.
So hatte Serrailler, der Korrespondent für Frankreich im Generalrat, niemals von Sektionen aus Marseilles gehört, die einem Mitglied der Allianz das Mandat verliehen hatten. Noch hatte er jemals Mitgliedsgebühren von ihnen erhalten.
„Darüber hinaus ist er in Kenntnis gesetzt worden, daß kürzlich Sektionen für den Zweck gegründet wurden, Delegierte zum Kongreß zu schicken"
Die Anhänger Bakunins, die sich auf dem Kongreß in der Minderheit befanden, versuchten umgekehrt, verschiedene Mandate anzufechten und verschwendeten dabei erneut Zeit.
Das Mitglied der Allianz, Alerini, beantragte, die Autoren der „Angeblichen Spaltungen" - d.h. den Generalrat - auszuschließen. Ihr Verbrechen: die Verteidigung der Statuten der Organisation. Die Allianz wollte ebenfalls die existierenden Stimmrechte verletzen, indem den Mitgliedern des Generalrates als Delegierte, die ein Mandat von den Sektionen besaßen, das Stimmrecht verboten werden sollte.
Ein anderer Gegner der Zentralorgane, Mottershead, „fragt, warum Barry, der kein Führer in England ist und kein Gewicht hat, nichtsdestotrotz von einer deutschen Sektion zum Kongreß delegiert wurde". Marx erklärte in seiner Entgegnung, daß „für die Glaubwürdigkeit Barrys spricht, daß er nicht einer der sogenannten Führer der englischen Arbeiter ist, da diese Männer von der Bourgeoisie und der Regierung bestochen sind. Barry ist nur deshalb angegriffen worden, weil er sich weigert, Werkzeug in den Händen von Hales zu sein" (M+D, S. 124). Hales und Mottershead unterstützten die anti-organisatorischen Tendenzen in Großbritannien.
Da sie keine Mehrheit hatte, versuchte die Allianz inmitten des Kongresses einen Putsch gegen die Statuten der Internationale - entsprechend ihrer Sichtweise, wonach Statuten immer nur für die anderen da waren, nicht jedoch für die bakunistische Elite.
Im Antrag Nr. 4 des Kongresses brachte die spanische Allianz vor, daß nur die Stimmen jener Delegierten auf dem Kongreß zählen dürfen, die ein „imperatives Mandat" von ihren Sektionen erhielten. Die Stimmen der anderen Delegierten sollten erst dann zählen, nachdem ihre Sektionen über die Anträge des Kongresses diskutiert und abgestimmt hatten. Das Ergebnis wäre gewesen, daß die angenommenen Resolutionen erst zwei Monate nach dem Kongreß in Kraft getreten wären.
Dieser Antrag zielte auf nichts geringeres als auf die Zerstörung des Kongresses als die höchste Instanz der Organisation ab.
Morage kündigte dann an, „daß die Delegierten aus Spanien genaue Anweisungen erhalten haben, sich der Abstimmung zu enthalten, bis die Abstimmung über die Zahl der Wahlmänner, die von jeder Sektion gestellt werden, durchgeführt wird".
Die Antwort von Lafargue wurde im Protokoll aufgezeichnet - „Lafargue stellt fest, daß, obwohl er Delegierter aus Spanien ist, keine solchen Anweisungen erhalten habe". Dies enthüllt das Wesen der Funktionsweise der Allianz. Delegierte verschiedener Sektionen, von denen einige behaupteten, ein „imperatives" Mandat von ihren Sektionen erhalten zu haben, gehorchten in Wirklichkeit den geheimen Anweisungen der Allianz, einer verborgenen alternativen Führung, die gegen den Generalrat und die Statuten opponierte.
Um ihre Strategie zu verstärken, fuhren die Mitglieder der Allianz fort, den Kongreß zu erpressen. Angesichts der Weigerung des Kongresses, seine eigenen Statuten zu brechen, um die spanischen Bakunisten zufriedenzustellen, kündigte die rechte Hand Bakunins, Guillaume, an, „daß von jetzt an die Jura-Förderation nicht mehr an der Abstimmung teilnehmen wird" (M+D, S. 143).
Doch damit nicht genug, es wurden auch noch Drohungen ausgestoßen, den Kongreß zu verlassen.
In seiner Entgegnung auf diese Erpressung „erklärt (der Vorsitzende), daß die Statuten nicht vom Generalrat oder von individuellen Personen gemacht worden sind, sondern von der IAA und ihren Kongressen, und daß daher jeder, der die Statuten angreift, die IAA und ihre Existenz angreift".
Engels hob hervor: „Es ist nicht unser Fehler, daß die Spanier sich in der traurigen Position befinden, außerstande zu sein abzustimmen, noch ist es der Fehler der spanischen Arbeiter, sondern der des spanischen Förderalrates, der durchsetzt ist mit Mitgliedern der Allianz" (M+D, S. 142/143).
Bei der Konfrontation mit der Sabotage durch die Allianz formulierte Engels die Entscheidung, der der Kongreß gegenüberstand.
„Wir müssen uns entscheiden, ob die IAA weiterhin auf demokratischer Basis geführt oder von einer Clique (Zwischenrufe und Proteste bei dem Wort 'Clique') beherrscht werden soll, die heimlich und unter Verletzung der Statuten organisiert ist"
„Ranvier protestiert gegen die Drohung von Splingard, Guillaume und anderer, die Halle zu verlassen, was nur beweist, daß SIE es sind und nicht wir, die IM VORAUS die Frage als zur Diskussion stehend angekündigt hatten; er wünscht sich, daß alle Polizeispitzel auf der Welt sich so verabschieden."
„Wenn Morago soviel über den möglichen Despotismus von Seiten des Generalrates spricht, dann muß er sich vergegenwärtigen, daß seine und seiner Genossen Art zu sprechen, höchst tyrannisch ist, seitdem sie uns mit der Drohung, mit uns zu brechen, zwingen wollen, daß wir uns ihnen ausliefern."
Der Kongreß antwortete auch in der Frage der imperativen Mandate, welche bedeuten, den Kongreß in eine simple Wahlurne zu verwandeln, wo die Delegationen vorgefaßte Stimmen repräsentieren. Es wäre billiger, den Kongreß erst gar nicht abzuhalten und die Stimmen mit der Post zu schicken. Der Kongreß wäre nicht mehr die höchste Instanz der Einheit der Organisation, die ihre Entscheidungen souverän, als eine Körperschaft trifft.
„Serrailler sagt, daß er nicht wie Guillaume und seine Genossen gebunden ist, die sich bereits im voraus über alles eine Meinung gemacht haben, seitdem sie die imperativen Mandate akzeptiert hatten, welche sie dazu zwingen, in bestimmter Weise abzustimmen oder sich zu enthalten."
Die wirkliche Funktion des „imperativen Mandats" in der Strategie der Allianz wurde in Engels Artikel „Die imperativen Mandate auf dem Haager Kongreß" enthüllt.(Engels: Die imperativen Mandate auf dem Haager Kongreß, MEW Bd. 18, S.175)
„Warum bestehen die Allianzisten, diese eingefleischten Feinde jeden Autoritätsprinzips, mit solcher Hartnäckigkeit auf der Autorität der imperativen Mandate? Weil es für eine Geheimgesellschaft wie die ihrige, die im Schoße einer öffentlichen Gesellschaft wie der Internationale besteht, nichts Bequemeres gibt wie das imperative Mandat. Die Mandate der Verbündeten werden alle identisch sein; die der Sektionen, die dem Einfluß der Allianz nicht unterworfen sind oder gegen sie rebellieren, werden einander widersprechen, so daß der Geheimgesellschaft oftmals die absolute Mehrheit und stets die relative Mehrheit gehören wird; währenddessen auf einem Kongreß ohne imperative Mandate der gesunde Verstand der unabhängigen Delegierten diese bald zu einer gemeinsamen Partei gegen die Partei der Geheimgesellschaft vereinen wird. Das imperative Mandat ist ein äußerst wirksames Mittel der Beherrschung, und eben aus diesem Grunde unterstützt die Allianz ungeachtet ihres ganzen Anarchismus dessen Autorität."
(Intervention von Lafargue, M+D, S. 153)(M+D, S. 129)(M+D, S. 122). (M+D, S. 124). Der Kongreß mußte darüber abstimmen, ob diese Sektionen existierten oder nicht !
Da die Finanzen als materielle Basis der politischen Arbeit für den Aufbau und die Verteidigung der revolutionären Organisation lebenswichtig sind, lag es auf der Hand, daß der Angriff gegen diese Finanzen eines der Hauptmittel zur Untergrabung der Internationalen durch den politischen Parasitismus war.
Vor dem Haager Kongreß wurden Versuche unternommen, die Zahlung der Mitgliedsbeiträge an den Generalrat, wie es die Statuten vorschrieben, zu boykottieren und zu sabotieren. Hinsichtlich der Politik jener, die in den US-Sektionen gegen den Generalrat revoltierten, erklärte Marx: „Die Weigerung, die Beiträge oder für Objekte zu zahlen, um die die Sektion vom Generalrat gebeten wurde, ist verbunden mit dem von der Jura-Förderation erteilten Rat, welcher besagt, daß, wenn sowohl Amerika als auch Europa sich weigerten, Beiträge zu zahlen, der Generalrat an seinen eigenen Kosten zugrundegehen würde" (M+D, S. 47).
Über die „rebellische" Zweite Sektion in New York: „Ranvier ist der Auffassung, daß die Statuten zu einem Spielzeug gemacht worden seien. Sektion Nr. 2 hat sich vom Förderationsrat getrennt, ist in Lethargie gefallen und hat in Anbetracht des Weltkongresses darum ersucht, auf ihm repräsentiert zu sein und gegen jene zu protestieren, die aktiv gewesen waren. Wie hat diese Sektion übrigens ihre Stellung mit dem Generalrat geregelt? Sie bezahlte ihre Beiträge nur bis zum 26. August. Dies überschreitet die Grenze zur Komödie und ist nicht zu tolerieren. Diese kleinen Klüngel, diese Sekten, diese Gruppen, die unabhängig voneinander und ohne gemeinsames Band sind, gleichen der Freimaurerei und können nicht in der Internationale geduldet werden." (M+D, S. 45)
Der Kongreß bestand richtigerweise darauf, daß nur Delegationen von Sektionen, die ihre Beiträge bezahlt hatten, am Kongreß teilnehmen durften.
Und wie „erklärte" Farga Pellicier das Ausbleiben der Beiträge der spanischen Allianzler? „Was die Beiträge angeht, erklärt er: Die Situation war schwierig, sie mußten gegen die Bourgeoisie kämpfen, und fast alle Arbeiter gehören Gewerkschaften an. Sie beabsichtigen, alle Arbeiter gegen das Kapital zu vereinen. Die Internationale macht große Fortschritte in Spanien, aber der Kampf ist kostspielig. Sie haben ihre Beiträge nicht bezahlt, aber sie werden wieder zahlen."
Mit anderen Worten, sie behielten das Geld der Organisation für sich selbst. Hier die Antwort des Schatzmeisters der Internationalen:
„Engels, Sekretär für Spanien, findet es befremdlich, daß die Delegierten mit Geld in ihren Taschen ankamen und immer noch nicht bezahlt haben. Auf der Londoner Konferenz haben alle Delegierte sofort bezahlt, und die Spanier sollten hier dasselbe machen, denn dies sei unerläßlich für die Gültigkeit ihrer Mandate"
Es überrascht kaum, daß die Allianz und ihre Anhänger daraufhin die Reduzierung der Mitgliedsbeiträge beantragten, um die Organisation zu schwächen. Der Kongreß beantragte ihre Erhöhung.
„Brismé ist für die Abschaffung der Beiträge, weil die Arbeiter an ihre Sektionen zu zahlen haben, an den förderalen Rat, und es ist eine große Last für sie, zehn Centimes pro Jahr dem Generalrat zu geben".
Darauf antwortete Frankel bei seiner Verteidigung der Organisation.
„Frankel ist Lohnarbeiter, und gerade er denkt, daß im Interesse der Internationale die Beiträge absolut erhöht werden müssen. Es gibt Förderationen, die erst in letzter Minute und so wenig wie möglich zahlen. Der Rat hat nicht einen Pfennig in der Kasse (...) Frankel ist der Auffassung, daß mit den Mitteln der Propaganda, die eine Erhöhung der Beiträge erlauben würde, die Spaltungen in der Internationale aufhören würden, und sie würden heute nicht existieren, wenn der Generalrat in der Lage gewesen wäre, seine Emissäre zu den verschiedenen Ländern zu schicken, wo diese Meinungsverschiedenheiten auftauchten"
(M+D, S. 95).In dieser Frage errang die Allianz einen Teilsieg: Die Beiträge blieben bei ihrer alten Höhe.
Schließlich wies der Kongreß entschieden die Verleumdungen der Allianz und der bürgerlichen Presse in dieser Frage zurück.
„Marx beobachtete, daß, obwohl die Mitglieder des Rates ihr eigenes Geld beisteuerten, um die Ausgaben der Internationale zu bezahlen, Verleumder jene Mitglieder beschuldigt haben, auf Kosten des Rates zu leben (...), von den Pfennigen der Arbeiter zu leben".
„Lafargue sagt, daß die Jura-Förderation eines der Sprachrohre jener Verleumdungen gewesen sei"
(M+D, S. 98, 169).(M+D, S.128). Zwei Seiten weiter lesen wir in den Protokollen: „Farga Pellicer erhebt sich schließlich und reicht dem Vorsitzenden die Kassenbücher und die Beiträge von der spanischen Förderation, außer für das letzte Vierteljahr", d.h. das Geld, das sie nicht zu haben vorgaben.„Der Generalrat (...) stellt eine der wichtigsten Fragen auf die Tagesordnung, die auf dem Kongreß in Den Haag diskutiert werden müssen, die Revision der Allgemeinen Statuten und Verordnungen"
Am letzten Tag des Kongresses wurde der Bericht der Kommission vorgestellt und diskutiert, der sich mit der Untersuchung der Allianz befaßte.
Cuno erklärte: „Es ist absolut unbestreitbar, daß es Intrigen innerhalb der Assoziation gegeben hat; Lügen, Verleumdungen und Verrat sind bewiesen worden, die Kommission hat eine übermenschliche Arbeit geleistet, hat heute 13 Stunden hintereinander getagt. Nun verdient sie eine Abstimmung des Vertrauens, indem die im Bericht hervorgestellten Forderungen akzeptiert werden".
Tatsächlich war die Arbeit der Untersuchungskommission während des Kongresses enorm. Ein Berg von Dokumenten ist geprüft worden. Eine Reihe von Zeugen wurde vorgeladen, Zeugnis abzulegen über verschiedene Gesichtspunkte der Frage. Engels las den Bericht des Generalrates über die Allianz vor. Bezeichnenderweise war eines der Dokumente, die der Generalrat der Kommission präsentierte, die „Allgemeinen Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation nach dem Genfer Kongreß von 1866". Diese Tatsache veranschaulicht, daß das Problem, das die Internationale bedrohte, nicht die Existenz von politischen Divergenzen war, die normalerweise im von den Statuten geschaffenen Rahmen behandelt werden konnten, sondern die systematischen Verletzungen der Statuten selbst. Das Trampeln auf die organisatorischen Klassenprinzipien des Proletariats bildet immer eine tödliche Gefahr für die Existenz und den Ruf kommunistischer Organisationen. Die Präsentation der geheimen Statuten der Allianz durch den Generalrat war Beweis genug, daß dies hier der Fall war.
Die vom Kongreß gewählte Kommission hat sich die Arbeit nicht leicht gemacht. Die Dokumentation ihrer Arbeit ist so lang wie alle anderen Dokumente des Kongresses zusammengenommen. Das längste dieser Dokumente, Utins Bericht, beauftragt von der Londoner Konferenz ein Jahr zuvor, enthält fast 100 Seiten. Schließlich stellte der Haager Kongreß die Veröffentlichung eines noch längeren Berichts in Auftrag, das berühmte Dokument „Die Allianz der Sozialistischen Demokratie und die Internationale Arbeiterassoziation". Revolutionäre Organisationen, die nichts vor dem Proletariat zu verbergen haben, haben stets gewollt, daß das Proletariat über solche Fragen informiert wird, soweit es die Sicherheit der Organisation zuläßt.
Die Kommission stellte ohne Zweifel fest, daß Bakunin mindestens dreimal die Allianz aufgelöst und wieder gegründet hatte, um die Internationale in die Irre zu führen, daß sie eine Geheimorganisation innerhalb der Internationalen war, die im Rücken der Organisation gegen die Statuten arbeitete, mit dem Ziel, jene Körperschaft zu übernehmen oder zu zerstören.
Die Kommission erkannte auch den irrationalen, esoterischen Charakter dieser Formation.
„Es wird aus der ganzen Organisation ersichtlich, daß es drei verschiedene Grade gibt, von denen wenige die anderen völlig beherrschten. Die ganze Angelegenheit scheint so abgehoben und exzentrisch zu sein, daß sich die ganze Kommission ständig vor Heiterkeit kugelte. Diese Art von Mystizismus wird allgemein als Verrücktheit angesehen. Die ganze Organisation manifestiert sich als ein einziger Absolutismus."
Die Arbeit der Kommission wurde durch verschiedene Faktoren behindert. Einer davon war die Abwesenheit von Bakunin selbst auf dem Kongreß. Nachdem er erst in seiner großmäuligen Art erklärt hatte, daß er zum Kongreß kommen würde, um seine Ehre zu verteidigen, zog er es vor, seine Verteidigung seinen Jüngern zu überlassen. Aber er gab ihnen eine Strategie auf den Weg, die darauf abzielte, die Untersuchungen zu sabotieren. Erstens weigerten sich seine Anhänger, im allgemeinen „aus Sicherheitsgründen", irgendetwas über die Allianz oder Geheimgesellschaften preiszugeben, als ob sich deren Aktivitäten gegen die Bourgeoisie und nicht gegen die Internationale richteten. Guillaume wiederholte, was er bereits auf dem Kongreß der Schweiz im April 1870 vertreten hatte: „Jedes Mitglied der Internationale hat voll und ganz das Recht, irgendeiner Geheimgesellschaft beizutreten, selbst den Freimaurern. Jede Untersuchung einer Geheimgesellschaft käme einfach einer Denunziation bei der Polizei gleich" (Nicolaevsky: Karl Marx, S.387).
Zweitens sah das imperative Mandat der Jura-Delegierten für den Kongreß vor, daß „die Jura-Delegierten alle persönlichen Fragen abstellen und Diskussionen auf diesem Feld nur dann abhalten, wenn sie dazu gezwungen werden, wobei sie dem Kongreß vorschlagen, die Vergangenheit der Vergessenheit zu überlassen und für die Zukunft Ehrengerichte zu wählen, die jederzeit zu entscheiden haben, wenn eine Anschuldigung gegen ein Mitglied der Internationale erhoben wird" (M+D, S. 325).
Dies ist ein Dokument des politischen Lavierens. Die Klärung der Rolle Bakunins als Anführer eines Komplotts gegen die Internationale wird abgetan als persönliche, nicht politische Frage. Untersuchungen sollen „für die Zukunft" aufgehoben werden und nehmen die Form einer permanenten Institution an, die irgendwelche Zänkereien in der Art bürgerlicher Gerichte regelt. Eine proletarische Untersuchungskommission oder ein Ehrengericht wird so völlig verwässert.
Drittens stellt sich die Allianz als „Opfer" der Organisation dar. Guillaume bestritt die „Macht des Generalrates, eine Inquisition über die Internationale zu errichten" (M+D, S. 84).
Er bekräftigte, daß „der ganze Prozeß ... die sogenannte Minderheit töten soll (...) Es ist das förderalistische Prinzip, das hier verdammt werden soll" (M+D, S. 172).
„Alerini ist der Meinung, daß die Kommission lediglich moralische Überzeugungen und keine materiellen Beweise hat; er war ein Mitglied der Allianz und stolz darauf (...) Aber ihr seid eine heilige Inquisition; wir fordern eine öffentliche Untersuchung und schlüssige, greifbare Beweise."
Der Kongreß ernannte einen Symphatisanten Bakunins, Splingard, zum Mitglied der Kommission. Dieser Splingard mußte zugeben, daß die Allianz als eine Geheimgesellschaft innerhalb der Internationalen existiert hat, obwohl er die Funktion der Kommission nicht begriff. Er sah seine Rolle als eine Art „Rechtsanwalt, der Bakunin verteidigt" (der eigentlich selbst alt genug sein sollte, sich selbst zu verteidigen), statt als Teil eines kollektiven Untersuchungsausschusses.
„Marx sagt, daß sich Splingard in der Kommission wie ein Anwalt der Allianz verhalten habe, nicht als ein unparteiischer Richter".
Marx und Lucain antworteten auf die andere Beschuldigung, daß es „keine Beweise" gebe.
Splingard „weiß sehr gut, daß Marx all jene Dokumente Engels gab. Der spanische Föderalrat besorgte selbst Beweise, und er (Marx) andere aus Rußland hinzu, nur könne er den Namen des Absenders nicht preisgeben; in dieser Angelegenheit hat die Kommission im allgemeinen ihr Ehrenwort gegeben, nicht irgendetwas, was davon handelt, insbesondere irgendwelche Namen, preiszugeben; ihre Entscheidung über diese Frage ist unumstößlich".
