Veröffentlicht auf Internationale Kommunistische Strömung (https://de.internationalism.org)

Startseite > Weltrevolution - 2000s > Weltrevolution - 2003 > Weltrevolution Nr. 121

Weltrevolution Nr. 121

  • 2225 Aufrufe

1. November in Berlin

  • 2067 Aufrufe

Ein erstes Anzeichen einer unterirdischen Bewusstseinsentwicklung

Als Ende Oktober die Delegiertenversammlung der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di in Berlin tagte, wurde viel darüber spekuliert, ob Frank Bsirske, Vorsitzender einer der größten Einzelgewerkschaften der Welt, zu der bevorstehenden Demonstration am 1. November in der Bundeshauptstadt aufrufen würde oder nicht.

Ver.di und PDS lassen ATTAC und den Sozialforen den Vortritt

Er tat es nicht – obwohl viele Geschäftsführer und Bezirksleiter von Ver.di bereits zu den Erstunterzeichnern des Demonstrationsaufrufes ”gegen den Sozialabbau” gehörten; obwohl Bsirske selbst auf der Delegiertenversammlung ein Abrücken seiner Gewerkschaft von der rot-grünen Bundesregierung sowie ihre Hinwendung zu neuen ”Bündnispartnern” unter den ”Globalisierungskritikern” und ”Sozialforen” angekündigt hatte; obwohl Bsirske selbst, als ”Privatperson”, auf der Berliner Demonstration am 1. November auftauchte.

Es kommt immer wieder vor, dass Gewerkschaften aus dem Grunde nicht von zentraler Stelle zu Arbeiterkundgebungen aufrufen, weil sie fürchten, die Kontrolle über die Proteste zu verlieren, falls zu viele Arbeiter daran teilnehmen. Dieser Erklärungsansatz für die Zurückhaltung Bsirskes scheidet diesmal aber aus, da in den Betrieben, Büros oder Krankenhäusern die Unruhe angesichts der Angriffe des Kapitals noch nicht in eine konkrete Kampfbereitschaft umgeschlagen ist. Vielmehr liegt einer der Gründe für diese Zurückhaltung darin, dass die Unzufriedenheit noch lange nicht den Punkt erreicht hat, wo die Gewerkschaften genötigt wären, in den Betrieben zu mobilisieren, um in geordneten, kontrollierten Bahnen Dampf abzulassen und so die Arbeiterschaft unter Kontrolle zu halten.

Doch diesmal gab es noch einen anderen Grund, weshalb Ver.di oder die IG Metall lieber im Hintergrund bleiben wollten. Denn noch während in Berlin über 100.000 Demonstranten vom Alexanderplatz Richtung Gendarmenmarkt marschierten, verkündeten die staatlichen Nachrichtensender im Fernsehen bereits die Geburt einer angeblich neuen, von den im Bundestag (einschließlich der PDS) sitzenden Parteien, aber auch von den Gewerkschaften unabhängigen, ”sozialen” und ”außerparlamentarischen” Bewegung. Und übereinstimmend wurden den ”Sozialforen” sowie den ”Globalisierungskritikern” von ATTAC die Hauptrolle bei der Mobilisierung der ”unerwartet vielen” Demonstranten zugeschrieben.

Es mag sein, dass der Sprecher von ATTAC ehrlich überrascht war von dem Ausmaß dieses ”Mobilisierungserfolges”. Doch in Wirklichkeit hatten vor allem PDS und Gewerkschaften in ungewöhnlicher Bescheidenheit und im Stillen für diesen angeblichen Mobilisierungserfolg der angeblich vom Parlament und den Gewerkschaften unabhängigen ”neuen” Bewegung gesorgt. So bildeten die altbekannten Aktivisten des DGB mit den traditionellen Fahnen und Stickern ihrer Einzelgewerkschaften sowie die Scharen von Ostberliner Rentnern, aus welchen sich das Wahlvolk der PDS rekrutiert, zahlenmäßig die beiden Hauptbestandteile dieser Demonstration. Den ”Globalisierungskritikern” wurde zu ihrem ”Erfolg” verholfen, damit sie erfolgreich ihre Rolle in der Bekämpfung der Gefahr unabhängiger Arbeiterkämpfe und der Entstehung einer eigenen, proletarischen Perspektive spielen.

Die Berliner Demonstration offenbart eine unterirdische Bewusstseinsentwicklung

Das soll nicht heißen, dass die Demonstration vom 1. November nicht ein erster und somit bedeutender Ausdruck des erwachenden Arbeiterwiderstands in Deutschland ist. Während dieser Protestaktion ist vielmehr von so manchem Teilnehmer ein echter Unmut und ein Widerstandswillen zu beobachten gewesen, was wir nur begrüßen können. Doch noch beschränkt sich, zumal in Deutschland, diese Bereitschaft, zu kämpfen und auf die Straße zu gehen, auf Minderheiten bzw. einzelne Teile der lohnabhängigen Bevölkerung, während das Gros der Arbeiterklasse noch zu wenig Selbstvertrauen und Klassenidentität besitzt und noch zu sehr von der machtvollen Offensive des Gegners eingeschüchtert ist, um bereits ein offenes Kräftemessen mit dem Kapital zu wagen. Und diese Situation der mühevollen und erst allmählichen Wiederbelebung der proletarischen Kampfbereitschaft beschränkt sich keineswegs auf Deutschland. Selbst in Frankreich, wo im Frühjahr zeitweise Millionen gegen die Renten- und andere Angriffe der Regierung auf die Straße gingen, war die Kampfbereitschaft der Klasse überhaupt noch nicht allgemein, sondern wurde hauptsächlich von Beschäftigten des Erziehungssektors bzw. von Minderheiten anderer Sektoren zum Ausdruck gebracht.

Diese Feststellung soll keinesfalls die Bedeutung der Proteste gegen die ”Rentenreformen” in Frankreich, Österreich und Italien noch der 1. November-Demonstration in Berlin schmälern. Es geht im Gegenteil darum, die wirkliche, tiefe Bedeutung dieser Aktionen zu erfassen.

Das Auffälligste an dem Berliner Aufmarsch, wie zuvor bei den Großdemonstrationen etwa in Frankreich, war die Aufgeschlossenheit vieler Teilnehmer gegenüber revolutionärer Ideen. Dies äußerte sich beispielsweise in dem relativ guten Verkauf der Presse unserer Organisation, sowie in dem teilweise sehr regen Interesse an unserem (untenstehend abgedrucktem) Flugblatt, welches wir für diese Demonstration geschrieben haben. Eine solche Offenheit gegenüber radikalen marxistischen Positionen wäre in den ersten Jahren nach 1989 (unter dem Eindruck der verlogenen Propaganda, dass mit dem Stalinismus der Kommunismus gescheitert sei) noch völlig undenkbar gewesen. Ja, selbst Anfang und Mitte der 80er Jahre, während der Arbeiterkampf sich noch auf einem aufsteigenden Ast befand, war eine solch politische Offenheit eher ungewöhnlich. Das bedeutet: Selbst wenn erst relativ dünne Schichten der Klasse davon erfasst sind, ist dies ein Anzeichen für eine unterirdische Bewusstseinsentwicklung innerhalb des Proletariats. Diese Entwicklung, des ”alten Maulwurfs” (Marx), welcher die Fundamente der bürgerlichen Ordnung untergräbt, vollzieht sich heute unter dem Eindruck eines qualitativ verschärften Charakters der bürgerlichen Angriffe, sowie der inzwischen deutlicher gewordenen Sackgasse der krisengeschüttelten kapitalistischen Wirtschaft. Es bestätigt sich hiermit ein Grundkonzept des Marxismus: dass die Wirtschaftskrise auf längere Sicht die Arbeiter nicht nur zum Kampf anspornt, sondern auch noch die Entwicklung des Bewusstseins der großen Arbeitermassen stimuliert. Und auch wenn z.Z. erst kleinere Teile der Klasse von diesem Prozess erfasst werden, so verspricht die langsam ansteigende Kampfbereitschaft und die Erfahrung des gemeinsamen Kampfes die Möglichkeit der Wiedereroberung der proletarischen Klassenidentität, und damit die Einbeziehung breiterer und tieferer Schichten in diese (noch) unterirdische Bewusstseinsentwicklung.

