Als vor einem Jahr der Irak-Krieg ausgelöst wurde, erhoben sich weltweit eine ganze Reihe von Stimmen, die von einem internationalistischen Standpunkt aus den Krieg anprangerten und klar und unzweideutig beide imperialistischen Seiten verwarfen. Wir haben in Weltrevolution Nr. 118 einen kurzen Überblick über einen Ausschnitt dieser internationalistischen Reaktionen in Deutschland gegeben. Neben der Verurteilung des Krieges vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus und der Entblößung der Politik des angeblichen "Friedenslagers" haben wir damals auf die unterschiedlichen Erklärungsansätze für die Wurzeln dieses Krieges hingewiesen. Jetzt, ein Jahr nach dem Krieg, wollen wir auf einige dieser Erklärungsansätze zurückkommen, denn aus unserer Sicht ist es die Pflicht der Revolutionäre, ihre jeweilige Analyse der Lage und die Perspektiven im Lichte der Wirklichkeit überprüfen. Warum wurde der Krieg geführt? Ein zentraler Erklärungsansatz einiger Gruppen war:
So schrieb der Frankfurter Proletarische Zirkel: "Imperialistische Kriege sind nicht einfach ein Systemfehler, ein zufällig auftretendes Ereignis, das sich aus widerstreitenden Interessen von Staaten und Konzernen und der Gier nach Öl entwickelt. Sie sind Ausdruck der Krise des kapitalistischen Weltsystems Ein erfolgversprechender Ausweg aus dieser ökonomischen Krise, wie sie momentan alle Industriestaaten erleben, liegt im Krieg. Dies ist der Weg, den momentan die USA wählen. Die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus macht die gewaltsame Zerstörung von Waren und Kapital, die Neuaufteilung von Märkten, Ressourcen und Einflusssphären - also Krieg zu einer zyklischen Notwendigkeit. Die "friedlichen" Wege der Kapitalmaximierung, wie sie uns durch Massenentlassungen, Radikalisierung der Ausbeutungsverhältnisse, Sozialabbau und feindliche Übernahmen beständig begegnen, reichen an dieser Stelle zu einer ausreichenden langfristigen Profitmaximierung nicht mehr aus." "Kein Krieg im Irak, kein Frieden mit dem imperialistischen System!" (rotes-infonetz@gmx.de [1]) (Proletarischer Zirkel, Frankfurt/M). Wir wissen leider nicht, was die damaligen Mitglieder des Proletarischen Zirkels mittlerweile selbst dazu sagen, da sich der Zirkel aufgelöst hat. Auf der einen Seite hat der Krieg die Kassen von Rüstungsunternehmen und auch von am Wiederaufbau beteiligten Firmen klingeln lassen. Aber hat sich damit die amerikanische Wirtschaft insgesamt am Krieg gesundstoßen können? Kommt die Wirtschaft wieder ans Laufen? Nach US-Angaben beliefen sich die Kosten des Krieges in der "heißen" Phase der Kämpfe auf 70 Mrd. $ - wenn es überhaupt eine realistische Zahl dafür gibt. Hinzu kommen seitdem die Kosten für die Besatzungstruppen: 145.000 US-Soldaten verschlingen pro Woche ca. 1 Mrd. $, macht allein über 50 Mrd. $ pro Jahr - Ende offen, (wir erwähnen hier nicht die Kosten für britische, polnische, spanische koreanische, japanische usw. Truppen... deren Besatzungskosten die USA zum Teil mit finanzieren). Die Gesamtkosten des Krieges übersteigen bei weitem die Einnahmen der Rüstungskonzerne und der am Wiederaufbau beteiligten Firmen. Ist nicht die Aussage, der Krieg werde der Ankurbelung der Wirtschaft dienen, eine Milchmädchenrechnung, denn in Wahrheit bedeutet dieser Krieg für den amerikanischen Staat, für das amerikanische Gesamtkapital, einen enormen finanziellen Aderlass. Sowohl die unmittelbaren Kosten des Krieges als auch das gesamte Rüstungsprogramm, das unter Bush verabschiedet wurde, hat erheblich zum größten Haushaltsloch in der Geschichte der USA beigetragen. So betrug der Haushaltsüberschuss im letzten Amtsjahr Clintons noch 120 Mrd. Dollar (dank einer brutalen Sparpolitik des demokratischen Präsident zu Lasten der Arbeiter), mittlerweile muss nach 3 Jahren Bush-Aufrüstungsprogrammen mit über 500 Mrd Dollar Defizit im Haushalt der USA gerechnet werden (macht eine Ausgabensteigerung von fast 600 Mrd. $). Die Militärausgaben sollen 2005 um 7% auf fast 402 Mrd. Dollar zunehmen, dabei sind die Kosten für den Irak & Afghanistan-Einsatz noch nicht eingeschlossen. Allein 2003 gaben die USA für ihre 9000 Soldaten fast 10 Mrd. Dollar in Afghanistan aus (während das Land übrigens nur ca. 600 Millionen Dollar "Entwicklungshilfe" erhielt). Der Etat des Heimatschutzministeriums soll um 10% auf ca. 33,8 Mrd. Dollar steigen. Damit hätten sich die Verteidigungsausgaben unter Bush um ein Drittel erhöht. Wofür wurden diese 600 Mrd $ verwendet? Ein Teil vielleicht in zivile Konjunkturankurbelungsprogramme, (sicher nicht in Programme zur Bekämpfung der Armut), aber auf jeden Fall ist der Großteil in die Rüstung geflossen. Im Gegensatz zu der Position des Frankfurter Proletarischen Zirkels meint die IKS: "Die Kriege der Dekadenz machen, anders als die Kriege in der Aufstiegsperiode, ökonomisch keinen Sinn. Im Gegensatz zur Ansicht, Krieg sei "gut" für die Gesundheit der Wirtschaft, drückt der Krieg heute die unheilbare Erkrankung der Wirtschaft aus und verschlimmert diese. (...) Der Krieg ruiniert das Kapital - er ist sowohl ein Produkt seines Niedergangs als auch treibender Faktor bei dessen Beschleunigung. Die Entwicklung einer blutigen Kriegswirtschaft bietet keine Lösung der Krise des Kapitalismus (...). Die Kriegswirtschaft existiert nicht für sich selbst, sondern weil der Kapitalismus in der Dekadenz dazu gezwungen ist, einen Krieg nach dem anderen zu führen und zunehmend die gesamte Wirtschaft den Kriegsbedürfnissen unterzuordnen. Dies bewirkt einen gewaltigen Aderlass in der Wirtschaft, da Rüstungsausgaben letztendlich unfruchtbar sind (...) Der gegenwärtige Krieg am Golf und -allgemeiner - der ganze "Krieg gegen den Terrorismus" ist mit einem starken Anstieg der Rüstungsausgaben verknüpft, um die Wehretats des Rests der Welt in den Schatten zu stellen. Doch der Schaden, den dieses ungesunde Projekt für die US-Wirtschaft bewirken wird, ist unkalkulierbar."(aus Resolution des 15. Kongresses der IKS zur Internationalen Lage, der zur Zeit des Krieges stattfand: Punkt 20). Die Kriegsziele werden aus ökonomischer Sicht immer irrationaler. Denn durch den Krieg untergräbt der US-amerikanische Staat die Konkurrenzfähigkeit seiner Wirtschaft. Auch wenn einige Rüstungsfirmen massiv Geld einstreichen, verschuldet sich damit der US-Staat selbst astronomisch; das Geld, das in die Taschen der Rüstungskonzerne fließt, wird tatsächlich durch eine Verschuldung des Staates finanziert! Der US-Staat ist gezwungen, überall Geld zur Finanzierung des Krieges einzutreiben. Aber im Gegensatz zu 1991, als die Kriegskosten von 60 Mrd. $ noch von der Golfkriegsallianz gemeinsam aufgebracht wurden, müssen die USA heute die Lasten weitgehend alleine tragen. So blitzten die USA bei der Madrider Geberkonferenz, wo sie auf 36 Mrd $ für die nächsten vier Jahre hofften, ab. Sie brachten nur 13 Mrd $ zusammen, diese nicht mal als Zuschüsse sondern als Darlehen. Und von den Wiederaufbausummen, die vom US-Haushalt bereitgestellt wurden, ging der Großteil in die Finanzierung der US-Militärpräsenz und nicht in den eigentlichen Wiederaufbau (von dem Nachtragshaushalt 2003 der USA in Höhe von 80 Mrd $ wurden nur ca. 20 Mrd $ in Wiederaufbauprogramme gesteckt, den Löwenanteil schlucken die Besatzungskosten, das Verhältnis zwischen dem Militärischen und &Mac226;Zivilen' beträgt 3:1). Im dekadenten Kapitalismus dienen die Kriege nicht der unmittelbaren Ankurbelung der Wirtschaft. Es ist nicht die Wirtschaft, die das Mittel des Krieges wählt, sondern der Militarismus hat der Wirtschaft immer mehr seine Gesetze aufgezwungen. Ein weiterer Erklärungsansatz, der von vielen Gruppen in den Vordergrund gerückt wurde:
