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November 2006

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Amoklauf an Emsdettener Schule

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Der Amoklauf an der Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten am 21. November 2006 ist vergleichsweise glimpflich verlaufen. Am Ende gab es „nur“ ein Todesopfer zu beklagen – den achtzehnjährigen Amokläufer selbst. Wie stets in solchen Fällen, löste der tragische Vorfall im Münsterland tiefe Betroffenheit in der Bevölkerung aus. Schließlich werden gerade an den Schulen auf diese Weise sehr junge Menschen all zu früh der Gewalt und Rohheit dieser Gesellschaft hilflos ausgesetzt. Der Tod wirft seinen Schatten auf den Rest ihres Lebens.Der Amoklauf an der Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten am 21. November 2006 ist vergleichsweise glimpflich verlaufen. Am Ende gab es „nur“ ein Todesopfer zu beklagen – den achtzehnjährigen Amokläufer selbst. Wie stets in solchen Fällen, löste der tragische Vorfall im Münsterland tiefe Betroffenheit in der Bevölkerung aus. Schließlich werden gerade an den Schulen auf diese Weise sehr junge Menschen all zu früh der Gewalt und Rohheit dieser Gesellschaft hilflos ausgesetzt. Der Tod wirft seinen Schatten auf den Rest ihres Lebens.

Für gewöhnlich stürzen sich die Medien und die Politik auf solche Ereignisse, um die Sensationsgier der abgestumpften bürgerlichen Gesellschaft zu befriedigen, und um die üblichen Stammtischparolen zum Besten zu geben. Geschieht das Unglück in einer amerikanischen Schule, so werden die Mythen von den schiesswütigen Cowboys jenseits des Atlantiks bemüht, welche die zivilisatorischen Errungenschaften Europas schmerzlich vermissen lassen. Geschieht Ähnliches in Europa, so wird zu den Waffen gerufen: Immer mehr Polizisten, immer mehr repressive Gesetze werden verlangt. Eine stets ausgefeiltere Überwachung der Bevölkerung von Seiten des Staates wird eingefordert.

Diesmal wird man den Eindruck nicht los, dass die Regierenden und ihre bezahlten Medien mit Verlegenheit auf die Gewalttat von Emsdetten reagieren. Man bemüht sich, die Frage der „besseren“ Überwachung von Gewaltvideospielen in den Vordergrund zu stellen. Es liegt uns fern, die Rolle solcher Videospiele herunter zu spielen. Es ist bekannt geworden, dass der Amokläufer von Emsdetten solchen Spielen zugetan war. Diese Spiele sind ein Nebenprodukt des Militarismus. Sie wurden ursprünglich entwickelt, um im Rahmen der Ausbildung von Soldaten Kampfsituationen zu simulieren. Nicht zuletzt dienen sie dazu, die Hemmschwelle zum Blutvergießen und zum Töten zu senken.

Dennoch hatte ein Lobbyist dieser Branche der kapitalistischen Unterhaltungsindustrie nicht unrecht, als er nach Emsdetten behauptete, die Kampagne gegen die Gewaltvideospiele sollen von dem eigentlichen „Skandal“ dieses Vorfalls ablenken, dass nämlich quasi Jedermann tödliche Waffen frei kaufen kann. Die herrschende Klasse verhält sich tatsächlich wie ein auf frischer Tat ertappter Dieb, seitdem die Verzweifelungstat des Sebastian B. für alle erkennbar gemacht hat, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der jeder, der über die notwendige Kaufkraft verfügt, sich mühelos Mordwerkzeuge besorgen kann. Sebastian B. war nicht nur mit mehreren Gewehren ausgerüstet, als er das Gelände seiner ehemaligen Schule betrat, sondern mit nicht weniger als zehn selbst gebastelten Rohrbomben. Die Boulevardpresse, sonst einer schier grenzenlosen Sensationslust frönend, zog es diesmal vor, sich darüber auszuschweigen, an was für einer Katastrophe die Schule und der scheinbar so friedliche Ort vorbeigeschrammt ist.

