Wir veröffentlichen nachfolgend einen Artikel aus unserer Presse in Frankreich, der einen Tag vor der Flucht des tunesischen Präsidenten verfasst wurde.
Er geht auf die Entwicklung der Auseinandersetzungen seit Mitte Dezember bis Mitte Januar ein. Wir werden in kürze umfassender auf die Ereignisse eingehen.
Seit einigen Wochen findet in Tunesien eine Erhebung gegen die Armut und die Arbeitslosigkeit statt, unter der besonders die Jugend leidet. Im ganzen Land haben spontan Straßendemonstrationen, Versammlungen, Streiks stattgefunden, um gegen das Regime Ben Alis zu protestieren. Die Demonstranten fordern Brot, Arbeit für die Jugendlichen und das Recht in Würde zu leben. Gegenüber dieser Revolte der Ausgebeuteten und der Jugend ohne Zukunft hat die herrschende Klasse mit Repression reagiert. Unsere Klassenbrüder- und schwestern und deren Kinder werden bei diesen Demonstrationen massakriert, ihr Blut fließt heute in Tunesien wie in Algerien !
Die Killer und ihre Befehlsgeber an der Spitze des tunesischen und algerischen Staates zeigen die wahre Fratze unserer Ausbeuter und die Klassenherrschaft des kapitalistischen Systems auf dem ganzen Planeten. Diese Mörder sind nicht damit zufrieden, Dutzende verzweifelte Jugendliche in den Selbstmord zu treiben, nein, sie töten auch, indem sie auf die Demonstranten schießen. Die in Thala, Sidi Bouzid, Tunis und vor allem in Kasserine aufmarschierten Polizeieinheiten haben nicht gezögert, auf die Menge zu schießen und kaltblütig Männer, Frauen, Kinder zu töten. Seit dem Beginn der Zusammenstöße sind Dutzende von Leuten erschossen worden. In Anbetracht dieser Erschießungen hat die herrschende Klasse der « demokratischen Länder », insbesondere des französischen Staats, welcher ein treuer Verbündeter Ben Alid ist, keinen Finger gerührt, um die Barbarei des Regimes zu verurteilen und die Einstellung der Repression zu fordern.
Das überrascht überhaupt nicht. Alle Regierungen, alle Staaten sind Komplizen ! Die ganze Weltbourgeoisie ist eine Klasse von gierigen Mördern !
Alles fing am Freitag, den 17. Dezember im Zentrum des Lande nach der Selbstverbrennung des jungen diplomierten 26jährigen Arbeitlosen, Mohamed Bouazizi an, dem die Polizei in Sidi Bouzig seine einzige Einkommensquelle, seinen Obst- und Gemüseverkaufswagen beschlagnahmte. Sofort hat eine breite Solidarisierungswelle und eine riesige Empörung in der ganzen Region eingesetzt. Vom 19. Dezember an kam es zu völlig friedlichen Demonstrationen gegen die Arbeitslosigkeit, die Armut und die hohen Lebenshaltungskosten (die Demonstranten hielten Baguettes in der Hand). Die Regierung reagierte unmittelbar mit Repression, was wiederum die Wut der Bevölkerung noch mehr anfachte.
Am 22. Dezember traten die Ärzte an den Universitäten zwei Tage lang in Streik, um gegen die unzureichende Ausstattung und die Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen zu protestieren. Dieser Streik dehnte sich schnell auf die Universitätskliniken im ganzen Land aus. Ebenfalls am 22. Dezember brachte sich ein anderer Jugendlicher, Houcine Neji, vor den Augen der Menge in Menzel Bouzaiane um, indem er an eine Hochspannungsleitung kletterte und vor seinem Tod verzweifelt schrie : « Ich kann nicht mehr in dieser Armut und Arbeitslosigkeit leben ». Andere Selbstmorde verschärften noch die Empörung und die Wut. Am 24. Dezember erschoss die Polizei einen 18jährigen Jugendlichen Mohamed Ammari. Ein anderer Demonstrant, Chawki Hidri, der schwer verletzt worden war, verstarb am 1. Januar. Heute beträgt die provisorische Bilanz mindestens 65 Tote durch Schussverletzungen !
Als Reaktion auf die Repression dehnte sich die Bewegung schnell auf das ganze Land aus. Diplomierte Arbeitslose demonstrierten am 25. Und 26. Dezember im Zentrum von Tunis. Versammlungen und Solidaritätskundgebungen fanden im ganzen Land statt : Sfax, Kairouan, Thala, Bizerte, Sousse, Meknessi, Regueb, Souk Jedid, Ben Gardane, Medenine, Siliana… Trotz der Repression, trotz der fehlenden Redefreiheit riefen Jugendliche und schrieben sie auf Spruchbänder : « Heute haben wir keine Angst mehr ! »
Am 27. Und 28. Dezember traten Rechtsanwälte der Solidaritätsbewegung der Bevölkerung in Sidi Bouzid bei. Als Reaktion auf die Repression gegen Rechtsanwälte, von denen viele verhaftet und verprügelt wurden, wurde für den 6. Januar ein Generalstreik der Rechtsanwälte ausgerufen. Auch Journalisten traten in Tunis und Lehrer in Bizerte in den Streik. Wie Jeune Afrique am 9. Januar betonte, waren die Protestbewegungen und die Straßenversammlungen völlig spontan ; sie unterlagen keiner Kontrolle der politischen und gewerkschaftlichen Organisationen ; sie waren von niemandem ferngesteuert : « Es steht fest, dass die Protestbewegung vor allem gesellschaftlich bedingt und spontan ist. Glaubwürdige Quellen haben uns dies versichert ». Keine Partei, keine Organisationen kann von sich behaupten, dass sie die Menge auf die Straße bringt oder diese aufhalten kann, meinte die die Regionalleitung der « Tunesischen Gewerkschaften » (l'Union générale tunisienne du travail (UGTT)).