Nicht nur sei Bush - so Attac und andere linke Gruppierungen - eine Marionette der Ölindustrie. Vor allem Vizepräsident Cheney sei als Mann der Öl- bzw. Bauindustrie eine treibende Kraft beim Krieg gegen den Irak gewesen, der dem US-Staat seine Appetite auf die Ölkontrolle im Nahen Osten aufgezwungen habe. Einige Gruppen aus dem internationalistischen Lager hauen zwar nicht in diese plumpe Kerbe, legen aber die ganze Betonung auf die Bedeutung der Ölvorkommen und die Kontrolle über die Ölpreise. So erklärte schon Monate vor dem Krieg ein Vertreter von Aufbrechen in Berlin auf einer Diskussionsveranstaltung den Krieg folgendermaßen: "Es geht um gegensätzliche Interessen. Und zwar darum, wer die Hand auf dem Ölhahn hat. Öl ist nicht nur der letzte nicht synthetisch ersetzbare Rohstoff, sondern durch seine zentrale Rolle in der Energiegewinnung geradezu das Schmiermittel der kapitalistischen Wirtschaft. Insofern entspricht ein niedriger Rohölpreis den Akkumulationsbedingungen des Kapitals, um die Profitrate hoch und die Reproduktionskosten des Proletariats in den Industrieländern niedrig zu halten.(...) Wichtiger als ein kurzfristig niedriger Ölpreis (...) scheint in Washington dabei die langfristige und direkte Sicherung der mit Abstand zweitgrößten Erdölreserven der Welt erörtert zu werden. (es folgt ein ausführlicher Hinweis auf die Instabilität und Bedeutung Saudi-Arabiens) (...) Vor diesem Hintergrund rücken die Ölreserven des Irak zunehmend wieder in das Blickfeld der US-Administration, die ja geradezu als Lobby der amerikanischen Ölindustrie gilt." (Einladungsflugblatt zu einer Diskussionsveranstaltung von "Aufbrechen", Gruppe Internationale Sozialisten" im Nov. 2002). Kann der Krieg aus den "lokalen" Faktoren (Vorhandensein von Rohstoffen) und dem jeweiligen Stellenwerte dieser Rohstoffe (zentrales Schmiermittel usw.) in der Wirtschaft erklärt werden? Welche Verbindung gibt es zwischen dem Vorhandensein von Rohstoffen und der Entwicklung des Militarismus? Wenn es um den Beutezug der USA auf die Ölquellen geht, so fällt die Beute der USA bislang sehr mager aus. Denn auch ein Jahr nach dem Krieg ist die Ölförderung im Irak nicht richtig angelaufen. Im Januar 2004 lag die Ölproduktion bei 2,2 Mio. Barrel, davon werden 1,8 Mio. T Barrel exportiert. Vor dem Krieg lag die Kapazität bei 3,5 Mio Barrel. Die Hoffnung, dass die irakischen Ölquellen, deren Ausbeutung angeblich pro Jahr zwischen 25 und 50 Mrd. $ Dollar in die Kassen der Ölgesellschaften spülen sollten, hat sich bislang nicht umsetzen lassen. Um soviel Gelder einzunehmen, müsste die Ölförderung zumindest auf 7 Mio. Barrel erhöht werden. Immer wieder werden Ölpipelines durch Sabotageakte zerstört. Es werden noch Jahre vergehen, bevor die irakischen Ölförderanlagen wieder modernisiert sind; zudem ist völlig unklar, in welchem Maße die Ölrendite aus den irakischen Ölförderungen tatsächlich in US-Kassen fließen. Ein Jahr nach dem Irakkrieg befindet sich der Ölpreis auf einem ähnlichen Niveau wie vor dem Krieg. Die Öleinnahmen des Iraks reichen weder zur Ankurbelung der Wirtschaft des Landes - nicht einmal um nur irakische Ölgesellschaften wieder aufblühen zu lassen - noch um die Kriegskassen der USA ausreichend zu füllen. Hinzu kommt: Heute ist die Lage nicht vergleichbar mit der Situation nach dem 2. Weltkrieg, als im zertrümmerten Europa, Deutschland vor allem, der Marshallplan- mit Wiederaufbaugeldern eine zwanzigjährige Wiederaufbauperiode einleiten konnte. Darüber hinaus sind heute die USA dermaßen verschuldet, dass sie selbst Gelder betteln gehen müssen; ohne die Milliardenanlagen in den USA durch andere Staaten könnte die US-Wirtschaft nicht überleben. Weiter ist offensichtlich: Wenn US-Soldaten und die anderen Truppen der Kriegsallianz sowie irakische Polizei und andere staatliche Institutionen permanent zur Zielscheibe von Terrorangriffen geworden sind, bietet dies kein günstiges Umfeld für irgendwelche US-Aktivitäten. Man mag einwenden, ein Jahr ist für eine Bilanz zu kurz, man müsse das langfristig sehen. Das trifft sicherlich zu - aber auf ökonomischer Ebene ist die Anfangsbilanz für die USA verheerend. Von den großen Renditen aus dem Ölgeschäft keine Spur, nicht einmal ein Ansatz für eine mittelfristige Besserung. Wenn also die USA die gewaltigen Kosten für den Einsatz ihres Kriegsapparates nicht gescheut haben, obwohl sich daraus kein (kurzfristiger) ökonomischer Nutzen schlagen lässt, warum haben sie den Krieg geführt? Welche Schlüsselrolle spielt der Nahe Osten?
Nach dem 11. September haben die USA ihre globale Strategie auf eine höhere Ebene getragen. "Sofort wurde der "Krieg gegen den Terrorismus" als permanente und weltweite Militäroffensive angekündigt. Angesichts der wachsenden Herausforderung durch ihre imperialistischen Rivalen schlugen die USA eine Politik der massiveren und direkteren Militärinterventionen ein, mit dem strategischen Ziel der Umzingelung Europas und Russlands durch die Erlangung der Kontrolle über Zentralasien und Nahost." (Resolution zur internationalen Situation, ebenda, Punkt 6). Auf diesem Hintergrund der globalen geo-strategischen Strategie der USA, wo sie als einzig übrig gebliebene Supermacht der Erde jedem neuen Herausforderer ihrer Vormachtstellung mit größter Entschlossenheit und dem Einsatz aller möglichen Mittel entgegentreten müssen, und wo sie langfristig Europa und Russland einkreisen wollen, ist es für die USA unerlässlich, neben ihrer direkten militärischen Überlegenheit zusätzliche Erpressungsmittel in der Hand zu haben. Für die USA ist es von entscheidender Bedeutung, wenn sie die Abhängigkeit Japans und Europas von den Öllieferungen des Mittleren Ostens ausschlachten können und den Ölhahn nach Belieben zudrehen können, um Europa bzw. Japan entsprechend erpressen zu können. Auf dieser Ebene haben die USA einen wichtigen Punkt errungen. Denn wenn die USA nun den Irak militärisch besetzt halten, können die Europäer keinen Zugang zu irakischem Öl ohne die Zustimmung der USA finden; deshalb werden die meisten europäischen Staaten sowie Russland und Japan danach streben, die USA aus dem Irak zu verdrängen. Aber selbst der strategisch wichtige Punktgewinn für die USA, wodurch sie gegenüber Europa und Japan ein beträchtliches Faustpfand in der Hand haben, hat sich als doppelschneidiges Schwert erwiesen, denn die Spirale des Terrors und Chaos in der Region, den die USA mit dem Krieg weiter angefacht haben, kann nur dazu beitragen, den US-Einfluss in der Region noch weiter zu untergraben und den Gegnern der USA mehr Spielräume zu öffnen. Wenn die USA nun in einen zunehmenden Schlamassel geraten, und sie trotz der hohen, außer Kontrolle geratenen Kosten den Krieg auslösten, obwohl der ökonomische Gewinn in keinem Verhältnis zu den Kosten steht, die Ölfrage somit keine ausreichende Erklärung für den Krieg liefert, zeigt sich damit erneut, dass der Krieg sich immer mehr von einem Kosten-Nutzen-Kalkül gelöst hat und die militärischen Erfordernisse vorherrschend werden. Vielmehr ist der Krieg zur Überlebensform des Systems schlechthin geworden. "Die imperialistische Politik nicht das Werk irgendeines oder einiger Staaten, sie ist das Produkt eines bestimmten Reifegrads in der Welt-entwicklung des Kapitals, eine von Hause aus internationale Erscheinung, ein unteilbares Ganzes, das nur in allen seinen Wechselbeziehungen erkennbar ist und dem sich kein einzelner Staat zu entziehen vermag." (Rosa Luxemburg, Junius-Broschüre). Auf andere Erklärungsansätze können wir aus Platzgründen an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Jedenfalls wäre es wichtig, wenn die Stimmen, die seinerzeit davon sprachen, dass es in Europa zu einer Blockbildung gegen die USA käme, die Wirklichkeit überprüfen, denn die Entwicklung seitdem hat gezeigt, dass Europa weder ein einheitliches Gebilde ist, noch dass sich ein Block Europa versus. USA herausbildet. Auch diejenigen müssen sich hinterfragen, die hinter dem Irak-Krieg die Verteidigung der Vormachtstellung des Dollars sahen und meinten, der Kriege werde u.a. deshalb geführt, weil der Öl-Handel weiterhin in Dollar betrieben werden müsse. Sie schulden sich eine Antwort auf die Frage, warum der Kurs des Dollars seit dem Krieg weiterhin gefallen ist, und der Euro trotz alledem immer neue Höchststände erklommen hat. Auch wenn die Wechselkurse durch verschiedene Faktoren bestimmt werden, ist - ein Jahr nach dem Krieg - keine stärkere Vormachtstellung des Dollars zu erkennen! Anstatt die Wirtschaft anzukurbeln, anstatt den Ölmultis extra-Profite zuzuschustern, hat sich nicht nur im Irak, sondern auch im gesamten Nahen Osten die Spirale der Gewalt, des Militarismus weiter zugespitzt. Diese Zuspitzung der Barbarei auf genau eingrenzbare ökonomische Kalküle zu reduzieren, hieße die Sackgasse des kapitalistischen Systems zu verharmlosen. Deshalb muss der Irak-Krieg Anlass sein, eine wirklich vertiefte Bilanz über die Aussichten des kapitalistischen Systems insgesamt zu ziehen. Aus Platzgründen sind wir nicht auf weitere Aspekte dieser Bilanz eingegangen, die sich für die Arbeit der Revolutionäre ergibt. März 04, Da