Keiner sollte behaupten, dass die Herrschenden von solchen Verhältnissen nichts gewusst haben. Seit Jahren erzählen unsere eigenen Kinder von den Zuständen an den Schulen. Sie berichten von Waffengeschäften an den Schulhöfen und von den neuen militärischen Tötungskulten unter Jugendlichen. Diese Entwicklungen sind Ausdruck einer Welt ohne Zukunft. Wenn die junge Generation sich zunehmend mit Tod und Zerstörung beschäftigt, so ist das ein sicheres Anzeichen der Perspektivlosigkeit der Gesellschaft.

Aber warum unternehmen die Verantwortlichen dieser Gesellschaft nichts, um die Gewalt wenigstens einzudämmen? Nach jedem Amoklauf werden Stimmen laut, welche eine wirkungsvollere Einschränkung der Verfügbarkeit von Waffen verlangen. Aber nichts in dieser Richtung geschieht. Freilich, die Waffenlobby ist mächtig. Aber auch die Lobby der Tabakindustrie ist mächtig, und dennoch werden Maßnahmen getroffen, um wenigstens die schädlichsten Auswirkungen des Tabakkonsums für die kapitalistische Wirtschaft selbst zu begrenzen. Der Unterschied liegt darin, dass es bei den Freiheiten der Waffenindustrie um die Ausrichtung der Gesellschaft insgesamt geht. Der Kapitalismus ist wie keine andere Gesellschaft in der Menschheitsgeschichte eine Konkurrenzgesellschaft. Als solche lebt er von und durch die Gewalt. Die herrschende Klasse ist nicht nur unfähig, die spontane Gewaltentladung, die sie selbst erzeugt, einzudämmen. Sie hat dazu auch keinen Grund. Sie benötigt Gewalt, sie lebt davon. Sie kultiviert die Gewalt, und versucht dabei, sie im Sinne ihres eigenen Klasseninteresses zu kanalisieren und zu mobilisieren.

In der Woche von Emsdetten erschien das Nachrichtenmagazin Der Spiegel mit den Titel: „Die Deutschen müssen das Töten lernen“. Eben. Der Staat braucht wieder eine Jugend, die bereit ist, mit der Waffe in der Hand fürs Vaterland zu töten und zu sterben. Die jetzigen Generationen des Proletariats sind in ihrer Widerstandskraft ungeschlagen, und wollen deshalb von blutigen Heldentaten für die Nation nichts wissen. So sieht sich die Bourgeoisie gezwungen, Schleichwege einzuschlagen, um der Jugend das Gedankengut des Militarismus einzuflössen. Auch deshalb wird gegen die Gewaltvideos im Kinderzimmer und die Waffen an den Schulen nicht vorgegangen. Der westliche, demokratische Staat ruft die Bürger zu „erhöhter Wachsamkeit“ gegenüber dem islamischen Terrorismus auf – und kultiviert selbst einen Markt der Tötungswerkzeuge und der Tötungsträume, welcher für das Leben der Bevölkerung immer bedrohlicher wird. Die „zivilisierten“ Vertreter dieses Staates ereifern sich gegenüber dem islamischen Terrorismus. Aber Emsdetten hat tief blicken lassen. Was die „Volksvertreter“ am meisten wurmt, ist, dass die „eigene“ Jugend nicht mit demselben blinden Fanatismus bereit ist, für die Interessen der kapitalistischen Gangs zu sterben.

Theoretische Fragen: 

  • Zerfall [1]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Dekadenz des Kapitalismus [2]

Internationalistische Stellungnahme aus Korea gegen die Kriegsgefahr

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Ende Oktober 2006 wurde von der Socialist Political Alliance (SPA) zu einer Konferenz internationalistischer Oganisationen, Gruppen und Individuen in den südkoreanischen Städten Seoul und Ulsan eingeladen. Auch wenn die Teilnehmerzahl noch bescheiden war, handelt es sich um den ersten organisierten Ausdruck im Fernen Osten (so weit wir wissen) der Prinzipien der Kommunistischen Linken und diese Konferenz war sicherlich die erste ihrer Art. Als solche ist sie von historischer Bedeutung. Die IKS unterstützte sie von ganzem Herzen durch eine Delegation, die sich an der Konferenz beteiligte. (1)

