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Weltrevolution Nr. 149

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Berliner Luftbrücke 1948 Ein Versuch, die Verbrechen der Alliierten zu vertuschen

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Dieser Artikel wurde zum ersten Mal in unserer Zeitung Weltrevolution Nr. 90 - 1998 - veröffentlicht.

Es überrascht nicht, dass die demokratischen Siegermächte des 2. Weltkriegs - die französische, britische und amerikanische Bourgeoisie - dieses Jahr die Gelegenheit ausgenutzt haben, um den 50. Jahrestag der Berliner Luftbrücke, die am 26. Juni 1948 anfing, zu feiern. Die Luftbrücke wird als angeblicher Beweis für die Menschenfreundlichkeit der westlichen demokratischen Imperialismen und ihrer Gnade mit einer besiegten Nation dargestellt, und andererseits gilt sie als Aushängeschild des Widerstands gegen die Bedrohungen durch den russischen Totalitarismus. Damals habe die Luftbrücke einen Zeitraum von Frieden und Wohlstand ermöglicht. Mehr als ein Jahr lang wurden in 277.728 Flügen durch amerikanische und britische Maschinen nach Westberlin über 2.3 Mio. Tonnen Hilfsgüter eingeflogen, da der sowjetische Imperialismus die Stadt von der Außenwelt abgeschnitten hatte. Die scheinbare Friedensliebe, die Freiheit und Menschenwürde, die diese historische Episode angeblich belege, seien heute noch den Medien und Politikern der westlichen imperialistischen Staaten zufolge lebendig.

Nichts aber liegt der Wirklichkeit ferner, denn, wenn man sowohl die blutige Geschichte der letzten 50 Jahre im allgemeinen wie auch die wirkliche Bedeutung der Berliner Luftbrücke selber vor Augen hat, kann man das Gegenteil sehen. In Wirklichkeit nämlich verdeutlichte die Luftbrücke eine Wende in der imperialistischen US-Politik. Deutschland sollte nicht mehr deindustrialisiert und in ein Bauernland verwandelt werden, wie es die Potsdamer Konferenz von 1945 vorgesehen hatte, sondern es sollte nunmehr als ein Bollwerk des neu geschaffenen westlichen imperialistischen Blocks gegen den Ostblock eingesetzt werden. Dieser Kurswechsel des westlichen Imperialismus kann nicht durch irgendein Mitleid erklärt werden. Der Grund für die Umorientierung lag in der Bedrohung durch den russischen Imperialismus, der dabei war, sich weiter nach Westeuropa auszudehnen, nachdem es dort nach den gewaltigen Massenabschlachtungern und Zerstörungen während des 2. Weltkriegs zu großen ökonomischen und politischen Zerrüttungen gekommen war. So war die Berliner Luftbrücke, während sie auf der einen Seite ein Mittel war, eine hungernde Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen, auf der anderen Seite ein clever ausgedachtes Propagandakunststück, um das Elend der vorangegangenen Jahre zu übertünchen und die neue Orientierung der westdeutschen und westeuropäischen Bevölkerung zu vermitteln, die von da an zur Geisel in dem gerade begonnen Kalten Krieg werden sollten. Neben den Rettungsflugzeugen wurden drei US-Bomberverbände nach Europa verlegt, die die sowjetischen Stellungen in die Reichweite der US-B-29 rücken ließen...

Dennoch gab es trotz des Besuchs von US-Präsident Clinton in Berlin anlässlich dieses Ereignisses nicht soviel Aufheben um dieses Thema. Eine wahrscheinliche Erklärung, weshalb dieses Thema nicht so groß in den Vordergrund gerückt wurde, besteht darin, dass zu ausschweifige Feiern unliebsame Fragen aufkommen ließen hinsichtlich der wirklichen Politik der Alliierten gegenüber der Arbeiterklasse in Deutschland während und in der unmittelbaren Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Zu viel Heuchelei der Demokratien und ihre eigenen Verbrechen gegen die Menschheit würden zutage treten. Dadurch würde auch die Position der Kommunistischen Linken bestätigt, die sowohl die demokratischen und stalinistischen als auch die faschistischen Ausdrücke des dekadenten Kapitalismus während der letzten 70 Jahre unaufhörlich entblößt hat.

Die IKS hat oft mit anderen politischen Tendenzen der Kommunistischen Linken gezeigt, wie die Verbrechen der Alliierten Imperialisten während des 2. Weltkriegs nicht weniger ruchlos waren als die der faschistischen imperialistischen Staaten (1). Sie waren das Ergebnis des Kapitalismus auf einer besonderen Stufe seines historischen Niedergangs. Die Feuerbomben auf deutsche und japanische Großstädte am Ende des Krieges zeigten die unechte Menschenfreundlichkeit der Alliierten. Die Bombardierung all der dicht bevölkerten Zentren in Deutschland verfolgte nicht das Ziel, militärische oder gar ökonomische Ziele zu zerstören. Die Zerrüttung der deutschen Wirtschaft am Kriegsende war nicht auf die ‘Flächenbombardierungen’ zurückzuführen sondern auf die Zerstörung des Transportsystems (2). Im Gegensatz: die Bombardierungen dienten gerade dazu, die Arbeiterklasse zu dezimieren und zu terrorisieren und den Ausbruch einer revolutionären Bewegung aus dem Chaos der Niederlage zu verhindern, wie das 1918 der Fall gewesen war.

Aber das Jahr 1945, der Neuanfang, brachte kein Ende des Schreckgespenstes.

‘Die Potsdamer Konferenz und die Übereinstimmung zwischen den Alliierten vom März 1946 führten zu konkreten Entscheidungen der Reduzierung der deutschen Industriekapazitäten auf ein niedriges Niveau; gleichzeitig sollte der Landwirtschaft eine größere Priorität eingeräumt werden. Um die Gefahr auszuschalten, dass die deutsche Wirtschaft wieder Krieg führen könnte, wurde Deutschland vollständig untersagt, strategische Produkte herzustellen wie Aluminium, synthetischen Gummi und synthetische Benzine. Darüber hinaus sollte Deutschland gezwungen werden, seine Stahlkapazitäten auf 50% des Niveaus von 1929 zu reduzieren, und die überschüssigen Anlagen sollten demontiert und in die Siegerlände sowohl im Osten wie im Westen verfrachtet werden.’ (3)

Es ist nicht schwer sich vorzustellen, welche ‘konkreten Beschlüsse’ hinsichtlich der materiellen Lage der Bevölkerung gefaßt worden waren: ‘Nach der Kapitulation im Mai 1945 wurden Schulen und Universitäten sowie Radiosender, Zeitungen, das Rote Kreuz und die Post geschlossen. Deutschland verlor Kohle, die Ostgebiete (die 25% des bebaubaren Ackerlandes ausmachten), Industriepatente, Bauholz, Goldreserven und einen Großteil seiner Arbeitskraft. Truppen der Alliierten plünderten und zerstörten ebenso Fabriken, Büros, Labors und Werkstätten... Am 8. Mai, dem Tag der Kapitulation im Westen, setzte man deutsche und italienische Gefangene in Kanada, Italien, den USA und in Großbritannien, die zuvor gemäß dem Genfer Abkommen ernährt worden waren, auf stark reduzierte Rationen (...).

Ausländische Hilfsorganisationen wurden daran gehindert, Lebensmittel aus dem Ausland zu schicken. Züge des Roten Kreuz mit Lebensmitteln wurden in die Schweiz zurückgeschickt. Allen ausländischen Regierungen wurde verboten, an deutsche Zivilisten Lebensmittel zu schicken. Lebensmittel wurden im ersten Jahr beschlagnahmt, insbesondere in der französischen Besatzungszone. Die Fischereiflotte mußte im Hafen verbleiben, während Menschen Hunger litten.’ (4)

Deutschland wurde in der Tat durch die russischen, britischen, französischen und US-amerikanischen Besatzungsmächte zu einem Todeslager. Die westlichen Demokratien verhafteten 73% aller deutschen Kriegsgefangenen in ihren Besatzungszonen. Ein größerer Teil der deutschen Bevölkerung starb nach dem Krieg als während der militärischen Auseinandersetzungen, Luftangriffe und in den KZ während des Krieges. Zwischen 9 und 13 Millionen Menschen starben wegen der Politik der Alliierten zwischen 1945-50. Es gab drei Schwerpunkte dieses Völkermordes. Erstens unter den insgesamt 13.3 Millionen Volksdeutschen, die aus den östlichen Teilen Deutschlands, Polens und der Tschechoslowakei, Ungarn usw. vertrieben worden waren, wie es das Potsdamer Abkommen zugelassen hatte. Diese ethnische Säuberung war so human, dass nur 7.3 Mio. Menschen an ihrem Zielort innerhalb der Nachkriegsgrenzen Deutschlands eintrafen, der Rest ‘verschwand’ unter den schrecklichsten Bedingungen. Zweitens unter den deutschen Kriegsgefangenen, die infolge der Hungersnot und der Lebensbedingungen in den Gefangenenlagern der Alliierten starben - eine Gesamtzahl von 1.5-2 Mio. Menschen. Schließlich unter der Bevölkerung allgemein, die mit einer Lebensmittelration von 1000 Kalorien pro Tag auskommen mußte, womit der sichere Hungertod und Krankheiten vorprogrammiert waren. 5.7 Mio. starben unter diesen Umständen.

Das volle Ausmaß dieser unvorstellbaren Barbarei bleibt das best gehütete Geheimnis des demokratischen Imperialismus. Selbst die deutsche Bourgeoisie vertuscht bis heute diese Tatsachen, so dass man sie nur mühselig durch Nachforschungen zusammentragen kann, indem man Ungereimtheiten in den offiziellen Statistiken und Berichten aufdeckt. Zum Beispiel schätzt man die Zahl der Zivilisten, die während dieses Zeitraums starben, unter anderem anhand des gigantischen Rückgangs der Bevölkerungszahl, die durch die Volkszählung in Deutschland 1950 ermittelt wurde. Die Rolle des demokratischen Imperialismus bei dieser Auslöschungskampagne wurde nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Öffnung der sowjetischen Archive ein wenig mehr erhellt. Für einen Großteil des Bevölkerungsrückgangs, der zuvor vom Westen der UdSSR angekreidet worden waren, erweist sich nun der Westen verantwortlich: viel mehr Kriegsgefangene starben beispielsweise in den Kriegsgefangenenlagern der Westmächte als in denen der sowjetisch besetzten Zone. Ihr Tod wurde einfach nicht registriert oder unter anderen ‘Ursachen’ verbucht. Das Ausmaß dieses Abschlachtens ist nicht überraschend, wenn man sich die Bedingungen vergegenwärtigt: vielen Gefangenen wurde kein Essen und kein Dach über dem Kopf angeboten, aus den Krankenhäusern Entlassene verstarben schnell, nachts wurden viele mit Maschinenpistolen willkürlich erschossen, weil man ‘Spaß am Schießen hatte’, oder sie kamen um in den Höhlen, die sie aus Schutz vor der Kälte gegraben hatten, welche von Planierraupen niedergewalzt wurden. Strafgefangene durch Zivilisten zu ernähren, wurde als Schwerverbrechen bestraft (4).

Das Ausmaß der Aushungerung der Zivilbevölkerung, nach dem Krieg zählte man allein 7.5 Millionen Menschen als obdachlos, kann auch aus den Rationen erlesen werden, die ihnen von den westlichen Besatzungsmächten zugestanden wurden. In der französischen Besatzungszone, wo die Lage am schlimmsten war, betrug 1947 die Ration 450 Kalorien pro Tag, die Hälfte der Ration des berühmt-berüchtigten KZ’s in Bergen-Belsen. Nichtsdestotrotz verzeichneten die Militärbehörden normale Sterbezahlen in den von ihnen kontrollierten Gebieten, weshalb man davon ausgehen muß, dass die Sterblichkeitsrate vermutlich doppelt so hoch lag.

Die westliche Bourgeoisie stellt diese Zeit als eine ‘Anpassungsphase’ für die deutsche Bevölkerung nach den unvermeidlichen Kriegsschrecken des 2. Weltkriegs dar. Die Entbehrungen waren eine ‘natürliche’ Folge der Zerrüttungen nach dem Krieg. Auf jeden Fall, so argumentiert die Bourgeoisie, verdiente die deutsche Bevölkerung solch eine Behandlung als Vergeltung für die Auslösung des Krieges und um so für die Kriegsverbrechen des Nazi-Regimes zu sühnen. Dieses ‘Vergeltungs- argument’ ist besonders heuchlerisch aufgrund mehrerer Faktoren. Erstens, weil die vollständige Zerstörung des deutschen Imperialismus ohnehin schon ein Kriegsziel der Alliierten war, bevor sie beschlossen, das ‘große Alibi’ der Konzentrationslager - Auschwitz- als Rechtfertigung zu benutzen. Zweitens: diejenigen, die direkt für den Nationalsozialismus und seine imperialistischen Ziele verantwortlich waren - die deutsche Bourgeoisie - gingen relativ unversehrt aus dem Krieg und seinen Folgen hervor. Während viele führenden Gestalten bei den Nürnberger Prozessen verurteilt wurden, wurde die Mehrzahl der Naziführer und Funktionäre ‘umgesattelt’, und sie konnten im neuen demokratischen Staat, den die Alliierten geschaffen hatten, neue Stellen übernehmen (5). Das deutsche Proletariat hingegen, das am meisten unter der Politik der Alliierten in der Nachkriegszeit litt, trug keine Verantwortung für das Naziregime: die Arbeiter in Deutschland waren die ersten Opfer gewesen. Die alliierte Bourgeoisie, die Hitlers Niederschlagung der Arbeiterklasse nach 1933 unterstützt hatte, zielte auf eine ganze Generation von Arbeitern in Deutschland während und nach dem Krieg, nicht weil sie wegen der Hitlerära Vergeltung üben wollten, sondern weil sie das Gespenst der deutschen Revolution bannen wollten, das sie aus der Zeit nach dem 1. Weltkrieg verfolgte.

Erst als die mörderischen Ziele erreicht waren, und als der US-Imperialismus begriff, dass die Erschöpfung Europas nach dem Krieg die Vorherrschaft Russlands über den ganzen Kontinent herbeiführen könnte, wurde die Politik von Potsdam geändert. Der Wiederaufbau Westeuropas erforderte den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft. Dann konnte der Reichtum der USA, der zum Teil durch die Reparationsleistungen und Plünderungen in Deutschland weiter angeschwollen war, für den Marshall-Plan verwendet werden, um zu helfen, die Bastion Europa zu errichten, die später zum westlichen Block werden sollte. Die Berliner Luftbrücke von 1948 sollte das Symbol dieses Strategiewechsels sein.

Es handelte sich nicht um ein Symbol wirklichen Wohlwollens, sondern es war ein zynischer Trick des Imperialismus, um die Spuren seiner Verbrechen zu verwischen und gleichzeitig die Bevölkerung für neue Katastrophen vorzubereiten und dieselben zu rechtfertigen.

