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Internationale Revue 9

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Die Funktion der revolutionären Organisation

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1. Seit ihrer Gründung hat die IKS die entscheidende Bedeu­tung einer internationalen Organisation der Revolutionäre im neuen Aufschwung des weltweiten Klassenkampfes unterstrichen. Durch ihre Inter­vention im Kampf, so bescheiden diese auch ausfällt, durch ihre hartnäckigen Bemühungen, auf die Schaffung eines wirklichen Diskussionszentrums zwischen revolutionären Gruppen hinzuwirken, hat sie in der Praxis bewie­sen, daß ihre Existenz weder überflüssig noch eingebildet ist. Überzeugt davon, daß unsere Funktion einem grundlegenden Bedürfnis der Klasse entspricht, hat sie sowohl den Dilettantismus als auch den Größenwahn des revolutionären Milieus bekämpft, das noch stark von Verantwortungslosigkeit und Unreife geprägt ist. Diese Überzeugung beruht nicht auf einem religiösen Glauben, son­dern auf einer analytischen Methode: die marxistische Theorie. Die Gründe für das Entstehen der revolutionären Organisation können nicht außerhalb dieser Theorie verstanden werden, denn ohne sie kann es keine wirkliche revolutionäre Bewegung geben.
2. Die neulich in der IKS stattgefundenen Spaltungen sind keine tödliche Krise für die Organisation. Sie sind im wesentlichen Ausdrücke der Unfähigkeit, die Bedingungen, die Marschrichtung der Klassenbewegung zu verstehen, die revolutionäre Organisationen hervorbringt, nämlich:

  • daß der Kurs zur Revolution nicht ein lokales, sondern ein weltweites Phänomen ist;
  • daß der Umfang der Krise und der Kämpfe nicht automatisch eine unmittelbar revolutionäre Periode einleitet;
  • daß die Notwendigkeit einer Organisation nicht ein gelegentliches oder lokales Bedürfnis ist, sondern eine ganze historische Periode bis zum weltweiten Triumph des Kommunismus umfaßt;
  • daß folglich die Arbeit der Organisation nur als langfristig aufge­faßt werden kann und alle willkürlichen Abkürzungen der immediatistischen  Un­geduld  ver­meiden müssen, die eine reale Gefahr für die Organisation darstellen.

3. Das Unvermögen, die Funktion einer revolutionären Organisation zu verstehen, hat stets zur Verleugnung ihrer Notwendigkeit geführt:
Der anarchistischen und rätekommunistischen Auffas­sung zufolge wird die Organisation als eine Verletzung der Persönlichkeit eines jeden Arbeiters verstanden und auf ein rein zufälliges Konglomerat von Individuen reduziert.
Der klassische Bordigismus, der die Klasse mit der Partei gleichsetzt, lehnt diese Notwendigkeit indirekt ab, indem er die Funktion der revolutionären Organisation mit der Funktion der allgemeinen Organisationen der Klasse verwechselt.
4. Die Notwendigkeit einer revolutionären Organisation besteht heute nach wie vor. Weder die Konterrevolution noch der Ausbruch gewaltiger Kämpfe ohne die Präsenz einer revolutionären Fraktion (wie in Polen heute) beseitigen diese Notwendigkeit:

  • da seit der Konstituierung des Proletariats als Klasse im 19. Jahrhundert der Zusammenschluß der Revolutionäre eine lebenswichtige Notwendigkeit war und bleibt. Jede historische Klasse, die in sich das Potential zur Umwandlung der Gesellschaft trägt, muß eine klare Vorstellung von den Zielen und den Methoden des Kamp­fes haben, der sie zur Verwirklichung ihrer historischen Zie­le führt;   
  • da die kommunistischen Ziele des Proletariats eine politische Organisation erzeugen, die theoretisch (Programm) und praktisch (Aktivitä­ten) die allgemeinen Ziele des gesamten Proletariats vertritt;
  • da die revolutionäre Organisation als permanenter Ausfluß der Klasse die natürlichen Teilungen (geographisch und historisch) wie auch die künstlichen Spaltungen (Berufskategorien, Ort der Produktion) überwindet und somit negiert. So drückt sie die ständige Tendenz zur Entstehung eines einheitlichen Klassenbewußtseins aus, das sich gegen jegliche unmittelbare Spaltung wendet;
  • da in Anbetracht der systematischen Versuche der Bour­geoisie, das Klassenbewußtsein des Proletariats zu trüben und zu zerstören, die Organisation der Revolutionäre eine entscheidende Waffe im Kampf gegen die heimtückischen Auswirkungen der bürgerlichen Ideologie ist. Ihre Theorie (das kommunistische Programm) und ihr militantes Handeln in der Klasse sind ein starkes Gegenmittel gegen das Gift der der kapitalistischen Propaganda.

5. Das kommunistische Programm und die Prinzipien der militanten Aktivitäten sind das Fundament einer jeden revolutionären Organisation, die sich dieses Namens als würdig erweist. Ohne revolutionäre Theorie gibt es keine revolutionäre Funktion, d.h. keine Organisation zur Verwirklichung dieses Programms. Aus diesem Grunde hat der Marxismus immer jegliche immediatistischen und ökonomistischen Abwei­chungen abgelehnt, die dazu dienen, die historische Rolle der kommunistischen Organisation zu deformieren und zu verleug­nen.
6. Die revolutionäre Organisation ist ein Organ der Klasse. Ein Organ bedeutet ein lebendiges Mitglied eines le­benden Organismus. Ohne dieses Organ würde dem Leben der Klasse eine vitale Funktion fehlen; es wäre vorübergehend geschwächt und verstümmelt. Daher wird diese Funktion ständig wiedergeboren, wächst an, dehnt sich aus und schafft zwangsläufig das Organ, das sie braucht.  
7. Dieses Organ ist kein simples, physiologisches An­hängsel der Klasse, das darauf beschränkt bleibt, ihren unmittelbaren Impulsen zu folgen. Die re­volutionäre Organisation ist ein Teil der Klasse. Sie ist weder von ihr getrennt noch mit ihr identisch. Sie ist weder eine Vermittlung zwi­schen dem Sein und dem Bewußtsein der Klasse, noch ist sie die Totalität des Klassenbewußtseins. Sie stellt eine besondere Form des Klassenbewußtseins dar, den bewußtesten Teil. Sie sammelt daher nicht die gesamte Klasse um sich, sondern nur ihre bewußteste und aktivste Fraktion. Die Klasse ist nicht mehr Partei, wie die Partei Klasse ist.
8. Als ein Bestandteil der Klasse ist die Organisation der Revolutionäre weder die Summe ihrer Teile (die Militanten), noch ist sie eine Assoziation gesellschaftlicher Schichten (Arbeiter, Arbeitgeber, Intellektuelle). Sie entwickelt sich als ein lebendiges Ganzes, dessen verschiedene Zellen keine andere Funktion haben, als sicherzustellen, daß sie auf bestmögliche Weise arbeitet. Sie bevorzugt weder Individuen noch besondere Kategorien. Nach dem Bilde der Klasse tritt die Orga­nisation als kollektiver Organismus auf.
9. Die Bedingungen für die volle Entfaltung der Organisa­tion der Revolutionäre sind dieselben, die die revolutionäre Reifung des Proletariats ermöglichen:

  • ihre internationale Dimension: nach dem Bild der Klasse entsteht und lebt die Organisation, indem sie den na­tionalen Rahmen zerschlägt, der von der Bourgeoisie aufgezwungen wurde. Gegen den Nationalismus des Kapitals vertritt sie die Internationalisierung des Klassenkampfes in allen Ländern;  
  • ihre historische Dimension: die Organisation trägt als fortgeschrittenste Fraktion der Klasse eine historische Verantwortung gegenüber der Klasse. Denn sie hält das Gedächtnis der unersetzlichen Erfahrungen der vergangenen Arbeiterbe­wegung wach. Sie ist der bewußteste Ausdruck der allgemeinen, historischen Ziele des Weltproletariats.

Diese Faktoren verleihen sowohl der Klasse als auch ihrer po­litischen Organisation ihren Einheitscharakter.  
10. Die Aktivitäten der revolutionären Organisation können nur als ein einheitliches Ganzes aufgefaßt wer­den, deren Komponenten nicht voneinander getrennt, son­dern ineinandergreifend sind:

  • die theoretischen Aktivitäten, deren Ausgestaltung eine konstante Anstrengung sein muß und die niemals endgültig festgelegt oder vollständig ist. Sie sind sowohl notwendig als auch unersetzlich;  
  • die Aktivität der Intervention in den ökonomischen und politischen Kämpfen der Klasse. Dies ist eine Praxis par excellence für die Organisation, mit der die Theorie  durch Propaganda und Agitation in eine Waffe des Kampfes umgewandelt wird;
  • die organisatorische Aktivität, die zur Weiterentwicklung und Stärkung ihrer Organe, zur Bewahrung von organisatorischen Errungenschaften führt, ohne die die quantitative Weiterentwicklung (neue Mitglieder) nicht zu einer qualitativen Weiterentwicklung führt.

11. Viele der politischen und organisatorischen Missver­ständnisse, die in unserer Strömung zum Ausdruck kamen, rühren aus dem Vergessen des theoretischen Rahmens her, den die IKS zu ihrem Beginn ge­schaffen hat. Sie beruhen auf einer lückenhaften Assimilierung der Theorie der Dekadenz des Kapi­talismus und der praktischen Auswirkungen dieser Theorie in unserer Intervention.
12. Obgleich die Organisation der Revolutionäre nicht ihren prinzipiellen Charakter geändert hat, haben sich die Merkmale ihrer Funktion zwischen der aufsteigenden und dekadenten Phase des Kapitalismus qualitativ verändert. Die revolutionären Erschütterungen nach dem Ersten Weltkrieg haben einige Existenzformen der revolutionären Organisation obsolet gemacht, während andere Formen, die im 19. Jahrhundert nur in ihrer embryonalen Form auftraten, weiterentwickelt wurden.
13. Der aufsteigende Zyklus des Kapitalismus hat den revolutionären po­litischen  Organisationen eine besondere und damit vorübergehende Form verliehen:

  • eine Mischform: Kooperativen, Gewerkschaften wie auch die Parteien konnten in derselben Organisation existieren. Trotz der Bemühungen von Marx wurde die politische Funktion der Organisation in den Hintergrund geschoben, während der gewerkschaftliche Kampf zur Hauptbühne wurde;  
  • die Bildung von Massenorganisationen, die zum Sammelbecken signifikanter Fraktionen partikularer, gesellschaftlicher Kategorien (Jugendliche, Frauen, Mitglieder von Kooperativen) oder gar der Mehrheit der Arbeiterklasse in einigen Ländern wurden, verlieh der sozialistischen Organisation eine lose Form, die dazu neigte, ihre ursprüngliche Funktion als revolutionäre Organisation zu vernachlässigen.

Die Möglichkeit unmittelbarer Reformen sowohl politi­scher als auch ökonomischer Art verlagerte das Betätigungs­feld der sozialistischen Organisationen. Der unmittel­bare, gradualistische Kampf erhielt den Vorrang vor der allgemeinen Perspektive des Kommunismus, die im Kommu­nistischen Manifest aufgezeigt worden war.
14. Die Unreife der objektiven Bedingungen für die Revolu­tion führte zu einer Spezialisierung der organisch eng ver­bundenen Aufgaben, zu einer Atomisierung der Funktion der Organisation:

  • Theoretische Aufgaben blieben Spezialisten vorbehal­ten (Marxismusschulen, professionelle Theoretiker);  
  • Propaganda- und Agitationsaufgaben wurden von Gewerkschaf­tsvertretern und Parlamentsabgeordneten ("Berufsrevolutionäre")  ausgeführt;
  • Organisatorische Aufgaben wurden von Funktionären ausgeübt, die von der Partei bezahlt wurden.

15. Die Unreife des Proletariats, von dem große Massen vom Land oder aus dem Handwerk stammten, sowie die Entwicklung des Kapitalismus im Rahmen erst kürzlich gebil­deter Nationen haben die wirkliche Funktion der Or­ganisation der Revolutionäre überschattet:  

  • Das enorme Wachstum der proletarisierten Massen, die keine politischen und organisatorischen Traditionen hatten, noch von den religiösen Mystifikationen beeinflusst und Gefangene ihrer Sehnsüchte nach den alten Lebensumständen als unabhängige Produzenten waren, verlieh der  Organisations- und Erziehungsarbeit im Proletariat ein übermäßiges Gewicht. Die Funktion der Organisation wurde in dem Injizieren von Bewusstsein und "Wissenschaft" in eine Klasse gesehen, der es noch an Kultur mangelte und die unter den Illusionen ihrer frühen Kindheit litt.  
  • Das Wachstum des Proletariats im Rahmen der Industrienationen hat den internationalen Charakter des Sozialis­mus überschattet (man sprach mehr vom "deutschen Sozialismus" oder vom "englischen Sozialismus" als vom internationalen Sozialismus). Die Erste und Zweite Internationale fungierte mehr als eine Föderation nationaler Sek­tionen denn als ein einziger, zentralisierter Weltsozialismus.  
  • Die Funktion der Organisation wurde national aufgefaßt: Aufbau des Sozialismus in jedem Land, gekrönt von einer assoziierten Föderation "sozialistischer" Staaten (Kautsky).
  • Die Organisation wurde als eine Organisation des "demokratischen" Volkes betrachtet; ihre Aufgabe war es, das Volk durch Wahlen hinter das sozialistische Programm zu sammeln.

16. Die Übergangsmerkmale dieser historischen Periode verfälschten das Verhältnis zwischen Partei und Klasse:

  • Die Rolle der Revolutionäre schien es zu sein, die Führung im Sinne eines Generalstabs zu bilden. Die Haupttugend der Klasse schien es zu sein, sich militärisch gedrillt den Führern zu unterwerfen. Wie jede Armee konnte sie nicht ohne "Häuptlinge" existieren, an die die Erfüllung ihrer Ziele (Substitutionismus) und selbst ihre Kampfmethoden (Gewerkschaftstum) delegiert wurde. Die Partei war die Partei des "ganzen Volkes", das für die "sozialistische Demokratie" gewon­nen werden sollte. Der Klassenfunktion der Partei ver­schwand im Sumpf des Demokratismus.  
  • Die Linke in der II. Internationalen und in der frühen III. Internationalen bekämpfte diese Degeneration der Parteifunktion. Daß die KI (Kommunistische Internationale)gewisse Auffassungen der alten, bankrot­ten Internationalen übernommen hatte (Massenparteien, Einheitsfront, Substitutionismus usw.), ist eine Realität, die nicht als Beispiel für die Revolutionäre dienen darf. Der Bruch mit diesen Deformationen in der Funktion der Organisation ist eine vitale Notwendigkeit, die von der historischen Epoche der Dekadenz erzwungen wird.  

17. Die revolutio­näre Periode nach dem Krieg bedeutete eine tiefgreifende, irreversible Änderung in der Funktion der Revolutionäre:

  • Die Organisation hat unabhängig davon, ob sie eine zahlenmäßig kleine Organisation oder eine große Partei ist, nicht mehr die Aufgabe, die Klasse und damit auch die Revolution vorzubereiten und zu organisieren, die die Tat der gesamten Klasse ist.  
  • Sie ist weder die Erzieherin noch ein Generalstab, der die Militanten der Klasse vorbereitet und anführt. Die Klasse erzieht sich selbst im revolutio­nären Kampf, und die "Erzieher" selbst müssen von der Klasse lernen.
  • Sie erkennt keine Partikulargruppen (Ju­gend, Frauen, Mitglieder von Kooperativen usw.) mehr an.

18. Die revolutionäre Organisation hat also einen unmittelbar einheitlichen Charakter, obwohl sie nicht die Ein­heitsorganisation der Klasse, die Arbeiterräte, ist. Sie ist eine Einheit innerhalb einer größeren Einheit - das Weltproletariat, das sie her­vorgebracht hat:

  • Sie entsteht nicht mehr auf nationaler Ebene, sondern auf Weltebene, als eine Totalität, die ihre verschie­denen "nationalen" Filialen ausscheidet.
  • Ihr Programm ist in allen Ländern das gleiche, im Osten wie im Westen, in der entwickelten wie in der unterent­wickelten Welt. Die heute bestehenden "nationalen" Be­sonderheiten, die aus der Ungleichheit der kapitalisti­schen Entwicklung und dem Fortbe­stand vorkapitalistischer Anachronismen herrühren , dürfen auf keinen Fall zur Ablehnung eines einheitlichen Programms führen. Das Programm ist weltweit gültig, oder es ist nichts.

19. Die Reifung der objektiven Bedingungen für die Revolu­tion (Konzentration des Proletariats, größere Homogenität im Bewußtsein einer Klasse, die einheitlicher sowie qualifizierter ist und über einen höheren Bildungs­stand und sowie eine größere Reife als die Arbeiter in den früheren Jahrhunderten  verfügt) hat die Form und die Ziele der Organisation der Revolutionäre grundlegend verändert:
a) in ihrer Form:  

  • Sie ist eine begrenztere Minderheit als in der Vergan­genheit, aber bewußter, ausgesuchter aufgrund ihres Pro­gramms und ihrer politischen Aktivitäten.  
  • Sie ist unpersönlicher als im 19. Jahrhundert und tritt nicht mehr als eine Organi­sation von Führern auf, die die Masse der Militanten dirigieren. Die Zeit der illustren Führer und großen Theoretiker ist vorbei. Die theoretische Weiterentwicklung ist zu einer wahrhaft kollektiven Aufgabe geworden. Nach dem Bilde von Millionen "anonymer" proletarischer Kämp­fer entwickelt sich das Bewußtsein der Organisation durch die Integration und Überflügelung des individuellen Bewußtseins in einem einzigen, kollektiven Bewußtsein.
  • Sie ist in ihrer Funktionsweise zentralisierter, im Gegensatz zur I. und II. Internationalen, die weitgehend nichts anderes waren als ein Nebeneinander von nationalen Sektionen. In einer historischen Epoche, in der die Revolution nur auf Weltebene stattfinden kann, ist sie der Ausdruck einer weltweiten Tendenz zur Umgruppierung der Revolutionäre. Im Gegensatz zur degenerierenden Auffassung der Kom­munistischen Internationalen nach 1921 bedeutet diese Zentralisierung nicht die Aufsaugung der weltweiten Aktivitäten der Revolutio­näre durch eine besondere nationale Partei. Die Selbst-Regulierung der Aktivitäten eines einzigen Organismus  existiert in einer Reihe von Ländern, ohne daß dabei ein Teil die anderen Teile dominiert. Die Vorherrschaft des Ganzen über die Teile bedingt das Leben eben dieser Teile.

b) in ihrer Vorgehensweise:  

  • In der historischen Phase der Kriege und Revolutionen entdeckt sie ihre wahre Bestimmung: für den Kommunismus nicht mehr mithilfe simpler Propaganda für ein langfristiges Ziel zu kämpfen, sondern durch ihr direktes Einbringen in den großen Kampf für die Weltrevolution.  
  • Wie die Russische Revolution bewies, existieren Revolutionäre nur durch die und in der Klasse, von der sie keine Rechte oder Privilegien zu erwarten haben. Sie setzen sich nicht selbst an die Stelle der Klasse; weder erlangen sie noch üben sie die Macht zu ihrem Gunsten aus.  
  • Ihre Rolle besteht hauptsächlich darin, in allen Kämp­fen der Klasse zu intervenieren und ihre unersetzliche Funktion bis nach der Revolution zu erfüllen - die Reifung des proletarischen Bewußtseins zu katalysieren.

20. Der Triumph der Konterrevolution und die totalitäre Herrschaft des Staates erschwerten die Existenz der revolutio­nären Organisationen und begrenzten die Reichweite ihrer Interventionen. In diesem Zeitraum des breiten Rückzugs erlangte ihre theoretische Funktion die Oberhand über ihre Interventionsfunktion und erwies sich als überlebenswichtig für die Bewahrung der revolutionären Prinzi­pien. Der Zeitraum der Konterrevolution hat gezeigt:

  • daß die revolutionäre Organisation in Gestalt kleiner Zirkel, Kerne, winziger oder unbedeutender Minderheiten, die isoliert von der Klasse sind, sich nur weiterentwickeln kann, wenn ein neuer historischer Kurs zur Revolution eröffnet wird;
  • daß die "Rekrutierung" um jeden Preis zu einem Verlust der Funktion der Organisation führt, indem Prinzipien der Schimäre der Mitgliederzahlen geopfert werden. Jene, die eintreten, müssen dies freiwillig in bewußter Übereinstimmung mit einem Programm tun;
  • daß die Existenz der Organisation nur durch ein verbindliches und kraftvolles Bekenntnis zum marxistischen theoretischen Rahmen gewährleistet werden kann. Was sie an Quantität verliert, gewinnt sie an Qualität durch eine strenge theoretische, politische und militante Auswahl;  
  • daß sie mehr als in der Vergangenheit das Zentrum des Wi­derstandes der schwachen proletarischen Kräfte gegen den gigantischen Druck eines Kapitalismus ist, der durch die 50 Jahre der konterrevolutionären Herrschaft gestärkt ist.

