Veröffentlicht auf Internationale Kommunistische Strömung (https://de.internationalism.org)

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Weltrevolution Nr. 118

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Agenda 2010

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Regierung und Gewerkschaften: Komplizen gegen die Arbeiter 

Deutschland steckt in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Nachkriegsgeschichte. Seit nunmehr über zwei Jahren stagniert die deutsche Wirtschaft. Im ersten Quartal dieses Jahres ist sie gar geschrumpft, womit die prognostizierten (ohnehin bescheidenen) 0,75 Prozent Wachstum für dieses Jahr obsolet geworden sind. Und je dramatischer die Hiobsbotschaften über Arbeitslosenraten und Staatsverschuldung ausfallen, desto frenetischer wird der Chor derjenigen, die eine ”Modernisierung der Deutschland AG”, den ”Umbau des Sozialstaates”, eine ”Reform an Haupt und Gliedern” fordern. Mit anderen Worten: Je tiefer Deutschland in die Krise rutscht, desto unverblümter werden die Angriffe gegen die Arbeitenden und Erwerbslosen dieses Landes.

Die Agenda 2010: Teile und herrsche

Im Windschatten der schon seit Monaten währenden Medienkampagne über die “deutsche Krankheit“ holt Rot-Grün nun zum zweiten Schlag gegen unsere Arbeits- und Lebensbedingungen aus. Nachdem die Schröder-Regierung in ihrer ersten Legislaturperiode erfolgreich die sog. Renten- und Steuerreform durchgeboxt hatte, ist sie nun im Begriff, einen Schritt weiter zu gehen in ihrer ”Sparpolitik” gegen die Arbeiterklasse. Kern der Agenda 2010 sind der Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung durch Unternehmen und Beschäftigten zu Lasten Letzterer, die Halbierung der Bezugsdauer der Arbeitslosenunterstützung für ältere Beschäftigte von 32 auf 18 Monate, die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und die Lockerung des Kündigungsschutzes für Beschäftigte in Kleinbetrieben. Hinzu kommen noch kleinere Grausamkeiten wie die Erhöhung der Tabaksteuer und die Privatisierung des Krankengeldes.

Zweifellos werden die Angriffe der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse immer massiver. Dennoch zeichnet sich die Agenda 2010 dadurch aus, dass sie nicht nach dem Rasenmäherprinzip vorgeht, d.h. dass ihre geplanten Maßnahmen sich zwar gegen die gesamte Klasse richten, aber so konzipiert sind, dass die Arbeiter in ihren verschiedenen Lebenslagen beispielsweise als Beitragszahler in die Rentenversicherung einerseits und als jetziger oder künftiger Rentenbezieher andererseits gegeneinander ausgespielt werden.

Und es ist kein Zufall, dass es dabei diejenigen mit besonderer Härte erwischt, die zu den Schwächsten der Arbeiterklasse zählen: Arbeitslose, Kranke, Ältere, Beschäftigte von Klitschen. Doch daran ist nichts Neues. Diese Vorgehensweise entspricht dem uralten Herrschaftsprinzip aller Ausbeuterklassen, mit dem Mittel der Zwietracht einen kollektiven Widerstand der Unterdrückten zu verhindern. Wer weiß dies besser als die Sozialdemokratie, die es zu einiger Virtuosität auf diesem Instrument gebracht hat!

Und keiner versteht es besser als die Sozialdemokratie, selbst die brutalsten Angriffe noch als “Sozialreformen” zu verkaufen. So hat sich die Schröder-Regierung, neben der üblichen Blut-Schweiß-und-Tränen-Phraseologie, mit einigem Erfolg darum bemüht, einen nicht unerheblichen Teil der Klasse von den Vorteilen der Agenda 2010 zu überzeugen. Schließlich werde mit diesen Maßnahmen ja angestrebt, die Lohnnebenkosten, die mittlerweile über 40 Prozent betragen, zu reduzieren.

