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Weltrevolution Nr. 116

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Debatte in Berlin:Die Aufarbeitung der Russischen Revolution ist eine Vorbedingung für die zukünftige Revolution

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Anlässlich des 85. Jahrestages der Oktoberrevolution von 1917 in Russland organisierten die Gruppen GIS (Gruppe Internationaler Sozialisten) und “Aufbrechen” ein öffentliches “Diskussionsseminar” zum selben Thema in Berlin. Die sehr lebhafte Veranstaltung, an der sich ca. 30 Leute aus allen Teilen Deutschlands beteiligten, erstreckte sich über einen ganzen Tag bis in den Abend hinein. Für die Veranstalter selbst ist die Wichtigkeit der Klärung der Klassennatur der Oktoberrevolution sowie die Einschätzung des Degenerationsprozesses und der Niederlage der Revolution naheliegend. Die GIS entstammt dem linkskapitalistischen Milieu des Trotzkismus, hat sozusagen mit der politischen Muttermilch die Idee des “degenerierten Arbeiterstaates” in der Sowjetunion, welche im 2. Weltkrieg angebliche Errungenschaften der Oktoberrevolution verteidigt haben soll, aufgenommen. Aufbrechen ist aus den Kreisen der antifaschistischen und “anti-imperialistischen” Autonomen bzw. dem Maoismus hervorgegangen, musste daher mit der stalinistischen Pervertierung und Verfälschung der Lehren des roten Oktobers abrechnen. Beide Gruppen haben sich in der Zwischenzeit gegenüber der Ideologie insbesondere der “nationalen Befreiungsbewegungen” und des “Antifaschismus” den internationalistischen Positionen der Kommunistischen Linken angenähert. Doch dass diese Arbeit der theoretischen Klärung und der Bruch mit der Bourgeoisie keineswegs abgeschlossen ist, zeigt nicht zuletzt die Frage der Russischen Revolution. Während die GIS bis jetzt noch keine tiefergehende Kritik an der trotzkistischen Auffassung hierzu veröffentlicht hat, vertrat Aufbrechen bislang die rätekommunistische Auffassung vom Oktober als eine bürgerliche Revolution – ohne sich aber, wie wir meinen, vertieft mit dieser Frage befasst zu haben.

Die Bedeutung der Oktoberrevolution für die Revolutionäre heute

Darüber hinaus ist die Einschätzung der Russischen Revolution gerade heute für alle Revolutionäre von besonderer Bedeutung. Die bürgerliche Gleichsetzung der inzwischen zusammengebrochenen stalinistischen Regime Osteuropas mit der Oktoberrevolution, und somit mit dem Marxismus, mit dem Kommunismus, mit der Theorie des Klassenkampfes führte seit 1989 zu starken Einbußen an Selbstvertrauen, Klas-senidentität und an Kampfeskraft der großen Masse der Arbeiterklasse. Bisher haben sich nur kleine, politisierte Minderheiten der Arbeiterklasse von diesem Rückschlag befreien können, indem sie diese Gleichsetzung hinterfragt haben. Das Verständnis der Oktoberrevolution ist somit von zentraler Bedeutung für die Wiederanknüpfung der neuen revolutionären Kräfte an die Traditionen und programmatischen Positionen unserer Klasse. In der Zukunft wird diese Frage eine sehr wichtige Rolle bei der historischen Wiedererstarkung des Klassenkampfes und der Wiederaneignung einer kommunistischen Perspektive durch das gesamte Proletariat spielen. Somit war es nur folgerichtig, dass neben den beiden Veranstaltern auch die “Unabhängigen Rätekommunisten”, sowie die IKS Referate zu verschiedenen Aspekten dieser Frage hielten. Darüber hinaus nahmen eine Reihe anderer Beteiligter aktiv an der Diskussion teil. Dazu gehörten Teilnehmer von Diskussionskreisen aus Frankfurt a.M. und aus Bielefeld, der Herausgeber einer Broschürenreihe mit bordigistischer Ausrichtung (“Für internationale Arbeitermacht”), sowie Sympathisanten der IKS.

Die Thesen des Rätekommunismus und die Gefahr der Abkehr vom Marxismus

Das erste Referat, welches unter dem Titel “Der bürgerliche Charakter des Bolschewismus” durch die “Unabhängigen Rätekommunisten” vorgetragen wurde, bezog sich ausdrücklich auf die bekannten, von Helmut Wagner verfassten “Thesen über den Bolschewismus”. Die Hauptideen dieses Referates waren, dass der Bolschewismus vor 1917 einen “kleinbürgerlich-radikalen Charakter” besaß; dass die Oktoberrevolution eine “bürgerliche Revolution gegen die Bourgeoisie” und ein “bürgerlich-bürokratischer Putsch war; dass die Partei Lenins nach der Machtergreifung bereits zwischen 1917-21 vollständig in eine “staatskapitalistisch-reaktionäre Strömung” umwandelt wurde; und dass “wer von der bolschewistischen Konterrevolution nicht reden will, über den Stalinismus schweigen” sollte. In der Diskussion wurde von verschiedenen Seiten am Referat zunächst kritisiert, dass die internationale Dimension der damaligen Ereignisse völlig fehle. Schließlich wurde die Oktoberrevolution von seinen eigenen Protagonisten – und den Bolschewiki selbst an erster Stelle – als Auftakt zur Weltrevolution begriffen. Daraufhin räumte der Referent selbst ein, dass dieser Aspekt im Referat zu wenig beachtet worden sei. Doch die Kritiker des Referates beharrten zurecht darauf, dass diese Schwäche nicht zufällig aufgetreten ist, sondern Ergebnis eines alten, methodischen Fehlers des Rätekommunismus ist. Auch wenn das Referat einige Auffassungen des holländischen Rätekommunisten Cajo Brendel zur Russischen Revolution kritisiert, erklärt es ausdrücklich seine Übereinstimmung darin mit ihm, dass “die ökonomische Rückständigkeit Russ-lands” der Grund für “die soziale Schwäche der russischen Arbeiterklasse und das schließliche Unterliegen der russischen Rätebewegung” gewesen sei. Während also der Marxismus immer davon ausgegangen ist, dass der proletarische Klassenkampf und das Ringen um den Kommunismus nur international möglich sind, und dass die Russische Revolution folglich in erster Linie an ihrer internationalen Isolierung scheiterte, hat der Rätekommunismus stets versucht, die damaligen Ereignisse in Petrograd und Moskau als Produkt der russischen Verhältnisse darzustellen. Ebenso typisch ist die dramatische Unterschätzung der zentralen Bedeutung des proletarischen Internationalismus als entscheidendste Trennungslinie zwischen Bourgeoisie und Proletariat, wie folgende Aussage des Referates zeigt: “Sein (Lenins) Eintreten für den proletarischen Internationalismus während des ersten Weltkrieges war beispielhaft and besitzt auch heute noch eine große moralische Kraft, aber auch dies machte aus ihm keinen proletarischen Revolutionär.”