Obgleich die Organisation nicht für sich selbst existiert, ist es äußerst wichtig, die Organisation zu bewahren, die von der Klasse hervorgebracht wurde, sie zu stärken und auf eine Umgruppierung der Revolutionäre auf Weltebene hinzuarbeiten.  
21. Das Ende der Konterrevolution hat die Existenzbedingungen der revolutionären Gruppierungen ver­ändert. Eine neue Zeit brach an, die die Umgruppierung der Revolutionäre begünstigte. Dennoch ist diese neue Periode immer noch eine Zwischenphase, in der die notwendigen Be­dingungen für die Entstehung der Partei noch nicht aus­reichend vorhanden sind - wozu es einen realen Qualitätssprungs bedarf.
Deshalb werden sich noch eine ganze Zeit lang revolu­tionäre Gruppen entwickeln, die durch die Konfrontation der Ideen, durch gemeinsame Aktionen und schließlich durch ihren Zusammenschluß die Tendenz zur Gründung der Weltpartei manifstieren werden. Die Verwirklichung die­ser Tendenz hängt sowohl von der Eröffnung des Kurses zur Revolution als auch von dem Bewußtsein der Revolu­tionäre selbst ab.
Auch wenn seit 1968 ein gewisses Niveau erreicht wurde, auch wenn es eine Auslese innerhalb des revolutionären Milieus gegeben hat, sollte angesichts der langsamen Entwicklung des Klassenkampfes und des immer noch unreifen Charakters des revolutionären Milieus klar sein, daß die Entstehung der Partei weder ein Automatismus noch reine Willenssache ist.
22. In der Tat erwies sich das revolutionäre Milieu nach dem historischen Wiedererstarken des Proletariats 1968 als zu schwach und unreif, um mit der neuen Periode umzugehen. Das Verschwinden oder die Verknöcherung der alten Kommunistischen Linken, die während der gesamten Konterrevolution gegen den Strom gekämpft hatten, war ein negativer Fak­tor bei der Reifung neuer revolutionärer Organisationen. Mehr noch als die theoretischen Errungenschaften der Kommunistischen Linken, die langsam wieder entdeckt und aufge­griffen wurden, mangelte es an den organisatori­schen Errungenschaften (organische Kontinuität). Doch ohne diese Errungenschaften bleibt die Theorie fruchtlos. Die Funktion der Organisation, ja ihre Notwendigkeit an sich, wurde oft nicht verstanden, wenn nicht gar der Lächerlichkeit preisgegeben.
23. Mangels dieser organischen Kontinuität waren die Elemente, die nach 1968 auftauchten, dem vernichtenden Druck der Studentenbewegung und ihrer alles in Frage stellenden Haltung ausgesetzt  ausgesetzt, und zwar in Gestalt:

  • von individualistischen Theorien des All­tagslebens und der Selbstverwirklichung,  
  • des Akademismus der Studienkreise, in denen die marxistische Theo­rie entweder als "Wissenschaft" oder als "persönliche Ethik" aufgefaßt wird,
  • von Aktivismus/Immediatismus, wo der Ouvrierismus nur dünn die Unterwerfung unter dem Druck der Linksextremisten verdeckte.

Der Zerfall der Studentenbewegung, ihre Desillusionierung angesichts des langsamen, ungleichen Tempos des Klassenkampfes wurden in Gestalt des Modernismus theoretisiert. Die reale revolutionäre Bewegung jedoch hat sich dieser unverbindlichsten und unseriösesten Elemente entledigt, war doch für diese die militante Arbeit entweder eine mönchische Tätigkeit oder die höchste Stufe der Entfremdung.
24. Trotz der vor allem seit den Massenstreiks in Polen erdrückenden Beweise, daß die Krise einen Kurs zu im­mer größeren Klassenauseinandersetzungen einleitet, haben sich revolutionäre Organisationen, die IKS eingeschlos­sen, nicht von einer weiteren Gefahr befreien können, die nicht weniger tückisch ist als der Modernismus und Akademismus: der Immediatismus, dessen zwei Erscheinungsweisen der Di­lettantismus und der Individualismus sind. Die revolutionäre Organisation muß in der Lage sein, sich diesen Geißeln heute zu widersetzen, um sie schließlich endgültig zu liquidieren.
25. Die IKS hat in den letzten Jahren unter den katastrophalen Auswirkungen des Immediatismus leiden müssen, der typischsten Form der kleinbürgerlichen Ungeduld, der finalen Inkarnation des konfusen Geistes des Mai '68. Die auffallendsten Formen dieses Immediatismus waren:

  • der Aktivismus, der in den Interventionen in Erscheinung tritt und in der voluntaristischen Auffassung des "Rekrutierens" theoretisiert wird. Es war vergessen worden, daß die Organisation nicht willkürlich entwickelt werden kann, sondern organisch, durch eine strenge Auswahl auf Grundlage der Plattform. Die "numerische" Weiterentwicklung ist nicht die Frucht des bloßen Willens, sondern der Reifung der Klasse und der Elemente, die sie hervorbringt.
  • der Lokalismus, der in besonderen Interventionen an die Oberfläche kommt. Einige Genossen der IKS präsentierten "ihre" lo­kale Sektion, als sei sie ihr persönlicher Besitz, als sei sie eine autonome Einheit, obwohl jede lokale Sektion nur Teil eines Ganzen sein kann. Die Notwendigkeit für eine internationale Organisation wurde gar geleugnet und lächerlich gemacht, manche betrachteten sie nur als "Bluff" oder bestenfalls als eine Reihe von vagen "Verknüpfungen" zwischen den Sektionen.  
  • der Ökonomismus, den Lenin einst bekämpft hatte und der in der Neigung zum Ausdruck kommt, jeden Streik für sich selbst zu betrachten statt im Rahmen des weltweiten Klassenkampfes. Oft wurde die politische Funktion unserer Organisation in den Hinter­grund gedrängt. Wenn Revolutionäre als "Wasserträger" oder "Techniker" des Kampfes im Dienste der Arbeiter betrachtet werden, enden sie in der materiellen Vorbereitung des künftigen Kampfes.
  • das Mitläufertum, die finale Verkörperung dieser Mißverständnisse über die Rolle und Funktion der Organisation, welche die Form der Tendenz annahm, den Streiks einfach zu folgen, ohne selbst Farbe zu bekennen. Man schreckte davor zurück, klar und kompromißlos alle versteckten Formen des Gewerkschaftstums anzuprangern. Prinzipien wurden beiseitegeschoben, um an der Bewegung dran zu bleiben und ein sofortiges Echo zu suchen - alles, um koste-es-was-es-wolle von der Klasse anerkannt zu werden.
  • der Ouvrierismus, die finale Synthese dieser Verirrungen. Wie bei den Linksextremisten kultivierten einige Elemente die gröbste Art von Demagogie über "Arbeiter" und "Intellektuelle", über die "Führung" und die "Basis" innerhalb der Organisation.

Der Austritt einer gewissen Anzahl von Genossen beweist, daß der Immediatismus eine sehr ernste Krankheit ist und daß er zwangsläufig zur Verleugnung der politi­schen Funktion der Organisation, ihrer theoretischen und programmatischen Grundlage führt.  
26. All diese typisch linksextremistischen Abweichungen sind nicht auf die theoretischen Unzulänglichkeiten der Plattform der Organisation zurückzuführen. Sie drücken eine lückenhafte Assimilierung unseres theoretischen Rahmens und insbesondere der Theorie der Dekadenz des Kapitalismus aus, die die Formen der Aktivitäten und Interventionen von Grund auf ändert, welche für die revolutionären Organisation zugänglich sind.
27. Daher muß sich die IKS vehement jeglichem Verzicht auf den programmatischen Rahmen widersetzen, weil dies nur zum Immediatismus in der politischen Analyse führen kann. Sie muß entschlossen kämpfen:

  • gegen den Empirismus, dessen Fixierung auf die unmittelbaren Ereignisse und Phänomene unausweichlich zur altbekannten Auffassung der "besonderen Fälle" führt, eine unendliche Quelle des Opportunismus;  
  • gegen alle Neigungen zur Oberflächlichkeit, die die Form des Routinismus oder der intellektuellen Lässigkeit annehmen;  
  • gegen ein bestimmtes Mißtrauen oder Zaudern gegen­über der theoretischen Arbeit. Die "graue Theorie" darf nicht nicht den "rosigen" Farben der Intervention gegenübergestellt werden. Die Theorie darf nicht als etwas angesehen werden, das den Marxismus-Experten vorbehalten ist. Sie ist das Ergebnis eines kollektiven Denkprozesses und der Teilnahme aller an diesem Nachdenken.

28. Um die theoretischen und organisatorischen Errun­genschaften zu bewahren, müssen wir die Reste des Dilettantismus liquidieren, jene infantile Form des Individua­lismus:

  • das unsystematische Arbeiten, ohne Methode und kurzfristig;
  • das individuelle Arbeiten, Ausdruck des handwerklichen Di­lettantismus;
  • die politische verantwortungslose Gründung verfrühter oder willkürlicher Tendenzen;  
  • die Resignation oder die Flucht vor der Verantwortung.  

Die Organisation steht nicht im Dienst der Militanten in deren Alltagsleben; im Gegenteil, die Militanten führen einen täglichen Kampf, um sich in die umfassende Arbeit der Organisation einzubringen.
29. Ein klares Verständnis der Funktion der Organisation in der Epoche der Dekadenz ist die notwendige Vorbedin­gung für unsere eigene Weiterentwicklung in der entscheidenden Phase der 80er Jahre. Obgleich die Revolution keine Fra­ge der Organisation ist, muß sie Organisationsfragen lö­sen, mangelndes Verständnis ausräumen, damit die Minderheit der Revolutionäre als Organismus der Klasse funktio­nieren kann.
30. Die Existenz der IKS kann nur durch eine Wiederaneignung der marxistischen Methode gewährleistet werden, die ihren sichersten Kompaß für das Verständnis der Ereignisse und ihrer Interven­tionen darstellt. Die gesamte Arbeit der Organisation kann nur auf langfristiger Basis gesehen und entwickelt werden.  Ohne Methode, ohne kollektiven Geist, ohne die ständigen Bemühungen aller Militanten, ohne eine beharrliche Haltung, die jegliche immediatistische Ungeduld ausschließt, kann es keine wirkliche revolutionäre Organisation geben. Mit der IKS hat das Weltproletariat ein Organ geschaffen, dessen Existenz ein notwendiger Faktor in den zukünftigen Kämpfe ist.
31. Im Gegensatz zum vergangenen Jahrhundert gestaltet sich heute die Aufgabe der revolutionären Organisationen viel schwieriger. Sie erfordert mehr von jedem ihrer Mitglieder; sie lei­det noch immer unter den letzten Auswirkungen der Konterrevo­lution und den Nachwirkungen eines Klassenkampfes, der noch immer von Fortschritten und Rückschlägen gekennzeichnet ist.
Obgleich sie nicht mehr unter der erdrückenden, zer­störerischen Atmosphäre der langen Nacht der Konterrevolution leidet, obgleich sie ihre Aktivitäten in einer Periode durchführt, die den Klassenkampf und den Ausbruch von Massenbewegungen auf Weltebene begünstigt, muß die Organisation wissen, wie man sich geordnet zurückzieht, falls es einen zeitweiligen Rückschlag in der Klassenbewegung gibt.
 Daher muß die revolutionäre Organisation bis zur Revolution wissen, wie sie gegen die Wogen der Unsicherheit und Demoralisierung kämpfen muß, die über die Klasse fluten. Die wichtigste Aufgabe ist die Verteidigung der Integrität der Organisation, ihrer Prinzipien und ihrer Funktion. Lernen, wie man Widerstand leistet, ohne Schwäche, ohne sich in sich selbst zurückzuziehen - dies ist der Weg, auf den die Revolutionäre die Bedingungen für den künftigen Triumph vorbereiten können. Dies erfordert einen erbitterten Kampf gegen immediatistische Verirrungen, so daß die revolutionäre Theorie die Massen ergreifen kann.
Indem die Reste des Dilettantismus über Bord geworfen und die lebendigen Traditionen des Marxismus wiederangeeignet werden, die von der Kommunistischen Linken bewahrt und bereichert wurden, wird die Organisation in der Praxis demonstrieren, daß sie ein unersetzliches Instrument für das Proletariat ist, damit dieses seinen geschichtlichen Aufgaben gewachsen ist.

 

A N H A N G

In Zeiten generalisierter Kämpfe und revolutionärer Bewegungen haben die Aktivitäten der Revolutionäre einen direkten, gar entscheidenden Einfluß:
weil die Arbeiterklasse ihrem Todfeind dann die Stirn bieten muß. Entweder sie setzt ihre Perspektive durch oder sie macht den Weg frei für Mystifikationen und Provokationen und läßt es zu, von der Bourgeoisie vernichtet zu werden;
weil die Klasse in ihren Versammlungen und Räten der Sabotage und Untergrabung ausgesetzt ist, ausgeführt von den Agenten der Bourgeoisie, die alle verfügbaren Mittel nutzen, um den Kampf zu verlangsamen und in eine andere Richtung zu lenken.  
Die Anwesenheit von Revolutionären, die klare Orientierungen für die Bewegung vorstellen und den Prozeß der Homogenisierung des Klassenbewußtseins beschleunigen müssen, kann dann ein entscheidender Faktor sein, der das Gleichgewicht in die eine oder andere Richtung kippt, wie  in der deutschen und russischen Revolution deutlich wurde. Insbesondere müssen wir uns die fundamentale Rolle in Erinnerung rufen, die auf diesem Gebiet von den Bolschewiki gespielt wurde, wie Lenin sie in seinen Aprilthesen definierte:
“Anerkennung der Tatsache, daß unsere Partei in den meisten Sowjets der Arbeiterdeputierten in der Minderheit, vorläufig sogar in einer schwachen Minderheit ist gegenüber dem Block aller kleinbürgerlichen opportunistischen Elemente, die dem Einfluß der Bourgeoisie erlegen sind und diesen Einfluß in das Proletariat hineintragen (...) Aufklärung der Massen darüber, daß die Sowjets der Arbeiterdeputierten die einzig mögliche Form der revolutionären Regierung sind und daß daher unsere Aufgabe, solange sich diese Regierung von der Bourgeoisie beeinflussen lässt, nur in geduldiger, systematischer, Beharrlichkeit, besonders den praktischen Bedürfnissen der Massen angepaßter Aufklärung über die Fehler ihrer Kritik bestehen kann" (Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution, These Nr. 4).
Ab heute stellen die Existenz der IKS und die Verwirklichung ihrer gegenwärtigen Aufgaben eine unverzichtbare Vorbereitung dar, um den künftigen Aufgaben gewachsen zu sein. Die Fähigkeit der Revolutionäre, ihre Rolle in Zeiten generalisierter Kämpfe auszuüben, hängt von ihrer gegenwärtigen Aktivität ab.
1) Diese Fähigkeit entsteht nicht spontan, sondern ent­wickelt sich in einem Prozeß der politischen und organisatorischen Ausbildung. Kohärente und klar formulier­te Positionen sowie die organisatorischen Fähigkeiten, um sie verteidigen, zu verbreiten und zu vertiefen, fallen nicht vom Himmel, sondern müssen unverzüglich vorbereitet werden. So lehrt uns die Geschichte, wie die Fähigkeit der Bolschewiki, ihre Position weiterzuentwickeln, indem sie die Erfahrungen der Klasse n(von 1905 bis zum Krieg) berücksichtigten, und ihre Organisation zu stärken, es ihnen im Gegensatz zu den Revolutionären in Deutschland beispielsweise er­möglichte, eine entscheidende Rolle in den revolutio­nären Schlachten der Klasse zu spielen.
In diesem Rahmen muß eines der Hauptziele für eine kommunistische Gruppe sein, über das handwerkliche Niveau der Aktivität und Organisation hinauszugehen, das im allgemeinen die anfängliche Phase des politischen Kampfes auszeichnet. Die Weiterentwicklung, die Systematisierung, die regelmäßige Erfüllung ihrer Interventionsaufgaben, der Publikationsarbeit, des Vertriebs, der Diskussionen und Korrespondenz mit nahestehenden Elementen müssen im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen. Dies beinhaltet eine Weiterentwicklung der Organisation durch Funktionsregeln und spezifische Organe, die es der Organisation ermöglichen, nicht als eine Summe zerstreuter Zellen zu handeln, sondern als ein einziger Organismus mit einem ausgeglichenen Stoffwechsel.
2) Heute stellt die Organisation der Revolutionäre einen kohärenten, internationalen politi­schen Umgruppierungspol für die politischen Grup­pen, Diskussionszirkel und Arbeitergrup­pen dar, die mit der Weiterentwicklung der Kämpfe überall in der Welt entstehen. Die Existenz einer internationalen kommunistischen Organisation mit einer Presse und einer Intervention ermöglicht es diesen Gruppen, durch die Konfrontation der Positionen und Erfahrungen sich selbst besser einzuschät­zen, die revolutionäre Kohärenz ihrer Positionen zu ver­stärken und gegebenenfalls der internationalen kommunistischen Organisation beizutreten. Fehlt solch ein Pol, ist es weitaus wahrscheinlicher, daß solche Gruppen der Zersplitterung anheimfallen, entmutigt werden und degenerieren  (z.B. durch Lokalismus, Aktivismus, Korporatismus usw.). Mit der Weiterentwicklung der Kämpfe und dem Nahen einer Periode revolutionärer Zusammenstöße wird dieser Pol noch an Bedeutung gegenüber den Elementen gewinnen, die direkt aus den Klassenkämpfen hervorgehen.
Mehr und mehr wird die Arbeiterklasse dazu gezwungen, ihrem Todfeind entgegenzutreten. Selbst wenn der Umsturz der bürgerlichen Macht nicht sofort verwirklicht werden kann, werden die Schocks gewalttätig und entscheidend für den weiteren Verlauf des Klassenkampfes sein.  Deshalb müssen die Revolutionäre sofort, mit welchen Mitteln auch immer, in den Kämpfen inter­venieren:
um die Arbeiterkämpfe soweit wie möglich nach vom zu drängen, damit das gesamte Potential ausgeschöpft werden kann,
um sicherzustellen, daß soviel Fragen wie möglich gestellt, daß soviel Lehren wie möglich im Rahmen der allgemeinen politischen Perspektiven gezogen werden.  

IKS Januar 1982 (Erstveröffentlichung in Internationale Revue Nr. 9, engl. Ausgabe: International Review Nr. 29, Frühjahr 1982)

Theoretische Fragen: 

  • Partei und Fraktion [1]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die revolutionäre Organisation [2]

Über die Partei und ihre Beziehung zur Klasse

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1. Die Frage der kommunistischen Partei und ihres Verhältnisses zur Klasse muß in den Kontext unserer Grundtexte über die Funktion der Organisation der Revolutionäre gestellt werden. (1)
2. Die kommunistische Partei ist ein Teil der Klasse - ein Organismus, den die Klasse in ihrer Bewegung hervorbringt und entwickelt, um den historischen Kampf der Klasse bis zu ihrem Triumph voranzutreiben, d.h. die radikale Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Gründung einer Gesellschaft, die die Vereinigung der menschlichen Gemeinschaft verwirklicht: einer für alle und alle für einen.
3. Entgegen der von Lenin in "Was Tun?" vertretenen Auffassung, der Vorstellung einer "Partei im Dienste der Klasse", und im Gegensatz zu den stupiden Ka­rikaturen des "Leninismus", die von den verschiedenen Tenden­zen des Bordigisnus verfochten werden, welche behaupten,  daß die Partei die Klasse gründet, schließen wir uns R. Luxemburg an, die meinte, daß die Partei selbst ein Produkt der Klasse ist, in dem Sinne, daß die Gründung der Partei der Ausdruck des Bewußtwerdungsprozesses durch den Kampf ist: Sie manifestiert den Bewußtseinsgrad, den die Klasse erreicht hat. Diese Formulierung hat nichts ge­meinsam mit einer anderen Auffassung, die von jener Art von kopfstehendem Bordigismus vertreten wird, welche in den 70er Jahren ihre höchste Vollendung in der Zeitschrift INVARIANZ fand und sagte: "Die Klasse ist die Partei". Solch eine grob vereinfachende Auffassung ersetzt das Ganze, die Einheit des Ganzen und seiner realen Bewegung durch eine bloße Gleich­setzung dieser Elemente und ignoriert die Unterschiede, die existieren, die dialektischen Verknüpfungen in der Einheit, deren integrale Be­standteile sie sind.
4. Diese "gleichmacherische" Auffassung macht es unmöglich, die Rolle zu ver­stehen, die die verschiedenen Elemente spielen, die aus ihr hervorgehen. Sie sieht keine Bewegung: Sie ist statisch und nicht dynamisch. Sie ist grundsätzlich ahistorisch. Sie stimmt mit der idealistischen, moralistischen Auffassung der Modernisten überein, jenen modernen Epigonen des degene­rierten Rätekommunismus, die in den alten Gegensatz von Schwarz und Weiß, von Gut und Böse zurückgefallen sind - und für die jede politische Organisation inner­halb der Klasse per Definition ein absolutes Übel ist.
5. Die Hauptschwäche des Rätekommunismus der hollän­dischen Linken, die unter dem Einfluß Pannekoeks stan­d, besteht darin, den politischen Strömungen und Grup­pen, die in der Klasse auftauchen, eine rein erzieheri­sche, pädagogische Funktion zuzuschreiben. Er ignoriert ihre politische Rolle als integraler, militanter Bestandteil des Proletariats, deren Aufgabe innerhalb der Klasse es ist, kohärente Positionen zu entwickeln und zu vertreten, die sich in einem kommunistischen Programm kristallisieren, und angesichts derer sie sich auf organisierte Weise  organisieren. In­dem er ihnen allein die Rolle eines Erziehers und nicht die des Vertreters des kommunistischen Programms zuschreibt, werden Pannekoeks rätekommunistische Organisationen zu "Beratern" der Klasse. Damit schließt er sich Lenins Sichtweise einer Organisation im Dienst der Klasse an. Beide Auffassungen enden in der Negierung der Idee, daß die Partei ein Teil der Klasse, einer der aktiven Organismen ist, die von der Klasse erzeugt werden.
6. Die politische Gesellschaft ist die vereinigte soziale Welt der Menschheit, die sich selbst verloren hat, indem sie sich in Klassen gespalten hat - ein Verlust, den die Menschheit in Gestalt des Proletariats auf schmerzvolle Weise zu überwinden trachtet. In diesem Sinne nimmt der Kampf des Proletariats zwangsläufig einen politischen Charakter an (insofern, als dies noch der Kampf einer Klasse ist).
Im Grunde ist der Kampf des Proletariats prinzipell ein im vollen Sinne des Wor­tes gesellschaftlicher Kampf. Sein Triumph beinhaltet die Auflösung aller Klassen und der Arbeiterklasse selbst in einer menschlichen Gemeinschaft, die weltweit neu gebildet werden wird. Jedoch muß diese gesellschaftliche Lösung zwangsläufig einen politischen Kampf miteinschließen, einen Kampf um die Macht über die Gesellschaft, wofür die Arbeiterklasse sich mit den notwendigen Instrumenten - revolutionäre Organisationen, politische Parteien - versorgen muß.
7. Die Bildung politischer Parteien, die Klasseninteres­sen widerspiegeln und vertreten, ist nicht typisch für das Proletariat. Wir haben dies bei allen Klassen in der Geschichte gesehen. Der Entwicklungsgrad, die Definition und die Struktur dieser Kräfte spiegeln die Klassen wider, denen sie entspringen. Sie finden ihre fortgeschrittenste Form in der kapitalistischen Gesellschaft - der letzten Klassenge­sellschaft der Geschichte -, in der die Gesellschaftsklassen ihre vollständigste Entwicklung erleben und in der die Antagonismen zwischen ihnen am deutlichsten hervortreten.
Es gibt zwar zweifellos gemeinsame Punkte zwischen den Parteien des Proletariats und der anderer Klassen - insbesondere der Bourgeoisie -, doch sind die Unterschiede zwischen ihnen beträchtlich.
Wie bei früheren historischen Klassen bestand das Ziel der Bourgeoisie, als sie ihre Herrschaft über die Gesellschaft errichtete, nicht darin, die Ausbeutung abzuschaffen, sondern sie in anderer Form fortzusetzen; nicht darin, die Spaltung der Gesellschaft in Klassen aufzuheben, sondern eine neue Klassengesellschaft zu errichten; nicht darin, den Staat zu zerstören, sondern ihn zu perfektionieren. Die Art von politischen Organismen, mit denen sich die Bourgeoisie wappnet , ihre Handlungsweisen und Interventionen in der Gesellschaft werden direkt durch diese Ziele bestimmt: Bürgerliche Parteien sind Staatsparteien, deren spezifische Rolle - als ein Ausfluß und eine Garantie für die Fortsetzung der Spaltung der Ge­sellschaft in Klassen - in der Übernahme und Ausübung der Staatsmacht besteht.
Dagegen ist das Proletariat die letzte Klasse in der Ge­schichte: Seine Machtergreifung hat zum Ziel, die Spaltung der Gesellschaft in Klassen zu überwinden und den Staat, den Ausdruck dieser Spaltungen, zu eliminieren. In diesem Sinne sind die Parteien des Proletariats keine Staatspar­teien. Sie streben nicht nach Übernahme und Aus­übung der Staatsmacht, ihr ultimatives Ziel ist im Gegenteil das Verschwinden des Staates und der Klassen.
8. Wir müssen uns vor einer mißbräuchlichen Interpretation der etwas un­glücklichen Formulierung im Kommunistischen Manifestes (die nur im politischen Kontext der Lage von 1848 verstanden werden kann) hüten, die besagt, daß "die Kommunisten keine besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien sind". Wörtlich genommen steht dieser Satz im offenen Widerspruch zur Tatsache, daß es sich hier um das Manifest einer besonderen Organisation handelte, die sich gerade "Bund der Kommunisten" nannte. Diese Formulierung ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, daß die beiden Männer,die das Manifest geschrieben hatten, ihr ganzes Leben lang Mitstreiter der allgemeinen Klassenbewegung waren. Sie waren Parteileute, Männer der politischen Tat.