Lucain „fragt, ob sie warten müssen, bis die Allianz die Internationale zertrümmert und desorganisiert hat und dann die Beweise herausrückt. Wir werden uns jedoch weigern, so lange zu warten, wir greifen das Übel an, wo wir es sehen, weil das unsere Pflicht ist" (M+D, S. 171).
Außer der bakunistischen Minderheit unterstützte der Kongreß energisch die Schlußfolgerungen seiner Kommission. Tatsächlich forderte die Kommission lediglich drei Ausschlüsse, nämlich den von Bakunin, Guillaume und Schwitzguebel. Nur die beiden ersten wurden vom Kongreß akzeptiert.
Soweit zur Legende, wonach die Internationale eine unbequeme Minderheit durch Disziplinarmaßnahmen eliminieren wollte! Im Gegensatz zu dem, was Anarchisten und Rätekommunisten behaupten, haben proletarische Organisationen solche Maßnahmen nicht nötig; sie haben keine Angst vor, sondern ein starkes Interesse an einer totalen politischen Klärung durch die Debatte. Und sie schließen nur im außergewöhnlichen Falle einer schweren Disziplinlosigkeit und Untreue Mitglieder aus. Wie Johannard in Den Haag sagte, ist „der Ausschluß aus der IAA ... die schlimmste und unehrenhafteste Strafe, die einem Mann passieren kann; solch ein Mann könnte niemals wieder einer honorigen Gesellschaft angehören" (M+D, S. 171).
(S. 170) (M+D, S. 339)Wir wollen uns hier nicht mit der anderen dramatischen Entscheidung auf dem Kongreß befassen, den Umzug des Generalrates von London nach New York. Das Motiv hinter diesem Vorschlag war die Tatsache, daß, auch wenn die Bakunisten besiegt waren, der Generalrat in London in die Hände einer anderen Sekte fallen würde, der Blanquisten. Weil letztere sich weigerten, das internationale Zurückfluten des Klassenkampfes anzuerkennen, das von der Niederlage der Pariser Kommune verursacht worden war, riskierten sie in einer Reihe von sinnlosen Barrikadenkonfrontationen die Zerstörung der Arbeiterbewegung. In der Tat markierte die Niederlage in Paris den Anfang vom Ende der Ersten Internationalen (siehe Internationale Revue Nr. 18), wobei Marx und Engels zu jener Zeit hofften, den Generalrat später wieder zurückzuverlegen.
Stattdessen wollen wir diesen Artikel mit einer der großen historischen Errungenschaften des Haager Kongresses schließen. Diese Errungenschaft, die in der Nachwelt meist ignoriert oder völlig mißverstanden wurde (z.B. von Franz Mehring in seiner Biographie von Marx), war die Identifizierung der Rolle des politischen Parasitismus gegen die Arbeiterorganisationen.
Der Haager Kongreß zeigte auf, daß Bakunins Allianz nicht allein handelte, sondern das Koordinationszentrum einer von der Bourgeoisie unterstützten parasitären Opposition gegen die Arbeiterbewegung war.
Einer der Hauptverbündeten der Allianz war die Gruppe um Woodhull und West in Amerika, die man kaum „Anarchisten" nennen konnte.
„Wests Mandat wurde von Victoria Woodhull unterzeichnet, die schon seit Jahren Intrigen spinnt, um Präsident der USA zu werden, Präsidentin der Spiritualisten ist, die freie Liebe predigt, im Bankgeschäft tätig ist etc."
Die Verbindung dieser Elemente mit dem internationalen Parasitismus wurde von Sorge enthüllt.
„Sektion Nr. 12 nahm die Korrespondenz der Jura-Förderation und des Universal Federalist Council mit Vergnügen entgegen. Sektion Nr. 12 hat stets heimlich Intrigen ausgeführt und hartnäckig versucht, die oberste Führung der IAA zu erlangen, sie veröffentlichte selbst Entscheidungen des Generalrats, die nicht in ihrem Sinne waren, und interpretierte sie zu ihrem eigenen Vorteil. Später exkommunizierte sie die französischen Kommunisten und die deutschen Atheisten. Hier fordern wir Disziplin und Unterordnung nicht unter Personen, sondern unter das Prinzip, unter die Organisation; um Amerika zu besiegen, brauchen wir absolut die Iren, und sie werden nie auf unserer Seite sein, wenn wir nicht alle Verbindungen mit der Sektion Nr. 12 und den „freien Liebenden' abbrechen"
(S. 136).Diese internationale Koordination der Angriffe gegen die Internationale, mit den Bakunisten im Zentrum, wurde in der Diskussion noch klarer.
„Le Moussu liest aus dem Bulletin de la Fédération Jurassienne eine Reproduktion eines Briefes vor, der vom Spring Street Council als Antwort auf die Anordnung, die Sektion Nr. 12 zu suspendieren, an ihn adressiert war"
„Le Moussu lenkt die Aufmerksamkeit des Kongresses auf das Zusammentreffen der Angriffe auf den Generalrat und seine Mitglieder, der im Bulletin der Jura-Förderation unternommen wurde, mit jenen Angriffen, die von ihrer Schwesterförderation unternommen und von den Herren Vesinier und Landeck veröffentlicht wurden, wobei das Blatt der letztgenannten als ein Sprachrohr der Polizei entlarvt und seine Herausgeber als Polizeispitzel von der Flüchtlingsgesellschaft der Kommune in London ausgeschlossen wurden. Zweck dieser Fälschung ist es, die Kommune-Mitglieder im Generalrat als Abenteurer des bonapartistischen Regimes darzustellen, während die anderen Mitglieder, diese Wichte, die sich weiterhin einschmeicheln, Bismarckisten sind, als ob die wahren Bonapartisten und Bismarckisten nicht jene sind, die, wie all diese mittelmäßigen Schreiberlinge all der mannigfaltigen Förderationen, hinter den Bluthunden aller Regierungen folgen, um die wahren Verfechter des Proletariats zu beleidigen. Deshalb sage ich diesen schändlichen Beleidigern: Ihr seid würdige Handlanger der Bismarckschen, bonarpartistischen und thieristischen Politik"
und mit den Worten schließt: „zugunsten der Bildung einer neuen Assoziation, in der die Dissidenten Spaniens, der Schweiz und Londons vereinigt sind. Unzufrieden in Anbetracht der Autorität, die der Generalrat vom Kongreß erhält und statt ihre Klagen aufzuschieben, wie es die Statuten niedergelegt haben, haben diese Individuen also bis heute die Absicht, eine neue Gesellschaft zu bilden und offen mit der Internationalen zu brechen."(S. 50, 51).Über den Zusammenhang zwischen der Allianz und Landeck: „Dereure informiert den Kongreß darüber, daß eine knappe Stunde zuvor Alerini ihm erzählte, daß er (Alerini) ein enger Freund von Landeck war, der als Polizeispitzel in London bekannt war" (S. 472).
Der deutsche Parasitismus war in Gestalt der aus dem Deutschen Arbeiterbildungsverein ausgeschlossenen Lassalleaner über den oben erwähnten Universal Federalist Council in London, wo sie mit anderen Feinden der Arbeiterbewegung, wie den französischen radikalen Freimaurern und den italienischen Mazzinisten, kollaborierten, ebenfalls mit diesem internationalen parasitären Netzwerk verknüpft.
„Die bakunistische Partei in Deutschland war die Allgemeine Assoziation deutscher Arbeiter unter Schweitzer, und letzterer war endgültig als Polizeiagent demaskiert"
(Intervention von Hepner, S. 160).Der Kongreß zeigte auch die Kollaboration zwischen den Schweizer Bakunisten und den britischen Reformisten der British Federation unter Hales auf.
Tatsächlich bildete die Bourgeoisie, abseits der Infiltration und Manipulation degenerierter Sekten, die einst zur Arbeiterklasse gehörten, auch von sich aus Organisationen, um die Internationale zu bekämpfen. Die Philadelphier und die Mazzinisten, die in London angesiedelt waren, versuchten, den Generalrat direkt zu übernehmen, wurden aber besiegt, als ihre Mitglieder im September 1865 aus dem Unterkomitee des Generalrates entfernt wurden.
„Der prinzipielle Feind der Philadelphier, der Mann, der verhinderte, daß die Internationale zur Plattform ihrer Aktivitäten wurde, war Karl Marx"
Die zerstörerische Aktivität dieses Milieus wurde von den terroristischen Provokationen der Geheimgesellschaft von Felix Pyat, der „Republikanischen Revolutionären Kommune", fortgesetzt. Diese Gruppe, die aus der Internationalen ausgeschlossen und von ihr öffentlich verurteilt worden war, fuhr fort, im Namen der Internationalen zu wirken, wobei sie ständig den Generalrat angriff.
In Italien zum Beispiel bildete die Bourgeoisie eine gewisse Società Universale dei Razionalisti unter Stefanoni, um die Internationale in diesem Land zu bekämpfen. Ihre Zeitung veröffentlichte die Lügen von Vogt und den deutschen Lassalleanern gegen Marx und verteidigte inbrünstig Bakunins Allianz.
Das Ziel dieses Netzwerkes von Pseudorevolutionären war, „Mitglieder der Internationalen auf eine Weise zu verleumden, die den bürgerlichen Zeitungen, deren üble Inspiratoren sie sind, die Schamröte ins Gesicht treibt, das ist es, was sie Einheitsappell an die Arbeiter nennen" (Intervention von Duval, S. 99).
Daher stand die lebenswichtige Notwendigkeit, die Organisation gegen all diese Angriffe zu verteidigen, im Mittelpunkt der Interventionen von Marx auf diesem Kongreß, dessen Wachsamkeit und Entschlossenheit uns heute im Angesicht ähnlicher Angriffe leiten muß.
„Jeder, der besonders bei der Erwähnung der Polizeiabteilungen lächelt, muß wissen, daß solche Abteilungen in Frankreich, Österreich und anderswo gebildet wurden, und der Generalrat erhielt ein Gesuch aus Österreich, keine Sektion anzuerkennen, die nicht von Delegierten des Generalrats oder der dortigen Organisation gegründet wurde. Vesinier und seine Genossen, die kürzlich von den französischen Flüchtlingen ausgeschlossen wurden, sind natürlich für die Jura-Förderation (...) Individuen wie Vesinier, Landeck und andere gründen nach meiner Auffassung zunächst einen Förderalrat und dann eine Förderation und Sektionen; Agenten von Bismarck könnten dasselbe tun, daher muß der Generalrat das Recht haben, einen Förderalrat oder eine Förderation aufzulösen oder zu suspendieren (...) In Österreich bilden Raufbolde, Ultramontane, Radikale und Provokateure Sektionen, um die IAA zu diskreditieren; in Frankreich bildete ein Polizeikommissariat eine Sektion."
„Es gab den Fall einer Suspendierung eines Förderalrates in New York; es mag sein, daß in anderen Ländern Geheimgesellschaften Einfluß über Förderalräte erlangen wollen, sie müssen suspendiert werden. Was die Leichtigkeit angeht, mit der Vesinier, Landeck und ein deutscher Polizeiinformant ungehindert Förderationen bilden konnten, das darf nicht passieren. Monsieur Thiers macht sich selbst zum Lakaien aller Regierungen gegen die Internationale, und der Rat muß die Macht haben, alle zerstörerischen Elemente zu entfernen (...) Eure Ausdrücke der Besorgnis sind nur Tricks, weil ihr jenen Gesellschaften angehört, die im Geheimen handeln und höchst autoritär sind."
Im vierten und letzten Teil dieser Reihe werden wir uns mit Bakunin, dem politischen Abenteurer, befassen, wobei wir die Lehren aus der Geschichte der Arbeiterklasse ziehen werden.
Kr.
(S. 45 - 47)(S. 154 - 155) (Nicolaevsky: Geheimgesellschaften und die Erste Internationale, S. 52). Die von Nicolaewsky behauptete direkte Verbindung zwischen diesem Milieu und den Bakunisten ist mehr als wahrscheinlich, betrachtet man ihre offene Identifikation mit den Methoden und Organisationen der Freimaurerei. Die Gruppe „richtete den notorischen Appell an die englisch sprechenden Bürger der Vereinigten Staaten, der alle Arten von Unsinn der IAA zuschrieb und auf dessen Basis viele ähnliche Sektionen gegründet wurden. Unter anderem erwähnte der Appell die persönliche Freiheit, die gesellschaftliche Freiheit (freie Liebe), die Art der Kleidung, das Wahlrecht für Frauen, eine Weltsprache etc. (...) Sie stellte die Frauenfrage vor der Arbeiterfrage und weigerte sich anzuerkennen, daß die IAA eine Arbeiterorganisation ist." (Intervention von Marx, S. 133)(Resolution des Generalrates über die Tagesordnung des Haager Kongresses, M+D, S. 23 - 24).
Was die Funktion anging, galt das Hauptanliegen folgender Veränderung der allgemeinen Statuten:
„Art. 2 - Der Generalrat ist gehalten, die Kongreßbeschlüsse auszuführen und darauf zu achten, daß die Grundsätze, Statuten und Verwaltungsverordnungen der Internationale in jedem Lande strikt eingehalten werden.
Art. 6 - Der Generalrat hat ebenfalls das Recht, Zweiggesellschaften, Sektionen, Förderalräte oder Förderalkomitees oder Förderationen der Internationale bis zum nächsten Kongreß zu suspendieren".
Im Gegensatz dazu trachteten die Feinde der Entwicklung der Internationalen danach, ihre zentralisierte Einheit zu zerstören. Die Vortäuschung, daß diese Opposition motiviert wurde von einer „prinzipiellen Opposition zur Zentralisation" (Übersetzung aus dem Englischen), wurde, sofern es die Allianz anging, durch deren eigene Geheimstatuten widerlegt, in denen die „Zentralisierung" in die persönliche Diktatur eines Mannes, „Citizen B" (Bakunin), umgewandelt wurde. Hinter der bakunistischen Zuneigung zum Förderalismus verbarg sich das Verständnis, daß die Zentralisierung eines der Hauptmittel war, mit denen sich die Internationale ihrer Zerstörung erwehrte, indem sie verhinderte, in kleine Stücke zerteilt zu werden. Zum Zwecke dieser „heiligen Zerstörung" mobilisierten die Bakunisten die förderalen Vorurteile der kleinbürgerlichen Elemente innerhalb der Organisation.
„Brismé will, daß die Statuten zuerst diskutiert werden, da es möglich ist, daß es keinen Generalrat mehr geben könnte und folglich auch keine Machtbefugnisse dafür benötigt würden. Die Belgier wollen keine Ausweitung der Machtbefugnisse des Generalrates, im Gegenteil, sie kamen hierher, um ihm die Krone wegzunehmen, die er an sich gerissen hatte"
(M+D, S. 141).Sauva, USA: „Seine Mandatgeber wollen, daß der Rat erhalten bleibt, aber an erster Stelle wollen sie, daß er keine Rechte hat und daß dieser Souverän nicht das Recht haben sollte, seinen Dienern Weisungen zu erteilen (Gelächter)".
Der Kongreß wies diese Versuche zurück, die Einheit der Organisation zu zerstören, indem er die Stärkung des Generalrates annahm und somit ein Signal gab, dem Marxisten bis heute gefolgt sind. Wie Hepner während der Debatte erklärte: „Gestern abend wurden zwei große Ideen erwähnt: Zentralisation und Förderation. Das letztere drückt sich selbst im Abstentionismus aus, aber diese Enthaltung von allen politischen Aktivitäten führt ins Polizeirevier".
Und Marx: „Sauva hat seit London seine Meinung geändert. Bezüglich der Autorität war er in London für die Autorität des Generalrates (...), hier hat er das Gegenteil vertreten" (M+D, S. 89).(M+D, S. 73).
Gegen das Aufrühren kleinbürgerlicher Ängste vor einer „Diktatur" durch die Bakunisten argumentierte Marx:
„Aber gleich ob wir dem Generalrat die Rechte eines Negerfürsten oder die des russischen Zaren gewähren, seine Macht ist illusorisch, sobald der Generalrat aufhört, den Willen der Mehrheit der IAA auszudrücken. Der Generalrat hat keine Armee, kein Budget, er ist nur eine moralische Kraft, und er wird immer machtlos sein, wenn er nicht die Unterstützung der gesamten Assoziation hat"
(M+D, S. 154).Der Kongreß stellte auch eine Verbindung zwischen der anderen großen Änderung in den Statuten, die er annahm, nämlich jene von der Notwendigkeit einer politischen Klassenpartei und der Frage der proletarischen Prinzipien der Funktionsweise her. Diese Verbindung ist der Kampf gegen den „Anti-Autoritarismus" als eine Waffe sowohl gegen die Partei als auch gegen die Parteidisziplin.
„Hier haben wir gegen die Autorität gesprochen: Wir sind auch gegen Exzesse jeder Art, aber eine gewisse Autorität, ein gewisses Prestige wird immer notwendig sein, um einen Zusammenhalt in der Partei zu schaffen. Es ist logisch, daß solche Anti-Autoritären auch die Förderalräte, die Förderationen, die Komitees und selbst die Sektionen abschaffen müssen, denn Autorität wird in einem größeren oder kleineren Umfang von ihnen allen ausgeübt. Sie müssen überall eine absolute Anarchie etablieren, das heißt, sie müssen die militante Internationale in eine kleinbürgerliche Partei mit Schlips und Kragen wenden. Wie kann man nach der Kommune etwas gegen Autorität einwenden? Wir deutschen Arbeiter zumindest sind davon überzeugt, daß die Kommune größtenteils deshalb fiel, weil sie nicht genug Autorität ausübte!"
(M+D, S. 161).„Marx sagt, daß es in der Diskussion über die Machtbefugnisse des Rates nicht um uns geht, sondern um die Institution. Marx hat angeführt, daß er eher für die Abschaffung des Rates stimmen würde, als für einen Rat, der lediglich ein Briefkasten sein würde"
(Resolutionen über die Verwaltungsverordnungen, MEW Bd. 18, S. 150)Die Lehren aus diesem Kampf gegen den Parasitismus auf dem Haager Kongreß sind heute besonders relevant. Aufgrund des Bruchs in der organischen Kontinuität mit der vergangenen Arbeiterbewegung gibt es viele Parallelen in der Entwicklung des revolutionären Milieus nach 1968 und jener des Beginns der Arbeiterbewegung. Insbesondere gibt es eine starke Parallele, um nicht zu sagen: Identität, zwischen der Rolle des politischen Parasitismus zu Bakunins Zeiten und heute.
In diesem 3. Teil[i] [4] wollen wir eine der schwierigsten Fragen des Arbeiterkampfes aufgreifen: die Bedingungen und der Zeitpunkt des Aufstands. Auch wenn die Erfahrung in Deutschland negativ ausging, liefert sie dennoch eine Reihe von wertvollen Lehren für die zukünftigen revolutionären Kämpfe.
Im November 1918 hatte die Arbeiterklasse durch ihre Erhebung die Bourgeoisie in Deutschland gezwungen, den Krieg zu beenden. Um eine weitere Radikalisierung der Arbeiterklasse, um eine Wiederholung der Ereignisse in Rußland zu verhindern, hatte die Kapitalistenklasse die SPD[ii] [4] als Speerspitze gegen die Arbeiterklasse in die Schlacht geschickt. Mit ausgefuchster politischer Sabotage versuchte die SPD mit Hilfe der Gewerkschaften, die Schlagkraft der Arbeiterräte zu untergraben.
Aber die herrschende Klasse setzte von Anfang an auch auf die Notwendigkeit einer militärischen Niederschlagung der Bewegung.
In Anbetracht der explosiven Entwicklung, als es überall zu Meutereien der Soldaten und deren Überlaufen auf die Seite der aufständischen Arbeiter kam, war es für die Bourgeoisie nicht möglich, unmittelbar an Repression zu denken. Die Bourgeoisie mußte zuerst politisch gegen die Arbeiterklasse vorgehen, um dann militärisch einen Sieg zu erringen. Welche politische Sabotage sie betrieb, haben wir in der letzten Internationalen Revue Nr. 18 näher hervorgehoben. Wir wollen uns hier mit der Aufstandsfrage befassen.* * *
Die Vorbereitungen für ein militärisches Vorgehen wurden jedoch vom ersten Tag an getroffen. Nicht die ‘rechten’ Parteien leiteten diese militärische Repression in den Weg, sondern die SPD, die sich noch als die ‘große Partei des Proletariats’ darstellte, und dies in engster Absprache mit den Militärs. Es waren die vielgepriesenen Demokraten, die als letztes Bollwerk zur Verteidigung des Kapitalismus auftraten. Sie sollten sich als der wirksamste Schutzwall des Kapitals herausstellen. Die SPD fing an, systematisch Freikorps aufzubauen, da reguläre Truppenteile unter dem ‘Infekt der Arbeiterkämpfe’ immer mehr der bürgerlichen Regierung die Gefolgschaft versagten. Freiwilligenverbände, die mit Sonderprämien geheuert wurden, sollten als militärische Handlanger dienen.
