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Internationale Revue Nr. 1

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Bericht über die internationale Lage: 2. Kongress der IKS

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Dieser Bericht zur internationalen Lage versucht, die grundlegenden politischen und wirtschaftlichen Perspektiven zu umreißen, denen das kapitalistische System im Laufe des kommenden Jahres weltweit entgegensieht. Anstelle einer detaillierten Analyse der gegenwärtigen wirtschaftlichen und politischen Konjunktur - und sei es nur der wichtigsten kapitalistischen Länder (diese Analysen werden heute regelmäßig in den Publikationen der verschiedenen territorialen Sektionen der IKS veröffentlicht) - werden wir uns auf die Darstellung der großen Linien, der grundsätzlichen Achsen beschränken, die den Kurs der kapitalistischen Wirtschaft im nächsten Jahr bestimmen sowie die politische Orientierung der verschiedenen nationalen Bourgeoisien und das Verhalten der zwei imperialistischen Blöcke gestalten werden. Wir hoffen, auf diese Weise eine kohärente Perspektive auszuarbeiten, die der Intervention der IKS in den bevorstehenden, immer entscheidender werdenden Klassenauseinandersetzungen als Anleitung dienen wird. Eine solche Perspektive wird eines der Elemente sein, die die Garantie dafür sind, dass die IKS zu einem aktiven Faktor in der Entwicklung des proletarischen Klassenbewusstseins werden kann, ein lebenswichtiges Element des proletarischen Sturmes, der den kapitalistischen Staat in der ganzen Welt entwurzeln und zerstören und den Übergang zum Kommunismus einleiten wird.

Trotz der triumphierenden Proklamationen des "Aufschwungs", mit denen die bürgerlichen Politiker und Staatsmänner während der letzten zwei Jahre versucht haben, eine immer hungrigere und verarmte Welt zu füttern, hat sich die kapitalistische Weltwirtschaftkrise unaufhörlich verschärft. In den Industrienationen des amerikanischen Blocks (OECD) ist das Wachstum sowohl des realen Bruttosozialprodukts als auch der Exporte seit Anfang 1977 zurückgegangen. Aber selbst diese wenig zuversichtlichen Statistiken sind weit davon entfernt, Aufschluss über die katastrophale Lage zu geben, in der sich die ökonomisch schwächsten Länder Europas, wie Großbritannien, Italien, Spanien und Portugal, jetzt befinden. Die Quasi-Stagnation der Bruttosozialprodukte, der Zusammenbruch der Investitionen in neue Branchen und gewaltige Handels- und Zahlungsbilanzdefizite haben zu einer beträchtlichen Abwertung ihrer Währungen, zu einem drastischen Sinken ihrer Devisenreserven und zur Zunahme der Außenverschuldung geführt. Dies führte zu einer Hyperinflation (GB: l6-17%, Italien: 21%, Spanien: 30%, Portugal: über 30%) und massiver Arbeitslosigkeit (GB: 1,5 Mio.; Italien: l,5 Mio.; Spanien: 1 Mio.; Portugal: 0,5 Mio. - alles offizielle Zahlen). Alle vier Länder sind regelrecht bankrott und können sich allein durch Kredite und Anleihen, die letztlich vom guten Willen der USA abhängen, über Wasser halten. Die Bourgeoisien dieser "kranken Männer" Europas reden nicht einmal mehr von "Aufschwung" oder "Wachstum"; ihr neues Losungswort ist "Stabilisierung", eine Beschönigung der drakonischen Maßnahmen, der Deflation und Inflation, zu denen ihre wirtschaftliche Schwäche und das Diktat ihrer Gläubiger sie verurteilen. Außerdem reihen sich jetzt in die Gruppe der "kranken Männer“ Frankreich, Belgien, Dänemark, Schweden und Kanada ein, Länder, deren wirtschaftliche Stärke vor einigen Jahren in bürgerlichen Kreisen außer Frage stand, die aber nun schnell im Sumpf der schwer zu kontrollierenden Handels- und Zahlungsbilanzdefizite, der Abwertungen, der zunehmenden Verschuldung, der Hyperinflation und der in die Höhe schnellenden Arbeitslosenzahlen, von denen ihre schwächeren Nachbarn bereits betroffen sind, versinken. Blickt man auf die Wirtschaftsgiganten des amerikanischen Blocks - die Vereinigten Staaten, Westdeutschland und Japan -, werden sofort ihre extreme Zerbrechlichkeit und damit die düsteren Aussichten selbst für diese anscheinend starken Ökonomien deutlich. Die scheinbare Gesundheit Deutschlands und Japans - mit ihren dicken Handelsüberschüssen und ihren soliden Währungen - beruht fast ausschließlich auf massiven Exportanstrengungen und systematischem Dumping. Die USA indes haben von einer Reihe inflationistischer Maßnahmen profitiert, deren Wirkung jetzt ihr Ende erreicht hat, sowie von der Tatsache, dass ihr Handelsdefizit weitgehend von riesigen, nicht aus kommerziellen Abwicklungen herrührenden Einnahmen (Zinszahlungen, Profite aus Auslandsinvestitionen, Kapitaltransfer, usw.), die dem führenden Land eines imperialistischen Blocks zufließen, ausgeglichen worden ist. Tatsächlich haben die USA, Westdeutschland und Japan trotz ihrer Beteuerungen, keine „Schwarze Peter-Politik" zu verfolgen, genau dies getan. Sie haben den Anschein wirtschaftlicher Gesundheit allein deshalb bewahren können, weil sie die schwerwiegendsten Auswirkungen der Krise auf die schwächeren Nachbarn abgewälzt haben. Angesichts des alarmierenden Rückgangs der Investitionen wie auch der extremen Maßnahmen, die von den Ländern defizitärer Handelsbilanz getroffen werden, um ihre Importe zu beschneiden, werden jedoch die Aussichten für die USA, Westdeutschland und Japan, ihre für 1977 vorgesehenen Wachstumsraten zu erreichen (USA: 5,8%; Westdeutschland: 5%; Japan: 6,7%) und auf diese Weise ihre bereits gefährlich hohe Arbeitslosigkeit (USA: 6,7 Mio.; Westdeutschland: 1,4 Mio.; Japan: 1,4 Mio.) zu senken, immer fraglicher - ganz zu schweigen davon, dass sie ihren schwächeren "Partnern" eine "Ankurbelungsspritze" zukommen lassen könnten. Keiner der drei Großen wird den Druck durch künftige inflationistische Haushalte zu mildern suchen, da ihnen das Gespenst der galoppierenden Inflation im Nacken sitzt, die bereits auf zweistellige Raten zusteuert (USA: 6,4%; Japan: 9,4%).

Im russischen Block (COMECON) müssen jetzt sogar die staatlichen Planungsbüros zugeben, dass Arbeitslosigkeit und Inflation existieren und im Steigen begriffen sind - als völlig offensichtliche Auswirkungen der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer permanenten Krise. Die wirtschaftlichen Aktivitäten des russischen Blocks sind während der letzten Jahre mit Anleihen westlicher Banken in Höhe von 35-40 Milliarden Dollar angeheizt worden (ein Aspekt der "Kreditexplosion", mit der der amerikanische Block einen vergeblichen Versuch unternommen hatte, der Sättigung des Weltmarkts entgegenzuwirken). Der russische Block hat sich jetzt in einen gewaltigen Exportwettbewerb gestürzt und auf hektische Suche nach Märkten begeben, von deren Resultat die Rückzahlung seiner riesigen Anleihen anhängt. Aber diese massive Exportoffensive wird nicht nur zu einem Zeitpunkt gestartet, an dem die Länder des amerikanischem Blocks die Importe aufs Äußerste beschneiden wollen und die Länder der Dritten Welt am Rande des Bankrotts sind. Sie wird auch deshalb kein gutes Ende nehmen, weil der Erlangung zusätzlicher Anleihen Grenzen gesetzt sind (sowohl aus politischen als auch aus finanziellen Erwägungen); ohne diese Kredite kann der russische Block aber nicht die neuen Technologien erwerben, die - zusammen mit den geplanten Angriffen auf die Arbeiterklasse - seine Waren konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt machen könnten. Somit befindet sich der russische Block - nachdem es zwischen 1971 und 1976 zu einer Steigerung des Handels und Austausches mit dem amerikanischen Block gekommen war - in einer ökonomischen Sackgasse.

Selbst unter Einbeziehung ihrer Industriemächte wie Südafrika, Brasilien, Mexiko, Argentinien usw. versinkt die Dritte Welt mit jedem Tag immer tiefer in einer wachsenden Barbarei. Die alptraumhafte Welt des Hungers, der Krankheiten, der Arbeitslager und Bettelei, in der der dekadente Kapitalismus einen bedeutenden Teil der Menschheit zu leben verdammt hat, ist bereits in vielen Ländern Wirklichkeit geworden; zwei Drittel der Weltbevölkerung sind von ihr betroffen. Die 1974-76 der Dritten Welt gewährten Darlehen haben so gut wie nichts dazu beigetragen, den sich rapide auf den totalen Zusammenbruch zubewegenden Verfall dieser Wirtschaften auch nur zu verlangsamen (obwohl hiermit ein zeitlich begrenzter Ersatz für den Mangel an effektiver Nachfrage geschaffen wurde, der den Industrieapparat der Welt immer mehr zu Untätigkeit verdammte). Da die Dritte Welt vollkommen bankrott ist, werden alle ihr zusätzlich gewährten Mittel - wesentlich geringeren Umfangs – allein dazu dienen, die Rückzahlung bereits gewährter Darlehen zu ermöglichen und damit den westlichen Großbanken den Konkurs zu ersparen. Die brutale Sparpolitik, die die Regimes der Dritten Welt - ob sie sich nun „sozialistisch“ oder „demokratisch“, „marxistisch-leninistisch“ oder „nationalistisch“ nennen - durchzusetzen im Begriff sind und die eine verzweifelte Anstrengung darstellt, die unbeschreiblich hohen Handelsbilanzdefizite zu verringern (22 Milliarden Dollar im Jahr für die rohstoffarmen Länder allein mit den OECD-Ländern!), die auf der Abhängigkeit dieser Länder von Rohstoffen und von Export landwirtschaftlicher Erzeugnisse beruhen, wird für Millionen von Menschen das Todesurteil bedeuten.

Wir werden besser verstehen können, warum die Perspektive, der sich das Kapital heute gegenübersieht, in einem unvermeidlichen Rückgang von Produktion und Handel besteht, wenn wir die Natur, Grundlagen und Grenzen des im Winter 1975-76 eingetretenen Produktions- und Handelsaufschwungs betrachten, der auf die außergewöhnlich schwere Baisse von 1975  und die Ankurbelung der Produktion (jedoch nicht des Handels) im Laufe des letzten Winters - nach einem sehr ruhigen Sommer - folgte. Die Rezession von 1975 ist vor allem durch die hastig ausgedachten konjunkturbelebenden Etats und eine erneute massive Kreditexplosion, die Schaffung von fiktivem Kapital, gestoppt worden, womit abermals kurzzeitig der Übersättigung der Märkte entgegengewirkt wurde, der die Todeskrise des Kapitalismus zugrunde liegt. Diesen beiden Faktoren muss sowohl die befristete Finanzspritze, die im Wiederauffüllen der Lager bestand, deren Bestände mit dem Tiefstand der Produktion gefallen waren, als auch die abnehmenden Ersparnisse des Mittelstandes hinzugefügt werden, die zu einem Mini-Boom auf dem Gebiet der langfristigen Konsumgüter führten (Autos usw.), der weniger auf eine etwaige Zuversicht auf den Aufschwung als auf die feste Überzeugung zurückging, dass die Inflation von Dauer sei. Die beiden letzten Faktoren haben die OECD-Länder zu einer Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukte in Höhe von 7 bis 8% im Laufe des Winters 1975-76 verholfen, wohingegen der auf viel schwächeren Füßen stehende Aufschwung dieses Winters lediglich von der Kreditexplosion und den von den Regierungen gewährten Steuererleichterungen getragen wird.

Heute treten die Schranken einer fortgesetzten Kreditexplosion sowohl durch die immer bedrohlichere Zahlungsunfähigkeit der größten Kreditnehmer wie Zaire, Peru, Mexiko und Brasilien, als auch durch die gewaltigen Handelsbilanzdefizite deutlich hervor, die auf der Dritten Welt, dem russischen Block und den schwächeren Ländern des amerikanischen Blocks lasten. Die Kreditquellen versiegen in dem Maße, wie die Fähigkeit der Schuldnerländer ihre äußerste Grenze erreicht. Die neuen Kredite für die Länder der Dritten Welt - zögernd vom Internationalen Währungsfond (IWF) und nicht von den überforderten „Privatbanken" gewährt - dienen der Rückzahlung früherer Kredite und ihrer Zinsen und nicht der Fortsetzung des Warenflusses. Mehr noch, solche Anleihen werden an der Bedingung strikter Kontrollen der Volkswirtschaften der Schuldnerländer und an der Voraussetzung geknüpft, dass Letztere ihre Zahlungsbilanzdefizite durch drastische Verminderung ihrer Importe verringern oder ausgleichen. Zu diesem beträchtlichen Druck, der den Weltmarkt weiter schrumpfen lässt, kommen die finanzpolitischen Beschränkungen für eine neue Runde von Krediten an den russischen Block, ohne die jedoch der Handel zwischen den beiden Blöcken versiegen würde. Die Länder des amerikanischen Blocks, deren Handelsbilanz defizitär ist, sind letzten Endes durch ihre steigende Verschuldung und ihre Zahlungsbilanzdefizite an den Rand des Bankrotts getrieben worden. Da sie die Grenzen ihrer Kreditwürdigkeit erreicht haben und vom Zusammenbruch bedroht sind, müssen sich diese Länder entweder für den Protektionismus und die Autarkie entscheiden oder aber die Kontrolle und Disziplinierung durch den IWF akzeptieren – beides läuft auf eine strenge Beschränkung der Importe und ein weiteres Zusammenschrumpfen des Weltmarkts hinaus.

Der Rückgang des Welthandels kann nicht durch eine starke Steigerung der Nachfrage in den industriellen Zentren des Kapitalismus kompensiert werden. Die Hindernisse, die einer Fortsetzung (ohne überhaupt eine Steigerung in Betracht zu ziehen) der Politik der fiskalen Anreize entgegenstehen, welche praktisch die einzige Grundlage für die Anhebung der Nachfrage in den Industrieländern des amerikanischen Blocks gewesen ist, schließen die Durchführung irgendwelcher ehrgeizigen Konjunkturprogramme sowie die Aufstellung inflationärer Haushalte oder die Praktizierung einer Politik aus, die eine erneute Steigerung der Industrieproduktion anstrebt. In diesen von der Hyperinflation zerrütteten Ländern werden, sofern es die politischen Bedingungen zulassen (siehe den Stand des Klassenkampfs), die Beschneidung der öffentlichen Ausgaben, die Kreditrestriktion, mit anderen Worten: eine deflationistische Politik von Nöten sein.  In den "starken Volkswirtschaften" (USA, BRD, Japan) schreckt die Bourgeoisie davor zurück, die Konjunktur anzukurbeln, weil sie fürchtet, damit der Hyperinflation freien Lauf zu lassen, die zurzeit von den Sparmaßnahmen gezügelt wird.

Wenn die fiskalen Anreize der Regierungen nicht länger wie bisher dazu benutzt werden können, um den Rückgang der Produktion zu verhindern, wird der Sturz in die Talsohle aufgrund der beunruhigenden Abnahme der Neuinvestitionen in der Industrie verheerende Folgen haben. Die Weigerung der Bourgeoisie zu investieren geht mit einem außerordentlichen, fortgesetzten Fall der Profitrate einher, seit das Weltkapital um 1967 wieder in eine offene Krise eingetreten ist. Dieses Phänomen kann anhand der Lage des westdeutschen Kapitals (das die ersten Angriffe der offenen Krise bestimmt besser abgewehrt hat) veranschaulicht werden, dessen Durchschnittsprofitrate sich vor 1960-67 auf 6%, von 1967-71 auf 5,3% und von 1972-75 auf 4,1 % belief. Der Fall der Profitrate ist infolge der wachsenden unproduktiven Ausgaben des kapitalistischen Staates in dem Maße beschleunigt worden, wie dieser den Folgen der Sättigung des Weltmarktes entgegenwirkt, und hat die Investitionen (besonders in der Abteilung I, der Produktion der Produktionsmittel) derartig heruntergeschraubt, dass ein Zusammenbruch der Produktion drohend am Horizont erscheint.

Das Versagen der verschiedenen Versuche der Regierungen, einen Anreiz für die Wirtschaft zu schaffen und der Folgen der Krise durch einander abwechselnde "Konjunktur" -  und Sparprogramme Herr zu werden; das Fortbestehen der galoppierenden Inflation in Verein mit der Rezession, der Kreditexplosion zusammen mit einem verheerenden Rückgang der Investitionen, der sinkenden Profitraten begleitet von einem nie gekannten Ausmaß "öffentlicher" Ausgaben, der massiven Arbeitslosigkeit zusammen mit riesigen Haushaltsdefiziten - dies alles beweist den völligen Bankrott des Keynesianismus, des Vertrauens auf die fiskale und monetäre Politik, die der Eckpfeiler der bürgerlichen Wirtschaftspolitik seit dem erneuten Auftreten der Krise seit 1967 gewesen war. Die Unmöglichkeit, der Wirtschaft Anreize zu bieten, ohne die Hyperinflation wieder in Gang zu setzen, die Unmöglichkeit, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, ohne ein Schwindel erregenden Fall der Produktion und der Profitrate hervorzurufen, die sich ständig verkürzenden Pendelbewegungen zwischen Rezession und Inflation haben die ökonomischen Theorien (sic!) zerschmettert, auf welche die Bourgeoisie ihre Politik gegründet hatte. Die Unwirksamkeit der Steuer- und Währungspolitik der Regierungen angesichts eines erneuten Rückgangs des Welthandels und der Produktion zwingen der Bourgeoisie eine neue Wirtschaftspolitik auf, um ihrer Todeskrise entgegenzutreten.

Die Bourgeoisie muss dem Zusammenbruch der keynesianistischen Politik zu entgehen versuchen, indem sie auf eine immer totalitäre und direkte Kontrolle der gesamten Wirtschaft durch den Staat zurückgreift. Auch wenn bedeutende Fraktionen der Bourgeoisie noch nicht einsehen wollen, dass der Keynesianismus überholt ist, so steht dennoch für ihre intelligenteren Vertreter außer Zweifel, worin die Alternative besteht. Die führenden Sprecher der bedeutendsten Finanz- und Industriegruppen drücken sich wie folgt aus: "Wenn die Steuer- und Währungspolitik das Gleichgewicht der Wirtschaft wiederherstellen können, wird uns dies genügen. Wenn die Pläne jedoch scheitern, müssen sich Regierung, Gewerkschaften und Unternehmer auf eine staatliche Intervention von nie gekanntem Ausmaß gefasst machen". (Business Week vom 4.5.1977)

Die Revolutionäre bedürfen einer absoluten Klarheit sowohl darüber, worin das Wesen der Schritte besteht, zu denen die permanente Krise des Kapitalismus alle nationalen Fraktionen der Bourgeoisie zwingt, als auch über die Tendenz zum Staatskapitalismus, einer neuen Phase, in der unserer Klasse Folgendes bevorsteht : "Der Staatskapitalismus ist kein Versuch zur Lösung der grundsätzlichen Widersprüche des Kapitalismus als Ausbeutungssystem der Arbeitskraft, sondern der Ausdruck dieser Widersprüche. Jede kapitalistische Interessengruppe versucht, die Auswirkungen der Krise des Systems auf den Nachbarn abzuwälzen, indem sie sich diesen als Markt und Ausbeutungsfeld aneignet. Der Staatskapitalismus ist aus der für diese Gruppe bestehenden Notwendigkeit entstanden, ihre Konzentration fortzusetzen und sich auswärtige Märkte zu unterwerfen. Die Wirtschaft wird also zur Kriegswirtschaft“ (aus "Die Entwicklung des Kapitalismus und die neue Perspektive", Internationalisme, 1952, wiederveröffentlicht in BULLETIN D`ETUDES ET DE DISCUSSION Nr. 8, von Revolution Internationale, Seite 8-9).

Die auf den Trümmern des Keynesianismus sprießende Kriegswirtschaft stellt keinesfalls einen Ausweg aus der weltweiten Krise dar, sie ist weder eine Wirtschaftspolitik, die die Widersprüche des Kapitalismus auflösen kann, noch kann sie die Grundlage für eine kapitalistische Entwicklung auf höherer Stufe schaffen. Die Kriegswirtschaft kann nur im Zusammenhang mit der Unvermeidlichkeit eines neuen Weltkriegs begriffen werden, falls das Proletariat der Herrschaft der Bourgeoisie kein Ende bereitet; sie ist der notwendige Rahmen für die von der Bourgeoisie getroffenen Vorbereitungen der Feuerbrunst, die ihr von den  blindwirkenden Gesetzen des Kapitalismus und der unaufhörlichen Verschärfung der Krise aufgezwungen werden. Die alleinige Funktion der Kriegswirtschaft ist…der Krieg! Ihre Daseinsberechtigung besteht in der systematischen, effektiven Zerstörung der Produktionsmittel und in der Produktion von Zerstörungsmitteln - die wahre Logik der kapitalistischen Barbarei.

Nur die Errichtung der Kriegswirtschaft kann jetzt noch verhindern, dass der kapitalistische Produktionsapparat zum Erliegen kommt. Um jedoch eine ausgewachsene Kriegswirtschaft errichten zu können, muss jede nationale Fraktion des Kapitals:

  • den gesamten Produktions- und Verteilungsapparat der totalitären Kontrolle des Staates unterordnen und die Wirtschaft auf ein einziges Ziel lenken: den Krieg;
  • den Konsum aller Klassen und Schichten der Gesellschaft drastisch reduzieren;
  • massiv die Produktion und den Ausbeutungsgrad der einzigen Klasse verstärken, die die Quelle aller Werte und des gesamten Reichtunis ist: das Proletariat.

Die enorme Tragweite und Schwierigkeit eines derartigen Unterfangens ist die Ursache der wachsenden politischen Krise, in der jetzt die Bourgeoisie überall steckt. Die totalitäre Organisierung der Wirtschaft und deren Ausrichtung auf ein einziges Ziel führen häufig zu harten Fraktionskämpfen. Die Einschränkung des gesamten Konsums, die die Kriegswirtschaft erfordert, ruft ständige Unruhe und erbitterte Gegnerschaft innerhalb der Mittelschichten, des Kleinbürgertums und der Bauernschaft hervor. Es ist jedoch der Angriff auf das Proletariat, der – weil er einen generalisierten Klassenkrieg auszulösen riskiert - nicht nur die allerschwierigste der Aufgaben ist, die die Bourgeoisie zurzeit zu lösen hat, sondern der Dreh- und Angelpunkt für die Durchsetzung der Kriegswirtschaft ist. Die Kriegswirtschaft steht und fällt mit der physischen und der ideologischen Unterwerfung des Proletariats durch den Staat, mit dem Grad der Kontrolle, die der Staat über die Arbeiterklasse ausübt.

Die Kriegswirtschaft wird in der gegenwärtigen Epoche nicht allein auf nationaler Ebene etabliert, sondern ebenfalls auf der Ebene eines imperialistischen Blocks. Die Eingliederung in einen der beiden imperialistischen Blöcke - die beide von einem riesigen Kontinentalstaat dominiert werden, den Vereinigten Staaten und Russland - ist eine Notwendigkeit, der nicht einmal die Bourgeoisien der ehemaligen imperialistischen Großmächte wie Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Japan entgehen können. Die gewaltigen Anstrengungen, die von den USA und Russland mit dem Ziel unternommen werden, das Kriegspotential ihrer Blöcke zu koordinieren, zu organisieren und zu leiten, verstärken die politische Krise der Bourgeoisien, indem einerseits der auf sie ausgeübte Druck, den Erfordernissen des Ausbaus des imperialistischen Blocks nachzukommen, und andererseits ihr Bedürfnis, die Interessen ihres nationalen Kapitals zu verteidigen, wachsende, unvermeidliche Spannungen hervorrufen.

Wir werden uns jetzt der Reihe nach die spezifischen Probleme, mit denen die Bourgeoisie in den USA, im amerikanischen und im russischen Block konfrontiert ist, sowie die von ihnen ergriffenen Maßnahmen anschauen, mit denen sie ihre Kriegswirtschaft organisieren, die dadurch hervorgerufenen verschiedenen Widerstandsformen überwinden und ihre politische Krise lösen wollen. Anschließend werden wir uns auf die in der ganzen Welt sich verschärfenden interimperialistischen Konflikte konzentrieren, die unaufhörlich, wenn auch nur allmählich die imperialistischen Blöcke in den Weltkrieg führen. Endlich werden wir die für die Intensivierung des proletarischen Kampfes bestehenden Perspektiven aufzeigen -  ihre Hindernisse und die Tendenzen zum allgemeinen Klassenkrieg.

Die Vereinigten Staaten und der amerikanische Block

Während der ersten Monate seiner Präsidentschaft hat Jimmy Carter den orthodoxen Keynesianern seiner Administration einen harten Rüffel erteilt, indem er jeden ursprünglich inflationistischen Haushalt zu den Akten legte (durch die Streichung der vorgesehenen Steuernachlässe bei Neuinvestitionen legte Carter einen weniger umfangreichen Haushalt vor als der von seinem Vorgänger Gerald. Ford vorgeschlagene!). Auch wenn Carter und sein Team die Grenzen des Keynesianismus erkannt haben, haben sie noch lange nicht mit dem fiskalen Konservatismus und jener Währungspolitik gebrochen, die viele Republikaner noch als die einzige mögliche Antwort der Regierung auf die Krise und das Gespenst der galoppierenden Inflation betrachten. Die Carter-Administration hat die absolute Unwirksamkeit der Versuche eingesehen, gegen die Krise mit den Mitteln der Steuer- und Währungspolitik „ankurbelnd" oder restriktiv anzugehen, und beginnt, die Vereinigten Staaten in eine neue Phase der Kriegswirtschaft und des staatlichen Totalitarismus zu führen.