Der Rätekommunismus als Ausdruck des Vertrauensverlustes in die Arbeiterklasse

Eine Sympathisantin der IKS argumentierte, dass die Auffassung vom Oktober als eine bürgerliche Revolution einen Ausdruck des Vertrauensverlustes in die Arbeiterklasse und in den Marxismus darstellt. Zum einem, weil sie in dieser Frage der bürgerlichen Propaganda recht gibt, derzufolge der Stalinismus den Nachfolger und nicht den Totengräber des Bolschewismus darstellt. Damit wird der Auffassung über die Oktoberrevolution widersprochen, welche alle klassenbewussten Arbeiter – ein-schließlich aller konsequenten revolutionären Marxisten wie Luxemburg, Pannekoek oder Gorter – damals selbst vertreten haben, und zwar gegen Kautsky, die Menschewiki und die anderen Feinde der Revolution, welche allein eine bürgerliche Umwälzung in Russland für möglich hielten. Zum anderen, weil die Infragestellung des proletarischen Charakters der Sozialdemokratie vor dem 1. Weltkrieg (und der Bolschewiki als linke, revolutionäre Kraft darin), Tür und Tor öffnet für die Infragestellung des Marxismus selbst. Obwohl die “Unabhängigen Rätekommunisten” (UK) dieses Argument empört von sich wiesen (sie behaupteten vielmehr, die Verteidiger des proletarischen Charakters der Oktoberrevolution ließen es an Vertrauen in die Klasse missen), finden wir, dass die neueste Publikation dieser Rätekommunisten selbst veranschaulicht, wie sehr die Genossin recht hatte. In der Einleitung zur Broschüre “Der Terror des Kapitals” lesen wir: “Unser Weg führt nicht zurück zu Marx, sondern vorwärts zum nachmarxistischen Kommunismus”. Als Kostprobe dessen ist auf S. 27 über “Marxens Reformismus in seinen Vorstellungen zum Kommunismus” die Rede. “Während der Parteimarxismus aus den materiellen Interessen der Parteibürokratie heraus ihren Namenspatron im Reformismus weit überholten, ist es für sozialrevolutionäre ArbeiterInnen im Interesse ihrer Emanzipation an der Zeit, den Kommunismus von reformistischen Etappentheorien zu befreien. Dabei kann durchaus auch auf einiges Vernünftiges aus der anarchistischen Kritik am Marxismus zurückgegriffen werden –allerdings “nur” in der Staatsfrage!” Die UK Leute – “Nelke”, als Herausgeber der “Sozialen Befreiung” sowie “Red Devil”, welcher “Revolution Times” und “ibliothek des Widerstandes” (eine Broschürenreihe zur Geschichte der Arbeiterbewegung) herausgibt – entstammen dem Trotzkismus. Die Geschichte bietet genügend Beispiele dafür, wie Leute aus diesem Milieu, wenn sie sich proletarischen Positionen anzunähern versuchen, sich leicht im Anarchismus verirren bzw. in einen antiautoritären “Nachmarxismus” abgleiten, indem sie angesichts der stalinistischen Konterrevolution der “alten” marxistischen Arbeiterbewegung den Rücken kehren. Dies trifft beispielsweise für die “Revolutionären Kommunisten Deutschlands” zu, welche im 2. Weltkrieg internationalistische Positionen vertraten, sich aber in der Nachkriegszeit in Richtung Anarchismus politisch rückwärts entwickelten. Es triff auch für die Gruppe “Socialisme ou Barbarie” nach dem 2. Weltkrieg zu, welche spätere nichtmarxistische Strömungen wie Solidarity, den Operaismus oder den Modernismus beeinflusst hat. Und es ist bezeichnend, dass das “UK” Referat ausgiebig aus Texten von Socialisme ou Barbarie und Solidarity (Brintons “Die Bolschewiki und die Arbeiterkontrolle”) zitiert.

Die Frage der historischen Methode

Ein Genosse aus Frankfurt warf in der Diskussion ein, dass obwohl die Position des Rätekommunismus Schwächen aufweise, die Frage der Klassennatur der Oktoberrevolution zweitrangig sei. Stattdessen sollte man – schlug er vor – den Beitrag des Rätekommunismus bei der Aufdeckung der Degeneration der Revolution sowie die notwendige Kritik an den Fehlern der Arbeiterbewegung würdigen. Beispielsweise verdanken wir dem Rätekommunismus die Einsicht, dass nicht die Partei die Klasse zu organisieren und die Diktatur des Proletariats auszuüben habe, sondern die Klasse selbst mittels der Arbeiterräte. Die IKS antwortete auf diesen Einwand. Nicht der Rätekommunismus, der die Partei ohnehin ablehnt, sondern die KAPD sowie die Italienische Linke (Bilan) haben zur Klärung der Frage der Beziehung zwischen Partei und Klasse beigetragen. Im übrigen ist die Einschätzung der Klassennatur der Russischen Revolution eine Frage der historischen Methode, und somit entscheidend, damit die Revolutionäre von heute die Lehren aus der Geschichte ziehen können. Wir versuchten dies anhand des Beispieles der Parteifrage zu verdeutlichen. Der Rätekommunismus versucht, die Befürwortung der Parteidiktatur durch Lenin der Betonung der Eigenaktivität der Massen durch Marx oder Rosa Luxemburg entgegenzustellen. Doch während die Marxisten – einschließlich Lenin und Trotzki – stets betonten, dass die Befreiung des Proletariats nur das Werk des Proletariats selbst sein kann, herrschte insgesamt innerhalb der marxistischen Bewegung bis zur russischen Bewegung die Idee vor, dass die Diktatur des Proletariats von der Partei ausgeübt wird. Rosa Luxemburg war nicht weniger davon überzeugt wie Lenin. Der Grund dafür liegt darin, dass im 19. Jahrhundert die Partei (die außerdem zunehmend einen Massencharakter angenommen hatte) die einzige vorhandene Organisation war, welche die Interessen der Klasse insgesamt vertreten konnte – Gewerkschaften und Kooperativen traten immer nur für einzelne Gruppen von Arbeitern ein. Erst mit dem Herannahen der Niedergangsphase des Kapitalismus, als die Frage des Kampfes um die Macht auf die Tagesordnung der Geschichte gestellt wurde, erschien mit den Arbeiterräten die endlich gefundene Form der Diktatur des Proletariats. Aber auch dann konnten die Marxisten nicht sofort die volle Bedeutung der Sowjets erfassen. Während Trotzki 1905 begann, als erster die Wichtigkeit der zunächst in Russland in Erscheinung getretenen Räte zu würdigen, behandelt beispielsweise die ansonsten großartige Broschüre Rosa Luxemburgs über die russischen Massenstreiks die Rolle der Räte kaum. Erst Lenins “Staat und Revolution” von 1917 identifiziert die Diktatur des Proletariats eindeutig mit den Räten. Doch in seiner Schrift aus der Zeit vor der Machtergreifung wird die Rolle der Partei und des Übergangsstaates noch nicht deutlich von denen der Arbeiterräte unterschieden. Bei den Bolschewisten, Spartakisten, wie auch bei Pannekoek oder Gorter herrschte damals immer noch die Auffassung, dass innerhalb der Räte die Partei die Regierung zu bilden habe, welche die Mehrheit hinter sich vereine. Erst durch die tragische Erfahrung der Niederlage in Russland war es der Kommunistischen Linken möglich, ein tieferes Verständnis der Beziehung zwischen Partei und Klasse in der Epoche von Krieg und Revolution zu entwickeln. Der Rätekommunismus hingegen geht mit einer idealistischen, ahistorischen Methode an das Problem heran, indem er proletarische Strömungen als bürgerlich oder kleinbürgerlich abstempelt, weil sie Fragen noch nicht verstanden hatten, die aufgrund der mangelnden Erfahrung der gesamten Arbeiterbewegung noch gar nicht verstanden werden konnten.

Die Position Trotzkis und die Frage des Staates nach der Machtergreifung

Das Referat der GIS lieferte wichtige Elemente einer Kritik der Auffassung Trotzkis über die Degeneration der Revolution. Es zeigte auf, wie Trotzkis unmaterialistische, bloß juristische Definition des durch die Revolution entstandenen Staats als “Arbeiterstaat” ihn blind machte für die Hauptgefährdung der Diktatur des Proletariats. Denn angesichts der Niederlage der Weltrevolution wurde dieser Staat selbst zum Hauptinstrument der stalinistischen Konterrevolution. Das Referat erinnerte daran, dass die Oktoberrevolution den Kapitalismus nicht abgeschafft hatte, da dies nur auf Weltebene möglich wäre. Folglich könnte nach einer politischen Entmachtung der Arbeiterklasse das Regime auch ohne Privatkapitalisten nur einen kapitalistischen Charakter haben. Wir begrüßen das Referat der GIS als einen Schritt hin zum notwendigen radikalen Bruch mit dem Trotzkismus. Allerdings fiel uns auf, dass die Genossen sich dabei noch nicht ausdrücklich auf die Vorarbeit der Kommunistischen Linken in dieser Frage gestützt haben. Während also Trotzkis Bezeichnung der Sowjetunion unter Stalin als “degenerierter Arbeiterstaat” klar verworfen wurde, herrschte in der Diskussion die Auffassung vor, dass nach der Revolution Staat und Arbeiterräte gleichzusetzen seien. Dies ist die klassische Position, welche Lenin in “Staat und Revolution” vertrat. Doch die historische Erfahrung nach der Machtergreifung zwang Lenin dazu anzuerkennen, dass es eine starke Tendenz des Staatsapparates gibt, sich gegenüber der Arbeiterklasse zu verselbständigen. Daraus schloss später die Italienische Fraktion, dass sowohl die Arbeiterräte als auch die Partei ihre Autonomie gegenüber dem Staat unbedingt verteidigen müssen, und dass der Übergangsstaat - dieser potenzielle Träger der Konterrevolution – gar nicht mehr als “Arbeiterstaat” bezeichnet werden sollte. Zu dieser Frage gab es auch eine sehr interessante Diskussion. Der Herausgeber der Reihe “für internationale Arbeitermacht” hob außerdem zurecht die Notwendigkeit hervor, mit dem Trotzkismus insgesamt zu brechen, insbesondere mit der bürgerlichen Ideologie der Demokatie, welche über die Befürwortung einer “Einheitsfront” mit der Sozialdemokratie bis hin zum Aufruf zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie gegen rechts den späteren Verrat des Trotzkismus an der Arbeiterklasse vorbereitete. Auch Trotzkis Forderung nach einer “Demokratisierung” der degenerierenden KPs, anstatt einen kompromisslosen Kampf der Revolutionäre gegen den Stalinismus innerhalb dieser Parteien zu befürworten, zeigte diese demokratistische Schwäche auf.