In den Tagen vor der Konferenz wurde die langfristige politische Bedeutung der Ziele der Konferenz durch die dramatische Zuspitzung der inter-imperialistischen Spannungen in der Region überschattet, die durch die Zündung der ersten nordkoreanischen Atombombe und die Manöver ausgelöst wurde, welche insbesondere seitens der verschiedenen Staaten der Region (USA, China, Japan, Russland, Südkorea) folgten. Deshalb wurde diese Frage ausführlich auf der Konferenz diskutiert. Dies führte schließlich dazu, dass die Teilnehmer, deren Namen wir weiter unten veröffentlichen, die folgende Stellungnahme verabschiedeten.

Internationalistische Stellungnahme aus Korea gegen die Kriegsgefahr

Nach der Bekanntgabe von atomaren Tests in Nordkorea, beziehen wir, die kommunistischen Internationalisten, die sich in Seoul und Ulsan getroffen haben, wie folgt Stellung:

  1. Wir verurteilen die Entwicklung neuer Atomwaffen in den Händen eines weiteren kapitalistischen Staates: Die Atomwaffe ist die letzte Waffe im interimperialistischen Krieg. Ihre einzige Funktion besteht in der massiven Vernichtung der Zivilbevölkerung im Allgemeinen und der Arbeiterklasse im Besonderen.

  2. Wir verurteilen vorbehaltlos diesen neuen Schritt in Richtung Krieg, der von dem kapitalistischen Staat Nordkoreas vollzogen wurde, welcher damit erneut unter Beweis gestellt hat (wenn es dazu noch Beweise bedurfte), dass er absolut gar nichts mit der Arbeiterklasse oder dem Kommunismus zu tun hat. Dieser neue Schritt ist nichts als eine der extremsten und grotesksten Ausdrücke der allgemeinen Tendenz des dekadenten Kapitalismus zur militaristischen Barbarei.

  3. Wir verurteilen vorbehaltlos die heuchlerische Kampagne der USA und ihrer Verbündeten gegen den nordkoreanischen Gegner. Diese ist nichts als eine ideologische Vorbereitung zur Durchführung ihrer eigenen vorbeugenden Militärschläge – sobald diese die Mittel dazu haben -, bei denen die arbeitende Bevölkerung zum Hauptopfer werden würde, wie das heute im Irak der Fall ist. Wir haben nicht vergessen, dass die USA die einzige Macht sind, die bislang Atomwaffen im Krieg eingesetzt haben, als sie die Zivilbevölkerung von Hiroshima und Nagasaki vernichtete.

  4. Wir verurteilen vorbehaltlos die sogenannten ‚Friedensinitiativen’, die unter der Führung anderer imperialistischer Gangster wie China ergriffen werden. Dabei wird es nicht um Frieden gehen, sondern um den Schutz eigener kapitalistischer Interessen in der Region. Die Arbeiter dürfen überhaupt kein Vertrauen haben in die ‚friedlichen Absichten’ irgendeines kapitalistischen Staates.

  5. Wir verurteilen vorbehaltlos jegliche Versuche der südkoreanischen Bourgeoisie, unter dem Vorwand des Schutzes der nationalen Freiheit oder der Demokratie Repressionsmaßnahmen gegen die Arbeiterklasse oder gegen Aktivisten zu ergreifen, wenn diese internationalistischen Prinzipien verteidigen.

  6. Wir erklären unsere volle Unterstützung für die Arbeiter Nord und Südkoreas, Chinas, Japans und Russlands, die bei einem militärischen Eingreifen die ersten Opfer sein werden.

  7. Wir erklären, dass nur der weltweite Arbeiterkampf die ständige Bedrohung der Barbarei, des imperialistischen Krieges und atomarer Vernichtung, die im Kapitalismus über der Menschheit schweben, für immer beenden kann.

Die Arbeiter haben kein Vaterland. Arbeiter aller Länder vereinigt euch!