Der einzige Titel des amerikanischen Haushalts, der eine außerordentlich hohe Zuwachsrate zu verzeichnen hat, sind die Ausgaben für Forschung und Produktion im Rüstungsbereich. Der voraussichtliche "Sprung nach vorn" - abhängig von den SALT-Verhandlungen - für den MK12-Atomsprengkopf (den "Silo-Buster") und den B1-Bomber stellt nur den Beginn einer erneuten Rüstungsexplosion dar, die zunehmend zum Hauptgegenstand der wirtschaftlichen Aktivitäten wird. Dazu kommt, dass die jüngsten Initiativen der Carter-Administration in Richtung auf eine stärkere Unterordnung der Waffenexporte unter die strategischen Interessen Amerikas und auf eine Einschränkung der Verbreitung von nuklearer Technologie - die für die Bombenherstellung nutzbares Plutonium produziert - nicht auf eine Begrenzung der Rüstung hinauslaufen, sondern eher Teil einer globaler Politik zur Konsolidierung des amerikanischen Blocks unter Vorherrschaft der Vereinigten Staaten sind, die die Rüstung und deren Entwicklung allein der Kontrolle, dem Willen und den Zielen des amerikanischen Imperialismus unterzuordnen sucht.

Die entschlossene Ausrichtung der Carter-Administration auf die Kriegswirtschaft und ihre zunehmende Tendenz zum Staatskapitalismus kommen auf dem Gebiet ihrer Energiepolitik, ihrer Vorschläge zur Ausweitung der Warenvorräte und ihrer Schritte in Richtung auf eine Kartellisierung des Welthandels deutlich zum Ausdruck. Die Erfordernisse der Kriegswirtschaft haben die Regierung dazu bewegt, durch die Schaffung von staatlichen Behörden eine nationale Energiepolitik einzuführen und die Errichtung einer Superbehörde, der ein nationaler Energie-Zar vorsteht, vorzuschlagen. Der amerikanische Staat beabsichtigt, die Energiepreise, die verwendeten Energiearten und die den jeweiligen Regionen und den verschiedenen Produktions- und Konsumzweigen zugewiesenen Energiemengen zu diktieren. Das Beharren der Energiepolitiker auf Einsparung ist die Speerspitze der auf die Reduzierung des Konsums aller Klassen und Schichten (wenn auch vor allem der Arbeiterklasse) gerichteten Bestrebungen, jener brutalen Austerität, die die Grundlage der Kriegswirtschaft ist. Die Entwicklung neuer Energiequellen, die sowohl die "Unabhängigkeit" Amerikas auf dem Gebiet der Energie im Kriegsfall sichern als auch die völlige Abhängigkeit der anderen, dem Block angehörigen Länder herbeiführen sollen, werden durch die Verstaatlichung der Energieindustrie durchgesetzt. Die vollständige Verstaatlichung der Energie findet auf zweierlei Weise statt: Erstens besitzt der amerikanische Staat selbst den größten Teil der verbliebenen Energiequellen des Landes: "Die wertvollsten Öl- und Gasvorkommen befinden sich mittlerweile in den Offshore-Lagern innerhalb der Bundesgewässer. Die Kohleförderung verlagert sich in den Westen, wo die Regierung die meisten Montankonzessionen kontrolliert. Selbst das Uran der Nation befindet sich weitgehend in öffentlicher Hand." (Business Week vom April 1977)

Zweitens erfordert die Entwicklung der nuklearen Technologie und der Infrastruktur der Kohleverarbeitung eine staatliche Planung und staatliches Kapital, was selbst von den führenden Vertretern der amerikanischen Monopole anerkannt wird: „Die Entwicklung und der Einsatz derartiger Technologien im notwendigerweise großen Stil erfordert prinzipielle wirtschaftliche Korrekturen - z.B. höhere Heizölpreise und massive Kapitalrestrukturierungen. Allein die Regierung scheint in der Lage zu sein, solch ein riesiges Werk erfolgreich zu leiten." (Business Week a.a.O.)

Carters Mannschaft erwägt ebenfalls eine massive Ausdehnung der Warenlager der amerikanischen Regierung, indem den strategisch-militärischen Reserven, 93 verschiedene Waren im Werte von 76 Milliarden Dollar, "wirtschaftliche" Vorräte hinzugefügt werden. Die strategische Reserve dient zur Sicherung der Versorgung im Kriegsfall. Die Bildung von wichtigen Rohstoffreserven wird dem amerikanischen Staat ermöglichen, die Verbraucherpreise zu kontrollieren und auf ausländische Hersteller Druck auszuüben, um die Preise zu drücken, da er jederzeit die von ihm gelagerten Waren auf den Markt werfen kann.

Schließlich steht der amerikanische Staat an der Spitze der Bestrebungen zur Kartellisierung des Weltmarkts. Im Gegensatz zu den internationalen Kartellen, die den Weltmarkt in der Epoche des Monopolkapitalismus beherrschten und die von "privaten" Trusts gebildet wurden, ist ein neuer, der Epoche des Staatskapitalismus und der Kriegswirtschaft angepasster Kartelltyp im Entstehen begriffen. Die Kartelle, die nun gebildet werden, um die Preise wichtiger Rohstoffe zu regulieren und festzulegen sowie wichtige Märkte unter die verschiedenen nationalen Kapitale aufzuteilen, werden unmittelbar von den jeweiligen Staatsapparaten ausgehandelt und betrieben.

Zwei Kartelltypen werden von der Carter-Regierung gefördert. Der erste besteht in den Waren-Kartellen, die gleichzeitig Import- und Exportländer umfassen und die ein akzeptables Preisgefüge für Waren festsetzen sowie die Preisschwankungen mit Hilfe von sich entweder in den Händen der nationalen Regierung oder des Kartells befindlichen Pufferreserven ausgleichen sollen. Die Vereinigten Staaten sind jetzt im Begriff, solche Kartelle für Zucker und Weizen zu organisieren, die die Vorläufer von Kartellen für andere Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte sein könnten. Derartige vom Staat gebildete Kartelle würden versuchen, die Rohstoffpreise zu stabilisieren; ein grundlegendes Element, um eine umfassende Wirtschaftsplanung aufzustellen, dem Fall der Profitrate entgegenzuwirken sowie eine Strategie der "billigen Lebensmittel" zu ermöglichen, die den Preis der Ware Arbeitskraft senken und damit den allgemeinen Abbau der Löhne der Arbeiterklasse erleichtern würde - alles unabdingbare Bestandteile der Kriegswirtschaft.

Der zweite Kartelltyp ist eine direkte Antwort auf die Verengung des Weltmarktes und beinhaltet eine staatliche Planung nicht der Expansion, sondern der Schrumpfung des Welthandels. Dies führt zu Abkommen zwischen Export- und Importländern, zur Festsetzung von Quoten oder Marktanteilen bestimmter, von zahlreichen konkurrierenden Kapitalen hergestellter Waren. Die Vereinigten Staaten haben vor kurzem mit Japan Verträge über Spezialstähle und Fernseher abgeschlossen, die sie beschönigend als "Markt-Bereinigungs-Abkommen" bezeichneten (diese werden zu einer Senkung des japanischen Exports in die USA um 40% führen). Sie sind jetzt außerdem dabei, über die Aufteilung des Weltmarkts für Textilien, Bekleidung, Schuhe und Rohstahl zu verhandeln. Diese Kartelle stellen Washingtons Alternative zur Orgie des Protektionismus und der Autarkie auf der Ebene jedes nationalen Kapitals innerhalb des amerikanischen Blocks dar - eine organisierte und koordinierte Verengung der Märkte, deren Ziel es ist, den Zusammenhalt des Blocks unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise zu erhalten.

Als untrennbaren Bestandteil ihrer Maßnahmen zur Konsolidierung der Kriegswirtschaft fuchtelte die Carter-Regierung mit einer neuen Kriegsideologie herum – mit dem Kreuzzug für die „Menschenrechte“. In der Epoche der imperialistischen Weltkriege, in der der Sieg in erster Linie von der Produktion abhängt und jeder Arbeiter ein „Soldat“ ist, benötigt der Kapitalismus eine Ideologie, die zur Bindung der gesamten Produktion an den Staat und zur Einflößung einer Produktions- und Opferbereitschaft geeignet ist. Außerdem reicht in einer Ära, in der die Kriege nicht zwischen Nationen, sondern zwischen Blöcken ausgetragen werden, der nationale Chauvinismus als alleinige Ideologie nicht mehr aus. Da die Bourgeoisie ein neues weltweites Blutbad vorbereitet, ersetzt der Kampf für die Menschenrechte den Antikommunismus im ideologischen Arsenal des ''demokratischen" Imperialismus des amerikanischen Blocks, weil dieser seine Bevölkerung für den Krieg mit den "totalitären Diktaturen" des russischen Blocks zu mobilisieren beginnt (dies umso mehr, weil Länder wie China, die dem amerikanischen Block angehören, „kommunistische“ Regimes haben und außerdem die Beteiligung „kommunistischer“ Parteien an den Regierungen mehrerer westeuropäischer Länder zu erwarten ist). Hinter den moralistischen Appellen Jimmy Carters zugunsten einer universellen Anerkennung der Menschenrechte werden bereits die amerikanischen Schwerter geschärft.

Die Organisierung einer voll entwickelten Kriegswirtschaft in den USA geht jedoch nicht ohne den wütenden Widerstand vieler mächtiger bürgerlicher Interessensgruppen vonstatten. So widersetzen sich insbesondere der Farmer-Block und das „Agrar-Business“ des Mittleren Westens einer Politik, die sie als die Strategie der „billigen Lebensmittel“ ansehen; die Stahl-, Textil-, Schuh- und viele andere Industrien sind militante Protektionisten, die die Bemühungen der Regierung um den Zusammenhalt und die Stabilität des imperialistischen Westblocks für einen Verrat an der amerikanischen Industrie halten; die Öl- und Gaslobby des Südwestens steht Carters Energiepolitik feindlich gegenüber. All diese Gruppen organisieren sich zur Verteidigung ihrer eigenen Interessen, indem sie dem die ganze Wirtschaft umschließenden Würgegriff des staatlichen Leviathans Widerstand entgegensetzen. Sie versuchen außerdem sowohl die Legionen kleiner und mittlerer Kapitalisten (für die der Staatskapitalismus einem Todesurteil gleichkommt) als auch die enttäuschten Mittelschichten zum Widerstand gegen die Verstaatlichungswelle zu mobilisieren. Trotzdem werden es die globalen Interessen des nationalen Kapitals sein - die unbedingt den Staatskapitalismus erfordern –, die in jedem inneren Konflikt innerhalb der Bourgeoisie am längeren Hebel sitzen; und jene Fraktionen der Bourgeoisie, die am besten diese Interessen vertreten, werden letzten Endes die Orientierung des kapitalistischen Staates diktieren und seine Politik bestimmen.

Aufgrund der sich ständig vergrößernden Kluft zwischen dem relativ zunehmenden wirtschaftlichen Gewicht der Vereinigten Staaten und der abnehmenden wirtschaftlichen Macht Europas und Japans sind die USA  in der Lage, die wirtschaftlichen Prioritäten und die Orientierung der anderen Länder ihres Blocks festzulegen und zu diktieren. Durch die Intensivierung der Krise in Amerika selbst werden die Vereinigten Staaten außerdem immer stärker dazu gezwungen, die schlimmsten Auswirkungen der Krise auf Europa und Japan abzuwälzen (soweit dies den globalen Zusammenhalt des Blocks nicht in Frage stellt). Die USA betreiben jetzt eine Politik, Europa auf Ration zu setzen. Die Mittel, derer sich das amerikanische Kapital bedient, um den bankrotten Ländern Europas die Austerität aufzuzwingen, beruhen auf seiner Macht, Darlehen zu gewähren oder abzulehnen, ohne die Europa dem wirtschaftlichen Ruin ausgeliefert wäre. Infolgedessen kann es die "kranken Männer" des Kontinents zwingen, ihre Wirtschaft der Kontrolle ihrer amerikanischen Gläubiger regelrecht zu unterwerfen. Anders als in den 20er Jahren, als die bitter benötigten amerikanischen Darlehen weitgehend von den "privaten" Banken gewährt wurden, fließt heute der Großteil der Kredite - unter den vorherrschenden Bedingungen des Staatskapitalismus - durch die Kanäle staatlicher oder halbstaatlicher Institutionen wie die Staatskasse, das „Federal Reserve System" oder den von Washington kontrollierten IWF. Die Pläne des amerikanischen Kapitals, einerseits den Konsum Europas drastisch zu senken und andererseits Europa stärker den Imperativen einer sich über den ganzen amerikanischen imperialistischen Block erstreckenden Kriegswirtschaft zu unterwerfen, wurden in den jüngsten IWF-Verhandlungen über Darlehen an Großbritannien, Italien und Portugal deutlich. Als Vorbedingung für ein Darlehen in Höhe von 3,9 Milliarden Dollar verlangte der IWF, dass Großbritannien rigoros die öffentlichen Ausgaben reduziert und den Zuwachs der Geldmenge strengen Beschränkungen unterwirft, mit anderen Worten: rigide deflationistische Maßnahmen ergreift. Gleichzeitig verlangte der IWF, dass Großbritannien sich bereit erklärt, die Wareneinfuhren keiner umfassenden oder permanenten Kontrolle zu unterwerfen und keine Deviseneinschränkungen einzuführen. Mit diesen Garantien wird die Anwendung protektionistischer oder zur Autarkie führender Maßnahmen ausgeschlossen, die den Block spalten oder amerikanische Interessen gefährden könnten. Im Falle Italiens bestanden die Bedingungen des IWF für ein Darlehen in Höhe von 530 Milo. Dollar darin, dass mit dem Abbau des Index-Systems begonnen wird, das zur automatischen Angleichung der Löhne bei Preiserhöhungen führt, die öffentlichen Ausgaben auf nationaler und  lokaler Ebene begrenzt und kontrollieren werden und dem IWF ein Vetorecht über die Erhöhung der Geldmenge zugestanden wird. Portugals Antrag auf Gewährung eines Darlehens in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar wurde vom IWF mit der Forderung nach einer Abwertung des Escudo um 25%  beantwortet, um die Reallöhne drastisch zu kürzen und die Importe (die zu 20% aus Lebensmitteln bestehen) zu reduzieren; im vorliegenden Fall hat Portugal schließlich um 15% abgewertet, und die amerikanischen Geldschränke haben sich zu öffnen begonnen.

Als integralen Bestandteil ihrer Politik der Sicherung der Stabilität des amerikanischen Blocks in seiner Gesamtheit zielen die Vereinigten Staaten darauf ab, die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise gleichmäßiger auf den ganzen Block zu verteilen (die USA ausgenommen), indem sie der BRD und Japan eine Politik der wirtschaftlichen Hilfe und Unterstützung für jener Länder Europas aufzwingen, die dem Zusammenbruch nahe sind. Daher bestehen sie darauf, dass Westdeutschland und Japan ihre Wirtschaft ankurbeln (um den schwächeren Ländern zu Absatzmärkten zu verhelfen) und ihre Exporte erheblich reduzieren. Letztgenannte Forderung ist teilweise durch die Aufwertungen der D-Mark und des Yen erfüllt worden. Der Wertzuwachs der westdeutschen und japanischen Währung wird den USA auch die Eindämmung der Exportoffensive erleichtern und die Konkurrenzfähigkeit der zwei schärfsten Handelsrivalen der Vereinigten Staaten vermindern. Diese Politik hat ihre ersten Früchte zu tragen begonnen, als die Fukuda-Regierung in Japan von Januar bis April 1977 den Yen gegenüber dem Dollar um 7% ansteigen ließ.

Während eine der Grundlagen für den Würgegriff der USA ihre überwältigende finanzielle Macht ist, mit dem sie die gesamten Volkswirtschaften ihres Blocks umklammert, besteht eine andere in ihrer vollständigen Kontrolle der Energiequellen. Es ist die „Pax Americana“ Washingtons über den Nahen Osten, die Japans und Europas Versorgung mit jenem Öl garantiert, von dem das Funktionieren ihres Produktionsapparates heute abhängt. Dass die USA energischen Widerstand gegen die Entwicklung und Verbreitung der als "Schnelle Brüter" bezeichneten Kernkraftwerke leisten, die ihr eigenes, als Brennstoff geeignetes Plutonium erzeugen, beruht zum Teil auf der Tatsache, dass diese Technologie potentiell die Volkswirtschaften der Europäer und Japaner auf dem Energiesektor von den USA unabhängig machen könnte. Wenn die USA jedoch selbst auf eine Entwicklung der Schnellen Brüter verzichten, so leisten sie damit keinerlei Opfer, da ihre Versorgung mit Uran weiterhin die Benutzung von Kernenergie mit ihrem Ziel, die Energieunabhängigkeit, vereinbar macht. Dagegen verurteilt die Nutzung der Kernenergie, die von Uran als Brennstoff abhängt, Europa und Japan zur ständigen absoluten Abhängigkeit von den USA auf dem Energiesektor.

Während die Vereinigten Staaten Europa kurzhalten und den Ländern ihres Blocks eine Sparpolitik diktieren, gibt es ein Gebiet, auf dem sie eine massive Steigerung der Produktion und Ausgaben verlangen: die Rüstung. Die sich zuspitzenden interimperialistischen Konflikte und die Erfordernisse der Kriegswirtschaft haben die Vereinigten Staaten bereits dazu veranlasst, auf eine Erhöhung der Militärausgaben ihrer NATO-Alliierten zu bestehen. Die europäische und japanische Wirtschaft wird künftig immer stärker auf die Produktion von Kanonen - und nicht Butter - ausgelegt werden.

Die Notwendigkeit, eine drakonische Sparpolitik durchzusetzen, um die Tendenz zum Staatskapitalismus zu beschleunigen, das Proletariat zu attackieren (unter den Umständen eines zunehmenden Klassenkampfes) und  ihre Politik an das amerikanische Diktat anzupassen, hat die Bourgeoisie Europas und Japans in die Fänge einer zerstörerischen politischen Krise geführt. Das Wesen der Aufgaben, die die Bourgeoisien zu erfüllen versuchen müssen, gebietet einen Kurs, der schrittweise oder abrupt (abhängig von der Schnelligkeit des wirtschaftlichen Zusammenbruchs bzw. der Verschärfung des Klassenkampfs ab) die Linke an die Macht bringt. Unter den jetzigen Umständen entsprechen Regierungen, die von sozialistischen Parteien beherrscht und von Gewerkschaften gestützt werden, oder Volksfronten, die die stalinistischen Parteien miteinschließen, am besten den Bedürfnissen der Bourgeoisie.

Weil sie nicht untrennbar ans "Privatkapital", an partikularistische Interessen innerhalb des Nationalkapitals oder an rückständige Fraktionen (was die Rechte charakterisiert) gebunden ist, kann die Linke am besten die totalitäre und zentralisierte Kontrolle des Staates über die gesamte Wirtschaft und die drastische Beschneidung des Konsums der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums durchsetzen, die Eckpfeiler der Kriegswirtschaft sind. Aufgrund ihrer aus Arbeitern bestehenden Wählerschaft, ihrer Massenbasis und ihrer "sozialistischen" Ideologie hat allein die Linke – gegenüber einem kämpferischen Proletariat, das das politische Leben zu bestimmen beginnt - eine Chance, den Klassenkampf zum Entgleisen zu bringen und sowohl die brutale Reduzierung des Lebensniveaus des Proletariats als auch seine ideologische Unterwerfung unter dem Staat zu verwirklichen - alles Maßnahmen, von denen der todbringende Erfolg der Kriegswirtschaft abhängt. Aufgrund ihres Atlantizismus, ihres „Internationalismus", ist die Linke (zumindest die sozialistischen Parteien und Gewerkschaften) am ehesten in der Lage, den Ausbau der Kriegswirtschaft auf der Ebene des gesamten amerikanischen Blocks fortzuführen.

Diese Konvergenz zwischen einer Linksregierung und den Interessen des amerikanischen Imperialismus wird zum Beispiel in den Bestrebungen des amerikanischen Imperialismus deutlich, den schwächeren oder stärkeren Ökonomien seines Blocks eine von Fall zu Fall unterschiedliche Wirtschaftspolitik aufzuzwingen. Gegenüber den schwächeren Volkswirtschaften (Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Portugal) bestehen die Vereinigten Staaten auf Sparpolitik und Deflation, was dazu führt, dass sich der Widerstand rund um die rechten Parteien kristallisiert, die mit dem "Privatkapital“ und den anachronistischen, rückständigen Teilen der Bourgeoisie verknüpft sind, welche gewaltige Regierungssubventionen, großzügig gewährte Kredite und die Ankurbelung des Binnenmarkts benötigen, um sich über Wasser zu halten. Im Gegensatz hierzu sind die linken Parteien und die Parteien der "linken Mitte" bereit, den "Empfehlungen" des IWF zu folgen und das amerikanische Diktat durchzusetzen. Selbst die linke Verstaatlichungspolitik, die fester Bestandteil einer Kriegswirtschaft ist (wie die Verstaatlichung des Schiffbaus und der Luftfahrtindustrie in Großbritannien oder die Verstaatlichung der Dassault-Werke und der Elektronikmonopole, die in Frankreich vom "Programme Commun“ vorgeschlagen wurden), schadet den amerikanischen Interessen nicht und kann in der Tat die amerikanische Kontrolle auf direkter zwischenstaatlicher Ebene gar erleichtern. Von Westdeutschland und Japan verlangen die USA Konjunkturankurbelung, Aufwertung der Währung und Exportbeschränkungen - alles Maßnahmen, die eine beträchtliche Opposition seitens der um die rechten Parteien gescharten Fraktionen der Bourgeoisie hervorrufen, die kaum bereit sind, irgendwelche zur Minderung der nationalen Konkurrenzfähigkeit führenden Schritte zu unternehmen und die Interessen des nationalen Kapitals den Interessen des Blocks anzupassen. Dagegen ist die gemäßigte Linke (die SPD in Westdeutschland, die Demokratischen Sozialisten und der EDA-Flügel der Sozialistischen Parteien in Japan)  weitgehend zur Koordinierung der Interessen des nationalen Kapitals mit den Forderungen Amerikas bereit.

In Großbritannien zieht das amerikanische Kapital die Labour Party den Tories und in Westdeutschland die Sozialdemokraten den Christdemokraten deutlich vor. In Portugal sind Soares und die Sozialisten den amerikanischen Interessen besser angepasst als Sa Carneiro oder Jaime Neves. In Spanien wünscht Washington eine von Suarez geführte Regierung, an der sich Felipe Gonzalez und die PSOE (Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens) direkt oder indirekt beteiligen, wohingegen eine von Fraga Iribarne und der Allianza Popular (Volksallianz) geführte Regierung untragbar wäre. In Frankreich ziehen die Amerikaner eine auf Mitterrand und die Sozialistische Partei gegründete Regierung einer von Chirac geführten vor. Selbst in Italien ist eine Andreotti-Berlinguer-Kombination den amerikanischen Bedürfnissen genehmer als eine Regierung, die von Fanfani und dem rechten Flügel der Christdemokraten angeführt würde.

Dazu kommt, dass die Rechte immer weniger in der Lage ist, die notwendigen wirtschaftlichen Maßnahmen zu treffen, die die sich verschärfende Wirtschaftskrise erfordert, und außerdem nicht geeignet ist, der proletarischen Bedrohung entgegenzutreten. Sie steht den amerikanischen Interessen im wachsenden Maß feindselig gegenüber, während die Linke das einzige Vehikel ist, mit dem die Bourgeoisie ernsthaft den Aufbau einer Kriegswirtschaft unter den gegenwärtigen Bedingungen versuchen kann. Dennoch scheinen die jüngsten Wahlergebnisse in zahlreichen Ländern des amerikanischen Blocks diesem unausweichlichen Linksrutsch zu widersprechen. In einer Reihe von Ländern wurde in den Wahlen ein sehr klarer Rechtstrend ersichtlich: Siege der Rechten bei allgemeinen Wahlen in Australien, Neuseeland und Schweden im Jahre 1976, eindrucksvolle Erfolge der CDU/CSU in den Bundestagswahlen in Deutschland im gleichen Jahr, ein beachtlicher Rechtsrutsch in Portugal in der Periode zwischen den Wahlen im April 1975 zur Konstituierenden Versammlung und den Parlamentswahlen ein Jahr später, Erdrutschsiege der Tories sowohl in den parlamentarischen Nachwahlen als auch in den Kommunalwahlen in diesem Jahr, der Triumph der Christlich-Sozialen in den Parlamentswahlen in Belgien im vergangenen Jahr (1977).

Dieser Wählertrend nach rechts wird von einer Welle der Erbitterung und Unzufriedenheit seitens der kleinen und mittelgroßen Kapitalisten, der Kleinbourgeoisie und des Mittelstandes befeuert, die alle einschneidende Einschnitte in ihrem Lebensstandard während der letzten Jahre hinnehmen mussten. Weil der kapitalistische Staat gezögert hat, das Proletariat frontal anzugreifen - aus Angst, dadurch einen für ihn zu früh kommenden generalisierten Klassenkrieg oder selbst nur eine Massenstreikwelle auszulösen, auf die er noch nicht vorbereitet ist -, sind die Mittelklassen, weitaus fragmentierter und keine direkte Bedrohung für die bürgerliche Ordnung, zum Adressaten der ersten Serie von Sparmaßnahmen geworden. Infolgedessen sind die Mittelschichten mit ihren Frustrationen zeitweilig in einigen Ländern zum Dreh- und Angelpunkt der Politik geworden, und dies hat die Wiedergeburt der Rechten in den Wahlen bewirkt. Um jedoch den unmittelbar bevorstehenden Wirtschaftskrach zu verhindern und eine richtige Kriegswirtschaft aufzubauen, muss die Bourgeoisie - trotz ihres Zögerns - sehr schnell ihre Angriffe direkt auf das Proletariat konzentrieren und versuchen, den dadurch ausgelösten Klassenkampf aus der Spur zu bringen. Und sobald die Arbeiterklasse zum Dreh- und Angelpunkt der Politik wird, wird der Trend in den Wahlen bald den grundsätzlichen Kurs der Bourgeoisie widerspiegeln - eine Linkswende.