Die Linke und die Gewerkschaften – zwei kritische Weggefährten von Rot-Grün

Nicht anders verhält es sich mit den Protesten der SPD-Linken und der Gewerkschaften gegen die Agenda 2010. Anfangs in den Medien noch als “Aufstand” tituliert, ist die Drohung von zwölf Mitgliedern aus der SPD-Bundestagsfraktion, wegen “sozialer Unausgewogenheit” gegen die Agenda im Bundestag zu stimmen, schnell zur Lachnummer verkommen. Das sog. Mitgliederbegehren, mit dem sie die Agenda parteiintern angeblich kippen wollten, ist im Sande verlaufen. Einige Placebos (Ausbildungsabgabe für Unternehmen, Modifikationen in der Arbeitslosengeldregelung u.ä.) und ein paar Rücktrittsdrohungen Schröders reichten aus, um den Widerstand der “Rebellen” bröckeln zu lassen.

Auch der angekündigte “heiße Herbst” durch die Gewerkschaften ist mehr rhetorisches Wortgeklingel denn tatsächliche Absicht. Schon gibt es innerhalb des gewerkschaftlichen Lagers erste Absetzmanöver von diesem Kurs. Auch DGB-Chef Sommer trat nach einem Gespräch mit dem Kanzler reichlich zerknirscht an die Öffentlichkeit – offensichtlich überwältigt von der Notwendigkeit der bitteren Pillen, die der Arbeiterklasse verabreicht werden sollen.

Sowohl der Widerstand der SPD-Linken um Lafontaine und Schreiner als auch die geharnischten Proteste insbesondere der beiden größten Gewerkschaften, der IG-Metall und Verdi, sind nur Manöver zur Irreführung der Arbeiterklasse. Sie sind der Katalysator, an dem sich die Geister scheiden sollen. Zum einen verhilft das schlechte Licht, in dem die sog. “Traditionalisten” fast einhellig von der bürgerlichen Öffentlichkeit wahrgenommen werden, den Kanzler zu neuem Glanz als “Modernisierer”, der scheinheilig auf das weit verbreitete Gefühl innerhalb der Arbeiterklasse antwortet, dass es so nicht weitergehen kann. Zum anderen treibt das inszenierte Kesseltreiben gegen Gewerkschaften und SPD-Linke jenen Teil der Klasse, der sich der Logik des Kapitals nicht beugen will, zur Solidarisierung mit eben jenem gewerkschaftlichen und linken Flügel der SPD und damit auf das Terrain des Reformismus keynesianischer Ausprägung. Indem Lafontaine & Co. unbeirrt auf die längst untauglich gewordenen Instrumente des deficit spending setzen, um der Logik der Krise zu entkommen, verbreiten sie unter diesen kritischen Arbeitern die Illusion, als gäbe es noch eine Alternative zur Austeritätspolitik innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, und hindern sie somit daran, nach Alternativen außerhalb dieses mörderischen Systems zu suchen.

Die Austeritätspolitik: Die Bourgeoisie hat keine andere Wahl

In Wahrheit erlaubt das ganze Ausmaß der Krise heute keinen Rückgriff mehr auf die alten Palliativmittel der bürgerlichen Krisenmanager. Die astronomisch hohen Schulden des Staates, die nicht zuletzt durch die staatliche Wohlfahrts- und Subventionspolitik in den letzten drei Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts angehäuft wurden, sind heute selbst zu einem krisenverschärfenden Faktor geworden. So werden von den 248 Milliarden Euro im Bundeshaushalt allein 50 Milliarden für den Schuldendienst ausgegeben. Angesichts dessen ist die Bourgeoisie schlicht dazu gezwungen, die Flucht nach vorn anzutreten. Und das heißt: immer massivere Angriffe gegen die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse zu richten.

Diese Krise ist nicht auf Deutschland beschränkt und schon gar nicht die Folge einer “deutschen Krankheit”. Es handelt sich hier vielmehr um einen globalen Wirtschaftsabschwung, der insbesondere die hochentwickelten Industriestaaten seit fast zwei Jahren im Würgegriff hält. Ob die USA, Großbritannien, Italien, Frankreich, Japan, etc. – überall hat die Wirtschaft mit Auftragsrückgängen und Insolvenzen zu kämpfen. Was wir heute erleben, ist eine weitere Etappe der kapitalistischen Produktionsweise auf ihrer “Reise nach Jerusalem”, ein weiterer Ausdruck der immer weiter zunehmenden Übersättigung der Märkte. Und ebensowenig wie der auf früheren Etappen der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise praktizierte Keynesianismus stellt auch die heutige Austeritätspolitik einen Ausweg aus dem prinzipiellen Dilemma der kapitalistischen Überproduktion dar.