Die Verbindung zwischen dem Leben der Klasse und ihren politischen Organisationen
9. Als Teil der allgemeinen Bewegung der Arbeiter­klasse, die sie hervorbringt, entfalten sich diese politischen Organismen, die Parteien, mit der Entwicklung des Klassenkampfes. Wie jeder lebendige Orga­nismus haben diese politischen Parteien des Proletariats eine Geschichte, die untrennbar mit der allgemeinen Klassenbewegung, mit ihren Höhepunkten und zeitweiligen Rückzügen verknüpft ist.
Die Geschichte der Partei läßt sich nur untersuchen, wenn man sie in den allgemeinen Zusammenhang mit den Stufen, die die Klassenbewegung durchläuft, mit den Problemen, vor denen die Arbeiterklasse steht, und mit ihren Bemühungen stellt, auf sie adäquat zu antworten, die Lehren aus den Erfahrungen zu ziehen und diese Lehren als ein Sprungbrett für die zukünftigen Kämpfe zu nutzen.
Während sie also selbst ein Faktor in der Entwicklung der Klasse sind, sind die politischen Parteien gleichzeitig ein Ausdruck des wirklichen Zu­standes der Arbeiterklasse selbst.
10. In ihrer gesamten Existenz ist die Klasse dem Gewicht der bürgerlichen Ideologie ausgesetzt gewesen, die dazu neigt, die proletarischen Parteien zu deformieren und zu korrumpieren, ihre wirkliche Funktion zu ent­stellen. Als Reaktion auf diese Tendenz sind revolutionäre Fraktionen entstanden, die das Ziel verfolgten, kommunistische Positionen zu erarbei­ten, zu klären und zu präzisieren. Dies war besonders bei der kommunistischen Linken der Fall, die aus der Dritten Internationalen hervorgingen: Jegliches Verständnis der Parteifrage beinhaltete zwangsläufig die Assimilierung der Erfahrungen und Beiträge der gesamten Internationalen kommunistischen Linken.
Es war jedoch das besondere Verdienst der italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken, die qualitativen Unterschiede in der Organisation der Revolutionäre herausgearbeitet zu haben, je nachdem ob die Periode eine Weiterentwicklung des Klassenkampfes oder Niederlage und Rückzug erlebt hat. Die italienische Fraktion der Kommunistischen Linken legte dar, welche Form die Organisation der Revolutionäre in jeder der beiden Phasen annahm: Im ersten Fall die Parteiform, eine Organisation, die einen direkten und unmittelbaren Einfluß auf den Klassenkampf ausüben konnte; im zweiten Fall eine numerisch beschränkte Organisation mit einem weitaus schwächeren Einfluß auf das unmittelbare Leben der Klasse. Diesem zweiten Organisationstyp hat sie die Bezeichnung "Fraktion" gegeben, die zwischen zwei Phasen in der Entwicklung des Klassenkampfes, d.h. zwei Momenten in der Existenz der Partei, eine Verknüpfung bildet, eine organische Brücke zwischen der vergangenen und der zukünftigen Partei.
Die italienische Fraktion hat das Unverständnis von Trotzki und desgleichen bekämpft, die glaubten, eine Partei und eine Internationale zu jedem beliebigen Zeitpunkt gründen zu können - z.B. in den 30er Jahren -,  die aber in Spaltungen und noch größerer Zersplitterung von revolutionären Elementen endeten. Sie lehnte die subtilen Theoretisierungen Bordigas ab (2), der, mit Wörter und leeren Abstraktionen jonglierend, mit Spitzfindigkeiten wie die "Invarianz des Programms" und die Unterscheidung zwischen der "historischen" Partei und der "formellen" Partei aufwartete. Gegen diese verschiedenen Abweichungen demonstrierte die italieni­sche Fraktion die Gültigkeit ihrer Thesen, indem sie sich auf ein solides Fundament stützte - auf die Er­fahrung eines Jahrhunderts der Geschichte der Arbeiter­bewegung.
11. Die reale Geschichte und nicht die Fantasie zeigt uns, daß die Klassenpartei eine zyklische Bewegung der Entstehung, der Entfal­tung und des Dahinscheidens durchläuft. Dieses Dahinscheiden kann sich in Form ihrer inneren Degeneration, ihres Übergangs zum Feindeslager oder schlicht und einfach in Gestalt ihres Verschwindens äußern, was mehr oder we­niger lange Intervalle eröffnet, bis erneut die Bedingungen für ihre Wiederentstehung heranreifen. Das trifft sowohl für den Zeitraum vor Marx - angefangen mit Babeuf bis hin zum durchschlagenden Auftritt revolutionärer Organisationen im Leben und in den Aktivitäten von Marx und Engels - als auch für die Periode nach ihrem Ableben bis heute zu. Der Bund der Kommunisten bestand nur fünf Jahre (1847-1852), die Erste Internationale neun Jahre (1864-1873), die Zweite Internationale 25 Jahre (1889-1914), die Dritte Internationale acht Jahre (1919-1927). Selbstverständlich gibt es hier eine Kontinuität: Sie sind allesamt Organismen derselben Klasse, erfolgreiche Momente in der Einheit der Klasse, die wie das Sonnensystem als ein stabiles Ganzes erscheinen kann, innerhalb dessen diese Organismen sich bewegen. Jedoch kann es keine Stabilität oder Beständigkeit in diesem Organismus geben, der sich Partei nennt.
Die bordigistische Pseudo-Theorie der "historischen Partei" und der "formellen Partei" ist in ihrem Kern eine mystische Theorie. Ihr zufolge ist die reale Partei (wie das Programm) etwas Festgelegtes, Unveränderliches, Invariantes. Diese Partei manifestiere ihre Realität in der "formellen" Partei. Doch was wird aus der "historischen" Partei, wenn die "formelle" Partei verschwindet? Sie wird unsichtbar und untätig und bleibt dennoch irgendwo fortbestehen, weil sie unsterblich ist. Dies ist eine Rückkehr zu den Themen und Problemstellungen einer idealistischen, religiösen Philosophie, die den Geist von der Materie trennt, die Seele vom Körper - dieses in ewiger Seligkeit, jenes in irdischer Mühsal existierend.
12. Keine noch so erleuchtete, voluntaristische Theorie der Spontanerzeugung oder der außergewöhnlichen Intelligenz kann das Phänomen der Entstehung und Existenz der Partei und noch weniger die Gründe für ihr periodisches Auftreten, für die Aufeinanderfolge ihrer unterschiedlichen Momente erklären. Nur eine Vorgehensweise, die die wirkliche Bewegung des Klassenkampfes berücksichtigt, der selbst von der Ent­wicklung des kapitalistischen Systems und seiner Wider­sprüche bedingt wird, kann eine gültige Antwor­t auf das Problem der Partei geben, indem diese in die Realität der Klassenbewegung eingefügt wird.
13. Die gleiche Vorgehensweise muß praktiziert werden, wenn die unterschiedlichen Funktionen der Partei in den verschiedenen Gesellschaftsstadien betrachtet werden. So wie die Philosophie im Altertum verschiedene Diszipli­nen umfaßte, erfüllt die Partei, die das Ergebnis der Klassenbewegung des Proletariats ist, anfangs eine ganze Reihe von Aufgaben innerhalb der Klasse. Insbesondere:

  • war sie der Schmelztiegel für die theoretische Ausgestaltung durch die Klasse;
  • verdeutlichte sie die in den Kämpfen der Klasse potentiell enthaltenen Endziele;
  • war sie ein aktives Organ in der Klasse, das an vorderster Front die unmittelbaren ökonomischen und politischen Interessen der Klasse verteidigte;
  • funktionierte sie als Erzieherin, dabei ihre Interventionen in der Klasse vervielfachend und diversifizierend, und führte diese Erziehung auf allen Ebenen durch ihre Presse und durch Konferenzen, die Organisierung von  Abendschulen, Arbeiteruniversitäten usw. aus;
  • führte sie die Verbreitung revolutionärer Ideen und Propaganda durch;
  • bekämpfte sie leidenschaftlich und unermüdlich die Vorurteile der bürgerlichen Ideologie, die ununterbrochen in die Köpfe der Arbeiter eindringen und die Entwicklung des Klassenbewußtseins behindern;
  • handelte sie als ein Agitator, organisierte und vervielfachte Arbeiterdemonstrationen, Treffen, Versammlungen und andere Aktionen der Klasse;
  • agierte sie als Organisator, schuf und unterstützte alle Art von Arbeiterassoziationen - kulturelle und jene zur Vertretung ihrer unmittelbaren materiellen Forderungen, wie den gegenseitigen Beistand, Produktionskooperationen, Streikfonds, finanzielle Solidarität und vor allem die Bildung von einheitlichen, permanenten Organisationen für die Vertretung der unmittelbaren Interessen der Klasse: die Gewerkschaften;
  • führte sie durch die Präsenz von Arbeiterrepräsentanten im Parlament den Kampf für politische Reformen, die im unmittelbaren Interesse der Arbeiter waren - allgemeines Wahlrecht, Wahlbeteiligung.

Vier große Schritte im Leben des Proletariats: 1848, 1870, 1914, 1917
14. Die Geschichte der letzten 140 Jahre hat vier große Umwälzungenn erlebt:

  • 1848 den Abschluß des Zyklus der antifeudalen Revolution der Bourgeoisie;
  • 1870 den preußisch-französischen Krieg, der die Bildung von großen ökonomischen und politischen Einheiten des Kapitalismus - den Nationalstaaten - abschloss und eine lange Epoche der kapitalistischen Expansion auf der gan­zen Welt einleitete -  die Epoche des Kolonialismus;
  • 1914 den Höhepunkt der imperialistischen Phase; die Zuspit­zung der Widersprüche des Systems und sein Eintritt in die Epoche des Niedergangs mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs;
  • 1917 den ersten Durchbruch gegen das Systems, was die Notwendigkeit einer Transformation der Gesellschaft offenbarte.

15. Wie reagierte das Proletariat auf diese vier Schlüsseler­eignisse?

  • 1848: Hinter der Bourgeoisie tauchte der gewaltige Schat­ten des jungen Proletariats auf (die Juni-Erhebung der Arbeiter in Paris), ein Ereignis, das sich einige Monate zu­vor durch die Gründung des Bundes der Kommunisten ange­deutet hatte. Die erste wirkliche Partei des mo­dernen Proletariats - eine Organisation, die mit dem Romantizismus der geheimen Gesellschaften brach -  kündigte die Unvermeidlichkeit des Untergangs des Kapitalismus infolge seiner unüberwindbaren inneren Widersprüche an und demonstrierte dies in einem kohärenten Programm (das Manifest). Sie definierte das Proletariat als das Subjekt der historischen Lösung der Widersprüche des Kapitalismus. Durch seine Revolution werde das Proletariat der langen Epoche der Spaltung der Menschheit in antagonistische Klassen, der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ein Ende bereiten. Jeder revolutionären Phrasendrescherei und dem Voluntarismus entgegentretend, er­kannte der Bund der Kommunisten, daß das Jahr 1852 den Sieg des Kapi­talismus über die ersten Erhebungen des Proletariats zu einer Zeit markierte, als die historischen Bedingungen für den Triumph der sozialistischen Revolution  noch nicht reif waren. Unter diesen neuen Bedingungen der Niederlage mußte der Bund zwangsläufig als aktive, zentralisierte politische Organisation verschwinden.
  • 1870: Die Militanten des Bundes lösten sich nicht in der Luft auf. Während sie auf die Reifung der Bedingungen einer neuen Welle von Arbeiterkämpfen warteten, führ­ten sie die Arbeit der theoretischen Ausgestaltung, der Assimilierung der Erfahrungen in der Klasse aus. Nach den großen gesellschaftlichen Umwälzungen von 1848 machte die Bourgeoisie große Fortschritte in ihrer Entwicklung und Expansion. Rund 15 Jahre später sehen wir ein Proletariat, das zahlreicher ist, sich in mehr Ländern verbreitet hat, reifer und entschlossen ist, machtvolle Kämpfe zu führen - nicht für die Revolution (weil die objektiven Bedingungen noch nicht reif waren), sondern für die Verteidigung seiner unmittelbaren, wirtschaftlichen Interessen. Vor diesem Hintergrund wurde 1864 auf Initiative der Arbeiter in Frankreich und Großbritannien die Erste Internationale gegründet.Diese Organisation sammelte Zehntausende von Arbeitern aller industrialisierten oder jener auf den Sprung zur Industrialisierung befindlichen Länder von Amerika bis Rußland. Die alten Militanten des Bundes der Kommunisten fanden sich natürlich in den Reihen dieser Internationalen Arbeiter­assoziation wieder, wo sie mit Marx am Steuer Positionen von höchsten Verantwortung besetzten. Überall auf der Welt wurde die Internationale zum Schlachtruf für immer mehr Arbeiter, die allerorts immer kämpferischer wurden. Bald war der Punkt erreicht, wo die Internationale zu einer Hauptsorge für alle Regierungen Europas wurde. In dieser allgemeinen Organisation der Klasse stieß die marxistische Strömung, der authentische Ausdruck des Prole­tariats, mit Bakunins anarchistischer Strömung zusammen, die die kleinbürgerliche Ideologie repräsentierte, welche noch einen beträchtlichen Einfluß unter den Ar­beitern der ersten Generation und den halbproletari­schen Handwerkern ausübte.Der deutsch-französische Krieg, die jämmerliche Niederlage des Zweiten Reiches und seines Sturzes in Frankreich, der Verrat der republikanischen Bourgeoisie, das Elend und der Hunger der Pariser Arbeiter, die von der Armee Bismarcks umzingelt waren, die Provokation der Regie­rung - alles trieb die Pariser Arbeiter in eine verfrühte bewaffnete Konfrontation, mit dem Ziel die bürgerliche Regierung davon zu jagen und die Kommune zu proklamieren. Die Niederschlagung der Kommune war un­vermeidbar. Sie demonstrierte zweifellos den Kampfgeist der Arbeiterklasse, ihre verzweifelte Entschlossenheit, das Kapital und seinen Staat anzugreifen, und sie hinterließ unschätzbare Lehren für die zukünftigen Generationen des Weltproletariats. Doch ihre Niederlage in einem riesigen Blutbad hatte eine unmittelbare und unabänderliche Konsequenz: das Verschwinden der Internationalen.
  • 1914: Der blutige Triumph des Kapitals, das Massaker an der Kommune und die nachfolgende Auflösung der Inter­nationalen sollten jahrelang ihre Wirkung zeigen und eine ganze Generation Proletarier zeichnen. Doch nach­dem die Wunden einmal geheilt waren, faßte das Proletariat langsam wieder Vertrauen in sich selbst und in seine Fähigkeiten, das Kapital zu bekämpfen. Langsam begannen die Klassenor­ganisationen der Klasse wieder Fuß zu fassen: Arbeiterhilfskassen, Gewerkschaften, politische Parteien. Letztere streb­ten danach, sich zu zentralisieren, zunächst national und dann auf internationaler Ebene, was schließlich 1889 (18 Jahre nach der Kommune) zur Gründung der Zweiten Internationalen führte, die eine strikt politische Organisation war.Aber das kapitalistische System war damals auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung auf internationaler Ebene. Es konnte ein Maximum an Profit aus einem Markt ziehen, der unbegrenzt schien. Dies war das Goldene Zeitalter des Kolonialismus, der Entwick­lung der Produktionsmittel und des relativen Mehrwerts anstelle des absoluten Mehrwerts. Der Kampf des Proletariats für Arbeitszeitverkürzung, Lohnerhöhungen und politische Reformen machte sich allgemeinhin bezahlt. Diese Entwicklung schien sich endlos fortzusetzen und führte zur Illusion, daß der Kapitalismus durch eine Reihe von Reformen allmählich in den Sozialismus umgewandelt werden könnte. Diese Illusion ist bekannt als Reformismus, eine Krankheit, die tief in die Köpfe der Arbeiter und in ihre politischen und ökonomischen Organisa­tionen (insbesondere in die ökonomischen) eindrang, das Klassenbewußtsein untergrub und die revolutionäre Mission des Proletariats überschattete.Der Triumph des Reformismus bedeutete letztendlich die Niederlage des Proletariats. Es war der Triumph der Bourgeoisie, die das Proletariat für ihre eigenen nationalistischen und patriotischen gewinnen konnte. Die Gewerkschaften und Parteiorganisationen des Proletariats wurden unwiderruflich korrumpiert und wechselten ein für allemal ins Lager des Kapitals über.
  • 1917: Eingeschläfert, narkotisiert, verraten durch den Übergang seiner Organisationen ins bürgerliche Lager, vergiftet durch den Nationalismus und Patriotismus, das von der Bourgeoisie in Extra-Dosen verabreicht wurde, wurde das Proletariat , betäubt durch das Granatfeuer, in ein Meer von Blut gestoßen, von allen Seiten von Leichen umgeben, für den Krieg mobilisiert. Drei Jahre dauerten diese Verheerungen des imperialistischen Krieges, ehe das Proletariat erwachte und sah, was wirklich geschah.1917 war die erste Explosion einer revolutionären Welle, die etliche Jahre andauern sollte. Im Verlaufe dieser Explosion wurde das Proletariat dazu veranlaßt, neue Klassenorganisationen zu bilden, die seinen neuen Aufgaben entsprachen - nicht in der Form von Gewerkschaften, die in der Epoche der Dekadenz des Kapitalismus fortan völlig ungeeignet waren, nicht durch eine Wiederbelebung der Sozialdemokratie, die ein für alle Mal ins feindliche Lager übergelaufen war, sondern durch die Schaffung einer kommunistischen Weltpartei - die Dritte Internationale -, die in der Lage war, sich der Aufgabe der Stunde stellen: einen Beitrag zur proletarischen Weltrevolution zu leisten. Die neue Partei, die neue, Kommunistische Internationale, wurde rund um die linken Fraktionen und Minderheiten gebildet, jenen, die jahrelang die reformistische Ideologie bekämpft hatten, die den Verrat der alten Sozialdemokratie angeprangert hatten, die gegen den Krieg und die Ideologie der nationalen Verteidigung gekämpft hatten, kurzum: jenen, die dem Marxismus und der proletarischen Revolution treu geblieben waren.