Auffallend in Berlin war auch, dass vornehmlich Rentner einerseits und sehr junge, oft erwerbslose Demonstranten andererseits sich am kämpferischsten und politisch am aufgeschlossensten zeigten. Dies mag damit zusammenhängen, dass einerseits besonders diese Schichten ins Visier der Angriffe der Regierung geraten sind, während sie andererseits, im Unterschied zu den (noch) Beschäftigten, nicht mehr durch die Drohung mit Entlassungen erpresst werden können. Jedenfalls ist dieses Zusammenkommen so unterschiedlicher Generationen zum gemeinsamen Kampf besonders willkommen, da die Solidarität der Generationen ein wesentlicher Bestandteil des proletarischen Klassenkampfes ist, sowie die unabdingbare Antwort auf den Versuch des Kapitals, jung und alt gegeneinander aufzuhetzen. Zudem bedeutet dies die allmähliche Einbeziehung von zwei neuen Generationen im Arbeiterkampf und im Prozess des politischen Nachdenkens. Die Aktivierung gerade der Älteren – jener Generation, welche vor 1968 die Konterrevolution auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges am eigenen Leib erlebt hat, nach 1968 manchen Versprechungen der Sozialdemokratie im Westen bzw. des Reformstalinismus im Osten Glauben geschenkt hat und sich heute betrogen und geschunden fühlt – verstärkt das Potenzial für die Wiederbelebung des historischen Gedächtnisses der Arbeiterklasse.

Die Intervention der Revolutionäre

Angesichts dieses langsamen und schwierigen, erst keimenden Prozesses der Weiterentwicklung der Kampfkraft und des Klassenbewusstseins, welcher die lange Rückflussphase nach 1989 abzulösen beginnt, kann sich die herrschende Klasse keineswegs damit trösten, dass diese Entwicklung erst kleinere Teile der Arbeiterklasse erfasst. Denn falls diese Arbeit des politischen Nachdenkens über die Probleme des Klassenkampfes und die Perspektiven der Gesellschaft fortgesetzt und vertieft wird, werden die Träger dieses Prozesses dazu übergehen, wiederum breitere Schichten der Klasse dahingehend zu beeinflussen, sobald die Arbeiterkämpfe massiver und allgemeiner werden. Die herrschende Klasse muss folglich bestrebt sein, diesen Prozess des politischen Nachdenkens im Keim zu ersticken.

Und dies bringt uns zurück auf unsere Ausgangsfrage: weshalb die Gewerkschaften, weshalb die PDS auf der Berliner Demonstration den Sozialforen, ATTAC sowie den darin wirkenden basisgewerkschaftlichen und linksextremen Aktivisten so generös den Vortritt überließen. Dies geschah, weil die etablierten Parteien und Gewerkschaften zu diskreditiert sind, um diese Minderheiten einfangen zu können. Weil der Niedergang des Stalinismus eine Bresche in den ideologischen Schutzschild des Kapitalismus geschlagen hat, welche durch eine aufgepeppte, ”anarcho-föderale”, basisdemokratischere Version des alten Staatskapitalismus in Gestalt der ”Alternativglobalisierer” geschlossen werden soll. Die Herrschenden wollen so die bereits heute kämpferischen und politisch nachdenklichen Arbeiter daran hindern, den Kapitalismus insgesamt in Frage zu stellen, und in ihre scheinradikale, basisgewerkschaftliche Schutzmauer gegen künftige Arbeiterkämpfe einbauen. Die in Berlin öffentlich akklamierte ”neue soziale Bewegung” soll vor allem das politische Nachdenken innerhalb der Klasse aufhalten, nicht nur indem falsche, reformistische Alternativen angeboten werden, sondern auch indem das Nachdenken selbst zugunsten eines blinden Aktivismus zurückgedrängt wird. Es geht dabei darum, die fortgeschritteneren Arbeiter daran zu hindern zu erkennen, dass nur der autonome Arbeiterkampf eine Antwort auf die Angriffe des Kapitals liefern kann, indem er durch das Zusammenschweißen des Proletariats und die Wiederbelebung seiner Klassensolidarität die kollektive, revolutionäre Perspektive des Kommunismus eröffnet

Deshalb sahen wir die Hauptaufgabe der Intervention der Revolutionäre auf dieser Demonstration darin, einen politischen Kampf gegen die Bourgeoisie um diese ersten aufwachenden Arbeiterschichten zu führen. Unsere Presse und unser Flugblatt waren darauf ausgerichtet, die Perspektive des Klassenkampfes gegen den bürgerlichen, klassenübergreifenden Reformismus zu verteidigen.

Die IKS war nicht die einzige Kraft auf dieser Demonstration, welche entgegen diesem Reformismus die Notwendigkeit der Zerschlagung des Kapitalismus aufzeigte. So verteilten die ”Unabhängigen Rätekommunisten” ein Flugblatt mit dem Titel ”Recht auf Arbeit? Recht auf Faulheit? Nieder mit der Lohnarbeit!”, welches v.a. den Mythos des ”Sozialstaates” angreift. Doch obwohl an einer Stelle erklärt wird: ”Wir orientieren uns am Kampf der Arbeiterklasse gegen die Lohnarbeit”, wird in diesem Flugblatt nirgends darauf hingewiesen, wie die revolutionäre Perspektive in den täglichen Abwehrkämpfen der Arbeiter entstehen kann. Stattdessen erscheint diese Perspektive in anarchistischer Manier als das Produkt einer individuellen Revolte: ”Das Überleben haben wir genauso satt wie die alternative Politik linker wie rechter Couleur oder die Logik des kleineren Übels und die unzähligen faulen Kompromisse. Setzen wir dem Totalitarismus der Ware unsere Bedürfnisse, Sehnsüchte, Träume und Wünsche entgegen. Kämpfen wir für das volle Leben, nicht nur ein einigermaßen akzeptables Überleben.”

Die ”Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft” hingegen bezogen sich in ihrem ”Aufruf zum Sozialrevolutionären Block” am 1.November etwas mehr auf die Kämpfe der Arbeiterklasse. Doch indem die Genossen einen eigenen Block anstrebten, erhoben sie faktisch den Anspruch, den Verlauf der Demonstration beeinflussen bzw. ändern zu können. Doch dies wäre nur möglich gewesen, wenn bereits innerhalb der Klasse bedeutende Tendenzen am Werk wären, den Gewerkschaften und bürgerlichen Linksreformisten die Kontrolle über die Aktionen streitig zu machen. Doch davon sind wir noch meilenweit entfernt. In Ermangelung einer solchen Perspektive läuft diese Politik auf den ohnmächtigen Versuch hinaus, an Stelle der Arbeitermassen den Klassenkampf führen zu wollen. Wir glauben hier noch den Einfluss der alten Mär zu erkennen, derzufolge man immer ”mitmachen” muss und niemals ”außerhalb” stehen darf. Mit einer solchen Logik rechtfertigen die Maoisten und Trotzkisten heute noch ihre ”kritische” Mitarbeit in den Gewerkschaften.

Doch in Wahrheit laufen die Genossen Gefahr, sich außerhalb des wirklichen Kampfes um die politische Entwicklung der Arbeiterklasse zu stellen, da sie auf solchen Demonstrationen ihre Hauptaufmerksamkeit eben nicht auf eine vertiefte Widerlegung der Argumente der Veranstalter richten und dadurch die politische Einflussnahme proletarischer Stimmen vor Ort alles andere als fördern. Aus unserer Sicht benötigen die Revolutionäre eine vertiefte, marxistische Analyse jeder konkreten Stufe und jedes Ereignisses des Klassenkampfes, um erkennen zu können, wann die Stunde der Propaganda, wann die Stunde der Agitation und wann die Stunde der politischen Führung in einer konkreten Aktion der kämpfenden Arbeiter geschlagen hat.