Die Verbrechen des Imperialismus in ihrer stalinistischen und faschistischen Form sind gut bekannt. Wenn die Verbrechen des demokratischen Imperialismus der Weltarbeiterklasse besser bekannt sind, dann wird das Ausmaß der welthistorischen Aufgabe des Proletariats besser zu erkennen sein. Es wundert nicht, wenn die Bourgeoisie die Erkenntnisse und Positionen der Kommunistischen Linke zu dieser Frage mit den Lügen der Extremen Rechten und dem ‘Negationismus’ in einen Topf zu schmeissen sucht. Die Bourgeoisie möchte die Tatsache verheimlichen, dass Völkermord keine abscheuliche Ausnahme ist, die von verrückten und teuflischen Menschen begangen wird, sondern die generelle Herrschaft der Geschichte des dekadenten Kapitalismus ist. Como

(nach einem Artikel aus International Review Nr. 95 (engl./franz./span. Ausgabe)

(1) Internationale Revue, Nr. 19: Hiroshima, Die Lügen der Bourgeoisie, engl. Ausgabe Internationale Revue Nr. 88: Der Antifaschismus rechtfertigt die Barbarei, Nr. 89: Die Alliierten und Nazis sind beide verantwortlich für das Holocaust

(2) Siehe ‘The Strategic Air War Against Germany 1939-45, Der offizielle Bericht der britischen Bombereinheiten, der jetzt erst veröffentlicht wurde.

(3) Herman Van der Wee, Prosperity and Upheaval, Pelican 1987,

(4) James Bacque, Crimes and Mercies, The Fate of German Civilians Under Allied Occupation 1945-50. Warner Books

(5) Tom Bower, Blind Eye to Murder

 

Die internationale Bedeutung des Generalstreiks in Frankreich - Teil 4

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In den meisten Büchern und Fernsehsendungen, die sich in der letzten Zeit mit dem Thema Mai 1968 befassten, wird der internationale Charakter der Studentenbewegung, welche in Frankreich zu jener Zeit im Gange war, unterstrichen. Es herrscht, wie wir auch in früheren Artikeln festgestellt haben, Einverständnis darüber, dass die Studenten in Frankreich nicht die ersten waren, die massiv auf den Plan traten. Sie waren sozusagen auf den fahrenden Zug aufgesprungen, welcher in den US-amerikanischen Universitäten im Herbst 1964 in Gang gesetzt wurde. Von den USA ausgehend, hatte diese Bewegung die meisten westlichen Ländern erfasst und dabei in Deutschland 1967 seinen spektakulärsten Höhepunkt erlebt, was die Studenten in Deutschland zu einem "Bezugspunkt" für die Studenten Europas machte. Aber die gleichen Journalisten oder „Historiker“, die vorbehaltlos das internationale Ausmaß der Studentenproteste Ende der 1960er Jahre unterstreichen, hüllen sich in allgemeines Schweigen über die Arbeiterkämpfe, die damals weltweit stattfanden. Natürlich können sie den gewaltigen Streik, der den wichtigsten Moment der Ereignisse des Jahres 1968 in Frankreich darstellt, nicht einfach ausblenden und schweigend darüber hinweggehen. Aber wenn sie sich dazu äußern, dann nur, um zu sagen, die Bewegung der Arbeiter sei eine auf Frankreich beschränkte Ausnahmeerscheinung, gewesen.

 

In Wirklichkeit war die Bewegung der Arbeiterklasse in Frankreich ebenso wie die der Studenten, Teil einer internationalen Bewegung, und sie kann auch nur im internationalen Kontext verstanden werden. Dies wollen wir unter anderem im folgenden Artikel aufzeigen.

 

Die französische "Besonderheit"

Es stimmt, dass die Lage in Frankreich im Mai 1968 eine besondere war, die in keinem anderen Land in dem Ausmaß vorzufinden war, allenfalls marginal: eine massive Bewegung der Arbeiterklasse, die sich von der Studentenbewegung ausgehend entwickelt hatte. Es ist offensichtlich, dass die Mobilisierung der Studenten, die danach einsetzende Repression – welche Ersteree wiederum anfachte – sowie das Zurückweichen der Regierung nach der "Nacht der Barrikaden" (2) vom 10. auf den 11. Mai eine Rolle nicht nur bei der Auslösung der Arbeiterstreiks, sondern auch beim Ausmaß derselben gespielt haben. Aber wenn die Arbeiterklasse in Frankreich solch eine Bewegung ausgelöst hat, dann geschah dies nicht, weil sie "dem Beispiel der Studenten folgen" wollte, sondern weil in ihren eigenen Reihen eine tiefe und weit verbreitete Unzufriedenheit, aber auch die politische Kraft herrschte, um solch einen Kampf aufzunehmen.

Dieser Tatbestand wird in der Regel durch die Bücher und Fernsehprogramme, welche sich mit Mai 68 befassten, nicht verheimlicht. Es wird oft in Erinnerung gerufen, dass die Arbeiter von 1967 an wichtige Kämpfe geführt haben, die sich in vielem von der Zeit davor unterschieden. Während die kleinen, harmlosen Streiks und die gewerkschaftlichen Aktionstage keine große Begeisterung hervorriefen, flammten nunmehr sehr heftige Konflikte auf, mit einer großen Entschlossenheit der Beschäftigten, die mit einer gewaltsamen Repression durch die Arbeitgeber und die Polizei konfrontiert wurden und unter denen die Gewerkschaften mehrfach die Kontrolle verloren hatten. So kam es schon Anfang 1967 zu größeren Zusammenstößen in Bordeaux (im Flugzeugwerk Dassault), in Besançon und in der Gegend von Lyon (Streik und Besetzung in Rhodia, Streik bei Berliet mit anschließender Aussperrung der Arbeiter durch die Arbeitgeber und Besetzung des Werkes durch die Bürgerkriegspolizei CRS), in den Bergwerken Lothringens, in den Schiffswerften von Saint-Nazaire (die am 11. April durch einen Generalstreik lahmgelegt wurden).

In Caen in der Normandie fanden die wichtigsten Kämpfe der Arbeiterklasse vor dem Mai 1968 statt. Am 20. Januar 1968 hatten die Gewerkschaften von Saviem (LKW-Hersteller) zu einem anderthalbstündigen Streik aufgerufen, aber die Gewerkschaftsbasis, die diese Maßnahme als unzureichend betrachtete, trat am 23. Januar spontan in den Streik. Am übernächsten Tag, um 4.00h morgens, griff die CRS die Streikposten an und vertrieb sie, um den Managern und den Streikbrechern den Zugang zur Fabrik zu ermöglichen. Die Streikenden beschlossen, in das Stadtzentrum zu ziehen, wo sich ihnen Arbeiter anderer Betriebe anschlossen, die ebenfalls in den Streik getreten waren. Um acht Uhr morgens bewegten sich ca. 5.000 Menschen friedlich auf das Stadtzentrum zu, bis sie von der Bürgerkriegspolizei brutal angegriffen wurden. So schlugen diese mit ihren Gewehrkolben auf die Demonstranten ein. Am 26. Januar bekundeten Beschäftigte aus allen Bereichen (unter ihnen Lehrer) wie auch viele Studenten ihre Solidarität. An einer Solidaritätsveranstaltung um 18 Uhr auf dem Marktplatz beteiligten sich ca. 7.000 Menschen. Am Ende der Veranstaltung griff die CRS erneut an, um den Platz zu räumen – aber sie wurde vom heftigen Widerstand der Arbeiter überrascht. Die Zusammenstöße dauerten die ganze Nacht. Über 200 Menschen wurden verletzt, Dutzende verhaftet. Sechs junge Demonstranten, alles junge Arbeiter, wurden zu Haftstrafen von 15 Tagen bis zu drei Monaten verurteilt. Aber anstatt die Kampfbereitschaft der Arbeiter zu schwächen und diese zurückzudrängen, bewirkte diese Repression nur die weitere Ausdehnung der Bewegung. Am 30. Januar zählte man ca. 15.000 Streikende in Caen. Am 2. Februar wurden die staatlichen Behörden und die Arbeitgeber zum Rückzug gezwungen. Die Strafverfolgungen gegen die Demonstranten wurden fallengelassen; die Löhne wurden um drei bis vier Prozent angehoben. Am nächsten Tag nahmen die Beschäftigten die Arbeit wieder auf, aber unter dem Druck der jungen Beschäftigten kam es mindestens noch einen Monat lang zu weiteren Arbeitsniederlegungen bei Saviem.

Doch Saint-Nazaire im April 67 und Caen im Januar 68 waren nicht die einzigen von Generalstreiks betroffenen Städte. Auch in anderen, weniger großen Städten wie Redon im März, Honfleur im April kam es zu größeren Streiks. Diese massiven Streiks aller Beschäftigten einer Stadt sollten einen Vorgeschmack von dem liefern, was im Mai im ganzen Land passieren sollte.

Deshalb kann man nicht behaupten, dass das Gewitter des Mai 68 wie ein Blitz aus heiterem Himmel erfolgt war. Die Studentenbewegung hatte etwas angezündet, das längst bereit war zu brennen.

Natürlich haben die "Spezialisten", insbesondere die Soziologen, versucht, die Ursachen dieser "Ausnahme" Frankreich aufzuzeigen. Sie haben vor allem auf die hohen Wachstumszahlen der Industrie in Frankreich während der 1960er Jahre verwiesen, wodurch das alte, landwirtschaftlich geprägte Land zu einem modernen und mächtigen Industriestaat wurde. Diese Tatsache erkläre das Auftreten und die Rolle einer großen Zahl von jungen Arbeitern, die in Fabriken angestellt waren, die oft erst kurz zuvor errichtet worden waren. Diese jungen Arbeiter, die häufig vom Land kamen, seien meistens nicht gewerkschaftlich organisiert gewesen; auch seien sie schlecht mit der Kasernendisziplin in den Betrieben zurechtgekommen, zudem sie trotz ihrer Berufsausbildung meist lächerlich geringe Löhne erhielten.

So lässt sich erklären, warum die jüngsten Mitglieder der Arbeiterklasse als erste den Kampf aufgenommen haben, und auch, warum die meisten wichtigen Bewegungen, die dem Mai 1968 vorhergingen, in Westfrankreich ausgelöst wurden: Diese Region wurde erst relativ spät industrialisiert. Aber die Erklärungen der Soziologen vermögen nicht zu erklären, warum nicht nur die jungen Arbeiter 1968 in Streik getreten sind, sondern die große Mehrheit der ganzen Arbeiterklasse, d.h. quer durch alle Generationen, gestreikt hat.

Die internationale Bedeutung der Streiks im Mai 1968 in Frankreich

Hinter einer solch tiefgreifenden und weitreichenden Bewegung wie die des Mai 68 steckten notwendigerweise tiefergehende Ursachen, die weit über Frankreich hinausreichten. Die gesamte Arbeiterklasse Frankreichs ist damals faktisch in einen Generalstreik getreten, da alle Teile der Arbeiterklasse mittlerweile von der Wirtschaftskrise erfasst worden waren, die 1968 erst in ihrer Anfangsphase steckte. Diese Krise war aber keineswegs auf Frankreich beschränkt, sondern erfasste den Weltkapitalismus insgesamt. Die Auswirkungen dieser weltweiten Wirtschaftkrise in Frankreich (Anstieg der Arbeitslosigkeit, Lohnstopps, Produktivitätserhöhungen, Angriffe auf die Sozialleistungen) liefern die Haupterklärung für den Anstieg der Kampfbereitschaft in Frankreich 1967: „In allen Industriestaaten Europas und in den USA stieg die Arbeitslosigkeit an und die wirtschaftlichen Aussichten verschlechterten sich. England, das trotz einer Vielzahl von Maßnahmen zur Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts Ende 1967 dazu gezwungen war, das Pfund abzuwerten, löste eine Reihe von Abwertungen vieler anderer Währungen aus. Die Regierung Wilson kündigte ein außergewöhnliches Sparprogramm an: massive Kürzung der Staatsausgaben (...), Lohnstopps, Einschränkung der Binnennachfrage und der Importe, besondere Anstrengungen zur Ankurbelung der Exporte. Am 1. Januar 1968 schrie Johnson [der damalige US-Präsident] Alarm und kündigte unumgängliche harte Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen Gleichgewichts an. Im März brach die Dollarkrise aus. Die Tag für Tag pessimistischere Wirtschaftspresse erwähnte immer öfter das Gespenst der Wirtschaftskrise von 1929 […] Die ganze Bedeutung des Mai 1968 lag darin, eine der ersten und größten Reaktionen der Arbeiter gegen eine sich weltweit verschlechternde wirtschaftliche Lage gewesen zu sein“ (Révolution Internationale - alte Reihe, Nr. 2, Frühjahr 1969).

Tatsächlich haben besondere Umstände dazu geführt, dass der erste große Kampf der Arbeiterklasse gegen die Angriffe der Kapitalisten, die später an Schärfe noch zunehmen sollten, in Frankreich ausgefochten wurde. Doch sehr schnell traten auch Arbeiter anderer Länder in den Kampf. Den gleichen Ursachen folgten die gleichen Wirkungen.

Am anderen Ende der Welt, in Cordoba (Argentinien), kam es im Mai 1969 zu dem, was später als „Cordobazo“ in die Geschichte eingehen sollte. Nach einer ganzen Reihe von Arbeitermobilisierungen in vielen Städten gegen die brutalen wirtschaftlichen Sparmaßnahmen und die Repression durch das Militärregime hatten Polizei und Armee am 29. Mai die Kontrolle verloren, obwohl Letztere sogar Panzer aufgeboten hatte. Die Arbeiter hatten die zweitgrößte Stadt des Landes übernommen. Die Regierung konnte die „Ordnung“ am folgenden Tag nur dank des massiven Einsatzes des Militärs wiederherstellen.

In Italien begannen zum gleichen Zeitpunkt die größten Arbeiterkämpfe seit dem II. Weltkrieg. Bei Fiat in Turin legten mehr und mehr Arbeiter die Arbeit nieder, zunächst im größten Werk der Stadt, bei Fiat-Mirafiori, ehe die Bewegung dann die anderen Werke in Turin und Umgebung erreichte. Während eines gewerkschaftlichen Aktionstages am 3. Juli 1969 gegen die Mietpreiserhöhungen zogen demonstrierende Arbeiter, denen sich Studenten anschlossen, zum Mirafiori-Werk. Die Polizei griff daraufhin die Demonstrierenden gewalttätig an. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen hielten die ganze Nacht an und dehnten sich auf andere Stadtviertel aus.

Ab Ende August, als die Arbeiter aus ihrem Sommerurlaub zurückkehrten, kam es erneut zu Arbeitsniederlegungen – dieses Mal jedoch auch bei Pirelli (Reifenhersteller) in Mailand und in vielen anderen Betrieben.