Die Prüfung der Konterrevolution
16. Diese erste große Welle der proletarischen Revolution scheiterte, weil sie im Verlaufe des Krieges, der nicht die günstig­ste Voraussetzung der Revolution darstellt, entstanden war, und sie scheiterte auch wegen der Unreife des Bewußtseins des Proletariats. Dies drückte sich u.a. im Überleben vieler Positionen innerhalb der neuen Internationalen aus, die von der Sozialdemokratie geerbt wurden:

  • die falschen Antworten zur Rolle der Par­tei in der Revolution und zum Verhältnis zwischen Partei und Klasse;
  • die Identifizierung der Diktatur des Proletariats mit der Diktatur der Partei;
  • die besonders gefährliche Konfusion in der Frage des Staates in der Übergangsperiode, der als "proletari­scher" oder "sozialistischer" Staat ausgerufen wurde.

Diese Fehler - zusammen mit dem Überleben des Sowjetstaates, der als "Arbeiterstaat" etikettiert wurde, den unzurei­chenden Analysen der Linksopposition über die Degeneration  dieses Staates (die Vorstellung, daß er immer noch seinen proletarischen Charakter bewahrt habe und die "Oktobererrungenschaften" behüte), die untereinander und mit den hintereinander folgenden Niederlagen des Proletariats in anderen Ländern interagierten - dienten dazu, das Kräfteverhältnis zu Gunsten der Weltbourgeoisie zu beeinflussen, was zur vernichtenden, historischen Niederlage der Klasse führte. All diese Elemente zusammengenommen führten zu Auflösung, Degeneration und Tod der bolschewistischen Partei und aller Parteien der Dritten Internationalen, die sich dem Lager der Bourgeoisie anschlossen.
Das Ausmaß der vom Proletariat erlittenen Nieder­lage stand in direkter Proportion zur Höhe der revolutionären Welle, die dieser Niederlage vorausging. Weder die große Wirtschaftskrise, die 1929 ausbrach, noch der Zweite Weltkrieg, noch die Wiederaufbauperiode nach dem Krieg erlebte irgendwelche bedeutsamen proletarischen Aufwallungen. Selbst in den wenigen Ländern, in denen der Kampfgeist der Arbeiterklasse noch ungebrochen war, weil er nicht direkt auf die Probe gestellt worden war, konnte die Klasse leicht durch die politischen Kräfte der Linken, die die besondere Aufgabe hatte, den Boden für den nächsten Weltkrieg zu bereiten, von ihrem Klassenterrain abgelenkt werden. Dies war der Fall beim Generalstreik 1936 in Frankreich und beim Aufstand des spanischen Proletariats, der schnell in einen "Bürgerkrieg" zwischen Faschismus und Antifaschis­mus umgewandelt wurde, der Generalprobe des kommenden Weltkrieges. In anderen Ländern wie Rußland, Rumänien, Polen, Deutschland, Österreich, Italien, den Balkanländem und Portugal wurde das Proletariat der furcht­barsten Repression unterworfen. Millionen von Proletarier wurden in die Gefängnisse und Konzentrationslager geworfen. Es fehlte an allen Bedingungen für eine Wiedergeburt der Klassenpartei. Nur der Voluntarismus und das totale Unverständnis für die Realität von jemanden wie Trotzki, der das Jahr 1936 als den Anfang der Revolution in Frank­reich und Spanien betrachtete und den russischen Staatskapitalismus mit dem Überleben der "Oktobererrungenschaf­ten" verwechselte, konnte dazu führen, daß Trotzki mit seinen Anhängern sich in das Abenteuer stürzten, neue, angeblich revolutionäre Parteien und eine neue Internationale zu proklamieren. Und dies, nachdem seine Strömung für einen vorübergehenden Aufenthalt zu den "sozialistischen" Parteien der erloschenen Zweiten Internationalen zurückgekehrt war.
Weit davon entfernt, eine Zeit der Annäherung zwischen den revolutionären Kräfte,  einer zusammenlaufenden, zentripetalen Bewegung zur Einheit und Bildung der Klassenpartei zu sein, war diese Periode von einer strikt zentrifugalen Bewegung geprägt. Es war eine Zeit der Zerstreu­ung, der Fragmentierung der revolutionären Gruppen: Die englische Linke war seit langem verschwun­den, die russische Linke war in den Gefängnissen Stalins physisch ausgelöscht, die deutsche Linke vollständig li­quidiert worden. Die verbleibenden revolutionären Grup­pen wurden isoliert, zogen sich zurück und verkümmerten mit jedem weiteren Jahr, das verstrich.
Der Krieg in Spanien 1936 führte zu einer strengen Auslese unter diesen Gruppen - zwischen jenen, die vom Antifaschismus eingefangen wurden, und jenen, die fest auf dem Klassenterrain verblieben: die Fraktionen der Internationalen Kommunistischen Linken, die ihr Werk der theoretischen Weiterentwicklung fortsetzten, indem sie die politischen Positionen der Kommunistischen Internationalen auf ihrem Höhepunkt einer fruchtbaren und furchtlosen Kritik unterwarfen, die auf den realen Erfahrungen der Bewegung seit 1917  beruhte.
Die Internationale Kommunistische Linke selbst wurde von den Ereignissen heftig erschüttert. Zunächst durch die Abspaltung einer Minderheit 1936, die sich für die Teilnahme am Spanienkrieg auf der Seite der an­tifaschistischen Republikaner aussprach; dann zu Beginn des Weltkrieges durch den Weggang einer Minderheit, die das "gesellschaftliche Verschwinden des Proletariats" in Kriegszeiten und somit die Unmöglichkeit jeglicher Aktivität und Aufrechterhaltung der Organisation der Fraktionen verkündete. Die dritte und endgültige Krise kam 1945 mit der Abspaltung der französischen Fraktion der Kommunistischen Linke (GCF), die sich der Entscheidung,die internationale Kommunistische Linke  aufzulösen, und der Aufnahme ihrer Mitglieder als Individuen  in einer Partei widersetzte, die in Italien proklamiert wurde - eine Partei, deren Plattform und Positionen nicht bekannt waren und von der nur bekannt war, daß sie sich um Damen und Bordiga gegründet hatte, zwei angesehene Persönlichkeiten der Italienischen Linke in den 1920er Jahren. So kam es zum traurigen Ende der italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken.


Die vier Hauptlehren aus der Geschichte eines Jahrhunderts über den Charakter und die Funktion der Partei
17. Dieser kurze Überblick der Geschichte der Arbeiter­bewegung zeigt uns:
a) daß es eine enge Verbindung zwischen der Klasse als Ganzes und der Partei als besonderen Organismus dieses Ganzen gibt. Es gibt Zeiten, in denen die Klasse ohne Partei existiert, aber die Partei kann nie ohne die Klasse existieren;
b) daß die Klasse mit reifendem Klassenbewußtsein die Partei als unverzichtbaren Organismus absondert, sodaß die Klasse in der Lage ist, ihren endgültigen Triumph zu erringen. Dieser Triumph des Proletariats wäre unmöglich, wenn es nicht die Organe entwickelt hätte, die dafür unentbehrlich sind: namentlich die allgemeinen Einheitsorgane der Klasse, die alle Arbeiter sammeln, und ihre politische Organisation, die Partei, die sich rund um ein allgemeines Programm  bildet, das sich aus Positionen zusammensetzt, die das Endziel des proletarischen Kampfes - den Kommunismus - und die Mittel zu seiner Erlangung aufzeigen;
c) daß es einen substantiellen Unterschied in der Entwicklung zwischen den allgemeinen Organisationen, die allen Arbeitern offenstehen, und der politischen Organisation, der Partei, gibt. In der aufsteigenden Phase des Kapitalismus besaß die allgemeine Organisation der Klasse, deren Aufgabe in der Vertretung ihrer unmittelbaren, ökonomischen Interessen bestand, eine permanente Existenz, auch wenn sie wichtige strukturelle Änderungen durchmachte. Dies war nicht der Fall bei der politischen Organisation, der Partei, die nur unregelmäßig, in Zeiten des wachsenden Kampfgeistes, existierte. Diese Beobachtung unterstreicht eindeutig die Tatsache, daß die Existenz der Partei stark vom Stand des Klassenkampfes abhängt. Im Falle eines ansteigenden Klassenkampfes sind die Bedingungen für die Entstehung und die Aktivitäten der Partei gegeben. In den Rückflußphasen, wenn diese Bedingungen nicht mehr erfüllt werden, neigt die Partei dazu, sich auf­zulösen. Im ersten Fall dominieren die zentripetalen Tendenzen, im zweiten die zentrifugalen.
d) Hinsichtlich dieses Punktes gilt es die wesentlichen Unterschiede des dekadenten Kapitalismus hervorzuheben. In dieser Epoche, in der die Aufrechterhaltung und Verbesserung des Lebensstandards der Arbeiterklasse nicht mehr möglich sind, kann es auch keine permanenten Organisationen mehr geben, die diese Funktion ausüben. Deshalb hat das Gewerkschaftstum jeglichen proletarischen Inhalt verloren;die Gewerkschaften können ihre permanente Existenz nur als Anhängsel des Staates aufrechterhalten, deren Aufgabe es ist, jeglichen Ausdruck des Klassenkampfes einzudämmen, zu kontrollieren und zu Fall zu bringen. In dieser Periode haben allein die wilden Streiks, die zum Massen­streik tendieren, kontrolliert und angeleitet von den Vollversammlungen, einen klaren Klasseninhalt. Daher können solche Versammlungen anfangs nicht permanent existieren. Eine allgemeine Klassenorganisation kann nur dann permanent werden, wenn die Verteidigung der unmittelbaren Interessen mit der Möglichkeit der Revolution in der revolutionären Periode zusammenfällt, d.h. in einer Periode, in der die Arbeiterräte gebildet werden. Dies ist der einzige Zeitpunkt in der Geschichte des Kapitalismus, in der die Permanenz dieser Organisation wirklich allgemeine Tatsache ist und eine Konkretisierung der wirklichen Klasseneinheit ausdrückt. Dies ist bei der politischen Par­tei nicht der Fall, die ohne weiteres schon vor diesem Kulminationspunkt entstehen kann, der sich durch die Arbeiterräte auszeichnet. Das ist deshalb möglich, weil ihre Existenz nicht durch den Endpunkt bestimmt wird, sondern schlicht durch eine Phase des ansteigenden Klassenkampfes.
e) Mit der historischen Evolution des Klassenkampfes haben sich einige Funktionen der Partei geändert. Nachfolgend zählen wir einige Beispiele auf:

  • Im Verlauf der Entwicklung des Klassenkampfes, wenn die Arbeiter Erfahrung gesammelt und ein höheres kulturelles Niveau erreicht hatten, büßt die Partei allmählich ihre Rol­le als allgemeiner Erzieher der Klasse ein.
  • Das trifft noch mehr auf ihre organisierende Rolle in der Klasse zu. Eine Arbeiterklasse wie die das britische Proletariat 1864, das dazu in der Lage war, die Initiative bei der Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation zu übernehmen, brauchte keinen Vormund, der ihm beibrachte, wie man sich organisiert. Die Vorstellung, "unters Volk zu gehen", zu den Arbeitern zu gehen, um sie zu organisieren, mag in einem rückständigen Land wie Rußland Ende des 19. Jahrhunderts sinnvoll gewesen sein, doch in industrialisierten Ländern wie Großbritannien, Frankreich, etc. verfehlte sie völlig ihr Ziel. Die Gründung der IAA 1864 war nicht das Werk irgendeiner Partei. Größtenteils existierten solche Parteien nicht, und in den seltenen Fällen, wo es sie gab, wie z.B. der Chartismus in Großbritannien oder der Blanquismus in Frankreich, waren sie im völligen Zerfall begriffen.

Die Erste Internationale entsprach einer allgemeinen Organisation viel mehr als Organisationen vom Typ des Bundes der Kommunisten, das heißt dem Typus einer Partei, strikt auf der Grundlage eines kohärenten theoretischen und politischen Programms gruppiert und ausgewählt. Weil die Erste Internationale diese Form annahm, war es möglich, daß diverse Strömungen koexistieren und sich in ihr messen konnten: der marxistische Flügel (Kollektivisten), Ouvrieristen, Proudhonisten, Anarchisten und selbst am Anfang gar so bizarre Strömungen wie die Mazzinisten. Die Internationale war ein Schmelztiegel, in dem Ideen und Strömun­gen geklärt wurden. Eine Partei jedoch ist bereits das Produkt einer Klärung. Deshalb waren die Strömungen in der Ersten Internationalen nur sehr informell. Eine einzige politische Partei im engen Sinne des Wor­tes entstand nach der Auflösung des Bundes der Kommunisten und in der Zeit der Ersten Internationalen 1868: die Eisenacher Sozialdemokratische Partei, eine marxistische Tendenz, 1868 gegründet unter der Führung Wilhelm Liebknechts und August Bebels. Erst 1878 wurde an­läßlich der Wahlen in Frankreich unter der Führung Guesdes und Lafargues unter direkter Mitwirkung von Marx, der ihre politische Plattform schrieb, die Arbeiterpartei gebildet.

Erst seit dem Beginn der 1880er Jahre wurde vor dem Hinter­grund einer sich beschleunigenden Entwicklung des Kapitalismus und des zunehmenden Klassenkampfes das Bedürfnis und die Notwendigkeit für die Bildung von Parteien für den politischen Kampf sichtbar, genau genommen für Organe, die sich von den Gewerkschaften unterschieden, deren Aufgabe es war, die unmittelbaren, ökonomischen Interessen der Arbeiter zu vertreten. In den 1880er Jahren begann überall in den Industrieländern und in den Ländern, in denen die Industrialisierung in Gang kam, ein Prozeß der Parteienbildung im Gefolge der deutschen Sozialdemokratie, die auch die Initiative für die Gründung der Zweiten Internationalen 1889 ergriff.

Die Zweite Internationale war das Ergebnis eines politischen Klärungsprozesses in der Arbeiterbewegung seit der Auflösung der Ersten Internationalen 16 Jahre zuvor und der Vereinigung der marxistischen Bewegung auf interna­tionaler Ebene. Sie proklamierte den "wissenschaftlichen Sozialismus", der 40 Jahre zu­vor von Marx und Engels im Kommunistischen Manifest formuliert worden war. Im Gegensatz zur Ersten Inter­nationalen stellte sie sich nicht mehr zur Aufgabe, Untersuchungen über die Lebensbedingungen der Arbeiter in verschiedenen Ländern durchzuführen oder eine Liste von ökonomischen Forderungen zu erstellen. Dieses Tätigkeits­feld wurde den Gewerkschaften überlassen. Dagegen definierte sie es als ihre Aufgabe, den Kampf um unmittelbare politische Forderungen aufzunehmen: allgemeines Wahlrecht, Versammlungs- und Pressefreiheit,, Teilnahme an den Wahlen, die Kämpfe für politische Reformen, gegen die Kolonialpolitik der Bourgeoisie, gegen ihre Außenpolitik , gegen den Milita­rismus usw. Gleichzeitig setzte sie ihre Arbeit der theoretischen Vertiefung und der Verteidigung der End­ziele der Bewegung, die sozialistische Revolution, fort.

Zu Recht wies Engels in den 80er Jahren in einem seiner Vorworte zum Kommunistischen Manifest darauf hin, daß die Erste In­ternationale ihren Aufgaben in der historischen Periode, in der sie entstanden war, vollkommen gerecht geworden war. Er täuschte sich allerdings, als er die übereilte Schlußfolgerung zog, daß die politische Bewegung der Klasse, die Bildung politischer Parteien in verschiedenen Ländern, solch einen Aufschwung erfahren habe, daß die Arbeiterklasse "keine internationale Organisa­tion mehr benötigt". Trotz all ihrer Unzulänglichkeiten, ihrer Fehler und trotz ihrer Durchdringung durch den Reformismus (mit den Gewerk­schaften als seine Hauptstütze), der sich letztendlich durchsetzen und den Verlust ihres proletarischen Charakters verursachen sollte, hat auch die Zweite Internationale ein überaus positives Werk in der Klasse verrichtet, eine Arbeit, die eine Errungenschaft der Bewegung bleiben wird, selbst wenn sie nur als beispielloses Terrain für die theoretische Konfrontation und Klärung in einer Reihe von Gebieten diente - als eine Arena für die Konfrontation zwischen den politischen Positionen der Linken und Bernsteins Revisionismus sowie Kautskys Zentrismus. In der Zweiten Internationalen hat die revolutionäre Linke ihre ersten Schritte gemacht und zu kämpfen gelernt.

Wenn die Modernisten und Moralisten aller Schattierungen heute mit Vergnügen eine ausschließlich negative Bilanz der Geschichte ziehen - das heißt, sofern sie überhaupt eine Ahnung von Geschichte haben -, wenn sie den Beitrag der Zweiten Internationalen zur Arbeiterbewegung abqualifizieren, so legen sie damit nur ihre völlige Unkenntnis dessen an den Tag, was eine sich in Entwicklung befindliche historische Bewegung ausmacht. Sie verstehen nicht einmal, daß sie das wenige, was sie wissen, der lebendigen Geschichte der Arbeiterklasse verdanken! Sie gießen das Kind mit dem Bade aus und sehen nicht einmal, daß ihre eigenen Ideen und "Erfindungen", die sie für originell halten, aus dem Abfalleimer der Arbeiterbewegung stammen, aus der utopischen Epoche, die schon lange vergangen ist. Selbst Bastarde haben Eltern, selbst wenn die Eltern sie nicht haben wollten!