Die Position Bordigas und die Methode der Gruppe Aufbrechen

Das Referat von Aufbrechen über die Stellung Amadeo Bordigas zur Russischen Revolution bestand fast ausschließlich aus einer Aneinanderreihung von – zugegebenermaßen sehr interessanten - Zitaten vornehmlich aus dem Grundsatztext der IKP “Bilanz einer Revolution”. Aufbrechen kündigte das Vorhaben an, Teile dieses Textes, mit einer eigenen Einleitung versehen, wiederzuveröffentlichen. Aus dem Enthusiasmus, mit dem der referierende Genosse Bordigas Auffassung zum besten gab, konnte man den Eindruck gewinnen, dass zumindest Teile der Aufbrechengruppe ihre bisherige eher “rätistische” Auffassung vom Oktober als eine rein bürgerliche Revolution nicht mehr aufrechterhalten. Allerdings: auch wenn Bordiga stets den proletarischen Charakter des roten Oktobers verteidigt hat, unterscheiden sich die rätistischen und die bordigistischen Sichtweisen gegenüber den russischen Ereignissen in vielerlei Hinsichten gar nicht so sehr. So lehnen beide die Einsicht der Kommunistischen Internationalen von 1919 ab, derzufolge der Kapitalismus seit 1914 in seine Dekadenzphase eingetreten war. Beide glauben daran, dass es in Russland 1917 Aufgaben der bürgerlichen Revolution gab, welche die Bolschewisten, und nach ihnen die Stalinisten erledigt haben. Sowohl Bordiga als auch Cajo Brendel sind davon ausgegangen, dass es außer Russland auch andere Teile der Welt gab, wo nach 1917 bürgerliche Revolutionen und somit fortschrittliche nationale Befreiungsbewegungen noch möglich waren. Das Aufbrechen-Referat verdeutlichte eine alte Unterschätzung der Aufgabe der politischen Klärung durch diese Gruppe, die es bis heute stets unterlassen hat, Positionsänderungen klar anzugeben und zu rechtfertigen, oder die Öffentlichkeit über den Stand der eigenen Diskussionen zu informieren. So ist auf dieser Veranstaltung nicht klar geworden, welche Position die Gruppe oder einzelne ihrer Mitglieder zur Russischen Revolution überhaupt vertreten.

Die Wichtigkeit der politischen Klärung

Nachdem das Referat der IKS einige der wichtigsten Lehren in Erinnerung gerufen hatte, welche die Kommunistische Linke aus der russischen Erfahrung gezogen hat, führten wir zu den Aufgaben von heute u.a. aus: “Wir betrachten es als unsere Aufgabe, all die suchenden Elemente, die sich nicht mehr mit den Antworten der Bourgeoisie zufriedengeben, mit den Antworten des Linkskommunismus vertraut zu machen. Wir sehen es als unsere erste Pflicht an, innerhalb des politischen Milieus den Prozess der politischen Klärung voranzutreiben. Wir wollen damit unseren Beitrag zum Aufbau einer künftigen kommunistischen Weltpartei leisten – eine Partei die, wie die russische Revolution gezeigt hat, lebensnotwendig ist”. Tatsächlich bildete das Berliner Treffen einen wichtigen Beitrag zu diesem Klärungsprozess. Während der Rätekommunismus glaubt, dass das proletarische Klassenbewusstsein sich beinahe ausschließlich in den unmittelbaren Arbeiterkämpfen entwickelt, und der Bordigismus einseitig die Partei als die Quelle des Bewusstseins betrachtet, hat der Marxismus schon immer auf das Phänomen der unterirdischen Bewusstseinsentwicklung hingewiesen. Diese Reifung der Klasse außerhalb der Phasen des offenen Kampfes findet einen ihrer wichtigsten Ausdrücke in der Bestrebung politisierter Minderheiten nach öffentlicher Debatte und politischer Klärung. Dieser Prozess der theoretischen Vertiefung und der politischen Bildung dient sowohl der Radikalisierung der künftigen Arbeiterkämpfe als auch der Vorbereitung der kommunistischen Weltpartei. Dieser Prozess kann nicht vonstatten gehen, wenn jeder in seiner Ecke für sich zu klären versucht, sondern erfordert die ehrliche, furchtlose, der Sache die-nende, öffentliche Konfrontation der Ideen unter den Kommunisten. Die Beteiligten beschlossen die Veröffentlichung der jeweiligen Einleitungsreferate, um die Debatte einem größeren Kreis zugänglich zu machen. Dass gerade in Deutschland – dem Land, wo die Weltrevolution am Ende des 1. Weltkrieges ihre entscheidende Niederlage erfuhr, und damit zum Dreh- und Angelpunkt der darauf folgenden sozialdemokratischen, stalinistischen und nationalsozialistischen Konterrevolution wurde – heute wieder solche öffentlichen, solidarisch geführten, theoretischen Diskussionen stattfinden, ist ein ermutigendes Signal für die Revolutionäre aller Länder. Der theoretisch-politischen Klärung soviel Aufmerksamkeit zu widmen, ist auch ein wichtiges Signal gegenüber dem weitverbreiteten perspektivlosen Aktionismus und ungeduldigen Tatendrang, der von den meisten Gruppen der extremen Linken gegenüber den auf der Suche befindlichen politisierten Leuten propagiert wird. Die IKS tritt entschieden für die Fortsetzung solcher Debatten zu den Schlüsselthemen des Klassenkampfes ein, damit das Potenzial der politischen Reifung unter Minderheiten der Klasse nicht vergeudet wird und für das Proletariat insgesamt verloren geht.

IKS

 

* GIS c/o Rotes Antiquariat, Rungestrasse 20, 10179 Berlin email: [email protected] [1]

* Aufbrechen c/o Rotes Antiquariat, Rungestrasse 20, 10179 Berlin [email protected] [2]

* Soziale Befreiung, postlagernd, 36433 Bad Salzungen Homepage www.geocities.com/sozialebefreiung [3]

* Revolution Times, postlagernd, 23501 Lübeck email revtimes@gmx,de

Für Internationale Arbeitermacht. LLL Verlag Postfach 1104, 979722 Lauda-Konigshofen

 

 

Krise, Krieg: Der Kapitalismus gefährdet das Überleben der Menschheit

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Kaum ein Dutzend Jahre nach dem letzten Golfkrieg wollen die USA einen neuen Golfkrieg auslösen. Zusammen mit Großbritannien und Australien mobilisiert die einzig verbleibende Supermacht der Erde ihr mörderisches Waffenarsenal. Wie schon 1991 sind die USA bereit, ein Land in Schutt und Asche zu legen, unzählige Tote hinzunehmen, um ihre Vormachtstellung zu verteidigen. Die erste Frage, die wir uns stellen müssen, lautet:

Warum dieser Krieg?