Eine vollständige Nachrichtensperre wurde verhängt. In der Region Sidi Bouzid wurde in verschiedenen Gemeinden ein Ausgehverbot erlassen, die Armee ging dort in Stellung. In Menzel Bouzaiane konnten die Verletzten nicht befördert werden, die Bevölkerung konnte sich nicht mit Lebensmitteln versorgen, in den Schulen wurden zusätzliche Polizeikräfte untergebracht.
Um eine Beruhigung der Lage zu versuchen, durchbrach Ben Ali sein Schweigen und gab eine öffentliche 13minütige Erklärung ab, in welcher er 300.000 neue Stellen im Jahre 2011-2012 und die Freilassung aller Demonstranten versprach, mit Ausnahme derjenigen, die Vandalismus begangen hatten. Er setzte den Innenminister ab, der als Sicherheitsventil gedient hatte und verurteilte die « politische Instrumentalisierung » der Bewegung und das Verhalten einer « extremistischen » und « terroristischen » Minderheit, die darauf abzielte, den Interessen des Landes zu schaden.
Diese provozierende Rede, die die Bewegung kriminalisieren sollte, fachte die Wut der Bevölkerung noch mehr an, insbesondere die der Jugend. Vom 3. Januar an traten immer mehr Jugendliche auf den Plan ; sie setzten Handys, das Internet, insbesondere Facebook und Twitter ein, um zu einem Generalstreik der Schüler und Schülerinnen aufzurufen. Diese protestierten am 3. Und 4. Januar, ihnen schlossen sich junge arbeitslose Akademiker in Thala an. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Tränengas gegen sie ein. Im Verlaufe der Zusammenstöße wurde der Regierungssitz gestürmt und die örtliche Parteizentrale der Regierungspartei in Brand gesetzt. Der Aufruf zum landesweiten Schülerstreik, der im Internet verbreitet wurde, wurde in mehreren Städten befolgt. In Tunis, Sidi Bouzid, Sfax, Bizerte, Grombalia, Jbeniana, Sousse schlossen sich Arbeitslose den Schülern an. Solidaritätsversammlungen fanden ebenfalls in Hammamet und Kasserine statt.
Dienstag, den 4. Januar, zog in Algerien in Koléa, einer Kleinstadt im Westen der algerischen Hauptstadt, eine Menge bestehend aus wütenden Arbeitslosen und Beschäftigten auf die Straße. Am gleichen Tag traten in Alger die Hafenarbeiter in den Streik, um gegen ein Abkommen zwischen dem Hafenbetreiber und den Gewerkschaften zu protestieren, das den Zuschlag für Nachtarbeit abschaffen sollte. Die Streikenden weigerten sich, dem Aufruf seitens der Gewerkschaftsführung zur Einstellung des Streiks, Folge zu leisten. Die Wut war riesig. Die Arbeiter, die ohnehin nur einen miserablen Lohn bekommen, haben große Schwierigkeiten, ihre Familien zu ernähren ; sie haben die gleichen Überlebenssorgen wie die arbeitslosen Jugendlichen von Tunis oder Algier.
Am 5. Januar breitete sich die Revolte in Algerien aus, insbesondere im Küstengebiet und in der Kabylei (Oran, Tipaza, Bejia…) mit den gleichen Forderungen zum Thema chronischer Jugendarbeitslosigkeit, Wohnungsmangel, was die Jugendlichen dazu zwingt, bei ihren Eltern wohnen zu bleiben oder in Elendswohnungen zu landen (in den Vororten von Alger findet man immer noch viele Slum-ähnliche Schlafstädte aus den 1950er Jahren, dies zwingt die Jugendlichen dazu, auf Spielplätzen zu übernachten, von denen sie regelmäßig durch den gewaltsamen Einsatz der Polizei vertrieben werden). Die Regierung reagierte sofort. Die Repressionskräfte und die Armee schlugen schnell und sehr hart zu. Allein im Stadtviertel Bab el Oued in Alger wurden Hunderte Menschen verletzt. Aber auch hier goss die blutige Repression des algerischen Staates nur Öl ins Feuer. Innerhalb einiger Tage dehnten sich die Proteste auf 20 Departements (wilayas) aus. Die offizielle Bilanz sprach von drei Toten (in M'Silla, Tipaza und Boumerdès). Die Demonstranten waren erzürnt.
« Wir können nicht mehr, wir wollen nicht mehr », « Wir haben nichts mehr zu verlieren ». Diese Rufe hörte man auf häufigsten auf den Straßen Algiers. Diese Proteste wurden ausgelöst durch neue, brutale Preiserhöhungen der Grundnahrungsmittel, die für den 1. Januar angekündigt worden waren : Der Getreidepreis wurde um 30% angehoben, Öl um 20%, Zucker um 80%. Nach fünf Tagen Repression und Verleumdungen der Bewegung ruderte Bouteflika zurück, um die Spannungen zu senken. Er versprach eine Steuersenkung für die Produkte, deren Preis erst gerade erhöht worden war.
In Tunesien hatte die Wut am 5. Januar auf dem Begräbnis des jungen Gemüseverkäufers, der sich am 17. Dezember verbrannt hatte, einen Höhepunkt erreicht. Eine Menschenmasse von 5000 Menschen bildete den Trauerzug und rief : « Wir weinen heute über deinen Tod, aber wir werden alle diejenigen zum Weinen bringen, die dich getötet haben ». Der Trauerzug schlug um in eine Kundgebung.
Die Menge rief Forderungen gegen die hohen Preise wie « Wer hat Mohamed in den Selbstmord getrieben » « Nieder mit der Regierung ». Am gleichen Abend verhaftete die Polizei Demonstranten in Jbedania und Thala. Jugendliche wurden verhaftet und von der Polizei gejagt. Am 6. Januar wurde der Streik der Rechtsanwälte zu 95% befolgt. Überall entflammten im Zentrum des Landes, im Süden, im Westen Streiks, auf den Straßen wurde demonstriert, es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei, die Auseinandersetzungen griffen gar auf den wohlhabenderen Teil des Landes, die Ostküste, über.