Doch selbst der kurzfristige Rechtsrutsch hat den resoluten Wechsel der Bourgeoisie nach links weder korrigiert noch verlangsamt, wie ihre Regierungsbildungen es veranschaulichen (was erneut die rein dekorative Natur des Parlaments und den nur mystifizierenden Charakter der Wahlen in der Epoche der kapitalistischen Dekadenz aufzeigt). Wenn die Bourgeoisie nach einer Gelegenheit gesucht hätte, um eine Regierungswechsel nach rechts zu bewerkstelligen (wie die Linksextremen behaupten), so hätte der jüngste Wahltrend ihr eine solche Gelegenheit verschafft. Stattdessen hat die Bourgeoisie die Wahlergebnisse weitgehend missachtet, indem sie Regierungsmannschaften aufgestellt oder an der Macht gelassen hat, die Ausdruck ihres gegenwärtigen Bedürfnisses sind, sich auf Linksparteien oder Gewerkschaften zu stützen. So hält die Bourgeoisie in Großbritannien, wo Parlamentswahlen höchstwahrscheinlich die Rückkehr einer Tory-Regierung bedeuten würden, die Labour-Regierung an der Macht, bis der Wahltrend sich wieder nach links bewegt. Um in der Zwischenzeit vorzeitige Wahlen zu verhindern, wird die Labour-Regierung von den Stimmen der Liberalen Partei gestützt. In Portugal besteht die Bourgeoisie trotz der Mehrheitsverschiebung nach rechts auf eine rein sozialistische Regierung. In Belgien, wo die Wahlergebnisse eine von Christlich-Sozialen und Liberalen gebildete Regierung der "Rechten Mitte" erlaubten, ist die Bourgeoisie stattdessen fest dazu entschlossen, eine Regierung der "Linken Mitte", d.h. eine von den Christlich-Sozialen und den  Sozialisten gebildete Regierung mit mächtiger Gewerkschaftsunterstützung zu konstituieren.

Angesichts der deutlichen Perspektive einer Linkswende der Bourgeoisie müssen wir nun den Charakter der heutigen stalinistischen Parteien untersuchen. Die Regierungsbeteiligung der Stalinisten wird in einigen der schwächeren europäischen Ländern (Italien, Frankreich, Spanien) immer notwendiger werden, da die Stalinisten bestens dafür gerüstet sind, der Arbeiterklasse die wesentlichen Sparmaßnahmen aufzuzwingen und den Klassenkampf aus der Bahn zu werfen. Die Regierungsbeteiligungen der Stalinisten stoßen jedoch auf wütende, häufig gewaltsame Opposition von Seiten mächtiger Fraktionen der nationalen Bourgeoisie sowie auf den Widerstand und das Misstrauen der USA. Wir müssen uns über den wahren Charakter des Stalinismus klar sein, über seine besonderen Merkmale als bürgerliche Partei, um zu verstehen, worin die Ursachen dieser Gegnerschaft und dieses Misstrauens bestehen und in welchem Maße sie den Machtantritt der Stalinisten verhindern können.

Erstens sind stalinistische Parteien keine anti-nationalen Parteien oder Agenten Moskaus. Alle bürgerlichen Parteien (linke wie rechte) sind, unabhängig von ihrer Orientierung in der internationalen Arena, nationalistisch: "In der Epoche des Imperialismus kann die Verteidigung der nationalen Interessen nur innerhalb des breiten Rahmens eines imperialistischen Blocke stattfinden. Nicht als fünfte Kolonne oder ausländischer Agent, sondern in Vertretung seiner eigenen unmittelbaren oder auch langfristigen wohl verstandenen Interessen entscheidet sich eine nationale Bourgeoisie für einen der existierenden Blöcke. Um diese Wahl für den einen oder den anderen Block findet in der Bourgeoisie ein interner Kampf statt. Aber diese Auseinandersetzungen finden auf der Basis eines gemeinsamen Einverständnisses und eines einzigen Zieles statt: dem nationalen Interesse, dem Interesse der nationalen Bourgeoisie zu dienen.“ (Internationalisme, Nr. 30, 1948)

Der Nationalismus ist - und war es immer - die Basis der stalinistischen Parteien. Und wenn sie sich in den 40er Jahren, als die Teilung Europas in zwei imperialistische Blöcke vollzogen wurde, für Russland entschieden, waren sie nicht in größerem Maße eine 5. Kolonne Moskaus, als die Sozialdemokratie oder die Christdemokratie eine 5. Kolonne Washingtons waren. Das einzige, was diese bürgerlichen Parteien trennte, war die Frage, in welchem Block die vitalen Interessen des nationalen Kapitals am besten vertreten werden.

In der heutigen Konjunktur wäre der Blockwechsel eines der westeuropäischen Länder oder Japans schwerlich möglich, mit Ausnahme eines Krieges oder im äußersten Fall durch eine grundsätzliche und folgenschwere Änderung des Gleichgewichts zwischen den beiden imperialistischen Lagern der Welt. Keine Fraktion der Bourgeoisie, die reale Aussichten hat, an die Macht zu kommen, kann ein Überwechseln in den russischen Block anstreben. In diesem Sinne ist der "Eurokommunismus" das Eingeständnis der Stalinisten, dass die Interessen ihres nationalen Kapitals einen Blockwechsel ausschließen. Der Nationalismus der stalinistischen Parteien in diesen Ländern nimmt heute die Form einer Unterstützung protektionistischer Lösungen angesichts der Vertiefung der Wirtschaftskrise und eines Engagements für die lediglich embryonale Tendenz zur Autarkie an. Wenn auch diese Orientierung der Stalinisten nicht die Einbindung ihrer Länder in den amerikanischen Block in Frage stellt, so widerspricht sie dennoch den Plänen des amerikanischen Kapitals, die verschiedenen Länder immer fester in die gigantische Kriegswirtschaft unter der absoluten Kontrolle Washingtons zu integrieren. Darin besteht eine Grundlage für das fortdauernde Misstrauen Amerikas gegenüber den stalinistischen Parteien und ihre Präferenz für die sozialistischen Parteien, für die die lebenswichtigen Interessen des nationalen Kapitals die engste Anpassung der nationalen Politik an die Bedürfnisse des gesamten Blockes erfordern.

Aber nicht seine Unterstützung einer autarkischen Politik - die er jedenfalls mit den Rechtsextremen teilt - ist das ausgeprägteste Merkmal des Stalinismus, und sie erklärt auch nicht seinen starken Gegensatz zu den anderen Fraktionen des nationalen Kapitals. Die stalinistischen Parteien sind, so demokratisch oder pluralistisch sie sich derzeit in ihrer Ausdrucksweise auch geben, die Exponenten der vollständigsten und extremsten Form des Staatskapitalismus, der totalitären und direkten Staatskontrolle aller Aspekte der Produktion und Distribution, eines Ein-Parteien-Staats und einer vollständigen Militarisierung der Gesellschaft. Anders als die anderen bürgerlichen Parteien (einschließlich der Sozialisten) sind die Stalinisten in keiner Weise mit irgendeiner Art "privatem" Kapital verbunden. Während andere Fraktionen der Bourgeoisie eine mehr oder weniger enge Verbindung von staatlichem und "privatem " Kapital vertreten, werden die Stalinisten, einmal an die Macht gekommen, die Eliminierung des "privaten" Kapitals und mit ihm aller anderen bürgerlichen Parteien betreiben. Das ist der Grund der permanenten Angst und Feindschaft der anderen bürgerlichen Fraktionen gegenüber den Stalinisten. Dies erklärt auch viele Vorbehalte des amerikanischen Imperialismus, der seine Kontrolle über seine "Verbündeten" nicht auf der Basis direkter zwischenstaatlicher Beziehungen, sondern durch die Verknüpfungen mit dem "privaten" Kapital ausübt - Verbindungen, die die Stalinisten zerschlagen würden.

Aus diesen Gründen sind die USA und die anderen bürgerlichen Parteien in Europa und Japan fest entschlossen, bei den Stalinisten die Zügel kurz zu halten, auch wenn die Verschlechterung der wirtschaftlichen und politischen Lage diese zu irgendeiner Art direkter Regierungsbeteiligung bringt, um die zerbröckelnde bürgerliche Ordnung zu stabilisieren. Da sich jedoch einerseits die wirtschaftliche und politische Situation verschärft und andererseits die Notwendigkeit einer immer weitergehenden Kriegswirtschaft deutlich wird, werden sich die lebenswichtigen Interessen des nationalen Kapitals immer mehr dem Programm der Stalinisten annähern. (Fortsetzung folgt in Internationale Revue Nr. 2)

IKS, Juni 1977

Internationale Revue Nr. 1 - Einleitung

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Was ist die Internationale Revue der IKS?

Die IKS veröffentlicht seit April 1975 eine dreimonatige Zeitschrift. Diese Zeitschrift erscheint gleichzeitig auf Französisch, Englisch und Spanisch. Sie erscheint seit April 1976 auf Holländisch, seit Anfang 1977 auf Italienisch und ab Anfang 1978 auf Deutsch.

Die Internationale Revue beinhaltet Artikel der IKS zur theoretischen Vertiefung der Positionen und der Geschichte der Arbeiterbewegung. Weiterhin werden mit diesem Organ Diskussionen mit anderen revolutionären Organisationen geführt und Beiträge oder Berichte zum Leben der Organisation sowie Stellungnahmen der IKS zu aktuellen Problemen veröffentlicht. Die Internationale Revue ist das internationale Organ einer internationalen Organisation. Broschüren zu einzelnen Positionen werden ebenfalls auf internationaler Ebene herausgegeben. (Auf Deutsch wurden bereits Broschüren über die Gewerkschaftsfrage und die nationale Frage veröffentlicht. In den "Grundprinzipien" stehen die Grundsatzpositionen der IKS). In den einzelnen territorialen Sektionen werden des Weiteren aktualisierte regelmäßige Zeitschriften bzw. Zeitungen der IKS herausgebracht.

Ein solches Organ auf internationaler Ebene ist nicht aus Eitelkeit entstanden, sondern hat seine Grundlage in dem Klassencharakter unserer Organisation. Das Proletariat ist keine Ansammlung einzelner nationaler Klassengebilde, sondern die Weltarbeiterklasse, die auch nur als internationale Klasse das Kapital besiegen kann. Um dies zu erreichen, muss jede proletarische Organisation zur Internationalität streben, um dadurch zur größtmöglichen Homogenität des Arbeiterbewusstseins zu gelangen.

Warum eine Internationale Revue auf Deutsch?

In der BRD, Skandinavien, Österreich und der Schweiz sowie im restlichen Teil des Planeten vertieft sich immer mehr die Todeskrise des Kapitalismus. Diese Krise öffnet eine neue revolutionäre Periode, ein Wiedererwachen des Proletariats auf Weltebene. Trotz der Aussagen der Linken aller Art ist die BRD keine Ausnahme in dieser Krise. Die Arbeitslosigkeit, die steigenden Preise, die immer schlimmeren Lebens- und Arbeitsbedingungen, die zunehmenden Schwierigkeiten gegenüber der Krise (s. die Konjunkturprogramme), die politische Krise in den verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie sind deutliche Beweise dafür, dass auch die stärksten kapitalistischen Länder die Krise nicht vermeiden können. Diese Krise offenbarte schon 1969 und 1973, dass die deutsche Arbeiterklasse nicht verschwunden ist und in den nächsten Jahren immer stärker auf der historischen Bühne auftreten wird. Die Perspektive ist in der BRD, Österreich, der Schweiz und Skandinavien die gleiche wie in den anderen Ländern der Welt: eine immer tiefere Krise und eine Welle von revolutionären Kämpfen des Proletariats.

Als Ausdruck und Produkt des Wiedererwachens des Proletariats auf Weltebene gibt es immer mehr revolutionäre Elemente, die mit der bürgerlichen Ideologie gebrochen haben. Die revolutionären Organisationen müssen diesen Elementen einen organisatorischen Rahmen anbieten können, durch welchen die revolutionären Ideen in die Klasse vermittelt werden können. Dieser Prozess findet in allen Ländern statt; die Internationale Revue der IKS in deutscher Sprache verfolgt das gleiche Ziel: die Verbreitung der revolutionären Ideen in der Arbeiterklasse.

Warum ein theoretisches Organ?

Die Notwendigkeit der Vertiefung der marxistischen Theorie als ein Instrument für den Kampf gegen die alte kapitalistische Ordnung wird oft missverstanden.

Einerseits lehnen viele die Notwendigkeit der Theorie ab, die sie mit dem Akademismus verwechseln, und halten sowohl Programm wie theoretische Vertiefung der proletarischen Grundsätze für unnötig. In diesem Zusammenhang sei auf die gesamten K-Gruppen verwiesen, die die Theorie nicht ausdrücklich ablehnen, sie aber von ihrer Praxis vollkommen trennen und nur als eine Rechtfertigung für ihr eigenes Handeln betrachten. Für sie besteht die einzige revolutionäre Handlungsmöglichkeit in der unmittelbaren Aktion („man muss in der Bewegung sein“ – gleichgültig, ob diese sogenannte Bewegung etwas mit proletarischen Ansätzen zu tun hat oder ob es eine revolutionäre Perspektive gibt). Hierzu zählen wir auch die Ouvrièristen (Arbeitertümler). Sie bestimmen den Charakter einer Bewegung nicht auf der Grundlage historisch entstandener Grundsatzpositionen, sondern nach der soziologischen Herkunft ihrer Protagonisten. Auf der Basis des „Die-Arbeiter-haben-immer-recht“-Standpunktes erübrigt sich für sie faktisch jede Notwendigkeit einer theoretischen Arbeit.

Andererseits gibt es diejenigen, die die Theorie als einen Selbstzweck und als ein Forschungsinstrument betrachten: all die Akademiker und Intellektuellen mit „linken“ Ansprüchen. Ihre einzige Praxis besteht in der Veröffentlichung ihrer Theorie in zahlreichen Zeitschriften. Sie wollen die Welt nicht verändern, sondern nur interpretieren. Sie sind nicht zu verwechseln mit solchen revolutionären Elementen, die in Reaktion auf die theoretische Armut der K-Gruppen einen Ausweg in der Theorie suchen, dabei jedoch die dialektische Beziehung zwischen Theorie und Praxis und meist auch den Klassenkampf selbst außer Acht lassen.

Die Ablehnung der Theorie sowie ihr Gegenteil (bzw. ihre Ergänzung), die Vergötterung der Theorie, sind gleichzeitige eine Ablehnung des Marxismus. In der Tat hat der Marxismus als theoretischer Ausdruck der Arbeiterklasse zum ersten Mal auf dialektische Weise den Bezug zwischen Theorie und Praxis als untrennbare Seiten des gleichen Prozesses hergestellt; beide sind notwendige Instrumente für die Weiterentwicklung der Menschheit und Voraussetzung für den Sieg des Proletariats auf Weltebene. Die Theorie ist kein Selbstzweck, sondern sie dient dazu, auf möglichst hohem Niveau die Welt zu analysieren und die Lehren aus den Erfahrungen der Arbeiterklasse zu ziehen. Die Aktion der Revolutionäre ist historisch und nicht unmittelbar: Sie müssen in voller Kenntnis der Bedingungen, unter denen die Umwälzung zum Kommunismus stattfinden wird, die endgültigen Ziele des Proletariats aufzeigen, d.h. die kapitalistischen Produktionsbedingungen, die Fallen der Bourgeoisie gegen das Proletariat, die Notwendigkeiten für das Proletariat. Nur wenn das Proletariat den höchsten Grad an Homogenität und Bewusstsein erreicht hat, kann es die Welt verändern.

Es ist die Rolle der Revolutionäre, eine kohärente Auffassung der Welt in einem kohärenten Programm auszudrücken, das aus den Erfahrungen des Proletariats entstanden ist und mit der ständigen Auseinandersetzung mit der Erfahrung des Proletariats und mit der Realität, mit der lebendigen Praxis der Klasse bereichert wird. Nur durch diese Theorie kann die Praxis der Revolutionäre eine Perspektive für das Proletariat anbieten. Nur durch die Praxis der Klasse kann wiederum diese Theorie zu einem noch besseren Instrument im Klassenkampf werden.

Über den Inhalt dieser Internationalen Revue

Vier Texte der IKS sind in dieser Nummer veröffentlicht, von denen zwei von internationalen Kongressen der IKS stammen. Das Manifest der IKS ist der Ausdruck der Wiedergeburt des Proletariats in dieser neuen revolutionären Periode und seiner Organisation der Revolutionäre. Es wurde für den ersten Kongress der IKS im Januar 1976 geschrieben, so wie auch die Plattform und die Statuten der Organisation. Es soll die historischen Ziele des Proletariats aufzeigen und auch bekräftigen, dass die Arbeiterklasse nicht besiegt ist, sondern die Mystifikationen des Kapitals (vor allem seines linken Flügels) erkennen muss und wird, um ihren Kampf durchzuführen. Entgegen den demoralisierenden Analysen der Linken müssen die Revolutionäre erneut daran erinnern, dass ihre Klasse eine historische Mission zu erfüllen hat: den Aufbau der kommunistischen Gesellschaft. Dieses Manifest ist in diesem Sinne ein Appell an alle bestehenden revolutionären Kräfte der Welt. Die Revolutionäre haben eine große Verspätung gegenüber der Entwicklung der Krise und der historischen Aufgabe des Proletariats. Es ist absolut wesentlich für den Erfolg der Revolution, dass sie sich früh genug zusammenfinden und vereinigen, um ihre Rolle als Faktor im revolutionären Klassenkampf erfüllen zu können.

Diese Umgruppierung der Revolutionäre auf Weltebene ist eine der Hauptaufgaben, die sich die IKS gegeben hat. Als die programmatisch und organisatorisch am weitesten entwickelte Organisation heutzutage muss sie diese lebenswichtige Aufgabe erfüllen. Sie ist der Pol der Umgruppierung, der den anderen entstehenden oder bestehenden Organisationen ein klares kohärentes Programm und einen international entwickelten organisatorischen Rahmen anzubieten hat.

Dieses Manifest wird auf Jahre seine Gültigkeit behalten, und deshalb können wir es jetzt in dieser Nummer veröffentlichen.

An zweiter Stelle veröffentlichen wir den ersten Teil aus einem Text der Internationalen Revue, Nr. 2 (engl., franz., span. Ausgabe). Dieser Text versucht einerseits die Ereignisse der Deutschen Revolution wiederzugeben, die meistens total unbekannt geblieben sind (abgesehen von akademischen Kreisen) und von der offiziellen, stalinistischen Geschichtsschreibung verdreht und geleugnet worden sind. Die Deutsche Revolution bildet mit der Russischen Revolution die wichtigsten Erfahrungen des Proletariats in diesem Jahrhundert, von denen die nächste revolutionäre Welle viel zu lernen hat. Diese Lehren haben die revolutionären Organisationen bereits in den 20er Jahren gerade in Deutschland (KAPD) zum großen Teil gezogen. Die heutigen Revolutionäre müssen diese Ereignisse weiter untersuchen, um einen Beitrag zum Verständnis der Geschichte zu bringen und vor allem der Klasse Fehler aufzuzeigen, die nicht mehr passieren dürfen. Gerade in Deutschland muss die Arbeiterklasse ihre vergangenen Erfahrungen wieder in Erinnerung rufen. Dieser Text soll ein Beitrag dazu sein.

Der Text "Staat und Terrorismus: ein Feind der Arbeiterklasse" ist ursprünglich als Flugblatt bzw. lose Beilage zu unseren Broschüren im Dezember letzten Jahres erschienen. Wir haben damit versucht, in all den Wirren der Terroristenhatz die revolutionäre Perspektive des Proletariats zu behaupten. In dieser Internationalen Revue veröffentlichen wir den Text als Ausdruck unserer Intervention in der BRD, aber gleichzeitig als einen Beitrag in der Diskussion, die sich um das Verständnis der jetzigen Entwicklung des Staates bemüht. In diesem Sinne ist der Artikel auch weiterhin aktuell.

Als ein Resultat des 2. Kongresses der IKS (Juni 1977) veröffentlichen wir schließlich den Bericht über die internationale Situation. Dieser Bericht soll einen analytischen Rahmen geben, um die Lage des Kapitals und der Krise sowie die Entwicklung der Klassenkämpfe zu würdigen. Dank dieser Aufgabe kann die IKS eine Grundlage für ihre Analyse des Klassenkampfes schaffen, um eine entsprechende Intervention entwickeln zu können.

In diesem Sinne ist die Internationale Revue ein Kampfmittel und keine bloße Sammlung von Texten. Die Internationale Revue muss zu einem Anstoß revolutionärer Handlung und revolutionären Bewusstseins werden.

 

Lehren aus der Deutschen Revolution

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Die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund)

Mit der Gründung der KPD vom 30. Dezember 1918 -1. Januar 1919 dokumentierte die revolutionäre Opposition gegen die Sozialdemokratie, dass sie ihre organisatorische Autonomie gefunden hatte. Die KPD wurde gegründet, als das bewaffnete Proletariat auf der Straße kämpfte und in einigen Industriezentren kurzzeitig die Macht in den Händen hielt. Bald offenbarte diese Partei jedoch den heterogenen Charakter ihrer Zusammensetzung und ihr Unvermögen, ein globales und vollständiges Verständnis der Aufgaben zu entwickeln, für deren Wahrnehmung sie gegründet worden war.

Welche Kräfte einigten sich, um die Partei zu formen? Und wie sahen die Probleme aus, vor die diese Kräfte bald gestellt wurden?

Wir werden hauptsächlich die Momente behandeln, die uns geeignet erscheinen, die Fehler aufzuzeigen, die wichtige und weitreichende Folgen hatten.

Der Verlauf der Ereignisse nach dem 4. August 1914 war gekennzeichnet von Schwierigkeiten und Konfusionen. Die Geschichte des Spartakusbundes steht dafür beispielhaft. Seine Rolle als Bremser in der theoretischen Klärung und bei der Entwicklung der kommunistischen Bewegung ist über jeden Zweifel erhaben.

In seiner Zeit waren alle wichtigen Beschlüsse des Spartakusbundes von den Positionen Rosa Luxemburgs geprägt (die Gruppe nannte sich ab 1916 so; zwischen 1915 und 1916 hieß sie noch „Internationale“, nach der im April 1915 erschienenen Zeitschrift).

Auf der Zimmerwalder Konferenz (5.-8. September 1915) wurden die Deutschen von der Gruppe „Internationale“, dem Berliner  Julian Borchardt (Vertreter einer mit „Lichtstrahlen“ verbundenen kleinen Gruppe) und dem zentristischen Flügel um Kautsky vertreten. Allein Borchardt verteidigte die internationalistischen Positionen Lenins, während die anderen Deutschen die folgende Resolution unterstützten: „Diese Konferenz darf auf keinen Fall den Eindruck erwecken, eine Spaltung und die Gründung einer neuen Internationalen zu wollen.“[1] [1]

In Kienthal (24.-30. April 1916) wurde die deutsche Opposition von der Gruppe „Internationale“ (Berta Thalheimer und Ernst Meyer), der „Opposition in der Organisation“ (Zentristen um Hoffmann) und den Bremer Linksradikalen mit Paul Fröhlich vertreten. Die Bedenken der Spartakisten (Internationale) waren nicht ganz überwunden. Sie waren den zentristischen Positionen immer noch näher als denen der Linken (Lenin/Fröhlich). Meyer äußerte: „Wir wollen die ideologische Basis der neuen Internationale gründen. Aber in der Frage der organisatorischen Form wollen wir uns nicht festlegen, da noch alles in Bewegung ist.“

Rosa Luxemburg war nämlich der klassischen Auffassung, die Partei sei am Ende einer Revolution notwendiger als in ihrer ersten vorbereitenden Phase: „In einem Wort und historisch ist der Moment, in dem wir führen müssen, nicht am Anfang der Revolution, sondern am Ende.“

Das wichtigste Ereignis auf internationaler Ebene war sicherlich die Entstehung der Bremer Linksradikalen.[2] [2] Schon früh veröffentlichte die sozialdemokratische Zeitung Bremens - die „Bremer Bürgerzeitung“ - wöchentlich Artikel von Pannekoek und Radek. Unter dem Einfluss der Holländischen Linken bildete sich bald in Bremen die Gruppe um Knief, Fröhlich und anderen. Ende 1915 gingen aus der Vereinigung der Bremer Gruppe mit den Berliner Kommunisten der Zeitschrift „Lichtstrahlen“ die Internationalen Sozialisten Deutschlands (ISD) hervor. Die Bremer Linke trennte sich im Dezember 1915 auch formell von der Sozialdemokratie. Sie hatte jedoch bereits im Juni begonnen, die „Arbeiterpolitik“ zu publizieren, das damals wichtigste legale Organ der Linken.[3] [3] In dieser Zeitung erschienen Artikel von Pannekoek, Radek, Sinowjew, Bucharin, Kamenew, Trotzki und Lenin.

„Arbeiterpolitik“ zeigte von vornherein ein größeres Bewusstsein für den Bruch mit dem Reformismus. In der ersten Nummer konnte man lesen, dass der 4. August 1914 „das natürliche Ende einer politischen Bewegung darstellt, deren Niedergang vor einiger Zeit begonnen hatte.“ Aus „Arbeiterpolitik“ entwickelten sich die Tendenzen, die maßgeblich darauf drängten, die Frage der Partei erneut in der Arbeiterbewegung zu stellen. Da die Spartakisten jedoch weiterhin am Verbleib in der Sozialdemokratie festhielten, wurde die Diskussion zwischen ihnen und der Bremer Gruppe wesentlich erschwert. Auf der nationalen Konferenz der Gruppe Internationale am 1. Januar 1916 kritisierte Knief den Mangel an klaren Perspektiven und jeglicher Entschlossenheit zum Bruch mit der SPD und dementsprechend auch den Mangel einer Perspektive der Bildung einer auf radikal neuen Grundlagen basierenden revolutionären Partei.