Die ‚wiedererwachte‘ Friedensbewegung und mit ihr die bürgerlichen Medien halten einen Schuldigen und eine Erklärung parat: Bush Jr. sei ein Handlanger der Ölmultis, die es darauf abzielten, die Ölquellen des Iraks unter ihre Kontrolle zu bringen. Nicht nur könnten dadurch Russland und Frankreich deren Öfförderkonzessionen im Irak abgejagt werden, sondern die US-Ölmultis wären durch eine geplante Verdoppelung der irakischen Ölförderung nach einem Sturz Saddam Husseins in der Lage, den Ölpreis zu erhöhen und gigantische Extraprofite einzuheimsen. Einige meinen gar, so könnte die US-Wirtschaft wieder angekurbelt werden. Folglich die Schlussfolgerung und Losung: Da der Krieg um Öl geführt wird, der Präsident der Welt größten Macht mehr oder weniger als Handlanger der Ölmultis präsentiert wird, somit die Profitgier einiger weniger Konzerne die Erklärung für den Krieg und Zerstörung liefern, sollen wir gegen diese Ölmultis protestieren. Indem uns die Ölmultis als die Schuldigen aufgetischt werden, wird in Wahrheit davon abgelenkt, dass das gesamte kapitalistische System nur durch Krieg und Zerstörungen überleben kann. Es wird verschwiegen, dass seit dem Zusammenbruch des stalinistischen Ostblocks 1989 keine ‘Ära des Friedens und Wohlstands‘ angebrochen ist, wie ihn uns seinerzeit Bush Sr. verheißen hatte, sondern eine Zunahme der Kriege auf allen Kontinenten zu beobachten ist (Golfkrieg 1991, Balkankrieg, Tschetschenien, Indien-Pakistan, Israel-Palästina, Ruanda, Angola, Kongo usw.). Es wird darüber hinweggetäuscht, dass der Kapitalismus seit dem Ersten Weltkrieg nur durch einen Zyklus von Krieg-Wiederaufbau-Krise überlebt hat. Es wird vertuscht, dass seit 1989 mit dem Verschwinden der Blöcke nicht der Militarismus begraben wurde, sondern dass jetzt nicht mehr zwei Blöcke aufeinanderprallen, stattdessen kämpft jeder für sich. Kurzum: Es soll davon abgelenkt werden, dass der Kapitalismus ohne Krieg und Zerstörung nicht existieren kann.

Die USA treiben die Kriegsspirale voran

Wenn die USA nun schon den zweiten Golfkrieg vom Zaun brechen wollen, dann wirft das ein Licht auf den einzigen Ausweg, der ihnen als allein übrig gebliebene Supermacht offen bleibt – der Versuch, ihre Vorherrschaft unter Einsatz aller militärischen Mittel aufrechtzuerhalten. Nachdem seit 1989 für die ehemaligen Verbündeten der USA kein Grund mehr zur Aufrechterhaltung einer Blockdisziplin besteht, haben die USA damals schon die Gefahr erkannt, die für sie aus dieser Konstellation entsteht. Sie provozierten den Golfkrieg 1991, um den anderen Staaten vor Augen zu führen: Wer bereit ist, die US-Vormachtstellung infragezustellen, wird militärisch abgestraft. Aber diese Botschaft konnte nicht lange von Wirkung sein, denn nur wenige Monate später wurde die Teilung Jugoslawiens unter deutscher Federführung vorangetrieben, was wenig später zur Auslösung einer Reihe von Balkan-kriegen führte. Konnten die USA im ersten Golfkrieg noch 20 Staaten um sich scharen, stehen sie bislang abgesehen von England und Australien allein da. Damals konnten sie die UNO für sich gewinnen – heute richten sich Kofi Annan und ein bedeutender Teil der UNO-Waffeninspektoren klar gegen einen US-Schlag gegen den Irak. Gegenwärtig verfügen die USA nicht mal im Sicherheitsrat über eine sichere Mehrheit – denn China, Russland, Frankreich, Deutschland und andere Staaten opponieren gegen einen US-Krieg. Selbst Großbritannien, das sich immer noch aus eigenem imperialistischen Machterhaltungstrieb am klarsten auf die Seite der USA gestellt hat, warnt, dass die USA eventuell alleine dastehen würden, wenn sie die UNO umgingen. Kurzum – alle versuchen, den USA einen Knüppel zwischen die Beine zu schmeißen. Niemand will den USA das Recht einräumen, unkontrolliert zu schalten und zu walten. Die imperialistischen Appetite aller Staaten sind geweckt worden. Ein verdeckter, aber reeller Rüstungswettlauf hat weltweit eingesetzt, an dem sich alle Staaten beteiligen. Der Militarismus ist weltweit im Aufschwung. Er nährt sich nicht aus dieser oder jener Ölquelle, sondern er wuchert immer mehr wegen der Ausweglosigkeit dieses Systems. Den USA geht es bei ihrem Krieg gegen den Irak unter anderem darum, den Ölhahn kontrollieren zu können, den sie gegenüber anderen Staaten, die vom Öl aus dem Nahen Osten (und nicht nur dem Irak) abhängig sind, je nach Gutdünken auf- und zudrehen wollen können. Sie können durch den Aufmarsch in dieser Region in einem Gebiet noch fester Fuß fassen, wo sie nach dem Afghanistan-Krieg wichtige Stützpunkte errichten, die ihnen langfristig die Einkreisung Europas ermöglichen. Vor allem aber zielt ihre Strategie auch darauf ab, den Ambitionen des deutschen Imperialismus einen Riegel vorzuschieben, da Deutschland historisch in der Region schon vor einem Jahrhundert als Rivale der damals existierenden Weltmacht Großbritannien seine Ansprüche anmeldete. Wenn die USA seit geraumer Zeit ihren Miltärschlag - ob mit oder ohne UNO - angekündigt haben, dann wollen sie zwar ihre wilde Entschlossenheit demonstrieren, können aber damit nicht das Dilemma verdecken, in dem sie stecken. Wenn die USA heftig mit der militärischen Keule gegen den Irak drohen, dann aber militärisch nicht zuschlagen, weil die ganze Welt sich gegen sie stellt, laufen sie Gefahr, noch mehr an Ansehen zu verlieren. Die Entwicklung um Nordkorea zeigt dieses Dilemma der USA sehr deutlich: Nordkorea, das diese Zwickmühle der USA spürt und den Widerstand anderer Staaten gegen die USA auszuschlachten versucht, provoziert die USA nahezu täglich; es bekennt sich offen zu seinem Rüstungsprogramm, müsste also von den USA als ein Teil der ‚Achse des Bösen‘ abgestraft werden. Aber alle anderen Staaten, von Russland und China, über Japan und Südkorea hin zur “Weltgemeinschaft” sprechen sich gegen eine militärische Aktion gegen Nordkorea aus – und die USA müssen gar versichern, dass jetzt nicht sofort ein Krieg gegen Nordkorea auf der Tagesordnung stünde. Eine Desavouierung der USA! Während also zur Zeit des ersten Golfkrieges die anderen Staaten sich zunächst einreihten, um erst nach dem Krieg wieder auszuscheren, erleben wir heute eine Situation, wo je näher die Stunde der Wahrheit zu rücken scheint, desto größer die Bestrebungen der anderen Mächte werden, die Autorität der USA infragezustellen. Der öffentliche Wutausbruch der US-Regierung angesichts des deutsch-französischen Schulterschlusses gegen die Washingtoner Kriegspläne offenbart diese Infragestellung der Führungsrolle der USA eklatant. Falls die USA im Nahen Osten gegen den Irak zuschlagen, werden sich viele Staaten zwar unmittelbar “ducken” und den USA kurzfristig fügen, aber danach wird der Widerstand noch unverblümter und heftiger werden. Kurzum: Egal, was sie machen, die USA können nur Schritte unternehmen, die alles für sie noch viel schlimmer machen und die Dynamik des “Alle gegen die USA” und des „Jeder für sich“ noch fördern. Wenn die USA also bereit sind, einen gigantischen, nicht kontrollierbaren ökonomischen Preis für diesen Krieg zu zahlen, dann nicht, weil sie ökonomisch besonders gewitzt kalkuliert hätten oder etwa Ölmultis im Weißen Haus und im Pentagon das Sagen hätten, sondern weil die Widersprüche des Kapitalismus die ganze Welt in eine Spirale von Krieg und Zerstörung treiben, wo die Bedürfnisse der Verteidigung imperialistischer Machtpositionen eine Unterordnung aller anderer Kriterien verlangen (siehe dazu weitere Artikel in dieser Zeitung).

Welcher Kampf gegen den Krieg?