Polizeikräfte zogen in allen Gymnasien und Universitäten auf. In Sfax, Jbeniana, Tajerouine, Siliana, Makhter, Tela zerstreute die Polizei die Kundgebungen von Studenten, Gymnasiasten und Einwohnern brutal. In Sousse, wurde die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät von den Ordnungskräften besetzt, Studenten wurden verhaftet. Die Regierung beschloss, alle Gymnasien und Universitäten zu schließen.
Am 7. Januar wurden bei Zusammenstößen in Regueb und Saida in der Nähe von Sidi Bouzid 6 Menschen verletzt. Demonstranten warfen Gegenstände auf Sicherheitskräfte, die Polizei schoss in die Menge. Drei Jugendliche wurden schwer verletzt. Am 8. Januar brach die offizielle Gewerkschaft UGTT schließlich ihr Schweigen, aber sie verurteilte die Repression nicht. Ihr Generalsekretär Abid Brigui begnügte sich damit, unter dem Druck der Basis zu erklären, dass er « die legitimen Forderungen der Bevölkerung Sidi Bouzids und anderer Landesteile unterstützt ». « Wir dürfen bei dieser Bewegung nicht außerhalb stehen. Wir treten an die Seite der Bedürftigen und der Arbeitslosen ». Gegenüber der Gewalt der Repression erklärte er zögerlich : « Es geht nicht, solch eine Bewegung zu verurteilen. Man darf gegen sie nicht mit Schusswaffen vorgehen. » Aber er rief überhaupt nicht zur allgemeinen Mobilisierung aller Beschäftigen auf, auch nicht zum unmittelbaren Ende der Repression, die am Wochenende des 8./9. Januar immer schärfer wurde.
In Kasserine, Thala und Regueb schlug die Repression gegen die Demonstration in ein Massaker um. Die Polizei schoss kaltblütig auf die Menge, mehr als 25 Tote wurden beklagt. In Kasserine war die Bevölkerung durch das Vorgehen der Polizei terrorisiert worden, nachdem diese sogar auf Trauerzüge gefeuert hatte. Dort weigerte sich die Armee, die durch die Ereignisse gespalten worden war, nicht nur auf die Bevölkerung zu schießen, sondern sie schritt ein und stellte sich schützend vor die Bevölkerung gegen die Bürgerkriegspolizei. Der Chef des Generalstabs des Heeres wurde abgesetzt, nachdem bekannt wurde, dass er den Befehl gegeben hatte, nicht auf die Demonstranten zu schießen. Während die Armee eingesetzt wurde, um die öffentlichen Gebäude zu schützen, wurde sie bei den direkten Schritten des Versuchs der Niederschlagung nicht zur Hilfe geholt. So verzichtete man auf den Einsatz der Armee in der Hauptstadt, wo sie abzog. In Anbetracht des Blutbads traten die Krankenhausbeschäftigten der Region, nachdem sie sich um so viele Notfälle kümmern mussten, aus Protest in den Ausstand.
Seit dem Wochenende des 8./9. Januar griff die Wut auch auf die Hauptstadt über. Am 12. Januar brachen in den Vororten von Tunis Aufstände aus. Bei der Repression kamen 8 Menschen zu Tode, darunter ein Jugendlicher durch einen Kopfschuss. Die Regierung verhängte den Ausnahmezustand. Heute ist die Hauptstadt abgeriegelt durch die Sicherheitskräfte, und die offizielle Gewerkschaft UGIT hat schlussendlich zum zweistündigen Generalstreik für Freitag, den 14. Januar, aufgerufen. Trotz der Ausgangssperre und dem massiven Aufzug von Sicherheitskräften gehen die Auseinandersetzungen in Tunis weiter; überall werden Fotos von Ben Ali verbrannt. Am 13. Januar sprangen die Revolten auf die Seebäder an der Küste über, insbesondere auf das Touristenzentrum Hammamet, wo große Geschäfte geplündert und Bilder von Ben Ali zerrissen wurden, während sich die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei in der Hauptstadt verschärfen. Gegenüber der Gefahr, dass das Land im Chaos versinkt, gegenüber der Gefahr eines Generalstreiks und unter dem Druck der « internationalen Gemeinschaft », insbesondere seitens des französischen Staats, der zum ersten Mal anfing, Ben Ali zu « verurteilen », fing dieser an Zugeständnisse zu machen. Am Abend des 12. Januar verkündete er : « Ich habe sie verstanden », und erklärte, er werde bei den nächsten Wahlen im Jahre 2014 nicht mehr kandidieren ! Er versprach Senkungen des Zucker,-, Milch- und Brotpreises und forderte die Sicherheitskräfte auf, nicht mehr auf die Bevölkerung zu schießen, sonst « gebe es Fehler und sinnlos Tote ».
Gegenüber der wilden Repression haben sich alle « demokratischen » Regierungen wochenlang damit begnügt, ihre « Sorge » zu äußern und zu « Ruhe » und zum « Dialog » aufzurufen. Im Namen des Respekts der Unabhängigkeit Tunesiens und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes hat keine von ihnen die Massaker durch die Handlanger im Auftrag Ben Alis verurteilt, auch wenn die meisten heuchlerisch bedauern, « dass exzessiv Gewalt eingesetzt wurde ». Nach dem Wochenende des 8./9. Januar hat der französische Staat offen den blutigen Diktator unterstützt. Nach einem heuchlerischen Bedauern des Gewalteinsatzes hat die Außenministerin Michèle Alliot-Marie den Repressionskräften des französischen Staates die Unterstützung durch französische Ordnungskräfte angeboten, als sie am 12. Januar vor der Nationalversammlung sagte : « Wir schlagen vor, dass das know-how unserer Sicherheitskräfte, das weltweit anerkannt ist, der Regierung angeboten wird, damit wir die Sicherheitslage im Land verbessern können ».