 

Diese Erklärung wurde von den folgenden Organisationen und Gruppen unterzeichnet:

Internationale Kommunistische Strömung

Socialist Political Alliance (SPA) (Korea), Treffen der Seouler Gruppe am 26. Oktober 2006

Internationalist Perspectives

Eine Reihe von Genossen, die sich an der Konferenz beteiligten, haben die Stellungnahme im eigenen Namen unterzeichnet:

SJ (Seouler Gruppe Arbeiterräte)

MS (Seouler Gruppe Arbeiterräte)

LG,

JT,

JW (Ulsan)

SC (Ulsan)

BM

(1) Wir werden in kürze mehr über die Konferenz berichten.

Geographisch: 

  • Asien [3]

Theoretische Fragen: 

  • Krieg [4]

Oaxaca: Kampfbereitschaft der Arbeiter im Gezänk zwischen bürgerlichen Fraktionen gefangen

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Die Repression, die der Staat auf die Bevölkerung von Oaxaca niedergehen lässt, enthüllt die wahre, blutige Fratze der Demokratie. Die Stadt Oaxaca gleicht seit mehr als fünf Monaten einem Pulverfass, auf dem die polizeilichen und paramilitärischen Kräfte die wichtigsten Hebel gewesen sind, um den staatlichen Terror auszubreiten. Die Hausdurchsuchungen, die Entführungen und die Folter sind die Mittel, die der Staat in Oaxaca benützt, um „Ruhe und Ordnung“ wiederherzustellen. Das Ergebnis des Polizeieinsatzes ist nicht eine “saubere Sache“, wie die Regierung sagt, vielmehr hinterließ er Dutzende von “Verschwundenen“, verschiedene Gefangene und mindestens drei Tote (ohne die rund 20 Personen mit zu rechnen, die von weißen Garden von Mai bis Oktober dieses Jahres umgebracht wurden).

 

 

Die herrschende Klasse verkündete vor 6 Jahren, dass wir durch den Antritt der Regierung Fox in eine „Periode des Wandels“ eingetreten seien, doch die Wirklichkeit offenbarte, dass der Kapitalismus trotz allen Wechseln im Personal oder bei den Parteien keine Verbesserung bringt… wie nie zuvor hat sich bestätigt, dass das einzige, was dieses System bringen kann, eine vermehrte Ausbeutung, mehr Elend und Repression sind. Angesichts der Ereignisse der letzten Zeit in Oaxaca sollte die gesamte Arbeiterklasse eine vertiefte Reflexion durchführen, bei der erkannt werden muss, dass die brutale und repressive Handlungsweise nicht einfach eine Eigenheit einer bestimmten Regierung oder eines Beamten ist, sondern dass sie zum Wesen des Kapitalismus gehört. Gleichzeitig müssen wir die Schwächen und Schwierigkeiten, vor denen die Arbeiterklasse steht, erkennen. Es braucht eine allgemeine Bilanz über die Bedeutung dieser Mobilisierungen, und zwar so, dass diese Sorgen Teil der Reflexion sind und die Lehren gezogen werden können, die eine angemessene Vorbereitung der zukünftigen Kämpfe erlauben.

 

 

Die Bourgeoisie dämmt die Unzufriedenheit ein und lenkt sie auf ihre Mühlen

 

Die Demonstrationen in Oaxaca sind zweifellos Ausdruck einer bestehenden Unzufriedenheit der Arbeiter gegen die Ausbeutung und Zumutungen des Kapitalismus. Die heutigen Mobilisierungen in dieser Region fassen die Unzufriedenheit unter den Ausgebeuteten über die fortschreitende Verschlechterung der Lebensbedingungen zusammen, sie drücken einen aufrichtigen Mut und eine Kampfbereitschaft aus, doch ist diese Kraft in der Falle der Bourgeoisie gefangen worden, der es gelungen ist, die Ziele, die Methoden und die Durchführung der Aktionen der Kontrolle der Arbeiterklasse zu entringen.