Die spartakistische Gruppe Internationale blieb weiterhin in der „Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft“ im Reichstag und gab folgende Erklärung ab: „Kampf um die Partei und nicht gegen die Partei [...] Kampf für die Demokratie innerhalb der Partei, für die Rechte der Masse der Parteigenossen gegen die Führer, die ihre Pflichten vergessen [...] Unsere Parole ist weder Spaltung noch Einheit, weder neue noch alte Partei, sondern die Eroberung der Partei von der Basis dank der Empörung der Massen [...] der endgültige Kampf um die Partei hat begonnen.“ (Spartakusbriefe, 30. März 1916). Zur gleichen Zeit konnte man in „Arbeiterpolitik“ lesen: „Wir behaupten, dass die Spaltung sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene nicht nur unvermeidlich ist, sondern sogar eine Voraussetzung für den wirklichen Wiederaufbau der Internationale, des Aufflammens der proletarischen Bewegung der Arbeiter ist. Wir behaupten, es ist unzulässig und gefährlich, uns daran zu hindern, unsere tiefe Überzeugung vor den Arbeitermassen auszudrücken.“ (Arbeiterpolitik Nr. 4). Und Lenin schrieb in Über die Junius-Broschüre (Juli 1916): „Der größte Mangel des gesamten revolutionären Marxismus in Deutschland ist das Fehlen einer festgefügten illegalen Organisation. [...] Eine solche Organisation müsste sowohl dem Opportunismus als auch dem Kautskyanertum gegenüber eine eindeutige Stellung einnehmen. [...] Nur die Gruppe der ‚Internationalen Sozialisten Deutschlands‘ (ISD) bleibt - klar und deutlich für alle - auf ihrem Posten.“ (Lenin: Über die Junius-Broschüre, in: Lenin Werke, Bd. 22, S. 312 ff).

Der Eintritt der Spartakisten in die USPD (gegründet vom 6.-8. April 1917) - eine zentristische Partei, die sich nicht grundsätzlich von der Sozialdemokratie unterschied, aber mit der zunehmenden Radikalisierung der Massen verknüpft war (Haase, Ledebour, Kautsky, Hilferding und Bernstein gehörten ihr an) - erschwerte zusätzlich die Beziehungen zwischen den Bremer Kommunisten und den Spartakisten. Und im März 1917 konnte man in „Arbeiterpolitik“ lesen: „Die Linksradikalen stehen vor einer wichtigen Entscheidung. Die größte Verantwortung liegt in den Händen der Gruppe Internationale, die, trotz der von uns geübten Kritik, immer noch die aktivste und größte Gruppe bleibt und den Kern der zukünftigen linksradikalen Partei bildet. Ohne sie, müssen wir ehrlich zugeben, werden wir und die ISD in absehbarer Zeit keine handlungsfähige Partei aufbauen können. Es hängt von der Gruppe Internationale ab, ob der Kampf der Linksradikalen geeint unter einer Flagge geführt werden soll oder ob die Oppositionen, die in der Vergangenheit in der Arbeiterbewegung aufgetreten sind und deren Konkurrenz ein Faktor der Aufklärung sind, ihre Zeit und Energie verschwenden, um allein in die Konfusion zu führen.“

Über den Beitritt der Spartakisten zur USPD konnte man im gleichen Blatt lesen: „Die Internationale Gruppe ist tot [...] Eine Gruppe von Genossen hat ein Aktionskomitee für den Aufbau einer neuen Partei gebildet.“

In der Tat fand im August 1917 in Berlin eine Versammlung mit Delegierten von Gruppen aus Frankfurt, Bremen, Berlin und anderen Städten statt, um die Basis für eine neue Partei zu legen. An diesem Treffen nahm auch Otto Rühle mit der Gruppe aus Dresden teil.

In der Spartakusgruppe selbst tauchten Elemente auf, die den Linksradikalen in etlichen Positionen sehr nahe standen. Sie akzeptierten die organisatorischen Kompromisse der Zentrale um Rosa Luxemburg nicht. Dies waren zunächst die Gruppen in Duisburg, Frankfurt und Dresden mit ihrer Opposition gegen die Teilnahme an der Arbeitsgemeinschaft. Die Zeitung der Duisburger Gruppe „Kampf“ beteiligte sich an einer lebhaften Debatte gegen diese Teilnahme. Anschließend wandten sich andere Gruppen, wie z.B. die recht wichtige Gruppe um Heckert in Chemnitz, gegen den Anschluss an die USPD. Sie waren mit Radek einer Meinung, der in „Arbeiterpolitik“ schrieb: „Die Auffassung, zusammen mit den Zentristen eine Partei aufzubauen, ist eine gefährliche Utopie. Die Linksradikalen müssen, wenn sie ihre historische Aufgabe verrichten wollen, ihre eigene Partei aufbauen, ungeachtet der Schwierigkeiten, die ein Bruch hervorbringt.“

Liebknecht selbst, der enger mit der Unruhe innerhalb der Klasse verknüpft war, brachte seinen eigenen Standpunkt in einem im Juni 1916 geschriebenen Text zum Ausdruck, worin er auf der Suche nach einem Verständnis des Pulsschlages der Revolution zwischen drei Gesellschaftsschichten der Sozialdemokratie unterscheidet: Die erste bestand aus den bezahlten Parteifunktionären, die soziale Basis der Mehrheitspolitik der SPD. Die zweite bestand aus „den bessersituierten gelernten Arbeitern, Handwerkern, usw. Ihnen ist die Rechnung bei dem Risiko einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den herrschenden Klassen nicht klar. [...] Sie wollen protestieren und ‚kämpfen' und können sich nicht entschließen, den Rubikon zu überschreiten. Sie sind die Basis der Arbeitsgemeinschaft.“

Und die dritte schließlich setzt sich zusammen aus „[der] besitzlosen Masse der ungelernten Arbeiter, dem Proletariat im eigentlichen, engen Sinn. [...] Sie haben an diesen Staaten nichts zu verlieren als ihre Ketten und durch ihre Niederwerfung und Sprengung alles zu gewinnen. [...] Diese Massen, das Proletariat, vertreten wir.“ (Karl Liebknecht, in: Gesammelte Reden und Schriften Bd. 9, S. 299)

All dies beweist zweierlei:

1) dass ein wichtiger Teil der Spartakus-Gruppe die gleiche Richtung wie die Linksradikalen vertrat und dabei mit dem in der Minderheit befindlichen Zentrum - vertreten durch Luxemburg, Jogiches und Levi – in Konflikt geriet;

2) den föderalistischen, nicht zentralisierten Charakter der Spartakus-Gruppe.

Die Russische Revolution

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Spartakisten und der USPD-Mehrheit über die Russische Revolution brachte „Arbeiterpolitik“ dazu, die Diskussion mit den Spartakisten erneut aufzunehmen.[4] [4] Die Bremer Kommunisten haben die Solidarität mit der Russischen Revolution nie von der Notwendigkeit der Gründung einer kommunistischen Partei in Deutschland getrennt. Warum, fragten sie, hatte die Revolution in Russland triumphiert?

 „Einzig und allein weil in Russland eine selbstständige Partei von Linksradikalen besteht, die von Anfang an die Fahne des Sozialismus hochgehalten hat und sie durch den Wandel der sozialen Revolution hindurch verfochten hat.“

„Während in Gotha noch gute Gründe für die Haltung der Internationale-Gruppe gefunden werden konnten, ist von Tag zu Tag aller Schein der Rechtfertigung für das Zusammengehen mit den Unabhängigen verblasst.“

„Heute fordert die internationale Situation mit einer noch dringlicheren Notwendigkeit die Gründung einer radikalen linken Partei.“

„Unsererseits sind wir mit allen Kräften dabei, die Voraussetzungen für eine linksradikale Partei in Deutschland zu schaffen. Angesichts der Schwächen der Unabhängigen in den letzten neun Monaten, angesichts der verheerenden Folgen des Kompromisses von Gotha[5] [5] der die zukünftige Entwicklung einer radikalen Partei nur bremsen kann, rufen wir unsere Freunde von der Gruppe Internationale auf, unmissverständlich und offen mit den pseudo-sozialistischen Unabhängigen zu brechen und eine selbstständige radikale Partei aufzubauen.“ („Arbeiterpolitik“, 15. Dezember 1917, unsere Hervorhebung)

Ungeachtet dessen musste noch ein Jahr verstreichen, bevor die Partei in Deutschland gegründet wurde. Ein Jahr, in dem die sozialen Spannungen stetig zunahmen, von den Berliner Streiks im April 1917 bis zur Meuterei der Marine und der Streikwelle des Januar 1918 (Berlin, Ruhrgebiet, Kiel, Hamburg, Dresden), die während des ganzen Sommers und Herbstes anhielt.

Untersuchen wir nun einige andere kleine Gruppen, die kennzeichnend für die deutsche Situation waren: Wie schon erwähnt, schloss die ISD auch die Berliner Gruppe um die Zeitung „Lichtstrahlen“ ein. Der wichtigste Wortführer dieser Gruppe war Borchardt. Seine in der Zeitung entwickelten Ideen waren stark antisozialdemokratisch, stellten jedoch durch seine halbanarchistischen Orientierung einen Bruch mit den Bremern dar. „Arbeiterpolitik“ merkt dazu an: „An Stelle der Partei kommt er mit der Vorstellung einer propagandistischen Sekte anarchistischer Art“. Später bezeichneten ihn die Linkskommunisten als einen Renegaten.

In Berlin wurde Werner Möller, der schon an „Lichtstrahlen“ mitwirkte, zum eifrigsten Mitarbeiter der „Arbeiterpolitik“ und schließlich ihr Vertreter. Er wurde im Januar 1919 kaltblütig von Noskes Männern ermordet.

In Berlin war die linke Strömung mit den Spartakisten Schröder und Friedrich Wendel u.a. (später KAPD) sehr stark.

Die Hamburger Gruppe nahm einen besonderen Platz innerhalb der revolutionären Opposition gegen die Sozialdemokratie ein. Sie trat den ISD erst im November 1918 bei, als diese am 23. Dezember 1918 auf Vorschlag von Knief ihren Namen in IKD (Internationale Kommunisten Deutschlands) umänderten. Ihre bekanntesten Vertreter waren Heinrich Laufenberg und Fritz Wolffheim. Von den Bremer Kommunisten unterschieden sie sich durch ihre syndikalistische und anarchistisch ausgerichtete Politik gegen die Führer. „Arbeiterpolitik“ hingegen blieb bei ihrem korrekten Standpunkt, als sie schrieb: „Die Sache der Linksradikalen, die Frage der zukünftigen kommunistischen Partei Deutschlands, in der sich früher oder später all diejenigen zusammenfinden werden, die den alten Idealen treu geblieben sind, beruht nicht auf großen Namen. Im Gegenteil, wenn wir den Sozialismus erreichen wollen, ist und muss das wirklich neue Element sein, dass die anonyme Masse ihr Schicksal in die eigene Hand nimmt, dass jeder Genosse seinen eigenen Beitrag liefert, ungeachtet der 'großen Namen', die an seiner Seite sind.“

Die unverhohlen syndikalistische Orientierung der Politik der Hamburger Gruppe leitete sich zum Teil aus den Erfahrungen und dem Engagement Wolffheims bei den International Workers of the World in Amerika ab.

Der beste Ausdruck dieser Periode der Klassenbewegung war zweifellos in der Bremer Gruppe zu finden. Dies zu erkennen heißt gleichzeitig, die Fehler und Bedenken der Spartakusgruppe (einschließlich ihrer besten Theoretikerin Rosa Luxemburg) in der Organisationsfrage, der Auffassung über den revolutionären Prozess und der Rolle der Partei zu enthüllen. Wenn wir auf Rosa Luxemburgs Fehler hinweisen, bedeutet dies jedoch in keiner Weise eine Ablehnung ihres heroischen Kampfes; es erlaubt uns lediglich zu begreifen, dass neben den weitreichenden Einsichten, die sie in ihrem theoretischen Kampf gegen Bernstein und Kautsky entwickelte, sie auch Positionen vertrat, die wir nicht akzeptieren können.

Wir haben keine Götter zu verehren! Im Gegenteil, wir müssen die Notwendigkeit begreifen, die Irrtümer der Vergangenheit zu verstehen, um sie heute vermeiden zu können. Wir müssen wissen, wie wir die nützlichen, aber unvollständigen Lehren (in diesem Fall über die Funktion und die organisatorischen Aufgaben der Revolutionäre) aus der historischen Bewegung des Proletariats ziehen können.

Um unsere eigenen Aufgaben zu erfüllen, müssen wir auch die unauflösliche Verknüpfung verstehen, die zwischen den Aktivitäten kleiner Gruppen in Zeiten, wenn die Konterrevolution die Oberhand gewonnen hat (und das Beispiel der Arbeit von Bilan und Internationalisme ist ein beredtes Zeugnis dafür), und der Handlung einer politischen Gruppe existiert, wenn die unüberwindbaren Widersprüche des Kapitalismus die Klasse zum revolutionären Kampf drängen. Dann geht es nicht länger darum, Positionen zu verteidigen, sondern (auf der Grundlage einer ständigen Weiterentwicklung dieser Positionen, auf der Grundlage des Klassenprogramms) fähig zu sein, die Spontaneität der Klasse zu festigen, ein Ausdruck des Klassenbewusstseins zu sein und mitzuhelfen, die Kräfte auf die entscheidende Offensive vorzubereiten, mit anderen Worten: die Partei, ein wesentliches Moment im Triumph des Proletariats, zu bilden.

Doch Parteien fallen genauso wenig wie Revolutionen voll entwickelt vom Himmel.  Wie meinen wir das? Organisatorische Willkür ist nicht einfach nur ein alter Zopf; sehr häufig diente sie der Konterrevolution. Eine „Partei“ zu proklamieren, die eigene Organisation als eine Partei in einer Periode der Konterrevolution aufzubauen ist eine Absurdität, ein sehr schwerer Fehler, der von dem Unvermögen zeugt, den Kern des Problems zu begreifen, wenn es keine revolutionäre Perspektive gibt. Jedoch  genauso folgenschwer ist es, wenn man diese Frage vernachlässigt und hinausschiebt, bis es zu spät ist. Es ist der zweite Irrtum, der uns hier interessiert.

Diejenigen, die meinen, alle Probleme mit der Spontaneität lösen zu können, setzen die unbewusste Spontaneität an die Stelle eines Übergangs von der Spontaneität zum Bewusstsein. Sie wollen oder können es nicht begreifen, dass diese Bewusstseinserlangung durch die Klasse in ihrem Kampf auch dazu führen muss, die Notwendigkeit eines geeigneten Instrumentes anzuerkennen, mit dem der Angriff gegen den Staat, dem Bollwerk des Kapitals, überhaupt erst durchgeführt werden kann.

Wenn die Spontaneität ein Momentum ist, das wir befürworten, so tötet der Spontaneismus – die Theoretisierung der Spontaneität – die Spontaneität und drückt sich selbst in einer Reihe von abgestandenen Formeln aus: in dem fieberhaften Versuch, “da zu sein, wo die Massen stehen“, in der Unfähigkeit zu beurteilen, wann man im Momenten des Rückfalls und Rückflusses „gegen die Strömung“ sein muss, um später, in entscheidenden Momenten, „mit der Strömung zu schwimmen“. Die Unstimmigkeiten von Rosa Luxemburgs in der Organisationsfrage spiegeln sich auch in ihrer Auffassung über die Machteroberung wider – und wir möchten hinzufügen, dass dies angesichts der engen Verbindung zwischen diesen beiden Fragen unvermeidlich war: „So soll die Machteroberung nicht eine einmalige, sondern eine fortschreitende sein, indem wir uns hineinpressen in den bürgerlichen Staat, bis wir alle Positionen besitzen und sie mit Zähnen und Nägeln verteidigen.“ (Rosa Luxemburg, Gründungsparteitag der KPD - Unser Programm und die politische Situation, in: Gesammelte Werke Bd. 4, S. 511)

Aber leider blieb es nicht dabei. Im November 1918 gab Paul Fröhlich (Vertreter der Bremer Gruppe) in Hamburg den folgenden Aufruf aus: „Es ist der Anfang der Deutschen Revolution, der Weltrevolution: Es lebe die deutsche Republik der Arbeiter! Es lebe der Weltbolschewismus!“ Doch statt zu fragen, warum solch ein massiver Aufstand des Proletariats in die Niederlage führte, sagte Rosa Luxemburg einen Monat später: „Am 9. November haben Arbeiter und Soldaten das alte Regime in Deutschland zertrümmert. [...] Am 9. November erhob sich das deutsche Proletariat, um das schmachvolle Joch abzuwerfen. Die Hohenzollern wurden gejagt, Arbeiter- und Soldatenräte gewählt." (Rosa Luxemburg, Was will der Spartakusbund?, in: Gesammelte Werke Bd. 4, S. 442)

Sie interpretierte die Machtübergabe von der Bande um Wilhelm dem Zweiten an jene von Ebert, Scheidemann, Haase als eine Revolution und nicht als einen gegen die Revolution gerichteten Austausch der alten Garde.[6] [6]

Die Unfähigkeit, die historische Rolle der Sozialdemokratie zu begreifen, sollte Luxemburg das Leben kosten sowie das Liebknechts und tausender Proletarier. Die KAPD und die italienische Linke wussten die Lehren aus dieser Erfahrung zu ziehen. (Eine der grundsätzlichen Differenzen zwischen der Komintern und der KAPD war ihre Ablehnung jeglichen  Kontaktes mit der USPD). Bordiga schrieb am 6. Februar 1921 in „II Comunista" einen Artikel mit dem Titel „Die historische Funktion der Sozialdemokratie“, aus dem wir einige Auszüge zitieren wollen:

„Die Sozialdemokratie hat eine historische Funktion in dem Sinne, dass es wahrscheinlich in den westlichen Ländern eine Periode geben wird, in der die sozialdemokratischen Parteien in der Regierung sitzen werden - allein oder in Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien. Da aber, wo das Proletariat nicht die Möglichkeit hat, dies zu verhindern, bedeutet diese zwischenzeitliche Periode keine positive oder notwendige Vorbereitung für die Entwicklung revolutionärer Formen und Institutionen; anstatt eine letzte nützliche Vorbereitung darauf darzustellen, wird es ein letzter Versuch der Bourgeoisie sein, um die Angriffe des Proletariats zu vermindern, abzulenken, um es schließlich unter den Schlägen der Weißen Reaktion abzuschlachten, falls es noch kräftig genug ist, gegen die rechtmäßige, menschliche, anständige Regierung der Sozialdemokratie aufzustehen. Für uns kann es keinen anderen revolutionären Machtwechsel geben, als den aus den Händen der herrschenden Bourgeoisie in die des Proletariats, sowie man sich keine andere Form der proletarischen Macht vorstellen kann als die der Rätediktatur."

Die halbherzigen Schritte der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund)

Wir haben diesen Text mit dem Gründungsparteitag der KPD (30. Dezember 1918 bis zum 1. Januar 1919) begonnen und haben dann einen Abstecher zu ihren Ursprüngen gemacht. Wir wollen nun beim anfänglichen Ausgangspunkt fortfahren.

Auf diesem Gründungsparteitag kristallisierten sich zwei diametral entgegengesetzte Positionen heraus. Auf der einen Seite gab es die Minderheit um Jogiches, Luxemburg und Paul Levi, die die wichtigsten Persönlichkeiten der neuen Partei um sich scharte und ungeachtet ihrer Minderheitsposition die Führung innehatte. (Ihre spöttische Haltung und ihre halbe Weigerung, den überwiegenden Positionen der Linken eine Ausdrucksmöglichkeit zuzugestehen - allein Fröhlich wurde von der „Zentrale“ akzeptiert - führte einige Monate später zu der Posse des Heidelberger Kongresses). Auf der anderen Seite gab es die große Mehrheit der Partei: die Leidenschaft und das revolutionäre Potential, das von den IKD und einem großen Teil der Spartakisten ausgedrückt wurde. Die Positionen der Linke, mit Liebknecht vorneweg, wurden mit überwältigender Mehrheit angenommen: gegen die Teilnahme an Wahlen, für den Austritt aus den Gewerkschaften, für den Aufstand.

Doch die Mehrheit hatte keine klare Vorstellung von den unmittelbaren Aufgaben, und die militärische Frage verlangte nach der zentralisierten und führenden Rolle der Partei. Eine Art Föderalismus und regionalistische Unabhängigkeit beherrschte die Situation. In Berlin wusste nahezu niemand, was im Ruhrgebiet, in Mitteldeutschland oder im Süden passiert, und umgekehrt. Selbst die „Rote Fahne“ erkannte am 8. Juni 1919: „Das Nichtbestehen eines Zentrums mit der Aufgabe, die Arbeiterklasse zu organisieren, kann nicht weiter andauern [...] Es ist äußerst wichtig, dass die revolutionären Arbeiter leitende Organe errichten, die imstande sind, die kämpferische Energien der Massen zu leiten und zu nutzen.“ Und dieser Vorschlag bezieht sich allein auf die Situation in Berlin.

Die Desorganisation wuchs noch weiter an und erreichte ihren Höhepunkt nach dem Tod Luxemburgs und Liebknechts. Die Partei war gerade in dem Augenblick ohne Kopf, als sie in die Illegalität gezwungen und dem konterrevolutionären Terror ausgesetzt war. Die Räterepubliken, die fast überall in Deutschland entstanden (Bremen, München usw.), wurden nacheinander besiegt, die proletarischen Kämpfer vernichtet. Die revolutionäre Welle, das ungeheure Potenzial, das die Klasse besaß, erlebten einen Rückschlag. Wir möchten an dieser Stelle den Brief Lenins an die Bayrische Räterepublik vom April 1919 vollständig zitieren. Überflüssig zu sagen, dass die meisten konkreten Maßnahmen, die Lenin darin empfiehlt, nie ergriffen worden waren: „Wir danken für die Begrüßung und begrüßen unsrerseits von ganzem Herzen die Räterepublik in Bayern. Wir bitten, Sie mögen uns häufiger und konkreter mitteilen, welche Maßnahmen Sie zwecks Bekämpfung der bürgerlichen Henker, der Scheidemänner und Compagnie durchgeführt haben, ob Sie in Stadtbezirken Arbeiterräte und Hausangestelltenräte geschaffen haben, ob Sie die Bourgeoisie entwaffnet haben und die Arbeiter bewaffnet, ob Sie Kleiderlager und andere Warenlager beschlagnahmt. Ob Sie speziell die Fabriken und die Reichtümer der kapitalistischen Landwirtschaftsunternehmungen in der Umgebung expropriiert, ob Sie die Hypotheken- und Pachtabgaben für die Kleinbauern abgeschafft haben, ob Sie die Löhne der Landarbeiter und der ungelernten Arbeiter verdoppelt und verdreifacht haben, ob Sie alles Papier und Druckereien für die Herausgabe populärer Flugblätter und Zeitungen für die Massen konfisziert haben, ob Sie den sechsstündigen Arbeitstag mit zwei- oder dreistündiger Beschäftigung auf Staatsverwaltungsgebiet eingeführt haben, ob Sie die Bourgeoisie gezwungen haben, weniger Raum zu bewohnen zwecks sofortiger Einführung der Arbeiter in reichen Wohnungen, ob Sie alle Banken in Ihre Hände genommen haben, ob Sie Geiseln aus der Bourgeoisie genommen haben, ob Sie höhere Lebensmittelrationen für die Arbeiter als für die Bourgeoisie eingeführt haben! Ob Sie alle Arbeiter für die Verteidigung der Räteregierung bis zum letzten Mann und die Ideenpropaganda in den umliegenden Dörfern mobilisiert haben? Durch restlose Durchführung solcher und ähnlicher Maßnahmen in großem Maßstabe mit Selbstständigkeit der Arbeiterräte und Abgesandten der Kleinbauerräte muss Ihre Lage gefestigt sein. Es ist notwendig, der Bourgeoisie eine außerordentliche Steuer aufzuerlegen, um den Arbeitern, Landarbeitern, Kleinbauern sofort, um jeden Preis, eine tatsächliche Besserung ihrer Lage zu gewähren. Beste Grüße und Wünsche wirklicher Erfolge!“ (Lenin, in Neubauer, Helmut, Dorst, Tankred (Hg.): Die Münchner Räterepublik. Zeugnisse und Kommentar, Frankfurt am Main 1968, S. 109).

Der Mangel an theoretischer Vorbereitung und das Unvermögen, dieser Situation gewachsen zu sein, führten schließlich beim ersten Anzeichen des Rückflusses zur Spaltung der deutschen Bewegung. Auf der einen Seite gab es jene, die begannen, sich am Bolschewismus, am siegreichen Russland zu orientieren, um ihre Propaganda, ihre strategischen und taktischen Mittel aufzugreifen,  in dem absurden Versuch, sie auf Deutschland anzuwenden. Der Fall Radek ist dafür bezeichnend: Der ehemalige Wortführer der Bremer Kommunisten, des kompromisslosesten Flügels der Bewegung, wurde nach dem Rückschlag der Kämpfe im Sommer 1919 zusammen mit Paul Levi zu einem der Architekten des Heidelberger Parteitages (Oktober 1919), auf dem sämtliche Errungenschaften des Gründungsparteitages der Partei verworfen und durch den „taktischen“ Gebrauch von Wahlen, der Arbeit in den ultra-reformistischen Gewerkschaften und schließlich der „Offenen Briefe“ sowie der Einheitsfront ersetzt wurden.