Das « know-how » der französischen Sicherheitskräfte ist allseits bekannt – so zum Beispiel, als durch polizeiliche Fehler zwei von Polizisten verfolgte Jugendliche 2005 durch Stromstöße ums Leben kamen, und die später ein Hauptfunken waren bei der Auslösung der Revolten in den Vorstädten. Dieses « know-how » wurde dann erneut unter Beweis gestellt beim Vorgehen gegen die Jugend, als diese gegen den CPE kämpfte, als die Bürgerkriegsbrigaden in besetzte Unis mit Hunden eindrangen, um die streikenden Studenten, die gegen Arbeitslosigkeit und Prekariat protestierten, zu verjagen. Und dieses « Sicherheits »-Know-how unserer verdienten französischen Polizisten kam auch beim Einsatz von Flash Balls zum Vorschein, als bei Protesten gegen das LRU im Jahre 2007 diese Waffe gegen Demonstranten benutzt wurde. Und bei der jüngsten Bewegung gegen die Rentenreform ging die Polizei sehr repressiv in Lyon gegen jugendliche Demonstranten vor. Hunderte Jugendliche sind schon zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt worden oder stehen kurz davor. Sicher sind die « demokratischen Staaten » zurückhaltender beim Einsatz von Gewalt und schießen heute noch nicht mit richtigen Kugeln auf Demonstranten, aber das geschieht nicht, weil sie « zivilisierter », weniger barbarisch wären oder mehr « Respekt für die Menschenrechte und die Redefreiheit » zeigten, sondern weil die Arbeiterklasse der Industriestaaten mächtiger ist und über eine längere Erfahrung mit diesen Auseinandersetzungen verfügt und solch einen Grad der Repression nicht hinnehmen würde.
Und hinsichtlich der Kriminalisierung von Protestbewegungen, die deren Niederschlagung rechtfertigen, steht die Regierung Ben Ali ihrem französischen Komplizen in nichts nach, die als erste zur Stelle war und 2006 die Studenten an den Pranger stellte sowie 2007 die Beschäftigten der SNCF, RATP (die für ihre Renten-Sonderregelungen kämpften) jeweils als « Terroristen » beschimpfte.
Es ist klar, dass die herrschende aller Länder nur die Sorge hat, den Polizeistaat « wirksam » zu verstärken, um so die kapitalistische Ordnung aufrechtzuerhalten, eine Gesellschaftsordnung, die der jungen Generation keine Zukunft anzubieten hat. Überall auf der Welt ruft nämlich diese Ordnung nur noch mehr Arbeitslosigkeit, Misere und schließlich Repression hervor.
Die offensichtliche Komplizenschaft der herrschenden Klasse weltweit zeigt, dass das kapitalistische System verantwortlich ist für das Blutbad von Tunesien, und nicht nur das korrupte Regime Ben Alis. Der tunesische Staat ist nur eine Karikatur des kapitalistischen Staats.
Obwohl in Tunesien ein totalitäres Regime herrscht, das von Korruption befallen ist, ist die soziale Lage im Land keine Ausnahme. In Tunesien wie überall auf der Welt steht die Jugend vor dem gleichen Problem – Perspektivlosigkeit. Diese « Erhebung des Volkes » ist ein Teil des allgemeinen Kampfes der Arbeiterklasse und ihrer jungen Generationen gegen den Kapitalismus. Sie stellt eine Fortsetzung der Kämpfe dar, die seit 2006 in Frankreich, Griechenland, der Türkei, Italien, Großbritannien usw. Stattgefunden haben, wo alle Generationen sich zusammengefunden haben, um gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen, die Armut, die Jugendarbeitslosigkeit, die Repression anzukämpfen. Die Tatsache, dass die sozialen Proteste von einer breiten Solidaritätsbewegung vom 17. Dezember an unterstützt wurden, zeigt, dass ungeachtet all der Schwierigkeiten des Klassenkampfes in Tunesien oder in Algerien, trotz des Gewichtes der demokratischen Illusionen aufgrund der Unerfahrenheit und des Sicherheitsapparates dieser Regime, die die Isolierung der Arbeiter/Innen und deren blutige Niederschlagung ermöglichen, diese Revolten gegen die Arbeitslosigkeit und die hohen Lebenshaltungskosten ein Teil des weltweiten Arbeiterkampfes sind.
Die Verschwörung des Schweigens, die über diesen Ereignissen lastete, ist übrigens nicht nur auf die Zensur in diesen Ländern zurückzuführen. Das Schweigen wurde durchbrochen durch ein reges Treiben der Jugend, die im Internet, bei Twitter oder Facebook diese Netzwerke als eine Waffe eingesetzt haben, um sich untereinander zu verständigen und auszutauschen, um die Repression anzuprangern. Dadurch standen sie untereinander in Verbindung, und mit ihren Familien oder Freunden im Ausland, insbesondere in Europa. Aber die bürgerlichen Medien haben überall dazu beigetragen, ein black-out zu verhängen, insbesondere gegenüber den Arbeiterkämpfen, die unvermeidlich mit diesen Kämpfen einhergingen, und über die nur sehr bruchstückhaft berichtet wurde. 1 [1].
Diese Medien haben ebenso wie bei jedem anderen Kampf der Arbeiterklasse alles unternommen, um diese Revolte gegen die Armut und den kapitalistischen Terror zu entstellen und zu diskreditieren, indem sie diese wie üblich von Außen als eine Wiederauflage der Revolten aus den französischen Vorstädten dargestellt haben, als das Werk von unverantwortlichen « Schlägern », « Rowdies », « Plünderern » ; all das geschah in Komplizenschaft mit der Regierung Ben Alis, während viele Demonstranten diese Plünderungen als das Werk von Zivilpolizisten betrachten, die eingesetzt werden, um die Bewegung zu diskreditieren. Die Amateuraufnahmen durch Jugendliche haben ebenso Polizisten in Zivil gezeigt, die Schaufenster in Kasserine am 8. Januar zerschlagen haben, um einenVorwand zu suchen für die schreckliche Repression, die anschließend in dieser Stadt ausgeübt wurde.