Am 31 Januar lud die IKS zu einer Diskussionsveranstaltung in Berlin zum Thema "Die kapitalistische Wirtschaftskrise: Triebkraft der Arbeiterkämpfe" ein. Dort trugen wir unsere Analyse vor, derzufolge die jüngsten Arbeiterkämpfe in Frankreich, Österreich, Italien, Großbritannien, Griechenland, Polen und den USA eine erste Wende im internationalen Klassenkampf seit 1989 bedeuten. Es zeichnet sich der Anfang vom Ende des Rückgangs der Kampfbereitschaft und des Klassenbewusstseins der großen Arbeitermassen ab, welcher Ende der 80er Jahre durch den angeblichen Sieg des Kapitalismus über die Idee des Sozialismus eingeleitet wurde. Wir führen diese neue, wenn auch zaghafte Vorwärtsbewegung des Proletariats in erster Linie auf die Zuspitzung der kapitalistischen Wirtschaftskrise zurück. Dies zwingt eine an mangelndem Selbstbewusstsein und Klassenidentität leidende, aber noch ungeschlagene Arbeiterklasse dazu, den Kampf wieder aufzunehmen und die eigenen Illusionen über den Kapitalismus allmählich aufzugeben. Diese Analyse der IKS geht davon aus, dass die jetzige Krise keine vorübergehende, rein zyklische Erscheinung ist, sondern Ausdruck des historischen Niedergangs dieses Gesellschaftssystems. Gerade darum kann es einem kämpfenden, und dadurch seine eigene Klassenidentität zurückerobernden Proletariat langfristig auch gelingen, eine kommunistische Perspektive wieder zu eröffnen - nicht zuletzt indem es begreift, dass mit dem Stalinismus nicht der Kommunismus, sondern ein Teil der bürgerlichen Welt unterging. Deshalb thematisierte unser Einleitungsreferat auch die Frage der Dekadenz des Kapitalismus. Daraus entwickelte sich eine interessante Diskussion, da mehrere Teilnehmer Einwände gegen diese Position der IKS vorbrachten. Zweck dieses Artikels ist es nicht, die Diskussion auf der Veranstaltung wiederzugeben. Wir wollen an dieser Stelle die Diskussionsteilnehmer (darunter Anhänger der jüngsten Gruppierung linkskommunistisch Interessierter in Berlin, die "Freunde der klassenlosen Gesellschaft" ausdrücklich dazu einladen, über einzelne Einwände hinaus ihre Position zur Theorie der Dekadenz schriftlich auszuformulieren. Sehr gerne würden wir auch die Seiten von Weltrevolution zu Verfügung stellen, um eine solche Debatte öffentlich fortzuführen. Die Wiedergabe und Ausbau unserer eigenen Argumentation auf der Veranstaltung soll an dieser Stelle dazu dienen, eine solche, auch schriftliche Debatte voranzubringen. Gegenüber unserem Einleitungsreferat wurde eingewendet, erstens dass die Frage der Dekadenz des Kapitalismus nicht relevant sei, um die heutige Krise zu beurteilen, und zweitens, dass die Wirtschaftskrise einen zyklischen, wiederkehrenden Charakter habe und als solches kein Faktor wäre, welcher zur Entwicklung eines revolutionären Bewusstseins innerhalb des Proletariats wesentlich beitragen könnte. Vielmehr sei die Erfahrung der kapitalistischen Ausbeutung am eigenen Leibe ausschlaggebend für das Aufbegehren der Klasse gegen das System. Diese Einwände werfen die sehr grundsätzliche Frage auf, welchen Platz die Dekadenztheorie in dem marxistischen Verständnis der Entwicklung sowohl der Wirtschaftskrise wie des proletarischen Klassenbewusstseins einnimmt.
Um diese Fragen zu beantworten, kamen wir auf die berühmte Vorrede zur 1859 erschienenen Schrift "Zur Kritik der politischen Ökonomie" zurück (1). Dort, wo er sein erstes, noch vor dem ersten Band des Kapitals erschienenes, größeres Studium der Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft vorstellt, dessen "Anatomie" in der "politischen Ökonomie" zu suchen sei, erläutert Marx "das allgemeine Resultat" seines Studiums, welches "einmal gewonnen, meinem Studium zum Leitfaden diente". Es folgen zwei "Leitfäden", welche aus unserer Sicht - ohne jeden Zweifel - einen entscheidenden Durchbruch, eine Art kopernikanische Wende in dem Begreifen der Menschheitsgeschichte bedeuten. Erstens: "Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt." Zweitens: "Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen, oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um." Es handelt sich hierbei um Grundsätze der dialektisch-materialistischen Geschichtsauffassung. Wie Engels 1883 am Grab von Karl Marx sich ausdrückte: "Wie Darwin das Gesetz der Entwicklung der organischen Natur, so entdeckte Marx das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte." Es geht um die Frage, ob die Geschichte eine sinnlose Aneinanderreihung von Ereignissen und Ausschreitungen darstellt, welche höchstens für die beteiligten Menschen und Klassen selbst, nicht aber für die Menschheit insgesamt von Bedeutung sind. Oder ob diese Mühen und die Kämpfe miteinander zusammenhängen und eine Menschheitsgeschichte ergeben; ob darin eine - sicherlich nicht lineare - Entwicklung sich abzeichnet, ein Fortschritt hin zu einer Vermehrung der Kultur und des Bewusstseins. Unter &Mac226;Produktivkraft' versteht der Marxismus die - von vornherein gesellschaftliche - Arbeitskraft leibhaftiger Menschen, mit allem, was dazu gehört: Natur, Technik, Wissenschaft, Organisation. Eine gewisse Entwicklungsstufe dieser Produktivkräfte geht mit einer bestimmen Gesellschaftsweise einher. In Bezug auf die Urgesellschaft hat Lewis Morgan (der zu Lebzeiten von Marx und Engels Pionierarbeit auf diesem Gebiet leistete) darauf hingewiesen, dass die Fortschrittsstufen der Gesellschaft mit der Ausweitung deren Unterhaltsquellen einhergehen. Die drei von ihm ausgemachten Stufen der &Mac226;Wildheit' bringt er jeweils mit der Ausbildung der artikulierten Sprache, dem Gebrauch des Feuers und der Erfindung von Bogen und Pfeil in Zusammenhang; die drei Stufen der &Mac226;Barbarei' mit der Einführung der Töpferei, der Zähmung von Haustieren bzw. die Kultur von Nutzpflanzen, und mit dem Schmelzen des Eisenerzes. Mit der Entstehung der Klassengesellschaft findet der Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen als Triebfeder der geschichtlichen Entwicklung seinen Ausdruck im Gegensatz und Kampf der gesellschaftlichen Klassen. Die Rebellion der Produktivkräfte gegen die zu Fesseln gewordenen Verhältnisse findet ihren höchsten Ausdruck im Klassenkampf. Marx spricht in derselben "Vorrede" von aufeinander folgenden, fortschrittlichen Gesellschaftsformationen. "In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und moderne bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden." Das bedeutet, dass in der Menschheitsgeschichte ein Fortschritt stattfindet, und dass die revolutionären Klassen, welche gegen die zu "Fesseln" der Produktivkräfte gewordenen Eigentumsverhältnisse kämpfen, bewusst oder unbewusst nicht nur für ihre eigenen Interessen, sondern für die Entwicklung der Menschheit streiten. Gerade der Marxismus hat den widersprüchlichen, oft paradox erscheinenden Lauf dieses Fortschritts in der Geschichte aufgezeigt. So stellte beispielsweise die Sklaverei gegenüber der klassenlosen Urgesellschaft einen Fortschritt dar. Sie entstand als die Produktion so weit entwickelt war, dass die menschliche Arbeitskraft mehr erzeugen konnte als zu ihrem Unterhalt nötig war. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte es lohnend werden, diese Arbeitskraft auszubeuten. Dies stellte gewissermaßen sogar für die Sklaven selbst zunächst einen Fortschritt dar. "Bisher hatte man mit den Kriegsgefangenen nichts anzufangen gewußt, sie also einfach erschlagen, noch früher hatte man sie verspeist. Aber auf der jetzt erreichten Stufe der "Wirtschaftslage" erhielten sie einen Wert: man ließ sie also leben und machte sich ihre Arbeit dienstbar", schreibt Engels in seinem Buch "Anti-Dühring". Er fügt hinzu: "Erst die Sklaverei machte die Teilung der Arbeit zwischen Ackerbau und Industrie auf größerm Maßstab möglich, und damit die Blüte der alten Welt, das Griechentum. Ohne Sklaverei kein griechischer Staat, keine griechische Kunst und Wissenschaft; ohne Sklaverei kein Römerreich. Ohne die Grundlage des Griechentums und des Römerreichs aber auch kein modernes Europa. (...) In diesem Sinne sind wir berechtigt zu sagen: Ohne antike Sklaverei kein moderner Sozialismus." (2) Doch die Sklaverei selbst erwies sich als unfähig, über einen bestimmten Punkt hinaus die Produktivität der menschlichen Arbeitskraft weiterzuentwickeln. Einerseits bietet sie dem Produzenten keinerlei Anreize, um sich mit ihrer eigenen Produktion zu identifizieren. So können beispielsweise nur sehr grobe Arbeits-instrumente eingesetzt werden, welche die unachtsame Behandlung bzw. die mutwillige Zerstörungswut durch die gänzlich unfreien Produzenten auszuhalten imstande sind. Andererseits ist die Sklaverei auch durch das radikale Desinteresse der herrschenden Klasse selbst an der Produktion gekennzeichnet, welche als die Welt der Unfreiheit und der Unkultur verachtet wird. So erklärt sich, dass in der Antike ansatzweise bereits bekannte Techniken der Dampfkraft oder der Elektrizität lediglich zum Einsatz kamen, um im Kolosseum Käfige zu heben oder im Tempel Lichteffekte zu erzeugen. Obwohl der Untergang der antiken Welt einen gewaltigen Rückgang der Kultur mit sich brachte, so stellte dennoch die Leibeigenschaft des Mittelalters einen echten Fortschritt gegenüber der Sklaverei dar, da die Produzenten nunmehr teilweise für sich selbst arbeiten können. Die feudale Produktionsweise wiederum, mit ihrer lokalen, streng reglementierten, auf der Grundlage der Naturalwirtschaft basierten Gesellschaft, wird zu einer Fessel der Produktivkräfte, sobald die Entwicklung der Warenwirtschaft sich so weit durchsetzt, dass die Produktion auf der Grundlage der freien Lohnarbeit sich zu verallgemeinern beginnt.