Wie die Modernisten ignorieren auch die Bordigisten die lebendige Geschichte der Arbeiterklasse, einer Klasse in Bewegung und in der Entwicklung, mit ihren starken und schwachen Momenten. Anstatt sie zu untersuchen und sie zu begreifen, setzen sie tote Götter an deren Stelle, auf ewig unbeweglich, mumifiziert als das absolute Gute und Böse.
18. Das Wiedererwachen des Proletariats nach einem dreijährigen imperialistischen Massaker und der schändliche Verrat und Tod der Zweiten Internationalen eröffnete eine neue Periode, die es möglich machte, die Klassenpartei zu rekonstituieren. Diese neue Periode gesellschaftlicher Kämpfe, die den rapiden Zusammenbruch von Festungen, die uneinehmbar schienen, von mächtigen Reichen, Monarchien und Militärmaschinerien wie die Rußlands, Österreich-Ungarns und Deutschlands erlebte, stellte nicht einfach einen Moment in der Evolution der Arbeiterbewegung dar, sondern einen qualitativen Sprung in der Geschichte, weil sie ohne Umschweife das Problem der Revolution, der politischen Machtergreifung durch die Arbeiterklasse stellte. Zum ersten Mal in der Geschichte mußte die Arbeiterklasse und ihre erst jüngst gebildeten kommunistischen Parteien auf eine ganze Reihe von lebenswichtigen Fragen antworten, von denen jede eine Existenzfrage war. Und manchmal hatten sie keine Ahnung, was sie tun soll­ten, oder vertraten offen anachronistische oder falsche Auf­fassungen. Nur großmäulige, aufschneiderische Zwerge , die noch nie eine Revolution (nicht einmal von ferne) miterlebt haben (und die proletarische Revolu­tion ist der größte Sprung in der gesamten Geschichte der  Menschheit bis heute), können 60 Jahre später mit erhobenem Zeigefin­ger herablassend und selbstzufrieden auf die Fehler und das Umherirren dieser Giganten zeigen, die es gewagt haben, die Gipfel der kapitalistischen Welt zu erstürmen und entschlossen in den revolutionären Kampf einzutreten.
Ja, die Arbeiterklasse und vor allem die Parteien und die Kommunistische Internationale haben oft im Nebel gestochert, haben improvisiert und schwere Fehler begangen, die der Revolution im Weg gestanden haben. Doch haben sie uns unschätzbare Errungenschaften hinterlassen, eine reiche Erfahrung, die wir sorgfältig untersuchen müssen, um die Fallen zu vermeiden, in die sie liefen, um die Fehler zu vermeiden, die sie machten, und um auf der Grundlage ihrer Erfahrungen adäquatere Antworten auf die Probleme zu geben, die die Revolution stellt. Wir müssen den zeitlichen Abstand zwischen ihnen und uns nutzen, um diese Probleme, wenn auch nur teilweise,  zu lösen - ohne die Tatsache aus den Augen zu verlieren, daß die nächste Revolution neue Probleme mit sich bringen wird, die wir heute noch nicht alle voraussehen können.
19. Um auf das konkrete Problem der Partei und ihrer Funktion in der gegenwärtigen Periode und in der Revo­lution zurückzukommen, können wir eine Antwort vor allem in dem Sinne skizzieren, was eine Partei nicht ist, um dann zu begründen, was sie sein sollte.
a) Die Partei kann nicht von sich behaupten, der einzige und exklusive Träger oder Repräsentant des Klassenbe­wußtseins zu sein. Sie ist für solch ein Monopol nicht prädestiniert. Das Klassenbewußtsein wohnt der Klasse in ihrer Gesamtheit inne. Die Partei ist nur das fortgeschrittenste Organ dieses Bewußtseins und nicht mehr. Dies bedeutet nicht, daß sie unfehlbar ist oder daß sie zu bestimmten Zeit­en nicht hinter dem Bewußtsein anderer Teile oder Fraktionen der Klasse hinterherhinken kann. Die Arbeiterklasse ist nicht homogen, sie strebt danach. Das Gleiche trifft auf das Klas­senbewußtsein zu, das danach strebt, homogener zu wer­den und sich zu verallgemeinern. Aufgabe der Partei ist es - und dies ist eine ihrer Hauptfunktionen -, bewußt zur Beschleunigung  dieses Prozesses beizutragen.
b) Es ist also Aufgabe der Partei, die Klasse zu orientieren, ihre Kämpfe zu befruchten; sie ist kein Führer im Sinne einer Instanz, die für sich allein und anstelle der Klasse Entscheidungen trifft.
c) Aus diesem Grund sehen wir durchaus die Möglichkeit, daß diverse Gruppen (ob sie sich Partei nennen oder nicht, spielt keine Rolle) in der Klasse und ihren Einheitsorganen, den Arbeiterräten, entstehen können.  Die kommunistische Partei darf keinesfalls das Recht beanspruchen, solche Gruppen zu verbieten oder Druck auf sie auszuüben; sie muß alles unter­nehmen, um solchen Versuchen entgegenzutreten.
d) So wie die Klasse in ihrer Gesamtheit etliche mehr oder weniger kohärente, revolutionäre Tendenzen enthalten kann, so erkennt die Partei durchaus die Möglich­keit von Divergenzen und Tendenzen an. Die Kommunistische Par­tei wird kategorisch das Konzept einer mono­lithischen Partei ablehnen.
e) Die Partei kann mitnichten mit einem Rezeptbuch aufwarten, das auf alle Fragen, die sich im Kampf stellen, detaillierte Antworten gibt. Sie ist weder ein technisches, administratives noch ein Exekutivorgan der Klasse. Sie ist und muß ein politisches Organ bleiben. Dieses Prinzip trifft sowohl auf die Kämpfe, die der Revo­lution vorhergehen, als auch auf die Revolution selbst zu. Insbesondere ist es nicht die Rolle der Partei, der "Generalstab" des Aufstandes zu sein.
f) Die Organisations- und Handlungsdisziplin, die die Partei von ihren Mitgliedern verlangt, ist nur im Rahmen einer ständigen Freiheit der Diskussion und der Kritik innerhalb der Grenzen der Plattform der Partei realistisch. Sie darf von Mitgliedern, die ab­weichende Meinungen zu bestimmten wichtigen Positionen haben, nicht verlangen, diese Positionen nach außen darzulegen und zu verteidigen - sie kann sie nicht zwingen, entgegen ihrer Überzeugung Parteisprecher in diesen Fragen zu sei. Dies geschieht aus der Sorge heraus, die Integrität ihrer Mitglieder zu respektieren, wie auch im allgemeinen Interesse der Organisation in ihrer Gesamtheit. Die Verteidigung wich­tiger Positionen der Organisation Genossen zu übertra­gen, die nicht mit ihnen übereinstimmen, führt nur dazu, daß diese Positionen schlecht vertreten werden. Im gleichen Sinn darf die Partei nicht auf Repressionsmaßnahmen zurück­greifen, um auf ihre Mitglieder Druck auszuüben. Die Par­tei lehnt prinzipiell die Anwendung von Gewalt und Zwang oder eines  Zwangsverhältnisses innerhalb der Klasse ab.
g) Die Partei kann als solche nicht die Klasse auffordern, ihr "das Vertrauen zu schenken", ihr die Entscheidungsbefugnis zu übertragen. Die kommuni­stische Partei ist prinzipiell gegen jede Delegierung der Macht durch die Klasse an ein Organ, eine Gruppe oder Partei, die nicht der ständigen Kontrolle der Klasse unterworfen ist. Die kommunistische Partei ist für die wirkliche Praxis der gewählten, jederzeit abwählbaren Delegierten, die jederzeit den Versammlungen verantwortlich gegenüber sind, von denen sie gewählt werden; in diesem Sinne ist sie gegen die Methode der Wahllisten, die von den politischen Parteien präsentiert werden. Jegliche andere Konzeption führt zwangsläufig zu einer substitutionistischen Praxis.
Während es das Recht der Partei ist, den Rücktritt eines ihrer Mitglieder von einem Posten, einem Komitee oder gar einem Staatsorgan zu fordern, in die dieses Mitglied von einer Ver­sammlung gewählt wurde und gegenüber der es verantwort­lich ist, darf sie die Auswechslung dieses Mitgliedes durch ein anderes nicht eigenmächtig durchsetzen.
h) Schließlich hat im Unterschied zu den bürgerlichen Parteien die proletarische Partei nicht die Aufgabe, den Staat zu übernehmen oder ihn zu verwalten. Dieses Prinzip ist eng mit dem Bedürfnis für die Klasse als Gesamtheit verknüpft, ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Übergangsstaat aufrechtzuerhalten. Die Aufgabe dieses Prinzips führt unweigerlich dazu, daß die Partei ihren proletarischen Charakter verliert.
i) Aus all dem Gesagten geht hervor, daß die proletari­sche Partei in unserer Epoche keine Massenpartei sein kann. Da sie nicht die Aufgabe hat, den Staat zu leiten oder die Klasse zu organisieren, da ihre Mitglieder rund um ein Programm ausgewählt sind, das so kohärent ist wie möglich, wird sich die Partei bis zur und in der revolutionären Periode zwangsläufig in der Minderheit befinden. In diesem Sinne muß das KI-Konzept der "revolutionären Massenpartei" - das schon damals falsch und das Produkt einer längst vergangenen Epoche war - kategorisch abgelehnt werden.
20. Die IKS analysiert die Epoche, die mit dem Wiederaufleben der Arbeiterkämpfe 1968 eröffnet wurde, als eine Epoche der historischen Wiederbelebung des Klassenkampfes in Reaktion auf die offene Krise, die nach dem Ende der Wiederaufbauperiode nach dem II. Weltkrieg aufgetreten war. In Übereinstimmung mit dieser Analyse ist sie der Ansicht, daß diese Epoche die Voraussetzungen für die Rekonstituierung der Partei enthält. Jedoch sind es die Menschen, die die Geschichte machen, selbst wenn sie dies unter Bedingungen tun, die unab­hängig von ihrem Willen sind. In diesem Sinne wird die Schaffung der zukünftigen Partei das Ergebnis bewußter, wohlüberlegter Bemühungen sein, denen sich die revolutionären Gruppen schon jetzt verschreiben müssen.
Diese Bemühun­gen erfordern ein klares Verständnis sowohl der allge­meinen Charakteristiken des Prozesses, durch den die Partei gebildet wird - die in allen Perioden gültig sind -, als auch der spezifischen, historisch einmaligen Bedingungen, die für die Entstehung der zukünftigen Partei gelten.
21. Eine der Hauptbesonderheiten bei der Entstehung der zu­künftigen Partei besteht in der Tatsache, daß sie im Gegensatz zur Vergangenheit sofort auf weltweiter Ebene stattfinden wird.
Schon in der Vergangenheit bestanden die politischen Organisationen des Proletariats weltweit, strebten nach einer weltweiten Einheit. Jedoch waren die internationalen Organisationen das Ergebnis einer Umgruppierung von Formationen, die sich mehr oder weniger auf nationaler Ebene und rund um eine Formation konstituierten, die aus einem besonderen nationalen Bereich des Proletariats stammten, der eine Vorrangstellung in der gesamten Arbeiter­bewegung einnahm.
So wurde 1884 die IAA hauptsächlich rund um das englische Pro­letariat konstituiert (die Gründungskonferenz fand in Lon­don statt, wo auch bis 1872 der Sitz des Zentralrates war; und lange Zeit waren die britischen Gewerkschaften das wichtigste Aufgebot der IAA). Großbritannien war damals das höchstentwickel­te Land, der Ort, wo der Kapitalismus am stärksten und konzentriertesten war.
Ebenso wurde die Zweite Internationale hauptsächlich rund um die deutsche Sozialdemokratie gebildet, die die älteste, am weitesten entwickelte und mächtigste Partei  in Europa und auf der Welt war, was vor allem auf die beeindruckende Entwicklung des deutschen Kapitalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückzuführen war.
Schließlich war der unbestrittene Pol der Dritten Internationalen die bolsche­wistische Partei, nicht wegen der Bedeutung des Kapitalismus Rußlands (der, obgleich er der fünftgrößte Kapitalismus in der Welt war, sehr rückständig war), sondern weil das Proletariat dieses Landes aufgrund besonderer Umstände als Erster (und auch als Einziger) den kapitalistischen Staat gestürzt und die Macht in der großen revolu­tionären Welle nach dem 1. Weltkrieg übernommen hatte.
Die heutige Lage unterscheidet sich grundsätzlich von allem, was in der Vergangenheit vorgeherrscht hat. Einerseits hat die Dekadenz des Kapitalismus die Entstehung neuer Sek­toren des Weltproletariats verhindert, die einen neuen Pol für die gesamte Arbeiterbewegung hätten darstellen können (wie dies mit Deutschland im letzten Jahrhundert der Fall war).
Andererseits hat es im dekadenten Kapitalismus eine beträchtliche Angleichung der unterschiedlichen ökonomischen, sozialen und politischen Bedingungen gegeben, insbesondere in den fortgeschrittenen Ländern. Nie zuvor in der Geschichte hat es in der kapitali­stischen Welt trotz ihrer unüberwindlichen, nationalisti­schen und Blockspaltungen solch einen hohen Grad an Homogenität, an Wechselbeziehungen zwischen ihren verschiedenen Teilen gegeben - dank u.a. der Entwicklung des Welthandels und des Einsatzes moderner Kommunikationsmittel. Für die Arbeiterklasse bedeutete dies  eine beispiellose Angleichung ihrer Lebenbedingungen und, bis zu einem gewissen Umfang, ihrer politischen Erfahrungen.
Schließlich beinhalten die gegenwärtigen Umstände in der historischen Entwicklung des Klassenkampfes zur Revolu­tion (simultane Zuspitzung der Wirtschaftskrise in allen Ländern und nicht der imperialistischen Kriege wie 1917, ein beachtliches Maß an Einheit der Bourgeoisie gegenüber dem Proletariat), daß diese Entwicklung zu einem höheren Ausmaß an Simultanität, Einheit und Verallgemeinerung tendieren wird.
All diese Bedingungen bedeuten, daß die zukünftige Weltpartei nicht um diesen oder jenen nationalen Sektor des Proletariats gebildet wird, wie in der Vergangenheit, sondern ohne viel Federlesens auf weltweiter Ebene und rund um die klarsten, kohärentesten und am weitesten entwickelten politischen Positionen herum konstituiert wird.
Insbesondere aus diesem Grund ist es heute mehr noch als in der Vergangenheit unabdingbar, daß die verschie­denen Gruppen, die heute existieren, ihre Anstrengungen für eine Konstituierung dieses Pols und in erster Linie für die Klärung proletarischer, politischer Positionen mobilisieren und vereinen.
Diese wichtigen Aufgaben sind ein Hauptbestandteil bei der bewußten und willentlichen Annahme ihrer Verantwortung durch die Revolutionäre im Formierungsprozeß der künftigen Partei.
22. In Übereinstimmung mit dieser Perspektive beharrt die IKS auf der dringenden Notwendigkeit, mit der Isolierung zu brechen, in der sich die bestehenden kom­munistischen Gruppen befinden, die Tendenz zu be­kämpfen, aus den objektiven Notwendigkeiten von gestern Tugenden für heute zu machen. Solch eine Tendenz kann nur das Resultat eines sektiererischen Standpunktes sein. Unsere Aufgabe ist es, eine wirkliche internationale Diskussion unter diesen Gruppen in Gang zu bringen, mit der festen Absicht, Mißverständnisse, Verständnismängel, falsche Interpretationen auszuräumen, die auf ein Bedürfnis dieser oder jener Gruppe nach Polemik oder auf die Unkenntnis der Positionen dieser oder jener Gruppe beruhen. Dies ist der einzige Weg, um eine wirkliche Gegenüberstellung von politischen Positionen zu erreichen und einen Klärungs- und Umgruppierungsprozeß zu eröffnen.
Die IKS ignoriert nicht die gewaltigen Schwierigkeiten, denen sie begegnen wird, wenn sie mit dieser Aufgabe beginnt. Diese Schwierigkeiten sind zum großen Teil auf das Gewicht der furchtbaren Konterrevolution zurück­zuführen, der die Klasse mehr als 40 Jahre lang ausgesetzt war; eine Konterrevolution, die den linken Fraktionen, die aus der Kommunistischen Internationalen hervorgegangen waren, ein Ende bereitet und die organische Kontinuität gebrochen hat, die zwischen den verschiedenen politischen proletarischen Organisationen seit Mitte des letzten Jahrhunderts bestanden hatte. Aufgrund dieses Bruches der organischen Kontinuität wird die zukünftige Partei sich nicht auf die Weise bilden, wie die italienische Fraktion vorausgesehen hatte, nach der die Fraktion die Brücke zwischen der alten und neuen Partei bildet.
Diese Lage macht es noch unerläßlicher, den Konfrontations- und Klärungsprozeß auszuführen, der zur Umgruppierung der kommunistischen Organisationen führt. Die IKS hat versucht, zu einem solchen Prozeß durch Kontakte mit anderen Gruppen im kommunistischen Lager beizutragen; wir haben internationale Konferenzen zwischen proletarischen Gruppen vorgeschlagen und aktiv an ihnen teilgenommen. Wir müssen das Scheitern dieser ersten Anstrengung anerkennen, verursacht vor allem durch die sektiererische Spaltung der Gruppen aus der Hinterlassenschaft der Italienischen Linken, die heute trotz ihrer Anmaßung, die "historische Partei" zu sein, mehr oder weniger sklerotisch sind. Diese "Parteien" (es gibt mittlerweile um die fünf) sind zu einem unwiderruf­lichen Verfall verurteilt, wenn sie an dieser Einstel­lung festhalten.
Die IKS ist überzeugt, daß es keinen anderen Weg gibt. Es ist der Weg, der in der Geschichte der Arbeiterbewe­gung immer gesiegt hat, der Weg von Marx und Engels, von Lenin und Luxemburg, der von BILAN und der internationalen Kommunistischen Linken in den 1930er Jahren. Es ist der einzige Weg, der Aussichten auf Erfolg hat, und die IKS ist mehr denn je entschlossen, ihn zu beschreiten.
Sommer 1983

 

FUSSNOTEN:

(1) Hier seien nur stellvertretend folgende Texte erwähnt:

  • Punkt 16 unserer Plattform;
  • der Beitrag der IKS zur 2. Konferenz der Gruppen der Kommunistischen Linke, 1978;
  • Die Broschüre der IKS "Kommunistische Organisation und Klassenbewußtsein".

(2) Die irrigen Analysen, die Bordiga vor allem nach 1945 entwickelte, sollten seine eminent wichtige Rolle bei der Gründung der Kommunistischen Partei Italiens und im Kampf der Linken gegen die Degeneration der Kommunistischen Internationalen keineswegs schmä­lern. Doch die Anerkennung der Bedeutung seines Beitrages darf nicht als Rechtfertigung für diese irrigen Analysen dienen oder dazu, sie als Heilige Schrift der kommunistischen Positionen zu betrachten.


(Erstabdruck in Internationale Revue Nr. 9, engl. Ausgabe Nr. 35, 1983)
Quell-URL: https://de.internationalism.org/revue/13_parteiundklasse [3]

Theoretische Fragen: 

  • Partei und Fraktion [1]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die revolutionäre Organisation [2]

Die Organisationsauffassung der Deutsch-Holländischen Linken

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Für Diskussionsgruppen und Individuen, die heute auf der Grundlage revolutionärer Positionen auftauchen, ist es notwendig, daß ihre Arbeit die Wiederaneignung der Positionen der Kommunistischen Linken beinhaltet, einschließlich der Positionen der deutschen und holländischen Linke. Insbesondere die Letztgenannten haben häufig als erste eine ganze Reihe von grundlegenden Klassenpositionen vertreten: die Ablehnung der gewerkschaftlichen Arbeit und des Parlamentarismus, die Ablehnung der substitutionistischen Konzeption der Partei, die Anprangerung der Einheitsfrontpolitik, die Definition aller sogenannten sozialistischen Staaten als staatskapitalistische Regimes.
Jedoch reicht diese Wiederaneignung unter einem ausschließlich theoretischen Betrachtungswinkel der Klas­senpositionen nicht aus. Ohne eine klare Auffassung  von der revolutionären Organisation sind diese Gruppen und Individuen zur Unwirksamkeit verurteilt. Es reicht nicht aus, sich in Worten und rein individuell als revolutionär zu bezeichnen; man muß die Klassen­positionen organisiert und kollektiv vertreten. Die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer Organisation, die eine unverzichtbare Funktion in der Klasse hat und als kollektiver Körper handelt, ist die Vorbedingung einer jeden militanten Arbeit. Jedes Zögern oder Unverständnis der Notwendigkeit der Organi­sation wird schwer bestraft werden  und in der Auflösung politischer Kräfte münden. Das trifft insbesondere auf die "rätekommunistischen" Grup­pen zu.
Die Lehren aus der Geschichte der deutschen und hollän­dischen Linke zu ziehen bedeutet, die vitale Notwen­digkeit einer Organisation aufzuzeigen, für die die Theorie keine reine Spekulation ist, sondern eine Waffe, die die proletarischen Massen in der zukünftigen Revolution ergreifen wird.
Der Hauptbeitrag der deutschen Linken - und hauptsächlich der KAPD - bestand nicht darin, die Notwendigkeit der Partei in der Revolution anzuerkennen. Für die KAPD, die 1920 als Partei gegründet wurde, war dies selbstverständlich. Ihr fundamentaler Beitrag bestand darin, daß sie verstand, daß die Funktion als Partei in der dekadenten Periode nicht mehr dieselbe ist. Die Partei war nun nicht mehr Massenpartei, die die Klasse organisierte und sammelte - sondern eine Partei/ein Kern, die/der die aktivsten und bewußtesten proletarischen Kämpfer um sich scharte. Als ein ausgelesener Teil der Klasse mußte die Partei in den Klassenkampf und in den Organen intervenieren, die die Klasse hervorbrachte: Streikkomitees und Arbeiterräte. Die Partei war eine Partei, die für die Revolution kämp­fte und nicht mehr für die schrittweisen Refor­men durch Organe, mit denen das Proletariat nichts mehr zu tun hat (Gewerkschaften, Parlament)  - außer für deren Zerstörung zu arbeiten. Schließ­lich kann die Partei, die ein Teil der Klasse und nicht ihr Repräsentant oder ihr Chef ist, nicht die Klasse in ihrem Kampf um die Ausübung der Macht ersetzen. Die Diktatur der Klasse war die Diktatur der Arbeiterräte, nicht der Partei. Im Gegensatz zu der bordigistischen Vision erzeugte nicht die Partei die Klasse, sondern die Klasse die Partei (1). Das bedeutete  nicht - wie in der populistischen oder mensche­wistischen Auffassung -, daß die Partei  im Dienst der Klasse stünde. Sie war kein Diener, der sich passiv an allem Zögern, allen Abwegen der Klasse anpaßte. Im Gegensatz, sie mußte "durch ihr gesamtes Verhal­ten das Klassenbewußtsein des Proletariats entwickeln, selbst um den Preis eines vorübergehenden äußerlichen und scheinbaren Gegensatzes zu den breiten Massen" ("Thesen über die Rolle der Partei in der Revolution", KAPD, Pkt. 10)
Die KAPD in Deutschland und die KAPN Gorters in Holland hatten nichts gemeinsam mit der Auffassung Rühles, auf den sich heute die "Rätekommunisten" berufen. Rühle und seine Tendenz  in Dresden wurden am Ende des Jahres 1920 aus der KAPD ausgeschlossen. Die KAPD hatte nichts gemein mit den anarchistischen Tendenzen, die behaup­ten, daß jede Partei von Natur aus konterrevolutio­när sei, daß die Revolution nicht eine Partei-, sondern eine Erziehungsfrage sei. Die Auffassungen des Päda­gogen Rühle hatten nichts mit den Positionen der KAPD zu tun. Für die Letztere wurde die Partei nicht aus dem individuellen Willen eines jeden Migtlieds gebildet:  Sie „muß ein programmatisch durchge­arbeitetes, in einheitlichem Wollen zusammengeschweiß­tes, von unten her einheitlich organisiertes und diszi­pliniertes Ganzes sein." (ebenda) Die Partei spielt in der Tat eine entscheidende Rolle in der proletarischen Revolution. Weil sie in ihrem Programm und  in ihren Aktionen den bewußten Willen der Klasse kristallisierte und zusammenbündelte, war sie eine unverzichtbare Waffe der Klasse. Weil die Revolu­tion zunächst ein politischer Akt war, weil sie einen gnaden­losen Kampf gegen die bürgerlichen Tendenzen und Par­teien beinhaltete, die gegen das Proletariat in seinen Massenorganen arbeiteten, war die Partei ein politisches Kampf- und Klärungsinstrument. Diese Auffassung  hat nichts zu tun mit den substitutionistischen Parteiaufassungen. Die Partei wurde von der Klasse erzeugt  und  war folglich ein akti­ver Faktor in der allgemeinen Entwicklung des Klassen­bewußtseins.
Nach der Niederlage der Revolution  in Deutschland und der Degeneration der Revolution in Rußland traten jedoch einige Schwächen der KAPD an die Oberfläche.


VOLUNTARISMUS UND DOPPELORGANISATION
Die KAPD, die just zu dem Zeitpunkt gegründet wurde, als die Re­volution in Deutschland nach der Niederlage von 1919 den Rückzug antrat, endete bei der Idee, daß man das Schwinden des revolutionären Geistes des Proletariats durch eine putschistische Taktik kompensieren kann. Während der März-Aktion in Mitteldeutschland 1921 drängte sie die Arbeiter der Leuna-Werke (in der Nähe von Halle) gegen deren Willen zum Aufstand . Damit verdeutlichte sie ein tiefes Unverständnis der Funktion der Partei, was zu ihrer Auflösung beitrug. Die KAPD hielt noch an der Vorstellung von der Partei als "militärisches Hauptquartier" der Klasse fest, wo die Partei doch vor allem eine politische Avantgarde des gesamten Proletariats ist.
Gefangen in ihrem Voluntarismus vertrat die KAPD angesichts des Zusammenbruchs der Arbeiterräte auch die Idee einer permanenten Doppelorganisation und trug somit zur Konfusion zwischen Einheitsorganisationen der Klasse, die in und für den Kampf entstehen (Vollversammlungen, Streikkomi­tees, Arbeiterräte), und der Organisation der revolutio­nären Minderheiten bei, die in diesen Einheitsorganisa­tionen intervenieren, um deren Denken und Handeln zu befruchten. Indem sie auf die Aufrechterhaltung der "Unionen"  - Fabrikorganisationen, die in der deutschen Revolution entstanden waren und sich eng an die Partei anlehn­ten - zusammen mit der Partei drängte, vermochte sie ihre eigenen Aufgaben nicht mehr zu definie­ren: Entweder wurde sie zu einem Propagandaverband (2), zu einem simplen politischen Anhängsel der Fabrikorganisationen mit ihren stark ökonomistischen Tendenzen oder zu einer Partei leninistischen Typs mit ihrem Transmissions­riemen zur Klasse auf ökonomischer Ebene. Was in beiden Fällen darauf hinauslief, nicht mehr zu wissen, wer was ist und wer was macht (3).
Daß die falschen Auffassungen der KAPD weitgehend zu ihrem Verschwinden Ende der 1920er Jahre beigetragen haben, steht außer Zweifel. Dies sollte jenen Revolutionären heute eine Lehre sein, die, desorientiert vom Aktivismus und Immediatismus, versuchen, ihre numerische Schwäche durch die Schaffung von künstlichen, mit der "Partei" verknüpften "Arbeitergruppen" zu kompensieren. Das ist bei­spielsweise die Auffassung der Communist Workers Organi­sation und Battaglia Comunista. Es gibt jedoch einen erheblichen Unterschied: Während die KAPD sich mit Organen (den Unionen) konfrontiert sah, die willkürliche Versuche waren, die Arbeiterräte, die gerade verschwunden waren, am Leben zu halten, beruht die gegenwärtige Auf­fassung der revolutionären Organisationen, die einen opportunistischen Hang haben, auf reinen Bluff.