Die Parole “Kein Krieg für Öl” ist aber noch aus einem anderen Grund irreführend. Sie vertuscht, dass der Kapitalismus heute in einer ausweglosen Wirtschaftskrise steckt. Nicht nur werden ganze Teile der Erde wie Südamerika (Stichwort Argentinien, Brasilien) oder Kontinente wie Afrika durch die Krise erdrückt. Nein, die großen Zugpferde der Weltwirtschaft, USA, Japan, Deutschland und mit ihnen alle Wirtschaftsbranchen, stecken in einer unüberwindbaren Krise. Gleichzeitig nehmen der Raubbau an der Natur, die Umweltzerstörungnen unaufhaltsam zu. Der mörderische Konkurrenzkampf fordert immer mehr Opfer. Deshalb ist es nicht damit getan, bei diesem Krieg die Ölmultis an den Pranger zu stellen, sondern man muss erkennen, dass die Frage nach der Notwendigkeit der Überwindung dieses Systems immer deutlicher in den Vordergrund rückt. Die mörderische Logik dieses System kann aber nicht durch irgendwelche pazifistischen Aktionen und Happenings durchkreuzt werden, wie sie von der sogenannten Friedensbewegung propagiert werden, sondern es geht darum, das Übel an der Wurzel zu packen. Dazu ist aber nur der Kampf der Arbeiterklasse fähig. Das heißt, wir müssen uns gegen Aktionen stellen, die eine Ungeduld und Verzweiflung zum Ausdruck bringen und meinen, man könne den Krieg bekämpfen, ohne den Kapitalismus infragezustellen. Die Erfahrung der Arbeiter im 1. Weltkrieg bewies - die Kriegsgefahr kann nur gebannt werden, indem der Kapitalismus gestürzt wird.

(26.01.03)

 

 

Leserbrief: Der imperialistische Krieg: Eine Lösung für die Krise?

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Als Reaktion auf unsere Artikel in Weltrevolution Nr. 114/115 haben wir von einem Teilnehmer eines Diskussionszirkels in Frankfurt einen Leserbrief erhalten, der sich kritisch mit der Analyse der IKS wie auch mit den Positionen der Gruppen GIS und Aufbrechen hinsichtlich der Kriegsursachen auseinandersetzt. Wir drucken nachfolgend seinen Brief ab.

 

Leserbrief:

Die IKS schreibt über den aktuellen Krieg: "Nur in dem die USA wiederholt ihr militärische Überlegenheit zur Schau stellen und in der strategisch wichtigsten Region der Erde die Kontrolle ausüben, können die USA ihre Führungsrolle in der Welt verteidigen." Es geht um Verhinderung der z.B. historischen Ausdehnungstrategie Deutschlands.

Kritik der vorherrschenden Auffassungen:

1. Der Krieg wird vom Aspekt der Zirkulation aus betrachtet und nicht aus den kapitalistischen Produktions- und Klassenverhältnissen erklärt. Imperialismus wird abgleitet aus Marktverhältnissen, Konkurrenz, Preisen.

2. Darum wird aufs Öl (synthetisch nicht ersetzbar...) Ölpreise, Öllobbyisten, Spaltung innerhalb der US-Bourgeoisie, Ölindustrie- einen Teil der Kapitalistenklasse- usw. bezuggenommen.

3. Der Krieg und auch dieser Krieg wird abhängig gemacht vom Willen der Kriegstreiber (Öllobby, Bush-Administration)

4. Dieser Krieg wird mit der Rohstofffrage in Verbindung gesetzt nur im Falle des Golfkrieges, vielleicht auch beim Afghanistankrieg, aber nicht mit dem 1. und 2. Weltkrieg und besonders nicht im Falle Koreas, Vietnams, Jugoslawiens usw. - nicht wie wiederkehrende Ereignisse, sondern isoliert voneinander.

5. Nicht die wiederkehrende Krise des Kapitalismus, sein Drang zur Vernichtung des Kapitals und infolgedessen Wiederherstellung einer angemessenen Profitrate zur weiteren Akkumulation werden in Betracht gezogen.

6. Darum werden die Kriegsgegner unter den Linken, den Friedensbewegten gesucht, eine Masse ohne ein gemeinsames ökonomisches bzw. soziales Interesse. Nicht an die Arbeiterklasse, sondern an die Konsumenten wird appelliert, die kein teures Blut für billiges Öl zahlen sollen.

7. Die amerikanischen, japanischen und europäischen Arbeiter wurden aus Sorge um Ölknappheit dem ideologischen Kriegspropaganda der Bourgeoisie ausgeliefert und die wirklichen Hintergründe werden weiter im Dunkeln gelassen. Es geht wie gesagt nicht nur um Eroberung, wie im vorkapitalistischen Zeitalter, sondern mehr um die kapitalistische Lösung der Krise, und mit staatlich gewaltsamen Eingriffen auf Kosten der arbeitenden Menschen überall auf der Welt. In diesem Sinne ist "WAR" selbst ein "CLASS WAR", ein Klassenkampf der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse. Kapital kann ohne Krieg nicht auskommen. Dieser Drang kommt nicht von Außen, sondern von Innen. Eine Beendigung des Krieges bedeutet die Abschaffung des Kapitalismus.

 

Antwort der IKS

Wir begrüßen zunächst die Sorge des Genossen, angesichts der imperialistischen Konflikte von heute auf die Notwendigkeit eines tieferen theoretischen Verständnisses der Ursachen des Krieges zu bestehen. Wie der Genosse schreibt, werden die Arbeiter "mit der Sorge um Ölknappheit dem ideologischen Kriegsfeld der Bourgeoisie ausgeliefert und die wirklichen Hintergründe werden weiter im Dunkeln gelassen." Und wir stimmen dem Genossen zu, wenn er feststellt: "Dieser Drang zum Krieg kommt nicht von Außen, sondern aus dem Inneren des Kapitals selbst. Die Beendigung des Krieges ist gleichbedeutend mit dem Ende des Kapitalismus."

Die Funktion des modernen Krieges

Mit der Einschätzung der Funktion des Krieges im heutigen Kapitalismus, die er in seinem Brief entwickelt, stimmen wir keineswegs überein. Er sieht diese Funktion darin, eine "Überakkumulation zu beseitigen", der im 20. Jahrhundert durch "rein ökonomische Ereignisse" wie die Wirtschaftskrise allein nicht mehr beizukommen ist. "Die Vernichtung von Kapital durch Krieg und Krise war zum Beispiel das Geheimnis der Nachkriegskonjunktur", schreibt er. Er glaubt also, in diesem Mechanismus "die Ursachen und Wirkungen aller Kriege des 20. Jahrhunderts zusammenfassen" zu können. Zwar scheint die spektakuläre Wiederaufbaukonjunktur nach dem 2. Weltkrieg dem Genossen Recht zu geben. Doch wenn wir uns die "Wirkungen aller Kriege des 20. Jahrhunderts" vor Augen führen, werden wir feststellen, dass die "Wiederbelebung" der "Wirtschaftstätigkeit" durch den Krieg eher die große Ausnahme geblieben ist. Nach dem 1. Weltkrieg z.B. wurde in Europa bis 1929 gerade noch das Vorkriegssniveau an Wirtschaftstätigkeit wiedererlangt, bevor die Weltwirtschaft in eine katastrophale Depression abstürzte. Die verheerenden Kriege der Zeit nach 1945 in Afrika, dem Nahen Osten oder in Südasien haben nichts als Trümmerhaufen und Elend hinterlassen. Die Balkankriege der 90er Jahre haben weder auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens noch im umliegenden Europa eine Wiederaufbaukonjunktur ausgelöst. Und selbst der beinahe mythische Nachkriegsboom nach dem 2. Weltkrieg überzeugt nicht ganz. Denn wie der Genosse selbst schreibt: "Im Jahre 1949 befanden sich die USA bereits wieder in einer Depression."

Obwohl es stimmt, dass der Kapitalismus im 20. Jahrhundert in einen Zyklus von Krise, Krieg und Wiederaufbau eingetreten ist, bedeutet dies keineswegs, dass die Krise die Lösung der Krise mit sich bringt, wie der Genosse zu glauben scheint. Auch wenn die Kriegszerstörungen die Erneuerung von Produktionsanlagen, Behausungen und Infrastuktur dringend erforderlich machen, setzt ein flotter kapitalistischer Nachkriegsboom noch etwas Anderes voraus, nämlich eine zahlungskräftige Kundschaft. Dies konnte in den Industriestaaten nach 1945 entwickelt werden, nicht in erster Linie wegen des Korea-kriegs, wie der Genosse behauptet, sondern weil der kapitalistische Staat gelernt hatte, durch billige, international koordinierte, letztendlich von der Regierung selbst abgesicherte Kreditvergabe diese Nachfrage zu stimulieren. Da der Kapitalismus inzwischen diese staatskapitalistischen Mechanismen bis zum Exzess ausgeschöpft hat, ist mit einem derartig kräftigen Wiederaufbau heutzutage nirgends mehr zu rechnen.