 

 

Die Bourgeoisie konnte mit dem Streit, der in ihren eigenen Reihen entstanden war, die gesellschaftliche Unzufriedenheit einfangen, kanalisieren und auf ihre Mühlen lenken. Dabei verwandelte sie das, was zunächst ein Kampf um besseren Lohn war, in eine perspektivlose Bewegung, die stecken blieb bei der Ablehnung einer Fraktion der Bourgeoisie, die aus alten Kaziken besteht, und der Unterstützung für eine Fraktion der „Demokratisierung“. Die Abdankung eines Ulises Ruiz zu fordern bedeutet nichts anderes als die ausdrückliche Unterstützung derjenigen Bande, die ihn ablösen will. Vor diese falsche Wahl gestellt, verlieren die Arbeiter in jedem Fall, und ihre Kraft als Klasse verwandelt sich in eine Manövriermasse der Bourgeoisie. Die herrschende Klasse hat schon vor den Mai-Demonstrationen versucht, die Massen der Ausgebeuteten als „Druckmittel“ gegen die eine oder andere bürgerliche Fraktion im Streit zu benützen. Die offene Intervention von Esther Gordillo, von Murat, oder Ulises Ruiz selber sowie weiteren Politikern, die durch die Lehrergewerkschaft (SNTE-CNTE, einschließlich der “kritischen” Teile wie des CCL), zeigt, wie die Interessen der Bourgeoisie, vor allem diejenigen der Kaziken dieser südlichen Region, die Unzufriedenheit gelenkt und ausgenützt haben. Ein Kampf, der mit einer Stoßrichtung gegen das Elend und einer Kritik der kapitalistischen Ausbeutung begonnen hat, hat sich in eine Mobilisierung verwandelt, die das Elend mit einer „schlechten Führung“ durch die sich an der Macht befindende Bande erklären will und sich mit der Suche nach einer Demokratisierung des Systems zufrieden gibt.

 

 

Gegenüber diesen Mobilisierungen hat das System offen sein blutiges Wesen gezeigt, doch geht der Gebrauch des Terrors durch den Staat über die Repression gegen die Demonstranten von Oaxaca hinaus. Der Einsatz des Militärs und der Polizei in Oaxaca zielte nicht hauptsächlich auf die Vernichtung der „Volksversammlung des Volkes von Oaxaca“ (Asamblea Popular del Pueblo de Oaxaca, APPO) ab, sondern versuchte vielmehr, den Terror als Methode der Warnung und der Drohung gegenüber allen Arbeitern durchzusetzen. Der Staatsterror breitete sich aus in der Kombination von Repressionskräften der Bundes- und der Staatsregierung, was einmal mehr bewies, dass die verschiedenen im Streit liegenden Banden der Bourgeoisie durchaus zu Absprachen gelangen können, wenn es darum geht, Unterdrückungsmaßnahmen zu ergreifen. Deshalb nährt die Annahme, dass es möglich sei, mit einem Teil der Regierung einen „Dialog zu führen“, nur die falsche Hoffnung, es gebe “fortschrittliche” oder “offene” Sektoren der Bourgeoisie. Genau aus diesem Grund ist die Haltung, die darin besteht, mit diesen Mobilisierungen hauptsächlich den Abgang von Ulises Ruiz als Gouverneur von Oaxaca zu fordern, Werbung für die Illusion, dass sich das kapitalistische System auf dem Weg der Demokratisierung oder der Auswechslung des Regierenden verbessern lasse. Wenn die Reflexion behindert und die gesellschaftliche Kraft auf die Absetzung von Ulises Ruiz umgelenkt wird, so bringt dies die Entwicklung des Bewusstseins nicht weiter, sondern vergrößert die Verwirrung und stärkt das Vertrauen in die Möglichkeit, dass die Ausgebeuteten mit einer „besseren Regierung“ etwas zu gewinnen hätten.

 

 

Was die APPO mit ihrer Parole der “Vereinigung” gegen Ulises Ruiz gemacht hat, ist nicht ein Impuls für die gemeinsame Reflexion und das bewusste Handeln, sondern eine Ausbreitung der Verwirrung und die Unterwerfung der gesellschaftlichen Kraft unter die Interessen von gewissen Fraktionen der Bourgeoisie, die sich in den Haaren liegen.