Die Zukunft gehört dem Klassenkampf

  • 1903 Aufrufe

Zur Zeit werden die schlimmsten Angriffe gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung in den Industriestaaten seit dem Zweiten Weltkrieg gefahren. Errungenschaften, welche Generationen in mühsamen, opferreichen Arbeiterkämpfen erworben haben, werden über Nacht hinweggefegt. Der Ansturm der rot-grünen Regierung in Deutschland lässt von den Lohnabhängigen - Beschäftigten, Erwerbslosen, Rentnern, Jugendlichen - niemanden ungeschoren davon kommen, spart keinen Bereich des Lebens der Bevölkerung aus. Auf einem Schlag werden die Steuern und Abgabenlasten massiv erhöht, die Erwerbslosen weiter in die Armut getrieben und einem unerbittlichen Zwangsregime unterworfen; die Rentner ins Elend gestürzt; die Gesundheitsversorgung radikal zusammengestrichen und verteuert; der Kündigungsschutz weitgehend aufgehoben; die Beschäftigten zu horrenden Leistungssteigerungen erpresst.

Es liegt auf der Hand: Auch wenn es in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit nicht leicht ist, sich zur Wehr zu setzen, dürfen die Lohnabhängigen diese Angriffe nicht widerspruchslos hinnehmen. Gegenwehr tut Not. Doch um zu wissen, wie man sich erfolgreich zur Wehr setzen kann, muss man sich Klarheit darüber verschaffen, wie es zu der jetzigen, rasanten Verschlechterung der Lebenslage der großen Bevölkerungsmehrheit gekommen ist.

Die Lügen der Regierenden

Regierung und Opposition in Berlin haben zwei sehr bequeme Antworten auf die Frage, weshalb die Arbeitslosigkeit immer neue Rekorde bricht, weshalb die Finanzgrundlagen der Sozialversicherungen immer mehr wegbrechen: weil die „demographische Entwicklung", die zunehmende Überalterung der Bevölkerung, das Gesundheitssystem bzw. die Rentenkassen überfordem würden und die Arbeitskosten in Deutschland zu hoch seien. Träfe dies zu, bliebe uns nichts anderes übrig, als den Gürtel solange enger zu schnallen, bis ein neuer Beschäftigungsboom wieder frische Mittel in die Sozialkassen spülen würde. Doch diese „Erklärungen" sind der Gipfel der Heuchelei. Wäre die Überalterung die Ursache der Pleite der Sozialkassen, müsste die Bundesrepublik bzw. die EU händeringend nach jungen Arbeitskräften als potentiellen Beitragszahlem Ausschau halten. Tatsächlich aber werden Jährlich hundertjausende, auf Arbeitssuche sich befindende junge Menschen und ihre Familien mit Hinweis auf das Problem der Massenarbeitslosigkeit gewaltsam daran gehindert, das Gebiet der EU überhaupt zu betreten. Es ist umgekehrt so, dass die Erwerbslosigkeit die Hauptursache des zunehmenden Bankrotts der Sozialversicherungssysteme darstellt. Auch die Überalterung der Bevölkerung ist darauf zurückzuführen, dass seit Jahrzehnten die zunehmende Arbeitshetze, die Misere, die Wohnungsnot und die Unsicherheit der Beschäftigung viele Menschen abschreckt, Kinder in die Welt zu setzen. Mit ihrem Gerede von der „Generationsgerechtigkeit" wollen SPD/ Grüne/ Union/ FDP/ PDS nicht nur die wahren Ursachen der Wirtschaftskrise vertuschen, sondern darüber hinaus Jung und Alt gegeneinander aufhetzen, die Mentalität der Selektionsrampe fördern.

Auch das Gerede über die verlorengegangene Konkurrenzfähigkeit des Standortes Deutschland als Ursache der Misere verschleiert das wirkliche Problem. Es unterstellt, dass Massenarbeitslosigkeit und zunehmende Verarmung spezifische Probleme der Bundesrepublik seien. Tatsächlich ist aber kein Staat der Erde genügend konkurrenzfähig, da der kapitalistische Weltmarkt unter chronischer Überproduktion und Überschuldung leidet. Seit Jahrzehnten wird die arbeitende Bevölkerung aller Länder dazu aufgerufen, die Angriffe des Kapitals tatenlos hinzunehmen, um die verlorengegangene Konkurrenzfähigkeit wiederzuerlangen - was aber nur zu einer Verschlechterung der Lage der Lohnabhängigen in allen Ländern geführt hat.

Die Lügen der linken „Reformisten"

Die Organisatoren der heutigen Demo hingegen behaupten, die ausufernde Verschuldung des Staates sowie die Deckungslücken der Sozialversicherungen sei das Ergebnis einer falschen Politik. Die ständige Reduzierung des Arbeitgeberanteils an den Versicherungen sei ursächlich für die Defizite des Gesundheitssystems sowie der Rentenkassen verantwortlich, die zunehmende Zahlungsunfähigkeit der Kommunen sei das Resultat der Abschaffung der Gewerbesteuer usw. Und wenn die Kapitalisten lieber ihr Geld verspekulierten, anstatt es in neue Jobs zu investieren, dann weil der „Neoliberalismus" das Finanzkapital einseitig begünstige, anstatt, wie von dem Ökonomen Tobin vorgeschlagen, internationale Finanztransaktionen zu besteuern.

Manche dieser „Linksradikalen" sprechen von einem „Investitionsstreik" und fordern entweder, dass der Staat die Unternehmen zu produktiven Investitionen zwingen oder aber die Konzerne gleich verstaatlichen solle, damit der Staat an ihrer Stelle neue Jobs schaffe. Ware eine „falsche Politik" tatsächlich die Ursache der Wirtschaftskrise, so wäre ein eigenständiger Widerstand der Beschäftigten und Erwerbslosen gegen die Agenda 2010 höchst überflüssig. Nicht Klassenkampf, sondern ein „Politikwechsel", eine „Reform des Systems" wäre von Nöten. D.h., es würde reichen, linke Politiker vom Schlage Lafontaines bzw. Gewerkschaftsführer wie Bsirske oder Peters an das Ruder der Macht zu bringen, um eine Umverteilung von oben nach unten zu bewerkstelligen. Die Globalisierungsgegner haben richtig erkannt, was heutzutage jeder mit eigenen Augen sehen kann: dass der Staat ausschließlich die Interessen der Besitzenden auf Kosten der Besitzlosen vertritt. ATTAC, Teile der Gewerkschaften sowie die „radikale Linke" behaupten aber, dass der Staat durch einen Politikwechsel dazu gebracht werden könnte, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung gegen, die des Kapitals zu verfechten. Doch der Staat dient nicht deshalb den Interessen des Kapitals, weil er durch eine bestimmte, „neoliberale" Politik fehlgeleitet wird, sondern weil der Staat ein Herrschaftsinstrument und eine Ordnungsmacht ist, welcher in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung gar nicht anders kann als die Interessen des Kapitals zu vertreten. Wenn der Staat alles tut, um die Gewinne der Unternehmen zu sichern, dann deshalb, weil die kapitalistische Gesellschaft nur dann ordnungsgemäß geführt werden kann, wenn ausreichend Profit erzielt wird. Bei ihren Investitionsentscheidungen lassen sich die Kapitalisten nicht durch neoliberale oder andere Ideologien, sondern durch die voraussichtlichen Gewinnaussichten leiten. Und auch wenn der Staat bestimmte Investitionen aus politischen Erwägungen vorschreiben oder betätigen kann, beschleunigen diese Investitionen, sobald sie an den Bedürfnissen des Marktes vorbeigehen, letztendlich den wirtschaftlichen Niedergang - wie der Zusammenbruch der staatskapitalistischen Regime Osteuropas 1989 gezeigt hat.