Gerade ein Monat nach dem Beginn der Kämpfe gab die SPD in Absprache mit dem Militär Order, daß Soldaten am 6. Dezember in die Räume der Redaktion der „Roten Fahne“ eindringen. K. Liebknecht und Rosa Luxemburg sowie andere Spartakisten aber auch Mitglieder des Vollzugsrats sollten verhaftet werden. Gleichzeitig attackierten regierungstreue Truppen demonstrierende entlassene und desertierte Soldaten, 14 Demonstranten wurden getötet. Als Reaktion traten am 7. Dezember mehrere Betriebe in Streik, es wurden überall Vollversammlungen in den Betrieben abgehalten. Am 8. Dezember gab es zum ersten Mal eine bewaffnete Demonstration von Arbeitern und Soldaten mit mehr als 150’000 Teilnehmern. In Städten des Ruhrgebietes wie Mülheim verhafteten Arbeiter und Soldaten Industrielle.
Aber gegenüber dieser militärischen Provokation riefen die Revolutionäre nicht zum Aufstand auf, sondern drängten auf eine massive Mobilisierung der Arbeiter. Die Spartakisten schätzten das Kräfteverhältnis so ein, daß die Bedingungen für den Sturz der bürgerlichen Regierung noch nicht vorhanden waren, daß die Arbeiterklasse dazu noch nicht ausreichend Kraft entwickelt hatte.[iii] [4]
Der Reichsrätekongresses Mitte Dezember 1918 (16. - 21. Dezember) verdeutlichte dies; die Bourgeoisie hatte sofort gemerkt, daß sie einen Punktesieg errungen hatte. Auf dem Reichsrätekongreß hatten die Delegierten unter dem Einfluß der SPD beschlossen, ihre Entscheidungen einer zu wählenden Nationalversammlung zu unterwerfen. Gleichzeitig wurde ein ‘Zentralrat’ gewählt, der ausschließlich aus SPD-Mitgliedern bestand und vorgab, im Namen der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands sprechen zu können. Nach diesem Kongreß spürte die Bourgeoisie, daß sie die politische Schwächung der Arbeiterklasse unmittelbar auch militärisch ausnutzen konnte. Am 24. Dezember zettelte sie die nächste militärische Provokation an. Freikorps und regierungstreue Truppen griffen revolutionäre Matrosen an. 11 Matrosen und mehrere Soldaten starben. Wieder große Empörung unter den Arbeitern. Arbeiter der Daimler-Motoren-Gesellschaft und vieler Berliner Betriebe forderten die Bildung einer Roten Garde. Auch hier wieder machtvolle Demonstrationen am 25. Dezember zur Abwehr dieses Angriffes. Die Regierung mußte einen Rückzieher machen. Nach soviel Diskreditierung mußte auch die USPD[iv] [4], die bis dahin noch mit der SPD im Rat der Volksbeauftragten gesessen hatte, am 29. Dezember aus der Regierung austreten.
Die Bourgeoisie gab jedoch nicht nach. Sie strebte weiter danach, das immer noch bewaffnete Proletariat in Berlin zu entwaffnen und einen entscheidenden Schlag gegen die Arbeiterklasse in Berlin zu führen.
Um die Bevölkerung gegen die Arbeiterklasse anzuheizen, machte sich die SPD zum Sprachrohr einer gewaltigen Meuchelmordkampagne gegen die Arbeiterklasse und gegen die Spartakisten insbesondere:
„Wollt ihr Frieden? Dann sorgt Mann für Mann dafür, daß die Gewaltherrschaft der Spartakus-Leute ein Ende nimmt! Wollt ihr Freiheit? Dann macht die bewaffneten Tagediebe Liebknechts unschädlich! Wollt ihr hungern? Dann hört auf Liebknecht! Wollt ihr Sklaven der Entente werden? Liebknecht vermittelt es! Nieder mit der Diktatur der Anarchisten des Spartakus! Der rohen Gewalt dieser Verbrecherbande kann nur mit Gewalt begegnet werden!“ (Flugblatt des Bürgerrates von Groß-Berlin vom 29.12.1918) „Das schändliche Treiben Liebknechts und Rosa Luxemburgs beschmutzt die Revolution und gefährdet alle Errungenschaften. Keine Minute länger dürfen die Massen ruhig zusehen, wie diese Gewalttäter und ihr Anhang die Tätigkeit der republikanischen Behörden lahmlegen.... Mit Lüge, Verleumdung und Gewalt wollen sie alles niederreißen und niederschlagen, was sich ihnen entgegenzustellen wagt (...) Wir haben die Revolution gemacht, um den Krieg zu beenden! Spartakus will eine neue Revolution, um einen neuen Krieg anzufangen.“ (SPD-Flugblatt Januar 1919)Die Spartakisten waren Ende Dezember aus der USPD ausgetreten und hatten sich am 31.12./1.1. mit den Genossen der IKD[v] [4] zur KPD zusammengeschlossen. Damit hatte die Arbeiterklasse eine inmitten der Kämpfe geborene Kommunistische Partei an ihrer Seite, die sofort zur Zielscheibe der Angriffe der SPD, des Hauptverteidigers des Kapitals, wurde.
Die KPD erkannte, daß die Aktivität der breitesten Arbeitermassen erforderlich war, um dieser Taktik des Kapitals gegenüberzutreten. „Nach der ersten Phase der Revolution, der des vorwiegend politischen Kampfes, kommt eine Phase des verstärkten, gesteigerten, in der Hauptsache ökonomischen Kampfes“ (Luxemburg auf dem Gründungsparteitag der KPD). Die SPD-Regierung wird mit den „emporlodernden Flammen des ökonomischen Klassenkampfes nicht fertig werden“ (ebenda). Deshalb sollte das Kapital mit der SPD an seiner Spitze versuchen, eine weitere Verschärfung der Kämpfe dadurch zu verhindern, indem militärische Aufstände der Arbeiter angezettelt werden sollten. Durch eine frühzeitige Schwächung der Arbeiter in einer militärischen Niederschlagung - insbesondere in Berlin - sollte so schnell ein Zentrum der Arbeiterklasse getroffen werden, um dann schrittweise gegen den Rest der Klasse vorzugehen.
Ende Dezember hatte die Bourgeoisie die in Berlin stationierten Truppen neu organisiert. Mehr als 10’000 Mann starke Stoßtruppen standen ihr jetzt um Berlin zur Verfügung. Insgesamt hatte sie über 80’000 Soldaten um Berlin zusammengezogen. Anfang Januar wollte die Bourgeoisie erneut gegen die Arbeiter militärisch losschlagen. Am 4. Januar wurde der Polizeipräsident von Berlin, der im November von den Arbeitern ernannt worden war, Eichhorn, von der bürgerlichen Regierung entlassen. Dies sollte sofort als Herausforderung der revolutionären Arbeiterschaft empfunden werden. Am Abend des 4. Januar versammelten sich die revolutionären Obleute[vi] [4] zu einer Sitzung, an der auch Liebknecht und Pieck im Namen der frisch gegründeten KPD teilnahmen. Es wurde ein ‘provisorischer Revolutions-Ausschuß’ gegründet, der sich auf den Kreis der Obleute stützte. Gleichzeitig gab es weiterhin den ‘Vollzugsrat’, der in der Zwischenzeit um einen ‘Zentralrat’ ergänzt worden war, und die beide unter der Vorherrschaft der SPD standen.
Für Sonntag, den 5. Januar, rief der revolutionäre Aktionsausschuß zu einer Protestkundgebung auf. Ca. 150’000 Menschen versammelten sich nach einer Demonstration vor dem Polizeipräsidium. Am Abend des 5. Januar besetzten einige Demonstranten - vermutlich aufgewiegelt durch Provokateure, jedenfalls ohne das Wissen und die Zustimmung des Aktionsausschusses - die Gebäude der SPD-Zeitung Vorwärts und anderer Verlage.
Aber die Bedingungen für einen Sturz der Regierung waren nicht vorhanden. So schrieb die KPD Anfang Januar 1919 in einem Flugblatt: „Würden die Berliner Arbeiter heute die Nationalversammlung auseinanderjagen, würden sie die Scheidemann-Ebert ins Gefängnis werfen, während die Arbeiter des Ruhrgebietes, Oberschlesiens, die Landarbeiter Ostelbiens ruhig bleiben, so würden die Kapitalisten morgen Berlin durch Aushungerung unterwerfen können. Der Angriff der Arbeiterklasse auf das Bürgertum, der Kampf um die Macht der Arbeiter- und Soldatenräte müssen das Werk des gesamten arbeitenden Volkes im ganzen Reiche werden. Nur wenn der Kampf der Arbeiter in Stadt und Land überall jeden Tag sich verschärft, zunimmt, wenn er zum reißenden Strome wird, der ganz Deutschland durchbraust, die Welle der Ausbeutung und Unterdrückung hinwegschwemmt, nur dann wird die Regierung des Kapitalismus, wird die Nationalversammlung gesprengt und auf ihren Ruinen die Regierung der Arbeiterklasse errichtet werden, die im weiteren Kampf gegen die Bourgeoisie das Proletariat zum vollen Siege führen wird. Deswegen darf unser Kampf gegen die Nationalversammlung weder in passiver Abstinenz, in einfacher Stimmenthaltung, noch in bloßer Störung der Wahlen, noch in dem bloßen Versuch der Auseinanderjagung der Nationalversammlung bestehen, es gilt, in diesem Kampfe Machtpositionen zu erobern. ... Arbeiter und Arbeiterinnen, Soldaten und Matrosen! Ruft überall Versammlungen ein und klärt die Volksmassen über den Schwindel der Nationalversammlung auf... In jeder Werkstatt, in jedem Truppenteil. seht Euch in jeder Stadt Euren Arbeiter- und Soldatenrat an, prüft, ob er wirklich gewählt worden ist, ob in ihm Vertreter des kapitalistischen Systems, Verräter der Arbeiterklasse, wie die Scheidemänner, oder haltlos hin- und herschwankende Gestalten, wie die Unabhängigen, sitzen. Dann klärt die Arbeiter auf, und setzt die Wahl von Kommunisten durch... Wo ihr die Mehrheit in den Arbeiterräten habt, da sorgt, daß diese Arbeiterräte mit ebensolchen Arbeiterräten in der Provinz in Verbindung treten... .. Verschleißt euch nicht in Euren Versammlungssälen, geht hinaus... klärt die anderen Arbeiter auf...Wenn dieses Programm verwirklicht wird... wird Deutschland als Räterepublik zusammen mit der Räterepublik der russischen Arbeiter die Arbeiter Englands, Frankreichs, Italiens unter die Fahne der Revolution ziehen.“ (aus einem Flugblatt der KPD, Anfang Januar 1919 verteilt). Aus dieser Einschätzung geht hervor, daß sich die KPD darüber im klaren war, daß der Umsturz der Kapitalistenklasse noch nicht unmittelbar möglich war. Der Aufstand stand noch nicht auf der Tagesordnung.
Nach der riesigen Massendemonstration vom 5. Januar gab es am gleichen Abend erneut eine Sitzung der Obleute mit Beteiligung von Delegierten der USPD; KPD, und Vertretern der Garnisonstruppen. Unter dem Eindruck der machtvollen Demonstration versuchte man die Stimmung auszuloten. Von einer kampfbereiten Stimmung wurde bei den Truppen berichtet. Die Anwesenden wählten einen Aktionsausschuß aus 33 Mitgliedern, an dessen Spitze als Vorsitzender Ledebour (USPD), Scholze für die revolutionären Obleute, und Liebknecht für die KPD traten. Für den darauffolgenden 6. Januar beschloß man den Generalstreik und eine erneute Demonstration.
Der Aktionsausschuß verteilte ein Flugblatt mit der Parole: ‘Auf zum Kampf um die Macht des revolutionären Proletariats’, Nieder mit der Regierung Ebert-Scheidemann’.
Soldaten kamen und erklärten dem Aktionsausschuß ihre Solidarität. Eine Soldatendelegation versicherte, sie werde sich auf die Seite der revolutionären Arbeiterschaft stellen, wenn man die vorhandene Ebert-Scheidemann-Regierung für abgesetzt erkläre. Liebknecht für die KPD und Scholz für die revolutionären Obleute unterschrieben daraufhin ein Dekret, die Regierung sei abgesetzt, der Revolutionsausschuß habe die Regierungsgeschäfte übernommen. Am 6. Januar demonstrierten - ca. 500.000 auf der Straße, in allen Stadtteilen fanden Demonstrationen und Versammlungen statt, die Arbeiter der Großbetriebe forderten Waffen. Die KPD forderte die Bewaffnung der Arbeiter und die Entwaffnung der Konterrevolutionäre.
Während jedoch diese Parole „Nieder mit der Regierung“ vom Aktionsausschuß ausgegeben worden war, unternahm der Ausschuß selber keine ernsthaften Versuche, um diese Ausrichtung umzusetzen. In den Betrieben wurden keine Kampftruppen aufgestellt, es wurde nicht versucht, die Staatsgeschäfte in die Hand zu nehmen, die alte Regierung zu lähmen. Der Aktionsausschuß besaß nicht nur keinen Aktionsplan, er wurde gar am 6. Januar von Marinesoldaten aufgefordert, ein Gebäude, wo er tagte, zu verlassen - was er tat!
Die demonstrierenden Arbeitermassen warteten in den Straßen auf Anweisungen, während die Führer ratlos tagten. Während die Führung des Proletariats wankte und schwankte, abwartete, zögerte, selbst keinen Plan hatte, erholte sich die SPD-geführte Regierung schnell vom Schock des ersten Widerstands der Arbeiterklasse. Sobald sich die Schwäche der Revolutionäre und der Mangel an Führung offenbarte, straffte sich auf der Gegenseite die Entschlossenheit und von allen Seiten wuchsen ihr jetzt Hilfskräfte zu. Die SPD rief zu Streiks und Demos zur Unterstützung der Regierung auf. Es war die Partei der ‘Demokratie’, die die gewaltigste Hetze gegen die Kommunisten startete: „Wo Spartakus herrscht, ist jede persönliche Freiheit und Sicherheit aufgehoben. Dem deutschen Volke und insbesondere der deutschen Arbeiterschaft drohen die schlimmsten Gefahren. Wir wollen uns nicht länger von Irrsinnigen und Verbrechern terrorisieren lassen. Es muß endlich Ordnung in Berlin geschaffen und der ruhige Aufbau des neuen revolutionären Deutschland gesichert werden. Wir fordern euch auf, zum Protest gegen die Gewalttaten der Spartakusbanden die Arbeit einzustellen und sofort vor dem Haus der Reichsregierung zu erscheinen.
Arbeiter, Soldaten, Genossen!... Ihr müßt jetzt bereit sein, Euch mit Eurer ganzen Person für die revolutionäre Ordnung einzusetzen. Zu diesem Zweck fordern wir Euch auf, eine freiwillige republikanische Schutzwehr zu bilden. Bringt Eure Partei- und gewerkschaftliche Legitimation mit. Nähere Anweisungen werden Euch gegeben. Wir dürfen nicht eher ruhen, als bis die Ordnung in Berlin wieder hergestellt und dem ganzen Volke der Genuß der revolutionären Errungenschaften gesichert ist. Nieder mit den Mördern und Verbrechern. Hoch die sozialistische Republik - Vorstand der SPD, 6. Januar 1919.“ Die Arbeitsstelle Berliner Studenten schrieb: „Ihr bürgerlichen kommt heraus aus Euren Häusern und stellt Euch Schulter an Schulter mit den Mehrheitssozialisten! Höchste Eile tut not!“ (Flugblatt vom 7./8. Januar). „Die Reichsregierung hat mir die Führung der republikanischen Soldaten übertragen. Ein Arbeiter steht also an der Spitze der Macht der sozialistischen Republik. Ihr kennt mich und meine Vergangenheit in der Partei. Ich bürge Euch dafür, daß kein unnützes Blut vergossen wird. Ich will säubern, nicht vernichten. Die Einigkeit der Arbeiterklasse muß gegen Spartakus stehen, wenn Demokratie und Sozialismus nicht untergehen sollen.“ (Noske 11. Januar 1919). Der Zentralrat, der vom Reichskongreß „ernannt“ worden war und vor allem von der SPD beherrscht wurde, erklärte: „..eine kleine Minderheit ist bestrebt, eine brutale Gewaltherrschaft zu errichten. Das verbrecherische, alle Errungenschaften der Revolution gefährdende Treiben bewaffneter Banden hat uns genötigt, der Reichsleitung (Reichsregierung) außerordentliche Vollmachten zu erteilen, damit in Berlin endlich einmal die Ordnung ...wiederhergestellt werden kann. Alle Meinungsverschiedenheiten im einzelnen müssen jetzt zurückgestellt werden hinter dem Ziel... das ganze werktätige Volk vor neuem furchtbaren Unglück zu bewahren. Es ist die Pflicht aller Arbeiter- und Soldatenräte, uns und die Reichsleitung (die Regierung) dabei mit allen Mitteln zu unterstützen... - Der Zentralrat der deutschen sozialistischen Republik“ (Extrablatt Vorwärts, 6. Januar 1919). Im Namen der Revolution und der Interessen der Arbeiterklasse trat die SPD (mit ihren Komplizen) nun auf und bereitete sich darauf vor, die Revolutionäre zu massakrieren. Mit der spitzfindigsten Doppelzüngigkeit rief sie die Arbeiterräte dazu auf, sich hinter die Regierung zu stellen, um nun gegen die ‘bewaffneten Banden’ vorzugehen. Die SPD selbst stellte eine militärische Abteilung auf, die in Kasernen Waffen erhielt, und man ernannte Noske zum Chef der Repressionstruppen. „Einer muß der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht“.Schon am 6. Januar kam es zu vereinzelten Gefechten, während die Regierung um Berlin immer mehr Truppen zusammenzog, tagte am Abend des 6. Januar der Berliner Vollzugsrat. Der Berliner Vollzugsrat, von SPD und USPD beherrscht, schlug dem revolutionären Aktionsausschuß Verhandlungen zwischen den revolutionären Obleuten und der SPD-Regierung vor, zu deren Sturz der Aktionsausschuß gerade erst aufgerufen hatte. D.h. anstatt an der Spitze der Bewegung gegen die Regierung zu stehen, setzte sich der Vollzugsrat zwischen zwei Stühle. Der Vollzugsrat wollte als ‘versöhnende Kraft’ auftreten, indem das Unversöhnliche versöhnt wurde. Dieser Schritt des Vollzugsrates brachte die bis dahin abwartenden und zögernden Soldaten ganz ins Schwanken. Die Matrosen erklärten, sie wollten sich nunmehr ‘neutral’ verhalten. Jedes Schwanken kann schnell zu einem Vertrauensverlust in die Fähigkeit der Arbeiterklasse selbst, vor allem aber zu Mißtrauen gegenüber den politischen Organisationen der Arbeiterklasse führen. Die SPD schaffte es so, die Arbeiterklasse zutiefst zu schwächen. Gleichzeitig setzte sie Provokateure ein (wie sich später herausstellte), die die Arbeiter zu Zusammenstößen trieb. So wurden am 7. Januar verschiedene Zeitungsredaktionen besetzt.
Die Leitung der KPD hatte gegenüber den Unternehmungen in Berlin und dem von den revolutionäre Obleuten gefaßten Beschluß auf Eroberung der politischen Gewalt eine klare Position: Ausgehend von der Einschätzung der Lage auf dem Gründungsparteitag der KPD, hielt die KPD den Zeitpunkt für einen Aufstand für verfrüht.
Am 8. Januar schrieb die ‘Rote Fahne’: „Heute gilt es also, die Arbeiter- und Soldatenräte neu zu wählen, den Vollzugsrat neu zu besetzen unter der Losung: Hinaus mit den Ebert und Anhängern! Heute gilt es, die Erfahrungen der letzten 8 Wochen in den A- und S-Räten zum Ausdruck zu bringen, solche A- und S-Räte zu wählen, die der Auffassung, den Zielen und Bestrebungen der Massen entsprechen. Es gilt mit einem Wort, die Ebert-Scheidemann vor allem in den Fundamenten der Revolution, in den A- und S-Räten zu schlagen. Dann, aber erst dann werden die Berliner Massen und ebenso die Massen im ganze Reiche in den A- und S-Räten revolutionäre Organe haben, die ihnen in allen entscheidenden Momenten wirkliche Führer, wirkliche Zentren der Aktion, der Kämpfe und Siege abgeben werden“ (Rote Fahne, 8. Januar). Die Spartakisten drängten somit die Arbeiterklasse zu einer Intensivierung des Druckes vor allem in den Arbeiterräten, indem die Kämpfe auf ihrem eigenen Boden in den Fabriken geführt werden sollten und indem Ebert, Scheidemann & Co. davongejagt werden. Indem der Druck in den Räten erhöht würde, könnte die Bewegung einen neuen Anschub erhalten, um die Schlacht um die Machtergreifung anzutreten.
Am 8. Januar übten Rosa Luxemburg und Leo Jogiches scharfe Kritik am Aufruf zum unmittelbaren Sturz der Regierung, der vom Revolutionsausschuß aufgestellt wurde, aber auch und vor allem daran, daß dieser wegen seiner zögernden und kapitulantenhaften Haltung unfähig war, die Bewegung der Klasse zu leiten. Insbesondere warfen sie K. Liebknecht vor, auf eigene Faust zu handeln, sich durch seinen Enthusiasmus und seine Ungeduld hinreißen zu lassen, anstatt sich an die Beschlüsse der Partei zu halten und sich auf das Programm und die Einschätzung der Partei zu stützen und daran zu halten.