 

 

Der beste Beweis dafür, dass der Kampf die Klarheit seiner Ziele verloren hat und nun für die indirekte Unterstützung einer Fraktion der Bourgeoise missbraucht wird, ist der Umstand, dass die Forderung der Lohnerhöhung in den Hintergrund geschoben wurde und der Ablehnung des Gouverneurs weichen musste. Damit gelang es der Gewerkschaft und der Bundesregierung, das Problem der Lohnerhöhung als eine technische Angelegenheit zu behandeln, als ein Frage der angemessenen Verteilung der Mittel in einer bestimmten Region durch eine entsprechende Planung in den öffentlichen Finanzen. Damit wurde das Problem isoliert, das Sinken der Löhne als ein “lokales” Problem - ohne Bedeutung für die übrigen Lohnabhängigen - dargestellt.

 

 

Gleichzeitig sind die angewandten Kampfmethoden – Mahnwachen, ermüdende Märsche, Blockaden und perspektivlose Konfrontationen – keine Mittel, um die Solidarität zu wecken, sondern umgekehrt der Weg in die Isolation, wo die Leute ein leichte Zielscheibe der Repression werden.

 

 

Ebenso wenig helfen die “propagandistischen Bomben”, die die Guerilla gelegt hat, bei der Vertiefung des Bewusstseins, geschweige denn, dass sie das System schwächen würden. Im Gegenteil: Sie sind ein Ausdruck der Verzweiflung von Deklassierten, wenn sie nicht sogar direkt durch den Staat gelegt wurden, damit er einen “Vorwand” für die Entfesselung der Repression hat.

 

 

APPO: ein dem Proletariat fremdes Mittel

 

Die gesellschaftliche Zusammensetzung der APPO (die aus “sozialen” und gewerkschaftlichen Organisationen besteht) macht deutlich, dass die Kontrolle über diese Organisation (und über ihre Entscheide) nicht in den Händen der Arbeiter liegt. Deren Struktur ist zutiefst geprägt von nicht lohnabhängigen Sektoren (was schon ein Beleg für ihre Schwäche ist); hinzu kommt aber und vor allem, dass die Diskussion und die Vertiefung der Führung der Gewerkschaften und von Gruppen des linken Apparats des Kapitals überlassen wird (die direkt oder indirekt mit den Interessen von Fraktionen der Bourgeoisie verbunden sind), was erkennen lässt, dass ihr Wesen nicht proletarisch ist. Dies führt zur Auflösung des Kraftpotenzials der Arbeiter, die sich daran beteiligen. Diese Kraft kann sich nicht in einer Struktur ausdrücken, in der sich trotz der scheinbaren Organisationsform von offenen Vollversammlungen in der Praxis selber ihr wahres Wesen offenbart, nämlich das einer klassenübergreifenden Front, die von der Konfusion und der Verzweiflung von Zwischenklassen und –schichten gelenkt wird. Diese Tatsache wurde unterstrichen durch den Aufruf, den sie machte, um sich in eine dauerhafte Struktur zu verwandeln (die Staatliche Versammlung der Völker von Oaxaca). In ihrer Versammlung vom 9. November 2006 umschreibt sie die von der mexikanischen Bourgeoisie 1917 geschaffene Verfassung als ein “historisches Dokument, das für die emanzipatorische Tradition unseres Volkes steht…“, weshalb sie zu ihrer Verteidigung aufruft wie auch zu derjenigen “... des Landes und der Bodenschätze…“ Mit anderen Worten beschränkt sich der Radikalismus der APPO auf die Verteidigung der nationalistischen Ideologie, die ein wahrhaftiges Gift für die Arbeiter ist. Darüber hinaus missbrauchen sie die Etikette des proletarischen Internationalismus, indem sie in ihrer Versammlung die Notwendigkeit unterstreichen, „Verbindungen der Zusammenarbeit, der Solidarität und Brüderlichkeit mit allen Völkern dieser Erde zu knüpfen, um eine gerecht, freie und demokratische Gesellschaft aufzubauen; eine wirklich menschliche Gesellschaft…“, und zu diesem Zweck, so sagen sie weiter, würden sie für „die Demokratisierung der UNO …“ streiten.