Doch die italienische Bourgeoisie, die aus der Erfahrung des Mai 68 gelernt hatte, ließ sich im Gegensatz zu der französischen Bourgeoisie nicht überraschen. Sie versuchte mit aller Macht zu verhindern, dass die spürbare, starke gesellschaftliche Unzufriedenheit zu einem gesellschaftlichen Flächenbrand ausuferte. Deshalb versuchte der zu ihren Diensten stehende Gewerkschaftsapparat, die anstehenden Tarifverhandlungen, insbesondere in der Metallindustrie, in der Chemiebranche und im Baugewerbe, auszunutzen, um Spaltungsmanöver durchzuführen, mit denen die Arbeiter dazu veranlasst werden sollten, für „gute Abschlüsse“ in ihrer jeweiligen Branche zu kämpfen. Die Gewerkschaften verfeinerten die Taktik der „Schwerpunktstreiks“: An einem Tag streikten die Metaller, an einem anderen die Beschäftigten der chemischen Industrie, an einem dritten die des Baugewerbes. Man rief auch zu „Generalstreiks“ auf, aber diese sollten jeweils auf eine Provinz oder eine Stadt beschränkt bleiben. Sie richteten sich gegen die Preiserhöhungen oder Mietpreissteigerungen. In den Betrieben selbst plädierten die Gewerkschaften für rotierende Streiks; eine Abteilung nach der anderen sollte die Arbeit niederlegen. Dies geschah unter dem Vorwand, so dem Arbeitgeber den größtmöglichen Schaden zuzufügen und für die Streikenden den Schaden so gering wie möglich zu halten. Gleichzeitig unternahmen die Gewerkschaften alles, um die Kontrolle über eine Basis wiederherzustellen, die ihnen immer mehr entglitt. Nachdem die Arbeiter in vielen Betrieben aus Unzufriedenheit mit den traditionellen Gewerkschaftsstrukturen Vertrauensleute wählten, wurden diese postwendend als „Fabrikräte“ institutionalisiert, die die „Basisorgane“ der Einheitsgewerkschaft sein sollten, welche die drei Gewerkschaftsverbände CGIL, CISL und UIL gemeinsam gründen wollten.

 

Nach mehreren Monaten, während derer die Kampfbereitschaft durch eine Reihe von „Aktionstagen“ erschöpft wurde, die jeweils voneinander abgeschottet in verschiedenen Branchen und Städten stattfanden, wurden zwischen Anfang November und Ende Dezember die Tarifverträge Zug um Zug unterzeichnet. Und schließlich explodierte am 12. Dezember - wenige Tage vor dem Abschluss des Tarifvertrages in der bedeutendsten Branche, der privaten Metallindustrie, wo die Arbeiter am radikalsten gekämpft hatten - eine Bombe in einer Mailänder Bank. Dabei kamen 16 Menschen ums Leben. Das Attentat wurde Anarchisten in die Schuhe geschoben (einer von ihnen, Giuseppe Pinelli, starb in den Händen der Mailänder Polizei), aber viel später stellte sich heraus, dass das Attentat von gewissen Kreisen des Staatsapparates angezettelt worden war. Die geheimen Strukturen des bürgerlichen Staates leisteten so den Gewerkschaften Hilfestellung, um für Verwirrung in den Reihen der Arbeiter zu sorgen, während gleichzeitig ein Vorwand für die Verstärkung des Repressionsapparates gefunden worden war.

Das Proletariat Italiens war jedoch nicht das einzige, das sich im Herbst 1969 regte. In geringerem Maße traten auch die Arbeiter in Deutschland auf den Plan; im September 1969 kam es zu wilden Streiks gegen die von den Gewerkschaften unterzeichneten Tarifabschlüsse der Lohndämpfung. Diese Tarifabschlüsse wurden von den Gewerkschaften in Anbetracht der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland als „realistisch“ gelobt. Die Wirtschaft in Deutschland war trotz des Wirtschaftswunders von den zunehmenden Schwierigkeiten der Weltwirtschaft seit 1967 nicht verschont geblieben – 1967 rutschte Deutschland zum ersten Mal seit dem II. Weltkrieg in die Rezession ab.

Auch wenn dieses Wiedererwachen der Arbeiterklasse in Deutschland noch sehr verhalten war, kam diesem eine besondere Bedeutung zu. Auf der einen Seite handelt es sich um den zahlenmäßig größten und konzentriertesten Teil der Arbeiterklasse in Europa. Aber vor allem hat die Arbeiterklasse in Deutschland in der Geschichte eine herausragende Stellung innerhalb der Weltarbeiterklasse eingenommen – und diesen Platz wird sie auch in Zukunft einnehmen. In Deutschland war der Ausgang der internationalen revolutionären Welle von Kämpfen, die von Oktober 1917 in Russland an die kapitalistische Herrschaft auf der ganzen Welt bedroht hatte, infragestellt worden. Die von den Arbeitern in Deutschland erlittene Niederlage nach ihrem revolutionären Ansturm zwischen 1918-1923 hatte der schrecklichsten Konterrevolution, die die Weltarbeiterklasse jemals erlebt hatte, den Weg bereitet. Dort, wo die Revolution am weitesten gediehen war, in Deutschland und Russland, hatte die Konterrevolution die schlimmsten und barbarischsten Formen angenommen: Stalinismus und Naziherrschaft. Diese Konterrevolution hatte fast ein halbes Jahrhundert gedauert und erlebte ihren Gipfelpunkt im II. Weltkrieg, der es im Gegensatz zum I. Weltkrieg dem Proletariat nicht ermöglicht hatte, sein Haupt zu erheben, sondern seine Niederlage nur verschärft hatte, insbesondere durch die durch den Sieg der „Demokratie“ und des „Sozialismus“ entstandenen Illusionen.

Die gewaltigen Streiks des Mai 1968 in Frankreich, schließlich der „Heiße Herbst“ in Italien hatten den Beweis erbracht, dass die Weltarbeiterklasse die Zeit der Konterrevolution überwunden hatte. Die Kämpfe der Arbeiter in Deutschland im September 1969 bestätigten dies später, und in einem noch größeren Maße taten dies auch die Kämpfe der polnischen Arbeiter aus den Ostseestädten im Winter 1970-71. Die polnischen Behörden waren, nachdem sie es zunächst mit brutaler Repression (mehr als 300 Tote) versucht hatten, zu Konzessionen gezwungen – insbesondere zur Rücknahme der Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel, welche die Arbeiter auf den Plan gerufen hatten. Die stalinistischen Regimes waren die schlimmste Verkörperung der Konterrevolution gewesen. Im Namen des „Sozialismus“ und im „Interesses der Arbeiterklasse“ wurde die schrecklichste Terrorherrschaft ausgeübt. Der „heiße“ Winter der polnischen Arbeiter 1970-71 bewies, dass selbst dort, wo die Konterrevolution in Gestalt der „sozialistischen“ Regimes immer noch das Zepter in der Hand hielt, ein Durchbruch erzielt worden war.

Wir können an dieser Stelle nicht alle Arbeiterkämpfe aufzählen, die nach 1968 stattgefunden haben und diese grundlegende Umwälzung des Kräfteverhältnisses zwischen den beiden Klassen Bourgeoisie und Proletariat auf Weltebene bewirkt haben. Wir wollen stellvertretend nur zwei Beispiele erwähnen: Spanien und England.

Trotz einer wütenden Repression, die vom Franco-Regime ausgeübt wurde, hielt die Kampfbereitschaft der Arbeiter noch bis 1974 massiv an. In Pamplona, Navarra, überstieg die Zahl der Streiktage pro Arbeiter noch die der französischen Arbeiter 1968. Alle Industriegebiete (Madrid, Asturien, Baskenland) wurden erfasst. In den großen Arbeiterzusammenballungen der Vororte von Barcelona dehnten sich die Streiks am weitesten aus. Fast alle Betriebe der Region wurden bestreikt. Es kam zu exemplarischen Solidaritätsstreiks (oft begannen Streiks in einem Werk ausschließlich aus Solidarität mit den Beschäftigten anderer Betriebe).

Das Beispiel des englischen Proletariats ist ebenfalls sehr aufschlussreich, denn hier handelte es sich um das älteste Proletariat der Welt. Während der 1970er Jahre fanden dort massive Kämpfe gegen die Ausbeutung statt (1979 wurden mehr als 29 Millionen Streiktage registriert, die englischen Arbeiter standen in der Streikstatistik an zweiter Stelle hinter den französischen Arbeitern mit ihren Streiks 1968). Diese Kampfbereitschaft zwang die englische Bourgeoisie zweimal dazu, sogar ihren Premierminister auszutauschen: Im April 1976 wurde Callaghan durch Wilson ersetzt, und Anfang 1979 wurde Callaghan durch das Parlament abgesetzt.

So liegt die grundlegende historische Bedeutung des Mai 68 weder in den „französischen Besonderheiten“ noch in der Studentenrevolte, ebensowenig in der heute so viel gepriesenen ‚Revolution der Sitten?’, sondern darin, dass die Weltarbeiterklasse die Konterrevolution überwunden hatte und in einen neuen historischen Zeitraum von Zusammenstößen mit der kapitalistischen Ordnung eingetreten war. Diese neue Periode zeichnet sich ebenso dadurch aus, dass sich politisch-proletarische Strömungen, welche von der Konterrevolution praktisch eliminiert oder zum Schweigen gebracht worden waren, neu entwickelt haben, darunter die IKS. Darauf werden wir in einem weiteren Artikel eingehen. Fabienne (1.06.2008)

<!--[if !supportLists]-->(1) <!--[endif]-->Mai 68: Die Studentenbewegung in Frankreich und auf der Welt (1+2), ‚Mai 68: Das Wiedererwachen der Arbeiterklasse“, in Weltrevolution Nr. 146,147,148

<!--[if !supportLists]-->(2) <!--[endif]-->Siehe dazu unseren Artikel „Mai 68: Die Studentenbewegung in Frankreich und auf der Welt“ in Weltrevolution Nr. 147

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Mai 68 weltweit [1]
  • Mai 68 Arbeiterkämpfe [2]

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • Mai 1968 in Frankreich [3]

Historische Ereignisse: 

  • Mai 68 Arbeiterkämpfe [4]

Die weltweite Wirtschaftskrise verlangt eine weltweite Reaktion

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Die Weltwirtschaftskrise kam aus dem Westen, aus Amerika, damals im Jahr 1929. Sie brachte unbeschreibliche Armut, Verzweifelung und den Zweiten Weltkrieg. Damals. Knapp vierzig Jahre später, in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre, warf eine erneute Weltwirtschaftskrise ihren Schatten voraus: Krise des Dollars und des Pfundes, Rezession in Deutschland 1967. Wie damals in 1929 begann die Erschütterung der Welt im Herzen des kapitalistischen Systems. Diesmal kam aber Hilfe aus dem Westen. Unter der Führung der Vereinigten Staaten wurden die Spielregeln der Weltwirtschaft justiert. Anders als 1929 griffen die bürgerlichen Staaten sofort und entschlossen ein, begleiteten die Krise mit Lenkungs- und Stützungsmaßnahmen. Sie begleiten sie bis heute. Anders als 1929 handelten die Hauptakteure der „Staatengemeinschaft“ auch gemeinsam. Überwinden konnten sie die Krise damit nicht. Aber sie konnten ihr Fortschreiten verlangsamen. Auch konnten sie erreichen, dass die schlimmsten Folgen auf die „Peripherie“, auf die schwächeren Konkurrenten abgewälzt wurden. Dort wütete immer unerbittlicher Hungertod, Bürgerkrieg, Chaos. Und wenn periodische Fieberzuckungen den angeschlagenen Körper des Kapitalismus zerrütteten und dabei bedeutende Industriestaaten zumindest zeitweise zur Strecke brachten, dann waren es nicht die alten Zentren, sondern die aufstrebenden Hoffnungsträger in Lateinamerika oder Asien. Ein Hauptopfer: 1989 die stalinistischen Regime des Ostblocks.

 

Die Krise geht vom Zentrum aus

Die Ursache all dieser Krisen ist der Kapitalismus. Diese Art von Krise geht vom Zentrum des Systems aus. Gelingt es nicht, die Krise zu überwinden, so kehrt sie zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Die Verlangsamung der Wachstumsraten in Amerika, Europa und Japan seit 1967, die stetige Zunahme der Massenarbeitslosigkeit und die Verschuldung in diesen Ländern, der erzwungene Abbau des Wohlfahrtstaates, die fortschreitende Erosion des Lebensstandards der Arbeiterklasse in diesen Ländern: All das bewies, dass die Krise auch in den alten Metropolen verwaltet, aber niemals kuriert oder auch nur gelindert wurde.

Nun kommt die Krise wieder aus Amerika. Es wird sichtbar, riechbar, dass nicht nur einzelne Gliedmaßen verfaulen, sondern Herz und Niere. Das Hirn des Systems liegt im Fiebertraum.

Es begann vor einem Jahr: Immobilienkrise in den USA. Vier Mal trat seitdem die oberste Aufsichtbehörde der US Wirtschaft an die Öffentlichkeit, um erleichtert zu verkünden: Das Schlimmste liegt nun hinter uns. Während dessen wurden reihenweise amerikanische Familien auf die Straße gesetzt. Obdachlos. Reihenweise mussten Banken mit Milliardenkrediten gestützt werden. Nicht nur in Amerika. Und all die weil wurde immer unübersehbarer, dass das stolze, gierige System der Profitmacherei ein Kartenhaus geworden war. Ein Kartenhaus, auf Schuldscheinen aufgebaut. Auf Versprechungen für die Zukunft aufgebaut, die nun nicht mehr einzulösen sind. Keine Immobilienkrise allein, keine amerikanische Krise allein. Andere Begleiterscheinungen begannen die Menschheit verstärkt heimzusuchen: Inflation, Hunger in den Städten, nicht nur auf dem Lande. Hungerrevolten. Weltweit.

„Das Schlimmste liegt hinter uns“. Und dann kam der Juli 2008. Mitte des Monats brach IndyMac zusammen, die siebtgrößte Hypothekenbank der USA. Gerüchte über die Zahlungsunfähigkeit dieses Instituts hatten die Runde gemacht. Panik machte sich breit. Sparer hoben insgesamt 1,3 Milliarden Dollar quasi über Nacht ab, trieben IndyMac damit in die Insolvenz. Finanzexperten nannten das irrational. Denn der amerikanische Staat garantiert Sparguthaben bis zu 100.000 Dollar bzw. Pensionsrücklagen bis zu 250.000 Dollar pro Person. Man sieht also, welches Vertrauen der Sparer in die Versprechungen der Regierung der Vereinigten Staaten heute noch hat.

Es ist der größte Bankencrash in den USA seit 24 Jahren, der zweitgrößte überhaupt. „Dies ist ein riesiges Desaster“. So der demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama.

Dann wurde bekannt, dass der Washington Mutual, die größte Sparkasse der USA, ein Verlust von 26 Milliarden Dollar droht.