Diese Situation zeigte, daß es weder an einem Programm noch an politischen Analysen der Lage mangelte, sondern an der Fähigkeit der Partei, als Organisation ihre politische Führungsrolle der Arbeiterklasse zu übernehmen. Die erst wenige Tage alte KPD hatte nicht den Einfluß und noch weniger die Solidität und den organisatorischen Zusammenhalt, den insbesondere die Bolschewistische Partei 1917 in Rußland hatte. Diese Unreife der KPD war der Grund für die Zerstreuung in ihren Reihen, die später eine schwere und dramatische Bürde darstellen sollte.
In der Nacht vom 8. auf den 9. Januar überfielen Regierungstruppen Arbeiter. Der Aktionsausschuß, der das Kräfteverhältnis noch immer nicht richtig einschätzte, drängte auf ein Losschlagen gegen die Regierung, obwohl diese selbst im Aufwind war: „Auf zum Generalstreik, auf zu den Waffen... Es gibt keine Wahl! Es muß gekämpft werden bis aufs Letzte“. Dem Aufruf folgten viele Arbeiter, warteten jedoch erneut vergeblich auf präzise Anweisungen des Ausschusses, was konkret zu tun sei. Nichts geschah, um die Massen zu organisieren, die Verbrüderung der revolutionären Arbeiter mit den Truppen herbeizuführen... Die Regierungstruppen marschierten unterdessen in Berlin ein und lieferten den bewaffneten Arbeitern tagelang heftige Straßenkämpfe. Bei immer wieder aufflammenden Zusammenstößen in verschiedenen Stadtteilen Berlins wurden unzählige Arbeiter erschossen und verletzt. Die Kämpfe dauerten nahezu eine Woche. Am 13. Januar wurde von der USPD-Führung der Generalstreik als beendet erklärt. Am 15. Januar wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von den Schergen des sozialdemokratisch geführten Regimes ermordet! Die Kampagne ‘Tötet Liebknecht’ war ‘erfolgreich’ abgeschlossen. Die KPD war ihrer besten Führer beraubt!
Während die frisch gegründete KPD das Kräfteverhältnis für richtig eingeschätzt hatte und vor einem Aufstand gewarnt hatte, hatte der von den revolutionären Obleuten dominierte Aktionsausschuß die Lage falsch eingeschätzt. Es ist deshalb eine Geschichtsverfälschung von einer sog. ‘Spartakuswoche’ zu reden. Die Spartakisten hatten sich gegen überstürzte Schritte ausgesprochen. Der Bruch der Parteidisziplin durch Liebknecht und Pieck darf nicht das Bild entstehen lassen, der Spartakusbund hätte diese Kämpfe angezettelt. Es war das überstürzte, vor Ungeduld brennende und letztendlich kopflose Verhalten der revolutionären Obleute, die für das Fiasko verantwortlich sind. Die KPD besaß zu dem Zeitpunkt nicht die Kraft, die Bewegung zurückzuhalten - so wie es im Juli 1917 die Bolschewiki geschafft hatten. Der spätere Polizeichef gab dies zu: „Ein Erfolg der Spartakusleute war von vornherein ausgeschlossen, da wir sie durch unsere Vorbereitungen zum früheren Zuschlagen genötigt haben. Ihre Karten wurden früher aufgedeckt, als sie es wünschten, und wir waren daher in der Lage, ihnen entgegenzutreten“ (Polizeipräsident Ernst (SPD), der den alten abgelöst hatte). Die Bourgeoisie verspürte jedoch sofort, daß nach ihrem militärischen Erfolg sie diesen weiter ausbauen mußte. In einer Welle blutiger Repression wurden tausende Berliner Arbeiter, Kommunisten ermordet, mißhandelt und gefangengenommen. Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war keine Ausnahme, sondern die wilde Entschlossenheit der Bourgeoisie, ihre Todfeinde, die Revolutionäre, auszulöschen. Am 19. Januar triumphierte dann die Demokratie - die Wahlen zur Nationalversammlung fanden statt. Die Regierung hatte unter dem Druck der Arbeiterkämpfe ihren Sitz nach Weimar verlegt. Die deutsche Demokratie, die Weimarer Republik, wurde nach und erst dank dem Massaker an der Arbeiterklasse geboren.Der Aufstand - nur eine Frage der Partei? Hinsichtlich der Frage des Aufstands stützte sich die KPD klar auf die Positionen des Marxismus und insbesondere auf die Aussagen von F. Engels nach der Erfahrung von 1848: „Nun ist der Aufstand eine Kunst. Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbestimmten Größen, deren Wert sich jeden Tag ändern können; die Kräfte des Gegners haben alle Vorteile der Organisation, der Disziplin und der hergebrachten Autorität auf ihrer Seite; kann man ihnen nicht mit starker Überlegenheit entgegentreten, so ist man geschlagen und vernichtet. Zweitens, hat man einmal den Weg des Aufstands beschritten, so handle man mit der größten Entschlossenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jedes bewaffneten Aufstands; er ist verloren, noch bevor er sich mit dem Feinde gemessen hat. Überrasche deinen Gegner, solange seine Kräfte zerstreut sind, sorge täglich für neue, wenn auch noch so kleine Erfolge; erhalte dir das moralische Übergewicht, das der Anfangserfolg der Erhebung dir verschafft hat; ziehe so die schwankenden Elemente auf deine Seite, die immer dem stärksten Antrieb folgen und sich immer auf die sichere Seite schlagen; zwinge deine Feinde zum Rückzug, noch ehe sie ihre Kräfte gegen dich sammeln können...’ (Engels in ‘Revolution und Konterrevolution in Deutschland’, 1848, geschrieben 1851, in MEW Bd 8, S. S. 95). Die Spartakisten hatten die gleiche Herangehensweise gegenüber der Aufstandsfrage wie Lenin im April 1917. „Um erfolgreich zu sein, darf sich der Aufstand nicht auf eine Verschwörung, nicht auf eine Partei stützen, er muß sich auf die fortgeschrittenste Klasse stützen. Dies zum ersten. Der Aufstand muß sich auf den revolutionären Aufschwung des Volkes stützen. Dies zum zweiten. Der Aufstand muß sich auf einen solchen Wendepunkt in der Geschichte der anwachsenden Revolution stützen, wo die Aktivität der vordersten Reihen des Volkes am größten ist, wo die Schwankungen in den Reihen der Feinde und in den Reihen der schwachen, halben, unentschlossenen Freunde der Revolution am stärksten ist. Dies zum dritten. Durch diese drei Bedingungen eben unterscheidet sich der Marxismus in der Behandlung der Frage des Aufstands vom Blanquismus“ (Lenin, Marxismus und Aufstand, Brief an das ZK der SDAPR, geschrieben 13. Sep. 1917, in Werke Bd. 26, S. 4). Wie stand es im Januar 1919 konkret um die von Lenin genannten Kriterien?Der Aufstand stützt sich auf den revolutionären Aufschwung der Klasse Die Analyse der KPD auf ihrem Gründungskongreß war: Die Klasse ist noch nicht reif für den Aufstand. Nach der anfänglich von Soldaten dominierten Bewegung hätte jetzt ein neuer Schub aus den Betrieben, neuer Druck aus den Versammlungen und Demonstrationen der Arbeiter kommen müssen. Dies hätte der Bewegung Auftrieb und mehr Selbstvertrauen geben müssen. Wenn der Aufstand kein Putschversuch seitens einiger verzweifelter und ungeduldiger Elemente sein sollte, sondern sich auf den ‘revolutionären Aufschwung der Arbeiterklasse’ stützen mußte, wäre diese Intensivierung des Kampfes notwendig gewesen. Zudem hatten die Arbeiterräte im Januar noch lange nicht die Zügel in der Hand, war die Doppelmacht durch die Arbeiterräte aufs heftigste von der SPD sabotiert worden. Wie im letzten Artikel dargestellt, war der Reichsrätekongreß Mitte Dezember ein Sieg der Bourgeoisie gewesen, und es war noch zu keiner Neubelebung der Arbeiterräte gekommen. Die Einschätzung des Kräfteverhältnisses, der Dynamik der Entwicklung, die die KPD hatte, war realistisch. Manche meinen, die Partei solle die Macht ergreifen. Aber dann soll man erklären, wie eine noch so starke Partei das machen kann, wenn große Teile der Arbeiterklasse ihr Bewußtsein noch nicht ausreichend entwickelt haben, noch zögerlich sind und schwanken, wenn die Arbeiterklasse noch nicht einmal ausreichend starke Arbeiterräte gebildet hat, die sich dem bürgerlichen Regime entgegenstellen können. Aus unserer Sicht steckt dahinter ein grundsätzliches Verkennen der fundamentalsten Charakteristiken einer proletarischen Revolution und des Aufstandes, der, wie Lenin an erster Stelle hervorhob, ‘keine Verschwörung der Partei sein kann, sondern sich auf die fortgeschrittenste Klasse stützen muß’. Es sei denn, man hat eine blanquistische, putschistische Auffassung? Selbst im Oktober 1917 bestanden die Bolschewiki nachdrücklich darauf, daß nicht die Bolschewistische Partei die Macht ergreift, sondern der Petrograder Sowjet. Der Aufstand ist keine Frage der ‘Deklaration von Oben’, der dann die Massen folgen müssen, sondern die Massen selber müssen vorher genügend Eigeninitiative und Kontrolle über ihre Kämpfe entwickelt haben, daß sie im Moment des Aufstands tatsächlich den Anweisungen und Orientierungen der Räte und der Partei bewußt folgen. Deshalb ist ein proletarischer Aufstand kein Putsch oder ein Handstreich - wie die bürgerlicher Ideologen es sich nur vorstellen können, sondern das Werk der Arbeiterklasse selbst. Denn, damit das Proletariat das Joch des Kapitalismus abschüttelt, reichen nicht allein der Wille und die Entschlossenheit der Revolutionäre, d.h. des klarsten und entschlossensten Teils der Klasse. „...das aufständische Proletariat kann nur auf seine zahlenmäßige Stärke, seine Geschlossenheit, seine Kader, seinen Stab rechnen“ (Trotzki, Geschichte der russischen Revolution, Die Kunst des Aufstands, S. 833). Dieser Reifegrad war aber in der Klasse im Januar in Deutschland noch nicht erreicht.Die zentrale Rolle der Kommunisten Die Kommunisten erkannten deshalb im Januar ihre Aufgabe, die Arbeiterklasse durch unermüdliche ‘Aufklärungsarbeit’ weiter voranzudrängen. Nichts anderes als das hatte Lenin in seinen Aprilthesen im April 1917 betont: „Es scheint, als sei das ‘bloß’ propagandistische Arbeit. In Wirklichkeit ist es im höchsten Grade praktische revolutionäre Arbeit, denn man kann eine Revolution nicht vorwärtstreiben, die zum Stillstand gekommen, die in Redensarten versandet ist, die ‘auf der Stelle tritt’ nicht etwa äußerer Hindernisse wegen, nicht weil die Bourgeoisie Gewalt gegen sie anwendet, sondern weil die Massen in blinder Vertrauensseligkeit befangen sind. Nur durch den Kampf gegen diese blinde Vertrauensseligkeit ... können wir uns von der grassierenden revolutionären Phrase befreien und wirklich sowohl das Bewußtsein des Proletariats als auch das Bewußtsein der Massen sowie ihre kühne, entschlossene Initiative ...vorantreiben.“ (Lenin, Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution“, Bd 24, S. 47)Wenn der Siedepunkt dann erreicht ist, muß gerade die Partei ‘den Moment für das Angriffssignal richtig erfassen’ (Trotzki) können, um die Klasse zum richtigen Zeitpunkt zum Aufstand zu drängen. Die Klasse muß ‘über sich eine weitblickende, feste und sichere Leitung (in Form der Partei) fühlen’. (Trotzki).
Im Gegensatz zu den Bolschewiki im Juli 1917 hatte die KPD
im Januar 1919 noch längst nicht soviel Gewicht, daß sie den Lauf der Kämpfe
entscheidend hätte mitbestimmen können. Es reicht nicht, daß die Partei eine
richtige Position hat, sie muß auch ein entsprechendes Gewicht in der Klasse
haben. Und weder die verfrühte Aufstandsbewegung in Berlin noch weniger die
darauf folgende blutige Niederlage ermöglichten es, dieses Gewicht aufzubauen.
Die Bourgeoisie dagegen schaffte es, die revolutionäre Vorhut zu schwächen,
indem ihre besten Militanten umgebracht wurden und ihr Hauptinterventionsinstrument
in der Klasse, ‘Die Rote Fahne’ zum Schweigen gebracht wurde. In einer Zeit,
als die breitest mögliche Intervention der KPD erforderlich war, stand die KPD
wochenlang ohne Presse da. Das Drama der zersplitterten Kämpfe
International traten in diesen Wochen die Arbeiter in
mehreren Ländern dem Kapital entgegen. Während in Rußland die Offensive der
konterrevolutionären Weißen Truppen gegen die Arbeitermacht sich verstärkte,
hatte das Kriegsende gleichzeitig zu
einer Beruhigung in den ‘Siegerländern’
an der Klassenfront geführt. In England und Frankreich gab es zwar auch eine
Reihe von Streiks, aber die Kämpfe schlugen nicht die radikale Richtung ein wie
in Deutschland und Rußland. Die Arbeiter in Deutschland und in Mitteleuropa
schlugen sich relativ abgeschnitten vom Rest der Klasse in den anderen
Industriezentren. Im März errichteten die Arbeiter in Ungarn eine Räterepublik,
die nach wenigen Wochen von konterrevolutionären Truppen niedergemetzelt wurde.Nachdem sie den Arbeiteraufstand in Berlin niedergeschlagen
hatte, betrieb die Bourgeoisie eine Politik des Versuchs der Auflösung der
Soldatenräte; sie wollte eine Bürgerkriegsarmee aufstellen. Darüber hinaus
strebte sie die systematische Entwaffnung der Arbeiterklasse an. Aber die
Kampfbereitschaft der Arbeiter flammte
immer noch an vielen Orten auf. Die Schwerpunkte einer Reihe von Kämpfen
sollten in den nächsten Monaten zerstreut in ganz Deutschland liegen, wobei es
in nahezu jeder großen Stadt zu heftigen Zusammenstößen zwischen Kapital und
Arbeit kam, die aber isoliert voneinander blieben. Bremen im Januar ...
Am 10. Januar rief in Bremen der Arbeiter- und Soldatenrat aus
Solidarität mit den Berliner Arbeitern die Republik aus. Er verkündete die
Entfernung der SPD-Mitglieder aus dem Arbeiterrat, Bewaffnung der Arbeiter,
Entwaffnung der bürgerlichen Elemente. Der Arbeiter- und Soldatenrat ernannte
eine Räteregierung, die ihm gegenüber rechenschaftspflichtig war. Am 4. Februar
hatte die Reichsregierung ausreichend Truppen vor Bremen versammelt, um die
isoliert gebliebene Stadt mit ihrem Arbeiter- und Soldatenrat anzugreifen. Am
gleichen Tag noch fiel Bremen in die Hände der Bluthunde. Das Ruhrgebiet im Februar ...
Auch im Ruhrgebiet,
der größten Konzentration von Arbeitern, flammte die Kampfbereitschaft nach
Beendigung des Krieges weiter auf. Noch vor dem Krieg hatte es 1912 eine
längere Streikwelle gegeben, dann reagierten die Arbeiter im Juli 1916, im
Januar 1917, Januar 1918, August 1918 mit großen Streiks gegen den Krieg. Im
November 1918 befanden sich die dort entstandenen Arbeiter- und Soldatenräte
meist noch unter dem Einfluß der SPD. Vor allem ab Januar und Februar 1919
brachen viele wilde Streiks aus. Streikende Belegschaften zogen zu Nachbarzechen
und bewogen sie zum Anschluß. Da kam es oft zu gewalttätigen Zusammenstößen
mit Arbeiterräten, die in dieser Phase
noch von der SPD beherrscht wurden. Die KPD trat für folgende Orientierung ein:
„Die Machtergreifung
durch das Proletariat und die Durchführung des Sozialismus hat zur
Voraussetzung, daß die überwiegende Mehrheit des Proletariats sich zum Willen
hindurchringt, die Diktatur zu ergreifen. Wir glauben nicht, daß dieser
Augenblick schon gekommen ist. Wir glauben, daß die Entwicklung der nächsten
Wochen und Monate erst das Proletariat als Gesamtheit zu der Auffassung wird
heranreifen lassen, daß nur in seiner Diktatur sein Heil liegt. Die Regierung
Ebert-Scheidemann lauert auf die Gelegenheit, diese Entwicklung im Blut zu
ersticken. Wie in Berlin, wie in Bremen wird sie versuchen, Revolutionsherde einzeln
zu ersticken, um so der allgemeinen Revolution zu entgehen. Das Proletariat hat
die Pflicht, diese Provokationen zuschaden zu machen, indem es vermeidet, in
bewaffneten Aufständen den Henkern Opfer freiwillig anzubieten. Es gilt
vielmehr, bis zu dem Augenblick der Machtergreifung die revolutionäre Energie
der Masse in Demonstrationen, in Versammlungen, in Propaganda, Agitation und
Organisation aufs höchste zu steigern, die Massen in immer größerem Umfang zu
gewinnen und die Geister bereit zu machen für die kommende Stunde. Vor allem
ist überall auf die Neuwahl der Arbeiterräte zu dringen unter der Parole:
Heraus mit den
Ebert-Scheidemännern aus den Arbeiterräten!
Heraus mit den
Henkern!“
(Aufruf der Zentrale der KPD vom 3. Februar 1919 zur Neuwahl
der Arbeiterräte)
Am 6. Februar tagten die Delegierten von 109 Arbeiter- und
Soldatenräten des Ruhrgebiets und forderten die Sozialisierung der
Produktionsanlagen. Hinter der Sozialisierungsforderung stand die wachsende
Erkenntnis der Arbeiter, daß die Kontrolle über die Produktionsmitteln nicht in
den Händen des Kapitals bleiben durfte. Solange jedoch die Arbeiter noch nicht
die politische Macht in den Händen halten, noch nicht die bürgerliche Regierung
gestürzt ist, kann sich diese Forderung als Bumerang erweisen. Denn wenn es
vorher keinen politischen Sturz der Bourgeoisie gegeben hat, dann sind alle
Sozialisierungsmaßnahmen ohne politische Macht in den Händen der Arbeiter nicht
nur Sand in den Augen, sondern auch ein Mittel, um den Kampf abzuwürgen. So versprach
die SPD ein Sozialisierungsgesetz, mit
dem eine staatliche Scheinkontrolle unter ‘Mitwirkung der Arbeiterschaft’ angeboten
werden sollte. „Die AR werden als
wirtschaftliche Interessensvertretung grundsätzlich anerkannt und in der
Verfassung verankert. Wahl und Aufgaben werden durch ein sofort zu
veranlassendes besonderes Gesetz geregelt.“ (Gesetzestext).
Gleichzeitig sollten die Arbeiterräte in Betriebsräte
umgewandelt werden. Ihre Funktion sollte nunmehr sein: kontrollierend und mitbestimmend im
Wirtschaftsprozeß mitzuwirken.
Das Ziel dieses Vorgehens war: Abstumpfung der Arbeiterräte,
ihre Integration in den Staat. Sie sollten nicht mehr als Organ der Doppelmacht
gegen den kapitalistischen Staat wirken, sondern der Regelung der
kapitalistischen Produktion dienen. Diese Mystifizierung läßt den Glauben
aufkommen, man könne jetzt sofort ‘in seiner Fabrik’ mit der Umwälzung der
Produktion beginnen, die Arbeiter werden leicht auf die lokalen,
fabrikspezifischen Bedingungen fixiert - anstatt in dieser Phase für die
internationale Ausdehnung und Vereinigung der Kämpfe einzutreten.. Diese Taktik, die zum ersten Mal von der deutschen
Bourgeoisie ansatzweise eingesetzt wurde, äußerte sich dann in Betriebsbesetzungen. In den Kämpfen in
Italien 1919/1920 sollte sie von der Bourgeoisie dort mit großen Erfolg
eingebracht werden. Ab dem 10. Februar waren die Truppen, die vorher in Berlin
und Bremen ihr Blutbad angerichtet hatten, im Anmarsch aufs Ruhrgebiet. Die Arbeiter- und Soldatenräte des gesamten
Industriegebietes beschlossen, den Generalstreik und den bewaffneten Kampf
gegen die Freiwilligenkorps aufzunehmen. Überall erscholl der Ruf ‘Heraus aus
den Betrieben’. Es gab eine Unmenge von militärischen Zusammenstößen. Und
wieder das gleiche Bild: Die SPD rief zur Beendigung der Streiks auf. Wieder
bildete sie militärische Abteilungen zum Kampf gegen streikende Arbeiter. Die
Rage der Arbeiter war oft so groß, daß SPD-Gebäude angegriffen wurden. So am
22. Februar in Mülheim-Ruhr. Dort beschossen Kommunisten eine SPD-Versammlung
mit Maschinengewehrfeuer. In Gelsenkirchen, Dortmund, Bochum, Duisburg,
Oberhausen, Wuppertal, Mülheim-Ruhr und Düsseldorf standen bewaffnete Arbeiter
und Soldaten in größerer Anzahl. Aber auch hier fehlte es wie zuvor schon in
Berlin an Leitung und Organisation. Während
der gesamte Staatsapparat mit der SPD an der Spitze zentralisiert gegen die Arbeiter
vorgehen konnte, gab es keine einheitliche, die Kraft der Arbeiter steuernde
Leitung. Bis zum 20. Februar streikten über einen Monat lang ca.