Daher ist der Ruf nach Zentralisierung durch diese Tendenz von sehr zweifelhaftem Wert, da sie einen entgegengesetzten Kurs zur Weiterentwicklung der spontanen Bewegung einschlug. Andererseits sollte der revolutionäre Flügel, der sich weigerte, solch eine willkürliche Auswahl zu treffen, und dessen Methoden und Voraussagen weitaus fruchtbarer waren, auf eine Mauer wachsender Schwierigkeiten stoßen, sobald er sich als organisierte Tendenz gebildet hatte.

Ist die Weltrevolution wegen der Schwäche der Russischen Revolution gescheitert? Oder ist die Russische Revolution wegen der Schwäche der Weltrevolution gescheitert?

Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach und fordert ein Verständnis der gesellschaftlichen Dynamik dieser Jahre. Die Russische Revolution war ein großartiges Beispiel für das westliche Proletariat. Die Dritte Internationale, im März 1919[7] [7] gegründet, ist ein Exempel für den revolutionären Willen der Bolschewiki und stellt einen wirklichen Versuch ihrerseits dar, die Unterstützung der europäischen Kommunisten zu erlangen. Doch die inneren Schwierigkeiten der Russischen Revolution, die gegen Ende des Bürgerkrieges sprunghaft anstiegen und allein im russischen Rahmen keine Lösung finden konnten, die Niederlage der ersten Phase der Deutschen Revolution (Januar – März 1919) und der Ungarischen Räterepublik haben die russischen Kommunisten davon überzeugt, dass es in Europa keine kurzfristige revolutionäre Perspektive mehr gab. Ihnen zufolge ging es nun nur noch darum, die Mehrheit der Arbeiter für die nächste Periode zurückzugewinnen, die sozialdemokratischen Massen von der Richtigkeit der kommunistischen Positionen zu überzeugen usw. Es gab die Tendenz, die USPD zu schonen, sie als rechten Flügel der Arbeiterbewegung und nicht als Fraktion der Bourgeoisie zu betrachten; es kam zu einer dauerhaften Preisgabe des Kampfes gegen die Sozialdemokratie, des Versuchs, sich auf am weitesten fortgeschrittenen Schichten der Klasse zu beziehen, indem darauf bestanden wird, die Sozialdemokratie auf der Grundlage des Kampfgeistes dieser Arbeiter anzugreifen und zu entlarven.

Wir können also feststellen, dass nachdem schon das Zaudern der westlichen Kommunisten in der ersten Phase (1918-19) tödlich gewesen war, nun auch noch die Kommunistische Internationale selbst zu einem Hindernis für das Aufblühen – wie spät auch immer – einer authentischen Avantgarde in Europa wurde, als die Situation noch revolutionär war (und wir sprechen nur von den Jahren 1920-21, nach denen man noch von zwei weiteren Jahren der proletarischen Reaktion gegen die Angriffe der Bourgeoisie sprechen konnte, wie Hamburg 1923, und erst dann von der endgültigen Niederlage Arbeiterklasse). Der Übergang von der einen Situation zur anderen entwickelte sich schrittweise. Wir können dennoch auf zwei entscheidende Momente des Niedergangs hinweisen: die Auflösung des Amsterdamer Büros der Komintern und Lenins Text „Der Linksradikalismus, Kinderkrankheit im Kommunismus“.

Zurück zur KPD und ihrer Unbeständigkeit. Am 17. August 1919 wurde eine nationale Konferenz in Frankfurt abgehalten. Levis Angriffe auf die Linke waren dabei ein Misserfolg. Aber im Oktober desselben Jahres in Heidelberg hatte er mehr Erfolg. Auf einem Geheimkongress, an dem die Bezirkssektionen nur spärlich repräsentiert waren und der gegen den Willen Vieler abgehalten wurde, wurde die Spaltung praktisch beschlossen, indem programmatische, im Januar verabschiedete Positionen geändert wurden. Der Punkt 5 des neuen Parteiprogramms lautete: „Die Revolution, die kein einmaliger Schlag, sondern das lange, zähe Ringen einer seit Jahrtausenden unterdrückten und daher ihrer Aufgabe und ihrer Kraft nicht von vornherein voll bewussten Klasse ist, ist dem Auf- und Abstieg, der Flut und der Ebbe ausgesetzt.“ (unsere Hervorhebung)

Und Levi unterstützte kurz danach die Auffassung, dass eine neue revolutionäre Welle noch 1926 (!!) kommen könne. Der Entschluss, die „Linksextremisten“, die „Abenteurer“ auszuschließen, wurde jedoch bis zum Dritten Parteitag der KPD 1920 nie gefasst. Nach Heidelberg versuchte die Linke, sich in der KPD-O (das „O“ stand für Opposition) zu organisieren, was darauf hinauslief, dass es in den ersten Monaten des Jahres 1920 eigentlich zwei KPDs gab: die KPD-S und die KPD-O. Dies alles spielte sich in einer total verworrenen Situation ab. Die Nachrichten, die nach Moskau durchzudrangen, waren sporadisch und fragmentarisch. Im „Gruß an die italienischen, französischen und deutschen Kommunisten“, datiert vom 10. Oktober 1919,  schrieb Lenin: „Von den deutschen Kommunisten, haben wir nur erfahren, dass es in einer Reihe von Städten eine kommunistische Presse gibt. (...) Ebenso liegt es in der Natur der Dinge, dass in einer Bewegung, die so rasch wächst, die so erbittert verfolgt wird, ziemlich heftige Meinungsverschiedenheiten auftreten. (…) Die Meinungsverschiedenheiten bei den deutschen Kommunisten laufen, soweit ich das beurteilen kann, auf die 'Ausnutzung der legalen Möglichkeiten' (…) hinaus, auf die Ausnutzung des bürgerlichen Parlaments und der reaktionären Gewerkschaften, des Gesetzes über die (von den Scheidemännern und Kautskyanern verstümmelten) Räte, auf die Frage, ob man sich an derartigen Einrichtungen beteiligen oder sie boykottieren soll.“ (Lenin, Gruß an die italienischen, französischen und deutschen  Kommunisten, in: Lenin Werke Bd. 30, S. 36ff).

In den genannten Punkten bezog Lenin Stellung für die Politik Levis.  

Doch das zentrale Problem, das sich einige Monate später manifestieren sollte, bestand darin, entweder den illegalen revolutionären Kampf und die militärische Vorbereitung oder legale Aktivitäten in den Gewerkschaften und im Parlament aufnehmen. Dies war die Grundlage der Konfrontation zwischen den beiden „Linien“ der KPD. Das Zentrum der Opposition blieb eine Zeit lang in Hamburg, Schnell gerieten aber Wolffheim und Laufenberg in Misskredit. Sie waren es, die die Theorie des „Nationalbolschewismus“ entwickelten, der zufolge die Verteidigung Deutschlands gegen die westlichen Mächte eine revolutionäre Aufgabe sei, selbst um den Preis eines Bündnisses mit der deutschen Bourgeoisie.[8] [8] Bremen, das bereits als Informationszentrum fungierte, wurde von da an zum Bezugspunkt des Linkskommunismus. Bis Anfang 1920 kämpfte das Bremer “Informationszentrum“ an zwei Fronten: gegen die Parteizentrale und gegen Hamburg. Bremen versuchte nicht zu spalten, sondern die Ergebnisse des Heidelberger Parteitages für die Diskussion emporzuhalten. Die “Zentrale“, unterstützt von Levi, lehnte jedoch jede Diskussion mit dem Hinweis auf den Kampf der Hamburger gegen den Nationalbolschewismus ab. Der Putschversuch von Kapp im März 1920, der diesen Divergenzen einen „praktischen“ Inhalt gab, machte allen Diskussionen ein Ende.

Untersuchen wir jetzt die proletarische Antwort auf diesen Putschversuch und das Verhalten der verschiedenen Organisationen:

Im Ruhrgebiet hatte die Reichswehr ihre Position gegenüber Kapp nicht sofort geklärt, und angesichts der Tatsache, dass alle, vom ADGB über die Sozialdemokratie und die Zentristen bis zur KPD(S), zum Generalstreik aufriefen (wobei die KP-Zentrale in den ersten Tagen noch zögerte), barg die Situation revolutionäres Potenzial in sich, wenn die Führung der Gewerkschaften und der parlamentarischen Parteien gebrochen worden wäre. In der Tat hatten zahlreiche Regionen wie das Ruhrgebiet und Mitteldeutschland die großen proletarischen Niederlagen der vergangenen Jahre in Berlin, Bremen, München und Hamburg, nicht durchleben müssen.

Im Ruhrgebiet gab es beträchtliche Spannungen zwischen der Reichswehr und den Arbeitern. Die durch den Kapp-Putsch entstandene Situation führte sofort zur Bewaffnung der streikenden Arbeiter. (Die Tatsache, dass viele kämpferische Arbeiter sich dem Einfluss des ADGB entzogen, um der FAUD-S beizutreten, war gleichermaßen wichtig). Auf Grund des demokratischen und verfassungstreuen Charakters des Generalstreiks konnten die Unabhängigen und die zahllosen Sozialdemokraten in den ersten Tagen nun versuchen, die Kampfbereitschaft der Arbeiter zu bremsen, jedoch ohne Erfolg in den ersten Höhepunkten des Kampfes. Die Situation entwickelte sich wie folgt: In jeder Stadt bildeten sich auf lokaler Ebene unabhängig von den Gewerkschaften proletarische Einheiten, die die Waffen gegen die Soldaten der Reichswehr erhoben. Die aufständischen Städte vereinigten sich und marschierten zu den sich noch in den Händen der Armee befindlichen Städte, um die dortigen Arbeiter zu unterstützen.

Während ein Teil der Roten Ruhr-Armee (wie sie genannt wurde) die Reichswehr aus dem Ruhrgebiet vertrieb, indem sie eine Front parallel zur Lippe bildete, eroberten andere Arbeitereinheiten nacheinander Remscheid, Essen. Düsseldorf, Mühlheim, Duisburg, Hamborn und Dinslaken und drängten binnen kurzer Zeit, vom 18. bis zum 2l. März, die Reichswehr entlang des Rheins bis nach Wesel zurück.

Am 20. März, nach dem Scheitern des Putsches, erklärte der ADGB, dass der Generalstreik nun abgelaufen sei, und am 22. März schlossen sich die SPD und die USPD dem an.

Am 24. März kamen Vertreter der sozialdemokratischen Regierung und von SPD, USPD und eines Teils der KPD zu einem Übereinkommen: Ausrufung einer Waffenruhe, Entwaffnung der Arbeiter und Freiheit für jene Arbeiter, die „illegale Handlungen“ begangen hatten. Ein großer Teil der Roten Ruhr-Armee erkannte diese Übereinkunft nicht an und kämpfte weiter.

Am 30. März stellte die sozialdemokratische Regierung und die Reichswehr ein Ultimatum an die Arbeiter: Entweder sie erkennen unverzüglich die Übereinkunft an oder die Reichswehr (deren Stärke sich dank der Ankunft von Freikorps-Truppen aus Bayern, Berlin, Norddeutschland und aus dem Baltikum vervierfacht hatte) werde eine neue Offensive beginnen.

Die Koordination zwischen den verschiedenen Arbeitertruppen war wegen des Verrats durch die Unabhängigen, das Zentrum der KPD, die Syndikalisten und aufgrund der Rivalität zwischen den drei militärischen Zentren der Roten Ruhr-Armee auf ein Minimum gesunken. Die Reichswehr und die zahlreichen Freikorps eröffneten eine breite Offensive an allen Fronten. Am 4. April fielen Duisburg und Mühlheim, gefolgt von Dortmund am 5. April und Gelsenkirchen am 6. April.

Nun begann ein brutaler Weißer Terror, ihm fielen nicht nur die bewaffneten Arbeiter zum Opfer, sondern auch ihre Angehörigen, die massakriert wurden, wie auch die jungen Arbeiter, die geholfen hatten, die verwundeten Kämpfer von der Front zu bergen.

Die Rote Ruhr-Armee bestand aus 80.000 bis 120.000 Arbeiter. Sie war in der Lage, eine Artillerie und eine kleine Luftwaffe aufzustellen. Der Verlauf der Kämpfe führte zur Entstehung dreier militärischer Zentren:

  • Hagen, angeführt von der USPD, nahm ohne Verzögerung den Bielefelder Vertrag an;
  • Essen, angeführt von der KPD-S und der Unabhängigen Linken, wurde am 25. März zum Obersten Heereszentrum. Als die sozialdemokratische Regierung die Arbeiter vor ihr Ultimatum vom 20. März stellte, rief diese Zentrale die sehr zweideutige Losung aus, zum Generalstreik zurückzukehren (als die Arbeiter längst bewaffnet und im Kampf waren!);
  • Mühlheim, angeführt von den Linkskommunisten und den revolutionären Syndikalisten, folgte völlig der Essener Militärzentrale. Als diese jedoch in zentristischer Weise auf das Bielefelder Übereinkommen reagierte, gab die Mülheimer Zentrale die Parole aus: „Kämpft bis zum Ende!“ Die drei Führungen von USPD, KPD-S und FAUD-S übernahmen alle dieselbe unwürdige Position und machten deutlich, dass sie diese Kämpfe als „abenteuerlich“ ansahen.

Keine nationale Zentrale übernahm die Führung der Kämpfe, die lokale proletarische Bewegung konnte ihren Willen zur Zentralisierung nur auf lokalem Niveau umsetzen. Selbst in Mitteldeutschland bewaffneten sich die Arbeiter, und eine Reihe von Städten rund um Halle inszenierten unter der Führung des Kommunisten Max Hölz Aufstände. Aber die Bewegung war nicht imstande weiterzugehen, da die KPD-S, die sehr stark in Chemnitz war, wo sie die größte Partei war, sich damit zufrieden gab, die Arbeiter im Einverständnis mit den Sozialdemokraten und den Unabhängigen zu bewaffnen und…. die Rückkehr Eberts in die Regierung abzuwarten.

Brandler, der Führer des Arbeiterrates von Chemnitz, verstand seine Rolle als lokaler kommunistischer Führer darin, den Ausbruch von Gefechten zwischen den Kommunisten um Max Hölz, die sich mit den von der Reichswehr in Chemnitz zurückgelassenen Waffen bewaffnen wollten, und den Sozialdemokraten zu verhindern, die fortwährend bereit waren, einen Angriff gegen die Revolutionäre zu richten - sie unternahmen verschiedene Versuche, die „Heimwehr“ (von der lokalen Bourgeoisie bewaffnete Weiße Truppen) gegen sie anzusetzen.

Der Zentrismus der KPD(S) zeigte sich ganz klar in der Tatsache, dass, während die Arbeiter noch im Kampf standen, die Levi-Zentrale am 26. März 1920 die Losung der “loyalen Opposition“ für den Fall einer “Arbeiterregierung“, bestehend aus Sozialdemokraten und den Unabhängigen, ausgab. Die Rote Fahne, Zentralorgan der KPD(S), schrieb in ihrer 32. Nummer 1920: „Unter loyaler Opposition verstehen wir folgendes: keine Vorbereitung auf die bewaffnete Machtübernahme, natürliche Freiheit für die Agitation der Partei, für ihre Zwecke und ihre Losungen.“

Die KPD gab also ihre revolutionären Ziele auf, was die Notwendigkeit einer revolutionären kommunistischen Partei im deutschen Proletariat dringender denn je machte.

Es war also ein natürliches historisches Ergebnis, dass die Linkskommunisten angesichts des Verrats der offiziellen Sektion der Dritten Internationale  im darauffolgenden Monat (April 1920) die KAPD (Kommunistische Arbeiter Partei Deutschlands) gründeten.

Im Laufe dieser Monate fand noch ein anderes wichtiges Ereignis statt: der Austritt der Bremer Linken aus der KPD-O und ihre Rückkehr zur KPD-S, wo sie mit Fröhlich und Karl Becker (auf dessen Rolle in den darauffolgenden Jahren und insbesondere im Frühjahr 1921wir später noch zurückkommen werden) eine Rolle spielen sollte. Wir verfügen nicht über ausreichendes Material, um zu verstehen und ein Urteil darüber zu fällen, wie ernst dieser Schlag gegen den Linkskommunismus und wie groß der Erfolg der Levi-Führung dabei war. Zweifellos wurde die Bremer Gruppe bei ihrer Entscheidung von ihrem Gefühl der Loyalität gegenüber der Kommunistischen Internationale (die die KPD-S trotz starker Vorbehalte unterstützte) und ihrer klaren Opposition gegen die Hamburger Gruppe von Laufenberg und Wolffheim beeinflusst.

Wir haben bis jetzt nicht von den Gewerkschaften, den Räten und den Arbeiter-Unionen gesprochen, die die zentralen Punkte der Debatten und Differenzen in der deutschen Arbeiterbewegung darstellten. Die Komplexität dieser Frage zwang uns, zuerst andere Probleme zu behandeln, ehe wir in der Lage waren, uns der „Gewerkschaftsfrage“ so klar wie möglich anzunähern. Dies soll in unserem nächsten Text versucht werden.

S.

[1] [9] Sämtliche Zitate, an deren Ende keine Quellenangabe steht, sind aus unserem ursprünglichen Artikel übersetzt worden, da die Originaltexte nur noch schwer zu finden sind.

[2] [10] Die Historiker und die Geschichtsschreibung haben den Begriff „Linksradikale“ verwendet, um Gruppen wie die Bremer oder Hamburger, später die KPD und die Arbeiter-Unionen zu beschreiben. Der Begriff „Ultralinke“ wurde gebraucht, um in den darauffolgenden Jahren die Linksopposition innerhalb der KPD (Friesland, Fischer, Maslow)  zu beschreiben.

[3] [11] Selbst unter den Werftarbeitern in Bremen gab es Abonnementen der Zeitschrift Arbeiterpolitik.

[4] [12] Es bestanden viele Differenzen zwischen den Bremer Kommunisten und den Spartakisten in der Interpretation der Ereignisse in Russland. Wir wollen an dieser Stelle lediglich die Frage der Anwendung des „revolutionären Terrors“ erwähnen. Im Namen der Bremer Gruppe kritisierte Knief Luxemburgs Position, sich der Anwendung des Klassenterrors im revolutionären Kampf verweigern.

[5] [13] In Gotha traten die Spartakisten in die USPD ein.

[6] [14] Auf dem Vierten Kongress der Komintern (November 1922) verteidigte Radek diese Position, indem er sagte, dass man der Sozialdemokratie dafür danken solle, weil sie „uns den Gefallen getan hat, den Kaiser zu stürzen.“

[7] [15] Auf dem Ersten Kongress der Komintern hatte der Vertreter der KPD den Auftrag, gegen die Gründung der Internationale zu stimmen. Unter dem Druck und der Überzeugung der anderen Delegierten enthielt sich Eberlein der Stimme.

[8] [16] Die nationalbolschewistische Position wurde, ohne viel Aufhebens zu machen, von der KPD 1923 wiederaufgenommen. Brandler und Thalheimer äußerten sich dazu: „In dem Maße, indem sie einen defensiven Kampf gegen den Imperialismus führt, spielt die deutsche Bourgeoisie in der jetzt entstandenen Situation eine objektiv revolutionäre Rolle. Aber als reaktionäre Klasse kann sie nicht auf die einzigen Methoden zurückgreifen, die das Problem lösen könnten. (…) Unter diesen Umständen ist die Voraussetzung für den Sieg des Proletariats der Kampf gegen die französische Bourgeoisie und die Fähigkeit, die deutsche Bourgeoisie in diesem Kampf zu unterstützen, indem das Proletariat die von der Bourgeoisie sabotierte Organisation und Führung des Verteidigungskampfes übernimmt.“

Weiter konnte man im Juni 1923 im Inprekorr (Internationale Pressekorrespondenz, Zeitung der Komintern) lesen: „Der National-Bolschewismus von 1920 konnte nur ein Bündnis zum Schutz der Generäle sein, die den unmittelbar nach ihrem Triumph die Kommunistische Partei zerschlagen würde. Heute bedeutet dies die Tatsache, dass alle davon überzeugt sind, dass die einzige Lösung bei den Kommunisten liegt. Heute sind wir die einzig mögliche Lösung. Das strikte Beharren auf das nationale Element ist wie in den Kolonien ein revolutionärer Akt.“ (Hervorhebung von der IKS)

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1919 - Deutsche Revolution [17]

Manifest der IKS 1975

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Das Gespenst der kommunistischen Revolution geht aufs Neue in der Welt um. Jahrzehntelang glaubten die herrschenden Klassen die Geister, die das Proletariat im letzten Jahrhundert und zu Beginn des jetzigen in Bewegung gesetzt hatte, für immer ausgetrieben zu haben. Tatsächlich hat die Arbeiterklasse niemals eine schrecklichere und längere Niederlage erlebt. Die Konterrevolution, die nach den Kämpfen von 1848 über die Arbeiterklasse hereingebrochen war, die Konterrevolution, die dem heroischen Versuch der Pariser Kommune folgte, wie auch die Demoralisierung und der Rückzug, die den Schlussakkord nach dem Scheitern der Russischen Revolution von 1905 setzten - sie alle sind nichts gegenüber der erdrückenden Last, die während eines halben Jahrhunderts auf allen Ausdrücken des Klassenkampfes lastete. Diese Konterrevolution entsprach in ihrem Ausmaß dem Schrecken, den die Bourgeoisie angesichts der großen revolutionären Welle verspürte, die dem I. Weltkrieg folgte und der es bisher als einzige gelang, das kapitalistische System bis in seine Grundfeste zu erschüttern. Niemals, nachdem es solche Höhen erreicht hatte, hatte das Proletariat eine derartige Katastrophe, eine solche Schmach erlitten. Und niemals zuvor hatte die Bourgeoisie ihm gegenüber solch eine Arroganz an den Tag gelegt, die soweit ging, die schwersten Niederlagen der Klasse als „Siege“ zu verklären, die Idee der Revolution dagegen als Anachronismus, als überholten Mythos vergangener Epochen hinzustellen.

Doch heute lodert die revolutionäre Flamme wieder in der ganzen Welt auf. Oft noch konfus, zögernd, aber mit plötzlichen Vorstößen, die manchmal selbst die Revolutionäre in Erstaunen versetzen, hat sich der proletarische Riese erhoben, um aufs Neue das alte kapitalistische Gemäuer zu erschüttern. Von Paris bis Cordoba, von Turin bis Danzig, von Lissabon bis Schanghai, von Kairo bis Barcelona sind die Kämpfe der Arbeiter wieder zum Albtraum der Kapitalisten geworden.[1] [18] Zur gleichen Zeit und zusammen mit dem allgemeinen Wiederaufleben der Klasse sind wieder Gruppen und revolutionäre Strömungen aufgetaucht, die die gewaltige Aufgabe der theoretischen und praktischen Rekonstruktion eines der wichtigsten Werkzeuge des Proletariats, seiner Klassenpartei, in Angriff genommen haben.

Es ist daher Zeit für die Revolutionäre, ihrer Klasse die Perspektiven des bereits begonnenen Kampfes aufzuzeigen und die Lehren der Vergangenheit ins Gedächtnis zurückzurufen, damit sie den Grundstein für ihre Zukunft legen kann, und auch die Aufgaben zu bestimmen, die die Revolutionäre selbst als Ergebnis und aktiver Faktor des Kampfes des Proletariats zu bewäl­tigen haben werden. Eben dies sind die Ziele des vorliegenden Manifestes.

Die Arbeiterklasse: Subjekt der Revolution

Das Proletariat ist die einzige revolutionäre Klasse unserer Epoche. Nur das Proletariat kann durch die Übernahme der politi­schen Macht auf Weltebene und die radikale Umwälzung der Bedingungen und Ziele der Produktion die Menschheit aus der Barbarei führen, in der sie haust.

Die Auffassung, der zufolge die Arbeiterklasse jene Klasse ist, die den Kommunismus aufbaut, und der zufolge ihre Stellung im Kapitalismus sie als einzige Klasse dazu qualifiziert, diesen zu stürzen, wurde bereits vor mehr als einem Jahrhundert ent­wickelt. Schon im ersten klaren programmatischen Ausdruck der Arbeiterbewegung, dem Kommunistischen Manifest von 1848, tauchte sie auf. Anschließend wurde sie von der 1. Internationale klar zum Ausdruck gebracht, die schrieb: „Die Be­freiung der Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein“. Seitdem haben Generationen von Proletariern sie in ihren zahllosen Kämpfen gegen das Kapital auf ihre Fahnen geschrieben.

Doch das furchtbare Schweigen, in das die Klasse ein halbes Jahrhundert lang gehüllt war, ermöglichte das Aufblühen aller Arten von Theorien über die „endgültige Integration der Arbeiterklasse in den Kapitalismus“, über das Proletariat als „Klasse für das Kapital“, über die „universelle Klasse“ oder über die Randschichten, die die neuen Protagonisten der Revolution seien. Diese und andere, als neue Theorien präsentierten alten Kamellen erweiterten das Arsenal der Lügen der Bourgeoisie, die die Demoralisierung und ideologische Unterwerfung der Arbeiter unter das Kapital aufrechterhalten sollen.

Die IKS unterstreicht daher vor allem mit Nachdruck, dass heute nur die Arbeiterklasse und keine andere Klasse die revolutionäre Klasse ist.

Doch die Tatsache, dass diese Klasse, im Gegensatz zu den revolutionären Klassen der Vergangenheit, in der Gesellschaft, die sie umwälzen soll, über keine ökonomische Macht als Sprungbrett zur politischen Machteroberung verfügt, zwingt sie dazu, die politische Macht zu erobern, bevor sie diese Umwälzung in Angriff nehmen kann. So wird die proletarische Revolution anders als die der Bourgeoisie, die von einem Erfolg zum anderen eilte, notwendigerweise die Krönung einer Reihe von partiellen, aber tragischen Niederlagen der Klasse darstellen. Und je mächtiger die Kämpfe der Klasse, desto furchtbarer werden die Niederlagen sein.