In derselben Woche spitzte sich die Angst vor einer „Schieflage“ der staatlich geförderten Institute Fannie Mae und Freddie Mac zu. Geschaffen, um auch den „Unterschichten“ sprich der Arbeiterklasse den „Traum“ von den „eigenen vier Wänden“ zu ermöglichen, garantieren oder besitzen diese beiden Banken rund die Hälfte der amerikanischen Hypotheken.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung erläutert:

„Wegen der fallenden Häuserpreise in den Vereinigten Staaten können Hypothekenschuldner zunehmend ihre Raten nicht mehr zahlen. Die Folge: Der Wert sowohl der Darlehen als auch der mit Hypotheken bescherten Anleihen in den Portfolios von Fannie Mae und Freddie Mac sinkt. Könnten sich Hypothekenbanken nicht mehr wie bisher bei Fannie und Freddie refinanzieren, bräche der angeschlagene Häusermarkt zusammen. Das hätte katastrophale Auswirkungen auf die amerikanische und die globale Konjunktur. Eine Schieflage der Unternehmen könnte das weltweite Finanzsystem auch deshalb erschüttern, weil zahlreiche Notenbanken und Investoren weltweit in Anleihen von Fannie und Freddie investiert sind.“ (FAZ, 16.7.2008).

Also musste Washington wieder mit neuen Staatsgarantien einspringen. Müsste aber der Staat tatsächlich die Haftung für jene 5 Billionen übernehmen, die in den Büchern von Fannie und Freddie stehen, so würde dies das US-Budgetdefizit verdoppeln.

„Ein Gefühl wirtschaftlichen Untergangs hat Washington ergriffen.“, so die New York Times.

Indessen gab am 16. Juli der Herold Tribune bekannt, dass die angeblich amerikanische Krise nun Europa voll erfasst hat. Spanien, Irland, Dänemark taumeln schon in die Rezession. Großbritannien angeschlagen. Italien stolpert. Frankreich stagniert. Sogar Deutschland verkündet den Anfang vom Ende des Wachstums. Auch das europäische Kapitel dieses Dramas hat einen Namen: Martinsa-Fadesa. Die größte Immobiliengesellschaft Spaniens musste Insolvenz anmelden.

Fannie, Freddie, Martinsa: Diese Namen werden in die Geschichte eingehen.

Die Aussichten für Deutschland kommentierte die oben zitierte FAZ so:

„Alle Indikatoren der jüngsten Zeit belegen, dass auch die bisher robuste deutsche Wirtschaft leiden wird. Man würde gerne eine optimistische Prognose wagen. Aber es sieht nicht gut aus.“

Die Entwicklung in Deutschland ist kaum weniger bedeutsam als die in den USA. Denn Deutschland ist spezialisiert auf die Produktion von Produktionsmitteln, von hochwertigen Maschinen für die Industrie in aller Welt. Spezialmaschinen sind keine Massenware, sondern müssen länger im Voraus bestellt werden. Deutschland soll derzeit für rund die Hälfte des Wachstums in der Europäische Union verantwortlich zeichnen. Die Auftragsbücher der Maschinenbaubranche sind voll. Aber die Auskünfte der Branche ab 2009 sprechen eine deutliche Sprache. Es geht bergab. Wie 1929, wie 1967, liefern Amerika und Deutschland wesentliche Krisenindikatoren.

 

Konsequenzen für den Klassenkampf

Was bedeutet das für den Klassenkampf? Der Kampf der Arbeiterklasse befindet sich weltweit im Aufschwung. In einem Land wie Deutschland, wo die Wirtschaft von der Gunst der Stunde profitierte, waren die Herrschenden durch geringfügige Zugeständnisse bei den Tarifrunden im Frühjahr noch imstande, eine sich zusammenbrauende Streikwelle zu zersplittern und aufzulösen. Jedoch wurden diese Zugeständnissen buchstäblich binnen Wochen zunichte gemacht durch die grassierende Verteuerung. Die sich abzeichnende Rezession der Weltwirtschaft wird außerdem neue Wellen von Entlassungen mit sich bringen. Die Ankündigungen von brutalen Einschnitten bei General Motors in den USA und bei Siemens in Deutschland, welche Beschäftigten weltweit treffen werden, sind nur der Anfang.

Die Kampfeswelle wird sich intensivieren. Und sie wird weltweit sein wie noch niemals zuvor.

Schlimme, noch schlimmere Zeiten stehen den Proletariern aller Länder bevor. Aus diesem Leid, und aus den Kämpfen, die es in Reaktion darauf geben wird, können Fortschritte abgerungen werden, hin zur Wiedererstehung der „Internationale der Solidarität“, die einzige Alternative zum Wahnsinn des niedergehenden Kapitalismus.

Proletarier aller Länder, vereinigt euch! (22.07.08)

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  • Wirtschaftskrise [5]

Gegen alle Pogrome! Die Arbeiterklasse hat kein Vaterland und keine Hautfarbe

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Das Wort „Progrom“ wurde oftmals benutzt, um die antijüdischen Ausschreitungen des Mobs zurzeit des Mittelalters zu schildern, die häufig von den staatlichen Autoritäten als ein Mittel gefördert wurden, um den Zorn des Volkes von sich selbst gegen einen leicht identifizierbaren Sündenbock zu lenken. Die andauernden antisemitischen Progrome im zaristischen Russland Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts wurden als Beispiel für den äußerst rückständigen Charakter dieses Regimes dargestellt.

Doch die Progrommentalität ist heute wahrscheinlich weiter verbreitet, als sie es jemals war. Erst vor einigen Monaten verübten in Kenia nach einer umstrittenen Auszählung der landesweiten Wahlen Anhänger der Regierung und der Opposition grauenhafte Massaker an „rivalisierenden“ ethnischen Gruppen, in denen Hunderte von Menschen ihr Leben verloren und noch mehr Menschen heimatlos wurden.

Im Mai wurde das meist entwickelte Land in Afrika, Südafrika, von einer ganzen Reihe von Ausschreitungen gegen Immigranten aus den Shanty Towns von Johannesburg, Durban, Kapstadt und anderen Städten erschüttert. Zimbabwer, Mosambikaner, Kongolesen und andere Immigranten wurden an Halsringen gekettet und zu Tode gehackt, ihre Häuser in Brand gesetzt. Mehr als 40 Menschen starben bei diesen Gewaltexzessen; mindestens 15.000 verloren ihr Heim und waren oftmals gezwungen, in Kirchen und Polizeirevieren Schutz zu suchen.

„Gestern hörten wir, dass diese Sache von Warwick und vom Stadtzentrum (von Durban) ausgegangen war. Wir hörten, dass Händlern ihre Waren gestohlen wurden und dass Leute auf ihre Gesichtsfarbe hin überprüft wurden; ein Mann aus Ntusuma wurde angehalten, weil er ‚zu schwarz‘ war. Im Stadtzentrum war die Lage sehr angespannt. Letzte Nacht waren Leute in den Straßen von Umbilo auf der Suche nach ‚amakwerkwere‘ unterwegs. Menschen riefen aus ihren Wohnungen zu ihnen herunter: ‚Kommt rauf, es gibt Kongolesen hier!‘“ Stellungnahme von Abahlali baseMojondolo, einer Organisation, die ihre Basis in den Shanty Towns von Durban hat, über die fremdenfeindlichen Übergriffe (zabalaza.net [6]).

Die Rechtfertigungen für diese Angriffe waren die üblichen: Es gibt zu viele Immigranten, sie kommen hierher und nehmen uns unsere Jobs. Sie sind alle Kriminelle, Drogenhändler, Straßenräuber und Diebe.

Es liegt auf der Hand, dass diese schrecklichen Ereignisse in einer extremen Armut wurzeln, der sich die Mehrheit der Bevölkerung in Südafrika gegenübersieht und für die die „Befreiung“ von der Apartheid keine große Verbesserung in den Jobaussichten, Lohnniveaus, Wohnbedingungen und in der sozialen Sicherung gebracht hat. Wenn immer mehr Menschen, sowohl „Einheimische“ als auch jene, die vor Krieg und Terror im Kongo oder in Simbabwe geflohen waren, in unerträglich enge und gesundheitsschädigende Shanty Towns gesteckt werden, wenn die Preise von Grunderfordernissen in die Höhe schießen, ist es nicht schwer, Spannungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen anzufachen.

Doch die Progrome beschränken sich nicht auf Afrika, wo sich die Armut vermutlich von ihrer extremsten Seite zeigt. In Neapel griffen im April nach Berichten, dass ein junges Roma-Mädchen des Versuchs beschuldigt worden sei, ein Baby zu kidnappen, Ortsansässige der Vorstadt von Ponticelli zwei Wohncamps von Romas mit Molotowcocktails an und und zwangen die Bewohner dazu, Schutz bei der örtlichen Polizei zu suchen. Dies ist nur die Spitze des Eisberges: Rassistische Parteien haben an Boden gewonnen in Italien, wo die Beschuldigung, Immigranten aus Rumänien, Albanien und anderswo seien für den Anstieg in den Verbrechensstatistiken verantwortlich, zu einem probaten Mittel für Wahlerfolge geworden ist. Die gegen jegliche Immigration eingestellte Lega Nord und die „postfaschistische“ Alleanza Nazionale erzielten bei den jüngsten nationalen Wahlen beträchtliche Gewinne, nachdem sie versprochen hatten, die illegale Einwanderung anzugehen, während in Rom Gianni Alemanno, ebenfalls von der Alleanza Nazionale, zum Bürgermeister gewählt wurde, nachdem er versprochen hatte, 20.000 Menschen auszuweisen.

In Großbritannien sind gewaltsame rassistische Übergriffe noch hauptsächlich das Werk von kleinen Gruppen oder isolierten Indviduen. Doch seit nunmehr einigen Jahren hat sich allmählich eine Progromatmosphäre aufgebaut; die rechte Presse geht dabei mit ihren Artikeln voran, die Immigranten beschuldigen, „unsere Jobs wegzunehmen“ und „den Wohlfahrtsstaat auszuquetschen“, während die offiziellen Parteien untereinander wetteifern, wer am resolutesten die Einwanderung reduziert und wer am verwegensten gegen den islamischen Terrorismus ist, wobei Letzterer eng mit der Immigrationsfrage verknüpft wird. Ein besonders weit verbreitetes Element in dieser Kampagne ist das Wehklagen über die Lage der so genannten „weißen Arbeiterklasse“, die, wie uns erzählt wird, sich nicht des Gefühls erwehren könne, „Fremde im eigenen Land“ zu sein. Dies ist Musik in den Ohren solcher Gruppen wie die BNP (British Nationalist Party), die behauptet, dass die Labour Party den Kontakt zu ihren Wurzeln in der „weißen Arbeiterklasse“ verloren habe.

 

Die Gefahr für die Arbeiterklasse

Für die Arbeiterklasse gibt es nichts Schändlicheres als ein Progrom. Er ist die absolute Negation von allem, wofür die Arbeiterbewegung seit Beginn an gestanden hat: die Einheit aller ArbeiterInnen gegen die Ausbeutung, ungeachtet der Hautfarbe, des Landes oder der Religion. Dass einstige Opfer der Apartheid in Südafrika Menschen aussortieren sollten, die „zu schwarz“ sind, dass Proletarier in Italien, deren Vorfahren unter dem Faschismus gelitten hatten, in Angriffe gegen ein Hassobjekt hineingezogen werden sollen, das mindestens so alt ist wie die Juden – die „Zigeuner“: all dies sind schlimme Zeugnisse für die Macht der Ausbeuterideologie in den Köpfen der Ausgebeuteten. Sie weisen auf eine ganz reale Gefahr hin, der sich die Arbeiterklasse und all die unterdrückten Massen überall auf der Welt gegenübersehen: dass angesichts des unübersehbaren Kollapses des kapitalistischen Gesellschaftssystems das Proletariat, statt seine Kräfte gegen die herrschende Ordnung zu vereinen, sich in eine unendliche Anzahl von ethnischen und nationalen Gruppen, in Stämme oder lokale Banden spalten lässt und in eine brudermörderische Gewalt getrieben wird, die die wahren Quellen der Armut und des Elends unberührt lässt. Falls dies geschieht, gibt es nichts, was den Kapitalismus noch daran hindern könnte, in die ultimative Barbarei und Selbstzerstörung zu stürzen.

 

Was ist also die Alternative?

In Südafrika haben die Sprecher der Kirche und des Staates, Erzbischof Tutu, Präsident Mbeki und Winnie Madikizela-Mandela, die Progrome verurteilt und geäußert, dass dies ein fürchterlicher Schandfleck für Südafrikas Ruf in der Welt sei. Ja sie sagten, dass jene, die solche Verbrechen begehen, keine „wahren Südafrikaner“ seien. Doch die Antwort auf die offen rassistische Version des Nationalismus ist nicht etwa eine freundlichere, menschlichere Version des Nationalismus, da beide Abarten dazu dienen, die einzige Perspektive zu verschleiern, die wirklich eine Antwort auf die Spaltungen unter den Armen und Unterdrückten bietet: die Entwicklung einer Klassensolidarität im Kampf um die Durchsetzung von Klassenforderungen. Und wenn in einem Augenblick höchster Not Immigranten, die vor der Verfolgung fliehen, keine andere Wahl haben, als sich der Gnade der örtlichen Polizei auszuliefern, dann dürfen sie dabei nicht der Illusion aufsitzen, dass die Polizeikräfte ihnen einen wirklichen Schutz bieten können, denn schon am nächsten Tag ist es dieselbe Polizei, die die Immigranten und die Bewohner der Shanty Towns schikaniert und Gesetz und Ordnung der Bosse stärkt. Die einzig wahre Verteidigung liegt für die ArbeiterInnen in der Vereinigung mit anderen ArbeiterInnen, ob am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft, ob schwarz oder weiß, ob im Kampf gegen die Angriffe auf ihre Jobs und Löhne oder im Kampf gegen die Repression durch Polizei und rassistische Banden.

Der alte Schlachtruf der Arbeiterbewegung – „Arbeiter aller Länder, vereint Euch“ – wird heute oftmals der Lächerlichkeit preisgegeben; es wird jede Gelegenheit ergriffen, um zu behaupten, dass die Arbeitersolidarität eine aussischtslose und überholte Hoffnung sei. In den 1960er Jahren wurde die Arbeiterklasse abgeschrieben, da sie angeblich von der „Konsumgesellschaft“ gekauft worden sei. Die Ereignisse in Frankreich 1968 – der größte Massenstreik in der Geschichte – lieferte die beredtste Antwort auf jenes Argument. Und heute, wo Arbeiterkämpfe von Frankreich bis Ägypten und von Vietnam bis zu den USA erneut langsam, aber sicher einen Massencharakter annehmen, wo so viele dieser Kämpfe immer wieder die Notwendigkeit der Solidarität geltend machen und in die Praxis umsetzten (1), ist die Hoffnung einer proletarischen Alternative mit ihren Perspektiven, für eine Gesellschaft ohne Nationen oder Grenzen zu kämpfen, keineswegs aussichtslos. In der Tat ist sie die einzige Hoffnung in eine Zukunft der Menschheit, während die Versprechungen der bürgerlichen Politiker, ob offen rassistisch oder pseudo-humanistisch, nur dazu dienen, den äußersten Bankrott des Systems, das sie vertreten, zu kaschieren.