150’000 Arbeiter. Am 25. Februar wurde die Wiederaufnahme der Arbeit
beschlossen, der bewaffnete Kampf eingestellt. Wieder konnte die Bourgeoisie
ihre Repression ungehindert ausüben. Freikorps besetzten im Ruhrgebiet eine
Stadt nach der anderen. Dennoch kam es Anfang April wieder zu einem
Generalstreik. Am 1. April streikten 150’000, am 10. April 300’000 und Ende
April war die Zahl der Streikenden wieder gefallen auf 130’000. Ab Mitte April
erneut Repression und Jagd auf Kommunisten. Gleichzeitig standen in Württemberg, Braunschweig, Berlin,
Frankfurt, Danzig, Mitteldeutschland große Massen im Streik. Das Ruhrgebiet war
für die Bourgeoisie eine Priorität, es mußte zur Ruhe gebracht werden. Mitteldeutschland im
Februar und März ..
Als Ende Februar die Bewegung im Ruhrgebiet abgeflacht war,
die Truppen dort die Oberhand gewonnen hatten, tauchte auch das Proletariat in
Mitteldeutschland wieder auf der Bühne auf. Während die Bewegung sich im
Ruhrgebiet auf Kohle und Stahl beschränkt hatte, erfaßte sie in
Mitteldeutschland die ganze Industrie-Arbeiterschaft und den Transportbereich.
In nahezu allen Städten und größeren Betrieben beteiligten sich die Arbeiter an
der Bewegung. Am 24. Februar wurde ein Generalstreik ausgerufen, d.h. 3 Tage nach Ende der Bewegung im
Ruhrgebiet. Sofort erließen die Arbeiter- und Soldatenräte einen Aufruf an
Berlin, daß es sich anschließen sollte. Auch hier lag der KPD nichts an einer
überstürzten Aktion: „solange die
Revolution noch nicht ihre zentralen Aktionsorgane hat, müssen wir die an
Tausende Punkte ansetzende lokale Aktion der Räteorganisation entgegensetzen“
(Flugblatt der Zentrale der KPD). Verstärkung des Drucks aus den Betrieben!
Intensivierung der ökonomische Kämpfe und Erneuerung der Räte! Weitergehende
Forderungen nach dem Sturz der Regierung wurden nicht erhoben. Auch hier schaffte es die Bourgeoisie jedoch mit einem Abkommen
über die angestrebte Sozialisierung der Bewegung die Spitze zu brechen. Am
6./7. März wurde die Arbeit wieder aufgenommen.
Bei allen militärischen
Unternehmungen... ist rechtzeitig Fühlung mit den regierungstreuen führenden
SPDlern zu nehmen“ Wieder Berlin im März ...
Nachdem die Bewegung im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland
ihrem Ende zuneigte, trat am 3. März das Proletariat in Berlin in einen
Generalstreik. Die Orientierung war: Verstärkung der Arbeiter- und
Soldatenräte, Freilassung aller politischer Gefangenen, Bildung einer
revolutionären Arbeiterwehr, Kontaktaufnahme mit Rußland. Die rapide Verschlechterung der Lage der Bevölkerung nach
dem Krieg, explodierende Preise, aufkommende Massenarbeitslosigkeit nach der
Demobilisierung trieben die Arbeiter zu verstärkten Abwehrkämpfen. Auch in Berlin
traten die Kommunisten dafür ein, durch eine Neuwahl in den Arbeiterräten eine
größere Druckwelle gegen die Regierung nach den Wahlen zur bürgerlichen Nationalversammlung
aufzubauen. Die Bezirksleitung
Groß-Berlin der KPD schrieb: „Glaubt ihr,
eure revolutionären Ziele mit dem Stimmzettel zu erreichen? .... Wollt ihr die
Revolution weitertreiben, dann setzt eure ganze Kraft ein für die Arbeit in den
A.- und S.-Räten. Sorgt dafür, daß sie ein wirkliches Instrument der Revolution
werden. Sorgt für Neuwahlen zu den Arbeiter-
und Soldatenräten.“
Die SPD stemmte sich jedoch gegen Neuwahlen zu den
Arbeiterräten und zum Vollzugsrat. Auch hier wieder Sabotage der Kämpfe mit
politischen und - wie wir sehen werden- mit militärischen Mitteln. Als die Berliner Arbeiter Anfang März in den
Streik traten, übernahm der Vollzugsrat die Leitung des Streiks. Wieder wurde
der Vollzugsrat aus Delegierten der SPD und USPD zusammengesetzt. Die KPD
wollte nicht mit der SPD in einer Streikleitung sitzen. ‘Die Vertreter dieser Politik in die Streikleitung zu übernehmen,
bedeutet den Verrat an dem Generalstreik und an der Revolution.’
Wie es heute immer
wieder die Sozialdemokraten und Stalinisten und andere Vertreter der extremen
Linken tun, schaffte es die SPD, sich dank der Leichtgläubigkeit der Arbeiter
aber auch durch alle möglichen Tricks und Täuschungsmanöver in die Streikleitung
einzuschleichen. Die KPD ließ sich nicht von einer Bloßstellung dieser Henker
der Arbeiterklasse abbringen. Die Regierung verbot die Veröffentlichung der ‘Roten Fahne’,
während die SPD ihre Zeitung ‘Vorwärts’ weiter drucken lassen konnte. Die
Konterrevolutionäre konnten ungehindert sprechen, die Revolutionäre sollten zum
Schweigen verurteilt werden! Aus Vorsicht vor Angriffen konterrevolutionären Truppen im
Streik, bei Demonstrationen warnte die „Rote Fahne“: „Laßt die Arbeit ruhen! Bleibt vorläufig in den Betrieben. Versammelt
Euch in den Betrieben. Klärt die Zaghaften und Zurückgebliebenen auf! Laßt euch
nicht in unnütze Schießereien ein, auf die der Noske nur lauert, um neues Blut
zu vergießen!“
Frühzeitig jedoch schon initiierte die Bourgeoisie
Plünderungen, die als offizielle Rechtfertigung für den Einsatz des Militärs
dienten. Noske-Soldaten zerstörten als allererstes die Redaktionsräume der „Roten Fahne“. Führende KPD-Mitglieder
wurden wieder in Haft genommen, Leo Jogiches erschossen. Gerade weil die ‘Rote
Fahne’ die Arbeiterklasse vor den Provokationen der Bourgeoisie gewarnt hatte,
wurde die ‘Rote Fahne’ zur sofortigen Zielscheibe der konterrevolutionären Truppen.
Die Repression in Berlin begann am 4. März. Ca. 1.200
Arbeiter wurden erschossen, wochenlang wurden Leichen in der Spree ans Ufer gespült.
Wer ein Bild von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht besaß, wurde verhaftet. Wir
betonen erneut: Nicht Faschisten zeichneten für diese blutrünstige Repression
verantwortlich, sondern die SPD! Als am 6. März der Generalstreik in Mitteldeutschland abgebrochen
wurde, wurde er auch in Berlin am 8. März beendet. In Sachsen, Baden, Bayern, überall gab es zu diesem
Zeitpunkt gleichzeitig Generalstreiks, aber der Funken zwischen diesen Bewegungen
sprang nicht über. Die bayrische Räterepublik im April Aber auch in Bayern erhob die Arbeiterklasse die Stirn.
Am 7. April versuchten SPD und USPD die ‘Gunst der Massen durch eine pseudo-revolutionäre Aktion zu gewinnen’ (Léviné). Wie im Januar in Berlin hatte die KPD
erkannt, daß überhaupt kein für die Arbeiter günstiges Kräfteverhältnis
vorhanden war. Sie stellte sich gegen die Ausrufung der Bayrischen Republik! Aber die Kommunisten in Bayern riefen die Arbeiter dazu auf,
einen „wirklich revolutionären Rat“ zu wählen zur Erkämpfung und Durchführung
der wirklichen kommunistischen Räterepublik. Léviné trat am 13. April an die Spitze einer neuen Räteregierung,
die auf ökonomischer, politischer und militärischer Ebene energische Maßnahmen
gegen die Bourgeoisie ergriff. Trotzdem
war diese Bildung eines ‘revolutionären Aktionsausschusses’ ein schwerwiegender
Fehler der Revolutionäre in Bayern und widersprach dem Beschluß der Partei. Vom Rest Deutschlands vollkommen abgeschnitten, wurde von
der Bourgeoisie eine umfassende Konteroffensive gegen die Bayrische Republik
gestartet. Die Lebensmittelzufuhren nach München wurden abgebrochen, Truppen
von über 100’000 Mann wurden um München zusammengezogen. Am 27. April wurde der
Vollzugsrat in München gestürzt. Wieder schlug der blutige Arm der Repression zu. Tausende Arbeiter wurden in
den Kämpfen standrechtlich erschossen und anderswie umgebracht. Erneut setzte
eine Kommunistenjagd ein, und Léviné wurde zum Tode verurteilt. * * * Gerade die heutigen Generationen von Arbeitern können sich
kaum vorstellen, was eine mächtige Welle von Arbeiterkämpfen - nahezu
gleichzeitig - in den größten Arbeiterkonzentrationen bedeutet, welch riesiger
Druck dadurch auf das Kapital entsteht..... Die Arbeiterklasse in den
Hochburgen des Kapitalismus hatte bewiesen, daß sie gegenüber einer der
erfahrensten Bourgeoisien ein
Kräfteverhältnis aufbauen konnte, das zum Sturz des Kapitals hätte führen
können. Diese Erfahrung zeigt, daß die revolutionäre Bewegung nicht auf die
Arbeiterklasse im angeblich rückständigen Rußland reduziert war, sondern die
Arbeiterklasse in höchst entwickelten Industrieländern sich daran massiv beteiligte.Eine Welle revolutionärer Kraft kam in diesen Monaten
zerstreut, zersprengt zur Entfaltung. Diese Kraft, die zusammengefaßt und
vereinigt ausgereicht hätte zum Sturz der Regierung. Aber diese gewaltige Kraft
ging verloren, die Regierung konnte sie stückweise zerschlagen und vernichten,
die Berliner Januaraktion hatte der Revolution den Kopf abgeschlagen und das
Rückgrat gebrochen, Richard Müller, ein Führer der revolutionären Obleute, die
sich über lange Zeit durch ihre großen Schwankungen und Zögerungen
auszeichneten, kann nicht umhin festzustellen: „Wenn es nicht zur Niederschlagung der Kämpfe im Januar in Berlin
gekommen wäre, dann hätte die Bewegung woanders im Frühjahr weiter Auftrieb
erhalten können, und die Frage der Macht wäre näher in Reichweite gerückt, aber
die militärische Provokation hatte der Bewegung gewissermaßen schon den Wind
aus den Segeln genommen. Die Januaraktion hat Argumente geliefert für die Hetze,
für einen Lügenfeldzug, für die Schaffung einer Atmosphäre des Bürgerkrieges
...“
Ohne diese Niederlage hätte das Berliner Proletariat die
Kämpfenden in den anderen Teilen Deutschlands unterstützen können. Aber
diese Schwächung dieses zentralen Teils
der Revolution ermöglichte es den Kräften des Kapitals in eine Offensive
einzutreten und überall die Arbeiter in verfrühte und zerstreute militärische
Auseinandersetzungen zu locken. Die Arbeiter wiederum schafften es nicht,
selbst eine breite, vereinte und zentralisierte Bewegung auf die Beine
zustellen, eine Doppelmacht im ganzen Lande aufzubauen, die eine
Zentralisierung durch die Verstärkung der Räte ermöglicht hätte.
Nur der Aufbau solch eines Kräfteverhältnisses ermöglicht
es, einen Anlauf zum Aufstand zu machen, der die größte Überzeugung und die
Koordination aller Handlungen erfordert. Und diese Dynamik kann sich nicht ohne
die klare und entschlossene Intervention einer politischen Partei innerhalb der
Bewegung entfalten. Nur so kann die Arbeiterklasse siegreich diesen
historischen Kampf gewinnen.
Die Niederlage der Revolution in Deutschland in den ersten
Monaten des Jahres 1919 war nicht nur auf die Geschicklichkeit der deutschen
Bourgeoisie zurückzuführen. Sie war nur möglich dank des gemeinsamen Vorgehens
der internationalen Kapitalistenklasse. Während die Arbeiterklasse in Deutschland dem Kapital
zersplitterte Kämpfe lieferte, standen die Arbeiter in Ungarn im März dem
Kapital in revolutionären Auseinandersetzungen gegenüber. Am 21. März 1919 wurde
in Ungarn die Räterepublik ausgerufen - die jedoch im Sommer von
konterrevolutionären Truppen niedergemetzelt wurde. Sicher stand die internationale Kapitalistenklasse
geschlossen hinter dem Kapital in Deutschland. Während sie sich zuvor 4 Jahre
im Krieg auf das heftigste bekämpft hatte, trat sie nun vereint der Arbeiterklasse gegenüber.
Lenin meinte, daß sich die Ententemächte „mit den deutschen Paktierern auf jede Weise
verständigten, um die deutsche Revolution zu erwürgen“ (Lenin, 9. Parteitag
der KPR, Werke Bd. 30, S. 441). Das Proletariat tritt seitdem in keinem Teil
der Welt einer gespaltenen Kapitalistenklasse gegenüber, sondern jedesmal, wenn
sich die Arbeiterklasse anfängt zusammenzuschließen, steht die Front des
Kapitals schon geschlossen!
Wenn die Arbeiterklasse
in Deutschland es geschafft hätte, die Macht zu ergreifen, wäre der
kapitalistische Staudamm auch international gebrochen, die Revolutionäre in
Rußland nicht isoliert geblieben.
Als die 3. Internationale im März 1919 in Moskau gegründet
wurde, d.h. zu einem Zeitpunkt, als in Deutschland die Kämpfe voll entflammt
waren, schien diese Perspektive den Kommunisten in greifbare Nähe gerückt. Aber
die Niederlage der Arbeiter in Deutschland sollte den Niedergang der
internationalen revolutionären Welle und insbesondere der russischen Revolution
einläuten. Es war die Bourgeoisie mit der SPD an ihrer Spitze, die durch ihre
konterrevolutionären Aktionen die Revolution in Rußland entscheidend isolierte,
ihre Entartung möglich mache und so zum Geburtshelfer des Stalinismus
wurde. DV.
[ii] [4] Die SPD war die größte Arbeiterpartei vor 1914; im August 1914
verriet die Führung der SPD - mit der Reichstagsfraktion und den Gewerkschaftsführern
an der Spitze - alle internationalistischen Prinzipien der Partei. Die Führung
schloß sich voll dem Lager des nationalen Kapitals als Rekrutierungskraft für
das imperialistische Abschlachten an.
[iii] Zu welchem unverantwortlichen Verhalten man sich hinreißen lassen
kann, wenn man keine klare Analyse hat, zeigte 1980 die CWO. Sie forderte zur
Zeit der Massenkämpfe in Polen: ‘Revolution Now’!
[iv] [4] Die „Unabhängige Sozialistische Partei Deutschlands“ war eine zentristische
Abspaltung von der SPD, welche deren offensichtlichsten bürgerlichen
Auffassungen zwar verwarf, jedoch unfähig war, eine klare internationalistische,
kommunistische Haltung einzunehmen. 1917 war der Spartakusbund der USPD mit der
Absicht beigetreten, so seinen Einfluss in der Arbeiterklasse, welche durch die
Politik der SPD zunehmend angewidert war, zu verstärken.
[v] [4] „Internationale Kommunisten Deutschlands“. Vor dem 23. November
1918, als sie in Bremen beschlossen, das Wort Sozialisten durch Kommunisten zu
ersetzen, auch bekannt als „Internationale Sozialisten Deutschlands“. Diese
Gruppe war kleiner als der Spartakusbund und besaß auch weniger Einfluss,
teilte jedoch deren revolutionäre internationalistische Positionen. Die IKD
waren Mitglied der Zimmerwalder Linken und stand der Internationalen
Kommunistischen Linken sehr nahe, vor allem der Holländischen Linken (Pannekoek
und Gorter gehörten vor dem Krieg zu ihren Theoretikern) und der Russischen
Linken (Radek war einer ihrer Genossen). Ihre Ablehnung der Gewerkschaften und
des Parlamentarismus stand am Gründungsparteitag der KPD gegenüber der Position
von Rosa Luxemburg in der Mehrheit.
[vi] [4] Die Revolutionären Obleute waren ursprünglich zum grössten Teil in
Betrieben gewählte Gewerkschaftsdelegierte, welche mit den sozialchauvinistischen
Gewerkschaftsführungen gebrochen hatten. Sie waren ein direktes Produkt des
Widerstandes der Arbeiterklasse gegen den Krieg und gegen den Verrat der
Gewerkschaften und sog. “sozialistischen“ Parteien. Leider führte ihr Kampf
gegen die Gewerkschaftsführungen zu einem generellen Misstraunen gegenüber
zentralisiertem Handeln, und sie entwickelten lokalistische und auf Betriebe
reduzierte Standpunkte. Sie waren in politischen Fragen oft sehr schwankend und
neigten zu Auffassungen der USPD. <p
<div
[i] [4] Siehe die beiden vorherigen Artikel in Int. Revue Nr. 17 und 18.
Kein anderes Ereignis hat die weltweite Zuspitzung der imperialistischen Spannungen dramatischer verdeutlicht als die Entsendung von 3.000 deutschen Kampftruppen nach Bosnien. Unter dem Deckmantel der Aufrechterhaltung des ‘Friedensabkommens’ für Bosnien, das von den USA in Dayton diktiert wurde, wird die Bundeswehr genauso wie die Armeen der Rivalen Frankreich, Großbritannien und der USA in das Krisengebiet geschickt, um die imperialistischen Interessen der jeweiligen nationalen Bourgeoisie zu verteidigen.
Kein anderes Ereignis bestätigt so deutlich den Aufstieg des deutschen Imperialismus seit der Wiedervereinigung. Zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg schickt die deutsche Bourgeoisie bewaffnete Streitkräfte ins Ausland mit dem Mandat bewaffneter Einsätze. Dadurch wirft sie demonstrativ die Fesseln von sich, die ihr nach der Niederlage in den beiden Weltkriegen auferlegt worden waren. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang war die deutsche Bourgeoisie der beiden deutschen Staaten, die nach 1945 entstanden waren, nicht berechtigt, im Ausland militärische Interventionen zugunsten ihrer eigenen imperialistischen Interessen durchzuführen. Eine Ausnahme von diesem allgemeinen Gesetz, die von der NATO im Westen und vom Warschauer Pakt im Osten zugelassen würde, konnte nicht in Bonn oder Ostberlin entschieden werden, sondern in Washington oder in Moskau. Tatsächlich war die einzige Beteiligung deutscher Truppen bei militärischen Kampfeinsätzen im Ausland seit 1945 die Ostdeutschlands bei der Besetzung der Tschechoslowakei durch die UdSSR und die Warschau-Pakt-Staaten 1968.
Heute ist Deutschland wiedervereinigt und wieder als führende europäische Macht in Erscheinung getreten. In einer Welt, die nicht nur von militärischen Spannungen, sondern durch ein globales Chaos und den Kampf des jeder gegen jeden erschüttert wird, braucht der deutsche Imperialismus nicht mehr die Zustimmung anderer Staaten zur militärischen Abstützung seiner eigenen Außenpolitik. Heute kann die deutsche Regierung ihre militärische Präsenz auf dem Balkan erzwingen, egal ob die anderen Staaten dies mögen oder nicht. Diese wachsende Stärke verdeutlicht vor allem den Niedergang der Hegemonie der einzig übrig gebliebenen Supermacht - der USA. Da die Fähigkeit der USA, der Bonner Regierung Vorschriften zu machen über das, was zu tun sei und was nicht, Dreh- und Angelpunkt ihrer Vorherrschaft über zwei Drittel der Erde nach 1945 war, bringt die Präsenz der Bundeswehr in Bosnien heute der Welt zum Ausdruck, wie stark diese US-Vorherrschaft schon untergraben wurde.