DIE ENTSTEHUNG DER PARTEI
Hinter den Fehlern der KAPD auf organisatorischer Ebene steckte die Schwierigkeit, den Rückfluß der revolutionären Welle nach dem Scheitern der März-Aktion zu erkennen und so die richtigen Schlüsse für ihre Aktivitäten in solch einer Lage zu ziehen.
Als eine Organisation mit direktem Ein­fluß auf das Denken und Handeln der Arbeiterklasse kann die revolutionäre Partei nur im Verlauf eines wachsenden Klassenkampfes gegründet werden. Insbesondere die Niederlage und der Rück­fluß der Revolution macht es unmöglich, eine revolutionäre Organi­sation am Leben zu halten, die ihre Funktion als Par­tei voll erfüllen möchte. Wenn solch ein Rückzug des Arbeiterkampfes länger anhält, wenn der Weg für die Bourgeoisie frei ist, um die Lage wieder in die Hand zu bekommen, wird die Partei entweder unter dem Druck der Konterrevolution degenerieren, und es werden aus ihr Fraktionen hervortreten, die die theoretische und politische Arbeit der Partei fortführen werden (wie im Falle der italienischen Fraktion). Oder die Partei wird eine Verminderung ihres Einflusses und ihrer Mitgliederzahlen erleben und  zu einer eher limitierten Organisation werden, deren wesentliche Aufgabe die Vorbereitung des theoretischen Rahmens für die nächste revolutionäre Welle ist. Die KAPD verstand nicht, daß der revolutionäre Gezeitenhub zu wachsen aufgehört hatte. Daher ihre Schwierigkeit, eine Bilanz aus der vorangegangenen Periode zu ziehen und sich auf die neue Periode einzustellen.
Diese Schwierigkeiten führten zu den falschen und inkohärenten Antworten der deutsch-holländischen Linken:

  • zur voluntaristischen Ausrufung der Geburt einer neuen Internationalen wie Gorters Kommunistische Arbeiterinternationale 1922;
  • zum Versäumnis, sich als Fraktion zu konstituieren, um sich stattdessen nach zahllosen Spaltungen zur Partei auszurufen: Der Begriff "Partei" wurde eine bloße Etikette für jede neue Abspaltung, die sich auf wenige Hundert Mitglieder beschränkte, wenn nicht sogar auf noch weniger; (4)

Dieses mangelnde Verständnis sollte dramatische Folgen haben. In der deutschen Linken sollten drei Strömungen gleichzeitig bestehen, während die Berliner KAPD immer schwächer wurde:

  • Die einen scharten sich um Rühles Theorie, derzufolge jede politische Organisation als solche schlecht ist.  Sie versanken in den Individualismus und ver­schwanden von der politischen Bühne;
  • Die anderen - insbesondere jene in der Berliner KAPD, die gegen die anarchistischen Tendenzen in den Unionen ankämpften - neigten dazu, die Arbeiterräte zu abzulehnen und nur noch die Partei zu sehen. Sie entwickelten eine "bordigistische" Vision, bevor das Wort als solches existierte; (5)
  • Schließlich gab es noch jene, die davon ausgingen, daß die Or­ganisation als Partei unmöglich sei. Die Kommunistische Arbeiter-Union (KAU), die aus einer Ab­spaltung der KAPD und den Unionen  (AAU und AAU-E) hervorging, betrachtete sich nicht wirklich als Organisation, sondern als eine lose Union diverser, dezentra­lisierter Tendenzen. Der organisatorische Zentralismus der KAPD wurde aufgegeben.

Letztgenannte Strömung, die von der 1927 gegründeten holländischen GIK (Gruppe Internationaler Kommunisten) unterstützt wurde, sollte in der holländischen Linken triumphieren.


DIE HOLLÄNDISCHE LINKE: DIE GIK UND DER SPARTACUSBOND
Das Trauma der Degeneration der Russischen Revolution und der bolschewistischen Partei hinterließ tiefe Narben. Die holländische Linke, die das theore­tische Erbe der deutschen Linken aufgriffen hatte, hat daraus nicht ihre positiven Beiträge zur Frage der Partei und Organi­sation der Revolutionäre übernommen.
Sie lehnte die substitutionistische Vision der Partei als Hauptquartier der Klasse ab, war aber nur in der Lage, die allgemeine Organisation der Klasse zu sehen: die Arbeiterräte. Die revolutionäre Organisation wurde nunmehr als bloßer "Propagandaverein" für die Arbeiterräte aufgefaßt.
Das Konzept der Partei wurde entweder verworfen oder seines Inhaltes entleert. So ging Pannekoek davon aus, daß "eine Partei jetzt eine Organisation be­deutet, die die Arbeiterklasse führen und beherrschen will" (Partei und Arbeiterklasse, 1936). Andererseits meinte er, daß "die Parteien - oder Diskussionsgruppen oder Propagandavereinigungen, egal welchen Namen man ihnen gibt - ein ganz anderes We­sen haben als die Organisation politischer Parteien, die wir aus der Vergangenheit kennen." (Die Arbeiterräte, 1946)
Von einer richtigen Idee ausgehend - nämlich daß die Organisation und die Partei im dekadenten Kapitalismus ihre Funktion ändern - , gelangten sie zu einer falschen Schluß­folgerung. Nicht nur, daß nicht mehr gesehen wurde, was die Parteiorganisation in der Epoche des aufsteigenden Kapitalismus von einer Partei in einer revolutionären Epoche unterscheidet, in einer Zeit des voll ausgereiften Klassenbewußtseins; sie gaben auch die marxisti­sche Vision der politischen Organisation als aktiven Faktor des Klassenkampfes auf.
1. Die unauflöslichen Funktionen der Organisation - Theorie und Pra­xis - wurden getrennt. Die GIK faßte sich nicht als po­litischer Körper mit einem Programm auf, sondern als eine Summe individuellen Bewußtseins, als eine Summe getrennter Aktivitäten. So rief die GIK zur Bil­dung föderaler "Arbeitsgemeinschaften" auf, weil sie Angst hatte, daß eine Organisation entstehen könnte, die durch ihr Programm und durch organisatorische Regeln vereint sein könnte.
"Es ist besser, daß revolutionäre Arbeiter in Tausen­den von kleinen Gruppierungen an der Bewußtwerdung der Klasse arbeiten, als daß ihre Tätigkeit in einer großen Organisation dem Herrschaftsstreben ihrer Führung unterworfen wird" (H. Canne-Mejer, Das Werden einer neuen Arbeiterbewegung, S. 167). Noch gefährlicher war die Definition der Organisation als eine "Meinungsgruppe": Dies öffnete die Tür zum theoretischen Ekklektizismus. Pannekoek zufolge zielte die theoretische Arbeit auf die persönliche Selbsterzie­hung, auf die "angestrengte Selbstaktivität". Aus jedem Kopf käme ein persönlicher Gedanke, ein persönliches Urteil, und "in jedem dieser Gedanken finden wir eine Portion einer mehr oder weniger größeren Wahrheit" (Die Arbeiterräte). Die marxistische Auffassung einer kollektiven Organisationsarbeit, der tatsächliche Ausgangspunkt einer "angestrengten Selbstaktivität", machte einer idealistischen Vision Platz. Der Ausgangspunkt war nun das individuelle Bewußtsein, wie bei der Philosophie Descartes. Pannekoek ging sogar soweit zu sagen, daß das Ziel nicht die Klärung in der Klasse sei, sondern "die eigene Kenntnis der Methode, um zu erkennen, was richtig und gut ist" (ebenda).
Wenn die Organisation nur eine Arbeitsgemeinschaft wäre, wo jedes Mitglied sich eine Meinung bildet, könnte sie genauso gut eine Diskussionsgruppe oder eine "Stu­diengruppe" sein, "die sich selbst die Aufgabe gibt, gesellschaftliche Ereignisse zu analysieren" (Canne-Mejer, op. cit.). Es hat sicherlich ein Bedürfnis nach "Diskussionsgruppen" gegeben, um die politische und theoretische Klärung fortzuführen. Aber dies entsprach einer frühen Entwicklungsstufe der revolutionären Bewegung im vergangenen Jahrhundert. Diese Phase, die von Sekten und getrennten Gruppen dominiert wurde, war eine Übergangsphase: Das Sektierertum und der Föderalismus dieser Gruppen, die aus der Klasse hervorgegangen waren, waren Kinderkrankheiten, die mit dem Auftauchen zentralisierter politischer Organisatio­nen verschwanden. Wie Mattick 1935 schrieb, waren die Ansichten der GiK und Pannekoeks ein Rückschritt:
"Eine föderalistische Organisation kann sich nicht durchsetzen, weil sie der monopolkapitalistischen Si­tuation, in der sich das Proletariat befindet, über­haupt nicht entspricht. Sie wäre noch ein Schritt zurück hinter die alte Bewegung, statt ein Schritt über sie hinaus." (Mattick, Räte-Korrespondenz, Nr. 10-11, Sept. 1935, S. 67)
2. In Wirklichkeit funktionierte die GIK wie eine Födera­tion "unabhängiger Einheiten", die unfähig waren, eine aktive politische Rolle zu spielen. Es lohnt sich, einen Artikel von Canne-Mejer aus dem Jahr 1938 (RADENCOMMUNISMUS, Nr. 3) zu zitieren:
"Die Gruppe der Internationalen Kommunisten hatte keine Statuten, keine obligatorischen Mitgliedsbeiträge, und an ihren 'internen' Treffen konnten ande­re Genossen anderer Gruppen teilnehmen. Deshalb konnte man nie die genaue Zahl ihrer Mitglieder wis­sen. Es gab niemals eine Abstimmung, sie war nicht nötig, weil man keine Parteipolitik betreiben woll­te. Man diskutierte Probleme und wenn es wichtige Meinungsunterschiede gab, wurden die verschiedenen Standpunkte veröffentlicht- mehr nicht. Ein Mehr­heitsbeschluß blieb ohne Bedeutung. Die Arbeiterklasse selbst sollte entscheiden".
Gewissermaßen hat sich die GIK aus Angst, die Klasse zu ver­gewaltigen, selbst kastriert. Aus Angst, das Bewußtsein eines jeden Mitglieds durch Organisationsregeln zu vergewaltigen oder die Klasse zu vergewaltigen, indem ihr die eigenen Positionen aufgezwungen werden, negierte sich die GIK  als militanter Teil der Klasse. In der Tat gibt es ohne regelmäßige finanzielle Mittel keine Möglichkeit, eine Zeitschrift und Flugblätter während des Krieges herauszubringen. Ohne Statuten gibt es keine Regeln, die die Organisation in die Lage versetzen, unter allen Bedingungen zu funktionieren. Ohne Zentralisierung durch gewählte Exekutivorgane gibt es keine Möglichkeit, das Leben und die Aktivitäten der Organisation in allen Perioden aufrechtzuerhalten, insbesondere in Zeiten der Illegalität, wenn die Notwendigkeit, sich der Repression zu stellen, die strikteste Zentralisierung erfordert; und in Zeiten des ansteigenden Klassenkampfes wie heute keine Möglichkeit, zentralisiert weltweit in der Klasse zu intervenieren.
Diese Irrwege der rätekommunistischen Strömung, gestern mit der GIK, heute mit den informellen Gruppen, die ihre Treue zum Rätekommunismus geltend machen, stützen sich auf die Auffassung, daß die Organisation kein aktiver Faktor in der Klas­se sei. "Indem man die Klasse entscheiden läßt", fällt man der Vorstellung anheim, die revolutionäre Organisation stehe "im Dienste der Klasse" - ein bloßer Vervielfältiger und keine politische Gruppe, die gelegentlich, selbst in der Revolution, gegen die Strömung schwimmen muß, gegen die Vorstellungen und Aktionen der Klasse . Die Organisation ist keine Widerspiegelung dessen, "was die Arbeiter denken" (6); sie ist ein kollektiver Organismus, der die historische Vision des Weltprole­tariats in sich trägt, die nicht darin besteht, was die Klasse in diesem oder jenen Moment denkt, sondern was sie zu tun gezwungen wird: die Verwirklichung der Ziele des Kommunismus..
Es ist daher kaum verwunderlich, daß die GIK 1940 ver­schwand. Das theoretische Werk der GIK wurde vom Spartacusbond fortgeführt, der aus einer Spaltung der Partei Sneevliets 1942 entstand (siehe dazu den Artikel in INTERNATIONALE REVE, Nr. 9, engl., franz., span. Ausgabe: "Der Bruch mit dem Spartacusbond"). Trotz einer klaren Auffassung von der Funktion der Organisation - der Bond erkannte die unverzichtbare Rolle einer Partei in der Revolution als aktiver Faktor in der Entwicklung des Bewußtseins an - und seiner Funktionsweise - der Bond hatte Statuten und Zentralorgane - wurde er schließlich doch von den alten Vorstellungen der GIK über die Organisation beherrscht.
Heute liegt der Spartacusbond im Sterben und Daad en Gedachte - die 1965 aus dem Bond austrat - ist ein Wetterbericht über die Arbeiterkämpfe. Die holländische Linke als revolutionäre Strömung ringt mit dem Tod. Ihr theoretisches Vermächtnis wird daher nicht durch sie selbst an die neuen, in der Klasse entstehenden re­volutionären Elemente überliefert werden. Dieses Vermächtnis zu verstehen und darüber hinaus zu gehen ist die Aufgabe von revolutio­nären Organisationen und nicht von Induviduen oder Diskussionsgruppen.
"Rätekommunistische" Organisationsauffassungen sind jedoch nicht verschwunden, wie wir in etlichen Ländern sehen können. Eine kritische Bilanz der Or­ganisationsauffassung der deutschen und holländischen Linke zu ziehen verschafft uns den Beweis nicht für den den Bankrott der revolutionären Organisationen, sondern im Gegenteil für ihre unverzichtbare Rolle, um die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und sich auf die zukünftigen Kämpfe vorzube­reiten.
Ohne revolutionäre Theorie gibt es keine revolutionäre Bewegung, doch ohne revolutionäre Organisation kann es keine revolutionäre Theorie geben. Dies nicht zu ver­stehen führt Individuen wie auch informelle Gruppen ins Nichts. Es macht die Bahn frei für einen Verlust an Überzeugung in eben jene Möglichkeit einer Revolution.
CH
(aus International Review, Nr.37, 4/1984, Ch.)


FUSSNOTEN
(1) "... daß man überhaupt nicht von einer Klasse spre­chen kann, solange nicht eine Minderheit dieser Klasse danach strebt, sich als politische Partei zu organi­sieren" (aus "Partei und Klasse", Bordiga).
(2)  Ein Gedanke, der von Franz Pfemfert, Rühles Freund, Chefredakteur der Zeitschrift DIE AKTION und ein Mitglied der KAPD, vertreten wurde.
(3) Michaelis, ein ehemaliger Lehrer der KAPD und Mitglied der KAU 1931, sagte: "In der Praxis wurde die Union selbst eine zweite Partei (...) die KAP sammelte später die gleichen Elemente um sich wie die Union".
(4) 1925 gab es in Deutschland drei KAPDs: eine Berliner Tendenz und zwei Essener Tendenzen. Dieser Fehler, der eine Tragödie für das proletarischer Lager in Europa damals war, wiederholte sich 1943 in Italien in Form einer Farce, als inmitten der Konterrevolution die Internationalistische Kommunistische Partei um Damen und Maffi gegründet wurde. Mittlerweile gibt es vier ‚Parteien‘ in Italien, die sich alle auf die Italienische Linke berufen. Dieser Größenwahn kleiner Gruppen, die sich selbst ‚ Partei‘ nennen, dient lediglich dazu, den eigentlich Begriff der Partei ins Lächerliche zu ziehen, und ist ein Hindernis im schwierigen Umgruppierungsprozeß der Revolutionäre, der die wichtigste subjektive Vorbedingung für die Entstehung einer wirklichen Weltpartei des Proletariats in der Zukunft ist.
(5) Der gleiche Michaelis gab 1931 zu: „Das ging sogar soweit, daß für viele Militanten die Arbeiterräte nur als möglich betrachtet wurden, wenn sie die Linie der KAPD akzeptierten.“
(6) In derselben Ausgabe von RADENCOMMUNISME heißt es: „Wenn es einen wilden Streik gab, brachten die Streikenden mit Hilfe der Gruppe Flugblätter heraus; Letztere stellten sie her, auch wenn sie nicht mit ihrem Inhalt völlig einverstanden waren.“

Quell-URL: https://de.internationalism.org/revue/dnlorgaauffassung [4]

Die Gefahr des Rätekommunismus

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Die IKS hat immer das Prinzip vertreten, ihre eigenen internen Debatten der Öffentlichkeit zu unterbreiten, sobald eine ausreichende Klärung stattgefunden hat, damit der Standpunkt der gesamten Organisation vorgestellt werden kann. Theoretische und politische Debatten sind nicht für den internen Gebrauch reserviert, sie sind mehr als ein Denkprozeß um seiner selbst willen. Eine revolutionäre Organisation, die diesen Namen verdient, lehnt sowohl den Monolithismus, der die Debatten zurückhält und erstickt, als auch den Zirkelgeist ab, der die Debatte beiläufig, undiszipliniert betreibt. Die Kampforganisation des Proletariats ist ein politischer Organismus, der von der Klasse hervorgebracht wird, sodaß Letztere nicht nur interessiert, sondern auch direkt in die theoretische und politische Auseinandersetzung der Organisation involviert ist, die sie ins Leben rief. Die Debatten in einer revolutionären Organisation dürfen nicht vor der Klasse verheimlicht werden, denn eine revolutionäre Organisation hat keine Geheimnisse vor der Arbeiterklasse zu verbergen. Die Geheimpolitik war für die bakunistischen Sekten im 19. Jahrhundert typisch, aber sie entsprach nie der Politik der marxistischen Organisationen. Der "geheime" Charakter dieser Sekten führte zwangsläufig zu einer Politik der Finten und Manöver. Die Geheimorganisation der Allianz der sozialistischen Demokratie Bakunins in der Ersten Internationalen war Ausdruck eines Verhaltens, das dem Proletariat fremd ist.
Marxistische Organisationen haben stets ermöglicht, daß in ihren Publikationen interne Divergenzen zum Ausdruck kommen, um ein noch schärferes Bewußtsein des Proletariats bezüglich seines Emanzipationskampfes zu bewirken. Die Bolschewiki - zumindest bis sie 1921 Fraktionen in ihrer Organisation verbaten -, die KAPD und die italienische Kommunistische Linke haben immer dieses Ziel verfolgt. Nicht um in der Manier der degegerierten "Rätekommunisten" "Ansichten" für das Proletariat zur passiven Kenntnisnahme wiederzugeben, sondern um die Debatten zielstrebig zu orientieren und darzulegen, damit die Praxis der Klasse frei von vermeidbaren Fehlern und Verzögerungen ist.
Diese Funktionsweise der marxistischen Organisation geht natürlich aus ihrer Funktion in der Klasse hervor: nämlich ein aktiver Bestandteil in der Praxis des Proletariats zu sein. Die IKS lehnt sowohl die "Meinungsgruppen" des Rätekommunismus, die nur zum Eklektizismus und zur Auflösung der Organisation in der Passivität führen, als auch die monolithischen Organisationen des "Bordigismus" ab, deren internes Leben erstickt und paralysiert wird, indem jegliche Minderheitsposition geächtet wird. In beiden Fällen kann das Unverständnis der Funktion der Organisation nur zu ihrer Auflösung führen. Das Verschwinden der größten rätekommunistischen Organisationen wie auch die Auflösung der Internationalen Kommunistischen Partei (IKP) sind der Preis für dieses Unverständnis.