In der oben zitierten "Vorrede" stellt Marx ausdrücklich klar, dass die moderne kapitalistische Produktionsweise keine Ausnahme darstellt gegenüber diesem Gesetz der Entwicklung mittels aufeinanderfolgender, jeweils eine aufsteigende und eine niedergehende Phase durchschreitender Formen der Klassengesellschaft. "Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses (...) aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus. Mit dieser Gesellschaftsformation schließt die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab." Was sind nun die "Produktivkräfte" und die "materiellen Bedingungen", der Überwindung dieser Gesellschaft, welche der Kapitalismus selbst hervorbringt? Und ab welchem Zeitpunkt sind diese Bedingungen ausreichend vorhanden? Auf unserer öffentlichen Veranstaltung wurde zum Beispiel argumentiert, dass die Pariser Kommune bewiesen habe, dass die erfolgreiche proletarische Revolution bereits im Frühkapitalismus möglich gewesen wäre. Für die IKS hat die Pariser Kommune bewiesen, dass 1871 eine lokale und kurzzeitige Machtergreifung des Proletariats, nicht aber der Übergang zum Sozialismus möglich war. Bereits 1850 hatte Marx geschrieben: "Bei dieser allgemeinen Prosperität, worin die Produktivkräfte der bürgerlichen Gesellschaft sich so üppig entwickeln wie dies innerhalb der bürgerlichen Verhältnisse überhaupt möglich ist, kann von einer wirklichen Revolution keine Rede sein. Eine solche Revolution ist nur in den Perioden möglich, wo diese beiden Faktoren, die modernen Produktivkräfte und die bürgerlichen Produktionsformen, miteinander in Widerspruch geraten." (3) Marx sagt in derselben Vorrede: "Eine Gesellschaft geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue, höhere Produktionsverhältnisse treten nie an ihre Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind". In ihrer berühmten Polemik mit Bernstein - die 1899 geschriebene Broschüre "Sozialreform oder Revolution" - fasst Rosa Luxemburg diese Vorbedingungen zusammen, worauf sich der Sozialismus stützt: "vor allem auf die wachsende Anarchie der kapitalistischen Wirtschaft, die ihren Untergang zu unvermeidlichem Ergebnis macht, zweitens auf die fortschreitende Vergesellschaftung des Produktionsprozesses, die die positiven Ansätze der künftigen sozialen Ordnung schafft, und drittens auf die wachsende Macht und Klassenerkenntnis des Proletariats, das den aktiven Faktor der bevorstehenden Umwälzung bildet. Es ist der erste der genannten Grundpfeiler des wissenschaftlichen Sozialismus, den Bernstein beseitigt. Er behauptet nämlich, die kapitalistische Entwicklung gehe nicht einem allgemeinen wirtschaftlichen Krach entgegen." (4) M.a.W. die Voraussetzungen des Sozialismus sind zunächst die volle Entwicklung der Industriegesellschaft und des Weltmarktes, aber auch des Weltproletariats d.h. die Entfaltung der Vergesellschaftung der Produktion sowie des revolutionären Subjektes. Das ist der Grund, weshalb die marxistische Bewegung in der aufsteigende Phase des Kapitalismus sich nicht gleichgültig verhielt gegenüber der Entwicklung der Produktivkräfte, sondern beispielsweise die Vereinigung der USA (durch den Bürgerkrieg unter der Führung Präsident Lincolns), Deutschlands oder Italiens begrüßte. Aber zu den Voraussetzungen des Sozialismus gehört auch das Umschlagen der zyklischen Krise des aufstrebenden Kapitalismus in einen "allgemeinen wirtschaftlichen Krach", als Ausdruck des wachsenden Widerspruchs der materiellen Produktivkräfte mit den zu eng gewordenen Produktionsverhältnissen. Die Lohnarbeit, Produktion für den Markt, der Nationalstaat stellen wesentliche Bestandteile dieses eisernen Korsetts dar, welches gesprengt werden muss, damit die Produktivkräfte und alle anderen Kräfte der Menschheit sich frei entfalten können. Chronische Überproduktion, permanente Massenarbeitslosigkeit, Allgegenwärtigkeit des imperialistischen Krieges gehören zu den Markenzeichen dieser Niedergangskrise; der 1. und 2. Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise ab 1929, der nukleare Wettlauf nach 1945, die permanente Überproduktionskrise seit Ende der 1960er Jahre, sowie der Zusammenbruch des Ostblocks 1989 gehören zu den wichtigsten Meilensteinen ihrer Entwicklung.