Aber die Beteiligung Bonns an der IFOR 2 Mission der NATO in Bosnien, wo es zusammen mit Frankreich eine der drei Kontrollzonen überwacht, ist eine Herausforderung für die USA und die europäischen Mächte nicht nur auf globaler historischer Ebene. Es handelt sich nämlich auch um einen unabdingbaren Schachzug bei der konkreten Verteidigung der entscheidenden deutschen imperialistischen Interessen in der Region selber. Das herausragendste Interesse Deutschland ist der langfristige Zugang zu einem Marinestützpunkt am Mittelmeer mittels der Häfen des alten historischen Verbündeten Kroatien. Es war die Kohl-Regierung, die die Auflösung Jugoslawiens in Gang setzte, und damit auch die ganze Kette blutiger Reaktionen in diesem Land, indem Bonn aggressiv die Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens Anfang der 90er Jahre unterstützte. Obgleich Bonn nicht zuletzt durch massive Waffenlieferungen an Kroatien dazu in der Lage war, dieses Ziel durchzusetzen, blieb ein Drittel des Territoriums seines kroatischen Verbündeten von serbischen Kräften besetzt, wodurch praktisch der Norden von den strategisch wichtigen dalmatinischen Häfen im Süden abgeschnitten gewesen war. Am Anfang des Balkankrieges konnte Deutschland noch Punktgewinne erzielen, indem es Kroatien aus dem Hinterhalt unterstützte, ohne selbst Truppen entsenden zu müssen. Aber als der Krieg im benachbarten Bosnien ausgelöst wurde, gingen die europäischen Hauptrivalen Deutschlands, insbesondere Großbritannien und Frankreich unter dem Deckmantel der UNO und schließlich vor allem die USA unter dem Schutzschild der NATO dazu über, ihre Interessen in der Region durch ihre militärische Präsenz direkt zu verteidigen. Diese Präsenz konnte um so wirksamer sein, als Deutschland militärisch und politisch noch nicht dazu in der Lage war nachzuziehen. Vor allem das militärische Engagement der USA bewirkte, daß die Position Deutschlands während der letzten beiden Jahre geschwächt wurde. Die militärischen Siege Kroatiens gegen die pro-britischen und pro-französischen Serben in der Krajina und in Bosnien, welche die Spaltung dieses Landes überwanden und die Wiederherstellung der Verbindung zwischen den dalmatinischen Häfen und der Hauptstadt Zagreb ermöglichten, waren möglich nicht dank der Unterstützung durch Deutschland, sondern durch die USA. Somit verdeutlichte das Daytoner Abkommen, das die USA dank ihrer Militärschläge in Bosnien aufzwingen konnten, die unaufschiebbare Notwendigkeit für Deutschland, seine Interessen in der Region durch eigene bewaffnete Truppen zu verteidigen. Die erste Stationierung von deutschen Sanitäts- und logistischen Einheiten in Kroatien im letzten Jahr, die noch außerhalb der Kampfzone und ohne einen Kampfauftrag erfolgte, war ein erster Schritt zur gegenwärtigen ‘friedenstiftenden’ Einheit in Bosnien selber. Bei ihrer Ankunft in Bosnien wurden diese Einheiten, die schwer bewaffnet und mit einem Kampfauftrag versehen sind, offen von den bosnischen Kroaten als Verbündete begrüßt, und die bosnischen Kroaten nahmen sofort eine aggressivere Haltung gegenüber den moslemischen Bosniern ein, womit den französischen und spanischen Truppen in der geteilten Stadt Mostar das Leben noch schwerer gemacht wurde. Und die kroatische Regierung in Zagreb belohnte die Ankunft der Bundeswehr mit der Entscheidung, die alten Boeing-Flugzeuge der Croatian Airline durch neue Airbusse zu ersetzen, deren Hauptteil in Deutschland produziert wird. Bei der Rechtfertigung dieser Entscheidung sagte der kroatische Außenminister: „Wir schulden unsere nationale Unabhängigkeit Amerika, aber unsere Zukunft liegt in Europa, und sie stützt sich auf die Grundlage unserer Freundschaft mit der deutschen und bayrischen Regierung.“ Tatsächlich hatte die kroatische Bourgeoisie schon seit langem ungeduldig auf die Ankunft der deutschen Truppen gewartet, um die Führungsrolle der USA abzuschütteln. Washington hat Kroatien sehr viel für seine Unterstützung zahlen lassen. Es waren die USA, die lange vor der Endphase des Krieges in Bosnien, vor Dayton, Bosnien und vor allem die kroatischn Kräfte daran gehindert haben, Banja Luca einzunehmen. Somit haben die USA Kroatien daran gehindert, die Serben in den Osten Bosniens zu verdrängen. Und vor allem waren es die USA, die die bosnischen Kroaten dazu zwangen, sich mit den Muslimen zu verbünden, was aber im Widerspruch zu all den kroatischen Kriegszielen in Bosnien steht. Aus der Sicht der kroatischen Bourgeoisie sind ihre Hauptfeinde nicht die Serben, sondern die Moslems, und ihr Ziel ist die Aufteilung Bosniens zwischen Kroaten und Serben auf Kosten der muslimischen Bourgeoisie. Aber die kroatischen Interessen in Bosnien stimmen vollkommen mit denen Deutschlands überein: die Sicherung des Zugangs zu den dalmatinischen Häfen. Trotz ihrer taktischen Zusammenarbeit mit den USA gegen Serbien während der letzten beiden Jahre, stehen diese gemeinsamen Interessen Bonns und Zagrebs den Interessen nicht nur der pro-serbischen europäischen Mächte und Rußlands, sondern auch der USA selbst entgegen.
Gegenwärtig kann man eine deutsche Gegenoffensive im ehemaligen Jugoslawien und auf dem Balkan beobachten, die darauf abzielt, die deutschen Punktverluste durch das Dayton-Abkommen wieder auszugleichen. Ebenso will man die amerikanischen Schwierigkeiten im Nahen Osten ausnutzen, um den deutschen Einfluß in Südosteuropa und Zentralasien auszudehnen. Die Entsendung deutscher Truppen nach Bosnien, die weit davon entfernt ist, ein isoliertes ‘friedenserhaltendes’ Ereignis zu sein, ist Teil einer extrem aggressiven imperialistischen Ausdehnung Richtung Mittelmeer, Naher Osten und Kaukasus. Dreh- und Angelpunkt dieser Politik ist die Zusammenarbeit mit der Türkei. Die Niederlage des russischen Imperialismus in Tschetschenien und die Schwächung seiner Position im ganzen Kaukasus hat auch mit dieser deutsch-türkischen Zusammenarbeit zu tun. Heute unterstützt Deutschland die Annäherungspolitik der Regierung Erbakans in Ankara an den Iran, einem anderen traditionellen deutschen Verbündeten. Auch hat Deutschland klar Stellung zugunsten der Türkei in deren Konflikt mit Griechenland bezogen. Außenminister Kinkel erklärte gegenüber der Presse am 7. Dezember 96 in Bonn: „Die Türkei ist für Deutschland das Schlüsselland für unsere Beziehungen zur gesamten islamischen Welt [....]. Wie kann man es der Türkei verübeln, wenn sie sich mehr zu ihren islamischen Nachbarn orientiert, da die Türkei bislang aus der Europäischen Union noch keinen Pfennig gewonnen hat aufgrund der Blockadepolitik.“ Als Reaktion auf dieses deutsch-türkische Zusammengehen hat Rußland den griechischen Zyprioten die Lieferung von Raketen versprochen, ohne auf einen starken Widerstand aus Washington zu stoßen. In diesem Gebiet, wo Europa und Asien zusammentreffen, vollzieht sich eine gewaltige Zusammenballung von Waffen und Spannungen.
Gleichzeitig destabilisieren die Großmächte und besonders Deutschland die Innenpolitik aller Länder auf dem Balkan. In der Türkei unterstützt Bonn den ‘islamischen’ Ministerpräsidenten Erbakan bei dessen bitterem Machtkampf mit dem pro-amerikanischen Flügel des Militärs, ungeachtet der Gefahr eines Militärputsches oder eines Bürgerkrieges. Neulich beschuldigte ein deutsches Gericht offiziell die Familie der Rivalin Erbakans, der Außenministerin Tansu Ciller, eine Schlüsselrolle im internationalen Drogenhandel zu spielen. In Serbien hat Deutschland neben den USA die serbische ‘demokratische’ Opposition unterstützt, d.h. auch die zutiefst deutschfeindlichen Draskovic und Djinic, einfach weil man das Regime Milosevics destabilisieren will. In Bulgarien, Mazedonien und Albanien beteiligen sich Deutschland und die anderen Großmächte an den oft blutigen Machtkämpfen. Aber das spektakulärste Beispiel dieser Destabilisierungspolitik ist Österreich, das sich bislang immer als ‘Insel der Seligen’ bezeichnete. Österreich war das einzige Land, das zum gleichen Zeitpunkt die Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens anerkannte wie Bonn. Die meisten Fraktionen der österreichischen Bourgeoisie sind mehr oder weniger pro-deutsch. Da Österreich für Deutschland das Tor zum Balkan ist, hat Bonn versucht, Österreich in eine quasi-deutsche Kolonie zu verwandeln, indem es Banken und Betriebe aufkaufte, die österreichische Armee dazu drängte, deutsche Rüstungsgüter zu kaufen und den österreichischen christlich-demokratischen Außenminister Schüssel unterstützte, der angeblich Helmut Kohl vor jeder wichtigen außenpolitischen Entscheidung konsultiert. Dies hat eine Reihe von Koalitionskrisen in Wien sowie Widerstand unter den Sozialdemokraten hervorgerufen, die die klassische Partei der österreichischen Bourgeoisie sind. All dies hat zur Ablösung des ‘Versöhnlers’ Vranitzky durch einen neuen Bundeskanzler, Viktor Klima, geführt, der ein offenerer Gegner einer ‘Übernahme’ durch Deutschland ist.
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 tauchten viele der strategischen Kräfteparallelogramme zwischen den Westmächten, die vor und während der beiden Weltkriege bestanden hatten, wieder auf. Das wiedererwachte ‘historische’ Ziel des modernen deutschen Imperialismus schließt die Beherrschung Österreichs und Ungarns als der Pforten zum Balkan und der Türkei als der Pforte nach Asien und dem Mittleren Osten ein, aber auch die Zerstückelung Jugoslawiens und die Unterstützung Kroatiens, damit Deutschland einen Zugang zum Mittelmeer findet. Schon vor und während des 1. Weltkriegs formulierten die berühmten Geostrategen des ‘Alldeutschen Vereins’ die Richtlinien der Außenpolitik, die auch heute nach dem Zusammenbruch der Weltordnung nach 1945 die Außenpolitik wiederum bestimmen. Ernst Jaeckh schrieb 1916: „Deutschland hat ringsum fertige Völker - längst fertige und allmählich feindliche. Im Westen Frankreich: in Revanchefeindschaft verbleibend; im Osten Rußland: in Orientfeindschaft verfallend; im Norden England: in Weltfeindschaft sich steigernd [....]. Nur südostwärts - hinter dem österreichisch-ungarischen Bundesgenossen, für den bereits Bismarck sich entschieden hat gegen Rußland - öffnet sich ein Weg zu Völkern, die noch nicht fertig sind in ihrer Staatenbildung, auch noch nicht feindlich gegen uns [....] durch den nahen Weltteil Mitteleuropa ans Mittelmeer heran und zum Indischen Ozean hin. Der Landweg über Mitteleuropa wird so der Umweg zur Übersee [....]. Und Jaeckh fügte hinzu, daß „Deutschland und die Türkei die Ecksteine sind, Österreich-Ungarn und Bulgarien den Zusammenschluß herstellen.“ Im gleichen Jahr schrieb Friedrich Naumann, ein anderer berühmter Theoretiker des deutschen Imperialismus: „Auf die Sicherheit dieses Weges muß insbesondere Deutschland alles Gewicht legen, weil seine Zusammenhänge mit der Türkei an das Vorhandensein dieser Linie gebunden sind. Wir haben ja im Kriege erlebt, welcher Schaden dadurch hätte entstehen können, daß die Serben ein Stück dieses Weges besaßen. Um dieses Weges willen erfolgte der Donauübergang der Armee Makkensen. Alles, was an der Balkanbahn liegt, liegt an der für uns notwendigen Linie Hamburg-Suez, die wir uns von niemandem dürfen sperren lassen. Was ist Bagdadbahn, was anatolische Bahn für uns, wenn wir sie nicht ohne Englische Erlaubnis erreichen können?“ (Naumann, Bulgarien und Mitteleuropa, 1916). In diesem Sinne wiederholte Paul Rohrbach, den Rosa Luxemburg als „ganz offen und ehrlich [....] halboffiziösen Wortführer des deutschen Imperialismus“ bezeichnet hat, die „notwendige Beseitigung des serbischen Riegels zwischen Mitteleuropa und dem Orient.“ (Rohrbach, England und Rußland, unsere Gegner)[i] [7]
Der Balkan war schon der Ausgangspunkt des Ersten und eines der Hauptschlachtfelder des Zweiten Weltkriegs, auch heute wieder wird diese Region durch den Aufstieg des deutschen Imperialismus und die Bestrebungen der großen Rivalen, dem entgegenzutreten, in die Barbarei gestürzt.
Obgleich die Vereinigten Staaten und Deutschland mittels ihrer bosnischen und kroatischen Schachfiguren im ehemaligen Jugoslawien kürzlich eine taktische Allianz mit dem Ziel des Zurückdrängens Serbiens eingegangen sind, und obgleich Washington und Bonn zusammengearbeitet haben, um die Entwicklung des Chaos in Rußland zu begrenzen, sind sie zu den Hauptrivalen im Kampf um die Vorherrschaft in Osteuropa geworden. Seit dem Zusammenbruch der UdSSR hat der russische Imperialismus gar die letzten Reste seines vorherigen Einflusses über die früheren Warschauer Pakt Staaten verloren. Obgleich die Osterweiterung der NATO und der Europäischen Union von den westlichen bürgerlichen Medien mit der Notwendigkeit begründet werden, Osteuropa vor einer möglichen russischen Aggression zu schützen, sind sie in Wirklichkeit Teil eines Wettrennens zwischen Deutschland mittels der EU und der USA mittels der NATO, um die imperialistische Vorherrschaft Moskaus durch ihre jeweils eigene zu ersetzen. In der ersten Hälfte der 90er Jahre war Deutschland dazu in der Lage, einen mehr oder weniger starken Einfluß in allen ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten mit Ausnahme der Tschechischen Republik aufzubauen. Im Mittelpunkt der deutschen Ausdehnung steht das Bündnis mit Polen, das eine starke militärische Komponente trägt. Unter dem Vorwand, Hilfe zu leisten bei der Absicherung der polnischen Ostgrenze gegen das Eindringen von illegalen Einwanderern nach Deutschland, hat Deutschland angefangen, große Teile des polnischen Militärapparates auszurüsten und zu finanzieren. So hat die polnische Regierung die Entsendung von deutschen Truppen nach Bosnien aufs wärmste begrüßt; auch hat sie versprochen, sich in Zukunft mit der Bundeswehr an Auslandseinsätzen zu beteiligen. Die Tatsache, daß ein Land wie Polen sich mit dem Wirtschaftsriesen Deutschland verbündet anstatt mit der US-amerikanischen militärischen Supermacht, zeigt, wie wenig Warschau eine militärische Invasion Rußlands fürchtet. In Wirklichkeit hofft die polnische Bourgeoisie, die weniger an ihre Verteidigung denkt, vielmehr darauf, Nutzen zu ziehen aus der deutschen Expansion nach Osten, die auf Kosten Rußlands stattfindet.
Gerade weil die USA gegenüber Deutschland in den letzten Jahren in Osteuropa soviel Terrain verloren haben, drängen diese jetzt so ungeduldig darauf, die NATO-Osterweiterung durchzuführen. Aber indem dies angestrebt wird, werden die russisch-amerikanischen Beziehungen untergraben, die ja so wichtig sind für Washington, gerade weil der erschöpfte russische Bär als einziges anderes Land noch über ein so gigantisches atomares Waffenarsenal verfügt. Gegenwärtig unternimmt die deutsche Diplomatie alles, um den Bruch zwischen den USA und Rußland zu vertiefen, indem Moskau eine Reihe von Konzessionen auf Kosten von Washington angeboten werden. Eine dieser Konzessionen war, daß keine NATO-Truppen (d.h. US-Truppen) oder Atomwaffen auf dem Gebiet der neuen NATO-Mitgliedsstaaten stationiert werden sollen. Der deutsche Verteidigungsminister Rühe schlug sogar vor, das Gebiet der ehemaligen DDR in diese Kategorie Länder einzubeziehen. Das hieße, man würde zum ersten Mal seit 1945 eine ‘no-go area’ für amerikanische Truppen in der Bundesrepublik Deutschland schaffen. Dies ist ein möglicher erster Schritt für einen eventuellen späteren Abzug der US-Truppen überhaupt. Deshalb die Wut des politischen Establishments in Washington, das angefangen hat, Berichte über die Menschenrechtslage zu veröffentlichen, wo Deutschland auf die gleiche Stufe gestellt wird wie der Iran oder Nordkorea wegen seiner Behandlung der amerikanischen Scientology-Sekte.
Der Aufstieg Deutschlands zur führenden europäischen Macht steht erst an seinem Anfang. Aber jetzt schon profitiert der deutsche Imperialismus von der globalen Infragestellung der amerikanischen Führungsrolle, nachdem es nach dem Auseinanderbrechen der UdSSR keinen gemeinsamen Feind mehr gibt. Und obgleich Deutschland noch immer zu schwach ist im Vergleich zu den USA, um einen eigenen imperialistischen Block zu errichten, bedroht sein Aufstieg jetzt schon ernsthaft die europäischen Rivalen, Frankreich eingeschlossen. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks strebte Frankreich anfänglich ein Bündnis mit Deutschland gegen Amerika an. Aber die Stärkung seines östlichen Nachbarn und vor allem Bonns Drang zum Mittelmeer im Balkankrieg bewogen Frankreich dazu, sich von Deutschland wegzubewegen und enger an Großbritannien anzulehnen, dies umso mehr, als dieses sich aus seinem ewigen Bündnis mit den USA löste[ii] [8]. In den letzten Monaten dagegen haben sich Bonn und Paris wiederum angenähert. Das auffallendste Beispiel: ihre militärische Zusammenarbeit in Bosnien. Handelt es sich um eine Erneuerung des deutsch-französischen Bündnisses?
Es gibt mehrere Gründe für das neulich einsetzende Auseinanderrücken von Paris und London; einer der Gründe ist die Bestrafung, die die USA insbesondere Großbritannien auferlegt haben. Aber aus französischer Sicht hat das Bündnis mit Großbritannien eines der Hauptziele bislang verfehlt: den Aufstieg Deutschlands zu verhindern. Deutsche Truppen auf dem Balkan und die deutsche Entente mit Polen, das traditionell ein Verbündeter Frankreichs ist, sind die besten Beweise. Als eine Reaktion darauf verbündet sich Frankreich nicht erneut mit Deutschland, sondern es ändert seine Taktik im Kampf gegen Deutschland. Die neue Taktik, den Feind zu umarmen, um ihn an seiner Stärkung zu hindern, wird in Bosnien deutlich, wo die deutschen Truppen, wenn sie schon nicht am Auftauchen gehindert werden können, zumindest unter französischer Führung handeln sollen. Diese Taktik mag eine Zeit funktionieren, da Deutschland noch nicht dazu in der Lage ist, eine unabhängigere militärische Rolle zu spielen. Aber langfristig ist auch diese zum Scheitern verurteilt.
Diese ganze Entwicklung verdeutlicht die blutige Logik des Militarismus in diesem Jahrhundert, in der dekadenten Phase des Kapitalismus. Durch den Zusammenbruch des Ostblocks wurde Deutschland dank seiner ökonomischen und politischen Stärke und seiner geographischen Stellung nahezu über Nacht zur führenden europäischen Macht. Aber auch solch eine Macht kann ihre Interessen nur wirksam verteidigen, wenn sie sie militärisch durchsetzen kann. Da der Kapitalismus nicht mehr ausreichend Märkte für eine wirkliche Expansion des Systems erobern kann, kann jede imperialistische Macht sich nur durchsetzen auf Kosten der anderen. Diese Situation hat schon zu zwei Weltkriegen in diesem Jahrhundert geführt - deshalb ist es der Einsatz nackter Gewalt, der letzten Endes über den Rang eines bürgerlichen Staates entscheidet. Die Ereignisse in Jugoslawien haben diese Lehre erneut verdeutlicht. Solange Deutschland keine Truppen im ehemaligen Jugoslawien stationiert hat, wird Deutschland dort trotz aller anderen Stärken den Kürzeren ziehen. Dieser Zwang, der aus dem niedergehenden System entsteht, bringt heute die weltweite Verschärfung der militärischen Spannungen hervor; er ist es, der dem deutschen Staat wie allen anderen diesen militaristischen Kurs aufzwingt.
Aber weil dieser blutige Kurs der Arbeiterklasse Verarmung und Leiden auferlegt, und damit Licht auf die Wirklichkeit dieses Systems werfen wird, wird er langfristig den Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat anheizen. Auf historischer Ebene kann die Entfaltung der deutschen imperialistischen Ausdehnung ein wichtiger Faktor bei der Rückkehr des deutschen Proletariats an die Spitze des revolutionären Klassenkampfes des internationalen Proletariats werden.
DK.
[i] [9] Alle Zitate der Geostrategen des ‘Alldeutschen Vereins’ sind entnommen aus der Dokumentation ‘Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945’
[ii] [10] Über den historischen Bruch des Bündnisses von Großbritannien mit den USA siehe insbesondere die „Resolution über die internationale Lage“ in der Internationalen Revue Nr. 18
Mit dem folgenden Artikel über den Kampf des Marxismus gegen die Freimaurerei stellt sich die IKS fest in die besten Traditionen des Marxismus und der Arbeiterbewegung. Im Gegensatz zu der politischen Gleichgültigkeit der Anarchisten haben die Marxisten stets darauf bestanden, daß das Proletariat die wesentlichen Merkmale der Funktionsweise seines Klassenfeindes begreifen muß, um seine revolutionäre Aufgabe zu erfüllen. Wie alle ausbeutenden Klassen gebrauchen diese Feinde des Proletariats die Irreführung und Heimlichkeit sowohl gegeneinander als auch gegen die Arbeiterklasse. Daher enthüllten Marx und Engels in einer Reihe wichtiger Schriften der Arbeiterklasse die geheimen Strukturen und Aktivitäten der herrschenden Klasse.