Die IKS ist nicht rätekommunistisch

Im Gegensatz zu den grundlosen Behauptungen von BATTAGLIA COMUNISTA (BC) oder COMMUNIST WORKERS' ORGANISATION (CWO), die erst kürzlich die Errungenschaften der KAPD in den Mülleimer geworfen und ihre bordigistischen "Sympathien" entdeckt hat (nachdem sie nur mit größter Mühe von der IKS aus dem rätekommunistisch-libertären Sumpf von SOLIDARITY gezogen worden war), stammt die IKS nicht aus dem Rätekommunismus ab. Sie ist gegen den Rätekommunismus gebildet worden. Die Existenz von INTERNACIONALISMO in Venezuela wurde durch eine theoretische und politische Auseinandersetzung mit der rätekommunistischen Tendenz von PROLETARIO(1) Ende der 1960er Jahre ermöglicht und konsolidiert.
REVOLUTION INTERNATIONALE (RI) in Frankreich wurde geboren, um angesichts eines rätekommunistischen Milieus, das damals besonders vorherrschend war, die Notwendigkeit für eine kämpferische revolutionäre Organisation und damit für eine Umgruppierung der Revolutionäre zu demonstrieren. Nach anfänglichem Zögern, die Notwendigkeit der revolutionären Partei anzuerkennen(2), hat RI seither unablässig die Bedeutung einer Umgruppierung hervorgehoben, ohne die die Grundlagen der Partei nicht geschaffen werden können. Die Umgruppierung von RI, der Organisation der Rätekommunisten von Clermont Ferrand und den CAHIERS DU COMMUNISME DES CONSEILS (Rätekommunistische Hefte) 1972 war keine rätekommunistische Umgruppierung, sondern eine Umgruppierung auf der marxistischen Grundlage der Anerkennung der unersetzlichen Rolle der Organisation in der Klasse. Sie wurde erst nach langen Diskussionen möglich, dank derer die rätekommunistischen Konfusionen der Gruppen aus Clermont und Marseille überwunden wurden. Mangels einer organischen Kontinuität mit der deutschen und italienischen Linken war es damals unvermeidbar, daß die Gruppen, die aus dem Gärungsprozeß nach 1968 hervorkamen, nach den Haupterrungenschaften der Kommunistischen Linke zu suchten. In Anbetracht des Stalinismus und des Linksextremismus sowie unter dem Einfluß eines antiautoritären, alles in Frage stellenden Milieus waren sie voll den Auswirkungen der organisationsfeindlichen, anti-bolschewistischen rätekommunistischen Ideologie ausgesetzt. RI (und ab 1975 die IKS) hat in Frankreich, dann in Großbritannien und in den USA eine geduldige Arbeit gegen diese Ideologie geleistet, die dazu tendierte, die Diskussionsgruppen zu penetrieren, und die infolge einer Anti-Reaktion gegen auf den Stalinismus zur Ablehnung der gesamten Geschichte der Arbeiterbewegung führte. Erst mit der Anerkennung des proletarischen Charakters der Russischen Revolution im Januar 1974 brach die Gruppe WORLD REVOLUTION (WR) mit dem Rätekommunismus. Das Gleiche trifft - nach Diskussionen mit RI und INTERNACIONALISMO - auf INTERNATIONALISM in den USA zu.
Sicher mußte die IKS auch in ihren eigenen Reihen bordigistische Vorstellungen über die Rolle der Partei und ihr Verhältnis zum Staat bekämpfen, der aus der Revolution hervorgeht (3). Von der Gruppe PARTI DE CLASSE 1972 bis zur Tendenz, die sich 1979 anschickte, zur GCI zu werden, hat die IKS bewiesen, daß ihr Kampf gegen die falschen Organisationsauffassungen weder ein Rückschritt zum Rätekommunismus noch ein Abgleiten in den Neo-Bordigismus à la BC und CWO bedeutete. Wenn der politische und theoretische Kampf in ihrer Presse sich vornehmlich gegen den Bordigismus und den Neo-Bordigismus richtete, so geschah dies, weil das Verschwinden des rätekommunistischen Milieus - das seinem Wesen nach organisationsfeindlich ist - einer Strömung wie die IKP das Feld überließ, deren Entwicklung die direkte Folge ihrer opportunistischen Kapitulationen war. In gewisser Weise war die Entwicklung des Bordigismus der Preis, den das revolutionäre Milieu für das fortschreitende Verschwinden der rätekommunistisch orientierten Gruppen bezahlen mußte, die sich im Sumpf der Konfusion verflüchtigt hatten. Aber gleichzeitig wirkte der Bordigismus der IKP als reale Abschreckung gegenüber neuen Elementen und den aus den Boden schießenden Diskussionsgruppen. Ihre Auffassung von einer monolithischen Partei (die ihrer Terminologie zufolge "kompakt und mächtig" ist), die in der Revolution ihre Diktatur und den "roten Terror" ausüben werde, hat dem Bild der Partei faktisch Schaden angetan. Unfähig, wie BILAN eine Bilanz der Konterrevolution zu ziehen, um daraus die Lehren für die Funktion und die Funktionsweise der Organisation zu ziehen, stattdessen einen Dialog "mit den Toten" und "mit Stalin" vorziehend (4), war die IKP und die Nebenprodukte des Bordigismus nur Wasser auf die organisationsfeindlichen Mühlen des Rätekommunismus. Als Strömung ist der Bordigismus  das Vehikel der alten substitutionistischen Auffassungen, die in der revolutionären Bewegung der Vergangenheit vorherrschend waren. Die IKS hat diese Auffassungen beharrlich bekämpft und wird sie auch in Zukunft bekämpfen. Nun ist zwar zumindest theotisch der Rätekommunismus, seitdem er sich politisch auf organisierte Weise geäußert hatte, gegen den "Substitutionismus", aber dies bedeutet mitnichten, daß die IKS auf der Seite des Rätekommunismus steht.
Die IKS hatte in der Tat oft Gelegenheit, rätekommunistische Fehler und Abwege bis in unsere Reihen hinein zu bekämpfen. Angesichts aktivistischer, arbeitertümelnder Auffassungen, die sich vor allem in ihrer Sektion in Großbritannien breit machten, war die IKS gezwungen, im Januar 1982 eine Außerordentliche Konferenz der gesamten Organisation einzuberufen, um die Auffassung der IKS über die Entwicklung und Funktion der revolutionären Organisation aufs neue zu bekräftigen, nicht um sie neu zu schaffen.
Leider kommen rätekommunistische Ideen weiterhin eher auf indirekte Weise - und dies ist umso gefährlicher - in unserer Organisation zum Ausdruck. So wurde Anfang 1984 eine Debatte über die Rolle des Klassenbewußtseins außerhalb offener Kämpfe eröffnet. Nur zögerlich wurde, mit dem Wiederaufleben des Klassenkampfes im Herbst 1983, das Ende des Rückflusses nach Polen (1981-82) erkannt. Dieser Wiederaufschwung veranschaulichte deutlich eine Reifung des Bewußtseins in der Klasse, die sich außerhalb offener Kämpfe unter der Oberfläche vollzog (5).
Obgleich diese Frage für die IKS nicht neu war, wurde in der Organisation eine Debatte über die Frage des Klassenbewusstseins eröffnet. Sie setzte auf militante Weise die Arbeit fort, die in der Broschüre "Kommunistische Organisation und Klassenbewusstsein" zuwege gebracht worden war. Sie griff die klassische Unterscheidung des Marxismus (6) auf und unterschied zwischen zwei Dimensionen des Bewußtseins: seiner Tiefe und seiner Ausdehnung. Auf diese Art will die IKS mehrere grundlegende Punkte verdeutlichen:

  • Die Kontinuität und die Entwicklung des Bewusstseins in der Klasse in seiner Ausdehnung und Vertiefung manifestiert sich durch eine unterirdische Reifung und kann durch die Existenz eines kollektiven Bewusstseins erklärt werden.
  • Das Klassenbewusstsein hat zwangsläufig eine Form (politische Organisationen und Einheitsorganisationen) und einen Inhalt (Programm und Theorie); es findet seinen höchst entwickelten - auch wenn nie vollendeten - Ausdruck in den revolutionären Organisationen, die von der Arbeiterklasse ausgeschieden werden.
  • Dieses Bewußtsein reift unter den Arbeitern nicht individuell, sondern kollektiv heran; es manifestiert sich nicht auf immediatistische, sondern auf historische Weise.
  • Im Gegensatz zu den größenwahnsinnigen Behauptungen des Bordigismus befindet sich das Klassenbewußtsein nicht im exklusiven Besitz der Partei; es existiert zwangsläufig in der Klasse, da ohne seine Existenz die revolutionäre Organisation nicht existieren könnte.
  • Entgegen der "ultra-demokratistischen" Demagogie der Rätekommunisten behauptet die IKS, daß der höchste Ausdruck des Bewußtseins nicht die Arbeiterräte sind - die sich nur sehr ungleichmäßig und mit vielen Fehlern behaftet entfalten -, sondern die revolutionäre politische Organisation, in der sich der Schatz der gesamten historischen Erfahrungen des Proletariats in kristallisierter Form befindet. Sie ist die höchst entwickelte und konzentrierte Form des kollektiven Gedächtnisses des Proletariats, das lediglich in einem diffusen Zustand in der Klasse vor der revolutionären Periode existiert, den Augenblick, in dem die Klasse sich dieses Gedächtnis am stärksten wiederaneignet.

Im Verlaufe dieser Debatte mußte die IKS Positionen bekämpfen, die entweder die Idee einer unterirdischen Reifung ablehnten oder die unerlässliche Rolle der revolutionären Organisationen unterschätzten, indem sie die Dimensionen des Klassenbewußtseins nicht zur Kenntnis nahmen (7).
Die Mehrheit der IKS, die nochmals bekräftigte, daß es ohne Partei keine Revolution geben kann, da die Revolution zwangsläufig revolutionäre Parteien hervorbringt, bekräftigte des weiteren, daß diese Parteien nicht den Arbeiterräten hinterherlaufen, sondern ihre bewußteste Avantgarde sind. Eine Avantgarde zu sein verschafft ihnen keine Rechte, sondern die Pflicht, der Verantwortung gerecht zu werden, die aus ihrem höheren theoretischen und programmatischen Bewußtsein herrührt.
Infolge dieser Debatte - die bislang noch nicht abgeschlossen ist - hat die IKS bei Genossen, die der Minderheit angehören, eine Tendenz zur Versöhnung mit dem Rätekommunismus festgestellt ("zentristische" Schwankungen gegenüber den rätekommunistischen Ideen). Obgleich diese Genossen das Gegenteil behaupten, sind wir der Ansicht, daß der Rätekommunismus heute schon die größte Gefahr für das revolutionäre Milieu darstellt. Und mehr noch als der Substitionismus wird er eine große Gefahr für die Intervention der Partei in den zukünftigen revolutionären Kämpfen sein.


Ist der Substitutionismus in der Zukunft die größte Gefahr?

A. Die objektiven Grundlagen des Substitutionismus

Wenn wir von Substitutionismus sprechen, meinen wir damit die Praxis revolutionärer Gruppen, die vorgeben, die Klasse zu führen und die Macht in ihrem Namen zu übernehmen. In diesem Sinn sind die Linksextremisten keine substitutionistischen Organisationen: ihre Aktivitäten bezwecken nicht, sich an die Stelle der Klassenaktivitäten zu setzen, sondern sie von innen zu zerstören, um die Vorherrschaft des Kapitalismus zu bewahren. Im eigentlichen Sinn begehen sie keine substitutionistischen Fehler, sondern zielen darauf ab, die Kontrolle über den Klassenkampf zu übernehmen, um ihn in aus der Bahn zu werfen und der bürgerlichen Ordnung zu unterwerfen (Parlamentarismus, gewerkschaftliche Arbeit).
Der Substitutionismus ist im Grunde ein tödlicher Fehler, der sich im Lager der Arbeiterklasse vor 1914 und daraufhin 1920 in der Kommunistischen Internationalen verbreitet hatte. Vom Anspruch, die Klasse auf militärische Weise zu führen (siehe die "militärische Disziplin", die auf dem Zweiten Kongreß proklamiert wurde), war es nur ein kleiner Schritt zum Konzept der Diktatur der Partei, die die Arbeiterräte ihrer Substanz beraubte. Doch dieser Schritt, der zunehmend zur Konterrevolution führte, konnte nur unter bestimmten historischen Bedingungen vollzogen werden. Zu ignorieren bzw. zu vergessen, daß solche Auffassungen selbst in den Reihen der deutschen Linken existierten, bedeutet, nicht die Wurzel des Substitutionismus als spezifisches Phänomen zu begreifen:
a) Das Vermächtnis der sozialdemokratischen Parteikonzeption - die Partei als einmaliger Träger des Bewußtseins, das von außerhalb, von "bürgerlichen Intellektuellen" (s. Kautsky und der Lenin des Was tun?) in die "disziplinierte Armee" des Proletariats injiziert wird - lastete schwer auf der gesamten damaligen revolutionären Bewegung. Und es wog dort umso schwerer, wo es auf einen fruchtbaren Boden stieß, wie in den unterentwickelten Ländern - Rußland und Italien beispielweise -, wo die Partei als eine Art "Generalstab" begriffen wurde, der die Klasseninteressen repräsentierte und dem daher auch die Macht in ihrem Namen anvertraut wurde.
b) Solche Fehler konnten in einer Zeit des zahlenmäßigen Wachstums des Proletariats Fuß fassen, als dieses unter Schwierigkeiten die Illusion der ländlichen und handwerklichen kleinbürgerlichen Auffassungen hinter sich gelassen hatte und durch die Aktionen der politischen Organisationen des Proletariats politisch erzogen wurde. In Ermangelung einer reichhaltigen revolutionären Tradition, die es politisch hätte reifen und eine politische Kultur erwerben lassen, nahmen vor 1914 die Aufgaben der Organisierung und Erziehung der Klasse einen wichtigen Platz in der Arbeit proletarischer Parteien ein. Die Auffassung, daß die Partei der "Generalstab" der Klasse sei und den Arbeitern das politische Bewußtsein vermittle, stieß vor allem in den Ländern auf ein Echo, wo es der revolutionären Bewegung noch an Reife fehlte, vor allem weil ihre Aktionen in striktester Klandestinität stattfanden, was eine straffe Zentralisierung und Disziplin erforderte.
c) Substitutionistische Ideen stellten vor 1914 noch ein Fehler innerhalb der revolutionären Bewegung dar. Schon die Ereignisse von 1905, die die schöpferische Spontanität der Klasse unglaublich schnell durch die Entfaltung der Massenstreiks enthüllten, zeigten die Unrichtigkeit solcher Auffassungen. Lenin selbst zögerte nicht lange, die These aufzugeben, die er in "Was tun?" vertreten hatte. Die Revolution von 1905 führte in der kommunistischen Linken Europas und vor allem auf Seiten Pannekoeks zu einer Infragestellung der Auffassung Kautskys. Sie zeigte die entscheidende Bedeutung der Selbstorganisation des Proletariats, die keinesfalls von einem sozialdemokratischen "Generalstab" oder von den Gewerkschaften ins Leben hätten gerufen werden können. Die Änderung der Taktik, die Pannekoek in der gewerkschaftlichen und parlamentarischen Taktik hervorgehoben hatte, weil sie nunmehr in den Hintergrund rücken sollten, verdeutlichte eine tiefgreifende Veränderung der Funktion der revolutionären Organisation.
d) Es ist falsch, Lenin und die Bolschewisten vor 1917, ja vor 1920 als Theoretiker des Substitutionismus betrachten. Die Bolschewiki wurden 1917 - mit den linken Sozialrevolutionären - von den Arbeiterräten an die Macht gebracht. Der Aufstand, an dem viele Anarchisten in den Roten Garden teilnahmen, fand unter der Führung und Kontrolle der Arbeiterräte statt. Erst viel später, nämlich mit der Isolierung der Russischen Revolution und dem Beginn des Bürgerkrieges, wurde die Diktatur der Partei theoretisiert - im Namen des "Leninismus" . Der Substitutionismus in Russland, wo die Arbeiterräte durch die blutsaugerische Einheitspartei ihres Inhalts entleert wurden, war weniger das Ereignis eines vorab existierenden Willens der Bolschewiki, sondern vielmehr der Isolation der Russischen Revolution von der Revolution in Westeuropa.
e) Die Strömung der italienischen Linkskommunisten hat - im Gegensatz zu den Behauptungen der Rätekommunisten, die eine Verbindung zwischen "Leninismus" und "Bordigismus" ("Bordigo-Leninismus") herstellen - zusammen mit Bordiga, selbst 1920 die Auffassung abgelehnt, das Bewußtsein komme von außerhalb des Proletariats via "bürgerlicher Intellektueller". Aus Bordigas Sicht war die Partei zuerst ein Teil der Klasse; die Partei ist das Ergebnis eines organischen Wachstums aus der Klasse, in der das Programm und der militante Wille zu einem Ganzen zusammenfließen. In den 30er Jahren hat BILAN die auf dem 2. Kongreß der KI (1920) vertretene Auffassung von der "Diktatur der Partei" abgelehnt. Erst die tiefgreifende Regression der Italienischen Linken nach 1945 unter dem Einfluß Bordigas führte zu einer Rückkehr der Theorie des Substitutionismus, die nach 1923 unter dem Begriff "Leninismus" zusammengefasst worden war. Eben diese Ablehnung der Auffassung einer "Diktatur der Partei" war im Herbst 1952 einer der Gründe für die Spaltung, die die heute noch bestehende Gruppe BATTAGLIA COMUNISTA hervorbrachte.

B. Eine geringere Gefahr

Heute stellen die substitutionistischen Auffassungen eine geringere Gefahr als früher dar aufgrund:

  • des profunden theoretischen Denkprozesses in der deutschen, italienischen und holländischen Linken in 1930er Jahren, selbst wenn dies nur teilweise in jeder dieser linken Gruppierungen geschah. Dieser Denkprozeß führte zu einer Bilanz der Russischen Revolution und ermöglichte es, die Wurzeln der Konterrevolution zu begreifen;
  • der stalinistischen Konterrevolution, die besonders im Proletariat der entwickelten Länder zu einer noch scharfsinnigeren Kritik an jenen politischen Organisationen führte, die seinen Reihen entstammten, aber Verrat begehen sollten. Gestärkt durch seine historische Erfahrung, wird das Proletariat den politischen Organisationen, die sich auf die Arbeiterklasse berufen, nicht mehr blind und naiv sein Vertrauen schenken;
  • der Unmöglichkeit einer Revolution in den rückständigen Ländern, solange sich das Epizentrum der Weltrevolution im Herzen der Industrieländer Westeuropas nicht manifestiert hat. Das Schema einer isolierten Revolution, die aus einem imperialistischen Krieg in einem Land resultiert, wo sich die Bourgeoisie wie in Rußland 1917 in einem Zustand der Schwäche befindet, wird sich nicht mehr wiederholen. Weil die kommunistische Revolution von morgen aus einer Wirtschaftskrise hervorkommt, die jedes Land betrifft - und nicht nur die besiegten -, und sich um die massiertesten und politisch gebildetsten Sektoren der Klasse konzentriert, wird sie bewusster denn je sein. Das Proletariat kann sich nur international organisieren und wird sich selbst nur insoweit in seinen Parteien wiedererkennen, als Letztere ein Teil der internationalen Arbeiterräte sein werden, die nicht aus einer "französischen" oder einer "deutschen" Revolution hervorgehen werden, sondern aus einer wirklich internationalen Revolution. Die geographische Isolierung der Revolution in einem einzelnen Land, die ein objektiver Faktor des Substitutionismus war, ist heute nicht mehr möglich. Die wirkliche Gefahr wird ihre Isolierung auf der Ebene eines einzelnen Kontinents sein. Aber selbst in diesem Fall könnte es eine Vorherrschaft einer nationalen Partei wie in Rußland nicht geben: die Internationale (die kommunistische Weltpartei) wird sich in den internationalen Arbeiterräten entwickeln.

Das bedeutet natürlich nicht, daß die Gefahr des Substitutionismus für immer verschwunden ist. In Momenten des Rückzugs in einer revolutionären Periode - die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken wird, wie das Beispiel der deutschen Revolution zeigt - können das unvermeidbare Zaudern und selbst die vorübergehende Erschöpfung des Proletariats im Verlaufe eines langen und zerstörerischen Bürgerkrieges ein fruchtbarer Boden sein, auf dem das giftige Unkraut des Substitutionismus, Putschismus und Blanquismus keimen kann. Andererseits wird die Reife des revolutionären Milieus, in dem es schon vorher eine gnadenlose Aussonderung von Organisationen geben wird, die sich als "Hirn" oder "Generalstab" der Klasse ausgeben, ein entscheidender Faktor im energischen Kampf gegen diese Gefahr sein.