Nachdem Marx in der Vorrede beschrieben hat, wie die Entwicklungsformen der Produktivkräfte auf einer bestimmten Höhe Fesseln derselben werden, stellt er fest: "Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um." Was das Verhältnis dieses objektiven Umschlags der Gesellschaft von ihrer aufsteigenden in ihrer niedergehenden Phase, zur subjektiven Bewusstseinsentwicklung betrifft, führt Marx aus. "Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebensowenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewußtsein beurteilen, sondern Muß vielmehr dies Bewußtsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären." Daraus schließen wir, dass eine allgemeine Entwicklung eines Bewusstseins der gesamten Arbeiterklasse über die Notwendigkeit, den Kapitalismus zu zerschlagen den Eintritt des Systems in seine Niedergangsphase zur Voraussetzung hat. Man weiß, dass in der Zeit der 2. Internationalen die Vorstellung sich breitmachte, dass die Krise des Kapitalismus quasi automatisch zum Sieg des Sozialismus muss. Als Reaktion auf diesen unmarxistischen Fatalismus, welcher den subjektiven Faktor - den Kampfeswille und das Klassenbewusstsein des Proletariats - verneint, haben unterschiedliche politische Strömung sich dazu hinreißen lassen, den umgekehrten Fehler zu begehen. Es handelt sich hierbei um einen ebenso unmarxistischen Voluntarismus, welcher die Bedeutung der objektiven Voraussetzungen der Revolution - Dekadenz und Wirtschaftskrise etwa - schmälert oder verneint. Der "Bordigismus" beispielsweise verneint die Dekadenz des Kapitalismus und fasst die heutigen Wirtschaftskrisen immer noch als zyklische Ereignisse wie im 19. Jahrhundert auf. Daraus ergibt sich aber das Problem, dass die zyklische Krise niemals einer revolutionären Bewußtseinsentwicklung der Klasse insgesamt den Weg bahnen wird. Weshalb sollten die noch so leidenden Arbeiter die Revolution machen, wenn sie annehmen müssen, dass die Krise wieder vorübergehen wird? So verfällt der "Bordigismus" einem Voluntarismus der Partei: Die Revolution soll dadurch siegen, dass eine furchtbar leidende, aber mehr oder minder unbewusste Klasse sich hinter die Klassenpartei stellt. Doch die russischen Arbeiter stellten sich 1917 nicht unbewußt hinter die Bolschewiki, sondern weil diese sich mittlerweile von der Auffassung der Marxisten selbst überzeugt hatten, dass der Weltkrieg den Niedergang des Kapitalismus und damit die Notwendigkeit des Sozialismus eingeläutet hatte. Einen anderen, diesmal rein voluntaristischen Ansatz dieser Art stellt die Gruppe &Mac226;Gegenstandpunkt' dar. Auch diese Denkrichtung hat mit der Dekadenztheorie von Marx nichts am Hut. Sie geht vom zyklischen Charakter der Krise aus und ist davon überzeugt, dass der Kapitalismus stets diese Krise auf Kosten der Arbeiterklasse überwinden kann. So sieht diese Gruppe die Sprungfeder des revolutionären Bewusstseins nicht in der zunehmenden Krisenhaftigkeit und Anarchie des Kapitalismus, sondern in einer -aus unserer Sicht - abstrakten, alltäglichen Erfahrung der Ausbeutung. Da aber die Ausbeutung seit Jahrtausenden, die spezifisch kapitalistische Ausbeutung seit Jahrhunderten besteht, ist kaum ersichtlich, weshalb das Proletariat plötzlich, ohne weitere Gründe, dagegen rebellieren sollte. So nimmt Gegenstandpunkt Zuflucht in einer vormarxistischen Auffassung und Praxis der reinen Aufklärung: die Arbeiter werden eine revolutionäre Einsicht entwickeln, nachdem sie von Gegenstandpunkt geschult worden sind. Es ist aus unserer Sicht unmarxistisch, die Frage der Ausbeutung und die der Krise in der Entwicklung des Klassenbewusstseins einander entgegenzustellen. Im Kapital Band 1 erklärt Marx gerade, wie die kapitalistische Ausbeutung selbst unvermeidlich, gesetzmäßig das Phänomen der "Überbevölkerung" - also Erwerbslosigkeit und absolute Verarmung - hervorbringt. Marx nennt diese Verelendung des Proletariats das "absolute Gesetz der kapitalistische Akkumulation". Das bedeutet, dass die kapitalistische Ausbeutung selbst die Krise hervorbringt, wie umgekehrt die Vertiefung der Krise zur Verschärfung der Ausbeutung führt. Die Vorstellung, dass die Auffassung von auf- und absteigendes Gesellschaftsformationen zum Fatalismus führt, ist irrig. Vielmehr ging der Fatalismus großer Teile der ihrem Ende zuneigenden 2. Internationale mit der Aufgabe der geschichtlichen Sichtweise des Marxismus einher. Bereits das Kommunistische Manifest hatte nämlich festgestellt, dass der Ausgang der Kämpfe einer revolutionären Epoche nicht von vornherein feststeht, sondern "jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete, oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen." (5) Im Verlauf der Diskussion auf unserer Berliner Veranstaltung wurde angedeutet, dass die marxistische Sicht des Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen als Triebfeder des Fortschritts ein Überbleibsel des idealistischen Einflusses Hegels auf Marx sein könnte. Die Idee eines Gesamtplans der Geschichte setze schließlich eine Art &Mac226;Weltgeist' oder &Mac226;Gott' voraus, welche die Geschicke der Menschheit lenken. In Wahrheit aber glaubt der Marxismus keineswegs, dass der &Mac226;subjektive Faktor' in der Geschichte und insbesondere der Klassenkampf eine bloß passive Widerspiegelung einer von allein sich abspielenden Entwicklung darstellt. Vielmehr betont Marx die Rolle des Klassenkampfes selbst in der Entwicklung der Produktivkräfte. "Eine unterdrückte Klasse ist die Lebensbedingung jeder auf dem Klassengegensatz begründeten Gesellschaft. Die Befreiung der unterdrückten Klasse schließt also notwendigerweise die Schaffung einer neuen Gesellschaft ein. Soll die unterdrückte Klasse sich befreien können, so muss eine Stufe erreicht sein, auf der die bereits erworbenen Produktivkräfte und die geltenden gesellschaftlichen Einrichtungen nicht mehr nebeneinander bestehen können. Von allen Produktionsinstrumenten ist die größte Produktivkraft die revolutionäre Klasse selbst." (6) Die siegreiche Revolution eines bewussten, selbsttätigen Proletariats - das ist heute die Voraussetzung der Aufrechterhaltung und Höherentwicklung der menschlichen Gesellschaft.
Fussnoten(1) Marx-Engels Werke (MEW), Bd 13, S. 9,10 (2) MEW Bd 20, S. 168 (3) MEW Bd 7, S. 440 (4) Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd 1/1, S. 375 (5) MEW Bd 4, S. 462 (6) Marx, Das Elend der Philosophie, 1847, MEW Bd 4, S. 181
202 Tote bis heute und mehr als 1500 Verletzte, vier zerstörte Züge, Leichen, die so zerfetzt waren, dass man sie nur noch mit Hilfe der DNS identifizieren konnte - das ist einstweilen die entsetzliche Bilanz des terroristischen Anschlags, des so genannten "Todeszuges", der den Morgen des 11. März in Madrid zerriss. Wir haben es mit einer Kriegshandlung zu tun wie am 11. September 2001 beim Angriff auf die Twin Towers in New York. Und einmal mehr befinden sich die Opfer v.a. unter der wehrlosen Zivilbevölkerung, insbesondere unter den Arbeitern: Arbeiter, die sich wie jeden Tag, wie überall in die überfüllten Vorortszüge drängen müssen, um von der Peripherie der großen Städte zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen; die Söhne und Töchter von Arbeitern, die wie jeden Tag, wie überall diese gleichen Züge benützen, um zur Schule oder zur Universität zu fahren. Genau die Umstände, die sie dazu zwingen, massenhaft in diesen Schlafstädten zu hausen und sich in den öffentlichen Verkehrsmitteln zusammenpferchen zu lassen, um zur Arbeit zu fahren, hat sie zu leichten Opfern des Terrors gemacht - eines Terrors, der damit noch gewaltigere und makabrere Dimensionen erreicht hat. Wie der 11. September ist der 11. März ein wichtiges Datum in der Geschichte der terroristischen Massaker. Es ist nicht nur das größte Massaker, das die spanische Bevölkerung seit dem Bürgerkrieg von 1936-39 erlitten hat, sondern auch der mörderischste terroristische Anschlag in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Bourgeoisie vergießt heute zynisch ganze Ströme von Krokodilstränen über die Opfer, sie ruft in Spanien drei Tage Staatstrauer aus, sie überschwemmt die Medien während 24 Stunden am Tag mit Sonderberichten, sie akkumuliert Schweigeminuten, sie veranstaltet Demonstrationen gegen den Terrorismus usw. Wir sprechen der heuchlerischen Bourgeoisie und ihren Medien wie schon nach dem 11. September jedes Recht ab, wegen der ermordeten Arbeiter Trauer zu zeigen, denn "die herrschende Kapitalistenklasse ist schon verantwortlich für so viele Massaker und so viele Gemetzel: das schreckliche Abschlachten des 1. Weltkriegs, das noch größere Abschlachten des 2. Weltkriegs, als zum ersten Mal die Zivilbevölkerung zur Hauptzielscheibe wurde. Erinnern wir uns, zu was die herrschende Klasse fähig war: Sie hat London, Dresden, Hamburg, Hiroshima, Nagasaki bombardiert und Millionen Tote in den KZs der Nazis und im Gulag des Stalinismus hinterlassen. (...) Erinnern wir uns an die Hölle der Bombardierungen der Zivilbevölkerung und der flüchtenden irakischen Armee während des Golfkrieges 1991 und der Hunderttausenden von Toten. Erinnern wir uns an die alltäglichen und noch fortdauernden Massaker in Tschetschenien, die in Komplizenschaft mit den Demokratien des Westens verübt werden. Erinnern wir uns an die Komplizenschaft des belgischen, französischen und amerikanischen Staates während des Bürgerkriegs in Algerien, an die schrecklichen Pogrome in Ruanda. (...) Erinnern wir uns auch an die afghanische Bevölkerung, die heute durch amerikanische Bomben terrorisiert wird und die schon mehr als 20 Jahre an ununterbrochenem Krieg leidet (...) Dies sind nur einige Beispiele von vielen für das Wüten eines Kapitalismus, der immer mehr in einer unüberwindbaren Wirtschaftskrise versinkt und unwiderruflich im Niedergang steckt. Der Kapitalismus steckt in einer verzweifelten Lage." Seit wir diese Zeilen im Oktober 2001 in der Internationalen Revue Nr. 28 geschrieben haben, ist die geschilderte Barbarei nicht zurück gegangen, sondern vielmehr weiter angewachsen; neue grausige Marksteine sind in diese Liste einzutragen, namentlich der zweite Irakkrieg, die unaufhörlichen Massaker im Nahen Osten, die Tötungen vor kurzem in Haiti oder die terroristischen Anschläge in Bali, Casablanca, Moskau usw. Auf diese Liste gehört nun auch der Bahnhof von Atocha in Madrid. Die Anschläge vom 11. März sind nicht ein Angriff "auf die Zivilisation", sondern im Gegenteil der Ausdruck dessen, was diese "Zivilisation" der Bourgeoisie wirklich ist: ein Ausbeutungssystem, das aus jeder Pore Elend, Krieg und Zerstörung schwitzt. Ein System, das der Menschheit keine andere Perspektive anzubieten hat als die der Barbarei und der Vernichtung. Der Terrorismus ist nicht ein Nebenprodukt, kein uneheliches Kind des Kapitalismus, von dem er lieber nichts wissen will, sondern vielmehr das natürliche Erzeugnis des Kapitalismus, sein ganz eigenes Kind, wie es auch der imperialistische Krieg ist; und in dem Maße wie der Kapitalismus unaufhaltsam in der letzten Phase seiner Dekadenz - in derjenigen des Zerfalls - versinkt, wird der Terrorismus immer grausamer und irrationaler.