Wenn seit Jahrzehnten weltweit die Investitions- und Wachstumsraten nachlassen, so zeigt dies auf, dass die Wirtschaften auf kapitalistischer Grundlage immer weniger ergiebig, sprich, profitabel wird. Wenn sich der Finanzsektor immer mehr auf Kosten der Industrie aufbläht, so ist dies ein sicheres Zeichen des Niedergangs des Profitsystems. Die menschliche Arbeitskraft ist nämlich die Quelle des kapitalistischen Mehrwerts. Durch Finanztransaktionen und dergleichen entsteht kein neuer Reichtum, sondern der vorhandene Reichtum wird lediglich neu verteilt. Die Schranken des Marktes, die Produktion für Profit, sind zu einem unerträglichen Hindernis für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse geworden. Die zunehmende Barbarei der niedergehenden bürgerlichen Gesellschaft seit dem Ersten Weltkrieg zeigt den historischen Bankrott der kapitalistischen Produktionsweise auf. Um dennoch zu überleben, bleibt dem Kapitalismus nichts anderes übrig, als auf Kosten der Lohnabhängigen die Profite der Herrschenden möglichst zu stützen. Deswegen werden die Steuern und Abgaben der Unternehmen zusammengestrichen, die der Arbeiter unaufhörlich angehoben: um die Banken, Versicherungen und Industriekonzerne über Wasser zu halten. Nur durch eine fortschreitende, absolute Verelendung der Arbeiterklasse, kann der Kapitalismus bestehen, wie Karl Marx bereits vor 150 Jahren aufgezeigt hat.

Der einzige Ausweg: der Klassenkampf

Da die Regierenden, der Staat und auch die „linken Reformkräfte" ein Teil des Problems, ein Teil des Kapitalismus sind, können sie niemals ein Teil der Lösung des Problems werden. Nur die Betroffenen selbst, nur die Arbeiterklasse kann sich gegen die Angriffe zur Wehr setzen. Indem die Arbeiter sich wehren, vertreten sie die Interessen der Menschheit gegen die Interessen des Kapitals. Denn die Logik des Kapitalismus verlangt die Unterordnung der lebendigen Arbeit unter die Verwertungsbedürfnisse des Kapitals. Indem die Beschäftigten, Erwerbslosen und Rentner ihr Leben und Überleben verteidigen, widersprechen sie der Logik der „Wirtschaftlichkeit", sprich, der Konkurrenz, des Marktes und des Profites. Damit erheben sie in der Praxis den Anspruch auf eine neue Gesellschaft, in der nicht mehr der private Gewinn, sondern die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse das Ziel sein wird. Nur die Arbeiterklasse kann gegen die Angriffe etwas ausrichten - diese Botschaft wird vielen, gerade heutzutage, wenig verheißungsvoll klingen. Schließlich wird uns unaufhörlich eingeredet, dass es keine Klassen mehr gebe, dass der Marxismus nicht mehr zeitgemäß sei. Doch langsam beginnt die Krise die Arbeiter zu zwingen sich zu wehren. Und dort wo, wie in diesem Jahr in Frankreich, Österreich oder Italien Hunderttausende auf die Straße gehen, um gegen die Rentenkürzungen der Regierungen zu demonstrieren, da dämmerte es allmählich: die Arbeiterklasse, die gibt es doch noch. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen. Noch besitzen die Lohnabhängigen kaum Selbstvertrauen oder ein Gefühl der Zusammengehörigkeit als Klasse. Noch fühlen sie sich eingeschüchtert durch die Macht ihres Gegners sowie durch die Angst vor Entlassungen und Repressalien. Da ist es verständlich, dass sie wenig Neigung verspüren, sich unüberlegt in den Kampf zu stürzen.

Man soll sich auch nicht unüberlegt in den Kampf stürzen. Der Kampf lohnt sich, weil die Tatenlosigkeit der Betroffenen seit Menschengedenken die Herrschenden nur ermuntert hat, noch rücksichtsloser anzugreifen. Der Kampf lohnt sich aber auch deshalb noch, weil wir durch den Kampf die Tradition der Solidarität, das Gefühl der Zusammengehörigkeit wiedererlangen können. Die kapitalistische Wirtschaftskrise ist eine Geißel der Menschheit. Sie birgt aber auch die Chance, dass die Arbeiterklasse dadurch allmählich das Wesen des Systems und die Notwendigkeit seiner Überwindung begreift. Denn die lohnabhängige Bevölkerung erlebt am eigenen Leibe die Widersprüche des Kapitalismus. Wenn, wie zur Zeit bei der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG), fast die Hälfte der Stellen gestrichen wird, während die verbleibenden Beschäftigten die Arbeit der „Ausgemusterten" bei deutlich weniger Lohn mit übernehmen sollen, stellt sich die Notwendigkeit einer wirklich kommunistischen Produktion, wo die Ergiebigkeit und planmäßige Organisation der Arbeit der Befriedigung der allgemeinen Bedürfnisse dient, bei einer radikalen Kürzung der Arbeitszeit für alle.

Die Bedürfnisse des Kampfes

Die Angriffe des Kapitals machen die Wiederaufnahme des Klassenkampfes dringend erforderlich. Um ein Kräfteverhältnis zu Gunsten der Arbeiterklasse aufbauen zu können, müssen die Kämpfe möglichst allgemein geführt werden. Gemeinsam müssen Beschäftigte, Erwerbslose und Rentner, die Arbeiter des öffentlichen Dienstes und der Privatwirtschaft, im Osten wie im Westen kämpfen. Dies erfordert möglichst massive Straßendemonstrationen sowie die Erhebung möglichst einheitlicher Forderungen, welche die Gemeinsamkeit der Interessen und die Solidarität aller Arbeiter zum Ausdruck bringen. Dies macht eine möglichst eigenständige Organisierung des Kampfes, gegen die Sabotage von Seiten der linken, kapitalistischen Ordnungskräfte, vor allem der Gewerkschaften erforderlich. Vollversammlungen werden erforderlich sein, welche den Willen der Arbeiter selbst zum Ausdruck bringen können.

Um diese Kämpfe vorzubereiten ist es erforderlich, dass die bereits kämpferischen, bereits politisch nachdenkenden Minderheiten zusammenkommen, um über die Bedingungen des Kampfes zu reden, um die Lehren aus den ersten Aktionen zu ziehen und über das Wesen des Kapitalismus und die Perspektive einer künftigen Gesellschaft zu sprechen.

 

Die Zukunft gehört dem Klassenkampf! Internationale Kommunistische Strömung 01.11.2003

Polemik mit der Gruppe Internationaler SozialistInnen (GIS) ....

  • 2765 Aufrufe

.... zu gewissen Organen des bürgerlichen Staats

In verschiedenen Ländern tauchen Gruppen und Diskussionszirkel auf, in denen sich Leute auf linkskommunistische Positionen berufen. Es ist zwar nur eine kleine Minderheit, die sich da und dort bemerkbar macht. Wir haben aber keinen Grund daran zu zweifeln, dass es der ”alte Maulwurf”1 [1] ist, der brav wühlt und einen unterirdischen Bewusstseinsprozess zum Ausdruck bringt. Dies stellten wir insbesondere auch im letzten Frühjahr fest, als in Deutschland aus Anlass des begonnenen Irakkriegs neben dem Flugblatt der IKS mindestens vier weitere Flugblätter zirkulierten, die nicht nur den Krieg, sondern auch den Pazifismus verurteilten und internationalistische Positionen verteidigten2 [1].