 

Fußnote:

 

(1) Bezüglich einer genaueren Schilderung einiger dieser Kämpfe siehe unsere Website: „Workers Struggles multiply all over the world“ (World Revolution, Nr. 314), „Eine Klasse, ein Kampf“ (IKSonline), „Against the world wide attacks of crisis-ridden capitalism: one working class, one class struggle“ (International Review, Nr. 132)

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  • Pogrome Südafrika [7]
  • Pogrome [8]

Mai 68 in Deutschland: Die Suche einer neuen Generation nach einer Alternative /Teil 2

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Wir haben im ersten Teil unseres Artikels zu 1968 in Deutschland aufzeigt, dass hinter der Bewegung eine breite Suche einer neuen Generation nach einer Alternative zum Kapitalismus ersichtlich wurde. Die Ablehnung des Vietnam-Krieges, die Weigerung, sich den Bedürfnissen des Kapitals widerstandslos zu unterwerfen, die aufkeimende Hoffnung auf eine andere Gesellschaft – all das waren wichtige Faktoren gewesen, die vor allem viele Jugendliche, Studenten und Arbeiter, angetrieben hatten, ihren Protest zu artikulieren.

Aber so stark man Hoffnung auf eine andere Gesellschaft geschöpft hatte, so heftig waren auch die Enttäuschung und Ratlosigkeit, als diese erste Welle von Protesten im Sommer 1968 verpuffte.

Während in Frankreich der Massenstreik der Arbeiter ein Gefühl der Solidarität, des Zusammenhaltes der Arbeiter und der Studenten in ihrem Kampf gegen die Regierung hatte aufkommen lassen, waren die Arbeiter in Deutschland im Frühjahr 1968 noch nicht massiv in Erscheinung getreten. Nach der Welle von Protesten gegen das Attentat auf Dutschke im April und den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze im Sommer 68 ebbte die studentisch beherrschte Bewegung ab. Anders als in Frankreich wurden die Studenten in Deutschland nicht sofort durch die Arbeiterklasse als Speerspitze der Kämpfe abgelöst. Erst mit den Septemberstreiks von 1969 betrat das Proletariat im größeren Stil die Bühne des Geschehens.

Hunderttausende Jugendliche suchten nach einer Kraft, die ihnen einen Anhaltspunkt, eine Orientierung und einen Hebel für die Überwindung dieser Gesellschaft bieten könnte. Es sollte eine Tragödie der Geschichte werden, dass diese neue Generation, von denen viele angefangen hatten, sich irgendwie als Gegner dieses Systems zu sehen, sozusagen wieder „eingefangen“ wurde und ihre ursprüngliche Protestbewegung unschädlich gemacht wurde. Wir wollen nachfolgend näher darauf eingehen, wie es dazu kommen konnte.

Die Arbeiterklasse war wieder aufgetaucht, aber der Klassenkampf war noch kein Sammelbecken

Auch wenn die Arbeiterklasse in Frankreich im Mai 1968 durch den größten Massenstreik der Geschichte damals auf den Plan getreten war, vermochte diese erste massive Reaktion der Arbeiter damit noch nicht all die Zweifel an der Arbeiterklasse, die sich zuvor jahrelang eingenistet hatten, aus der Welt zu schaffen.

Vielleicht noch mehr als Paris in Frankreich, war Berlin damals das Zentrum der Studentenproteste in Deutschland. Wenn wir Berlin sagen, meinen wir damit selbstverständlich nicht die heutige Hauptstadt des Landes, sondern die Enklave Westberlin mitten im Territorium der DDR. Viele Protagonisten von damals waren von vagen Vorstellungen erfüllt, in Westberlin eine Art Räterepublik zu etablieren, welche durch ihre Ausstrahlung umwälzend sowohl auf die Bundesrepublik als auch auf die DDR, ja auf Ost und West insgesamt wirken würde.

Wie unrealistisch diese Vorstellung war, zeigt die besondere Lage in der damaligen Kalten-Krieg-Enklave, gewissermaßen ein Mikrokosmos der Schwierigkeiten der Wiederaufnahme des Klassenkampfes. Einerseits war Westberlin eine Hochburg der Linken, denn wer dort lebte, konnte den Wehrdienst umgehen. Andererseits waren die „Westsektoren“ eine Hochburg des Antikommunismus, welcher sich immer noch von der Romantik der „Luftbrücke“ ernährte. Vor allem kannte man nirgendwo in der „westlichen Welt“ die Unmenschlichkeit des Stalinismus aus eigener Anschauung so gut wie hier. In dieser Atmosphäre reichten schon die Wörter „Sozialismus“ und „Kommunismus“ aus dem Mund der Studenten, um ein tiefes Misstrauen v.a. von Seiten der älteren Arbeiter zu erwecken. Hier trafen die Studenten nicht so sehr auf Sympathie, wie in Frankreich, auch nicht so auf Gleichgültigkeit so sehr wie auf Feindseligkeit. Die Protagonisten der ersten Stunde waren tief verunsichert.

So kann man verstehen, dass viele unter ihnen nach alternativen revolutionären Kräften Umschau hielten, außerhalb von Deutschland, ja außerhalb der Industriestaaten. Diese Reaktion war keineswegs deutschlandspezifisch, fand aber dort eine besonders klare Ausprägung.

Denn 1968/69 war auch Höhepunkt der Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg, an der sich auf der ganzen Welt Hunderttausende Jugendliche beteiligten. „Anti-imperialistischer Nationalismus“, ja sogar „revolutionärer Rassenkampf“ („Black Power“ in den USA) wurden als Teil einer internationalen Solidarität fehlgedeutet. So erklärt sich z.T. das Paradox, dass eine anfangs anti-stalinistisch ausgerichtete Bewegung sich teilweise dem Stalinismus wieder zuwendete. Weil das erste Auftreten der Arbeiterklasse noch nicht so viele Menschen in ihren Bann hatte ziehen können, wurden viele junge Leute anfällig für Orientierungen, die zu einer Pervertierung ihrer ursprünglichen Absichten führen sollten. Besonders verheerend und zerstörerisch sollten ab 1968/1969 nunmehr linksextreme Organisationen wirken, zu deren Opfer viele Jugendliche werden sollten.

Die verheerende Rolle der Linken und Extremen Linken

Für die Anführer der Bewegung von 1967-68 erschien eine Art von Revolution unmittelbar bevorstehend. Als diese rasche Umwandlung ausblieb, musste man sich zugestehen, dass die Kräfte dafür zu schwach waren. So kam die Idee auf, „die“ revolutionäre Partei zu gründen – sozusagen als Wundermittel. An sich war die Idee nicht verkehrt! Die Revolutionäre müssen sich zusammenschließen und sich organisieren, um ihre Wirkung zu maximieren. Das Problem war, dass man aufgrund der sozialdemokratischen, stalinistischen und faschistischen Konterrevolution der vorangegangenen Jahrzehnte von den historischen Erfahrungen der Arbeiterklasse völlig abgeschnitten war. Weder wusste man, was eine proletarische Partei ist, noch wusste man, wie oder wann sie gegründet werden kann. Man sah darin eine Art Kirche, eine Missionsbewegung, welche die verbürgerlichten ArbeiterInnen zum Sozialismus „bekehren“ würde. Auch fand hier das damals starke Gewicht des Kleinbürgertums innerhalb der Studentenschaft seinen Niederschlag. Wie Mao in China während der Kulturrevolution – so stellte man sich das vor – wollte man den Proleten ihre „Verbürgerlichung“ austreiben. Rudi Dutschke und andere Anführer von damals haben beschrieben, wie am Anfang der Bewegung revolutionäre Studenten und junge ArbeiterInnen in den Jugendzentren Westberlins zusammen kamen und auch Schulter an Schulter kämpften, dass aber gerade die jungen Proletarier sich danach weigerten, diese weltfremde, sektenhafte Wendung mitzumachen.

Diese Desorientierung der damaligen Generation schlachteten auch die damals aufkommenden linksextremen Gruppen (K-Gruppen) aus. Die große Bandbreite der in Deutschland entstehenden linksextremen Gruppen – es handelte sich um mehrere Dutzend von Organisationen, von Trotzkisten über Maoisten bis hin zu Spontis - stellten ein riesiges Auffanglager zur ‚politischen Sterilisierung’ der Jugendlichen dar.

Auch wenn in Deutschland nach 1968 mehr als ein halbes Dutzend trotzkistische Organisationen aus dem Boden sprangen, erhielten diese im Vergleich zu Frankreich deutlich weniger Zulauf, weil die Arbeiterklasse hier erst kaum in Erscheinung getreten war. Der Trotzkismus ist nicht weniger bürgerlich als der Maoismus. Da er aber einer ursprünglich proletarischen Opposition gegen den Stalinismus entspringt, steht die Arbeiterklasse mehr in seinem Blickpunkt als dies beim Maoismus mit seiner „Bauernromantik“ der Fall ist.

In Deutschland sollten vor allem maoistische Gruppen aufblühen. Zur Jahreswende 1968/1969 wurde die KPD/Marxistisch-Leninistische Partei aus der Taufe gehoben. 1971 wurde in West-Berlin eine weitere, mit ihr konkurrierende KPD gegründet, im selben Jahr in Norddeutschland entstand der "Kommunistischer Bund" (KB) und 1973 in Bremen der KBW (Kommunistische Bund Westdeutschland). Diese schafften es, mehrere Zehntausend Leute zu rekrutieren.

Die maoistischen Gruppen spiegelten ein Phänomen wider, das in Deutschland eine besondere Ausprägung gefunden hatte. Weil in Deutschland viele Jugendliche der älteren Generation eine Schuld an den Verbrechen der Nazis und generell am 2. Weltkrieg vorwarfen, konnte der Maoismus diesen Schuldkomplex zu seinen Gunsten instrumentalisieren. Zudem trat der Maoismus als Organisator und glühender Propagandist für „Volkskriege“ auf. Mit dem Anspruch, die unterdrückten Bauern der Dritten Welt in einem Volkskrieg oder „nationalen Befreiungskrieg“ gegen die USA zu sammeln, da nunmehr die Bauern die große revolutionäre Kraft auf der Welt seien, sorgte der Maoismus dafür, dass den Kriegsherren in den „Befreiungskriegen“ immer genügend Kanonenfutter zugeführt wurde. Dass dabei die Verachtung für die eigenen Väter sie in eine Verherrlichung neuer Führer (Mao, „Onkel Ho“, Che, Enver Hodscha) zog, störte die Anhänger maoistischer Gruppen kaum, denn es entsprach dem Bedürfnis eines Teils dieser Generation nach jemandem „aufzuschauen“, ein „Vorbild“, ja eine „Vaterfigur“ als Ersatz für die abgelehnte ältere Generation zu suchen. Der Maoismus, der solche Monstrositäten wie die Kulturrevolution hervorgebracht hatte, bei der in China Mitte der 1960er Jahre Millionen Arbeiter und als „gebildet“ geltende Personen, die irgendeine höhere Qualifikation besaßen, aufs Land geschickt wurden, um „von den Bauern zu lernen“, und einer unglaublichen Entwürdigung und Erniedrigung unterworfen wurden, hob sich dabei durch seine besonders abartige Ablehnung jeglicher theoretischer Herangehensweise hervor. Sein Markenzeichen war die Errichtung neuer Führer, das Nachbeten von Floskeln mit der Mao-Bibel in der Hand.

Darüber hinaus zeichneten vor allem die Maoisten sich durch eine Neuauflage des in den 1920er Jahren schon vom Stalinismus propagierten Proletkult aus, bei dem die Fabrikarbeiter nahezu angehimmelt (Arbeitertümelei) wurden. Man ging in die Fabriken, um von den Arbeitern zu lernen und dort Kaderschmieden aufzubauen. Dies war die skurrile Kehrseite des Vorwurfs der „Verbürgerlichung der Arbeiterklasse“.

Hatten vorher viele Jugendliche angefangen, sich mit Geschichte und mit theoretischen Fragen zu beschäftigen, setzten nunmehr die K-Gruppen alles daran, mit ihren ‚Marxismus-Schulungen‘, ihrer Verdrehung des Verhältnisses zwischen Theorie und Praxis den Jugendlichen die Lust an einer wahren Vertiefung zu nehmen. Der Dogmatismus der Linken sollte verheerende Auswirkungen haben.

Die K-Gruppen trieben ihre Mitglieder einerseits in einen frenetischen Aktivismus und indoktrinierten sie andererseits mit angeblich marxistischen Theorieschulungen. So wurden nach 1968 mehrere Zehntausende Jugendliche von ihrer ursprünglichen Gegnerschaft gegen das System abgebracht und in Aktivitäten eingespannt, welche den Kapitalismus aufrechterhielten. Diesem sektenartigen Druck konnte man nicht lange standhalten. Schließlich wurden viele von der Politik ganz weggejagt und von dieser angewidert. Schätzungen zufolge waren zwischen 60.000 – 100.000 Jugendliche in Westdeutschland in irgendeiner Form an linken Gruppen beteiligt. Man muss hier eher von Opfern sprechen, die von der extremen Linke für eine bürgerliche Politik angeworben und durch die Gruppen verheizt wurden.

Zu den geschichtlichen Paradoxen dieser Zeit gehört auch, dass die „offiziellen“ Stalinisten, welche unverhohlen die revolutionären Regungen von 1968 bekämpften, dennoch ihre Chance ausnutzen konnten, um in Deutschland wieder ein wenig Fuß zu fassen.

Im Frühjahr 1969 wurde die DKP gegründet, welche sich zum Teil aus der Anfang der 1950er Jahre verbotenen KPD rekrutierte. Anfang der 1970er Jahre zählte sie mit ihren verschiedenen Unterorganisationen über 30.000 Mitglieder. Ein Grund für den Zulauf zur DKP bestand darin, dass viele ihrer Anhänger meinten, die von der DDR mit allen Kräften unterstützte und finanzierte Partei würde dem westdeutschen Staat Einhalt gebieten und durch die Unterstützung Moskaus würde dem Imperialismus der USA ein mächtiger Gegenpol gegenübertreten. Nachdem anfangs viele Jugendliche bei ihrer Suche nach einer neuen Gesellschaft die totalitären und stalinistischen Formationen Osteuropas abgelehnt hatten, geschah nun das Paradoxe, dass ein Teil der Jugendlichen von der erz-stalinistischen DKP für sich vereinnahmt wurden.

Die damals vorhandenen, ganz wenigen linkskommunistischen Stimmen, wurden zudem von den K-Gruppen aufs heftigste bekämpft. Wer zum Beispiel seinerzeit die „nationalen Befreiungsbewegungen“ als Stellvertreterkriege zwischen den Blöcken ablehnte und für den Klassenkampf auf beiden Seiten, d.h. einen konsequent internationalistischen Standpunkt eintrat, oder wer sich gegen den Antifaschismus wandte und den 2. Weltkrieg als Räuberkrieg auf beiden Seiten bezeichnete, der verletzte nicht nur ein Tabu, sondern den traf die ganze Feindseligkeit der K-Gruppen.