Der Genosse schreibt außerdem, dass "die Zerstörung von Kapital in Verbindung mit einer Produktivitätssteigerung der Arbeit eine Profitrate ergeben, die das Kapital aus der Depression" führen kann. Leider hat der Genosse es unterlassen nachzuweisen, wie der moderne Krieg dies bewirken soll.

Marx hat im "Kapital" nachgewiesen, dass die ständige Zunahme der Arbeitsproduktivität, welche der Kapitalismus wie keine andere Produktionsweise vorantreibt, zu einer fallenden Profitrate führt, indem er den Anteil der lebendigen Arbeit, die Quelle des Mehrwerts, in der Produktion senkt. Hiervon ausgehend, behauptete Grossmann in den 20er Jahren (und nach ihm Paul Mattick, auf den der Beitrag aus Frankfurt sich bezieht), dass der Krieg durch die Zerstörung von konstantem Kapital eine höhere Profitrate erlaubt. Doch das Gegenteil ist der Fall, wie der Beitag aus Frankfurt selbst zugibt. "Auf jeden Fall kommt das Kapital nach einem Krieg konzentrierter und zentralisierter hervor". Damit geht notwendigerweise eine höhere Arbeitsproduktivität einher und somit eine Verstärkung des tendenziellen Falls der Profitrate.

 

Die Ursachen des Krieges

Der Genosse kritisiert u.a. die Auffassung der IKS von Krise und Krieg, indem er schreibt: "Diese Interpretationen sind also nicht abgeleitet vom Produktionsprozess des Kapitals, sondern von Marktverhältnissen, vom Zirkulationsprozess, von der Konkurrenz usw. d.h. sie beruhen nicht auf den Produktions- und Klassenverhältnissen, sondern sie agieren sozusagen selbständig."

Wir wissen nicht, woher der Genosse diese Geringschätzung der "Marktverhältnisse", der "Zirkulation" und der "Konkurrenz" gegen-über dem "Produktionsprozess" hernimmt. Von Marx jedenfalls kann er das nicht gelernt haben. Denn Marx umreißt in seiner "Kritik der Politischen Ökonomie" den geschichtlichen Rahmen der Krisenentwicklung wie folgt: "Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um." Im Falle der bürgerlichen Gesellschaft offenbarte Engels das Wesen dieses Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Eigentumsverhältnissen, indem er im ‘Anti-Dührung’ schreibt, der Hauptwiderspruch des Kapitalismus liege im Gegensatz zwischen der Vergesellschaftung der Produktion und der privaten, anarchischen Aneignung ihrer Früchte. Und Marx leitet in seinem Hauptwerk ‘Das Kapital’ die Widersprüche des Kapitalismus nicht aus dem "Produktionsprozess", sondern aus der Analyse der Waren und der Warenproduktion ab. Tatsächlich ist die Möglichkeit der Krise mit der Warenproduktion selbst gegeben, die ja Produktion für die schwankenden Bedürfnisse einer unbekannten Anzahl von Konsumenten durch voneinander unabhängige, gegeneinander konkurrierende Produzenten bedeutet. Aber die entwickelten Krisen der Warenproduktion gibt es erst im Kapitalismus, der die Produktion für den Selbstverbrauch fortschreitend auflöst und dadurch die gesamte Gesellschaft immer mehr vom ungehinderten Verkauf abhängig macht. Somit wird die Krise selbst lebensnotwendig - die Unverkäuflichkeit der Waren zu ihren Produktionspreisen ist das regelnde Element. Die kapitalistische Konkurrenz unter den Bedingungen der Vergesellschaftung und Verwissenschaftlichung der Arbeit bewirkt eine stete Tendenz zur Ausweitung der Produktion, unabhängig von der Aufnahmefähigkeit des Marktes. Da die bürgerliche Gesellschaft die Mehrheit der Produzenten zu Lohnarbeitern macht, und den Wert der Ware Arbeit immer mehr herabgedrückt wird, ist diese Aufnahmefähigkeit des kapitalistischen Marktes historisch beschränkt - auch wenn diese Schranken nicht starr, sondern elastisch sind. Die Erklärung für den Zyklus von Krise, Krieg und Wiederaufbau im 20. Jahrhundert liegt darin, dass die Überproduktion chronisch wird. Dadurch bedeuten die Krisen nicht mehr allein eine notwendige Regelung der Produktion, sondern bringen den wachsenden Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den vorhandenen Produktions- bzw. Eigentumsverhältnissen zum Ausdruck. Der moderne imperialistische Krieg ist somit Ausdruck der Konkurrenz unter den Bedingungen der Dekadenz des Kapitalismus. Er ist nicht die Lösung der Krise, sondern das gewaltsame, zerstörerische Ergebnis, sozusagen die Explosion dieser Krise.

Zwar behauptet der Genosse aus Frankfurt, dass er mit seiner Analyse die "offensichtlichen Kriegsziele" sowie die "interimperialistischen Konflikte" nicht verneinen will. Doch wenn der Krieg nicht Ausdruck der Krise und der Konkurrenz, sondern der heilsame Ausweg aus der Krise darstellen soll, dann liegt das Wesen dieser Kriege nicht mehr in der anarchischen Explosion der Konkurrenz. Dann weiß man auch nicht mehr, weshalb die Kapitalisten nicht auch noch drauf kommen sollten, dass sie unter sich vereinbaren, nur zum Schein Krieg zu führen, um eine abgesprochene Menge an "Überakkumulation" abzubauen. Tatsächlich praktizieren die bürgerlichen Regierungen schon seit Jahrzehnten solche Absprachen, und zwar ohne Krieg, indem sie auf internationaler Ebene vertraglich festzulegen versuchen, wieviel landwirtschaftliche Fläche oder wieviel Kohle- und Stahlproduktion hier und dort stillgelegt werden muss. Doch auch diese kontrollierte Venichtung von Kapital kann an dem Grundübel der chronischen Überproduktion nichts ändern.

Wir sind davon überzeugt, dass die Sichtweise des Genossen zu einer groben Unterschätzung der imperialistischen Konkurrenz und der Barbarei führen muss. Auch der von ihm verwendete Begriff des modernen Krieges als ein "Klassenkampf der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse" (ein bekanntes Schlagwort der Operaisten) ist ein Beleg für diese Unterschätzung. Wäre es im Verlauf des "Kalten Krieges" zu einen 3.Weltkrieg gekommen, wäre das Ergebnis jedenfalls nicht die "Wiederbelebung" der "Wirtschaftstätigkeit", sondern vielmehr die Venichtung der Menschheit gewesen. IKS

 

Bei der IKS geht es nicht um "gegensätzliche Interessen. Und zwar darum, wer die Hand auf dem Ölhahn hat. [weil] ein niedriger Rohölpreis die Profitrate hoch" hält und nicht um "die langfristige und direkte Sicherung der mit Abstand zweitgrößten Erdölreserven der Welt" (GIS und Aufbrechen-Flugblatt), sondern um "die Kontrolle über die Ölfelder [...], weil dadurch die USA die Staaten Europas mit dieser strategisch wichtigen Energiequelle erpressen können" (Weltrevolution 114 S.1 u. 3)

Meiner Meinung nach betrachten beide Auffassungen "Verteidigung der Führungsrolle der USA in der Welt" und "niedriger Rohölpreis und Sicherung der Erdölreserven" den Imperialismus nicht im Sinne von Marx, d.h. abgeleitet von dem Produktionsprozess des Kapitals, sondern auf Marktebene, dem Zirkulationsprozess, der Konkurrenz usw., der nicht auf Produktions- und Klassenverhältnissen beruht, sondern selbständig agiert. [s. Imperialismustheorie von Lenin und Luxemburg] Der Marxsche Standpunkt ist: Weil die Höhe der durchschnittlichen Profitrate von der jeweiligen organischen Zusammensetzung des Kapitals abhängt, kann die Zerstörung von Kapital in Verbindung mit einer Produktivitätssteigerung der Arbeit eine Profitrate ergeben, die das Kapital aus der Depression führt. Marx erklärt die Krise aus dem tendenziellen Fall der Profitrate. Wenn aber es im 19. Jahrhundert leicht möglich war, mit Hilfe einer Krise "rein ökonomische" Ereignisse wie eine Überakkumulation zu beseitigen, schien um die Jahrhundertwende der Konjunkturzyklus als Instrument unbrauchbar geworden zu sein oder vielmehr verwandelte er sich in einen "Zyklus" von Kriegen. Außer der Wiederbelebung der Wirtschaftstätigkeit kommt auf jeden Fall das Kapital nach dem Krieg konzentrierter und zentralisierter hervor; und dies sowohl trotz als auch WEGEN Kapitaldestruktion. [Zusammenfassung aller Kriege des 20. Jahrhundert] Die Vernichtung von Kapital durch Krieg und Krise war das Geheimnis der Nachkriegskonjunktur. Und wo die Krise allein nicht ausreichte, wurde mit gewaltsamen Eingriffen die Zerstörung des Kapitals vorangetrieben. 1949 befanden sich die USA wieder in der Depression, und mit dem Koreakrieg wuchs wieder die Wirtschaftstätigkeit nicht nur in den USA, sondern in der ganzen westlichen Welt.