In Anbetracht der kapitalistischen Barbarei, und um gegen das Schweigen und die Lügen vorzugehen, muss die Arbeiterklasse in allen Ländern ihre Solidarität mit ihren Klassenbrüdern- und Schwestern in Tunesien und Algerien zum Ausdruck bringen. Und diese Solidarität kann nur durch die Entfaltung des Klassenkampfes gegen all die Angriffe des Kapitals in allen Ländern zum Tragen kommen, gegen diese Ausbeuter, gierigen Hälse und Mörder, die ihre Privilegien nur aufrechterhalten können, indem sie die Menschheit in den Abgrund der Misere stürzen. Nur durch die Entfaltung von massiven Kämpfen, die Entfaltung ihrer Solidarität und internationalen Einheit kann die Arbeiterklasse, insbesondere in den «demokratischen» , am meisten industrialisierten Ländern der Gesellschaft eine Zukunft bieten.
Indem wir uns weigern, die Kosten für den Bankrott des Kapitalismus überall auf der Welt zu übernehmen, kann die ausgebeutete Klasse die Misere und den Terror der Ausbeuterklasse überwinden, indem sie den Kapitalismus aus der Welt schafft und eine andere Gesellschaft aufbaut, die die Bedürfnisse der gesamten Menschheit erfüllen kann und nicht auf Profit und Ausbeutung fußt.
Solidarität mit unseren Klassenbrüdern- und Schwestern im Maghreb !
Solidarität mit den jungen Arbeitergenerationen überall auf der Welt, wo diese gegen die Perspektivlosigkeit kämpft !
Um die Arbeitslosigkeit, die Misere und die Repression zu überwinden, müssen wir den Kapitalismus überwinden! W. M. (13.1.2011).
1 [2] Erinnern wir uns daran, dass in Tunesien 2008 die Phosphatbergwerksregion Gafsas das Zentrum einer Auseinandersetzung mit der Macht war ; eine furchtbare Repression wurde ausgeübt. Im Januar 2010 hatten 5000 Streikende der SNVI und anderer Betriebe versucht, trotz des brutalen Eingreifens der Ordnungskräfte zusammenzukommen, um ihren Kampf auszudehnen und ihn in einem Industriegebiet zu vereinigen, wo 50.000 Beschäftigte in der Region Rouiba vor den Toren Algiers beschäftigt sind.
Wir haben soeben die Nachricht erhalten, dass acht Mitstreiter des „Sozialistischen Arbeiterbundes Koreas" (Sanoryun) auf Grundlage des berüchtigten „Nationalen Sicherheitsgesetzes" in Südkorea festgenommen und angeklagt wurden (1). Sie sollen am 27. Januar verurteilt werden.
Es gibt keinen Zweifel daran, dass dies ein politischer Prozess ist und eine Travestie dessen, was die herrschende Klasse gern ihre „Gerechtigkeit" nennt. Drei Tatsachen legen Zeugnis darüber ab:
Diese Militanten werden wegen nichts anderem angeklagt als des imaginären Verbrechens, Sozialisten zu sein. Mit anderen Worten, sie stehen unter der Anklage, ArbeiterInnen dazu gezwungen zu haben, sich selbst, ihre Familien und ihren Lebensstandard zu verteidigen, und den Charakter des Kapitalismus offen beim Namen genannt zu haben. Die von der Staatsanwaltschaft beantragten Urteile sind nur ein weiteres Beispiel für die Repression, die von der herrschenden Klasse Südkoreas gegen jene ausgeübt wird, die es wagen, sich ihr in den Weg zu stellen. Diese brutale Repression hat bereits die jungen Mütter von der „Kinderwagen-Brigade" zum Ziel gehabt, die ihre Kinder zur Kerzenlicht-Demonstration 2008 mitgenommen hatten und die sich später gerichtlicher und polizeilicher Schikane ausgesetzt sahen (4). Sie hatte die Ssangyong-ArbeiterInnen zum Ziel gehabt, die von der Bereitschaftspolizei zusammengeschlagen wurden, die in ihre besetzte Fabrik eingedrungen war. (5)
Trotz der Aussicht auf schwere Gefängnisstrafen haben sich die verhafteten Mitstreiter mit beispielhafter Würde vor dem Gericht verhalten und die Gelegenheit genutzt, mit deutlichen Worten den politischen Charakter dieses Prozesses zu enthüllen. Wir veröffentlichen weiter unten eine Übersetzung der letzten Rede von Oh Se-Cheol vor dem Tribunal.
Die militärischen Spannungen in der Region wachsen als Folge der provokanten Beschießung der Insel Yeonpyeong im November letzten Jahres und der Tötung von Zivilisten durch die Kanonen des nordkoreanischen Regimes, auf die die USA mit der Entsendung eines atomaren Flugzeugträgers in die Region antwortete, um gemeinsame militärische Übungen mit den Streitkräften Südkoreas durchzuführen. In dieser Situation ist die Feststellung, dass die Menschheit sich heute der Wahl zwischen Sozialismus oder Barbarei gegenübersieht, wahrer denn je.
Die Propaganda der USA und ihrer Verbündeten porträtieren Nordkorea gern als einen „Schurkenstaat", dessen herrschende Clique dank der unbarmherzigen Repression gegen ihre hungernde Bevölkerung im Luxus lebt. Dies ist sicherlich richtig. Doch die Repression, die von der südkoreanischen Regierung gegen Mütter, Kinder, kämpfende ArbeiterInnen und nun gegen sozialistische Militante ausgeübt wird, zeigt deutlich genug, dass jede nationale Bourgeoisie letztendlich mit Furcht und roher Gewalt herrscht.