Auch wenn sie nicht in diesem Maße dem Zugriff der K-Gruppen ausgesetzt waren, breitete sich gleichzeitig eine bunte 'Sponti'-Szene aus, die leerstehende Häuser besetzte und mit vielerlei Aktionen für mehr Kindergärten oder gegen Kernkraftwerke protestierte. Dadurch wurde ein Großteil Jugendlicher für Teilbereichskämpfe eingespannt, deren Wirkung und Perspektiven nur zu einer Beschränkung des Blicks auf Teilaspekte führte anstatt die Gesamtzusammenhänge zu erkennen. Diese Teilbereichsbewegungen stellten wenige Jahre später den Nährboden für das Betätigungsfeld der „Grünen“ dar, die durch eine Reihe von „grünen Reformprojekten“ eine stark magnetisierende Wirkung ausübten und für eine breit gefächerte Anbindung an staatliche „Reformvorhaben“ sorgten.

Der Terrorismus – eine weitere Sackgasse

Eine andere Sackgasse, in die ein Teil der damals Suchenden lief, war die des Terrorismus. Angetrieben von einer Mischung aus Hass und Empörung über das System, Gefangener der eigenen Ungeduld und des Glaubens, exemplarische Handlungen könnten die „Masse aufrütteln“, ließ sich diese Gruppe von Leuten, die zu gewaltsamen Anschlägen gegen Repräsentanten des Systems bereit war, von staatlichen Provokateuren für die schmutzigen Interessen der Staaten einspannen. Ab März 1969 tauchten die ersten kleinen Bomben auf, welche von agents provocateurs zur Verfügung gestellt wurden. Am 9. November 1969 kam es in Westberlin zum ersten Anschlag auf ein jüdisches Gemeindezentrum, welcher aus der Sicht eines Teils dieser Bewegung mit dem Kampf gegen den Zionismus als neuer Faschismus begründet wurde. Anfällig für staatliche Manipulationen ließen sich Teile von ihnen vor den Karren irgendeiner nationalen Befreiungsbewegung spannen (häufig mit palästinensischen Terroristen), die bereit waren, diese Leute in ihren Militärlagern auszubilden und dafür von ihnen vollkommene Unterwerfung forderten.

Im Mai 1970 wurde die terroristische "Rote Armee Fraktion" (RAF) gegründet, ab 1973 machten 'Revolutionäre Zellen' von sich reden. Der Unterstützer- und Sympathisantenkreis war relativ groß - das Underground-Blatt Agit 883 wurde angeblich mit einer wöchentlichen Auflage von 10-12000 Exemplaren gedruckt. Für den Kapitalismus und seinen Staat waren diese Leute jedenfalls nie der tödliche Gegner, den sie gerne sein wollten. Stattdessen schlachtete der Staat deren Aktivitäten für die Verstärkung seines Repressionsapparates aus.

Sozialdemokratie und Sozialstaat als Auffangbecken

Mitte der 1960er Jahre war der lange Nachkriegsboom, der als Wirtschaftswunder gepriesen wurde, zu Ende gegangen. Die Krise hielt langsam wieder ihren Einzug. Weil der Boom unerwartet zu Ende gekommen war, die ersten Symptome der Krise noch nicht so explosiv und brutal zu spüren waren, herrschten damals auch noch viele Illusionen und die Hoffnung vor, dass ein energisches Eingreifen des Staates eine Wiederankurbelung der Wirtschaft ermöglichen würde. Diese Illusionen ausnützend, stellte die SPD das Versprechen, mit Hilfe keynesianistischer Maßnahmen (massive Staatsausgaben durch Verschuldung) die Krise wieder in den Griff zu kriegen, in den Mittelpunkt ihres damaligen Regierungsprogramms. Die Hoffnung vieler ruhten auf der „rettenden“, von der Sozialdemokratie geführten Hand des Staates. Zudem waren die ersten Sparbeschlüsse der Kapitalisten im Vergleich zu den heutigen Sparmaßnahmen der Betriebe noch ‚harmlos‘. Diese Umstände helfen auch zu verstehen, warum von einem Teil der damaligen Bewegung die Proteste als Ablehnung der Wohlstandsgesellschaft gesehen wurden (die Auffassung der Situationisten) (1) All dies erklärt eine gewisse Verzögerung für das Entfalten größerer Abwehrkämpfe der Arbeiterklasse in Deutschland und sorgte dafür, dass die Arbeiterklasse in Deutschland 1968 weiterhin zunächst noch gewissermaßen „schlummerte“. Zudem weil der Staat – insbesondere nach Übernahme der Führungsrolle der SPD in der sozial-liberalen Regierungskoalition im Herbst 1969 – tatsächlich noch durch viele „Reformen“ Geld in die Wirtschaft pumpen konnte, wurden durch den damals sich stark aufblähenden „Sozialstaat“ viele Studenten (von denen viele nunmehr Bafög erhielten) und Arbeiter stärker an den Staat gefesselt und einem stärkeren Widerstand die Spitze genommen.

Auf politischer Ebene rührte die SPD während des ganzen Jahres 1969 unaufhörlich die Trommel für die Beteiligung an den Wahlen. Während zuvor die APO die Betonung ihrer Aktivitäten auf eine „außerparlamentarische Opposition“ gelegt hatte, gelang es der Sozialdemokratie einen beachtlichen Teil der Jugendlichen an die Wahlurnen zu locken. Wie 1918/1919 schon leistete die Sozialdemokratie 50 Jahre später beim Abfedern der sozialen Gegensätze eine entscheidende Rolle. Wie stark die Anziehungskraft der Sozialdemokratie war, belegte die Steigerung ihrer Mitgliederzahl (darunter viele Jugendliche) um 300.000 zwischen 1969-1972. Viele betrachteten die SPD als das Vehikel für den „Marsch durch die Institutionen“. Die Mitarbeit bei den Jusos sollte dabei für viele die Anfangsstufe einer späteren Karriere im Staat werden.

Eine generationenübergreifende Aufgabe

40 Jahre nach den Ereignissen des Jahres 1968 wurde im internationalen Vergleich in Deutschland neben Frankreich sehr intensiv über die Bewegung damals berichtet. Wenn die Medien sich so ausführlich mit diesem Thema befassen, dann weil tiefer in der Gesellschaft ein Interesse dafür vorhanden ist. Auch wenn diejenigen der damals Beteiligten, die in der Zwischenzeit Karriere gemacht haben, sich eher schämen oder dieses Kapitel ihrer Geschichte ganz auswischen wollen, können diejenigen, die seinerzeit danach strebten, die kapitalistische Gesellschaft infragezustellen und nach einer neuen, ausbeutungsfreien Gesellschaft zu suchen, sich darin bekräftigt fühlen, dass ihr ursprüngliches Anliegen weiterhin gültig bleibt und noch umgesetzt werden muss. Die ganze Tragödie der Ereignisse lag darin, dass aufgrund der historischen Schwäche der Arbeiterklasse damals in Deutschland sich der Aufbau eines revolutionären Gegenpols als besonders schwierig erwies.. Die damals in Bewegung geratene neue Generation wurde sozusagen „unschädlich“ gemacht, ihre Bestrebungen abgewürgt.

Heute schickt sich eine neue Generation an, die Grundfeste dieser Gesellschaft, die seitdem in eine viel verheerendere Krise und eine noch größere Barbarei abgerutscht ist, infragezustellen und an dem System selbst zu rütteln. Die Ehemaligen von damals, die von diesem System nicht verschlungen wurden, von denen viele heute fast das Rentenalter erreicht haben, haben allen Grund und die Möglichkeit dazu, der jüngeren Generation heute Beistand zu leisten, und sich in diesen Generationen-übergreifenden Kampf für die Überwindung des Kampfes einzureihen. Nachdem damals der Generationengraben gravierende Folgen hatte, wäre es für diese ältere Generation jetzt eine doppelte Tragödie, wenn es ihr nicht gelänge, die heutige jüngere Generation unterstützen zu können.

Wir werden in einem dritten Teil auf die weitere Entwicklung, d.h. auf die Septemberstreiks 1969 und den ersten massiven Widerstand der Arbeiterklasse in Deutschland eingehen.

 

(1) Auch war die studentische Proletarisierung damals noch nicht so weit vorangeschritten. Im Vergleich zu damals ist der Anteil von Arbeiterkindern unter Studenten heute höher. Während seinerzeit noch der kleinbürgerliche und bürgerliche Einfluss größer war, prägen die proletarischen Existenzbedingungen heute viel mehr die Studenten. Seinerzeit noch nahezu unbekannt, werden heute nahezu alle Studenten mit Jugendarbeitslosigkeit, Arbeitslosigkeit ihrer Eltern, Verarmung, der Notwendigkeit unter prekären Bedingungen zu jobben usw. konfrontiert. Den damaligen Hoffnungen auf eine berufliche Karriere steht heute meist die Angst vor Arbeitslosigkeit gegenüber.

 

 

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Maoismus [9]

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • Mai 1968 in Frankreich [3]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Angebliche "Arbeiterparteien" [10]

Rückblick und Bilanz - Zum Streik bei SBB-Cargo Bellinzona

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Im März dieses Jahres erlebte die Arbeiterklasse in der Schweiz mit einem vierwöchigen Streik in den Eisenbahn-Reparaturwerkstätten von Bellinzona einen kämpferischen Frühling. Neben der Entschlossenheit der Belegschaft, sich gegen die Entlassung von Kollegen und die geplante Schliessung des Betriebes zu wehren, fiel die grosse Welle von Solidarität und Sympathie, die den Streikenden entgegengebracht wurden, auf.

 

“Endlich getraut sich wieder jemand, den Mund aufzutun und sich zu wehren!“ Dies war das spontane Gefühl bei vielen Beschäftigten nicht nur im Tessin, sondern auch in anderen Regionen. Der Arbeitskampf einer kleinen Belegschaft von nur 430 Beschäftigten hatte eine enorm positive Ausstrahlung und Signalwirkung innerhalb der gesamten Arbeiterklasse. Und ohne Zweifel auch umgekehrt – es war eben gerade die grosse Solidarität und das Verständnis für die Streikenden aus vielen Teilen der Arbeiterklasse, welche jene auch ermutigte, nicht aufzugeben und nicht schnell in die Knie zu gehen gegenüber dem Erpressungsmanöver des SBB-Managements, das lautete: “Wir verhandeln erst, wenn der Streik beendet wird“. Dass heute andere Beschäftigte ein enorm solidarisches Verständnis für die Anliegen von Streikenden zeigen - und dies trotz allfälligen Einschränkungen im Reiseverkehr - hatten wir im November 2007 schon in Deutschland beim Arbeitskampf der Lokführer gesehen.

 

Auch wir haben als Organisation am 15. März und in den folgenden Tagen mit einem Flugblatt versucht, unsere Solidarität mit den Streikenden auszudrücken. Unser Anliegen ist gewesen, die Belegschaft vor allem dabei zu unterstützen, den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen.

 

Seit dem Ende des Streiks am 8. April ist es ruhig geworden um die SBB-Cargo-Werkstätten in Bellinzona. Die unmittelbare Abmachung zwischen Streikkomitee, den Gewerkschaften UNIA und SEV, SBB-Management und der Regierung war bei Wiederaufnahme der Arbeit eine temporäre Zurücknahme der angekündigten Entlassungen und die Ankündigung von Verhandlungen in den folgenden Wochen. Ein erster Verhandlungstisch, der sogenannte “Runde Tisch“, hinter verschlossenen Türen, wurde Ende Mai installiert. Ergebnis: der vorläufige Verzicht auf die Schliessung des Betriebes. Alle beteiligten “Vertreter“ einigten sich aber als Hauptstrategie auf die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Überprüfung der Rentabilität des Betriebs! “Geeinigt haben sich die Parteien darauf, dass nun eine Arbeitsgruppe nach Lösungen sucht, um das SBB-Werk in Bellinzona rasch wettbewerbsfähiger zu machen.“ (Tagesanzeiger, 30. Mai)

Eine bittere Pille gab es gleichzeitig für die Beschäftigten von SBB-Cargo in Fribourg mit der angekündigten Schliessung des Kundenzentrums, Entlassungen und zwangsmässigen Verlegungen von Arbeitsplätzen!

 

Die herrschende Klasse war sich aufgrund der Eigeninitiative der Belegschaft, der Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse mit diesem Streik und angesichts des internationalen Rahmens einer Zunahme von Klassenkämpfen schnell bewusst, dass sie diesen Konflikt nicht der anfänglich unnachgiebigen Hand des Cargo-Managements alleine überlassen durfte. Der Streik war aufgrund einer Empörung und durch die Kampfbereitschaft der Belegschaft selbst ausgebrochen. Um den ausgebrochenen Konflikt in die Hände zu nehmen, wurde anstelle der bei der Belegschaft sehr gering geschätzten traditionellen Eisenbahnergewerkschaft SEV die radikalere UNIA notfallmässig auf den Plan gerufen. Andererseits intervenierte die Landesregierung direkt durch den sozialdemokratischen Bundesrat Leuenberger. Hinter dieser Vorgehensweise und den temporär gemachten Zugeständnissen steckt natürlich die Angst der herrschenden Klasse vor der Signalwirkung, die heute ein Arbeitskampf, der durch Eigeninitiative der Arbeiter ausgebrochen ist, ausübt. Genau hier liegt auch die positive Bedeutung und Ausstrahlung des Streiks der Cargo-Beschäftigten im März für die gesamte Arbeiterklasse.

 

Wie Bilanz ziehen?

Dass die drohende Betriebsschliessung und die Entlassungen vorerst abgeblasen wurden, ist ohne Zweifel eine, wenn auch nur momentane, Erleichterung für die Belegschaft in Bellinzona (anders für die Belegschaft in Fribourg!). Betitelt wurden diese Zugeständnisse in einigen Medien und noch euphorischer an Veranstaltungen linksextremer Gruppen zusammen mit Gewerkschaftsvertretern als “Sieg“ und Bestätigung einer radikalen Gewerkschaftsidee. Doch ist es ein “Sieg“, dass

- nun zusammen mit dem SBB-Management die Wettbewerbsfähigkeit des Betriebes untersucht werden soll?

- hinter verschlossenen Türen und ohne wirkliche Beteiligung der Cargo-Beschäftigten verhandelt wird?

- die Gewerkschaft UNIA sich eine Mütze als “Vertreter der Arbeiter“ aufsetzen konnte?