Ein Ausdruck dieser Gärung ist die Gruppe Internationaler SozialistInnen (GIS), mit welcher wir uns sowohl an Veranstaltungen als auch in der Weltrevolution schon verschiedentlich auseinandergesetzt haben. Dabei begrüßten wir abgesehen von der internationalistischen Haltung, d.h. der Ablehnung jeder nationalistischen ”Befreiungsideologie”, insbesondere auch die Kritik an Trotzkis Verteidigung der Sowjetunion als ”degenerierten Arbeiterstaat”. Da die GIS dem linkskapitalistischen Milieu des Trotzkismus entstammt, ist ihre Einsicht, dass die ”sog. realsozialistischen Länder in keinster Weise ‚antikapitalistisch‘, ‚progressiv‘ oder ‚fortschrittlich‘ waren, sondern besonders brutale Formen des Staatskapitalismus darstellten” keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Der Trotzkismus verriet im 2. Weltkrieg den Internationalismus, indem er sich für die Verteidigung des einen imperialistischen Lagers, nämlich des russischen, entschied, da es sich bei der Sowjetunion um einen zwar degenerierten, aber immerhin doch noch um einen Arbeiterstaat gehandelt habe; gleichzeitig riefen die Trotzkisten zum Krieg gegen die deutschen Truppen auf, statt zum revolutionären Bürgerkrieg in allen Ländern. In dieser prinzipiellen Frage sind wir uns mit der GIS einig.

Nicht auf halbem Weg stehen bleiben!

In den letzten Nummern ihrer Zeitung Sozialismus oder Barbarei veröffentlichte die GIS aber verschiedene Artikel, die uns zu einer Entgegnung veranlassen, da sie eine zaudernde, halbherzige Haltung verraten. Es geht in diesen Beiträgen um die SPD, die PDS und die Gewerkschaften.

In einem Artikel zur Schlappe der PDS bei den Bundestagswahlen kritisiert die GIS die Funktionäre der PDS wegen ihrer Schreibtischtäterperspektive: ”Dass es so etwas wie sozialistische Politik ganz jenseits der Parlamente geben könnte, dass es gar SozialistInnen und KommunistInnen geben könnte, die sich aus gutem Grund dem Mitmachen bei dieser Inszenierung verweigern, ist für solche Leute jenseits des Vorstellbaren. (...) Als institutionelle Opposition, deren originäre Funktion es ist, Protest parlamentarisch zu kanalisieren und die Linke im Würgegriff des Pragmatismus und der Sachzwänge zu halten, hat die PDS ausgespielt. Auch wenn man es natürlich individuell bedauerlich finden kann, dass Abgeordnete wie Winfried Wolf oder Ulla Jelpke diesem Parlament nicht mehr angehören (was aber auch schon bisher nur von sehr begrenzter Bedeutung für irgendeine Art von außerparlamentarischer Opposition war), ist diese Entwicklung im Großen und Ganzen zu begrüßen.” (Sozialismus oder Barbarei, Ausgabe 6, S. 8)

Wenn man diese Zeilen (und den ganzen Artikel ”Danke PDS!”) liest, drängt sich die Frage auf, welches Verhältnis die GIS zur PDS hat. Will die GIS versuchen, die PDS oder Teile davon für eine revolutionäre Politik zu gewinnen? Hat die GIS insgeheim erwartet, dass die PDS vielleicht im Bundestag eine ”Bedeutung für irgendeine Art von außerparlamentarischer Opposition” hätte spielen können, die für die proletarische Revolution von Nutzen gewesen wäre? Und welche Entwicklung soll nun genau zu begrüßen sein? Dass die PDS ihre Rolle als institutionelle Opposition ausgespielt habe? Dass sie nun zunehmend zu einer außerinstitutionellen Opposition werde?

Obwohl der Artikel an anderer Stelle die historische Parallele zur Sozialdemokratie zieht, die sich während und nach dem 1. Weltkrieg aus einer Arbeiterpartei in eine staatstragende, d.h. bürgerliche Partei verwandelte, behält die GIS zur PDS ein ambivalentes Verhältnis. Sie kritisiert diese Nachfolgeorganisation der SED, der Einheitspartei in einer ”besonders brutalen Form des Staatskapitalismus” 3 [1] so, als ob es da für die Sache der Revolution doch noch etwas herauszuholen gäbe. Insbesondere fällt auf, dass die GIS nicht die PDS an sich angreift, sondern ”diese Leute”, d.h. die Funktionäre, die ”Strategen aus dem Karl-Liebknecht-Haus”, die ”Parteigremien und Vorstände”, die ”PDS-Realos”, die es ”in den letzten Jahren fertiggebracht haben, so ziemlich alles zu ignorieren, was die linke Befindlichkeit noch immer als Schmerzgrenze definiert”.

Klassencharakter erkennen

Mit dieser Kritik an der PDS-Führung lässt sich die GIS die Möglichkeit einer kritischen Zusammenarbeit mit Teilen der PDS offen. Die GIS sagt dies zwar nicht ausdrücklich, aber wenn sie die Führung derart kritisiert und nichts über den Rest dieser Partei sagt, liegt der Schluss auf der Hand, dass mit der ”Basis” etwas anzufangen wäre, oder dass die PDS sogar für das Proletariat zurückgewonnen werden könnte. Dies wiederum erinnert an die bekannten trotzkistischen Taktiken des Entrismus bzw. des Frontismus 4 [1]

Für eine proletarische Organisation ist es überlebenswichtig, ihre Selbständigkeit gegenüber bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien zu wahren. Dies war schon im aufsteigenden Kapitalismus eine der Lehren von Marx und Engels nach den revolutionären Kämpfen von 1848: ”Statt sich abermals dazu herabzulassen, den bürgerlichen Demokraten als beifallklatschender Chor zu dienen, müssen alle Arbeiter, vor allem der Bund, dahin wirken, neben den offiziellen Demokraten eine selbständige geheime und öffentliche Organisation der Arbeiterpartei herzustellen und jede Gemeinde zum Mittelpunkt und Kern von Arbeitervereinen zu machen, in denen die Stellung und Interessen des Proletariats unabhängig von bürgerlichen Einflüssen diskutiert werden.”5 [1]

Dies gilt umso mehr im dekadenten Kapitalismus, wo die Widersprüche dieses anarchischen Systems auf die Spitze getrieben werden und die Gesellschaft so auseinander zu reißen drohen, dass es zur Erhaltung dieses Systems den staatlichen Totalitarismus braucht, der (im Rahmen des Nationalstaats) alles verwaltet und kontrolliert und jede dauerhafte Massenorganisation in Organe des Staates verwandelt und integriert. Für Marxisten ist es unabdingbar, sich bei jeder Organisation zunächst die Frage nach deren Klassencharakter zu stellen: Ist eine bestimmte Partei oder Gruppierung bürgerlicher oder proletarischer Natur? Für Revolutionäre kann es kein Zusammengehen mit einer bürgerlichen Organisation geben. Denn dies bedeutet, die Selbständigkeit der Arbeiterklasse aufzugeben und kann nur zum Verrat am kommunistischen Programm führen. Bei dieser Untersuchung des Klassencharakters einer bestimmten Gruppierung spielen einerseits ihre Positionen und ihre Praxis eine entscheidende Rolle, andererseits aber auch ihre Geschichte: Die Erfahrungen der letzten 150 Jahre zeigen, dass es zahlreiche proletarische Organisationen gegeben hat, die die Klasse verraten haben und ins bürgerliche Lager übergegangen sind (Sozialdemokratie 1914-1920, offizielle KPs 1925-1933, Trotzkisten 1939-1945), dass es aber umgekehrt keine einzige bürgerliche Organisation gegeben hat, die ins proletarische Lager gewechselt hätte. Dies ist kein Zufall: Gerade wegen des totalitären Charakters des Staatskapitalismus (im Westen wie im ehemaligen Osten) werden alle bürgerlichen Organisationen zu Rädern im Staatsapparat, zu staatlichen Organen. Doch da der bürgerliche Staat, wie die Genossen der GIS im gleichen Artikel über die PDS richtig sagen, ”nicht demokratisch reformiert und übernommen werden kann, sondern revolutionär zerschlagen werden muss”, gilt dies natürlich auch für seine Organe - also für seine Parteien wie die PDS oder die SPD.

Wenn man also mit der GIS davon ausgeht, dass die DDR in keiner Weise antikapitalistisch oder fortschrittlich, sondern eine besonders brutale Form des Staatskapitalismus war, so muss man die marxistische Methode in Bausch und Bogen verwerfen, wenn man gleichzeitig behaupten will, die Nachfolgeorganisation der ehemaligen Einheitspartei dieses Staates enthalte heute irgendwo (wenigstens an der ”Basis”) einen proletarischen Überrest. Die GIS sagt dies zwar nicht ausdrücklich, aber den Ton und die Argumentationsweise in ihrem zitierten Artikel lassen die Folgerichtigkeit arg vermissen. Zu viele Hintertüren werden da offen gelassen.