Angesichts dieser Situation erklären wir unsere uneingeschränkte Solidarität mit den Verhafteten, ungeachtet aller politischen Meinungsverschiedenheiten, die wir mit ihnen haben mögen. Wir adressieren unsere innige Sympathie und Solidarität an ihre Familien und Genossen. Wir werden gern jede Botschaft der Unterstützung und Solidarität, die wir international erhalten, an die Genossen weiterleiten.
(übersetzt aus dem Koreanischen)
Etliche Theorien haben versucht, die Krisen zu erklären, die sich in der gesamten Geschichte des Kapitalismus ereignet haben. Eine davon ist die Katastrophentheorie, die der Auffassung ist, dass der Kapitalismus in dem Moment von sich aus kollabieren werde, wenn die kapitalistischen Widersprüche ihren höchsten Punkt erreicht haben und den Weg zu einem neuen Jahrtausend des Paradieses freimachen würden. Diese apokalyptische oder äußerst anarchistische Position hat Verwirrung und Illusionen beim Verständnis des Leids des Proletariats unter der kapitalistischen Unterdrückung und Ausbeutung bewirkt. Viele Menschen sind von solch einer nicht-wissenschaftlichen Sichtweise angesteckt worden.
Eine andere Theorie ist die optimistische, die die Bourgeoisie stets verbreitet. Dieser Theorie zufolge hat der Kapitalismus selbst die Mittel, um seine eigenen Widersprüche zu überwinden, und funktioniert die Wirtschaft gut, wenn die Spekulation beseitigt wird.
Eine raffiniertere Position als die beiden oben erwähnten - eine Position, die sich gegenüber den anderen durchgesetzt hat - behauptet, dass kapitalistische Krisen periodisch auftreten und wir nur ruhig warten müssen, bis der Sturm vorüber ist, um weiter zu segeln.
Eine solche Position taugte für die Szenerie des Kapitalismus im 19. Jahrhundert; für die kapitalistischen Krisen des 20. und 21. Jahrhunderts gilt sie nicht mehr. Die kapitalistischen Krisen des 19. Jahrhunderts waren Krisen in einer Phase der grenzenlosen Expansion des Kapitalismus, die Marx im Kommunistischen Manifest die Epidemie der Überproduktion genannt hatte. Doch die Tendenz zur Überproduktion, die in Hungersnöte, Armut und Arbeitslosigkeit ausartete, geschah nicht aufgrund eines Mangels an Waren, sondern weil es zu viel Waren gab, zu viel Industrie und zu viele Ressourcen. Eine andere Ursache der kapitalistischen Krisen ist die Anarchie des Konkurrenzsystems des Kapitalismus. Im 19. Jahrhundert konnten die kapitalistischen Produktionsverhältnisse durch die Eroberung neuer Gebiete ausgeweitet und vertieft werden, durch die Erlangung neuer Arbeitskräfte und Absatzmärkte für die Waren, und so wurden die Krisen in dieser Zeit als Pulsschläge eines gesunden Herzschlages verstanden.
Im 20. Jahrhundert erreichte die aufsteigende Phase des Kapitalismus mit dem Wendepunkt des I. Weltkrieges ihr Ende. Von nun an waren die kapitalistischen Verhältnisse der Warenproduktion und der Arbeitskraft auf der ganzen Welt expandiert. 1919 nannte die Internationale den Kapitalismus in jener Zeit die Periode des „Krieges oder der Revolution". Einerseits drängte die kapitalistische Tendenz zur Überproduktion zum imperialistischen Krieg, mit dem Ziel, den Weltmarkt an sich zu reißen und zu kontrollieren. Andererseits machte sie, anders als im 19. Jahrhundert, die Weltwirtschaft abhängig von den halb-permanenten Krisen der Instabilität und Zerstörung.
Dieser Widerspruch mündete in zwei historische Ereignisse, den Ersten Weltkrieg und die weltweite Depression von 1929, auf Kosten von 20 Millionen Toten und einer Arbeitslosenrate von 20-30 Prozent, die ihrerseits den Weg ebneten für die so genannten „sozialistischen Länder" mit dem Staatskapitalismus in Gestalt der Verstaatlichung der Industrie auf der einen Seite und die liberalen Länder mit einer Kombination aus privater Bourgeoisie und Staatsbürokratie auf der anderen Seite.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte der Weltkapitalismus einschließlich der so genannten „sozialistischen Länder" einen außerordentlichen Wohlstand, der sich in 25 Jahren des Wiederaufbaus und der wachsenden Verschuldung äußerte. Dies verleitete Regierungsbürokraten, Gewerkschaftsführer, Ökonomen und so genannte „Marxisten" dazu, lauthals zu erklären, dass der Kapitalismus seine Wirtschaftskrisen endgültig überwunden habe. Doch die Krise hat sich kontinuierlich verschlimmert, wie folgende Beispiele zeigen: die Entwertung des britischen Pfunds 1967, die Dollarkrise 1971, der Ölschock 1973, die Wirtschaftsrezession 1974-75, die Inflationskrise 1979, die Kreditkrise 1982, die Krise der Wall Street 1987, die Wirtschaftsrezession 1989, die Destabilisierung europäischer Währungen 1992-93, die Krise der „Tiger" und „Drachen" in Asien 1997, die Krise der amerikanischen „new economy" 2001, die Finanzkrise von Lehman Brothers etc. und die Finanzkrise von 2009-10.