 

Für die Arbeiterklasse gilt es aus einem Streik nüchtern die Lehren für die Zukunft zu ziehen und ihn auch aus der Perspektive der Klasse insgesamt zu betrachten. Arbeitskämpfe wie der Streik in Bellinzona sollten nicht schematisch in “Siege“ oder “Niederlagen“ unterschieden werden. Diese Kategorisierung bleibt meist an der Oberfläche und lässt keine wirkliche Unterscheidung zwischen positiven und negativen Erfahrungen zu, die oft gleichzeitig gemacht werden. Wir sollten uns überdies bewusst sein, dass die meisten Arbeitskämpfe zunächst Verteidigungskämpfe der Arbeiterklasse innerhalb des Kapitalismus sind. Erst die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise durch eine proletarische Revolution stellt ein tatsächlicher “Sieg“ der Arbeiterklasse insgesamt dar. Aber nicht jeder Kampf, der dieses Ziel nicht erreicht, ist deshalb gleich eine “Niederlage“. Der beste Gradmesser für die Bilanz nach einem Kampf ist die gewonnene Klarheit über die gemachten Erfahrungen - also weniger die materiellen Erfolge als die “ideellen“ Schlüsse daraus (auf der Ebene des Bewusstseins in der Klasse).

 

Wir erleben Arbeitskämpfe, die unabdingbar sind zur Entwicklung der Solidarität, des Bewusstseins und des Selbstvertrauens der Arbeiterklasse, ganz unterschiedliche Dynamiken. Der Streik bei SBB-Cargo hat durch die grosse Solidarität, auf die er gestossen ist, nicht das Schicksal einer langen Isolation und Demoralisierung erlitten, für welche die Erfahrung aus dem über einjährigen Bergarbeiterstreik 1984 in England als wichtiges Beispiel steht. Der Streik wurde damals aufgrund der verzweifelten Lage der Bergarbeiter von den Linken enorm heroisiert. Er endete aber in einer Zerstückelung in “radikale Arbeiter“ und “Streikbrecher“ und in einer grossen Verwirrung. Nicht der Kampf bis zum bitteren Ende, sondern die absolut notwendige Ausweitung des Streiks auf andere Sektoren, um mehr Kraft zu erhalten, war damals die klare Lehre, die es zu ziehen und nicht zu vergessen galt.

Diese notwendige Ausweitung eines Arbeitskampfes auf andere Sektoren ist leider auch bei SBB-Cargo nicht erfolgt. Dies begrenzte den Streik in seiner Kraft entscheidend und erlaubte es der herrschenden Klasse, den Standort Fribourg schrittweise zu schliessen.

Die “Wettbewerbsfähigkeit“ ist die Logik des Kapitals!

Zurück zu den Abmachungen des ersten “Runden Tisches“ zwischen SBB-Cargo, Gewerkschaftern aus dem ehemaligen Streikkomitee, UNIA, SEV und der Regierung: Ihr vorgeschlagenes Hauptziel ist die gemeinsame Überprüfung der Wettbewerbsfähigkeit der Werkstätte. Dazu einige grundsätzliche Gedanken. “Rote Zahlen“ die im Werk Bellinzona eingefahren wurden, waren von Beginn weg das Hauptargument des SBB-Managements dafür, den Betrieb zu schliessen. Ob dieses Argument betriebswirtschaftlich stichhaltig ist, können wir nicht wirklich beurteilen. Nebenbei: Nur die Naivsten würde ein Loch in einer Betriebskasse wirklich wundern - gerade in der heutigen Zeit einer schon jahrelang anhaltenden Krise, in der auch die Schweizer Grossbanken Milliarden abschreiben und Leute auf die Strasse stellen.

Von Seiten der Gewerkschaft UNIA und linken Gruppen (z.B. “Bresche“) wurde in lächerlicher Rechthaberei mit dem SBB-Management über die Frage Gewinn oder Pleite gestritten. Die Reparaturwerkstätte würde sich “lohnen“, Bellinzona habe im Jahr 2007 3,4 Millionen Gewinn erwirtschaftet, sagten jene linken Kräfte. Vor allem aufgrund der Rentabilität sei die Aufrechterhaltung des Standortes Bellinzona gerechtfertigt. Doch ist dies nicht schlicht und einfach die Denkweise des Kapitals? Der Streik der Belegschaft findet in dieser Argumentationsweise nur dadurch seine Berechtigung, weil er angeblich die Verteidigung eines “wettbewerbsfähigen“ Betriebes ist. Spinnen wir diese linkskapitalistische Logik etwas weiter: Ein Streik um einen rentablen Betrieb ist berechtigt – und umgekehrt ein Streik in einem Betreib, der pleite ist, offenbar nicht? Die Gewerkschaft UNIA hatte dieses Argument 2006 verwendet, um die Streikenden von Swissmetal in Reconvillier (ein Betrieb der unbestreitbar mit der Rentabilität zu kämpfen hatte) zu Konzessionen zu drängen.

 

Soll sich die Arbeiterklasse in ihrem Kampf dazu hingeben, dem Kapital die Rentabilität ihrer Lohnarbeit zu beweisen? Wohl kaum! Die Berechtigung eines Streiks, der von den Beschäftigten ausgeht, liegt im Willen, ihre langfristigen Interessen zu verteidigen, ganz unabhängig vom gegenwärtigen Stand des Kassabuchs des Betriebes. Wenn die Arbeiterklasse sich auf der Suche nach einer Berechtigung ihres Kampfes auf die Logik der Rentabilität begeben würde, dann müsste sie folgerichtig in den Zeiten einer sich zuspitzenden Wirtschaftskrise die Hände zunehmend in den Schoss legen, da es immer mehr bankrotte Betriebe gibt.

“Rentabilität“ der SBB-Cargo-Werkstätte in Bellinzona hin oder her: Der Arbeitskampf im März dieses Jahres hat allein durch die Tatsache, dass ein Streik als eine “Schule des Klassenkampfes“ unsere Erfahrung vergrössert, unser Selbstvertrauen stärkt und einen gesunden Reflex der Beschäftigten ihre Interessen zu verteidigen darstellt, mehr als nur Berechtigung – auch wenn der Betrieb rote Zahlen schreibt!

 

Was bedeuten die als Verhandlungserfolg am “Runden Tisch“ und als Perspektive gepriesene Lösung, den Betrieb wettbewerbsfähiger zu machen, für die Arbeiter? Selbst wenn der SBB-Cargo-Standort Bellinzona in den nächsten Jahren nicht aufgegeben wird und das Management auf direkte Entlassungen verzichtet, bedeutet es für die Beschäftigten, den Gürtel anderweitig enger zu schnallen. Dies geschieht meist durch Angriffe auf den Lohn mittels Lohnstopp, Zulagenkürzungen bei Schichtarbeit, Streichung der Teuerungszulagen, nicht Ersetzen von Rente-Abgängern, Frühpensionierungen mit massiven Renteverlusten, Einstellungen zu tieferen Löhnen und natürlich durch eine allgemeine Verschärfung der Arbeitsbedingungen: “Die Angestellten der SBB-Werkstätte in Bellinzona und die SBB wollen das Betriebsergebnis bis 2010 um mindestens zehn Millionen Franken verbessern. Das teilte Franz Steinegger, der Leiter des runden Tisches zur Zukunft des Industriewerks, nach dem gestrigen dritten Treffen mit. Rund zwei Drittel der Verbesserungen gelängen mit Kostenreduktionen, der Rest mit Effizienzsteigerungen (…) Von beiden Seiten anerkannt sei zudem, dass es flexiblere Arbeitszeiten brauche. (…) Bereits nach den früheren Treffen hatten beide Verhandlungspartner betont, dass die Officine eine höhere Auslastung und damit mehr externe Kunden brauchen.“ (Tagesanzeiger Online am 24.6. zum 3. “Runden Tisch“ im Juni)

 

Hinter dem Vorschlag, die Werkstätte Bellinzona dann weiter zu führen, wenn sie schwarze Zahlen schreibt, steckt eine heimtückisch Falle für die Arbeiter. Es wird von ihnen durch den Vorschlag der angestrebten Wettbewerbsfähigkeit eine vermehrte Identifikation mit “ihrem Betrieb“ verlangt. Wettbewerbsfähigkeit heisst, mehr Anstrengungen gegenüber den Konkurrenten, also Werkstätten, welche dieselben Arbeiten verrichten. Da die Arbeiterklasse in ihrem Wesen eine internationale Klasse ist, erlauben wir uns hier einen Hinweis auf eine aktuelle Erfahrung der Arbeiter in Venezuela, die natürlich nicht identisch ist, hinter der im Kern aber dieselbe Falle für die Arbeiterklasse steckt: Unrentable oder schon geschlossene Betriebe werden von der kapitalistischen Regierung Chavéz den Arbeitern “in Selbstverwaltung übergeben“. Resultat: Hochgelobte Produktionssteigerungen um 30% durch intensivste Arbeit unter Kontrolle der Gewerkschaften, Selbstausbeutung der Beschäftigten und ein in die Reihen der Beschäftigten eingeimpfter kapitalistischer Geist “unsere Fabrik gegen die anderen“.

Die Belegschaft bei SBB-Cargo hat im März ihren Kampf alles andere als mit dem Ziel einer am Verhandlungstisch besiegelten Selbstausbeutung begonnen. Der “Runde Tisch“ versucht sie aber seit Ende des Streiks in diese Falle zu drängen.

 

Basisgewerkschafter als Feuerwehr der herrschenden Klasse

An einer Diskussionsveranstaltung (Bresche, Aufbau) vom 19. Mai in Zürich wurde, in bedenklich selbstdarstellerischer Art und Weise von den “Streikführern“ und zugleich UNIA-Mitgliedern Pronzini und Frizzo der Streik bei Cargo als ein von langer Hand von Basisgewerkschaftern vorbereiteter Konflikt präsentiert. Wer den Kampf aber etwas näher betrachtete, erkannte schnell, dass der Streik nur deshalb möglich war, weil die Belegschaft als Ganzes die Initiative ergriffen hatte. Dieselben Basisgewerkschafter hatten schon in den Jahren zuvor erfolglos versucht, Mobilisierungen zu organisieren. Es ist ihnen gelungen, während des Kampfes innerhalb des Streikkomitees eine zunehmend wichtige Rolle zu spielen. Dies nicht zuletzt mit dem überall in der Presse aufgegriffenen Personenkult um den angeblichen Streikführer und Kritiker der “lahmen“ Gewerkschaftsspitzen Gianni Frizzo. Die Gewerkschaft UNIA, schon in der ersten Streikwoche im März in einen Sektor auf den Plan gerufen, den sie bisher dem Eisenbahnerverband überlassen hatte, war sich bewusst, dass sie nur mit radikalen und an der Basis präsenten Gewerkschaftsvertretern Fuss fassen konnte.

 

Heute, knapp 4 Monate nach Ende des Streiks hat das “Streikkomitee am Verhandlungstisch“ nicht mehr denselben Charakter wie zu Beginn des Konfliktes, als es Ausdruck der lebendigen Dynamik des Streiks war. Der Geist seiner Vertreter kann nicht treffender als mit den Worten Richard Müllers (Revolutionärer Obmann in der Deutschen Revolution 1918/19) bezeichnet werden: “Wurde nach einem hartnäckigen Kampf das Unternehmertum an den Verhandlungstisch gezwungen, dann quoll das Herz des tapferen Gewerkschaftsführers über, wenn er seine Füsse mit denen des Gegners unter einen Tisch setzten durfte.“ Zusammen mit den Gewerkschaften UNIA und SEV und durch UNIA-Basisgewerkschafter wie Frizzo repräsentiert, nimmt die Hülle des Streikkomitees offiziell Anteil an den Plänen des “Runden Tisches“ zur Effizienzsteigerung des Betriebes.

 

Auch wenn bei genauer Betrachtung die Rolle der Gewerkschaft UNIA im Cargo-Streik die des Verhinderns einer Ausdehnung (so wurde es zurecht von Arbeitern an einer Diskussionsveranstaltung in Winterthur kritisiert) und des Abdrängens des Kampfes in Verhandlungen um die Wettbewerbsfähigkeit war, hat sie sich bei den Arbeitern noch nicht als Instrument des Kapitals diskreditiert. Es ist der UNIA im Gegenteil geschickt gelungen, durch seine Basisgewerkschafter im Streikkomitee Einfluss auf den Streik zu nehmen und zu verhindern, dass die Arbeiter die Initiative und die Leitung des Kampfes wirklich in den eigenen Händen behalten.

 

Als unterstützender “guter Onkel im Hintergrund“ hat es die UNIA geschafft, sich radikaler zu präsentieren: “Ein Streik ist nur mit unserer Begleitung möglich.“ Es ist nie zu einem offenen Konflikt zwischen dem Streikkomitee und UNIA gekommen. Zum Instrument von selbständigen, neuen Basisgewerkschaften anstelle der alten Gewerkschaften wird die herrschende Klasse erst greifen müssen, wenn die Arbeiterklasse stärker auf den Plan tritt. VS, 18.07.08

 

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • SBB-Cargo Bellinzona [11]
  • SBB-Cargo Streik [12]

Steigende Inflation, fallende Produktion – wir sind mitten in einer globalen Wirtschaftskrise

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Seit dem Ausbruch der Immobilienkrise 2007 haben Ökonomen und Regierungsvertreter mit einer Rezession in den USA gerechnet. Mittlerweile ist die Hälfte des Jahres 2008 um, und die "Experten" haben sich noch nicht eindeutig geäußert, ob nun die Rezession ihren Einzug halten wird. Dabei sind die Krisenzeichen überall zu sehen. Das Hypothekendebakel setzt sich weiter fort. Die Wohnungspreise fallen weiter, immer mehr Hausbesitzer werden zahlungsunfähig, Firmen melden Konkurs an, das gesamte Finanzsystem ist bis ins Tiefste erschüttert. Profite haben sich, genauso schnell wie sie sich in der Boomphase gebildet hatten, in Rauch aufgelöst. Die wirtschaftlichen Erschütterungen sind aber nicht beschränkt auf den Immobiliensektor. Die gleichen verheerenden Entwicklungen findet man z.B. bei den Fluglinien und auch in der Automobilbranche, die schon vor dem Zerplatzen der Immobilienblase eingeknickt waren.

Die Reaktion der US-Regierung auf die sich zuspitzende Krise war genau die gleiche wie früher: die gleichen Währungstricks wurden eingesetzt, wie bei allen anderen früheren Krisen. Der Kern dieser Politik besteht darin, riesige Mengen Geld zu Niedrigzinsen in die Wirtschaft zu pumpen, mit der Hoffnung, dass dadurch die Nachfrage steigt und die Konsumentennachfrage angekurbelt wird. So hat zum Beispiel die US-Federal Reserves seit Herbst letzten Jahres die Zinsen siebenmal gesenkt und einen Anschein von Ordnung durch ein ständiges Hineinpumpen von Geldern mit niedrigen Zinsen bewahrt. Auch wenn die Maßnahmen der Regierung dadurch einen unmittelbaren Zusammenbruch verhindert haben, musste dafür ein hoher Preis bezahlt werden. Eine der Hauptfolgen der Politik der US-Regierung ist die weitere Abwertung des US- Dollars, der gegenüber dem Euro jeweils neue Tiefststände erreicht hat. Dadurch werden die Preise der in Dollar bezahlten Waren auf der ganzen Welt in die Höhe getrieben. Mit anderen Worten die Politik der Fed hat den Inflationsdruck weltweit verschärft.