Nur die Arbeiterklasse kann gegen den Krieg kämpfen

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Der Kapitalismus selbst birgt den Krieg in sich. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts, als dieses System in den Zeitraum seiner Dekadenz, seines historischen Niedergangs eintrat, hat es die Gesellschaft in eine immer schlimmer werdende Barbarei gestürzt: 20 Mio. Tote im 1. Weltkrieg (mit nochmal ca. 18 Mio. Toten, die in einer Grippewelle im Winter 1918/1919 infolge Erschöpfung und Auszehrung in Europa dahingerafft wurden), 50 Mio. Tote im 2. Weltkrieg. Und seit 1945 sind praktisch nochmal soviele Menschen umgekommen. Seit mehr als einem halben Jahrhundert hat es keinen Tag Frieden auf der Welt gegeben. Deshalb bemüht sich die bürgerliche Propaganda so fleißig, die Kriege auf die Verrücktheit des einen oder anderen Politikers zurückzuführen, sie ‚demokratiefeindlichen Regimen’ oder gar den ‚grundlegendsten Instinkten’ oder dem ‚Neid’ des Menschen zuzuschreiben. Keine Lüge bleibt uns erspart, um ein System weißzuwaschen, dessen Fortbestand das Überleben der Menschheit selber gefährdet. Für die Herrschenden ist es eine entscheidende Frage: sie müssen mit allen Mitteln versuchen zu verhindern, daß die einzige Kraft, die sich dem Krieg entgegenstellen kann, die Arbeiterklasse, sich ihrer Verantwortung bewußt wird, und erkennt, was in ihren Kämpfen auf dem Spiel steht.

Die Arbeiterklasse und der Krieg

Seit dem Anfang der Arbeiterbewegung ist der Krieg schon immer eine zentrale Frage für die Arbeiterklasse gewesen. Als der Kapitalismus im 19. Jahrhundert noch ein sich ausdehnendes System war, und seine Entfaltung einen Fortschritt für die ganze Menschheit darstellte, konnten Kriege unter gewissen Bedingungen eine Stufe dieses Fortschritts darstellen (insbesondere, wenn sie die Bildung neuer Nationen ermöglichten, innerhalb deren sich die kapitalistische Wirtschaft voll entfalten konnte). Unter diesen Bedingungen unterstützten die Arbeiter bestimmte nationale Kriege. Dagegen hatte sich die Lage zu Anfang des 20. Jahrhunderts vollständig geändert. Nachdem der Kapitalismus einen Weltmarkt hergestellt hatte, hörte er auf, eine fortschrittliche Rolle bei der Entwicklung der Menschheit zu spielen, und er wurde nunmehr zu einem Hindernis für jeden weiteren Fortschritt. Die Kriege erfüllten damit keine den Fortschritt vorantreibende Funktion mehr. Egal welche Form er auch annahm (ob als ein begrenzter Konflikt zwischen wenigen Nationen oder als weit ausgedehnter Krieg, gar Weltkrieg), der Krieg ermöglichte keine Ausdehnung des Weltmarktes mehr und diente nur dazu, den Markt zwischen den großen kapitalistischen Mächten neu aufzuteilen. Deshalb hat die Arbeiterklasse nicht das geringste Interesse an der Unterstützung irgendeines Krieges, selbst wenn diese Kriege als “nationale Befreiungskämpfe” oder als “kolonialer Befreiungskampf” dargestellt wurden. Seitdem stellt jeder neue Krieg einen Schritt tiefer in noch mehr Barbarei dar. Es handelt sich um einen Prozeß, der nur mit der Zerstörung der Menschheit seinen Abschluß finden kann. So ist der imperialistische Krieg ein unleugbares Indiz dafür, daß dar Kapitalismus zerstört und durch eine vollkommen andersartige Gesellschaft ersetzt werden muß. In solch einer Situation besteht die einzige Position, die den Interessen der Arbeiter entspricht, darin, den Kampf auf eigenem ‚Boden’ gegen den Kapitalismus fortzusetzen mit dem Ziel, ihn umzustürzen. Jede Beteiligung am Krieg muß verworfen werden, egal welche Vorwände eingebracht werden, um zu einer Kriegsbeteiligung aufzufordern (Verteidigung des “Vaterlandes”, “der Zivilisation”, “der Demokratie”, gegen den “Faschismus”, den “Totalitarismus” usw.) Gerade diese Position wurde von den Revolutionären schon vor dem 1. Weltkrieg (sie wurde von den Kongressen der Internationale der Arbeiter 1907 und 1912 verabschiedet) vertreten. In Rußland sollte diese Position 1917 konkretisiert werden. In diesem Land trat die Arbeiterklasse im Februar 1917 massiv gegen den Krieg und damit auch gegen die Regierung auf. Innerhalb weniger Tage wurde das Regime des Zars gestürzt. Weil die provisorische bürgerliche Regierung (die an die Stelle des Zars getreten war) sich weigerte, den Krieg zu Ende zu bringen, wurde diese wiederum im Oktober desselben Jahres abgesetzt, und die Arbeiter mittels der Arbeiterräte die Macht ergriffen. Es war das erste Mal, daß die Arbeiterklasse - angeführt durch ihre revolutionäre Partei - diesen Kernpunkt ihres historischen Programms verwirklichte; die Zerstörung des kapitalistischen Staats und die Errichtung der Diktatur des Proletariats im Hinblick auf die Umwandlung der ganzen Gesellschaft. Dabei riefen die Arbeiter in Rußland ihre Klassenbrüder in den anderen Ländern dazu auf, auch in den revolutionären Kampf einzutreten und ebenfalls den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg gegen die herrschende Klasse umzuwandeln. Dieser Aufruf wurde von den Arbeitern in Deutschland, die zahlenmäßig am stärksten waren und über die größte Erfahrung verfügten, Ende 1918 aufgegriffen. Sie führten auch einen entschlossenen Kampf gegen den Kapitalismus (insbesondere die Arbeiter in Uniform). Aber um nicht beiseite gefegt zu werden, wie es mit der russischen Bourgeoisie geschehen war, entschloß sich die deutsche Bourgeoisie zu einem schnellen Abbruch des Kriegs; zwei Tage nach dem Aufstand der Matrosen in Kiel gegen die Militärbehörden (und danach breitete sich dieser Aufstand in Windeseile übers ganz Land aus) unterzeichnete die deutsche Regierung einen Waffenstillstand mit der französischen Regierung. Danach wurde die revolutionäre Bewegung in Deutschland allerdings besiegt - und später auch in Rußland. Aber in diesen beiden Ländern hatten die Arbeiter bewiesen, daß nur sie dazu in der Lage waren, den Weltkrieg zu Ende zu bringen. Und während der 20er Jahre hatte der Kapitalismus in Anbetracht der Gefahr eines Wiederaufflammens von revolutionären Kämpfen seine militaristische Politik und insbesondere seine Wiederaufrüstung stark einschränken müssen. Und als die Weltwirtschaftskrise von 1929 wiederum für das Kapital nur den einen Weg - einen neuen Weltkrieg - öffnete, konnte die Bourgeoisie diesen neuen imperialistischen Weltkrieg nur auslösen, nachdem sie zuvor systematisch jeden Widerstand der Arbeiterklasse niedergemacht hatte, indem sie wie in Deutschland terrorisiert wurde, oder wie in Frankreich hinter den antifaschistischen Mystifizierungen mobilisiert wurde. Dies war ein weiterer Beweis dafür, daß der Krieg nur möglich ist, wenn der Widerstand der Arbeiterklasse entweder ausgeschaltet ist oder die Arbeiter von ihrem Klassenterrain abgedrängt werden. Und dieser Beweis wurde erneut während der 70er und 80er Jahre geliefert, als die Gegensätze zwischen den beiden imperialistischen Blöcken, die sich bis Ende der 80er Jahre die Welt aufteilten, unter dem Druck der Krise sehr stark waren und sich weiter zuspitzten, aber nicht in einen 3. Weltkrieg mündeten. Die objektiven Bedingungen für solch einen Krieg aber waren vorhanden - sowohl aufgrund der Schärfe der Krise als auch aufgrund des Ausmaßes der Hochrüstung und der vorhandenen militärischen Blöcke. Aber das historische Wiedererstarken der Arbeiterkämpfe von 1968 an hatte verdeutlicht, daß die neuen Arbeitergenerationen der großen kapitalistischen Industriezentren im Gegensatz zu ihren Klassenbrüdern in den 30er Jahren nicht bereit waren, in einem neuen 3. Weltkrieg ihr Leben zu opfern.