In seinen „Enthüllungen über die Diplomatie des 18. Jahrhunderts", die auf ein erschöpfendes Studium von diplomatischen Schriftstücken im Britischen Museum basieren, enthüllte Marx die heimliche Zusammenarbeit zwischen dem britischen und dem russischen Kabinett seit den Zeiten von Peter dem Großen. In seinen Schriften gegen Lord Palmerston deckte Marx auf, daß die Fortsetzung dieses geheimen Bündnisses sich im wesentlichen direkt gegen revolutionäre Bewegungen in ganz Europa richtete. Tatsächlich war während der ersten sechzig Jahre des 19. Jahrhunderts die russische Diplomatie, die Bastion der Konterrevolution zu jener Zeit, in „alle Verschwörungen und Aufstände" verstrickt, einschließlich der aufständischen Geheimgesellschaften wie die der Carbonari, um sie für die eigenen Zwecke zu manipulieren (Engels: „Die Aussenpolitik des zaristischen Russland").
In seinem Pamphlet gegen Herrn Vogt legte Marx die Wege offen, auf denen Bismarck, Palmerston und der Zar die Agenten des Bonapartismus unter Louis Napoleon in Frankreich bei der Infiltrierung und Verunglimpfung der Arbeiterbewegung unterstützten. Die herausragenden Momente in der Auseinandersetzung der Arbeiterbewegung mit diesen verborgenen Manövern waren der Kampf der Marxisten gegen Bakunin in der Ersten Internationale und der „Eisenacher" gegen die Benutzung des Lassalleanismus durch Bismarck.
Mit ihrer Bekämpfung der bürgerlichen Faszination für das Verborgene und Mysteriöse zeigten Marx und Engels, daß das Proletariat der Feind jeder Art von Politik der Geheimniskrämerei und Verschleierung ist. Im Gegensatz zum britischen Tory Urquhart, dessen über 50 Jahre dauernder Kampf gegen die russische Geheimdiplomatie zu einer „geheimen esoterischen Doktrin" einer „allmächtigen" russischen Diplomatie als des „alleinigen aktiven Faktors der modernen Geschichte" (Engels) entartete, basierte die Arbeit der beiden Gründer des Marxismus immer auf einer wissenschaftlichen, historisch-materialistischen Herangehensweise. Diese Methode enthüllte den verborgenen „jesuitischen Orden" der russischen und westlichen Diplomatie und die Geheimgesellschaften der ausbeutenden Klassen als das Produkt des Absolutismus und der Aufklärung im 18. Jahrhundert, wo die Krone den niedergehenden Adel und die aufstrebende Bourgeoisie zur Zusammenarbeit zwang. Diese „aristokratisch-bürgerliche Internationale der Aufklärung", auf die sich Engels' Artikel über die zaristische Außenpolitik bezog, sorgte auch für eine gesellschaftliche Basis der Freimaurerei, welche in England entstand, dem klassischen Land des Kompromisses zwischen Aristokratie und Bourgeoisie. Auch wenn das bürgerliche Merkmal der Freimaurerei viele bürgerliche Revolutionäre im 18. und frühen 19. Jahrhundert besonders in Frankreich und den Vereinigten Staaten fesselte, sollte ihr zutiefst reaktionärer Charakter sie bald zu einer Waffe vor allem gegen die Arbeiterklasse machen. Dies war der Fall nach der Erhebung der sozialistischen Arbeiterbewegung, die die Bourgeoisie dazu veranlaßte, den materialistischen Atheismus ihrer revolutionären Jugend zu beseitigen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die europäische Freimaurerei, die bis dahin vor allem der Zeitvertreib einer gelangweilten Aristokratie war, welche ihre gesellschaftliche Funktion verloren hatte, in wachsendem Maße zur Bastion einer neuen anti-materialistischen „Religiosität" der Bourgeoisie, die sich im wesentlichen gegen die Arbeiterbewegung richtete. Innerhalb der freimaurerischen Bewegung wurde eine ganze Reihe antimarxistischer Ideologien entwickelt, die später gemeinsames Eigentum der konterrevolutionären Bewegungen des 20.Jahrhunderts werden sollten. Nach einer dieser Ideologien war der Marxismus selbst eine Kreation der „Illuminaten" der deutschen Freimaurerei, gegen die sich die „wahren" Freimaurer zur Wehr setzen mußten. Bakunin, selbst ein aktiver Freimaurer, war einer der Väter einer weiteren Behauptung, wonach der Marxismus eine jüdische Verschwörung sei: „Die gesamte jüdische Welt, umfasst eine einzige ausbeutende Sekte, eine Art blutsaugender Leute, organisierte, zerstörerische Parasiten, nicht nur die Grenzen der Staaten, sondern auch die politischen Auffassungen überschreitend. Diese Welt steht nun zum grössten Teile Marx, aber zum anderen auch Rothschild zur Verfügung. (...) Dies scheint fremd zu sein. Was kann der Sozialismus mit einer führenden Bank gemein haben? Der autoritäre Sozialismus, der marxistische Kommunismus benötigt einen starken Staat. Wo sich der staatliche Zentralismus befindet, gibt es zwangsläufig auch eine zentrale Bank, und wo eine solche Bank existiert, wird die parasitäre jüdische Welt, die mit der Arbeit des Volkes spekuliert, zu finden sein" (Bakunin, zitiert nach R. Huch: Bakunin und die Anarchie).
Im Gegensatz zur Wachsamkeit der Ersten, Zweiten und Dritten Internationale gegenüber diesen Fragen, begnügt sich ein großer Teil des heutigen revolutionären Milieus damit, diese Gefahr zu ignorieren oder die angeblich „machiavellistische" Sichtweise der Geschichte durch die IKS zu verhöhnen. Diese Unterschätzung, die mit einer krassen Ignoranz gegenüber einem wichtigen Teil der Geschichte der Arbeiterbewegung einhergeht, ist das Ergebnis einer 50jährigen Konterrevolution, die das Weiterreichen der organisatorischen Erfahrung der Marxisten von einer Generation zur anderen unterbunden hatte.
Diese Schwäche ist um so gefährlicher, als das Unwesen mystischer Sekten und Ideologien in diesem Jahrhundert Dimensionen erreicht hat, die weit über die Frage der Freimaurerei hinausgehen, vor der man in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus gestanden hatte. So hatte die Mehrheit der antikommunistischen Geheimgesellschaften, die zwischen 1918 und 1923 gebildet wurden, ihren Ursprung nicht in der Freimaurerei, sondern wurde direkt von der Armee, unter der Kontrolle demobilisierter Offiziere, gebildet. Als direkte Instrumente des kapitalistischen Staates gegen die kommunistische Revolution wurden sie aufgelöst, sobald das Proletariat besiegt worden war. Auch nach dem Ende der Konterrevolution in den 60er Jahren dieses Jahrhunderts war die klassische Freimaurerei nur ein Aspekt in einem ganzen Apparat religiöser, esoterischer und rassistischer Sekten und Ideologien, die vom Staat gegen das Proletariat entwickelt wurden. Heute, im Schatten des kapitalistischen Zerfalls, bilden solche antimarxistischen Sekten und Ideologien, indem sie dem Materialismus und der Auffassung vom historischen Fortschritt den Krieg erklären und mit einem erheblichen Einfluß in den Industrieländern ausgestattet sind, eine zusätzliche Waffe der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse.
Schon die Erste Internationale war das Ziel wütender Angriffe durch den Okkultismus. Die Anhänger der Carbonaris, des katholischen Mystizismus und der Mazzinisten waren erklärte Gegner der Internationalen. In New York versuchten die okkultistischen Anhänger von Virginia Woodhull, Feminismus, „freie Liebe" und „parapsychologische Experimente" in die amerikanische Sektion der Internationalen einzuführen. In Großbritannien und Frankreich organisierten linke Freimaurerlogen, unterstützt von bonapartistischen Agenten, eine Reihe von Provokationen, die darauf abzielten, die Internationale zu diskreditieren und die Verhaftung ihrer Mitglieder zu rechtfertigen, was den Generalrat dazu zwang, Pyat und seine Anhänger auszuschließen und öffentlich zu denunzieren. Am gefährlichsten von allen war Bakunins Allianz, eine Geheimorganisation innerhalb der Internationalen, die mit ihren verschiedenen Graden der „Einweihung" der Mitglieder in ihre „Geheimnisse" und ihre Manipulationsmethoden (Bakunins „revolutionärer Katechismus") exakt das Vorbild der Freimaurerei kopierte (mehr über den Kampf gegen den Bakunismus in der Ersten Internationalen siehe Internationale Revue Nr. 17 und 18).
Marx' und Engels' enormer persönlicher Einsatz bei der Begegnung dieser Angriffe, bei der Entlarvung von Pyat und seiner bonapartistischen Helfer, bei der Bekämpfung von Mazzini, beim Ausschluß der amerikanischen Sektion Woodhulls und vor allem bei der Enthüllung des Komplotts der Allianz Bakunins gegen die Internationale ist allgemein bekannt. Ihre völlige Klarheit über die okkultistische Bedrohung wird von der Resolution über die Notwendigkeit, die Geheimgesellschaften zu bekämpfen, dokumentiert, die von Marx selbst vorgeschlagen und vom Generalrat angenommen wurde.
Auf der Londoner Konferenz der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) im September 1871 bestand Marx darauf, daß „dieser Organisationstyp im Widerspruch zu der Entwicklung der proletarischen Bewegung (steht), weil diese Gesellschaften, statt die Arbeiter zu erziehen, sie autoritären und mystischen Gesetzen unterwerfen, die ihre Selbständigkeit behindern und ihr Bewußtsein in eine falsche Richtung lenken." (Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 17, S. 655)
Die Bourgeoisie versuchte auch, das Proletariat durch Zeitungsmeldungen zu diskreditieren, daß sowohl die Internationale als auch die Pariser Kommune von einer geheimen, freimaurerähnlichen Führung „organisiert" sei. In einem Interview mit der Zeitung The New York World, die andeutete, daß die Arbeiter die Instrumente einer „Konklave" von „kühnen Verschwörern" innerhalb der Pariser Kommune gewesen seien, erklärte Marx: „Mein lieber Herr, es gibt gar kein Geheimnis zu lüften (...), es sei denn das Geheimnis der menschlichen Dummheit bei jenen, die beharrlich die Tatsache ignorieren, daß unsere Assoziation in der Öffentlichkeit wirkt und daß ausführliche Berichte über ihre Tätigkeit veröffentlicht werden für alle, die sie lesen wollen." Die Pariser Kommune könnte, nach der Logik von The World, „genauso eine Verschwörung der Freimaurer gewesen sein, denn ihr individueller Anteil war keineswegs gering. Ich wäre wirklich nicht erstaunt, wenn der Papst ihnen den ganzen Aufstand in die Schuhe schieben würde. Doch versuchen wir, eine andere Erklärung zu finden. Der Aufstand in Paris ist von den Pariser Arbeitern gemacht worden." (MEW, Bd. 17, S. 639)
Nach der Niederlage der Pariser Kommune und dem Tod der Internationalen unterstützten Marx und Engels den Kampf darum, Arbeiterorganisationen in Ländern wie Italien, Spanien oder den USA (z.B. die Knights of Labour) aus den Klauen der Freimaurer zu befreien. Die 1889 gegründete Zweite Internationale war zunächst weniger verwundbar durch okkultistische Infiltration als ihre Vorgängerin, da sie die Anarchisten ausschloß. Der Spielraum des Programms der Ersten Internationalen „hatte deklassierten Elemente erlaubt, sich einzuschleichen und im Herzen geheime Organisationen zu etablieren, deren Anstrengungen sich nicht gegen die Bourgeoisie und die Regierung, sondern gegen die Internationale selbst richteten „ (Bericht auf dem Haager Kongreß über die Allianz, 1872).
Da die Zweite Internationale auf dieser Ebene weniger offen war, begann der esoterische Angriff nicht mit der organisatorischen Infiltration, sondern mit einer ideologischen Attacke gegen den Marxismus. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts rühmten sich die deutsche und österreichische Freimaurerei ihrer Erfolge bei der Befreiung der Universitäten und der Wissenschaftskreise von der „Plage des Materialismus". Zusammen mit der Entwicklung reformistischer Illusionen und des Opportunismus in der Arbeiterbewegung zur Jahrhundertwende waren es diese zentraleuropäischen Wissenschaftler, die den Bernsteinianismus dazu veranlaßten, die „Entdeckung" der „Überwindung des Marxismus" durch den Idealismus und neokantianischen Agnostizismus zu übernehmen. Im Zusammenhang mit der Niederlage der revolutionären proletarischen Bewegung in Rußland nach 1905 drang die Krankheit der „Gottesschöpfung" selbst in die Reihen des Bolschewismus ein, wo sie jedoch schnell niedergerungen wurde. Innerhalb der Internationalen in ihrer Gesamtheit gelang der marxistischen Linken eine heldenhafte und brillante Verteidigung des wissenschaftlichen Sozialismus, ohne jedoch in der Lage zu sein, das Fortschreiten des Idealismus aufzuhalten, so daß nun die Freimaurerei begann, Anhänger innerhalb der Arbeiterparteien für sich zu gewinnen. Jaurès, der berühmte französische Arbeiterführer, verteidigte offen die Ideologie der Freimaurerei gegen das, was er „verarmte ökonomische und materialistische Interpretation des menschlichen Denkvermögens" eines Franz Mehring nannte. Gleichzeitig eröffnete die Entwicklung des Anarchosyndikalismus als Reaktion auf den Reformismus ein neues Feld für die Verbreitung reaktionärer, oft mystischer Ideen auf der Grundlage von Philosophen wie Bergson, Nietzsche (der sich selbst als „Philosoph der Esoterik" beschrieb) oder Sorel. Dies beeinflußte umgekehrt halb-anarchistische Elemente innerhalb der Internationalen wie Hervé in Frankreich oder Mussolini in Italien, die mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu den rechtsextremen bürgerlichen Organisationen überliefen. Die Marxisten, die vergeblich versuchten, den Kampf gegen die Freimaurerei in der französischen Partei zu erzwingen oder Parteimitgliedern in Deutschland zu verbieten, eine „zweite Loyalität" gegenüber anderen Organisationen auszuüben, waren in der Periode vor 1914 nicht stark genug, um organisatorische Maßnahmen zu erwirken, wie dies Marx und Engels getan hatten.
Entschlossen, die organisatorischen Schwächen der Zweiten Internationalen zu überwinden, die ihren Zusammenbruch 1914 erleichtert hatten, kämpfte die Komintern für die vollständige Eliminierung „esoterischer" Elemente aus ihren Reihen. 1922 bekräftigte der 4. Kongreß der Kommunistischen Internationalen erneut in seiner „Resolution über die französische Frage" die Klassenprinzipien mit folgenden Worten, die eine Antwort auf die Infiltration der französischen Kommunistischen Partei durch Elemente darstellten, die der Freimaurerei angehörten und die Partei seit ihrer Gründung auf dem Kongreß von Tours infiziert hatten:
„Die Unvereinbarkeit zwischen Freimaurerei und Sozialismus war in den meisten Parteien der Zweiten Internationalen offensichtlich und klar (...) Wenn der 2. Kongress der Kommunistsichen Internationalen in seinen Aufnahmebedingungen keinen speziellen Punkt über die Unvereinbarkeit von Sozialismus und Freimaurerei formulierte, dann nur deshalb, weil dieses Prinzip vom Kongress einstimmig in einer separaten Resolution angenommen wurde.
Die auf dem 4. Kongress der Kommunistischen Internationalen unerwartet aufgedeckte Tatsache, dass eine beträchtliche Zahl französischer Kommunisten Freimaurerlogen angehörten, war in den Augen der Kommunistischen Internationalen der klarste und zugleich schmerzhafteste Beweis, dass die französische Partei nicht nur das psychologische Erbgut der Epoche des Reformismus, Parlamentarismus und Patriotismus bewahrt hatte, sondern auch Verbindungen, welche einen konkreten Charakter hatten und für die Führungsrolle der Partei durch ihre geheimen, politischen und karrieristischen Organisationen der radikalen Bourgeoisie eine Gefahr darstellten. Die Internationale betrachtete es als unumgänglich, all diesen kompromisslerischen und demoralisierenden Verbindungen zwischen der Führung der Kommunistischen Partei und den politischen Organisationen der Bourgeoisie nun ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Die Ehre des Proletariates in Frankreich forderte die Säuberung all seiner Organisationen von Elementen, welche zu beiden Lagern im Klassenkampf gehören wollten.
Der Kongress forderte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Frankreichs auf, bis zum 1. Januar 1923 alle Verbindungen der Partei, sei es in Form von Einzelpersonen oder Gruppen, zur Freimaurerei aufzulösen. Diejenigen, welche nicht vor dem 1. Januar ihrer Organisation und auch öffentlich durch die Parteipresse ihren vollständigen Bruch mit der Freimaurerei erklärt hätten, würden automatisch ausgeschlossen, ohne das Recht je wieder aufgenommen zu werden. Jeder der seine Mitgliedschaft in Freimaurergruppen verstecke, werde als Agent des Feindes betrachtet, der die Partei unterwandert hat, und vor dem Proletariat in Schmach gestellt."
Ähnliches konnte auch der KPD-Delegierte auf dem 3. Kongreß der italienischen KP, der zu den Thesen über die kommunistische Taktik referierte die von Bordiga und Terracini eingereicht worden waren, berichten: „Die offenkundige Unvereinbarkeit, gleichzeitig der kommunisitischen Partei und einer anderen Partei anzugehören, erstreckt sich außer auf die politischen Parteien auch auf jene Bewegungen, die trotz ihres politischen Charakters, nicht die Bezeichnung und die Organisation einer Partei haben, und auf alle Vereinigungen, die der Aufnahme ihrer Mitglieder politische Leitsätze zugrunde legen; unter diesen vor allem das Freimaurertum." („Die italienischen Thesen" von Paul Böttcher in Die Internationale, 1922, Hervorhebung im Original).
Der Eintritt des Kapitalismus in seine dekadente Phase seit dem I. Weltkrieg hat zu einer gigantischen Entwicklung des Staatskapitalismus geführt, insbesondere des Militär- und Repressionsapparates (Spionage, Geheimpolizei, etc.). Hieß dies, daß die Bourgeoisie das Verschwinden ihrer „traditionellen" Geheimgesellschaften nun für angebracht hielt? Dies ist nur teilweise der Fall. Wo der dekadente staatskapitalistische Totalitarismus, wie in Hitlers Deutschland, Mussolinis Italien oder Stalins Rußland, eine brutale und unverhüllte Form angenommen hatte, waren freimaurerische oder andere „Logen" oder Geheimgruppen stets verboten.
Doch auch diese brutal offene Form des Staatskapitalismus kam nicht vollständig aus ohne einen heimlichen oder illegalen, offiziell nicht existierenden Apparat. Staatskapitalistischer Totalitarismus beinhaltet die diktatorische Kontrolle des bürgerlichen Staates nicht nur über die gesamte Ökonomie, sondern auch über jeden Lebensbereich. So war in den stalinistischen Regimes die „Mafia" ein unerläßlicher Teil des Staates, da sie den einzigen Teil des Verteilungsapparates kontrollierte, der wirklich funktionierte, der offiziell jedoch für nicht existent gehalten wurde: der Schwarzmarkt. Auch in westlichen Ländern ist die organisierte Kriminalität ein nicht minder unerläßlicher Teil des staatskapitalistischen Regimes.
Aber in der sogenannten „demokratischen" Form des Staatskapitalismus weitet sich der inoffizielle genauso wie der offizielle Repressions- und Infiltrationsapparat gewaltig aus. Hinter dem absoluten Schwindel der Demokratie setzt der Staat auf einer nicht weniger totalitären Weise als unter den Nazis oder den Stalinisten seine Politik gegenüber den Mitgliedern seiner eigenen Klasse durch und bekämpft die Organisationen seiner imperialistischen Rivalen sowie seines proletarischen Klassenfeindes. Seine offizielle politische Polizei und sein Spionageapparat sind genauso allgegenwärtig wie in anderen Staaten. Da jedoch die Ideologie der Demokratie diesem Apparat nicht erlaubt, so offen wie die Gestapo oder die GPU in Rußland zu agieren, belebte die westliche Bourgeoisie ihre alten Traditionen der Freimaurerei und der „Politmafia" wieder, aber diesmal unter direkter Staatskontrolle. Was die westliche Bourgeoisie legal und offen nicht tun konnte, das tat sie illegal und im geheimen.
So kehrte mit der Invasion der US-Armee in Mussolinis Italien nicht nur die Mafia zurück.
„Im Gefolge der nach Norden vorstoßenden motorisierten amerikanischen Verbände schossen auf der Apenninenhalbinsel Freimaurerlogen wie Pilze nach dem Regen aus der Erde. Das war nicht nur eine Auswirkung davon, daß die Logen unter Mussolini verboten waren und ihre Mitglieder verfolgt wurden. Ihren Anteil an dieser Entwicklung hatten die mächtigen Freimaurervereinigungen der USA, die ihre italienischen Brüder sofort unter ihre Fittiche nahmen."