Die US-Regierung hat in den letzten Wochen die sich beschleunigende Inflation eingestehen müssen. In Anbetracht der mittlerweile unleugbaren Zahlen hat der Fed-Chairman Bernanke zu verstehen gegeben, dass die Fed die Zinsen in unmittelbarer Zukunft nicht mehr senken möchte. Die Fed scheint den Kampf gegen die Inflation nunmehr zu ihrer Priorität erheben zu wollen und legt weniger Wert auf die Notwendigkeit, der lahmenden Konjunktur wieder einen Anschub zu verleihen.

Dabei liegt auf der Hand, dass die Inflation in der letzten Zeit stark angestiegen ist. Vor allem die Arbeiter brauchen dazu nicht die Befunde der "Wirtschaftsexperten", denn die Konsequenzen der Inflation – höhere Preise für Wohnung, Heizung, Benzin, Lebensmittel usw., sind längst zu spüren. Wenn die Regierungszahlen so ungemein niedrig liegen, dann muss man den Verdacht schöpfen, denn die Zahlen werden bewusst beschönigt, genau so wie die herrschende Klasse ein Interesse daran hat, die Arbeitslosenzahlen niedrig zu halten. Mit Hilfe statistischer Tricks ist der Verbraucherpreisindex sehr niedrig angesetzt worden. Dies ermöglichte der herrschenden Klasse, relativ niedrige Preissteigerungsraten im Vergleich zu der zweistelligen Inflation in den 1970er Jahren vorzuzeigen. Einige der statistischen Tricks sind besonders aufschlussreich. Bis 1983 berechnete das Bureau of Labor Statistics die Inflation im Immobilienbereich durch die Berücksichtigung der Erwerbskosten einer Wohnung. Dabei wurden die Preise für den Wohnungserwerb, die Hypothekenzinsen und Steuern mit berücksichtigt. Mit der Zeit wurde aber aus unbekannten Gründen diese Rechenformel fallengelassen und durch ein sogenanntes "vergleichbares Eigentümereinkommen" ersetzt, das den wahren Erwerbskosten einer Wohnung nicht mehr Rechnung trug. Schätzungen gehen davon aus, dass allein diese Berechnungsart die Preissteigerungsrate um 3-4% niedriger ansetzt. In den 1990er Jahren wurde der Preisindex erneut dreimal geändert, d.h. natürlich gedrückt. Zunächst mit Hilfe der Produktsubstitution. Falls ein Erzeugnis (z.B. hochwertiges Fleisch) zu teuer wird, nimmt man es einfach aus dem Warenkorb heraus, mit der Begründung, die Käufer würden automatisch auf ein billigeres Produkt zurückgreifen, z. B. Hamburger. Zweitens die "geometrische Gewichtung": Güter und Dienstleistungen, deren Preise am meisten steigen, erhalten eine niedrigere Gewichtung, weil dadurch angeblich der Konsum zurückgeht. Drittens die sogenannte "hedonistische" Anpassung, die vorgibt, Verbraucherzufriedenheit aufgrund von verbesserten Produkten und Dienstleistungen zu berücksichtigen.

Als im August 1971 die Inflation in den USA 4% erreichte, wurde dies als eine nationale Krise erachtet und die Nixon-Administration ordnete damals Lohn- und Preiskontrollen an. Heute lässt eine 4.2%ige Inflation lediglich die Alarmglocken läuten. Schlimmer noch, nicht-Regierungsberechnungen zufolge kann man davon ausgehen, dass die tatsächliche Inflation nicht wie offiziell verkündet ca. 4% beträgt, sondern eher 7-10%. Das war übrigens der Jahresdurchschnitt seit 1980, wenn man die manipulierten, frisierten Werte herausnimmt.

Das Gespenst der Inflation geht um die Welt

Natürlich ist der Inflationsschub kein reines US-Phänomen. Die Rohstoffpreise sind schon seit einem Jahrzehnt angestiegen; seit 2007 hat es jedoch eine große Beschleunigung beim Preisanstieg der Nahrungs- und Energiepreise gegeben. Der Weltmarktpreis für Weizen hat sich zwischen Februar 2007 und Februar 2008 verdoppelt. Der Reispreis hat ein Zehnjahreshoch erreicht, während gleichzeitig in anderen Teilen der Welt Milch- und Fleischpreise sich ebenfalls mehr als verdoppelt haben. Die Preise für Soja und Mais sind ebenso dramatisch angestiegen. Die Verdoppelung des Ölpreises innerhalb eines Jahres hat ebenso große inflationäre Wirkungen.

Ob in Europa oder China, überall sind die Preise stark angezogen. Aber die Kapitalistenklasse ist um so besorgter, da der Anstieg der Inflation zeitgleich mit einer Verlangsamung des Wachstum der Weltwirtschaft insgesamt stattfindet. An herausragender Stelle stehen dabei die Erschütterungen der US-Wirtschaft. Die "Wirtschaftsexperten" sprechen immer mehr von "Stagflation" . Aber sie verschweigen, dass in den letzten 40 Jahren sich verschärfender Wirtschaftskrise mit ihren immer wiederkehrenden Blasen und dem Zerplatzen derselben, die Inflation zu einem permanenten Phänomen des Weltkapitalismus geworden ist. Eines der Hauptziele der jeweiligen Zentralbanken bestand darin, die Inflation unter Kontrolle zu halten. Aber ungeachtet dieser ökonomischen Ziele ist die Inflation immer wieder außer Kontrolle geraten. Während der 1970er Jahre entfaltete sich die Inflation nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Abkommens 1971 international. In den Zentren des Kapitalismus wurden damals zweistelligen Inflationsraten registriert. In den 1980er Jahren wurde die sog. Dritte Welt mit einer Hyperinflation konfrontiert, die manche latein-amerikanische Wirtschaft schwer angeschlagen hat.

Während bürgerliche Ökonomen endlos lange über die Ursachen der Inflationsschübe streiten, sagen sie nie, dass die eigentlichen Inflationsursachen im kapitalistischen System selbst und den von der herrschenden Klasse ergriffenen Maßnahmen verwurzelt sind.

Das anarchische Wesen der kapitalistischen Produktion.

Die kapitalistische Produktion ist nur insofern eine gesellschaftliche Produktion, als das, was produziert wird, nicht für den individuellen Konsum bestimmt ist, sondern für den Gebrauch durch andere. Die Produktion muss notwendigerweise zu einem Überschuss (Überangebot) in einem Produktionsbereich und zu Mangel in anderen Bereichen führen. In einem auf dem Wertgesetz basierten System spiegeln Preisänderungen einen Mangel an bewusster, gesellschaftlicher Planung wider.

Das Streben des Kapitalismus nach Höchstprofiten ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Gesellschaft.

Die jüngste Entwicklung des Einsatzes von Grundnahrungsmitteln wie Mais und Sojabohnen, die vorher für die menschliche Ernährung und nunmehr für die in Mode gekommene Bio-Ethanol-Industrie eingesetzt wird, verdeutlicht dies. Ohne Zweifel hat die gegenwärtige Obsession der herrschenden Klasse für Biokraftstoffe den Preis dieser Produkte in die Höhe getrieben. Gleichzeitig wurden dadurch die Taschen der großen Farmer gefüllt, während die Zahl der Hungernden auf der Welt zunahm, die bislang von der Unterstützung mit billigen Lebensmitteln von den großen Lebensmittelproduzenten abhingen.

Der Mangel an Planung im Kapitalismus

Die Folgen der Funktionsweise eines Wirtschaftssystems, das im Wesentlichen auf die Erfüllung unmittelbarer Ziele ausgerichtet ist, wird anhand der historischen Abhängigkeit des Kapitalismus von der Verwendung fossiler Brennstoffe für seine Energiebedürfnisse ersichtlich. Auf der einen Seite hat diese Abhängigkeit ein alptraumhaftes Szenario der sich zuspitzenden Klimakatastrophe hervorgerufen, welche die Nahrungsmittelproduktion auf der Welt in Mitleidenschaft zieht. Auf der anderen Seite ist Öl zu einem wahren Schmiermittel in der Wirtschaft und im Verkehr aber auch beim Militär geworden, dass nahezu ständig ein Mangel an Öl entstanden ist. Abgesehen von einigen kurzen Zeiträumen hat es nie ein Ölüberangebot gegeben. So galoppieren jetzt die Ölpreise davon.

Aber die Wirtschaftspolitik der herrschenden Klasse, die der chronischen Krise des Systems entgegentreten muss, ist selbst ein Faktor, der die Inflation antreibt. Der missbräuchliche Einsätz des Druckens von Geldscheinen, die ständigen Währungsmanipulationen, der Missbrauch der Kreditmechanismen, die ständig wachsenden Haushaltsdefizite, all diese Faktoren tragen zur inflationären Entwicklung bei.

Schließlich treibt auch die imperialistische Politik die Energie- und Nahrungsmittelpreise weiter an. Die Instabilität im Mittleren Osten und in Nigeria haben auch zur Ölpreisexplosion beigetragen. Schließlich hat der Irak-Krieg ebenso den Ölpreis mächtig mit in die Höhe getrieben. Auf der einen Seite hat der Krieg die Ölförderung in diesem Land stark beeinträchtigt, womit das Ölangebot auf dem Weltmarkt sank. Auf der anderen Seite haben auch die außer Kontrolle geratenen Kosten dieses Krieges mit zu einer Abwertung des Dollars und einem Preisanstieg beigetragen.

Der wachsenden Inflation müssen die Arbeiter mit ihrem Kampf begegnen

Oft versucht die herrschende Klasse die Schuld für die Inflation den Arbeitern in die Schuhe zu schieben. Die sogenannte Lohn-Preisspirale wird häufig für die Hyperinflation in den Zentren des Kapitalismus verantwortlich gemacht. In Wirklichkeit sind die Lohnsteigerungen aber immer den Preissteigerungen hinterhergehinkt. Jetzt senken steigende Lebensmittel- und Energiepreise das Lebensniveau der Arbeiter auf der ganzen Welt. Die Arbeiter werden gleichzeitig mit Lohnsenkungen und steigenden Preisen konfrontiert. Kein Wunder, dass Hungerrevolten und Proteste gegen andere Preiserhöhungen überall auf der Welt zunehmen. Nur die Arbeiterklasse kann diesen Wahnsinn stoppen. Der Kapitalismus hat nichts Anderes anzubieten außer Kriege und wachsende Verarmung. (leicht gekürzter Artikel aus unserer Presse in den USA) - Eduardo Smith, 23.6.08,

 

Aktuelles und Laufendes: 

  • Weltwirtschaftskrise [13]

Streiks in Großbritannien

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Von den Medien weitestgehend verschwiegen haben sich in den letzten Wochen Arbeiter in fast allen Kontinenten gegen die brutale Beschleunigung der Wirtschaftskrise zur Wehr gesetzt. Aus Platzgründen können wir nicht näher und tiefergehend auf diese Kämpfe hier eingehen. An dieser Stelle wollen wir nur auf die Reaktion der Arbeiter in dem ältesten kapitalistischen Zentrum, Großbritannien, aufmerksam machen. Wenn sich nun die Arbeiter in Großbritannien wieder verstärkt zu Wort melden, wenn 700.000 Arbeiter im ältesten Industriestaat der Welt gemeinsam streiken, ist dies ein aufschlussreiches Beispiel einer internationalen Verstärkung der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse, denn die Kampfkraft des britischen Proletariats war jahrelang nicht zuletzt durch die Politik der New Labour zurückgedrängt worden. Als Beispiel unserer Intervention im Klassenkampf bringen wir Auszüge aus einer Flugschrift unserer Sektion in Großbritannien, World Revolution anlässlich der für den 16. und 17. Juli anberaumten Aktionstags der Beschäftigten der Kommunen, die für eine 6% Lohnerhöhung eintraten. „Nach den Protesten der Lehrer und Beamten am 24. April, des Shell-Personals im Juni, einer wachsenden Unzufriedenheit unter den Beschäftigten des Gesundheitswesens, der Beschäftigten im Einzelhandel haben alle Beschäftigten das gleiche Interesse, sich den Angriffen gegen ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu erwehren. Aber in Anbetracht eines zentralisierten Angriffs durch den Staat ist es unmöglich, sich zu verteidigen, wenn wir gespalten sind und jeder für sich in seiner Ecke kämpft. (…) Die Beschäftigten der Kommunen in Birmingham stimmten im April in einer Vollversammlung für die Unterstützung der Demonstrationen und Streiks der Lehrer und Beamten am 24. April. Beim jüngsten Streik der Postbeschäftigten weigerten sich die Fahrer der Post, die Streikposten zu durchbrechen. Und als gegen sie Disziplinarmaßnahmen ergriffen wurden, kam es an mehreren Orten zu wilden Streiks. Und als die Shell-Fahrer die Arbeit niederlegten, weigerten sich andere Fahrer, deren Streikposten zu umgehen. Diese ersten Zeichen von Solidarität beunruhigten die Bosse so sehr, dass die beiden Firmen schnell ein Abkommen unterzeichneten. (…) Als die Lehrer und Beamten am 24. April die Arbeit niederlegten, wurde dies als ein „Donnerstags-Aktionstag“ des gesamten öffentlichen Dienstes bezeichnet. Aber selbst in den Schulen blieben die Beschäftigten zersplittert – das Lehrpersonal wurde je nach Schultyp gespalten; im April streikten die Lehrer des einen Schultyps, im Juli die eines anderen. Gegen diese Spaltungspolitik können wir uns nur wehren, indem wir die gewerkschaftliche Spaltungstaktik überwinden. Wir müssen den anderen Beschäftigten unsere Solidarität zeigen, mit ihnen direkt Kontakt aufnehmen. Im Herbst letzten Jahres zeigten Arbeiter in Frankreich den gleichen Ansatz eines gemeinsamen Kampfes, als Eisenbahner sich zu den Vollversammlungen der Studenten und umgekehrt begaben und gemeinsam demonstrierten. Das geschah gegen den Willen der Gewerkschaften. Und auch als im Frühjahr 2006 Studenten die Unterstützung von Arbeitern erhielten und diese sich anschickten, selbständig den Kampf aufzunehmen, zwang diese aufkeimende Solidarität die französische Regierung, das Gesetz CPE zurückzunehmen. (...) Die Arbeiter können nur ausreichend Druck zur Abwehr der Angriffe entfalten, wenn sie sich mit anderen Arbeitern zusammenschließen. Dies erfordert zu diskutieren, wie und mit wem wir uns zusammenschließen. Schritte in diese Richtung dürfen wir aber nicht von den Gewerkschaften erwarten, sondern diese müssen wir selbst ergreifen, indem wir zum Beispiel Delegationen zu anderen Betrieben, zu Demonstrationen anderer Beschäftigter usw. schicken.“ (Flugblatt der IKS in Großbritannien)


Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/1662/weltrevolution-nr-149

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