Die große revolutionäre Welle, die den I. Weltkrieg beendete und ein Jahrzehnt lang andauerte, ist eine schlagende Bestätigung, dass die Arbeiterklasse das einzige Subjekt für die kommunistische Revolution ist und dass Niederlagen ein Merkmal ihres Kampfes bis zum endgültigen Sieg sind. Die gewaltige revolutionäre Bewegung, die den bürgerlichen Staat in Russland stürzte und die anderen europäischen Staaten erzittern ließ, verursachte sogar in China ein gedämpftes Echo. Sie zeigte an, dass das Proletariat bereit war, einem System den Gnadenstoß zu versetzen, das in die Phase seines Todeskampfes eingetreten ist. Das Proletariat war bereit, das Urteil zu vollstrecken, das von der Geschichte über den Kapitalismus gefällt worden war. Da jedoch die Arbeiterklasse ihren anfänglichen Erfolg von 1917 nicht auf die ganze Welt ausdehnen konnte, wurde sie schließlich besiegt und vernichtet. Danach wurde die Aussage, dass die Arbeiterklasse die einzige revolutionäre Klasse ist, auf negative Art und Weise bestätigt. Weil die Arbeiterklasse mit ihrer Revolution scheiterte und weil keine andere Gesellschaftsklasse die Revolution an ihrer Stelle machen kann, sinkt die Gesellschaft unaufhaltsam in eine immer größere Barbarei.

Die Dekadenz des Kapitalismus

Die Dekadenz des Kapitalismus hat mit dem I. Weltkrieg begonnen, und die Gesellschaft kann ihr solange nicht ent­kommen, wie die proletarische Revolution ausbleibt. Dabei erweist sich die kapitalistische Dekadenz schon jetzt als die grauenhafteste Epoche in der Geschichte der Menschheit.

Auch in der Vergangenheit hatte die Menschheit Dekadenzperioden mit all dem damit verbundenen Elend und dem unbe­schreiblichen Leid erlebt. Doch sie waren nichts im Vergleich zu dem, was der Menschheit seit den vergangenen 60 Jahren widerfährt. Die Dekadenz früherer Gesellschaften war von Hungersnöten und Mangel begleitet, jedoch in einem völlig anderen Kontext als heute, wo so viel menschliches Elend neben solch einer Vergeudung von Reichtum existiert. Heute, wo der Mensch phantastische Technologien meistert, die es ihm ermöglichen könnten, die Natur zu bändigen, bleibt er weiter ihren Launen ausgesetzt. Unter den heutigen Bedingungen sind „natürliche“, klimatische oder landwirtschaftliche Katastrophen noch tragischer als in der Vergangenheit. Schlimmer noch: die kapitalistische Gesellschaft ist die erste Gesellschaft in der Geschichte, deren unmittelbares Überleben von einer massiven, zyklischen Zerstörung eines immer größeren Teils ihrer selbst abhängt. Gewiss waren auch andere Dekadenzperioden voller Auseinandersetzungen zwischen Fraktionen der herrschenden Klasse. Doch die Dekadenzperiode, in der wir leben, ist in einem unablässigen und teuflischen Kreislauf von Krise, Weltkrieg, Wiederaufbau und Krise gefangen, der die Menschheit zu einem furchtbaren Tribut an Tod und Schrecken zwingt. Heute tragen Technologien von ungeahnter wissenschaftlichen Raffinesse dazu bei, um das Vernichtungs- und Tötungs­potenzial der kapitalistischen Staaten zu vergrößern. Die Zahl der Opfer imperialistischer Kriege muss auf zig Millionen beziffert werden. Hinzu kommen die systematischen und geplanten Massenmorde, mit denen uns der Faschismus und Stalinismus bedroht.

Es scheint in gewisser Weise, als müsse die Menschheit für das Reich der Freiheit, zu dem ihr die Beherrschung der modernen Technologie Zugang verschaffen soll, einen Preis entrichten, einen Preis, der sich nach den fürchterlichen Gräueltaten bemisst, die von derselben technologischen Vorherrschaft verursacht werden.

Inmitten dieser Welt der Zerstörungen und Verwerfungen hat sich wie ein Krebsgeschwür jenes Organ entwickelt, das die Stabilität und die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Gesellschaft garantieren soll: der Staat. Der Staat greift bis in die in­nersten Räderwerke der Gesellschaft ein, insbesondere in die ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft. Wie Moloch, ein Gott der Antike, hat die monströse, kalte und anonyme Staatsmaschinerie die Substanz der Zivilgesellschaft und des Menschen verzehrt. Weit davon entfernt, irgendeinen „Fortschritt“ zu verkörpern, benutzt der Staatskapitalismus, gleich, welches ideologische  und rechtliche System er annimmt, die barbarischsten Herrschaftsinstrumente. Der Staatskapitalismus, der den ganzen Planeten beherrscht, ist einer der brutalsten Ausdrücke des Verwesungsprozesses der kapitalistischen Gesellschaft.

Aber das wirksamste Instrument, das der dekadente Kapitalismus entwickelt hat, um sein Überleben zu sichern, war die systematische Einverleibung all der Kampf- und Organisationsformen gewesen, die die Arbeiterklasse von der Vergangenheit geerbt hatte, die jedoch durch die Veränderung der historischen Perspektive für ihre Zwecke unbrauchbar und gefährlich geworden sind. Alle Taktiken gewerkschaftlicher und parlamentarischer Art sowie die Einheitsfrontpolitik, die für die Arbeiterklasse im 19. Jahrhundert durchaus nützlich gewesen waren, sind zu Mitteln der Lähmung ihrer Kämpfe verkommen und bilden die Hauptwaffe der Konterrevolution. Gerade weil alle Niederlagen der Arbeiterklasse als „Siege“ dargestellt wurden, musste die Arbeiterklasse die schlimmste Konterrevolution erleiden, die sie je erlebt hat. Die wichtigste Waffe sowohl für die Mobilisierung als auch für die Demoralisierung des Proletariats war zweifellos der arglistige Mythos, dass die Revolution in Russland einen „sozialistischen Staat“ hervorgebracht habe, der nun zur Bastion des Proletariats geworden sei (wo er doch nichts anderes als der Vertreter des verstaatlichten Kapitals Russland ist). Die Oktoberrevolution von 1917 weckte weltweit gewaltige Hoffnungen in der Arbeiterklasse. Später wurden die Arbeiter aufgefordert, ihre Kämpfe bedingungslos der Verteidigung des „sozialistischen Vaterlandes“ unterzuordnen. Damals begann auch die bürgerliche Ideologie, jenen, die den arbeiterfeindlichen Charakter des „sozialistischen Vaterlandes“ zu durchblicken begannen, die Idee einzuimpfen, dass alle Revolutionen wie die Russische Revolution enden, nämlich mit der Entstehung einer neuen ausbeutenden, unterdrückenden Klasse.

Durch die Niederlagen in den 1920er Jahren und noch mehr durch die Spaltungen in ihren Reihen demoralisiert, konnte die Arbeiterklasse die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre nicht nutzen, um eine neue Offensive gegen das Kapital zu eröffnen. Sie wurde in zwei Lager gespalten: Auf der einen Seite gab es die, welche, durch die Oktoberrevolution verblendet, nicht zwischen der Degeneration und dem Verrat der Parteien einerseits und den ursprünglichen Ereignissen andererseits unterscheiden konnten. Auf der anderen Seite standen jene, die jede Hoffnung auf die Revolution aufgegeben hatten. Unfähig, ihre eigenen Angriffe zu starten, wurde die Arbeiterklasse durch weitere Pyrrhussiege geschwächt und an Händen und Füßen gefesselt in den 2. Weltkrieg geführt. Anders als der I. Weltkrieg lieferte der II. Weltkrieg dem Proletariat nicht die Mittel, sich erneut auf revolutionäre Weise zu erheben. Stattdessen wurde sie hinter den großen „Siegen“ der Résistance, des Antifaschismus oder der nationalen „Befreiungsbewegungen“ in den Kolonien mobilisiert.

Die Hauptschritte, die sowohl die Niederlage und die Mobilisierung des Proletariats durch das Kapital als auch die Integration aller Parteien der Dritten Internationalen in die bürgerliche Gesellschaft markierten, hinterließen tiefe Wunden in der Arbeiterbewegung.

1920-21: Kampf der Kommunistischen Internationale gegen ihren linken Flügel anlässlich der Parlamentarismus- und Ge­werkschaftsfrage;

1922-23: Annahme der Taktiken der „Einheitsfront“ und der Beteiligung an sog. „Arbeiterregierungen“ durch die Kommunistische Internationale, was in Sachsen und Thüringen zu Koalitionsregierungen von Kommunisten und Sozialdemokraten, den Henkern des Proletariats in Deutschland, führte, obwohl das Proletariat zu dem Zeitpunkt noch auf den Straßen kämpfte;

1924-26: Aufkommen der Theorie vom „Aufbau des Sozialismus in einem Lande“ - die Aufgabe des Internationalismus führte das Ende der Kommunistischen Internationale und den Übergang ihrer Parteien in das bürgerliche Lager herbei;

1927: politische und militärische Unterstützung Tschiang Kai-Tscheks durch die Komintern, was zum Massaker am chinesischen Proletariat und an den Kommunisten in China durch dessen Truppen führte;

1933: Triumph Hitlers;

1934: Eintritt Russlands in den Völkerbund, was seine Anerkennung durch die dort organisierten Räuber als einen der Ihren bedeutete. Dieser „große Sieg“ war in Wirklichkeit Symbol einer großen Niederlage des Proletariats;

1936: Bildung von „Volksfronten“ und Praktizierung der Politik der „nationalen Verteidigung“, die die „kommunistischen“ Parteien mit Zustimmung Stalins dazu veranlasste, für die Kriegskredite zu stimmen;

1936-39: der antifaschistische Schwindel - in Spanien wurden die Arbeiter im Namen der Demokratie und der Republik nie­dergemetzelt.

1939- 45: II. Weltkrieg und Mobilisierung des Proletariats für die Résistance. In diesem Krieg erstickte die Bourgeoisie - aus früheren Erfahrungen klug geworden - durch die militärische Besetzung der besiegten Länder jede Regung des Proletariats schon im Keim. Unfähig, durch ihre eigene Bewegung das Ende des Krieges zu erzwingen, wie dies 1917-18 der Fall gewesen war, ging die Klasse noch gebrochener aus diesem Krieg hervor, als sie in ihn hineingegangen war;

1945-65: Wiederaufbau und nationale „Befreiung“ - das Proletariat wurde aufgefordert, eine vom Krieg zerstörte, in Trümmern liegende Welt wiederaufzubauen. Dafür erhielt es einige Krümel von der Bourgeoisie, die diese aufgrund der Ent­wicklung der Produktion verteilen konnte. In den rückständigen Ländern wurde das Proletariat von der nationalen Bour­geoisie für den Kampf um die „Unabhängigkeit“ und für den „Antiimperialismus“ rekrutiert.

Die linkskommunistischen Fraktionen

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung der Klasse und des völligen Triumphes der Konterrevolution nahmen die linken Fraktionen - die sich von den degenerierenden kommunistischen Parteien abgewendet hatten - die schwierige Aufgabe in Angriff, die revolutionären Prinzipien zu verteidigen. Sie mussten sich den vereinten Kräften aller Fraktionen der Bourgeoisie entgegenstemmen und den tausend Fallen ausweichen, die diese ihnen stellten. Sie mussten sich dem ungeheuren Gewicht der herrschenden Ideologie in ihrer eigenen Klasse entgegenstellen, der Isolierung wie auch der physischen Verfolgung, der Demoralisierung, der Erschöpfung, des Verlustes und der Zerstreuung ihrer Mitglieder  trotzen.

Mit ihrem Versuch, eine Brücke zwischen den alten, mittlerweile zur Bourgeoisie übergelaufenen Parteien des Proletariats und jenen Parteien, die das Proletariat in dem Moment seines nächsten revolutionären Aufschwungs bilden würde, zu bilden, vollbrachten die linkskommunistischen Fraktionen eine Herkulesarbeit. Sie versuchten, einerseits die proletarischen Prinzipien am Leben zu erhalten, die die Internationale und ihre Parteien an den höchsten Bieter verschleudert hatten, und andererseits auf der Grundlage dieser Prinzipien eine Bilanz aus den vergangenen Niederlagen zu erstellen. Dies taten sie, um die neuen Lehren zu verstehen, die die Klasse selbst im Verlauf ihrer künftigen Kämpfe erstellen wird. Jahrelang hielten die verschiedenen Fraktionen, insbesondere die Deutsch-Holländische Linke und vor allem die Italienische Linke, einen bemerkenswerten Umfang an Aktivitäten sowohl im Bereich der theoretischen Vertiefung als auch bei der Anprangerung des Verrats jener Parteien aufrecht, die sich weiterhin als Arbeiterparteien ausgaben.

Doch die Konterrevolution war zu stark und dauerte zu lange, als dass diese linkskommunistischen Fraktionen hätten überleben können. Vom II. Weltkrieg stark geschwächt und durch die Tatsache angeschlagen, dass dieser Krieg kein Wiederaufflammen des Klassenkampfes auslöste, verschwanden allmählich die letzten Fraktionen, die bis dahin noch überlebt hatten, oder traten in einen Prozess der Degeneration, der Verknöcherung oder der Regression ein. Damit riss zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrhundert das Band der organischen Kontinuität, das die verschiedenen politischen Organisationen des Proletariats - wie den Bund der Kommunisten, die I., II. und III. Internationale sowie die aus Letzterer hervorgegangenen Fraktionen - miteinander verbunden hatte.

Die Bourgeoisie hatte zeitweilig ihr Ziel erreicht: jeglichen politischen Ausdruck der Klasse zum Schweigen zu brin­gen, die Revolution als einen verstaubten Anachronismus darzustellen, als ein Über­bleibsel aus einer längst vergangenen Epoche, eine exotische Spezialität, die den rückständigen Ländern vorbehalten sei, und die wahre Bedeutung der Revolution in den Augen der Arbeiter völlig zu verfälschen.

Die Krise des Kapitalismus

Doch seit einem Jahrzehnt haben sich die Aussichten gründlich geändert. Der wirtschaftliche „Wohlstand“, der den Wie­deraufbau der Nachkriegszeit begleitet hat, fand mit dem Abschluss des Wiederaufbaus ein Ende. Nicht nur die Bewunderer des Kapitalismus, sondern auch jene, die sich als seine Gegner ausgaben, haben diesen Wohlstand als ewig präsentiert. Seit Mitte der 60er Jahre, nach zwei Jahrzehnten euphorischen Wachstums, sieht sich das kapitalistische System jedoch aufs Neue mit einem Albtraum konfrontiert, den es in die Vorkriegswelt eines Grosz-Gemäldes verbannt zu haben glaubte: die Krise. Seither hat sich die Krise unerbittlich vertieft. Dies ist eine glänzende Bestätigung der marxistischen Theorie. Ebenjener Theorie, deren „Überlebtheit“, „Gegenstandslosigkeit“ und „Bankrott“ von den mit der Bourgeoisie verbandelten Lügnern aller Art, den nach „Neuheiten“ lechzenden, pseudorevolutionären Professoren, Nobelpreis-Gewinnern und Akademikern genauso wie von den „Skeptikern“ und Mäklern aller Art unaufhörlich verkündet wird.

Die Wiederkehr des Proletariats

Mit der Vertiefung des wirtschaftlichen Chaos wird die Gesellschaft aufs Neue mit der unvermeidlichen Alternative konfron­tiert, die jede akute Krise des dekadenten Kapitalismus mit sich bringt: Weltkrieg oder proletarische Revolution.[2] [19] Doch unterscheidet sich die heutige Perspektive vollkommen von jener, die die große Wirtschaftskatastrophe der 30er Jahre offenbart hatte. Damals hatte das geschlagene Proletariat nicht die Kraft, den Bankrott des Systems auszunutzen, um zum Angriff überzugehen. Im Gegenteil: die Auswirkungen jener Krise sollten die Niederlage des Proletariats noch verstärken.

Heute ist die Lage des Proletariats jedoch eine andere als in den 30er Jahren. Einerseits haben sich die Mystifikationen, die in der Vergangenheit das Bewusstsein der Arbeiter erdrückten, wie alle anderen Pfeiler der bürgerlichen Ideologie mittlerweile allmählich verschlissen. Der Nationalismus, die demokratischen Illusionen, der Antifaschismus - sie alle, die in den vergangenen halben Jahrhundert intensiv genutzt wurden, haben nicht mehr den gleichen Einfluss, den sie einst hatten. Andererseits haben die neuen Arbeitergenerationen nicht derartige Niederlagen erlitten wie ihre Väter. Die Proletarier, die heute mit der Krise konfrontiert sind, mögen zwar nicht die Erfahrung besitzen, die Generationen von Arbeitern vor ihnen gehabt haben, doch sind sie gleichzeitig auch nicht von derselben Demoralisierung belastet.

Der beeindruckende Widerstand, den die Arbeiterklasse gegenüber den ersten Anzeichen der Krise 1968/69 an den Tag gelegt hat, bedeutet, dass die Bourgeoisie heute nicht mehr in der Lage ist, die einzige Lösung durchzusetzen, die sie gegen die Krise anzubieten hat: einen erneuten weltweiten Holocaust. Denn zuvor muss sie die Arbeiterklasse besiegen. Daher ist die heutige Perspektive nicht der imperialistische Krieg, sondern ein allgemeiner Klassenkrieg. Auch wenn die Bour­geoisie weiterhin alle Vorbereitungen für den Weltkrieg trifft, so ist es doch der Klassenkampf, der sie vorrangig beansprucht. Die erstaunlichen Absatzsteigerungen im Rüstungssektor (dem einzigen Sektor, der nicht unter der Krise leidet) kaschieren im Augenblick die von allen Staaten durchgeführte, allgemeine und nicht weniger systematische Aufrüstung des Repressionsapparates zum Zwecke des Kampfes gegen die „Subversion“. Aber das Kapital bereitet sich nicht so sehr mit Hilfe der Repression auf den Klassenkrieg vor, sondern stützt sich vornehmlich auf einer ganzen Reihe anderer Erfindungen, um das Proletariat einzudämmen und seinen Kampf in die Sackgasse zu lenken. Daher kann die Bourgeoisie der ungebrochenen Kampfbereitschaft der Arbeiter immer weniger nur die nackte Repression entgegensetzen, droht diese doch eher die Kämpfe zu vereinen, statt sie zu ersticken.

Die Waffen der Bourgeoisie

Bevor die Bourgeoisie in der Lage ist, zur offenen Repression zu greifen, wird sie wie in der Vergangenheit zunächst versuchen, die Arbeiter zu demoralisieren, indem sie ihre Kämpfe vom Weg abbringt und in die Sackgasse führt. Zu diesem Zweck wird sie hauptsächlich drei wesentliche Mystifikationen wiederbeleben, die alle dazu dienen, die Klasse an das nationale Kapital und den Staat zu binden: den Antifaschismus, die Selbstverwaltung und die nationale Unabhängigkeit.

Heute, wo unter völlig anders gearteten Bedingungen keine konkrete faschistische Gefahr à la Mussolini oder Hitler droht, ist es nicht die unmittelbare Aufgabe des Antifaschismus, für einen imperialistischen Krieg zu mobilisieren. Daher umfasst die antifaschistische Mystifikation ein breiteres Spektrum als in der Vergangenheit. Im Osten wie im Westen attackieren die „linken“, „progressiven“, „demokratischen“ oder „liberalen“ Fraktionen des Kapitals die Arbeiterklasse unter dem Deckmantel der Verteidigung der „demokratischen Errungenschaften“, der „Freiheit“, etc. gegen die Bedrohung durch die „Reaktion“, den „Totalitarismus“, die „Repression“, den „Faschismus" oder gar den „Stalinismus“. In dem Maße jedoch, wie die Arbeiter für die Verteidigung ihrer eigenen Interessen zu kämpfen anfangen, bekommen sie zu hören, dass sie die schlimmsten Agenten der Reaktion und der Konterrevolution seien.[3] [20]

Der Mythos der Selbstverwaltung ist ebenfalls ein erstklassiges Mittel, mit dem die Linke des Kapitalismus gegen die Arbeiter aufwarten wird. Die Selbstverwaltung wird mit der Flut von Pleiten, die die Krise mit sich bringt, an Boden gewinnen und auch eine nachvollziehbare Reaktion auf den bürokratischen Würgegriff des Staates über die gesamte Gesellschaft sein. Die Arbeiter müssen dem Sirenengesang widerstehen, den alle Kapitalisten im Namen der „Demokratisierung der Wirtschaft“, der „Enteignung der Unternehmer“ oder gar der Etablierung „kommunistischer“, „menschlicherer Verhältnisse“ singen. In der Tat sind dies Versuche, die Arbeiter zur Mitarbeit bei ihrer eigenen Ausbeutung zu bewegen und ihre Vereinigung zu verhindern, indem die Arbeiter entsprechend der Betriebe, in denen sie arbeiten, oder der Stadtteile, in denen sie leben, gespalten werden (siehe Fußnote 3 der Plattform).

Schließlich wird auch die nationale Unabhängigkeit - als moderne Version der „nationalen Verteidigung“ mit dunklen Erinnerungen verknüpft – von der Bourgeoisie ausgiebig genutzt werden, insbesondere in den unterentwickelten Ländern, wo sie am absurdesten ist. Im Namen der „nationalen Unabhängigkeit“ werden die Arbeiter zu einem Schulterschluss mit den anderen Klassen im Kampf gegen diesen oder jenen Imperialismus aufgerufen. Die Verantwortung für die Krise und für die Verschärfung der Aus­beutung soll so auf die „hegemonialen Bestrebungen“ dieses oder jenes Landes, auf die Multis oder auf andere „staatenlose“ Kapitalien abgewälzt werden.[4] [21]

Unter Aufbietung all dieser Mystifikationen wird das Kapital überall die Arbeiter dazu aufrufen, auf ihre Forderungen zu ver­zichten und Opfer für die Überwindung der Krise zu bringen. Wie in der Vergangenheit werden sich auch jetzt die Linken und die „Arbeiterparteien“ bei dieser schmutzigen Arbeit auszeichnen. Dabei werden sie auf die „kritische“ Unterstützung durch linksextremistische Gruppen aller Art rechnen können, die die gleichen Verschleierungen und Lügen in einer radikaleren Sprache verpacken und auch radikalere Methoden bevorzugen. Bereits vor 57 Jahren warnte das Manifest der Kommunistischen Internationale die Arbeiterklasse vor diesen Gefahren: "Die Opportunisten, die vor dem Krieg die Arbeiter unter dem Vorwand des allmählichen Übergangs zum Sozialismus dazu aufriefen, ihre Forderungen zu mäßigen, und während des Krieges im Namen der heiligen Nation und der Vaterlandsverteidigung die Erniedrigung und die Unterordnung der Klasse des Proletariats forderten, verlangen nun vom Proletariat erneut Opfer- und Hingabebereitschaft, um die schrecklichen Folgen des Krieges zu überwinden. Wenn solche Predigten innerhalb der Arbeiterklasse Gehör fänden, würde das Kapital seine Sanierung und Weiterentwicklung auf den Leichen weiterer Arbeitergenerationen in neuen, noch konzentrierteren, scheußlicheren Formen fortführen, mit der unvermeidlichen Aussicht auf einen neuen Weltkrieg."

Die Geschichte bewies mit der beispiellosen Tragödie des II. Weltkriegs, wie hellsichtig die Warnung der Revolutionäre von 1919 vor den Lügen der Bourgeoisie war. Jetzt wo die Bourgeoisie ihr furchteinflößendes Arsenal wieder aufpoliert, das ihr in der Vergangenheit erlaubt hat, das Proletariat unter Kontrolle zu halten und zu besiegen, bekennt sich die Internationale Kommu­nistische Strömung mit ganzem Herzen zu den Worten der Kommunistischen Internationalen und richtet diese aufs Neue an ihre Klasse. „Proletarier, erinnert euch an den imperialistischen Krieg!“, sagte die Internationale. Arbeiter von heute, erinnert euch des verflossenen halben Jahrhunderts Barbarei und stellt euch vor, was die Menschheit erwartet, wenn Ihr auch diesmal nicht entschlossen genug die Sonntagsreden der Bourgeoisie und ihrer Lakaien zurückweist!

Die Entwicklung des Klassenkampfes und des Bewusstseins des Proletariats

Obgleich die Kapitalistenklasse ihre Waffen systematisch verbessert, stößt sie nicht auf ein hilfloses Proletariat, auch wenn sie es gerne hätte. Ungeachtet einiger ihm zum Nachteil gereichender Aspekte sind die Bedingungen, unter denen das Proletariat seinen Kampf wieder aufgenommen hat, im Wesentlichen zu seinem Vorteil. So entsteht zum ersten Mal in der Geschichte die revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse nicht am Ende eines Krieges, sondern aus der Wirtschaftskrise des gesamten Systems. Sicher ist es für das Proletariat im Krieg einfacher, die Notwendigkeit des politischen Kampfes zu verstehen und die Unterstützung eines Großteils jener Schichten für sich zu gewinnen, die weder zum Proletariat noch zur Bourgeoisie gehören. Doch fördert der Krieg die Entwicklung des Klassenbewusstseins nur unter den Arbeitern jener Länder, die Schlachtfeld eines solchen Krieges sind, und insbesondere unter den Arbeitern der Verliererländer. Dagegen verschont die heutige Krise kein Land der Welt. Und je mehr die Bourgeoisie versucht, die Krise zu bremsen, desto mehr verschärft sie diese. Aus diesem Grund hat der Klassenkampf bislang noch nie solche Ausmaße angenommen wie heute. Zwar entwickelt er sich langsam und unstet, aber seine Ausdehnung hat schon jetzt all jene Untergangsphilosophen verblüfft, die sich pausenlos über den angeblich „utopischen“ Charakter einer revolutionären Bewegung des Proletariats auf Weltebene ergehen.