Eines der Merkmale der kapitalistischen Dekadenz ist, dass der imperialistische Krieg zur dauernden Lebensweise dieses Systems wird mit der Folge, dass "diese [kleinbürgerlichen] Klassen ihre Unabhängigkeit völlig verlieren und nur noch als Manövrier- und Unterstützungsmasse für die Auseinandersetzungen dienen, die die verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse sowohl innerhalb als auch außerhalb der nationalen Grenzen austragen" (Internationale Revue Nr. 3, "Terror, Terrorismus und Klassengewalt", 1978). Von den 60er Jahren bis heute bestätigt die Entwicklung des Terrorismus voll und ganz den beschriebenen Charakter dieses Mittels, das von den verschiedenen Fraktionen der nationalen Bourgeoisie und von jedem imperialistischen Rivalen in seinem Kampf gegen die internen Herausforderer oder im globalen Maßstab eingesetzt wird. Der Terrorismus ist somit das gehätschelte Kind des Kapitalismus, das ständig von den einen oder den anderen mit Blut genährt wird. Terrorismus und imperialistische Auseinandersetzungen waren und sind bluttriefende Synonyme und werden es je länger je mehr sein. Im Laufe der 60er und 70er Jahre zögerte die Bourgeoisie keine Sekunde, sich der "selektiven" Ermordung von politischen Führern zu bedienen, um ihre "internen Affären" zu bereinigen. Erinnern wir uns daran, wie die Bombe, die Carrero Blanco (den spanischen Premierminister des franquistischen Regimes) in den Himmel und gleichzeitig die ETA auf die höchsten Gipfel des Terrorismus katapultierte, von der herrschenden Klasse benutzt wurde, um den Wechsel des politischen Regimes in Spanien voranzutreiben. Die Bourgeoisie zeigte auch keine Hemmungen, den Terrorismus als Mittel zur Destabilisierung des Nahen Ostens einzusetzen, als sie 1981 den ägyptischen Präsidenten Sadat oder 1995 den israelischen Yitzak Rabin ermordete. Wenn es darum geht, ihre Interessen gegen konkurrierenden nationale Fraktionen oder gegen andere Imperialisten zu verteidigen, hat die Bourgeoisie keine Skrupel, blindwütige Massaker unter der Zivilbevölkerung anzurichten. Um nur ein Beispiel zu erwähnen: Dies war 1980 in Italien der Fall, als ein Anschlag auf den Bahnhof von Bologna verübt wurde, bei dem 80 Menschen starben und der während langer Zeit den Roten Brigaden zugeschrieben wurde, in Tat und Wahrheit aber auf das Konto des italienischen Geheimdienstes und des Netzes Gladio ging, das die USA in ganz Europa aufgebaut hatten, um den Einfluss des russischen Imperialismus zurückzudrängen. Während dieser ganzen Zeit stand der Terrorismus immer mehr im Dienst der imperialistischen Auseinandersetzungen im Rahmen der Konfrontation der beiden Supermächte. Die Tendenz zum verallgemeinerten Chaos bestimmt die imperialistischen Auseinandersetzungen seit dem Ende der 80er Jahre, d.h. seit der Kapitalismus in seine Zerfallsphase eingetreten ist (1). Die Konstellation zwischen den beiden imperialistischen Blöcken, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebildet worden waren, wurde abgelöst durch das Gesetz des "Jeder-für-sich" (2). Der Terrorismus wird in diesem Zusammenhang immer mehr zu einer Waffe in den Händen der Staaten, und zwar gerade auch in den Kriegen selber, in denen die Armeen immer mehr auch terroristische Methoden anwenden wie die Bombardierung von Spitälern und Schulen z.B. im Irakkrieg vor kurzem. Der Zerfall des Kapitalismus drückt seinen Stempel auch den terroristischen Anschlägen auf: Die "Höllenmaschinen" zielen je länger je weniger auf "militärische oder politische Objekte" ab und greifen stattdessen direkt die wehrlose Zivilbevölkerung an. Die grässliche Reihe solcher Anschläge begann mit dem Bomben, die im September 1987 in den Straßen von Paris blindwütig töteten; sie erreichte eine Art Höhepunkt mit den beiden vollen Passagierflugzeugen, die in die Twin Towers rasten und sie zerstörten, in denen sich Tausende von Personen befanden; sie setzte sich fort mit den Toten von Bali, Casablanca, Moskau bis in die jüngste Vergangenheit, um nun die Arbeiter, die sich zusammengepfercht in den Vorortszügen befanden, im Bahnhof von Atocha, Madrid, zu treffen. Es wäre ein Illusion anzunehmen, dass diese Barbarei aufhören wird. Solange die Arbeiterklasse, die einzige gesellschaftliche Kraft, die angesichts der kapitalistischen Barbarei eine Alternative anzubieten hat, nicht ein für allemal mit diesem unmenschlichen Ausbeutungssystem Schluss macht, wird die Menschheit weiterhin und überall auf der Welt unter der ständigen Drohung neuer, immer brutalerer Anschläge und neuer, immer zerstörerischerer Kriege leben - und sterben. Mit dem Fortschreiten des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft tauchen ihre Nebenprodukte wie Ratten auf, nämlich die verantwortungslosesten und irrationalsten Fraktionen, aus denen sich alle terroristischen Banden rekrutieren, die kleinen Kriegsherren, die örtlichen Gangster usw., die nicht nur über unvergleichliche Zerstörungsmittel verfügen, sondern auch über zahlreiche "Paten", denen ihre Verbrechen nützen. Nach dem Anschlag auf das World Trade Centre in New York schrieben wir: "Wir können nicht mit Sicherheit behaupten, dass heute Osama Bin Laden wirklich verantwortlich ist für die Angriffe auf das World Trade Centre, wie dies der US-Staat behauptet. Aber wenn diese Hypothese sich als richtig herausstellt, dann ist nur ein Kriegsherr der Kontrolle seiner alten Herren entwichen." (Internationale Revue Nr. 28). Dies ist ein Beispiel eines entscheidenden Merkmals in der Entwicklung hin zur Verallgemeinerung der Barbarei: Unabhängig davon, welcher imperialistischen Macht oder Fraktion der Bourgeoisie die terroristischen Machenschaften nützen, entrinnen diese immer mehr den vorgefassten Plänen derjenigen, die sie ins Leben gerufen haben. Wie beim Zauberlehrling wird die "Schöpfung" unkontrollierbar. Zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels können wir mangels wirklich konkreter Elemente und aufgrund des schwachen Vertrauens, das wir in die bürgerlichen Medien haben, nur unseren Rahmen der Analyse anwenden und gestützt auf unsere geschichtliche Erfahrung die Frage stellen: Wem nützt das Verbrechen?