Und die Gewerkschaften?

Mit ihren Artikeln verrät die GIS, dass sie nicht nur zur PDS, sondern auch zur SPD und zu den Gewerkschaften ein zwiespältiges Verhältnis hat. Während die Grünen aus der Sicht der GIS wegen ihrer ”überwiegend mittelständischen Klientel weitaus einfacher für forcierte Angriffe auf Lohnabhängige zu begeistern” seien und keine Schonung verdienen, werden die SPD-Führung, die Gewerkschaftsfunktionäre und die Basis dieser Organisationen wiederum mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen. In der Ausgabe 8 von Sozialismus oder Barbarei kommentiert die GIS den SPD-Sonderparteitag im Frühjahr 2003: ”Wie schon bei den Debatten über die Riesterrente und die Hartzpläne, die von den Gewerkschaften weitgehend mitgetragen wurden, richtete sich die mal mehr mal weniger kraftmeierische Kritik einiger Gewerkschaftsfunktionäre an der Agenda 2010 niemals gegen die intendierte Marschrichtung, sondern lediglich gegen Einzelaspekte, die ‚soziale Schieflage‘ wie es Verdi-Chef Bsirske formulierte. (...) Wohl noch nie in der Geschichte der BRD war den Gewerkschaften von einer SPD-Regierung so dermaßen die kalte Schulter gezeigt worden.

Hinzu kam der von CDU- und FDP-Politikern in den Medien aufgebaute Popanz von den Gewerkschaften als ‚Fortschrittsblockierern‘ und als ‚Plage für das Land‘, der nicht unwesentlich dazu beitrug, gewerkschaftliche Positionen im öffentlichen Diskurs zu diskreditieren.

Nachverhandeln, den berechtigten Unmut der Basis über die Kürzungspläne auffangen und die Gewerkschaften wieder als ‚verantwortliche Sozialpartner‘ und ‚Garanten des sozialen Friedens‘ ins Spiel bringen, lautete vor diesem Hintergrund die Devise in den Vorstandsetagen der Gewerkschaftszentralen.” (”Strike! just do it!”)

Aus diesen Zeilen wird deutlich, dass die GIS meint, zwischen linken und rechten Parteien, zwischen Regierung und Gewerkschaften gebe es Widersprüche betreffend die Haltung gegenüber der Arbeiterklasse. Die GIS verkennt, dass sich diese verschiedenen Organisationen lediglich die Arbeit aufteilen. Der Regierung kommt die Funktion zu, die Angriffe mit der Agenda 2010 durchzuziehen. Die Gewerkschaften haben die Rolle, den Widerstand der Arbeiter rechtzeitig zu kanalisieren und in Sackgassen zu lenken. Und wenn die rechten Parteien über die Gewerkschaften herziehen, so wird damit nicht eine Diskreditierung ”gewerkschaftlicher Positionen” bezweckt, sondern im Gegenteil die Aufpolierung des Ansehens der Gewerkschaften nach dem Motto: Wenn die Kapitalisten die Gewerkschaften hassen, so werden sie wohl einen Grund dazu haben - die Gewerkschaften sind eben noch die wahren Vertreter der Arbeiterklasse!

Und dieser Message scheint auch die GIS auf den Leim gegangen zu sein, wenn sie erst jetzt (und zögernd) erkennt: ”Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass sich die auf Burgfrieden mit den Herrschenden getrimmte Politik der Gewerkschaften mehr und mehr als Hindernis für die Verteidigung unserer unmittelbaren Lebensinteressen erweist.” (a.a.O.)

Dies wird nicht erst seit ein paar Monaten deutlich, sondern ist seit dem 1. Weltkrieg klar, als die Gewerkschaften den schon damals so bezeichneten Burgfrieden mit der jeweiligen nationalen Bourgeoisie im Interesse der Kriegsführung eingegangen sind. Nicht nur die SPD, sondern auch die Gewerkschaften sind damals zu Organen des Staates geworden, der nicht mehr reformiert oder durch das revolutionäre Proletariat übernommen werden kann, sondern während der Revolution zerschlagen werden muss. Anton Pannekoek und die KAPD gehörten zu den ersten, die die neue Rolle der Gewerkschaften erkannten und daraus die Schlussfolgerungen für das Proletariat zogen: ”Was Marx und Lenin für den Staat hervorhoben: dass es seine Organisation trotz der formellen Demokratie unmöglich macht, ihn zu einem Instrument der proletarischen Revolution zu machen, muss daher auch für die Gewerkschaftsorganisationen gelten. Ihre konterrevolutionäre Macht kann nicht durch einen Personenwechsel, durch die Ersetzung reaktionärer durch radikale oder ‚revolutionäre‘ Führer vernichtet oder geschwächt werden. Die Organisationsform ist es, die die Massen so gut wie machtlos macht und sie daran hindert, die Gewerkschaft zum Organ ihres Willens zu machen. Die Revolution kann nur siegen, indem sie diese Organisation vernichtet, d.h. die Organisationsform so völlig umwälzt, dass sie zu etwas ganz anderem wird.”6 [1]. Die Gewerkschaften sind seit dem 1. Weltkrieg Teil des kapitalistischen Staates. Materialistisch betrachtet erklärt sich das durch den Verlust ihrer Funktion, die sie bis zu diesem Zeitpunkt noch ausüben konnten: Im aufsteigenden Kapitalismus waren die Gewerkschaften die Organisationen, die sich die Arbeiter zur Erkämpfung von Reformen (Verkürzung der Arbeitszeit, Erhöhung des Reallohnes) gegeben hatten. Mit dem Eintritt des Kapitalismus in seine niedergehende Phase hörte das System auf, ein historisch fortschrittliches zu sein. Der Kapitalismus hatte sich auf die ganze Welt ausgedehnt und war im wörtlichen Sinn an seine Grenze gestoßen. Seither kann die Arbeiterklasse keine dauerhaften substantiellen Reformen mehr erkämpfen. Die Inflation frisst einmal gewährte Lohnerhöhungen gleich wieder auf; die Arbeitszeit wird nicht mehr wirklich verkürzt, vielmehr nimmt die Hetze am Arbeitsplatz je länger je mehr zu; schließlich breiten sich die Arbeitslosigkeit und die Verarmung immer mehr aus. Ein Kampf um Reformen ist im dekadenten Kapitalismus objektiv zwecklos, damit aber auch die Gewerkschaften für die Arbeiter. Aus diesem Grund konnten und mussten sie in den totalitären Staatsapparat integriert werden (vgl. dazu auch die Polemik mit ”Soziale Befreiung” in Weltrevolution Nr. 119 zur Frage, ob die Gewerkschaften die Ware Arbeitskraft zu einem möglichst guten Preis zu verkaufen versuchen).

Dabei darf man nicht einen soziologischen Maßstab anlegen und meinen, weil sich in den Gewerkschaften Arbeiter befänden, seien sie Arbeiterorganisationen. Oder umgekehrt: Weil sich die Mitgliedschaft der Grünen aus einer ”überwiegend mittelständischen Klientel” rekrutiere, sei sie arbeiterfeindlicher als eine SPD. Die Soziologie ist ein Handwerk der Bourgeoisie. Wesentlich ist aber vom proletarischen Standpunkt aus nicht die Klassenzusammensetzung einer Organisation, sondern deren Funktion innerhalb der bestehenden Gesellschaft. Die Gewerkschaften üben die Rolle einer Polizei in den Reihen der Arbeiterklasse aus und können dies nur deshalb, weil sie tatsächlich Arbeiter organisieren - aber eben gegen deren Interessen. Oft tritt denn auch dieser Widerspruch offen zutage. Pannekoek hat dies bereits 1920 erkannt und daraus die entsprechenden Schlussfolgerungen gezogen: Dass spontane Streiks der Arbeiter gegen den Willen der Gewerkschaften als etwas Natürliches vorkommen, ”bringt zum Ausdruck, dass die Organisation nicht die Gesamtheit der Mitglieder ist, sondern gleichsam etwas ihr Fremdes; dass die Arbeiter nicht über den Verband gebieten, sondern dass er als eine äußere Macht, gegen die sie rebellieren können, über ihnen steht, obgleich doch diese Macht aus ihnen selbst entsprießt - also wieder ähnlich wie der Staat.”(a.a.O).