Ist solch eine Serie von Krisen „zyklisch", „periodisch"? Überhaupt nicht! Sie ist das Resultat der unheilbaren Krankheit des Kapitalismus, des Mangels an zahlungsfähigen Märkten, der fallenden Profitrate. Zurzeit der großen Weltdepression von 1929 trat der worst case aufgrund der immensen Interventionen der Staaten noch nicht ein. Aber die jüngsten Fälle der Finanz- und Wirtschaftskrise zeigen, dass das kapitalistische System nicht mehr mithilfe solcher Sofortmaßnahmen wie dem Bail-out-Geld vom Staat oder den staatlichen Schulden überleben kann. Der Kapitalismus sieht sich mittlerweile infolge der Unmöglichkeit der Expansion der Produktivkräfte einer ausweglosen Situation gegenüber. Doch der Kapitalismus wird bis zu seinem Tod gegen diese Sackgasse ankämpfen. Das heißt, er hängt unbefristet vom staatlichen Kredit ab und sucht Absatzmärkte für die Überproduktion durch die Schaffung fiktiver Märkte.
40 Jahre lang war der Weltkapitalismus der Katastrophe durch immense Kredite entkommen. Der Kredit für den Kapitalismus ist dasselbe wie Dogen für einen Drogensüchtigen. Letztendlich werden solche Kredite als Bürde zurückkehren, auf Kosten des Blutes und Schweißes von ArbeiterInnen überall auf der Welt. Sie werden zudem in der Armut von ArbeiterInnen überall auf der Welt, in imperialistische Kriege und in Umweltkatastrophen münden.
Befindet sich der Kapitalismus im Niedergang? Ja. Er sieht sich nicht einem plötzlichen Ruin gegenüber, aber einer neuen Stufe im Untergang eines Systems, der letzten Stufe in der Geschichte des seinem Ende zustrebenden Kapitalismus. Wir müssen mit allem Nachdruck den 100 Jahre alten Schlachtruf „Krieg oder Revolution" in Erinnerung rufen und einmal mehr die historische Einsicht in die Alternative „Barbarei oder Sozialismus" und die Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus erarbeiten. Dies bedeutet, dass die Sozialisten zusammenkämpfen und sich vereinen müssen, sie müssen fest auf der Grundlage des revolutionären Marxismus stehen. Unser Ziel ist es, den auf Geld, Ware, Markt, Lohnarbeit und Tauschwert basierenden Kapitalismus zu überwinden und eine Gesellschaft der befreiten Arbeit in einer Gemeinschaft freier Individuen aufzubauen.
Marxistische Analysen haben bestätigt, dass die allgemeine Krise der kapitalistischen Produktionsweise aufgrund der fallenden Profitrate und der Sättigung der Märkte im Prozess der Produktion und Realisierung des Mehrwerts bereits ihren kritischen Punkt erreicht hat. Wir sehen uns nun der Alternative zwischen dem Kapitalismus, der Barbarei bedeutet, und dem Sozialismus, Kommunismus, der Zivilisation bedeutet, gegenüber.
Erstens ist der Kapitalismus zu einem System geworden, das nicht einmal die Sklaven der Lohnarbeit ernähren kann. Täglich verhungern überall auf der Welt Hunderttausend Menschen; alle fünf Sekunden stirbt ein Kind unter fünf Jahren an Hunger. 842 Millionen Menschen leiden an ständiger Unterernährung, und ein Drittel der sechs Milliarden umfassenden Weltbevölkerung kämpft täglich aufgrund steigender Nahrungsmittelpreise ums Überleben.
Zweitens kann das gegenwärtige kapitalistische System nicht die Illusion des wirtschaftlichen Wohlstandes aufrechterhalten.
Die Wirtschaftswunder von Indien und China haben sich als Illusionen erwiesen. Während der ersten Jahreshälfte von 2008 verloren in China 20 Millionen ArbeiterInnen ihren Job, und 67.000 Unternehmen gingen bankrott.
Drittens steht eine Umweltkatastrophe in Aussicht. In punkto globaler Erwärmung stieg die Durchschnittstemperatur der Erde seit 1896 um 0,6°C. Im 20. Jahrhundert erlebte die nördliche Hemisphäre die gravierendste Erwärmung in den letzten 1000 Jahren. Die vom Eis bedeckten Flächen schrumpften um zehn Prozent seit Ende der 1960er Jahre, und die Eisschichten am Nordpol sind um 40 Prozent zurückgegangen. Der durchschnittliche Meeresspiegel stieg im 20. Jahrhundert um 10-20 Prozent. Die Ausbeutung der Erde während der vergangenen 90 Jahre äußert sich in Form rücksichtsloser Entwaldung, Bodenerosion, Verschmutzung (Luft, Wasser), des Gebrauchs chemischer und radioaktiver Materialien, der Ausrottung von Tieren und Pflanzen, dem explosiven Auftreten von Epidemien. Die Umweltkatastrophe kann in integrierter und globaler Gestalt beobachtet werden. Es ist unmöglich, exakt vorauszusehen, wie ernst dieses Problem in Zukunft sein wird.
Wie hat sich schließlich der Klassenkampf gegen die kapitalistische Unterdrückung und Ausbeutung entwickelt?
Der Klassenkampf hat ständig existiert, aber er war nicht erfolgreich gewesen. Die I. Internationale scheiterte an der Macht des Kapitalismus in seiner aufsteigenden Periode. Die II. Internationale scheiterte am Nationalismus und an der Abkehr von ihrem revolutionären Charakter. Und die III. Internationale scheiterte an der stalinistischen Konterrevolution. Besonders die konterrevolutionären Strömungen täuschten seit den 1930er Jahren die ArbeiterInnen über den Charakter des Staatskapitalismus, der sich „Sozialismus" nannte. Letztendlich spielten sie die Rolle des Unterstützers des kapitalistischen Weltsystems, unterdrückten und beuteten das Weltproletariat aus durch die Verschleierung der Konfrontation zwischen zwei Blöcken.
Ferner war laut bürgerlicher Kampagne der Fall des Ostblocks und des stalinistischen Systems ein „klarer Sieg des liberalistischen Kapitalismus", „das Ende des Klassenkampfes" und gar das Ende der Arbeiterklasse selbst. Diese Kampagne drängte die Arbeiterklasse zu einem gravierenden Rückzug auf der Ebene ihres Bewusstseins und ihrer Militanz.