Wie wir schon weiter oben festgestellt haben, sind der Terrorismus und die imperialistischen Zusammenstöße heute Blutsbrüder. Der Anschlag auf das World Trade Centre am 11. September 2001 war von weitreichendem Nutzen für den amerikanischen Imperialismus, der seine alten Verbündeten, die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zu Rivalen geworden waren (wie Frankreich und Deutschland), nötigen konnte, ihn in seinem militärischen Feldzug zur Besetzung Afghanistans zu unterstützen. Die Stimmung, die der 11. September hervorrief, erlaubte es der Bush-Administration weiter, den zweiten Golfkrieg durch eine Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung absegnen zu lassen. Aus diesem Grund ist es vollkommen berechtigt, sich die Frage zu stellen, ob der unglaubliche "Mangel an Voraussicht" bei den amerikanischen Geheimdiensten vor dem 11. September nicht damit zu tun hatte, dass man Al Kaida einfach "machen lassen" wollte (3). Was die Anschläge vom 11. März betrifft, ist es klar, dass sie überhaupt nicht den USA nützen. Das Gegenteil ist der Fall. Aznar unterstützte unerschütterlich die amerikanische Politik (er war Teil des "Trios der Azoren" - USA, Großbritannien und Spanien - der Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates, die sich zum Aufruf für den zweiten Golfkrieg zusammengefunden hatten), doch Zapatero, der ihn nach dem Wahlsieg des PSOE vom 14. März ablösen wird und der diesen Sieg den Attentaten von Atocha verdankt, hat schon bekannt gegeben, dass er die spanischen Truppen aus dem Irak abziehen werde. Dies ist eine Ohrfeige für die amerikanische Regierung und ein unbestreitbarer Sieg für das französisch-deutsche Tandem, das heute im Widerstand gegen die US-Diplomatie federführend ist. Der Misserfolg der amerikanischen Politik bedeutet aber keineswegs einen Sieg für die Arbeiterklasse, wie es nun gewisse Kreise darzustellen versuchen. In den Jahren 1982-1996 war der PSOE an der Regierung und bewies, dass er ein eifriger Verteidiger der kapitalistischen Interessen ist. Die Rückkehr des PSOE an die Regierung wird nicht das Ende der bürgerlichen Angriffe auf das Proletariat bedeuten. Auch der gegenwärtige diplomatische Erfolg von Chirac und Schröder ist derjenige von zwei weiteren treuen Vertretern des Kapitalismus, ein Erfolg also, der der Arbeiterklasse absolut nichts bringt. Im Gegenteil: Die Ereignisse in Madrid haben der Bourgeoisie insgesamt eine ideologische Kampagne erlaubt, die die Lüge verstärkt hat, wonach das beste Mittel gegen den Terrorismus die "Demokratie" sei. Die Wahlen seien eine Waffe im Kampf gegen die arbeiterfeindliche Politik und die Kriegstreiberei der Bourgeoisie; die Friedensdemonstrationen seien ein wirkliches Bollwerk gegen den Krieg. So erlitt die Arbeiterklasse nicht nur einen körperlichen Angriff mit all den Toten und Verletzten vom 11. März, sondern auch einen weitreichenden politischen Angriff. Noch einmal: Das Verbrechen diente der Bourgeoisie. Deshalb gibt es nur einen Ausweg aus der terroristischen Barbarei, diesem Ausdruck des imperialistischen Krieges und der Ausbeutung:
Mit Dutzenden von noch nicht identifizierten Leichen, mit all den Immigranten-Familien ohne legalen Aufenthalt (29 Tote und mehr als 200 Verletzte sind Immigranten), die es aus Angst davor, ausgeschafft zu werden, nicht wagen, ihre Verwandten in den Krankenhäusern und improvisierten Leichenhallen zu suchen, schafft die Bourgeoisie eine zusätzliche Katastrophenstimmung, um die Proletarier daran zu hindern, über die Ursachen und die Folgen des Attentats nachzudenken. Im ersten Moment nach den Anschlägen, bevor die staatlichen Rettungsdienste eintrafen, waren es die Opfer selber - die Arbeiter und die Kinder der Arbeiterklasse, die in den "Todeszügen" gereist waren oder die sich in den betroffenen Bahnhöfen befanden, die Bewohner der Quartiere Santa Eugenia und El Pozo -, die den Verwundeten erste Hilfe leisteten und die auf den Gleisen herumliegenden Toten mit Tüchern zudeckten. Sie waren von einem tiefen Solidaritätsgefühl getragen. Diese Solidarität brachten Tausende und Abertausende von Leuten zum Ausdruck mit Blutspenden, mit ihrem Angebot, in den Spitälern zu helfen, aber auch Feuerwehrleute, Sozialarbeiter, Spitalangestellte, die freiwillig über die bezahlte Arbeitszeit hinaus arbeiteten trotz dem schreienden Mangel an Mitteln, da der Staat auch und gerade im Gesundheitswesen und beim Katastrophenschutz spart. Wir Revolutionäre und alle Proletarier müssen unsere Solidarität mit den Opfern hinausschreien. Nur die Entwicklung der Solidarität, die die Arbeiterklasse als revolutionäre Klasse in sich trägt und die sich insbesondere in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus ausdrückt, wird die Grundlagen einer Gesellschaft herstellen, in der diese Verbrechen, diese Ausbeutung, diese abscheuliche Barbarei definitiv abgeschafft, überwunden werden. Die Empörung der Arbeiterklasse über den grauenhaften Anschlag, ihre natürliche Solidarität mit den Opfern wurden durch das Kapital manipuliert und auf seine Propaganda-Mühlen umgeleitet. Nach dem Blutbad rief die Bourgeoisie die Arbeiter am 12. März zur "Demonstration gegen den Terrorismus und für die Verfassung" auf; sie verlangte von ihnen, als spanische Bürger unter dem Schlachtruf "España unida jamás será vencida" (das vereinte Spanien wird nie besiegt werden) zusammenzurücken; sie forderte sie auf, am 14. März massenhaft wählen zu gehen, damit "sich diese Akte der Verwilderung nicht wiederholen". Die patriotische Stimmungsmache, die sowohl von der Rechten (Aznar sagte: "sie starben, weil sie Spanier waren") als auch von der Linken ("wenn Spanien nicht am Irakkrieg teilgenommen hätte, wären diese Anschläge nicht verübt worden") betrieben wurde, hatte einzig das Ziel, den Proletariern einzureden, das Interesse der Nation sei auch ihres. Das ist eine Lüge, eine zynische und schamlose Lüge! Eine Lüge, die darauf abzielt, die Reihen der Pazifisten aufzufüllen, die - wie wir in unserer Presse schon verschiedentlich hervorgehoben haben - den Krieg nicht verhindern, sondern vom wirklichen Kampf gegen den wirklichen Kriegstreiber - den Kapitalismus - ablenken. Der Kapitalismus hat der Menschheit keine andere Zukunft anzubieten als diejenige ihrer Vernichtung durch immer mörderischere Kriege, immer barbarischere Anschläge, Elend und Hunger. Die Losung, die die Kommunistische Internationale zu Beginn des 20. Jahrhunderts verkündet hat, fasst treffend die Perspektive zusammen, die sich mit dem Eintritt des kapitalistischen Systems in seine niedergehende Phase eröffnet hat, und bleibt nach wie vor gültig: "das Zeitalter der Kriege und der Revolutionen", dessen Ausgang nur der Sieg entweder "des Sozialismus oder der Barbarei" sein kann. Der Kapitalismus muss untergehen, damit die Menschheit leben kann, und es gibt nur eine einzige gesellschaftliche Klasse, die die Rolle des Totengräbers des Kapitalismus übernehmen kann, das Proletariat. Wenn es der Weltarbeiterklasse nicht gelingt, ihre Unabhängigkeit als Klasse im Kampf zur Verteidigung zunächst ihrer eigenen Interessen, dann zur Überwindung dieser verfaulten Gesellschaft zu behaupten, wird die Menschheit keine andere Zukunft haben als die der Zerstörung auf dem Weg der Vervielfachung von Zusammenstößen zwischen bürgerlichen Banden und zwischen Staaten, die alle Mittel bis hin zu den unbeschreiblichsten einsetzen werden, unter denen die Waffe des Terrorismus zur alltäglichen Banalität verkommen wird. IKS, 19.03.04
Fussnoten
(1) Internationale Revue Nr. 13, "Der Zerfall: letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus" (2) Internationale Revue Nr. 31, "15. Kongress der IKS - Resolution über die internationale Situation" (3) Vgl. dazu unseren Artikel "Pearl Harbor 1941, Twin Towers 2001 - der Machiavellismus der herrschenden Klasse" in Internationale Revue Nr. 29
Auf dem Parteitag der SPD Mitte März 2004 übergab Bundeskanzler Schröder den Parteivorsitz der deutschen Sozialdemokratie an den bisherigen Fraktionsvorsitzenden Franz Müntefering. Doch bereits Anfang Februar, nach Bekanntgabe des beabsichtigten Rücktritts Schröders als Parteichef, war öffentlich vielfach vom "Anfang vom Ende" der Ära Schröder, von "Götterdämmerung" der Rot-Grünen Bundesregierung in Berlin die Rede. Von Seiten der Opposition wurde sofort der Ruf nach Neuwahlen angestimmt. Was bedeutet dieser Stabwechsel an der Spitze der erfahrensten und zuverlässigsten Partei des deutschen Kapitals? Was sagt er aus über das Kräfteverhältnis der Klassen sowie über die politische Orientierung der Bourgeoisie in Deutschland? Zunächst einmal ist es verfrüht, von dem Ende der Rot-Grünen Regierungskoalition zu sprechen oder Schröder selbst abzuschreiben. Schließlich bleibt der "Genosse der Bosse" als Bundeskanzler zunächst weiterhin unbestritten. Und sein Parteiamt hat er nicht an eine rivalisierende Fraktion innerhalb der SPD, sondern an seine eigene "rechte Hand" - den "stets loyalen Parteisoldaten Münte" - abgegeben, und zwar sozusagen von sich aus, ohne dass es irgend welche Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen gegeben hätte. Dennoch ist dieser Schritt politisch von Bedeutung. Fest steht jedenfalls, dass Schröder nicht ohne guten Grund eine solche Machtposition räumt. Man sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass Schröder nach seinem Machtantritt 1998 seine Hauptaufmerksamkeit zunächst der Aufgabe schenkte, durch den Sturz Lafontaines, Kanzlerschaft und Parteivorsitz in einer, und zwar in seiner eigenen Hand zu vereinigen. Natürlich hängt dieser Rücktritt mit der Zuspitzung der weltweiten Wirtschaftskrise des Kapitalismus zusammen. Vor sechs Jahren, als Schröder Helmut Kohl als Bundeskanzler ablöste, versprach er, durch eine "modernere" und zugleich "gerechtere" Wirtschaftspolitik die lahmende Konjunktur anzukurbeln, die ausufernde Staatsverschuldung einzudämmen, v.a. aber die Massenarbeitslosigkeit zu reduzieren. Heute ist es nicht mehr zu übersehen, wie kläglich er mit diesem Vorhaben gescheitert ist. Allerdings: dieses Scheitern bildet zwar den Hintergrund, liefert aber nicht den eigentlichen Grund dafür, dass Schröder den Parteivorsitz weiterreicht. Schließlich wird gerade die Wirtschaftspolitik der jetzigen Bundesregierung, insbesondere die "Agenda 2010", geschlossen von der gesamten deutschen Bourgeoisie mitgetragen. Was den Ausschlag für diese Entscheidung an der SPD-Spitze gegeben hat, war vielmehr der Prozess der Desillusionierung, welchen die Verschärfung der Krise und der Angriffe gegen die Bevölkerung in den Reihen der Arbeiterklasse einzuleiten beginnt. Insbesondere die Illusion, dass eine linke Regierung für die arbeitende Bevölkerung das "kleinere Übel" darstellen könnte gegenüber der Regentschaft der konservativen Parteien, hat unter den Hammerschlägen der krisengeschüttelten Realität gelitten. Dies zeigt sich u.a. im historischen Umfragetiefststand der SPD sowie im Hamburger Wahldebakel. Da den linken Parteien des Kapitals - auch dann, wenn sie Regierungsverantwortung übernehmen - die spezifische, unverzichtbare Aufgabe zukommt, die Arbeiterklasse zu kontrollieren, muss diese Entwicklung die herrschende Klasse beunruhigen.