Mit der bürgerlichen Vergangenheit brechen

Die Genossen der GIS bleiben mit ihrer Kritik an PDS, SPD und Gewerkschaften auf halbem Weg stehen. Sie ziehen keine klare Trennungslinie zwischen sich und dem (bürgerlichen, staatskapitalistischen) Klassenfeind. Offenbar zählt sich die GIS selbst noch zu dem, was sie die ”Linke” nennt, wenn sie sich über die PDS-Funktionäre entrüstet, die die ”linke Befindlichkeit” mit Füssen trete und die ”Linken im Würgegriff des Pragmatismus und der Sachzwänge” gefangen halte. Wäre es nicht konsequent und an der Zeit, wenn sie die GIS selber von diesen Linken, die effektiv lediglich ein Teil des Staatsapparates sind, trennen und soliden marxistischen Boden betreten würde?

FS, 6.11.03

1 [1] vgl. Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, MEW Bd. 8, S. 196

2 [1] vgl. "Internationalistische Stimmen gegen den Krieg" in Weltrevolution Nr. 118

3 [1] zit. aus dem "Politischen Selbstverständnis der GIS"

4 [1] Wir können in diesem Artikel nicht im Detail auf den Trotzkismus eingehen und verweisen stattdessen auf früher erschienene Artikel zu diesem Thema, z.B. in Weltrevolution Nr. 61 "BSA-Kritik an Gewerkschaften: ein Täuschungsmanöver", Nr. 96 "Bündnispolitik und Arbeiterklasse" oder auf die Broschüre in französischer Sprache "Le trotskisme contre la classe ouvrière"

5 [1] Marx/Engels, Ansprache an der Zentralbehörde an den Bund, März 1850, MEW Bd.. 7 S. 248 f.)

6 [1] Anton Pannekoek, Weltrevolution und kommunistische Taktik, Wien 1920.

Rebellion/FAUCH:

  • 2207 Aufrufe

Auf zur Verteidigung des Sozialstaates?

Angesichts der heftigen internationalen Angriffe auf die Renten hat sich die Arbeiterklasse in den letzten Monaten in verschiedenen Ländern mobilisiert. In diesem Zusammenhang sind auch verschiedenste linke Gruppierungen mit ihrer Presse an Demonstrationen aufgetreten, angeführt von ATTAC, über Trotzkisten, bis hin ins anarchistische Lager. Der gemeinsame Tenor, der in ihren Blättern zu erkennen ist: die ”Verteidigung des Sozialstaates gegen einen wildgewordenen Kapitalismus”! Wir wollen in diesem Artikel etwas genauer auf die Forderungen einer anarchosyndikalistischen Gruppe in der Schweiz eingehen. Ein Beispiel, welches die historische Unfähigkeit des Anarchosyndikalismus bestätigt, den Kampf der Arbeiterklasse und dessen wirkliche Ziele zu verstehen.

Auf zur Verteidigung des Sozialstaats?

Die Zeitschrift der Libertären Koordination FAUCH-OSL vom September 2003 Rebellion Nr. 25 titelt gross auf Seite eins. ”Auf zum schleichenden Generalstreik!”. Wie es sich für den Anarchosyndikalismus traditionell gehört, wettern sie gehörig gegen die Gewerkschaftsbürokratie: ”Trotz Säbelgerassel und Grossdemonstration am 20. September unter dem Motto ”Hände weg von der AHV” (Abkürzung für die Rente in der Schweiz) hat der Schweizerische Gewerkschaftsbund SBG nicht die kleinste Absicht, einen wirklichen Kampf um die Renten zu führen. Sozialdemokratische Partei (SPS) und SBG wollen einzig ihre Fähigkeit beweisen, die Unzufriedenheit in die ”richtigen” Bahnen zu lenken, um die ”Modernisierung” nicht zu gefährden, die sie mit den Bürgerlichen befürworten und verwalten. Die Staatslinke möchte wie in Deutschland zeigen, dass sie regierungsfähig ist, die von der WTO aufgetragenen Restrukturierungen umsetzt und ein treuer Partner der Wirtschaft ist, führe es auch zu einem Gewichtsverlust vor den eigenen Mitgliedern und WählerInnen. Sie erweisen sich einmal mehr als Steigbügelhalter des Kapitals.

Wenn es noch eine Linke in diesem Lande gäbe, wäre nun der Moment da, die 2. Säule (Pensionskassen) anzugreifen. Die angebliche ”Sicherheit” der kapitalgestützten Altersvorsorge ist entlarvt. Die einzige wirklich sichere Lösung ist eine gute AHV für alle!”.

Richtig, die angebliche Sicherheit, die uns das kapitalistische System vorgaukelt, entblösst sich zunehmend als ein Bluff! Einerseits durch die sich beschleunigende weltweite Kriegsspirale, welche das Kapital nicht stoppen kann. Andererseits verdeutlichen gerade die heutigen Angriffe auf die Arbeiterklasse, bei denen es nicht nur um isolierte Lohnkürzungen oder Kurzarbeit geht, sondern um die Infragestellung der Lebensperspektive, den absoluten Bankrott des Systems. Soweit ist die Feststellung von Rebellion richtig. Doch für was soll die Arbeiterklasse heute kämpfen? Etwa für folgenden Vorschlag der Anarchosyndikalisten?: ”In Anbetracht dieser Situation muss eine kämpferische Strategie entwickelt werden, um die gegenwärtige zweite Säule in eine andere, existenzsichernde AHV umzuwandeln: Eine neue und starke AHV, die ein würdevolles Leben garantiert, gemäss den Kriterien der Solidarität, der Gleichheit und der sozialen Gerechtigkeit.” (Rebellion Nr. 22)

Um es vorwegzunehmen: Rebellion ruft bei genauem Hinsehen die Arbeiter dazu auf, die sogenannten Errungenschaften des kapitalistischen Sozialstaates zu verteidigen oder gar zu verbessern, auch wenn sie es nicht mit diesen Worten benennen. Dies ist, in kämpferischer Aufmachung, nichts anderes als die von ihnen selbst beschimpfte klassische Vorgehensweise der kapitalistischen Linken und des Reformismus, welche der Arbeiterklasse vorgeben, dieses System sei auf irgend eine Art und Weise reformierbar oder es gäbe für die Arbeiterklasse zumindest noch gewisse Verbesserungen herauszuholen. Über den im Grunde genommen reformistischen Charakter ihrer Methode kann auch der Radikalismus von Rebellion, der nach Generalstreik ruft und die ”Staatslinke” als Steigbügelhalter des Kapitals bezeichnet, nicht hinwegtäuschen!

Selbstverständlich muss sich die Arbeiterklasse gerade heute gegen die ganze Lawine von Angriffen zur Wehr setzen. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen diesem unabdingbaren Abwehrkampf, den das Proletariat in Ländern wie Frankreich, Österreich oder Deutschland in den letzten Monaten aufgenommen hat, und einem Kampf ”für die altbewährte AHV-Rente und gegen das Pensionskassen-System”.

Wofür soll die Arbeiterklasse kämpfen?