Da das Proletariat heute vor enormen Aufgaben steht, die nur es selbst verwirklichen kann, und da der unstete Charakter seiner Bewegung aus dem Verlust seiner Kampftraditionen und aller seiner Klassenorganisationen herrührt, muss das Proletariat die langsame Entwicklung der Krise (eine Krise, die den Rhythmus seiner Klassenreaktion beeinflusst) ausnutzen, um sowohl seine Kampftraditionen als auch seine Klassenorganisationen systematisch weiterzuentwickeln.

 Durch seinen täglichen Kampf wird das Proletariat allmählich das Bewusstsein über den politischen Charakter seines Kampfes wiedererlangen, und durch die Ausweitung und Häufung seiner Teilkämpfe schmiedet es seine Waffen für den Generalangriff gegen die herrschende Klasse. Angesichts dieser Kämpfe wird die Verzweiflung des Kapitals wachsen, und es wird die sehr reale Tatsache benutzen, dass es nichts zugestehen kann, um die Arbeiter  zur „Mäßigung“ und zum „Verzicht“ aufzufordern. Die Arbeiter müssen dagegen begreifen, dass, auch wenn die Kämpfe ergebnislos und damit in streng wirtschaftlicher Hinsicht Niederlagen sind, sie die Voraussetzung für den endgültigen Sieg bilden, da jeder von ihnen einen Schritt vorwärts in der Erkenntnis des Proletariats über den totalen Bankrott des Systems und damit über die Notwendigkeit seiner Zerstörung darstellt. Anders als die Prediger des „Realismus“ und der „Besonnenheit“ werden die Arbeiter erkennen, dass der wirkliche Erfolg eines Kampfes nicht in seinem unmittelbaren Ergebnis beruht (das, selbst wenn es positiv ist, stets durch die Vertiefung der Krise bedroht ist), sondern dass vielmehr der wahre Sieg der Kampf selbst und die Organisation, die Solidarität und das Bewusstsein ist, die dieser Kampf entwickelt.

Anders als die Kämpfe, die zur Zeit der großen Krise zwischen den beiden Weltkriegen stattfanden und deren Niederlagen nur zu weiterer Demoralisierung und Ermüdung der Klasse führten, stellen die heutigen Kämpfe Mei­lensteine auf dem Weg zum Endsieg dar. Die vorübergehende Entmutigung nach einer Teilniederlage wird sich in einen Ausbruch von Wut, Entschlossenheit und Bewusstsein verwandeln, die die kommenden Kämpfe befruchten werden.

Die sich verschärfende Krise wird den Arbeitern die wenigen, kümmerlichen Zugeständnisse entreißen, die in der Wiederaufbauperiode den Arbeitern für eine immer systematischere und wissenschaftlichere Ausbeutung zugestanden werden konnten. Mit der weiteren Ausbreitung der Krise werden immer mehr Arbeiter durch Arbeitslosigkeit und sinkende Reallöhne in die Verarmung gestoßen. Doch mit den Leiden, die die Krise verursacht, enthüllt sie gleichzeitig den barbarischen Charakter der Produktionsverhältnisse, die die Gesellschaft in Fesseln halten. Im Gegensatz zu den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Klassen, die in der Krise nichts anderes als ein großes Unglück sehen und in Wehklagen ausbrechen, müssen die Proletarier die Krise mit Begeisterung begrüßen und in ihr den belebenden Wind wahrnehmen, der die Fesseln, mit denen sie an der alten Welt gebunden sind, wegfegt und damit die Voraussetzung ihrer Befreiung schafft.

Die Organisation der Revolutionäre

Doch wie intensiv auch immer die Kämpfe sein mögen, die von der Klasse ausgetragen werden, ihre Emanzipation wird nur erreicht werden können, wenn die Arbeiterklasse in der Lage ist, eines ihrer kostbarsten Güter zu pflegen, dessen Abwesenheit in der Vergangenheit ihr so teuer zu stehen gekommen ist: die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse.

Das Proletariat ist aufgrund seiner Stellung im Produktionssystem die revolutionäre Klasse. Grundvoraussetzung seines Handelns ist die Dekadenz und die akute Krise dieses Systems. Jedoch lehrt die historische Erfahrung, dass dies für sich genommen nicht ausreicht. Wenn es dem Proletariat nicht gleichzeitig gelingt, ein entsprechendes Bewusstsein zu erlangen und jenes Instrument (seine kommunistische Avantgarde) zu schaffen, das gleichzeitig Produkt und aktiver Faktor in diesem Kampf ist, wird es nicht imstande sein, sich vom Kapitalismus zu befreien. Diese Avantgarde ist jedoch nicht das mechanische Produkt des Klassenkampfes. Auch wenn die gegenwärtigen und zukünftigen Auseinandersetzungen den notwendigen Nährboden für die Entwicklung dieser Avantgarde bieten, so kann sie sich nur bilden und ihre Aufgaben erfüllen, wenn die Revolutionäre sich vollständig ihrer Verantwortung bewusst und vom Willen durchdrungen sind, diesen Aufgaben gerecht zu werden. So können insbesondere die unerlässlichen Aufgaben der theoretischen Reflexion, der systematischen Anprangerung der bürgerlichen Lügen und der aktiven Intervention in den Kämpfen ihrer Klasse nur dann von den heutigen Revolutionären erfolgreich erfüllt werden, wenn sie die poli­tischen Bande, die sie sowohl historisch als auch geographisch miteinander verbinden, wieder etablieren. Das ist die Grundvoraussetzung für ihr Handeln. Mit anderen Worten: um die Aufgabe zu erfüllen, für die die Klasse sie in die Welt gesetzt hat, müssen sich die Revolutionäre die Errungenschaften der Klassenkämpfe und der kommunistischen Strömungen der Vergangenheit aneignen sowie ihre Kräfte auf der Ebene ihrer Klasse, d.h. auf Weltebene, bündeln.

Jedoch werden ihre Bemühungen in diese beiden Richtungen noch stark durch den totalen Bruch der organischen Kontinuität mit den kommunistischen Fraktionen der Vergangenheit behindert. Die Wiederherstellung dieser politisch unentbehrlichen Kontinuität mit diesen Fraktionen, die die grundsätzlichen Lehren aus den vergangenen Erfahrungen der Klasse gesammelt und erklärt hatten, hat sich - behindert durch die revolutionären Strömungen, die die Klasse in die Welt gesetzt hat - verzögert. Diese Strömungen haben vor allem Schwierigkeiten, zwei Dinge zu verstehen: ihre besondere Funktion innerhalb der Klasse und vor allem die Organisationsfrage, da sie in diesem Bereich praktisch über keine eigenen Erfahrungen verfügen. (Von Anbeginn war das Kleinbürgertum eine Fessel der Arbeiterbewegung.) Insbesondere hat der Unrat aus der Studentenbewegung, jener typischer Ausdruck der Krise des intellektuellen Kleinbürgertums, der sich just in dem Moment auf seinem Höhepunkt befand, als die Arbeiterklasse den Weg zum Kampf wiederentdeckte, das Bewusstsein revolutionärer Organisationen behindert. So ist es der Kultivierung des „Neuen“, des „Anders-Seins“, der Phrasendrescherei, des Individuums, der „De-Entfremdung“ und des Spektakels, die dieser Spielart des Kleinbürgertums eigentümlich sind,  oft gelungen, viele Gruppen in exotische Sekten umzuwandeln, deren Aktivitäten rund um kleinliche Fragen und persönlichen Ambitionen kreisen.

Aus positiven Faktoren, die diese Gruppen einst waren, sind Hindernisse für den Bewusstwerdungsprozess des Proletariats geworden. Falls sie sich auch weiterhin aufgrund von erfundenen oder nebensächlichen Divergenzen der Aufgabe der Umgruppierung der revolutionären Kräfte widersetzen, werden sie von den Bewegungen der Arbeiterklasse gnadenlos weggefegt werden.

Mit ihren immer noch bescheidenen Mitteln hat sich die Internationale Kommunistische Strömung der langwierigen und schweren Aufgabe der weltweiten Umgruppierung der Revolutionäre rund um ein klares und kohärentes Programm verpflichtet. Sie lehnt den Monolithismus der Sekten ab und ruft die Kommunisten aller Länder auf, sich der ungeheuren Verantwortung bewusst zu werden, die auf ihnen lastet, die falschen Streitereien aufzugeben und die künstlichen Spaltungen zu überwinden, die die alte Gesellschaft ihnen aufgehalst hat. Die IKS ruft sie auf, sich für diese Aufgabe zusammen zu schließen, um noch vor Beginn der entscheidenden Klassenkämpfe eine internationale, vereinte Organisation der Avantgarde zu bilden.

Als bewussteste Fraktion der Klasse müssen die Kommunisten ihr den Weg nach vorn zeigen, indem sie sich die Losung: „Re­volutionäre aller Länder, vereinigt euch!“ zu eigen machen.

Arbeiter der ganzen Welt!

Die Kämpfe, die Ihr austragt, sind die bedeutendsten in der Geschichte der Menschheit. Ohne Euren Klassenkampf wäre die Menschheit dazu verurteilt, einen III. Weltkrieg zu erleiden, dessen Folgen man nur ahnen kann. Solch ein Krieg bedeutet, dass die Menschheit um Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende zurückgeworfen wird, ein Verfall, der jede Hoffnung auf den Sozialismus zunichtemacht oder gar schlicht und einfach die Menschheit vernichtet. Noch nie ist eine Klasse Träger einer solchen Verantwortung und Hoffnung gewesen. Die furchtbaren Opfer, die Ihr bereits in Euren vergangenen Kämpfen erbracht habt, und jene vielleicht noch furchtbareren Opfer, die eine zum Äußersten getriebene Bourgeoisie Euch künftig noch abverlangen wird, werden nicht vergeblich gewesen sein.

Euer Triumph wird für die Menschheit die endgültige Befreiung von den Ketten bedeuten, die sie den blinden Gesetzen der Natur und der Ökonomie unterworfen haben. Er wird das Ende der Vorgeschichte der Menschheit und den Beginn ihrer wirklichen Geschichte markieren sowie die Herrschaft der Freiheit auf den Ruinen der Herrschaft der Notwendigkeit errichten.

Arbeiter, macht für die titanischen Schlachten, die auf Euch warten und die den endgültigen Angriff gegen die kapitalistische Welt vorbereiten, für die Abschaffung der Ausbeutung, für den Kommunismus den alten Schlachtruf Eurer Klasse wieder zur Eurem Schlachtruf:

PROLETARIER ALLER LÄNDER, VEREINIGT EUCH!

Internationale Kommunistische Strömung, 1975

[1] [22] Dieser Abschnitt bezieht sich auf das Wiedererwachen des Weltproletariats Ende der 1960er Jahre nach einem halben Jahrhundert der Konterrevolution. Die dort erwähnten Arbeiterkämpfe erscheinen im Vergleich mit dem gegenwärtigen Niveau des Klassenkampfes wie von einer anderen Welt. Der Zusammenbruch der so genannten realsozialistischen Länder Ende der 1980er Jahre hat einen weitreichenden Rückfluss des Bewusstseins und der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse bewirkt. Das Gewicht dieses Rückflusses wird auch heute noch angesichts der Schwierigkeiten des Proletariats deutlich, seinen Klassenkampf zu entwickeln und zu einer revolutionären Perspektive zurückzufinden, eine Perspektive, die durch die Heftigkeit der bürgerlichen Kampagne rund um den „Tod des Kommunismus“ vernebelt wurde. Doch diese Schwächung des Weltproletariats hat keinesfalls den historischen Kurs auf eine Zuspitzung der Klassenkämpfe in Frage gestellt, der durch die erste Welle von Kämpfen Ende der 1960er Jahre eröffnet worden war. Trotz eines nur allmählichen Wiedererstarkens des Klassenkampfes wird unsere Zukunft weiterhin von der Arbeiterklasse verkörpert. Gerade weil der Klassenkampf ein ständiger Albtraum für die Herrschenden ist, entfesseln sie ideologische Kampagnen und hinterlistige Manöver, um die Arbeiterklasse daran zu hindern, kraftvoll in Erscheinung zu treten.

[2] [23] Mit dem Verschwinden der beiden imperialistischen Blöcke, die durch das Abkommen von Jalta entstanden waren, ist das Gespenst eines dritten Weltkriegs im Augenblick gebannt. Auch wenn der Militarismus und der Krieg immer noch den niedergehenden Kapitalismus bestimmen, hat es die imperialistische Politik aller Staaten, ob groß oder klein, mit einer historischen Weltlage zu tun, die von Chaos und dem „Jeder für sich“ beherrscht ist. Da die Arbeiterklasse der großen Industriezentren nicht für einen dritten Weltkrieg mobilisiert werden kann, lautet die historische Alternative nunmehr: die proletarische Revolution oder der Sturz der Menschheit in die Barbarei und in das allgemeine Chaos. 

[3] [24] Auch wenn in einigen zentralen Ländern Europas wie Frankreich, Österreich oder Belgien die rechtsextremen Fraktionen Auftrieb erhalten, kann man dieses Phänomen keineswegs mit der Lage in den 1920er und 1930er Jahren vergleichen, als die Bedingungen für eine Machtübernahme durch die Faschisten und die Nazis gegeben waren. Das Wiedererstarken der rechtsextremen Parteien ist vor allem ein Ausdruck des Zerfalls des Systems, des „Jeder für sich“, von dem zunehmend der gesamte politische Apparat der Bourgeoisie ergriffen wird. Dieser Aufstieg ist nicht das Ergebnis einer historischen Niederlage des Proletariats wie in den Jahren nach der Niederschlagung der revolutionären Welle von 1917-23. Darüber hinaus kann man die gegenwärtigen antifaschistischen Kampagnen nicht mit den Kampagnen und der massiven Mobilisierung des Proletariats für die Demokratie vergleichen, welche in den 1930er Jahren die Mobilisierung der Arbeiterklasse für den 2. Weltkrieg ermöglicht hatten.

[4] [25] Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks Ende der 1980er Jahre und der ihm folgenden Auflösung des westlichen Blocks sind die Befreiungskämpfe kein brauchbarer Mythos mehr, mittels dessen die linken und linksextremistischen Fraktionen des Kapitals bis dahin versucht hatten, Teile der Arbeiterklasse für das eine oder andere imperialistische Lager zu mobilisieren. Doch während der Mythos der „nationalen Befreiung” in den großen Zentren des Kapitalismus mit dem Zusammenbruch des russischen imperialistischen Blocks geplatzt ist, behält er in einigen peripheren Gebieten der Welt weiterhin seine Anziehungskraft bei und erweist sich immer noch als nützlich, um die Arbeiter dieser Länder in Massaker zu treiben (wie z.B. im Kaukasus oder in den von Israel besetzten Gebieten).

Staat und Terrorismus: Ein Feind des Proletariats

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Trotz der Verschärfung der politischen und ökonomischen Krise in der BRD und der Welt, trotz der Hilflosigkeit der bürgerlichen Krisenmanager und trotz des von den Arbeitern erzwungenen größeren Verbalradikalismus der Gewerkschaften haben sich alle staatstragenden Kapitalfraktionen zusammengetan, um im Namen der Terroristenbekämpfung die Verstärkung des Staates gegen mögliche zukünftige Angriffe der Arbeiterklasse zu betreiben. Der offenbar totale Sieg des Staates in dieser Kampagne weckt die Erinnerungen an die schwärzesten Zeiten der Konterrevolution. Dass dies gerade in der BRD geschieht, ist kein Zufall. Gerade in diesem Land war die Niederlage der Arbeiterklasse nach der ersten revolutionären Erhebung 1918-23 am schwersten, und die darauffolgenden 50 Jahre totaler Konterrevolution werfen noch ihren langen Schatten. Besonders in diesem Land ist das Band zur revolutionären Tradition und der dazu gehörenden Erfahrung jäh zerschnitten worden, und auch das Aufflammen der Kämpfe seit 1968 sowie die darauffolgenden Massenstreiks 1969 und 1973 waren nicht in der Lage, an die Vergangenheit wieder anzuknüpfen.

Die Folgen der zu beobachtenden Aufrüstung des Staates und der breiten Kampagnen zur nationalen Vereinigung sind zunächst Resignation und Konfusion. Die Stimme der Arbeiter ist in diesem Geschrei nicht wahrzunehmen. Dies führt denn auch im In- und Ausland dazu, die „deutschen Faschisten“ wieder marschieren zu hören. Doch jeglicher Ruf nach antifaschistischem Kampf kann die schon begonnen Konfusion nur auf die Spitze treiben. Dieser reduziert nämlich den bestehenden Konflikt auf die Knebelung bürgerlicher Rechte, während es doch nur um das praktische Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoise und Proletariat geht, d.h. ob zum Beispiel Arbeiterversammlungen nur verboten oder tatsächlich unmöglich sind.

Dass der anscheinend so totale Sieg des Staates, den sich die Regierung auch erhoffte, gar nicht so total war, wird zum einen durch die Schwierigkeiten der Bourgeoisie im eigenen Lager und zum anderen durch die Tatsache belegt, dass seit dem Abbruch der lauten Kampagne Arbeitslosigkeit und Löhne wieder Thema Nr. 1 sind. Es gibt deshalb nicht nur eine Hoffnung, sondern auch gleichzeitig die Pflicht der Revolutionäre, in diesem Irrgarten der Polizisten, Hausdurchsuchungen und Bombenattentate wieder die Ziele der internationalen Arbeiterbewegung herauszustellen. Es ist jetzt die Aufgabe der Kommunisten, eine Orientierung und die einzige Perspektive gegenüber allen Angriffen der Bourgeoisie zu verteidigen: den proletarischen Klassenkampf!

Die Kapitalisten vergießen Krokodilstränen über die Opfer der Baader-Meinhof-Gruppe. Aber bei aller hysterischen Mobilmachung verschweigt man geflissentlich die brutale Zerschlagung eines Streiks der Zuckerarbeiter in Ecuador. Hier fielen 120 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, der „bürgerlichen Gerechtigkeit“ zum Opfer. Die Polizeieinsätze im Druckerstreik sind nicht der Exotik Südamerikas geschuldet, sondern beweisen die „naturwüchsige“ Brutalität des im Zerfall befindlichen kapitalistischen Systems. Alle Gewalt geht vom Kapital aus! Der Gipfel dieser einfachen Wahrheit offenbart sich allein schon in den beiden Weltkriegen dieses Jahrhunderts.

Der Grund dieser Gewalttätigkeit liegt in der Unterordnung des Menschen unter die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise, die längst ihre historische Rolle erfüllt hat und nun langsam in der kapitalistischen Barbarei versinkt. Auf dieser Stufe der Entwicklung sind beinahe alle sozialen Beziehungen vom Diktat der kapitalistischen Gewalt durchdrungen. Auf diesem Hintergrund sind die eigentlichen Banditen und Banden diejenigen, die ein Interesse an der Erhaltung dieses Systems haben – die Schmidts, die Regierungen der bürgerlichen Klasse.

Sie wollen die Verstärkung des Staates gegen den drohenden Angriff des Proletariats! Im konkreten Fall der Schleyer-Entführung und der zeitlich parallelen Ereignisse hat der Staat seine Waffen mehr ausprobiert als wirklich benutzt. Insbesondere das jetzt in Polizeikreisen beliebte „Spiel“ des Züge-Stoppens ist beispielhaft. Aber selbst wenn im direkten Bezug zur Tat gehandelt wurde, zeigte sich die Rücksichtslosigkeit, mit der der bürgerliche Staat bereit ist, die herrschenden Interessen zu verteidigen. In Mogadischu wurde nicht auf Menschenleben geachtet – weder auf das der Geiseln noch auf das der Entführer -, sondern eine gezielte Bürgerkriegsübung durchgeführt.

Bei all dem jedoch von faschistischer Eskalation staatlicher Gewalt zu sprechen ist eine Verdrehung der Tatsachen. Gewalt ist eine Gesetzmäßigkeit des kapitalistischen Systems. Und wenn die SPD heute solche Maßnahmen ergreift, ist dies kein Ausdruck ihrer Rechtsentwicklung, sondern erinnert nur an die Tradition der „Altgenossen“ Noske und Ebert!

Auf der „anderen Seite“ stehen die Linken mit erhobenem Zeigefinger. Sie sehen den „Rechtsstaat“ in Gefahr oder rufen zum Kampf gegen „Faschisierung von Staat und Gesellschaft“ auf. In der gesamten radikal-demokratischen Bewegung ist deutlich die Tendenz zur Einheitsfront zu verspüren. In Bonn demonstrierten drei K-Gruppen gegen Verbotsanträge; in verschiedenen Städten werden Aktionseinheiten gegen staatliche Repression gegründet.

Im ersten Moment ist man versucht, überall mitzumachen, um „das letzte bisschen Freiheit zu retten“. Aber jene, die da für „Freiheit“ und „Demokratie“ fechten, haben inzwischen tausendmal beweisen können, welcher Klasse sie angehören. Sie schicken das afrikanische Proletariat in imperialistische Konflikte, als Kanonenfutter im Dienste nationaler Interessen. Sie vertreten die nationalistischen Unabhängigkeitsansprüche Bonns gegenüber den USA und der UdSSR bzw. die Kapitalinteressen Italiens und Frankreichs gegenüber der BRD und ihren Hegemonialansprüchen. Sie unterstützen – wenn auch „kritisch“ – die brutale Betriebspolizei: die Gewerkschaft. Einheitsfronten, ob in Form des antifaschistischen Kampfes, der Volksfronten oder der nationalen Fronten, sind nur der Versuch einer bürgerlichen Fraktion, ihr Programm durchzusetzen und Mystifikationen zu verbreiten. Das Proletariat hat von diesen Kräften nichts zu erwarten.

Das Proletariat darf weder dieser noch irgendeiner anderen Strömung der Bourgeoisie die Knüppel in die Hand geben, mit denen es dann selber geschlagen wird!

Für die Arbeiterklasse gibt es in der Phase des Niedergangs des Kapitalismus keine Frage nach Ge- oder Verboten. Das Proletariat muss nicht gegen, sondern trotz der Verbote kämpfen. Es gibt für die Arbeiter nur die Möglichkeit, die Organisationskraft und das Klassenbewusstsein gegen alle Angriffe des Kapitals und seines Staates auszubilden. Genauso wie die Bourgeoisie ständig ihre eigenen Gesetze (wie z.B. das Streikrecht) bricht, dürfen die Arbeiter die Verbote nicht beachten!

In einigen Kreisen wird, in der Meinung, damit nun besonders revolutionär zu sein, die staatliche Propaganda einfach in ihr Gegenteil verkehrt: Aus Verbrechern werden Märtyrer. Die Terroristen werden zu Erlösern der Menschheit gemacht.

Gerade in Zeiten, in denen der Klassenkampf stagniert, bricht sich die kleinbürgerliche Verzweiflung in selbstvernichtenden Praktiken Bahn. Tatsache ist, dass die Terroristen vom Staat nichts zu erwarten und dem Kapital – anders als die staatskapitalistisch ausgerichtete Linke – nichts Programmatisches anzubieten haben. Sie sind somit vollkommen perspektivlos. Ihr „Kampf“ ist deshalb auch von Nihilismus und Perspektivlosigkeit gekennzeichnet. Genauso wie Baader ein Opfer der Repression ist, ist er Opfer seiner eigenen Nichtigkeit – der Nichtigkeit jeder anderen Lösung der gesellschaftlichen Widersprüche als der proletarischen revolutionären Bewegung.

Der terroristische „Kampf“ ist deshalb erfüllt vom Hass gegen die Arbeiterklasse (der Anschlag auf die Drucker im Springerhochhaus belegt das). Die Arbeiter haben von diesen Desperados nichts zu erwarten. Sie tragen höchsten ihre Konfusion über den bewaffneten Kampf in das revolutionäre Lager.

Sie sind deshalb wie alle bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräfte zu bekämpfen!

Zwischen all diesen Fronten haben die Revolutionäre nichts zu wählen als die Seite des autonomen Kampfes der Arbeiterklasse. Seit 1968, d.h. seit dem Anfang der offenen Krise ist das kein leeres Wort mehr. Die Krise verschärft sich immer mehr und mit ihr der Druck auf die Arbeiter. Die bürgerliche Lösung dieser Krise ist der Weltkrieg – die massenhafte Vernichtung von Menschen und Produktionsmitteln und der Eintritt in eine noch längere Konterrevolution. Das Proletariat ist aber noch nicht zerschlagen, es kann seine Ziele noch offen verteidigen. In den überall auf der Welt aufflammenden Kämpfen hat es gezeigt, dass es gegen die bürgerliche eine proletarische Lösung aller Krisen gibt: die sozialistische Weltrevolution.

Die Streiks und Aufstände, die stattgefunden haben und stattfinden werden, werden auch vor der BRD nicht Halt machen. Nicht nur die Massenstreiks 1969 und 1973 sowie der Druckerstreik im letzten Sommer, sondern auch die zunehmende Unzufriedenheit und die sich verbreitenden Warnstreiks der letzten Wochen zeigen, dass die Arbeiterklasse auch in der BRD wieder begonnen hat, ihre Kampfformen und ihr Bewusstsein zu entwickeln.

Bei allen Verzögerungen und Schwächen, die der Klassenkampf jedoch immer haben wird, müssen die Revolutionäre stets die historischen Ziele der proletarischen Bewegung klar aufzeigen und gegen alle bürgerlichen Einflüsse in der Arbeiterklasse bekämpfen. Die individuelle Gewalt versucht nur das Proletariat zu ersetzen, aus der proletarischen Revolution einen kleinbürgerlichen Putsch zu machen. Nicht weil ein Kampf mit Waffen und Gewalt verbunden ist, ist er proletarisch. Für das Proletariat gibt es weder das Prinzip der Gewalt noch das der Gewaltlosigkeit. Weil der Klassenkampf ein Kampf zweier unversöhnlicher Klassen ist, werden Waffen und Gewalt notwendig sein. Aber der Sieg der Arbeiterklasse ist keine Frage von Bomben. Die Arbeiter haben nur zwei Waffen: ihre Organisationsfähigkeit und ihr Bewusstsein.