Heute wie damals kann nur die Arbeiterklasse gegen den imperialistischen Krieg kämpfen

Während der letzten beiden Jahrzehnte hat die herrschende Klasse ständig versucht, diese Fähigkeit der Arbeiterklasse, sich einem neuen Weltkrieg entgegenzustellen, zu übertünchen (1). Und man kann verstehen, warum das so war! Für die herrschende Klasse kommt es darauf an, in den Reihen der Arbeiter ein Gefühl der Machtlosigkeit aufrechtzuhalten, ihnen die Idee einzubleuen, daß es für sie keine andere Alternative gebe als widerstandslos das hinzunehmen, was der Kapitalismus ihnen aufzwingt: eine immer schlimmere Ausbeutung, die Arbeitslosigkeit, die Misere, den Krieg. Die Arbeiterklasse soll daran gehindert werden, sich bewußt zu werden, daß sie in der Gesellschaft einen Einfluß ausüben kann, indem sie den Kapitalismus daran hindert, immer mörderische militärische Konflikte auszulösen, und vor allem, daß sie Trägerin einer neuen Gesellschaft ist. Denn es waren die gleichen Gründe, die es der Arbeiterklasse erlaubt haben, bis jetzt einen 3. Weltkrieg zu verhindern, die dafür grundlegend ist, daß sie die einzige Kraft in der Gesellschaft ist, die eine neue Gesellschaftsordnung aufbauen kann, in der es keine Kriege, keine Misere und keine Ausbeutung gibt. Weil die Arbeiterklasse die einzige Klasse ist, deren Interessen sowohl unmittelbar als auch in der Zukunft vollständig denen der herrschenden Kapitalistenklasse entgegengesetzt sind, kann auch nur sie als Klasse dieser typischen Erscheinung des dekadenten Kapitalismus - dem imperialistischen Krieg - entgegentreten und dieses System aus der Welt schaffen. Dies wurde von den Revolutionen 1917 in Rußland und 1918-23 in Deutschland bewiesen. Deshalb werden die vergangenen Kämpfe der Arbeiter systematisch durch die Schreiberlinge der Herrschenden verschleiert oder entstellt; die Arbeiter von heute sollen nicht zur Kenntnis nehmen, daß sie einer Klasse angehören, die nicht nur dazu in der Lage war, den Weltkrieg zu Ende zu bringen, sondern auch das kapitalistische System in seinen Grundfesten zu erschüttern. Heute werden überall die Lügen verbreitet, daß die Revolutionen von damals, wie die von 1917, endgültig der Vergangenheit angehören, daß die “Arbeiterklasse in einer Krise stecke”, oder daß sie gar verschwunden sei. Und dabei verweisen sie auf die Krisen, in denen die angeblichen Arbeiterorganisationen wie die Gewerkschaften stecken - als ob nicht gerade deren Krise den historischen und unwiderruflichen Verschleiß der Strukturen des kapitalistischen Staates aufzeigten, welche die Arbeiterklasse kontrollieren und ihre Kämpfe im Zaum halten sollen! Tatsächlich ist keiner der Gründe, die die Arbeiter dazu getrieben haben, im und am Ende des 1. Weltkriegs einen Sturmlauf gegen den Kapitalismus anzutreten, verschwunden. Die Arbeiterklasse ist deshalb die revolutionäre Klasse, weil sie als einzige aufgrund ihrer Stellung in der Produktion in der Lage ist, durch die Übernahme der Führung der Gesellschaft den tödlichen Widersprüchen des Kapitalismus ein Ende zu setzen. Niemand anders als sie kann diese für den Kapitalismus typischen Zerstörung, diesen Zerfall aus der Welt schaffen als die Arbeiter. Weil dieses System auf der Ausbeutung der Lohnarbeit fußt und nicht auf der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse, ist es in eine unlösbare Wirtschaftskrise versunken, die für die ganze gegenwärtige Barbarei verantwortlich ist. Aber gerade die Ausbeutung der Lohnarbeit und der kapitalistische Profit befinden sich im Mittelpunkt des Kampfes der Arbeiter als Ausgebeutete - und deshalb ihr Interesse an der Abschaffung derselben. Da die Arbeiterklasse die revolutionäre Klasse ist, sind auch ihre unmittelbaren und historischen Interessen ein Teil eines Ganzen, das sich mit den Interessen der gesamten Menschheit deckt. Und dies bleibt heute weiterhin so gültig wie vor 80 Jahren. So wird der grundsätzliche Widerspruch zwischen den Interessen der Arbeiterklasse und denen der Bourgeoisie keineswegs - wie es viele Soziologen behaupten - abgeschwächt. Im Gegenteil: die brutale Zuspitzung der Wirtschaftskrise, das Versinken der Welt in immer zahlreicheren und immer mehr permanenten militärischen Konflikten wird diese Interessensgegensätze nur noch auf die Spitze treiben. Und dies umso mehr, da aufgrund der Krisenauswirkungen bei den Handwerkern und den kleinen Bauern die Arbeiter heute mehr als je zuvor die Hauptproduzenten des gesellschaftlichen Reichtums sind. Auch war die Arbeiterklasse noch nie so stark in gewaltigen Produktionseinheiten zusammengefaßt, noch nie hat sie so assoziiert gearbeitet - und dies sind gerade zwei Faktoren ihrer Stärke. Und aufgrund der wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit aller nationalen Bereiche der kapitalistischen Wirtschaft waren die verschiedenen Teile des Weltproletariats und insbesondere die Teile der großen Industriezentren noch nie so gleichzeitig von den Auswirkungen der kapitalistischen Krise betroffen. Dadurch wird das gleichzeitige Zurückschlagen der Arbeiter wie die Entwicklung der objektiven Bedingungen für den proletarischen Internationalismus überhaupt begünstigt. Und gerade dieser proletarische Internationalismus muß zunehmend als wesentliche Grundlage der Arbeiterklasse bei dem Kampf der Arbeiter gegen die militärischen Zusammenstöße in den Vordergrund rücken. Heute sind der Umsturz des Kapitalismus und der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft mehr denn je zu einer Lebensnotwendigkeit geworden. Die zunehmende kriegerischen Barbarei und das gleichzeitige Versinken der Gesellschaft im allgemeinen Zerfall beweisen, daß der Kapitalismus die Menschheit in den Abgrund führt. Die Kämpfe der Arbeiter in den zentralen Ländern gegen die wirtschaftlichen Angriffe können unmittelbar den Grad der Beteiligung dieser Industrieländer an der kriegerischen Barbarei begrenzen. Genauso wie in der Vergangenheit der Kampf gegen den Krieg untrennbar verbunden war mit dem Kampf für den Umsturz des Kapitalismus, muß die Arbeiterklasse heute in Anbetracht der immer brutaleren Auswirkungen der kapitalistischen Barbarei verstehen, daß ihre gegenwärtigen Kämpfe ein Teil der Perspektive der Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung sind. Es ist die Aufgabe der revolutionären Organisationen, sich mit ganzen Kräften an diesen Kämpfen zu beteiligen, um diese Perspektive entschlossen und deutlich vorwärtszudrängen.

(aus Révolution Internationale, Zeitung der IKS in Frankreich).

 


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