Das Gift, welches in Aufrufen zu einem Kampf um starke Rentensysteme lauert, wie von Rebellion gefordert wird, ist die Beschränkung des Arbeiterkampfes auf isolierte ökonomische Forderungen, die dann vom kapitalistischen Staat garantiert werden sollen. Von einem Staat, der Instrument des Kapitals ist und keinesfalls die Interessen der Arbeiter vertritt. Der Klassenkampf der Arbeiterklasse steht seit dem Beginn der Dekadenz des Kapitalismus (an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert) vor der Alternative, sich entweder auf den ökonomischen Kampf zu beschränken und damit unweigerlich in eine Sackgasse zu geraten. Dies, weil das Kapital gar nicht mehr in der Lage ist, durch den historischen Bankrott seines Systems, der Arbeiterklasse wie im aufsteigenden Kapitalismus des 19. Jahrhunderts bleibende Zugeständnisse zu machen. Die andere Alternative für den Kampf des Proletariates ist diejenige, welche von Revolutionären wie Rosa Luxemburg schon damals gegen die Auffassungen der degenerierenden Sozialdemokratie verteidigt wurde: Der Kampf der Arbeiter muss immer danach streben, über den rein ökonomischen Kampf hinauszugehen und sich vor allen über die politische Natur des eigenen Kampfes bewusst zu werden und dies auch zu bejahen. Dies heisst, die Borniertheit des Ökonomismus, des Kampfes um Reformen, des Lokalismus oder Illusionen einer ”Arbeiterselbstverwaltung der Betriebe” über den Haufen zu werfen.

An sich gilt es, gegen die Positionen von REBELLION dieselben Argumente ins Feld zu führen wie gegen die alte, längst überholte sozialdemokratische Trennung zwischen Minimalprogramm und Maximalprogramm, also der Trennung zwischen einem (im aufsteigenden Kapitalismus des 19. Jahrhunderts noch möglichen) Kampf um Reformen und dem eigentlichen historischen Ziel des Kampfes der Arbeiterklasse, der proletarischen Weltrevolution. An dieser Frage des Zusammenhanges zwischen den alltäglichen Klassenkämpfen des Proletariates und seinem historischen Ziel, der Revolution, scheitert nicht nur die anarchosyndikalistische Strömung kläglich, was die Bedeutung dieser Frage aufzeigt. Der Rätekommunismus beispielsweise, welcher auch versucht sich auf die Arbeiterklasse zu beziehen, hat in seiner Geschichte zum Teil Positionen hervorgebracht, die man mit ”Revolution oder gar nichts” zusammenfassen kann. Ein anderes Beispiel dieser Unterschätzung des revolutionären Potentials der täglichen Abwehrkämpfe der Arbeiterklasse liefert die sogenannte ”Essener Tendenz” der KAPD Anfang der 20er Jahre, welche den ökonomischen Kämpfen ihre Unterstützung entzog und statt dessen die sofortige Revolution verlangte. Solche Strömungen verwerfen wie schon Proudhon im 19. Jahrhundert jegliche Kämpfe der Arbeiter wegen ihrer Beschränktheit (die sie natürlich immer aufweisen können, solange das Proletariat nicht zur Revolution schreiten kann). Eine solche Haltung stiftet in den Reihen der Arbeiterklasse nur Verwirrung. Beides, Anarchosyndikalismus und Rätismus, sind in dieser Hinsicht schlussendlich zwei Seiten derselben Medaille: das Unverständnis über das wirkliche Ziel und den Charakter des Klassenkampfes!

Die Arbeiter müssen sich gegen die Angriffe zur Wehr setzen. Dies ist das Lebenselixier des Klassenkampfes, auch wenn Mobilisierungen und Streiks, solange der Kapitalismus nicht durch die Revolution überwunden wird, immer dazu verdammt bleiben, vor allem auf der ökonomischen Ebene in einer Niederlage zu enden. Doch die Abwehrkämpfe der Arbeiter bringen die Arbeiterklasse voran, da sie damit politische Erfahrungen sammelt und ihr Selbstvertrauen als Klasse stärken können. In jedem Streik schlummert das Gespenst der Revolution, wie Lenin es treffend formulierte. Das entscheidende im Klassenkampf ist jedoch, dass die Arbeiterklasse sich ihrer politischen und historischen Rolle bewusst wird und Illusionen über Verbesserungen des Kapitalismus überwindet. Ein Weg, der von der Arbeiterklasse selbstverständlich nicht von heute auf morgen zurückgelegt werden kann. Was das Proletariat aufgeben muss, ist nicht der wirtschaftliche Charakter seines Kampfes, was ihm ohnehin nicht möglich ist, solange es als Klasse kämpft; sondern den Glauben, die Verteidigung selbst seiner unmittelbaren Interessen gewährleisten zu können, ohne den streng ökonomischen Rahmen zu verlassen und ohne sich des umfassenden politischen und revolutionären Charakters seines Kampfes bewusst zu werden. Im dekadenten Kapitalismus drückt schlussendlich nur das ”Maximalprogramm”, also das Ziel der proletarischen Revolution, den wirklichen Charakter des Kampfes der Arbeiterklasse aus. Nur das Streben hin zu dieser Perspektive bringt die Klasse vorwärts, keinesfalls aber darf der Klassenkampf auf wirtschaftliche Forderungen beschränkt und durch Illusionen in Reformen geschwächt werden.

Dies ist keinesfalls ein abstraktes Schema, welches die Arbeiterklasse in ihrem, gerade von den Anarchosyndikalisten immer wieder so aktivistisch gesuchten Klassenkampf von einer Klarheit abhalten würde. Im Gegenteil ist vor allem die politische Erkenntnis, dass nur die proletarische Revolution eine Antwort auf die unlösbaren und barbarischen Widersprüche des Kapitalismus geben kann, auch politischer Leitfaden für die heutigen Kämpfe der Arbeiter. Und genau diesen Leitfaden gilt es als Revolutionäre aufzuzeigen anstatt die Arbeiter dazu aufzurufen, den Kopf vor der Geschichte in den Sand zu stecken und etwa für ein ”starkes Schweizer Rentensystem” zu kämpfen. Das Proletariat kann nicht, wie es der Reformismus in verschiedenster Aufmachung darstellt, nur blind ökonomisch reagieren, sondern ist eine politische Klasse, die der Menschheit eine Perspektive anbieten kann.

Da sich Sozialdemokratie und Gewerkschaften schon seit der Zeit des Ersten Weltkrieges und der darauffolgenden weltrevolutionären Welle von 1917-23 nicht nur als Steigbügelhalter des Kapitals entlarvt haben, sondern als fester Bestandteil der herrschenden Klasse im Kapitalismus, fällt es leicht, mit radikalen Worten gegen die ”Staatslinke” und Gewerkschaftsbürokraten zu wettern. Dies ist aber, wie Rebellion beweist, noch nicht im geringsten eine Garantie, den wirklichen Charakter des Reformismus verstanden zu haben.

Wir gehen davon aus, dass die herrschende Klasse sich angesichts der sich zuspitzenden sozialen Verhältnisse völlig im Klaren ist, welche Gefahr für ihr System von Seiten der Arbeiterklasse droht. Die Bourgeoisie hat eine grosse historischen Erfahrung, wie die Kraft der Arbeiterklasse gebrochen werden kann. Die Gewerkschaften übernehmen klassischerweise die Rolle, die Arbeiter auf der eher direkten beruflichen, branchenmäßigen und ökonomischen Ebene in Sackgassen zu führen. Die Linke übernimmt den anderen Part in dieser Arbeitsteilung: die politische Verwirrung der Arbeiter mittels reformistischer, bis 1989 auch meist vom Stalinismus geprägter, bürgerlicher Ideologien. Dass die Sozialdemokratie diese Rolle spielt, scheint Rebellion begriffen zu haben (was auch nicht besonders schwer fällt!). Tatsache ist nur, dass sie mit Aufrufen zur Vereidigung des Sozialstaates selbst in dieselbe Kerbe hauen und lediglich einen Reformismus radikaler Couleur vertreten, der sich hinter einer Arbeitersprache versteckt und Gefahr läuft, mit der ”Regierungslinken” und den Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse Hand in Hand zu gehen!

QS,14.11.03


Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/922/weltrevolution-nr-121

Links
[1] https://de.internationalism.org/content/917/polemik-mit-der-gruppe-internationaler-sozialistinnen-gis