 

 

Die Gründung der APPO bedeutete für die Arbeiterbewegung keinen Fortschritt, im Gegenteil: Sie kann nicht getrennt werden von der Unterwerfung der ursprünglichen Unzufriedenheit der Arbeiter unter die Kontrolle der Bourgeoisie. Die APPO  entstand als “Zwangsjacke”, um die proletarische Kampfbereitschaft einzupacken. Die stalinistischen, maoistischen und trotzkistischen Gruppen sowie die Gewerkschaften, aus denen die APPO besteht, wussten, wie man den Mut und den Ausdruck der Solidarität entstellen und gleichzeitig der Bewegung eine Richtung geben kann, die sie weit weg führt von den Interessen der Arbeiter und der übrigen Ausgebeuteten. Aus diesem Grund sind die Vergleiche, die zwischen der APPO und Strukturen wie den Arbeiterräten oder „Embryonen der Arbeitermacht“ gezogen werden, ein hinterlistiger Angriff auf die wirkliche Tradition der Arbeiterbewegung.

 

 

Die proletarische Organisation unterscheidet sich dadurch, dass die Ziele, die sie verfolgt, in einem direkten Bezug stehen zu den Interessen und Bedürfnissen als Klasse, d.h. zur Verteidigung ihrer Lebensbedingungen. Sie verfolgt nicht den Zweck der Verteidigung der „nationalen Wirtschaft“, von Staatsbetrieben, und schon gar nicht denjenigen der Demokratisierung des Systems, das uns ausbeutet; sie trachtet in erster Linie danach, eine politische Unabhängigkeit von der herrschenden Klasse zu wahren, die es ihr erlaubt, den Kampf gegen den Kapitalismus aufzunehmen.

 

 

Aus diesem Grund sind die Forderungskämpfe der Arbeiter die Vorbereitung auf die radikale Kritik der Ausbeutung, sie sind ein Widerstand gegen die kapitalistischen Wirtschaftsgesetze; und die Radikalisierung desselben zeigt den Weg zur Revolution. Dies sind verschiedene Momente der Vorbereitung auf die revolutionären Kämpfe, denen sich das Proletariat wird stellen müssen. Sie sind der Keim des revolutionären Kampfes.

 

 

Organisation und Bewusstsein, die Waffen der Arbeiter, um dem Kapitalismus entgegenzutreten

 

Die Arbeiter sind eine internationale und internationalistische Klasse; als solche müssen sie sich die Erfahrungen ihrer vergangenen Kämpfe zu eigen machen; deshalb ist es für die Entwicklung des Bewusstseins wichtig, die Lehren aus den Mobilisierungen der Studenten und Arbeiter im Frühjahr 2006 in Frankreich gegen den Erstanstellungsvertrag (CPE) zu ziehen. Das Wichtige dieser Mobilisierungen bestand in der Fähigkeit, sich zu organisieren, womit es auch gelang, die Kontrolle über den Kampf so weit zu behalten, dass die Gewerkschaften und die Linken es nicht schafften, ihn vom zentralen Ziel des Widerstandes gegen den CPE abzulenken. In die gleiche Richtung entwickelte sich die Mobilisierung der Arbeiter in Vigo/Spanien im Mai 2006, denen es gelang, der Sabotage der Gewerkschaften etwas entgegen zu setzen und die Lohnforderungen durch die Kontrolle über ihre Vollversammlungen und die Ausweitung des Kampfes zu verteidigen.

 

 

Die Verteidigung unserer Lebensbedingungen, die organisatorische Unabhängigkeit und die massenhafte Vertiefung des Bewusstseins - das sind die Errungenschaften dieser Bewegungen. Die Lehren aus diesen Erfahrungen gehören dem Proletariat insgesamt. Diese Saat soll in den kommenden Kämpfen aufgehen.

 

 

18. November 2006

 

 

Proletarier aller Länder, vereinigt euch!

 

 

Theoretische Fragen: 

  • Arbeiterklasse [5]

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Links
[1] https://de.internationalism.org/tag/3/54/zerfall [2] https://de.internationalism.org/tag/2/25/dekadenz-des-kapitalismus [3] https://de.internationalism.org/tag/4/60/asien [4] https://de.internationalism.org/tag/3/46/krieg [5] https://de.internationalism.org/tag/theoretische-fragen/arbeiterklasse