In den 1990er Jahren gab die Arbeiterklasse zwar nicht völlig auf, doch sie besaß kein Gewicht und keine Fähigkeit, die den Gewerkschaften in der vorherigen Periode angemessen gewesen wären. Die Kämpfe in Frankreich und Österreich gegen die Angriffe auf die Renten jedoch waren ein Wendepunkt für die Arbeiterklasse seit 1989, um ihren Kampf neu zu beginnen. Die Arbeiterkämpfe nahmen am meisten in den zentralen Ländern zu: der Kampf bei Boeing und der U-Bahn-Streik in New York in den USA 2005; die Kämpfe bei Daimler und Opel 2004, der Kampf der Krankenhausärzte im Frühling 2006, der Kampf bei Telekom 2007 in Deutschland; der Kampf auf dem Londoner Flughafen im August 2005 und der Anti-CPE-Kampf in Frankreich 2006. In den peripheren Ländern gab es den Kampf der Bauarbeiter in Dubai im Frühjahr 2006, der TextilarbeiterInnenstreik in Bangladesch im Frühjahr 2006, der TextilarbeiterInnenstreik in Ägypten im Frühjahr 2007.
Zwischen 2006 und 2008 hat sich der Kampf der Weltarbeiterklasse auf die ganze Welt ausgeweitet, auf Ägypten, Dubai, Algerien, Venezuela, Peru, Türkei, Griechenland, Finnland, Bulgarien, Ungarn, Russland, Italien, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, die USA und China. Wie der jüngste Kampf in Frankreich gegen die Rentenreform zeigte, nimmt der Kampf der Arbeiterklasse eine immer größere Offensive vorweg.
Wie oben gezeigt, haben die finale Tendenz der Dekadenz des Weltkapitalismus und die Krise, die die Arbeiterklasse belastet, unweigerlich Kämpfe von ArbeiterInnen überall auf der Welt ausgelöst, Kämpfe, die anders sind als jene, die wir zuvor erlebt hatten.
Wir stehen nun vor der Alternative, in der Barbarei zu leben, nicht als menschliche Wesen, sondern als Tiere, oder glücklich in Freiheit und menschlicher Würde zu leben.
Die Tiefe und Reichweite der Widersprüche des koreanischen Kapitalismus sind ernster als jene der so genannten entwickelten Länder. Das Leid der koreanischen ArbeiterInnen scheint weitaus größer zu sein als jenes der ArbeiterInnen in europäischen Ländern mit ihren Errungenschaften aus früheren Kämpfen der Arbeiterklasse. Es geht hier um ein menschenwürdiges Leben der Klasse, das nicht mit dem leeren Anspruch der koreanischen Regierung, Gastgeber für das G20-Gipfeltreffen zu spielen, oder mit dem Anzeigen von quantitativen ökonomischen Indexes gemessen werden kann.
Das Kapital ist von Natur aus international. Stets haben verschiedene nationale Kapitalien in Konkurrenz zueinander gestanden, doch haben sie auch zusammengearbeitet, um das kapitalistische System aufrechtzuerhalten, seine Krisen zu verbergen und ArbeiterInnen als menschliche Wesen anzugreifen. ArbeiterInnen kämpfen nicht gegen Kapitalisten, sondern gegen das kapitalistische System, das sich nur für die Steigerung seiner Profite und für die schrankenlose Konkurrenz bewegt.
Die Marxisten haben in der Geschichte stets zusammen mit der Arbeiterklasse, dem Meister der Geschichte, gekämpft, indem sie den Charakter der historischen Gesetze der menschlichen Gesellschaft und der Gesetze des Gesellschaftssystems enthüllten, die Ausrichtung auf eine Welt wahrhaft menschliches Leben vorstellten und die Hindernisse des unmenschlichen Systems und seiner Gesetze kritisierten.
Aus diesem Grund bauten sie Organisationen wie die Parteien auf und beteiligten sich an den praktischen Kämpfen. Zumindest seit dem II. Weltkrieg haben solch praktischen Aktivitäten von Marxisten niemals irgendeine juristische Einschränkung erfahren. Stattdessen wurden ihre Gedanken und ihre Praxis hoch geschätzt als Beiträge zum Fortschritt der Menschheit. Meisterstücke von Marx wie das Kapital und das Kommunistische Manifest gehören neben der Bibel zu den meist gelesenen Büchern.
Dieser SWLK-Fall ist ein historischer, der der gesamten Welt den barbarischen Charakter der koreanischen Gesellschaft, mit ihrer Unterdrückung der Gedanken, offenbart, und geht als Makel in die Geschichte der Anti-Sozialisten-Prozesse in der Welt ein. In Zukunft wird es offenere und massenhaftere sozialistische Bewegungen geben, marxistische Bewegungen werden sich breit und mächtig weltweit und in Korea entwickeln. Der Justizapparat kann vielleicht Fälle von organisierter Gewalt bewältigen, aber nicht sozialistische Bewegungen, marxistische Bewegungen unterdrücken. Weil sie solange sein werden, wie die Menschheit und die ArbeiterInnen existieren.
Sozialistische Bewegungen und ihre Praxis dürfen nicht das Objekt juristischer Verfolgungen werden. Vielmehr müssen sie ein Beispiel für Respekt und Vertrauen sein. Hier sind meine Schlussworte:
Links
[1] https://fr.internationalism.org/icconline/2011/repression_sanglante_en_tunisie_et_en_algerie.html#sdfootnote1sym#sdfootnote1sym
[2] https://fr.internationalism.org/icconline/2011/repression_sanglante_en_tunisie_et_en_algerie.html#sdfootnote1anc#sdfootnote1anc
[3] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/algerien
[4] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/aufstand-tunesien
[5] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/streiks-tunesien
[6] https://de.internationalism.org/tag/leute/ben-ali
[7] https://de.internationalism.org/tag/leute/bouteflika
[8] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/repression-korea
[9] https://de.internationalism.org/tag/leute/oh-se-cheol