Hinzu kommt aber ein zweites Problem, worauf die Bourgeoisie reagieren muss, nämlich eine gewisse ideologische Desorientierung innerhalb der SPD, welche u.a. im andauernden Mitgliederschwund der Partei ihren Ausdruck findet. Es gehört zum politischen Selbstverständnis linker bürgerlicher Parteien, dass sie sich von ihren konservativen Partnern abheben: politisch durch eine energischere Propagierung offen staatskapitalistischer Maßnahmen sowie ideologisch durch eine ausgeprägtere "sozialstaatliche" Demagogie. In dieser Hinsicht ist die Lage der regierenden Sozialdemokratie in Deutschland eine andere als beispielsweise in Großbritannien. Dort löste "New Labour" eine Tory Party an der Regierung ab, welche bereits vorher, v.a. unter Margret Thatcher, eine ganz radikale "Sozialdemontage" betrieben hatte. So fiel es Tony Blair nicht schwer, durch geschickte Demagogie seine Fortsetzung der Thatcherpolitik als einen "gerechteren" und "ausgewogeneren" Kurs zu verkaufen. In Deutschland hingegen fiel der Abbau der Sozialleistungen unter der Regierung Kohl weniger radikal aus, da die wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik bis 1989 im Vergleich zum britischen Konkurrenten noch relativ günstig war, und da nach 1989 die deutsche Wiedervereinigung zunächst politisch Tür und Tor öffnete für eine hemmungslose Verschuldungspolitik auf Kosten der Zukunft. So ergibt sich, dass heute in Deutschland nicht eine konservative, sondern eine sozialdemokratisch geführte Regierung diese nicht mehr aufschiebbare "Sozialdemontage" einleiten muss. So kommt es, dass im Fernsehen immer wieder verunsicherte SPD-Mitglieder zu Wort kommen, die zwar gegen die "Agenda" nichts einzuwenden haben, aber um so eindringlicher von der Parteiführung eine plausible ideologische Rechtfertigung dafür verlangen, damit man sich weiterhin von den rechten Parteien abgrenzen kann. Insofern spiegelt der Führungswechsel innerhalb der SPD die Abnutzung der typischen Illusionen der 90er Jahre wieder, als man halbwegs glaubwürdig noch über neue Wachstumschancen, Volksaktien und eine Internetrevolution schwafeln konnte. Andererseits darf man die politischen Schwierigkeiten der Bourgeoisie auf dieser Ebene auch nicht überschätzen. Keineswegs ist die Lage vergleichbar mit der Ende der 70er Jahre in England oder Anfang der 80er in der damaligen Bundesrepublik, als angesichts der Entwicklung der Kampfbereitschaft und des Klassenbewusstseins des Proletariats die bis dahin regierende Sozialdemokratie in die Opposition gehen musste, wollte sie ihre Glaubwürdigkeit und ihre Fähigkeit, die Arbeiterkämpfe zu sabotieren, intakt halten. Während damals der sozialdemokratische Kanzler Schmidt von seiner eigenen Partei öffentlich desavouiert wurde, gibt es heute noch keine öffentliche Infragestellung der eigenen Regierungstauglichkeit von Seiten der SPD. Der Rücktritt Schröders ist somit nicht nur ein passives Ergebnis der sozialpolitischen Entwicklung, sondern stellt bereits eine Antwort der herrschenden Klasse darauf dar. Da die Desillusionierung der Arbeiterklasse gegenüber der angeblich linken Reformalternative der letzten sechs Jahre sowie der wachsende Unmut gegenüber "2010" besonders eng mit dem Namen Schröder verknüpft ist, versucht die Bourgeoisie, durch eine gewisse, zur Schau gestellte Distanzierung der SPD von ihrem Kanzler, den Abwärtstrend der Sozialdemokratie einzudämmen. Kein Zufall also, dass der Parteitag, der Müntefering zum neuen Vorsitzenden kürte, sich besonders gewerkschaftsfreundlich zeigte und traditionelle sozialdemokratische Themen wie die Erbschafts- oder Vermögenssteuer bzw. die Ausbildungsplatzabgabe hervorzukramen begann. Es gilt also, die vielbeschworene "Seele" der Partei zu massieren und rechtzeitig zum "Superwahljahr" 2004, v.a. aber bis zum nächsten Bundestagswahltermin das Image der Partei wieder aufzupolieren und ihren Abwärtstrend auf Wahlebene aufzuhalten. Bis zur nächsten Bundestagswahl hat die Bourgeoisie noch Zeit genug um zu überlegen, welcher Partei sie den neuen Regierungsauftrag erteilen will. Momentan geht es der herrschenden Klasse um andere Ziele.
Erstens darum zu verhindern, dass die SPD durch ihre lange Regierungsbeteiligung in Zeiten der immer offeneren und brutaleren Wirtschaftskrise nicht zu viel Einfluss gegenüber den Arbeitern verliert. Zweitens soll durch eine allmähliche Eindämmung des Abwärtstrends bei den Wahlen der Einfluss der Sozialdemokratie innerhalb des Staatsapparates stabilisiert werden. Das ist wahrlich eine Herzensangelegenheit des deutschen Kapitals. Darüber hinaus soll dadurch v.a. für die nächsten Bundestagswahlen die "Spannung" aufrechterhalten werden, indem bis dahin der Stimmenabstand zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb bei den Wahlprognosen verkleinert wird. Denn nach wie vor - und erst recht angesichts der Brutalität der Angriffe von heute - bleibt der demokratische Zirkus eines der Hauptmittel der Herrschenden, um die Arbeiterklasse von ihrem eigenen Kampf abzuhalten. Drittens hat die deutsche Bourgeoisie - so wie die Lage sich gegenwärtig darstellt - ein Interesse daran, die SPD weiterhin regierungsfähig zu halten. Zugegeben: nach einer längeren Regierungszeit würde der Sozialdemokratie eine Erholungskur in der Opposition sicher gut tun. Zugegeben: die deutsche Bourgeoisie verfügt neben der SPD mit der Union und der FDP über zwei sehr erfahrene, kompakte und disziplinierte Staatsparteien, welchen ohne Bedenken Regierungsverantwortung übertragen werden können. Doch noch bleibt ungeklärt, mit welchem Kanzlerkandidat die Union antreten wird. Das Abschmettern des von der CSU befürworteten Kandidaten Schäuble zum Bundespräsidenten, durch die CDU, bestätigt, dass die CDU-Vorsitzende Merkel fest entschlossen ist, sich als Kanzler in spe durchzusetzen. Da Merkel anlässlich des letzten Irakkriegs gegenüber den USA eine weniger entschlossene Haltung als die Regierung Schröder vertrat und seitdem noch nicht von dieser Linie deutlich abgerückt ist, muss der deutsche Imperialismus weiter daran interessiert sein, sich die Möglichkeit der Fortsetzung der jetzigen Regierung noch offen zu halten. Denn obwohl Deutschland die Eroberung des Iraks durch Amerika vor einem Jahr nicht aufhalten konnte, ist durch die Schwierigkeiten der Besatzungsmacht und ihres Verbündeten dort seitdem das Pendel wiederum zugunsten Deutschlands ausgeschlagen. Wie sehr Deutschland - im Rahmen der Probleme der USA im Irak - von der Außenpolitik Schröders gegenwärtig profitiert, um seinen eigenen Einfluss in der islamischen Welt zu stärken, zeigte neulich beispielhaft die Rolle Berlins bei der Organisierung eines Gefangenenaustausches zwischen Israel und der Hisbollah im Nahen Osten. Und wie wenig die westeuropäischen Regierungen, welche "à la Merkel" die Politik der Teilnahme am Irakkrieg gutgeheißen haben, davon profitierten, zeigt das derzeitige Abrücken der neuen spanischen Regierung von der privilegierten Partnerschaft mit Washington. Die Fähigkeit Schröders, die strategischen Interessen des deutschen Imperialismus zu deuten und ihnen zu dienen, zeigt auch seine Intervention, um durch die Aufnahme der Firma Siemens ins Maut-Konsortium zunächst einmal das "Toll Collect" Projekt zu retten, welches nicht nur dem Eintreiben einer LKW-Maut, sondern darüber hinaus der Förderung einer eigenständigen europäischen Satellitentechnologie dient. Der Hintergrund des Personalwechsels an der Spitze der SPD beleuchtet somit die anhaltende Bedeutung der deutschen Sozialdemokratie als scharfer Waffe des Imperialismus und als erfahrener Gegner der Arbeiterklasse.
AF 21.04.2004