Hier befindet sich der Ursprung einer der berühmtesten unter den vielen illegalen Organisationen des westlichen, amerikanisch geführten imperialistischen Blocks, die „P2-Loge" in Italien. Diese inoffiziellen Strukturen koordinierten den Kampf der verschiedenen nationalen Bourgeoisien des amerikanischen Blocks gegen den Einfluß des rivalisierenden sowjetischen Blocks. Die Mitglieder solcher Logen umfaßten auch Führer des „linken Flügels" des kapitalistischen Staates: stalinistische und linksextreme Parteien, Gewerkschaften.
Durch eine Reihe von Skandalen und Enthüllungen (die in einem Zusammenhang stehen mit der Auflösung des westlichen Blocks nach 1989) wissen wir eine ganze Menge über das Treiben solcher Gruppen gegen den imperialistischen Feind. Aber um so mehr wird die Tatsache von der Bourgeoisie unter Verschluß gehalten, daß in der Dekadenz die alten Traditionen der Infiltration von Arbeiterorganisationen durch Freimaurer ebenfalls Teil des Repertoires des demokratisch-totalitären Staates geworden sind. Dies war der Fall, wann immer das Proletariat die Bourgeoisie ernsthaft bedrohte: vor allem während der revolutionären Welle 1917–23, aber auch seit 1968, mit dem Wiedererwachen der Arbeiterkämpfe.
Im Namen der Internationalen entlarvte Trotzki die Existenz von Verbindungen zwischen „Freimaurerei und den Parteiinstitutionen, der Publikationskommission der Zeitung, dem Zentralkomitee, dem Förderativkomitee" in Frankreich. „Die Liga für Menschenrechte und die Freimaurerei sind Kampfmaschinen der Bourgeoisie, die das Bewußtsein der Repräsentanten des französischen Proletariats ablenken. Wir erklären diesen Methoden den gnadenlosen Krieg, da sie eine geheime und heimtückische Waffe des bürgerlichen Arsenals bilden (...) Wir müssen die Partei von diesen Elementen befreien." (La Voix de L'Internationale: „Le Mouvement Communiste en France; Übersetzung aus dem Französischen)
Wie Lenin hervorhob, wurde die proletarische Revolution in Westeuropa Ende des I. Weltkrieges mit einer weitaus mächtigeren und intelligenteren Bourgeoisie als in Rußland konfrontiert. Wie in Rußland spielte die westliche Bourgeoisie angesichts der Revolution sofort die demokratische Karte, indem sie linksbürgerliche, ehemalige Arbeiterparteien an die Macht brachte, Wahlen und Pläne für eine „industrielle Demokratie" und für die „Integration" der Arbeiterräte in Verfassung und Staat ankündigte.
Aber anders als in Rußland nach dem Februar 1917 begann die westliche Bourgeoisie unmittelbar, einen gigantischen, illegalen konterrevolutionären Apparat aufzubauen.
Zu diesem Zweck machte sie Gebrauch von der politischen und organisatorischen Erfahrung der Freimaurerlogen und rechter völkischer Orden, die sich vor dem Weltkrieg darauf spezialisiert hatten, die sozialistische Bewegung zu bekämpfen, und die ihre Integration in den Staat vervollständigt hatten. Zwei solcher Vorkriegsorganisationen waren der „Germanische Orden" und die „Hammerliga", die 1912 als Antwort auf den näherrückenden Krieg und auf den Wahlsieg der Sozialistischen Partei gegründet wurden und in ihrem Papier „Die Organisierung der Konterrevolution" als ihr Ziel erklärten: „Die heilige Blutrache soll die revolutionären Führer schon zu Beginn des Aufstandes liquidieren und ohne Zögern den Kampf gegen die kriminellen Massen mit ihren eigenen Waffen aufnehmen."
Victor Serge weist auf die Geheimdienste der Action Francaise und der Cahiers de l'Antifrance hin, die die vordersten Reihen der Bewegung in Frankreich bereits während des Krieges ausspionierten; auf die Spionage und die Provokateursdienste der faschistischen Partei in Italien; auf die privaten Detektivagenturen in den USA, welche „die Kapitalisten mit diskreten Spitzeln, Provokationsexperten, Scharfschützen, Wachschutz, Aufsehern und auch mit total korrupten Gewerkschaftsaktivisten versorgten" und „schätzungsweise 135.000 Menschen beschäftigten". „In Deutschland haben sich seit der offiziellen Entwaffnung des Landes die wesentlichen Kräfte der Reaktion in äußerst geheimen Organisationen konzentriert. Die Reaktion hat begriffen, daß selbst in vom Staat unterstützten Parteien die Klandestinität ein wertvoller Aktivposten ist. All diese Organisationen übernahmen natürlich die Funktionen einer faktischen Geheimpolizei gegen das Proletariat." (Übersetzung aus dem Englischen).
Um den Mythos der Demokratie zu bewahren, waren die konterrevolutionären Organisationen in Deutschland und anderen Ländern offiziell kein Teil des Staates, sondern privat finanziert, oft für illegal erklärt, und sie stellten sich selbst als Feinde der Demokratie dar. Mit ihren Attentaten gegen „demokratische" bürgerliche Führer wie Rathenau und Erzberger und ihren rechten Putschversuchen (dem Kapp-Putsch 1920, dem Hitler-Putsch 1923) spielten sie eine wichtige Rolle dabei, das Proletariat auf das Terrain der Verteidigung der konterrevolutionären Weimarer „Demokratie" zu locken.
Am Beispiel Deutschlands, dem Hauptzentrum der revolutionären Welle 1917–23 außer Rußland, können wir am besten das riesige Ausmaß der konterrevolutionären Aktionen einer Bourgeoisie begreifen, die sich in ihrer Herrschaft bedroht fühlt. Ein gigantisches Netz zur Verteidigung des bürgerlichen Staates wurde errichtet. Dieses Netz gebrauchte Provokationen, Infiltrationen und politischen Mord, um die konterrevolutionäre Politik der SPD und der Gewerkschaften genauso wie die Reichswehr und die privat finanzierten inoffiziellen „Weißen Garden" der Freikorps zu ergänzen. Noch berühmter ist freilich die NSDAP, die 1919 in München gegen die Revolution als „Deutsche Arbeiterpartei" gegründet wurde. Hitler, Göring, Röhm und andere Nazis begannen ihre politische Karriere als Informanten und Agenten gegen die bayrischen Arbeiterräte.
Diese illegalen Koordinationszentren der Konterrevolution waren in Wahrheit Teil des Staates. Wann immer ihre Attentatsspezialisten, wie die Mörder von Liebknecht, Luxemburg und Hunderten anderer kommunistischer Führer, vor Gericht gestellt wurden, wurden sie für nicht schuldig befunden, erhielten Bewährungsstrafen, oder es wurde ihnen die Flucht ermöglicht. Wann immer ihre geheimen Waffenlager von der Polizei entdeckt wurden, intervenierte die Armee, um die Waffen zurückzufordern, die ihr angeblich gestohlen wurden.
In den Nachwehen des Kapp-Putsches war die Organisation Escherich („Orgesch") die größte und gefährlichste antiproletarische illegale Organisation, deren erklärtes Ziel die „Liqiudierung des Bolschewismus" war. Sie „verfügte fast über eine Million bewaffneter Mitglieder, welche unzählige Waffenverstecke hatten und mit geheimpolizeilichen Methoden arbeitete. Orgesch verfügte zudem über ein Netz von Spionen." Der „Teno", angeblich ein technischer Hilfsdienst im Falle öffentlicher Katastrophen, war in Wahrheit eine bewaffnete Truppe, 170.000 Mann stark, hauptsächlich als Streikbrecher benutzt. Die Anti-Bolschewistische Liga, von Industriellen am 1. Dezember 1918 gegründet, richtete ihre Propaganda hauptsächlich an Arbeiter. „Sie verfolgte aufmerksam die Aktivitäten der KPD und versuchte sie mit ihren Informanten zu unterwandern. Dazu unterhielt sie unter dem Deckmantel einer „4. Abteilung" ein Netz von Spionen und hatte Verbindungen zur politischen Polizei und der Armeeführung".
In München stellte die Thule-Gesellschaft, in der Vorkriegszeit mit dem oben erwähnten Germanischen Orden verbunden, die Weiße Armee der bayrischen Bourgeoisie, das Freikorps Oberland, und koordinierte den Kampf gegen die Räterepublik von 1919, einschließlich die Ermordung des USPD-Führers Eisner, um eine vorzeitige Erhebung zu provozieren. „Ihre 2. Abteilung war ein Geheimdienst, welcher eine ausgedehnte Infiltrations-, Spionage- und Sabotagearbeit verrichtete. Laut Schottendorff verfügte jedes Mitglied dieses Verbandes schnell und unter anderem Namen über einen Mitgliederausweis des Spartakusbundes. Diese Informanten sassen auch in den Komitees der Räteregierung und der Roten Armee und rapportierten der Zentrale der Thule-Gesellschaft über die Pläne des Feindes."
Die Hauptwaffe der Bourgeoisie gegen die proletarische Revolution ist nicht Repression und Subversion, sondern die Präsenz der Ideologie und des organisatorischen Einflusses der „linken" Organe der Bourgeoisie in den Reihen des Proletariats. Dies war im wesentlichen der Job der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften. Aber die Bedeutung der Hilfe, die die Infiltration und Provokation zu den Bemühungen der Linken des Kapitals gegen den Arbeiterkampf beitragen kann, wird am Beispiel des „Nationalbolschewismus" während der deutschen Revolution unterstrichen. Unter dem Einfluß eines scheinbaren Antikapitalismus, extremen Nationalismus, Antisemitismus und „Anti-Liberalismus" der illegalen Geheimorganisationen der Bourgeoisie, mit denen sie Geheimtreffen abhielt, entwickelte die sogenannte Hamburger „Linke" um Laufenberg und Wolffheim eine konterrevolutionäre Vision des „Linkskommunismus", die 1919 entscheidend zur Spaltung der jungen KPD und zur Diskreditierung der KAPD in den 20er Jahren beitrug.
Bereits 1919 begann die parteiinterne Aufdeckung der bürgerlichen Infiltration der Hamburger Sektion der KPD, einschließlich der 20 Polizeiagenten, die in direkter Verbindung mit der GKSD standen, einem konterrevolutionären Regiment in Berlin. „Sie versuchten wiederholt, die Arbeiter in Hamburg zu bewaffneten Angriffen gegen die Gefängnisse oder anderen abenteurerischen Aktionen zu verführen."
Der Organisator dieser Wühlarbeit gegen die Kommunisten in Hamburg, Von Killinger, war ein Führer der „Organisation Consul", einer geheimen Terror- und Mordorganisation, finanziert von den Junkern und darauf abgerichtet, den Kampf all der anderen rechten Gruppen gegen den Kommunismus zu infiltrieren und zu vereinen.
Im ersten Teil dieses Artikels sahen wir, wie die Kommunistische Internationale die Lehren aus dem Zusammenbruch der 2. Internationalen auf der organisatorischen Ebene zog, indem sie einen weitaus rigoroseren Kampf gegen die Freimaurerei und Geheimgesellschaften führte. Wie wir gesehen haben, hat der Zweite Weltkongreß 1920 einen Antrag der italienischen Partei gegen die Freimaurerei angenommen, der offiziell zwar nicht Teil der „21 Mitgliedsbedingungen" der Komintern, inoffiziell jedoch als „22. Bedingung" bekannt war.
Tatsächlich verpflichteten die berühmten 21 Bedingungen vom August 1920 alle Sektionen der Internationalen dazu, klandestine Strukturen zu organisieren, die Organisation gegen Infiltration zu schützen, die Aktivitäten des illegalen konterrevolutionären Apparates der Bourgeoisie zu untersuchen und die international zentralisierte Arbeit gegen die kapitalistische Repression zu unterstützen.
Der Dritte Weltkongreß im Juni 1921 nahm Prinzipien an, die einen besseren Schutz der Internationalen vor Spionen und Agents provocateurs und eine systematische Beobachtung der Aktivitäten der offiziellen und geheimen antiproletarischen Polizei und des paramilitärischen Apparates, der Freimaurer, etc. zum Ziel hatten. Ein spezielles Komitee, das OMS, wurde gebildet, um diese Aktivitäten international zu koordinieren.
Die KPD zum Beispiel veröffentlichte regelmäßig Listen mit Provokateuren und Polizeispionen, die sie aus ihren Reihen ausgeschlossen hatte, vervollständigt mit ihren Photos und einer Beschreibung ihrer Methoden. „Zwischen August 1921 und August 1922 deckte die Informationsabteilung 124 Informanten, Aufwiegler und Betrüger auf. Sie waren von der Geheimpolizei und rechten Organisationen in die KPD geschickt worden oder hatten versucht die KPD zu ihren eigenen Nutzen finanziell zu betrügen"
Flugblätter wurden zu dieser Frage bereitet. Die KPD fand sogar heraus, wer Liebknecht und Luxemburg ermordet hatte, und veröffentlichte die Photos der Täter, wobei sie um die Hilfe der Bevölkerung bat, um sie zur Strecke zu bringen. Eine spezielle Organisation wurde etabliert, um die Partei gegen die Geheimgesellschaften und paramilitärischen Organisationen der Bourgeoisie zu schützen. Diese Arbeit schloß spektakuläre Aktionen mit ein. So suchten 1921 als Polizisten verkleidete KPD-Mitglieder die Räumlichkeiten eines russischen weißgardistischen Offiziers in Berlin auf und konfiszierten Papiere von ihm. Es wurden verdeckte Aktionen gegen Geheimoffiziere der kriminellen „Organisation Consul" unternommen. Vor allem versorgte die Komintern alle Arbeiterorganisationen regelmäßig mit konkreten Warnungen und Informationen über die Versuche des okkulten Armes der Bourgeoisie, sie zu zerstören.
Nach der Niederlage der kommunistischen Revolution 1923 wurden die Elemente des geheimen antiproletarischen Netzes der Bourgeoisie entweder aufgelöst oder mit anderen Aufgaben durch den Staat betraut. In Deutschland wurden viele dieser Elemente später in die Nazibewegung integriert.
Als jedoch die massiven Arbeiterkämpfe im Frankreich von 1968 der Konterrevolution ein Ende bereiteten und eine Periode zunehmenden Klassenkampfes eröffneten, begann die Bourgeoisie, ihren verborgenen antiproletarischen Apparat wiederzubeleben. Im Mai 1968 in Frankreich begrüßte der freimaurerische Grand Orient begeistert die „grossartige Bewegung der Studenten und Arbeiter" und sandte Nahrungsmittel und Medikamente an die besetzte Sorbonne.
Diese „Begrüßung" war ein bloßes Lippenbekenntnis. Bereits unmittelbar nach 1968 benutzte die Bourgeoisie in Frankreich ihre „Neu-Templer"-, „Rosenkreuzer-" und „Martins"-Orden, um linke und andere Gruppen in Zusammenarbeit mit den SAC-Diensten zu infiltrieren. Zum Beispiel begann Luc Jeuret, der Guru der „Sonnentempler", seine Karriere mit der Infiltration maoistischer Gruppen (L'Ordre du Temple Solaire, S.145f.).
In der Tat sah man in den folgenden Jahren Organisationen eines Typs erscheinen, der in den 20ern schon einmal gegen die proletarische Revolution benutzt worden war. Unter den Rechtsextremen hat die Front Européen de Libération die „nationalbolschewistische" Tradition wiederbelebt. In Deutschland hat sich die Sozialrevolutionäre Arbeiterfront, die dem Motto folgt: „Die Grenze verläuft nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen oben und unten", darauf spezialisiert, verschiedene „linke" Bewegungen zu infiltrieren. Die Thule-Gesellschaft wurde ebenfalls als konterrevolutionäre Geheimgesellschaft wiedergegründet.
Zu den modernen privaten politischen Geheimdiensten der Rechten gehört die World Anti-Communist League, genauso wie die National Caucus of Labour und die Europäische Arbeiterpartei, dessen Führer la Rouche von einem Mitglied des US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsrates als jemand beschrieben wurde, der im Besitz „der besten Geheimpolizei der Welt sei".
Die linksextremen Versionen solcher konterrevolutionärer Organisationen sind nicht weniger aktiv. In Frankreich haben sich zum Beispiel neue Sekten in der Tradition des „Martinismus" etabliert, eine Variante der Freimaurerei, die sich historisch auf die Infiltration und Subversion von Arbeiterorganisationen spezialisiert hat. Solche Gruppen verfechten die Idee, daß der Kommunismus am besten durch die Manipulationen einer aufgeklärten Minderheit erreicht werden könne. Wie andere Sekten haben sie sich auf die Kunst der Manipulation von Menschen spezialisiert.
Allgemeiner gesagt, ist die Entwicklung von okkulten Sekten und esoterischen Gruppierungen in den vergangenen Jahren nicht nur ein Ausdruck der kleinbürgerlichen Hoffnungslosigkeit und Hysterie gegenüber der historischen Situation, sie werden vom Staat auch ermutigt und organisiert. Die Rolle dieser Sekten in interimperialistischen Rivalitäten ist bekannt (z.B. der Gebrauch von Scientology durch die US-Bourgeoisie gegen Deutschland). Aber diese ganze „esoterische" Bewegung ist, insbesondere nach 1989 mit dem angeblichen „Tod des Kommunismus", gleichermaßen auch Teil des bürgerlichen ideologischen Angriffs gegen den Marxismus. Historisch war es das Angesicht einer aufstrebenden sozialistischen Bewegung, das die europäische Bourgeoisie dazu veranlaßte, sich mit der mystischen Ideologie der Freimaurerei zu identifizieren, besonders nach den 1848er Revolutionen. Heute ist der zügellose Haß der Esoterik gegen Materialismus und Marxismus genauso wie gegen die proletarischen Massen, die als „materialistisch" und „dumm" angesehen werden, nichts anderes als der konzentrierte Haß der Bourgeoisie und von Teilen des Kleinbürgertums gegen das unbesiegte Proletariat. Selbst unfähig, irgendeine historische Alternative anzubieten, stellt sich die Bourgeoisie dem Marxismus mit der Lüge entgegen, daß der Stalinismus kommunistisch gewesen sei, aber auch mit der mystischen Vision, wonach die Welt nur „gerettet" werden könne, wenn Bewußtsein und Rationalität durch das Ritual, die Intuition und durch Hokuspokus ersetzt würden.
Angesichts des heutigen Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft ist es die Aufgabe der Revolutionäre, die Lehren aus den Erfahrungen der Arbeiterklasse gegen das zu ziehen, was Lenin „den Mystizismus, die Kloake konterrevolutionärer Methoden" nannte. Und es ist unsere Aufgabe, uns die Wachsamkeit der vergangenen Arbeiterbewegung gegenüber den Manipulationen und der Infiltration des okkulten Apparates der Bourgeoisie wieder anzueignen. Sie sollen „die beschämendste Schmach erhalten indem man sie an die Öffentlichkeit zerrt" ,wie Marx es ausdrückte als er diese Art bürgerlicher Ideologie blosstellte. Gleich wie die Religion, von Marx im letzten Jahrhundert als „Opium für das Volk" bezeichnet, sind die ideologischen Themen der modernen Freimaurerei ein Gift in der Hand des bürgerlichen Staates um das Bewusstsein in der Arbeiterklasse zu zerstören.
Die Tatsache, dass die Arbeiterbewegung in der Vergangenheit einen permanenten Kampf gegen den Okkultismus geführt hat, ist heute wenig bekannt. In Wirklichkeit waren die Ideologie und die geheimen Infiltrationsmethoden der Freimaurerei die Speerspitze der Versuche der Bourgeoisie, die kommunistischen Organisationen von innen zu bekämpfen. Wenn die IKS wie viele andere revolutionäre Organisationen in der Vergangenheit das Eindringen dieser Ideologien erfahren hat, so ist es unsere Pflicht und unsere Verantwortung dem gesamten revolutionären Milieu unsere Erfahrungen zur Verteidigung des Marxismus weiterzugeben. Zur Wiederaneignung der Wachsamkeit aufzurufen, mit welcher die Arbeiterbewegung in der Vergangenheit dieser Politik der Unterwanderung und Manipulation durch den okkulten Apparat der Bourgeoisie bekämpft hat.
Kr.
Links
[1] https://de.internationalism.org/en/tag/aktuelles-und-laufendes/arbeiterkampf
[2] https://de.internationalism.org/en/tag/geschichte-der-arbeiterbewegung/1917-russische-revolution
[3] https://de.internationalism.org/en/tag/entwicklung-des-proletarischen-bewusstseins-und-der-organisation/erste-internationale
[4] https://de.internationalism.org/content/1465/deutsche-revolution-teil-iii
[5] https://de.internationalism.org/en/tag/1/223/deutsche-revolution
[6] https://de.internationalism.org/en/tag/geschichte-der-arbeiterbewegung/1919-deutsche-revolution
[7] https://de.internationalism.org/imp/19#_edn1
[8] https://de.internationalism.org/imp/19#_edn2
[9] https://de.internationalism.org/imp/19#_ednref1
[10] https://de.internationalism.org/imp/19#_ednref2
[11] https://de.internationalism.org/en/tag/3/43/imperialismus
[12] https://de.internationalism.org/en/tag/6/1246/freimaurerei
[13] https://de.internationalism.org/en/tag/6/1248/dritte-internationale
[14] https://de.internationalism.org/en/tag/2/39/die-revolution-re-organisation