Die Bedingungen für das Auftreten und die Kennzeichen des Rätekommunismus

Doch wenn der Substitutionismus vor allem eine Gefahr in den Rückzugsphasen der revolutionären Welle war, so ist der Rätekommunismus eine weitaus größere Gefahr, vor allem in einer Aufstiegsphase der revolutionären Welle und erst recht auf ihrem Höhepunkt, wenn das Proletariat schnell und mit größter Entschlossenheit handeln muß. Diese schnelle Reaktionsfähigkeit, dieses geschärfte Gespür für Entscheidungen gipfelt in dem Vertrauen, das es in die Programme und die Losungen der Parteien zeigt. Daher ist der rätekommunistische Geist der Unentschlossenheit und des Hinterherschwänzelns, der die kleinste Aktion des Arbeiter umschmeichelt, in diesem Zeitraum besonders gefährlich. Die rätekommunistischen Tendenzen, die sich zwischen 1919 und 1921 im deutschen Proletariat äußerten, sind kein Ausdruck der Stärke des Proletariats gewesen. Obgleich sie nicht direkt für die Niederlage verantwortlich waren, spiegelten sie dennoch eine große Schwäche der Klasse wider. Aus diesen Schwächen eine Tugend zu machen, wie es die Rätekommunisten tun, ist der sicherste Weg, um die Revolution der Zukunft in eine Niederlage zu führen.
Entgegen dem äußeren Schein entstand der Rätekommunismus nicht als eine Variante des Anarchismus, der vor allem in den unterentwickelten Ländern Wurzeln schlug, wo das Proletariat  gerade mühsam aus einem bäuerlichen und handwerklichen Stand hervortrat. Der Rätekommunismus entstand innerhalb eines alteingesessenen Proletariats, das bereits durch den Klassenkampf geschärft und stark politisiert ist sowie kollektiv und frei von kleinbürgerlichem Individualismus agiert.
Die rätekommunistischen Tendenzen entfalteten sich zunächst in der KPD (Spartakus), dann in der KAPD nach ihrer Gründung im April 1920. Auch wenn Rühle (Ex-IKD), das Sprachrohr dieser Tendenzen, in der KAPD außerhalb Sachsens letztendlich gänzlich isoliert wurde, stießen die rätekommunistischen Ideen im radikalen Proletariat überall in Deutschland auf Widerhall. Der Ausschluß Rühles und seiner sächsischen Gesinnungsgenossen im Dezember 1920 aus der KAPD verhinderte nicht die schnelle Verbreitung der rätekommunistische Thesen, die von den zum Teil Hunderttausende von Arbeitern umfassenden Einheits-Arbeiterunionen (AAU-E) übernommen wurden.
Die Merkmale des deutschen Rätekommunismus, die man heute zum großen Teil wiederfindet, waren:

  • die Ablehnung jeglicher politischen Partei des Proletariats als "bürgerlich". "Die Partei ist ihrem Wesen nach bürgerlich. Sie stellt die klassische Organisationsform für die Repräsentation der Interessen der Bourgeoisie dar. Sie entwickelte sich in einen Zeitraum, als die Bourgeoisie an die Macht kam. Die Parteien entstanden mit dem Parlamentarismus." (Von der bürgerlichen zur proletarischen Revolution, 0. Rühle, 1924). Hier bringt Rühle den berechtigten Haß des Proletariats gegen den Parlamentarismus zum Ausdruck; dabei versteht er aber nicht, daß die Funktion der revolutionären Partei sich im dekadenten Kapitalismus ändert, was die KAPD dagegen vollkommen verstanden hatte;
  • die Ablehnung des Zentralismus als Ausdruck der Diktatur einer Klasse. "Das bürgerliche Wesen wird organisch durch den Zentralismus ausgedrückt" (O.Rühle, ebenda). Die Rätekommunisten greifen hier die Formen als solche an und glauben so das Auftreten einer neuen "Kaste von Chefs" verhindern zu können. Indem sie die Dezentralisierung propagieren und den "Antiautoritarismus" kultivieren, unterstützen sie nur den Mangel an wirklicher Kontrolle der Arbeiter über die Organisationen, die sie gründen. Der Antizentralismus, mit dem die "Einheits"-Anhänger Rühles aufwarteten, verhinderte nicht, daß die AAU-E unter die Herrschaft von Intellektuellen und Künstlern um "Die Aktion" (Franz Pfempfert insbesondere) geriet, die faktisch selbsternannte Chefs waren;
  • der Lokalismus, eine Begleiterscheinung des Antizentralismus, der zwangsläufig zur Beschränkung auf den Fabrik-Operaismus führte. Die Fabrik wurde zum winzigen Universum der Unionisten (die AAU stand der KAPD nahe, wie auch die AAU-E) und somit zu einer Festung gegen den Einfluß der Parteien. Der Fabrikarbeiterkult ging einher mit einem Anti-Intellektualismus; die "intellektuellen" Mitstreiter (und Nicht-Arbeiter) der KAPD standen im Verdacht, die Rolle der "Führer" anzustreben, indem sie sich an die Stelle der spontanen Initiative der Arbeiter setzten;
  • die Verwechslung der Arbeiterräte mit den politischen Organisationen, was die Arbeiterbewegung um etliche Jahrzehnte zurückwarf - zurück zur Ersten Internationalen, in der es Gewerkschaften, Parteien, Kooperativen, etc. gab. So hatten die Arbeiterunionen ein revolutionäres Programm, das von der KAP inspiriert war, waren jedoch eine seltsame Mischung, halb-politisch, halb-gewerkschaftlich. Solch ein Ausmaß an Konfusion führte zwangsläufig zu einem revolutionären Neo-Syndikalismus. Es ist kein Zufall, daß die AAU-E - die Rühle und Pfempfert nahestand - schnell begann, mit den Anarchosyndikalisten der FAUD zusammenzuarbeiten;
  • schließlich das Abgleiten des politischen Rätekommunismus in einen Semi-Anarchismus der schlimmsten Art - den Individualismus. Rühle selbst glitt zunehmend in einen anarchistischen Anti-Marxismus ab und hielt Marx eine cholerisch-verstockte Haltung gegenüber Bakunin vor. Sein Individualismuskult führte zur Pädagogik des individuellen Arbeiters, zum Geist des "Fabrikschornsteins", um den ironischen Ausdruck der KAPD zu benutzen, die so den sächsischen Individualismus bezeichnete.

 

Die Gefahr des Rätekommunismus in der Revolution

Der Rätekommunismus spiegelt nur die Schwächen der Arbeiterklasse wider. Er war zunächst eine negative Reaktion, mit der die Klasse vom blinden Vertrauen in ihre alten Organisationen - die zunehmend in die Hände des Opportunismus fielen und schließlich in der Konterrevolution versanken - zu einer Haltung des Argwohns gegenüber jeglichen politischen Organisation überging. Die rätekommunistischen Tendenzen in Deutschland in der Revolution standen in direkter Proportion zum naiven Vertrauen, das die in den Räten organisierten Arbeiter im November-Dezember 1918 der Sozialdemokratie schenkten, die sich anschickte, in den nächsten drei Jahren die Arbeiter zu massakrieren. In Anbetracht dessen, daß die Arbeiter glaubten, hier handle es sich schlicht um den Verrat von "Führern - und scheidet nicht jede Organisation dieses "Gift" der Führer aus? -, mußten sich zwangsläufig parteifeindliche und "antiautoritäre" Tendenzen entwickeln. Die Neigung unter den Industriearbeitern, auf die lokalen Betriebsorganisationen und korporativen Gewerkschaften(Bergarbeitergewerkschaft, Seeleutegewerkschaft 1919) zurückzufallen, war nicht ein Ausdruck der wachsenden Stärke einer Klasse, die sich nach den Massakern vom Januar 1919 wieder erholte, sondern das Produkt einer enormen Schwäche, einer fürchterlichen Orientierungslosigkeit.
Weil er sich in einem hochindustrialisierten Land entfaltete, das ein Schlüsselland für die Weltrevolution war, war der Klassenkampf in Deutschland viel charakteristischer für die zukünftige kommunistische Revolution als die Russische Revolution. Die typisch rätekommunistischen Reaktionen, wonach das Proletariat in den Räten den revolutionären Organisationen mit größtem Mißtrauen begegnen wird, müssen von der revolutionären Partei mit größter Entschlossenheit bekämpft werden.
Diese Reaktionen werden um so stärker sein, da die stalinistische Konterrevolution und das Image der Einheitsparteien in den osteuropäischen Ländern die Klasse - über ein gesundes Mißtrauen gegenüber den linken Parteien hinaus - gegenüber jeder revolutionären Organisation mißtrauisch gemacht haben. Solche Reaktionen erklären - neben dem staatlichen Totalitarismus, der jede revolutionäre Massenorganisation unmöglich macht - den Mangel an kämpferischem, politischem Engagement in der Klasse. Trotz der wachsenden Resonanz, die ihre Positionen und Interventionen finden, stoßen revolutionäre Militanten unweigerlich auf Vorurteile wie: "Die Revolution mit Parteien, auch mit revolutionären, führt zur Diktatur". Es stimmt, daß der Bordigismus mit seiner Auffassung von der alleinigen Partei, die den "roten Terror" durch die Gewalt in der Klasse ausüben wird, mit seiner verabscheuenswürdigen Unterstützung des Massakers an den Arbeitern und Matrosen von Kronstadt nur die rätekommunistischen Reflexe in der Klasse verstärkt. Man kann sogar behaupten, daß der Bordigismus und der Neo-Bordigismus die besten Rekrutierungsbüros des Rätekommunismus sind.
Die revolutionären Organisationen und besonders die IKS müssen sich dessen bewußt sein, daß ihre organisierten Aktionen in den zukünftigen Räten auf Schwierigkeiten stoßen werden. Es wird anfangs oft genug geschehen, daß ihnen das Wort verboten wird, weil sie in Parteien organisiert sind. Die Bourgeoisie wird mit Hilfe ihrer gefährlichsten Agenten, den Basisgewerkschaftern, nicht darin nachlassen, die organisationsfeindlichen Gefühle der Arbeiter zu verstärken, ihre arbeitertümelnden Reflexe, indem sie die revolutionären Organisationen als Organisationen von "Intellektuellen" darstellen, die die Klasse dirigieren wollen, um selbst die Macht zu übernehmen. So wie Rosa Luxemburg 1918 könnten die Nicht-Arbeiter-Militanten, unter dem Vorwand, daß sie keine Arbeiter seien, durchaus davon ausgeschlossen werden, zu den Räten zu sprechen.
Die rätekommunistische Gefahr in den revolutionären Ereignissen darf nicht unterschätzt werden. Sie könnte tödlich sein. In dem Maße wie organisationsfeindliche Ideen überwiegen, wird das Proletariat anfällig sein für wohl durchdachte Provokationen der Bourgeoisie. Der Kult der "antiautoritären" Minderheiten kann zum furchtbarsten Putschismus für die Klasse führen. Das Mißtrauen gegenüber dem Programm und der revolutionären Theorie, die angeblich das Bewußtsein des einzelnen Arbeiters vergewaltigen, kann nur die kleinbürgerliche, individualistische Theorie begünstigen, die von den zahllosen, durch Krise und Arbeitslosigkeit proletarisierten Kleinbürgern getragen wird. Schlimmer noch, dieses Mißtrauen begünstigt den Einfluß der bürgerlichen Ideologie, die die herrschende Ideologie ist.


Schon heute eine wirkliche Gefahr im revolutionären Milieu

Der Rätekommunismus ist - auch wenn er sich erst in den revolutionären Ereignissen voll manifestieren wird - schon heute eine Gefahr. Er bedroht im wesentlichen das schwache revolutionäre Milieu, eine Folge der fehlenden organischen Kontinuität mit den revolutionären Organisationen der Vergangenheit. Er stellt in sich selbst viele gleichermaßen negative Formen dar:

  • Der immediatistische Aktionismus führt unwiderruflich in den libertären Sumpf, wenn nicht gar zu den Linksextremisten. Die ICO in Frankreich und ARBETARMAKT in Schweden sind letztendlich infolge ihres ouvrieristischen Aktionismus verschwunden, der dem Linksextremismus nahe kommt. ARBETARMAKT zerfiel unter dem Druck der kleinbürgerlichen, dann bürgerlichen Ideologie und glitt ab in ein Neo-Basisgewerkschaftstum.
  • Das Konzept der Arbeits- und Studiengruppen führt zu einer Infragestellung der militanten Rolle der Revolutionäre; man betrachtet sich eher als Studierzirkel, der den Klassenkampf von der Haupttribüne aus betrachtet. Diese Gruppen stellen letztendlich die revolutionäre Rolle des Proletariats in Frage und verfallen leicht dem Pessimismus oder dem Modernismus. Die Abenteuer des Barrot-Zirkels ("Le mouvenent communiste") sprechen für sich; sie sind durchtränkt von Konfusionen, die vom im vollen Zerfall befindlichen Kleinbürgertum zusammengebraut werden.
  • Die "anti-bolschewistische" Ideologie –  die die gesamte revolutionäre Vergangenheit der Bolschewiki bewußt leugnet - kann nur zu einer Infragestellung der gesamten Geschichte der Arbeiterbewegung und gar zur Infragestellung des Marxismus führen. Die Entwicklung der Gruppe POUR UNE INTERVENTION COMMUNISTE (PIC) in Frankreich  ist symptomatisch hierfür. Vom primitivem Aktivismus glitt man über zu einem akademischen Studierzirkel. Bald wurde - mit Ausnahme der "polnischen Linken"(8), dem Steckenpferd einiger Mitstreiter der PIC -  die gesamte revolutionäre Bewegung so dargestellt, als sei sie vom Parteigeist besudelt. Marx selbst wird zum Hauptschuldigen für all die Sünden der Arbeiterbewegung bei der "Erfindung" des Parteikonzeptes (sic!) gemacht. Schlimmer noch, diese ganze "antibolschewistische" Reaktion kann nur zu Kompromissen mit dem Linkssozialismus führen (siehe die Auflösung der PIC in CAHIERS SPARTACUS, Herausgeber diverser, meist sozialistischer Broschüren).
  • Die Unterschätzung der Rolle der Organisation, die sich auf die Ansicht stützt, daß das Bewußtsein der Arbeiter genauso entwickelt - wenn nicht sogar entwickelter - sei wie das Bewußtsein der Organisation, führt zur Verleugnung der Organisation als militanten Bestandteil der Klasse. Diese Unterschätzung ist wahrhaft selbstmörderisch für die Militanten, die in Organisationen oder Zirkeln rätekommunistische Ideen vertreten. Dies ist die Gefahr, die alle Gruppen bedroht, welche sich auf den Rätekommunismus stützen.

Selbst wenn der Rätekommunismus heute aufgelöst ist und in Westeuropa eine durcheinander gewürfelte Kollektion von Zirkeln hinterlassen hat, die auf unklaren und zutiefst organisationsfeindlichen Positionen beruhen, hat seine Ideologie überlebt. Die Diskussionsgruppen, die in den letzten Jahren in Skandinavien (Dänemark) und in Mexiko entstanden sind, sind besonders anfällig gegenüber diesen Auffassungen. Es ist selbstverständlich, daß die IKS solche Gruppen nicht außer Acht läßt und tatenlos mit ansieht, wie sie sich in ihrer Konfusion verrennen. Sie ist sich bewußt, daß der organische Bruch mit den Organisationen der Kommunistischen Linken viele sehr konfuse Gruppen hervorbringen wird, die sich auf den Rätekommunismus berufen und von einer individualistischen, kleinbürgerlichen, rätekommunistischen Ideologie gezeichnet sind. Die IKS hat - nachdem sie infolge der Auflösung der IKP zum einzigen revolutionären Pol auf internationaler Ebene geworden ist - eine enorme Verantwortung zu schultern, um solche Zirkel dazu zu veranlassen, sich in Richtung einer  kämpferischen, marxistischen Anschauung zu entwickeln. Solche Zirkel, die oft aus der Kleinbourgeoisie mit all den Vorurteilen und Vorlieben des studentisch-akademischen Milieus kommen, sind besonders anfällig gegenüber dem rätekommunistischen Gedankengut. Die IKS kann diese Elemente nur zur Übernahme einer proletarischen revolutionären Auffassung bewegen (wie sie dies in Schweden und Holland gemacht hat), wenn sie in ihrer Vorstellung einer  zentralisierten Kampforganisation unnachgiebig bleibt und die rätekommunistischen Konzepte ohne das geringste Zögern oder Schwanken bekämpft.
Diese rätekommunistische Gefahr stellt nicht nur eine Bedrohung für die konfusen Gruppen oder die Diskussionskreise dar; sie kann selbst in den Reihen jener Gruppen auftreten, die sich auf die italienische Linke berufen, wie BC und nun auch jenes politische Chamäleon namens CWO. Ihre Auffassung einer politischen Doppelorganisation - die Partei (der obligatorische Größenwahn) zusammen mit dem Phantom der Fabrikgruppen - erinnert an die Konzeptionen der KAPD mit ihren Fabrikorganisationen - mit dem einen Unterschied, daß man, wenn man sich auch nur den geringsten Sinn für Proportionen erhalten hat, zum Schluß kommt, daß CWO und BC  im Vergleich zum Riesen KAPD Zwerge sind. In Zukunft könnte die Logik des Bluffs der Fabrikgruppen sie dazu führen, aus purem Mitläufertum ihre politischen Organisationen aufzulösen, sie eines kleinen Echos in der Klasse zuliebe zu simplen Anhängseln dieser Gruppen zu machen. Trotz ihrer prinzipiellen Feindschaft gegenüber der KAPD - BC mehr aus Ignoranz, die CWO als die Allzwecklösung der politischen Kehrtwende eher aus Opportunismus - sind diese beiden kleinen, vor eigener Wichtigkeit geradezu platzenden Gruppen gut damit beraten, voller Demut die Geschichte der KAPD zu studieren. Aufgrund der Doppelorganisation begann sich die KAPD schließlich 1929 aufzulösen, wobei der größere Teil sich in einer aktivistischen Union (der KAU) organisierte, während der Rest der KAPD, von nun gegenüber jeder Doppelorganisation mißtrauisch, nicht mehr zusammenbrachte als eine kleine Gruppe. Das Mitläufertum von BC und CWO im Verhältnis zu nationalistischen Organisationen aus dem Iran wie "Komala" und die Kommunistische Partei Irans spricht nicht für die Fähigkeit dieser Organisationen, nachdrücklich einen unnachgiebigen programmatischen und organisatorischen Rahmen aufrechtzuerhalten.
Die rätekommunistische Gefahr beschränkte sich daher nicht nur auf die Leugner der Partei; sie kann selbst eine politisch gewappnete Organisation wie die IKS bedrohen. Sie ist um so gefährlicher, weil der Rätekommunismus sich oft nicht beim Namen nennt und hinter  einer formalen Anerkennung des zentralisierten organisatorischen und programmatischen Rahmens versteckt.
Die IKS muß wachsamer denn je sein, um ihre kämpferische Funktion in der Klasse zu erfüllen. Sie ist davon überzeugt, daß ihre Funktion unersetzbar ist und daß sie der höchste Ausdruck des Klassenbewußtseins ist. Ihre zentralisierte Funktionsweise ist entscheidend für die Aufrechterhaltung ihres programmatischen Rahmens, den die Kommunistische Linke überliefert hat.
Die IKS ist, wie die KAPD und BILAN, von der entscheidenden Rolle der Partei in der Revolution überzeugt. Ohne eine revolutionäre Partei, die das Ergebnis einer langen Umgruppierungsarbeit und einer politischer Auseinandersetzung ist, kann die proletarische Revolution nicht siegen. Heute kann jegliche Unterschätzung der Rolle der Organisation, jede Verneinung der Notwendigkeit der Partei in der Revolution nur zur Desintegration des ohnehin schwachen revolutionären Milieus beitragen.
Die rätekommunistische Gefahr ist eine Bedrohung, gegenüber der die IKS besonders gut gewappnet sein muß. Wenn die IKS auf die Gefahr rätekommunistischer Unschlüssigkeiten aufmerksam macht, die nicht offen auftreten, heißt dies nicht, daß sie nun einer Art von "Bordigismus" oder "Leninismus" anheimgefallen ist.
Die Existenz der IKS ist die Frucht aller kommunistischer Fraktionen der Vergangenheit. Sie verteidigt deren positive Errungenschaften sowohl gegen die Gruppen der rätekommunistischen Tendenz wie auch gegen die bordigistischen Gruppen, ohne ihre negativen Seiten zu übernehmen: den Substitutionismus in der Russischen Revolution, die Leugnung der Partei in der holländischen Linken, die Doppelorganisation in der deutschen Linke. Die IKS ist keine Organisation der Vergangenheit . Sie ist weder "rätekommunistisch" noch "bordigistisch", sondern das aktuelle Ergebnis der langen Geschichte der internationalen kommunistischen Linken. Nur durch einen politischen Kampf ohne Konzessionen und gegen jegliches Zögern hinsichtlich ihrer Funktion und ihres Platzes im Klassenkampf wird die IKS sich ihren Vorgängern als ebenbürtig erweisen  und gar über sie hinausgehen.
Chardin

aus International Review, Nr. 40, 1985, auf Deutsch erschienen in Internationale Revue Nr. 9

(1) Siehe "Bulletin d'Etudes et de Discussion", 1974.
(2) Die erste Nummer von RI manifestiert rätistische Tendenzen. Aber 1969 wurde auf der nationalen Konferenz von ICO ein sehr klarer Text über die Notwendigkeit einer Partei vorgestellt (RI, Nr. 3, alte Serie).
(3) Siehe die Broschüre "Kommunistische Organisation und Klassenbewußtsein".
(4) "Dialog mit den Toten" und "Dialog mit Stalin" (sic!) sind Titel aus Bordigas Broschüre.
(5) Resolution der IKS vom Januar 1984: "Zwischen den Phasen offener Kämpfe vollzieht sich eine unterirdische Reifung des Klassenbewußtseins (der 'alte Maulwurf' Marx zufolge), die sowohl in der Vertiefung und Klärung der politischen Positionen revolutionärer Organisationen als auch in einem Denk- und Klärungsprozeß in der gesamten Klasse, in einer Loslösung von den bürgerlichen Mystifizierungen zum Ausdruck kommt".
(6) Siehe Marx, "Die deutsche Ideologie". Marx spricht von der Notwendigkeit einer tiefgreifenden Revolution. "Zur massenhaften Erzeugung dieses kommunistischen Bewußtseins ist eine massenhafte Veränderung der Menschen nötig, die nur in einer praktischen Bewegung, in einer Revolution vor sich gehen kann" (MEW, Bd 3, S. 70).
(7) Hier sind einige Auszüge aus der Resolution vom Januar 1984 (die einige "Enthaltungen" und Vorbehalten seitens einiger Genossen provoziert hatte).
"Selbst wenn sie Teil einer einzigen Einheit sind und auf sich gegenseitig einwirken, ist es falsch, das Klassenbewußtsein mit dem Bewußtsein der Klasse oder in der Klasse gleichzusetzen, d.h. seine Ausdehnung zu einem gegebenen Zeitpunkt (...) Man muß unterscheiden zwischen dem, was auf eine Kontinuität in der historischen Bewegung des Proletariats zurückzuführen ist - die fortschreitende Erarbeitung ihrer politischen Positionen und ihres Programms - und dem, was mit den jeweiligen Umständen verknüpft ist - die Ausdehnung ihrer Assimilierung und ihres Einflusses in der Klasse".
(8) Diese Genossen beweisen lediglich, daß sie die Geschichte nicht gut kennen. Die bolschewistische Partei, der sie vorwerfen, zu zentralisiert gewesen zu sein, war weitaus weniger zentralisiert als die polnische Linke, die SDKPIL.

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Rätekommunismus [5]

Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/741/internationale-revue-9

Links
[1] https://de.internationalism.org/tag/3/48/partei-und-fraktion [2] https://de.internationalism.org/tag/2/39/die-revolution-re-organisation [3] https://de.internationalism.org/revue/13_parteiundklasse [4] https://de.internationalism.org/revue/dnlorgaauffassung [5] https://de.internationalism.org/tag/politische-stromungen-und-verweise/ratekommunismus