Der Terrorismus wird mit dem nächsten Aufflammen des proletarischen Kampfes verschwinden. Er spielt keine bleibende Rolle in der Auseinandersetzung der Klassen. Aber die Staaten werden weiterhin mit ihrem ganzen Apparat gegen die Arbeiterklasse vorgehen (Polizei, Justiz, Armee, alle Parteien von rechts bis links). Sie haben sich unter dem Eindruck der Bedrohung über alle Unterschiede hinweggesetzt und zu einer unheiligen Allianz der Bourgeoisie zusammengeschlossen. Die Antwort des proletarischen Internationalismus darauf kann nur die Zerstörung aller Staaten und Nationen und des ganzen kapitalistischen Systems sein!

Internationale Kommunistische Strömung

Dezember 1977

Tarifverhandlungen: Die Gewerkschaften gegen den Klassenkampf

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Seit Beginn des Jahres 1978 hört man in jeder Nachrichtensendung, liest man in jeder Zeitung von Streiks, “harten“ Verhandlungen und ständig neuen Tarifrunden, die für “gescheitert“ erklärt werden. Gewerkschaften und Kapitalistenverbände führen dieses Jahr wieder ihr Schauspiel der Tarifrunde auf. Mit radikalen Phrasen und viel Radau sollen auch diesmal wieder alle Ansätze einer autonomen Klassenbewegung sabotiert werden. Offenbar ist es der Bourgeoisie und ihren Gewerkschaften diesmal nicht so leichtgefallen. Sie konnten Streiks nicht verhindern, sondern nur ins Abseits führen, was sie auch taten.

Dennoch kommt diesen ersten Anfängen einer Klassenbewegung in Deutschland eine Bedeutung zu. Schon die ersten Abschlüsse (nämlich in den deutschen Seehäfen) waren von Streiks begleitet. Und dies obwohl noch im letzten Jahr die Friedhofsruhe der Repression über die BRD ausgebreitet worden war. Die Arbeiterklasse hat also den Beweis angetreten, dass sie noch nicht besiegt ist. Sie hat im Gegenteil gerade erst begonnen, den Kampf aufzunehmen.

Nach einer Stagnationsperiode des Klassenkampfes – die die “extreme Linke“ dazu nutzte, ihre demoralisierenden Themen und Parolen in der Arbeiterklasse zu verbreiten - hat die immer weiter fortschreitende Krise jetzt die Arbeiter zur Reaktion gezwungen.

Die Krise des Weltkapitals hat jetzt begonnen, auch in den industriellen Metropolen das Herz der Arbeiterklasse anzugreifen!

Von den Maßnahmen der Bourgeoisie gegen die Krise, die bisher in erster Linie gegen die Mittelschichten gerichtet waren, kann das Kapital das Proletariat nicht mehr ausschließen. Lohnraub in ganz offener und unverhüllter Weise, Arbeitslosigkeit, die auch zunehmend den produktiven Sektor erfasst (weil einfach keine Absatzmärkte vorhanden sind), Abbau staatlicher Leistungen, der langsam aber sicher nicht mehr nur die Rentner betrifft - all dies lässt inzwischen keine Illusion mehr über die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zu. Die wirklich äußerst niedrigen Angebote der Kapitalisten sind offenbar nicht nur eine Provokation, sondern “gesamtgesellschaftlich“ – will heißen: für das nationale Kapital –unabdingbar. In der Stahlindustrie ging es dieses Jahr tatsächlich um die internationale Konkurrenzfähigkeit. Im Druckgewerbe ging es um die Akkumulationsbedingungen, d.h. die Ausweitung des Kapitals überhaupt, während es in den Häfen um die Konkurrenz und die Versorgung der BRD mit ausländischen Gütern ging.

Der Hafenarbeiterstreik

Etliche Warnstreiks, die die Tarifrunden in anderen Branchen begleiteten, deuteten schon eine allgemein aufgeheizte Stimmung unter den Arbeitern an. Der ungekannt breite Streik der Hafenarbeiter war dennoch eine Überraschung. Zum ersten Mal nach einem Vierteljahrhundert wurde in den deutschen Seehäfen wieder gestreikt.

Ähnlich wie die Arbeiter hatten auch die Gewerkschaften im Hafen nicht gleich die Erfahrung und die Kraft, ihre Funktion zu erfüllen. Sie hatten vom ersten Tag an Schwierigkeiten ihre Streikbrecheraufgaben zu erfüllen. Ihr Vorgehen ist dennoch charakteristisch:

- Gestreikt wurde erst nach einer Urabstimmung, um zu verhindern, dass noch unentschlossene Arbeiter durch die Aktion der anderen mitgerissen werden konnten. Das Ergebnis war mit 97% unerwartet hoch.

- Die Streikposten waren so organisiert, dass, hätten die Arbeiter diese Aufgabe nicht selbst in die Hand genommen, jeder Streikbrecher hätte passieren können.

- Für “besonders wichtige Waren“, d.h. für Waren, deren Blockade eine schnelle Wirkung auf die Wirtschaft und somit einen schnellen Erfolg des Streiks zur Folge gehabt hätte, sind von der ÖTV streng überwachte Notdienste eingerichtet worden;

- Während des besagten Streiks ist keine einzige Streikversammlung durchgeführt worden.

- Der Streik wurde ohne irgendeine Rücksprache mit den Hafenarbeitern nach der Aushandlung des 6,4%-Kompromisses, durch die Schließung des Streiklokals abgebrochen.

Trotz der massiven Streikbrecheraktionen der Gewerkschaften haben sich die Arbeiter das Heft nicht ganz aus der Hand nehmen lassen. Noch während des Streiks musste die Forderung (eine Sechs vor dem Komma) wenigstens offiziell, und nach Abbruch des Streiks tatsächlich, um ein Prozent erhöht werden. Auch der Coup mit den Streikposten ist der Gewerkschaft nicht vollends gelungen; immerhin konnten die Hafenarbeiter schließlich den Hafen “ganz dicht machen“.

Es war der erste Versuch der Arbeiter der Seehäfen seit Beginn der neuen Periode des wiedererstarkenden Klassenkampfes 1968, ihrer Kraft und ihren Interessen Ausdruck zu verleihen.

Der Druckerstreik

Die Geschichte des Druckerstreiks, der in den letzten Wochen zu einer heftigen Konfrontation zwischen den Druckern und den Printkapitalisten geführt hat, beginnt schon mit den Streikaktionen im Sommer1976. Seit zwei Jahren ist nun die Gewerkschaft dabei, die Arbeiter der Druckindustrie auf die reformistischen und spalterischen Forderungen für eine "humane" Losung der Rationalisierungspläne im Druckgewerbe einzuschwören.

Im Zuge der allgemeinen Streikbereitschaft kam es auch in dieser Branche zu einer Zuspitzung des "Verhandlungsklimas". Die "große Tarifkommission" der DruPa (IG Druck und Papier) sah sich angesichts der Stimmung in ihrer "Basis" gezwungen, das vorläufige Verhandlungs- bzw. Vergewaltigungsergebnis abzulehnen. Mit allen Schlichen und Tricks versucht nun die Bourgeoisie samt ihrer Gewerkschaften, den Arbeitern einzureden, dass dieser ja ganz und gar nichts mit der übrigen Lohnbewegung zu tun habe. Wie nicht anders zu erwarten, versuchte die IG Druck auch nicht, den Anschluss an die anderen Streiks anzustreben oder gar proletarische Lehren aus dem Kampf der Drucker von 1976 zu vermitteln, sondern spezialisierte sich auf Forderungen dahingehend, wie die Verlagshäuser der Zeitungen strukturiert sein sollten.

Trotzdem kam es nicht viel später, d.h. nach der ganzen Prozedur des tarifautonomen Rituals mit Scheitern der Verhandlungen, Schlichtung und nochmals Schlichtung, Wartefristen, Entscheidungsterminen, Urabstimmung und Hin und Her, dann auch wirklich zum Streik an vier mehr oder weniger gut ausgesuchten Schwerpunkten. Die Gewerkschaft kennt bereits die "kampfstarken" Betriebe, die brav und lieb jede Notzeitung passieren lassen und sich nicht, wie 1976 in Berlin, Schlachten mit der Polizei liefern.

Die Metallindustrie

Es gibt viele Sorten von Metall, und dank der IG Metall (IGM) gibt es jetzt beinahe auch so viele Tarifbezirke und Sonderverhandlungen. In der Metallindustrie arbeiten traditionellerweise die wohl kämpferischsten Arbeiter; entsprechend geübt ist die Gewerkschaft, die diese Arbeiter zu kontrollieren hat. Seit einigen Monaten wird schon um neue Tarifverträge gerungen. Mit Warnstreiks von15 Minuten bis zu einer Stunde versucht die IGM, stets friedenspflichtbewusst, den Arbeitern die Streiklust vergällen.

In der Stahlindustrie, die tatsächlich vollkommen in den roten Zahlen steht und in der die Arbeitslosigkeit wirklich “hoffnungslos" ist, wurde das erste Lohnraubergebnis abgeschlossen. Wenn die Metaller die gewerkschaftlichen Pfade nicht verlassen, werden weitere folgen.

Mit radikalen, aber hohlen Phrasen versucht die Gewerkschaft, die Arbeiter den Kapitalisten ans Messer zu liefern. Sogar ein Führungswechsel ist schon vorprogrammiert, wenn die Menge den “Mann von der Basis“ erfordert.

Mit der Routine und der Behutsamkeit einer erfahrenen Sekundantin der Bourgeoisie steuert die IGM einen Abschluss mit einer "Fünf vor dem Komma" an – das bedeutet real 0,2% mehr als das Angebot der Kapitalisten mit 4,8% (Vgl. das Schlichtungsangebot). Die Gewerkschaft spekuliert darauf, durch die Isolierung der Streiks – diese hätten schon vor Wochen anfangen können – von den anderen Branchen und durch die Zersplitterung in "Schwerpunktstreiks" die Energie der Arbeiter lahmzulegen. Im Übrigen verfügt die IGM über ein reichhaltiges Repertoire an Tricks. Sie ist schließlich eine der Lehrerinnen der OTV, die den Hafenarbeiterstreik "erfolgreich" zu Ende führte.

Die Waffen der Gewerkschaften gegen den Streik der Arbeiter

Gewerkschaften welcher Art auch immer – ob DGB, RGO oder CNT –, haben für die Arbeiterklasse ausgedient. Seit der Reformismus zu einer Spielart der Konterrevolution geworden ist, können die Gewerkschaften für die Arbeiter keine andere Funktion als die einer Versicherung vor Lohneinbußen durch Streik haben. Dies ist aber gleichzeitig eine ihrer schärfsten Waffen. Wenn die Arbeiter nicht folgsam sind, wird der Geldhahn zugedreht. Dies geschieht aber nicht etwa, weil an der Spitze dieser Gewerkschaften eine ach so böse Führung steht, sondern weil die ganze Organisation die Aufgabe hat, die Arbeiter von den Karren der Bourgeoisie zu spannen, um diesen aus dem Krisenschlamm zu ziehen.

Das ganze Gerede von "der Verantwortung für die nationale Wirtschaft", "Blick für die Gemeinschaft", "die Konkurrenzfähigkeit nicht beeinträchtigen" und, wie jetzt besonders im Druckerstreik, vom "technischen Fortschritt" usw. soll der Arbeiterklasse einreden, sie habe von einer gesunden Wirtschaft etwas zu erwarten bzw. die Wirtschaft sei überhaupt noch zu retten. Die Todeskrise des Kapitals, deren einzige "Lösung" für das Kapital ein erneuter Weltkrieg ist, hat aber bereits wieder ihren Lauf begonnen. Nur indem das Kapital den Mehrwert durch Lohnraub erzwingt, kann es sich die Mittel für eine weitere Akkumulation holen. Denn eine Ausweitung der Produktion ist nicht mehr möglich, da es auch keine Absatzmärkte mehr gibt.

Die Gewerkschaften sind jetzt allerdings die einzige Fraktion des Kapitals, die fähig ist, die Arbeiter im Sinne des nationalen Kapitals ideologisch zu beeinflussen und gleichzeitig die notwendigen staatskapitalistischen Maßnahmen "glaubhaft" zu vertreten. Sie wird dabei tatkräftig vom linken Flügel des Kapitals unterstützt. Die SPD z.B. weiß ganz gut, dass die IG Druck und Papier besser einen Streik kaputt machen kann als die Verleger mit ihren Aussperrungen. Sie hat sich deshalb auf ihrem nordrhein-westfälischen Parteitag mit der DruPa und gegen die Aussperrung solidarisiert. Nicht zu vergessen die Linksextremisten, die uns weismachen wollen, dass die Kapitalisten an der Krise verdienen und die Arbeiter in den gewerkschaftlichen Kampf dagegen führen wollen Sie wollen, indem sie ständig allein auf die Kapitalisten zeigen, der Arbeiterklasse die Augen vor dem Charakter der Gewerkschaften verschließen.

Deshalb setzen diese und die Gewerkschaften, wo sie nur können, alles daran, die autonomen Kämpfe der Klasse zu sabotieren:

- jede Eigenaktivität der Arbeiter zu verhindern und die Streikenden nach Hause zu schicken;

- jede Generalisierung einer Streikbewegung auf nationaler oder gar internationaler Eben zu verhindern;

- politische Tendenzen der Arbeiterkämpfe, die sich nicht, wie etwa die Mitbestimmung, für die Kapitalisten bezahlt macht, zu vernichten.

Die Streiks der letzten beiden Monate haben den wahren Charakter des DGB wieder aufgezeigt. Ein Streik war so und so nicht mehr zu verhindern, also nur noch zu sabotieren, zu kontrollieren und am Ende ganz kaputt zu machen.

Soweit die Linke nicht ohnehin – in kritischer Unterstützung dieser Streikbrecherorgane –Werbung bei den Arbeitern für "ihre" Gewerkschaft macht, wird uns von dieser Seite nur die Lösung eines "Führungswechsels" eröffnet. Es ist aber die Organisation, die ihre Führung macht! Kein “Mann von der Basis" wird an der Aufgabe dieser Organisation etwas ändern – genauso wenig wie ein Kommunist aus der Bürgerkriegsarmee Bundesgrenzschutz eine Arbeitermiliz machen könnte!

Die Grundlage jeder gewerkschaftlichen Organisation, ob unionistisch oder syndikalistisch, ist der Reformismus und die Einschätzung, dass die Arbeiter ihren Kampf sowieso nicht selbst organisieren können. Die Reformen, d.h. Modifikationen ein und desselben Systems, sind in keinster Weise eine Lösung für das Proletariat. Entweder sind es ökonomische “Errungenschaften“, die in kürzester Zeit durch das Fortschreiten der Krise aufgefressen werden (wenngleich sie trotzdem lebensnotwendig sind für die Arbeiterklasse), oder es handelt sich um politische Reformen, die in Wirklichkeit nur ein Teil des kapitalistischen Programms gegen die Krise sind. Forderungen, wie die nach Mitbestimmung und Investitionslenkung oder – noch radikaler –Verstaatlichungen, sind allein im Stande, einige unprofitable Schnörkel des Systems zu beseitigen, ohne jedoch einen Fortschritt für das Proletariat zu bedeuten.

Eine Forderung wie z.B. die nach einer 35-Stundenwoche, die bemerkenswerter Weise erst 70 Jahre nach der ersten Durchsetzung des 8-Stundentages aufgestellt wird, impliziert, anders als vor 70 Jahren, Lohnkürzungen. Sie ist also nichts anderes als eine von den Gewerkschaften durchgesetzte Kurzarbeit. Vom Standpunkt des nationalen Kapitals im allgemeinen ist es in jedem Falle günstiger, dass die “vorhandene Arbeit“ auf alle Arbeiter aufgeteilt wird – die dann um so intensiver ausgebeutet werden können – als die Zahlung von Arbeitslosengeld an ungenutzte Kräfte. Jedoch nicht einmal für das Kapital ist die Kurzarbeit eine Dauerlösung. Binnen weniger Jahre würde die Arbeitslosigkeit wieder zum Vorschein kommen.

Auch die Praxis anderer Gewerkschaften, von denen man meinen könnte, dass sie nicht so “verbürokratisiert“ sind, wie z.B. die anarcho-syndikalistische CNT, zeigt uns, dass der Klassencharakter einer Organisation keine Frage von Führung ist. Diese ehemals sehr wichtige Arbeiterorganisation war trotz ihrer ausgesprochen antistaatlichen Grundhaltung schon 1936 im spanischen Bürgerkrieg bereit, an der Regierung der Republikaner teilzunehmen und so den bürgerlichen Staat zu unterstützen. Doch damit nicht genug – sie waren schließlich eine derjenigen Kräfte, die maßgeblich daran beteiligt waren, dass spanische Proletariat in den antifaschistischen Bürgerkrieg zu schicken und dadurch die begonnene soziale Revolution endgültig unter dem Gewicht der interklassistischen Bürgerkriegsarmee zu ersticken. Auch heute, nach dem Einsetzen des Demokratisierungsprozesses in Spanien, hat die CNT schon wieder ihre Loyalität gegenüber dem “demokratischen Spanien“ in alle Welt herausgeschrien. Die Arbeiterklasse kann sicher sein, dass diese Gewerkschaft im Zweifelsfalle damit ernst macht.

Grundlage der Politik der Linken in und um Gewerkschaften ist der Kampf für einen "gerechten" Lohn. Sie macht den Lohnkampf zu einer Frage der richtigen Forderung. Je hoher die Forderung, desto hoher das Ergebnis (8% ist revolutionärer als 7%). Oder die Prozentforderungen sollen in Festgeldforderungen umgewandelt werden. Und jüngst ist dem KBW das Licht aufgegangen, dass "ohne den Kampf gegen das Akkordsystem (…) der Lohnkampf nur schwer vorankommen (kann)". Wohin, bitte schön, soll denn der Lohnkampf kommen? Das einzig revolutionäre Ziel des Kampfes kann nur die Abschaffung der Lohnarbeit überhaupt sein. Die Forderungen der Arbeiter können noch so hoch, die Formulierungen noch so geschickt sein, und der Erfolg noch so "zufriedenstellend", der Lohnkampf des Proletariats kann nie mehr sein als der Existenzkampf der Arbeiter und die Schule des Klassenkampfes.

Aber mit solchen pseudo-proletarischen Phrasen wollen Linksextremisten den Kampf gegen die "Gewerkschaftsführung" aufnehmen. Die eine Illusion wird durch eine andere abgelöst. In den verschiedensten Variationen tauchte diese Taktik in den jüngsten Betriebsratswahlen auf. Die KPD/ML hat dabei mit ihrer RGO-Politik den "radikalsten" Eindruck gemacht. Sie lehnt den ganzen DGB-Apparat ab. Auch die Betriebsräte gelten ihr als Instrumente des bürgerlichen Staates gegen die selbst handelnde Arbeiterklasse. Deshalb sollen jetzt die Arbeiter ihre “wahren Interessenvertreter" in den Betriebsrat wählen, um sich von ihnen das Handeln abnehmen zu lassen. Mit Hilfe dieser "revolutionären Betriebsräte", die mit ihrem ganzen taktischen Geschick gegenüber dem Betriebsverfassungsgesetz die Arbeiter an die Bourgeoisie binden, will die KPD/ML "rote Gewerkschaften" aufbauen. Sie werden die Aufgaben des DGB dort übernahmen, wo dieser bereits ausgedient hat. Aber bis dahin fühlen sich diese "Genossen" im DGB noch ganz wohl: „Wir fühlen uns als Gewerkschafter. Wir wollen eine bestimmte revolutionäre Arbeit innerhalb der Gewerkschaften betreiben". (Frithjof Rausch, RGO-Liste bei BASF in der FAZ vom 9.3.78).

Sie alle – ob RGO-ler oder DGB-ler – werden ihre Aufgaben übernehmen, jeden autonomen Kampf der Arbeiterklasse zu verhindern zu versuchen. Mit der Radikalisierung des Klassenkampfes werden auch die Gewerkschaften zu einer radikaleren Phraseologie greifen. Dies ändert aber nichts an ihrem durch und durch bürgerlichen Charakter.

Eine neue Phase der Entwicklung der Krise und des Klassenkampfes hat begonnen

Die anarchische Ordnung der kapitalistischen Wirtschaft hat auch das Recht des Stärkeren mit sich gebracht. Dementsprechend schiebt die Weltbourgeoisie die Folgen der Krise von den stärksten imperialistischen Mächten auf die Länder der Peripherie. Ebenso wird innerhalb eines Landes zuerst die Bevölkerungsgruppe angegriffen, die sich am wenigsten wehren kann – das Kleinbürgertum. Die gesellschaftlichen Gruppen, die nicht direkt in der Produktion stehen bzw. keine Kampfstärke wie das Proletariat entwickeln können, sind in den letzten Jahren seit Einsetzen der Krisenentwicklung nach der Wiederaufbauperiode von den Folgen der Krise, d.h. dem Abbau staatlicher Leistungen, der Arbeitslosigkeit, der Inflation usw. am meisten getroffen worden. Jetzt schlägt die Folge der Krisenabwälzung, wie Inflationsexport und Ausweisung von Gastarbeitern auf die Länder in den industriellen Metropolen zurück; die Arbeiterklasse wird auf der ganzen Breite angegriffen.

Nicht lange nachdem diese Entwicklung deutlich wurde, hat die Arbeiterklasse begonnen zu reagieren. Dabei stehen die deutschen Arbeiter nicht allein. Wir erinnern an den Streik der Hafenarbeiter in den USA, den Poststreik in Frankreich, den Feuerwehrstreik in England, Streiks in Italien und an vielen Orten mehr. Auch in der UdSSR können wir nach den drastischen Preiserhöhungen Streiks und Unruhen nicht mehr ausschließen. Der Höhepunkt dieser Bewegung ist z. Zt. der Streik der amerikanischen Bergarbeiter, die ohne Rücksicht auf den Laden der Kapitalisten und zum Schrecken der gesamten herrschenden Klasse ihre proletarischen Interessen durchzusetzen versuchen. Von ihrer Kampfbereitschaft und ihrer Organisationskraft, die inzwischen über die UMW (die Gewerkschaft) hinausgeht, kann und wird die Arbeiterklasse in der ganzen Welt eine Menge lernen. Die Erfahrungen der Bergarbeiter mit dem amerikanischen Staat haben – Demokratie hin, Demokratie her – langsam auch die letzten Illusionen in dieses Machtorgan der bürgerlichen Klasse zerstört. Bei dem Vorgehen der Polizei gegen Arbeiterdemonstrationen wird schnell die Erinnerung an das blutige Auseinandertreiben einer Demonstration der Bergarbeiter im Jahre 1921 wach.

Das ganze Gerede von der "Wirtschaft in Gefahr" interessiert die Kumpel nicht mehr. Sie lassen sich auch durch die Befehle der bürgerlichen Gerichte nicht wieder an die Arbeit schicken, um in 80 Tagen all das wieder "in Ordnung" zu bringen, womit sie nach drei Monaten Streik jetzt die nationale Bourgeoisie bedrohen.

Eine ähnliche Tendenz, wenn auch in erheblich geringerem Maß, ist charakteristisch für die gesamte neu aufgeflammte Klassenbewegung. Überall versucht die Bourgeoisie vergeblich den Arbeitern Verantwortung für die kapitalistische  Wirtschaft einzureden. Die Arbeiter sollen den Karren der Kapitalisten aus dem barbarischen Sumpf der kapitalistischen Dekadenz ziehen. Der Bundeskanzler macht sich Sorgen um die Durchsetzung seines Konjunkturprogramms. Die Arbeiter haben ihm einiges durcheinandergebracht. Jetzt sollen sie verantwortlich gemacht werden für die Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals auf dem Weltmarkt. All das hat das Proletariat nicht viel gestört. Nicht einmal die Hatz der Schleyer-Entführung, die der Staat jetzt so gern noch einmal aufwärmen möchte, hat wesentliche ideologische Spuren im Proletariat hinterlassen. Allein die Gewerkschaften – und schließlich die Polizei und die Armee – können jetzt die Arbeiter in den gewünschten Bahnen halten. Im Kampf gegen dieses Instrument der Herrschenden muss die Arbeiterklasse ihre Kampfkraft entwickeln. Mit der Zerschlagung der Gewerkschaften muss die Arbeiterklasse den autonomen Klassenkampf entwickeln.

Die Gewerkschaften haben ihre fortschrittliche Funktion für die Arbeiterklasse verloren. Sie begrenzen die Ziele auf ein bürgerliches Programm der Krisenbekämpfung und sind deshalb konterrevolutionär. An ihrer Stelle und gegen sie bildet das Proletariat in jedem Streik durch Vollversammlungen, Umzüge von Fabrik zu Fabrik, Demonstrationen und Besetzungen, neu seine eigene Organisation. Im ständigen Kampf lernt die Klasse ihre Organisationsfähigkeit – bis zur Bildung der Räte – auszubilden und ihr Bewusstsein – mit Hilfe der Organisation der Revolutionäre – zu erweitern. Die Arbeiter lernen, ihre Kämpfe zu generalisieren und zu vereinheitlichen. Die Arbeiterklasse muss sich für jeden Schlag neu zusammenfinden. Sie muss versuchen, ihrem Kampf die größtmögliche Verbreitung zu geben. Solidarität darf nicht länger die Sache von "Vertreter"-Organisationen sein, sondern muss den weltweiten Zusammenschluss der Klasse gegen die Diktatur des Kapitals bedeuten.

Aus der Geschichte der letzten revolutionären Welle von 1917–23 muss das Proletariat lernen, dass es seinen Kampf auf keinen Fall einer Gewerkschaft überlassen darf. Es muss seine historische Aufgabe von Anfang bis Ende selbst und mit all seinen Kräften durchführen.

IKS, März 1979


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