Der einzige Ausweg aus dieser für die gesamte Menschheit fatalen Lage ist nichts Geringeres als die revolutionäre Umwälzung der Produktionsverhältnisse, d.h. die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Produktion um des Profits willen und ihre Ersetzung durch die gesellschaftliche Aneignung der Produktionsmittel und die Produktion um der Bedürfnisse willen. Diese Herkulesarbeit kann allerdings nur gelingen, wenn sich die Arbeiterklasse von allen Illusionen über die Reformierbarkeit des Kapitalismus befreit und wenn sie Hoffnung aus der eigenen Kraft schöpft.

23.5.2003

Dekadenz des Kapitalismus und der Untauglichkeit der Theorie des 'Operaismus'

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Im Artikel “Krise des Krieges und Grenzen des Kapitalismus” der Sonderausgabe von Wildcat zum Irakkrieg wird zu den Ursprüngen und Hintergründen dieses Krieges Stellung bezogen. “In den Debatten über das Für und Wider und die Gründe für die Bomben auf Bagdad geht es schon längst nicht mehr nur um die Situation im Nahen Osten. Es geht um die Frage, wie die Welt zukünftig regiert und beherrscht wird”. (S.7) Dabei geht es natürlich u.a. um die Rolle Amerikas in der Welt. Die Bush-Leute “haben zwar verstanden, daß ein weiteres ‚amerikanisches Jahrhundert’ äußerst fraglich ist. Aber sie denken in den vertrauten Kategorien staatlicher Hegemonie und eines gegebenen Rahmens von Weltwirtschaft, Währungssystemen und zwischenstaatlichen Machtverhältnissen. Wie in der linken Debatte werden diese Verhältnisse als der sichere Boden unterstellt, auf dem sich dann politische Veränderungen wie die Ablösung einer Supermacht durch eine andere vollziehen. Könnte es nicht sein, daß eben dieser Boden zur Zeit ins Wanken gerät? Daß so natürlich erscheinende Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens auf diesem Planeten wie Staat, Geld oder Unternehmen und Lohnarbeit sich in Krise befinden?” (S.8)

Wir halten schon mal fest: Die Krisenhaftigkeit von Staat, Geld oder Lohnarbeit und der Kampf um staatliche Hegemonie unter den imperialistischen Mächten werden einander hier gegenübergestellt. Während die marxistische Arbeiterbewegung seit bald 100 Jahren den Kapitalismus mitsamt seines Staatensystems in seiner historischen Niedergangsphase sieht, will uns Wildcat nachweisen, dass diese Krise ein neues Phänomen wäre, das nach einer nie da gewesenen Erklärung verlangt.

Produktionsweise und Niedergang des Kapitalismus

Um diese Sichtweise zu stützen, greift der Artikel auf alte Märchen der herrschenden Klasse vom Siegeszug des frisch expandierenden Kapitalismus nach dem 2. Weltkrieg zurück.

“In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stand es nicht gut um den Kapitalismus. Nicht nur linke Kritiker, sondern auch konservative Denker sahen sein Ende und den Übergang zu einer anderen Form von Gesellschaft – die wurde damals meistens ‚Sozialismus’ genannt – voraus. Nach einer blutigen dreißigjährigen Schreckensphäre nahm diese Gesellschafsform aber noch einmal einen ungeahnten Aufschwung und konnte das Leben auf dem ganzen Planeten umkrempeln und dominieren. Politisch und militärisch stand dieser Aufschwung unter der Führerschaft einer neuen Macht, den USA..” (S.8)

Wildcat behauptet, dass diesem Aufschwung nichts Geringeres als eine neue “Produktionsweise” zugrunde lag. “Hinter den statistischen Zahlen verbirgt sich die Durchsetzung und anschließende Krise einer neuen Produktionsweise in den USA, die vor allem in der Organisation des Arbeitsprozesses und der Kontrolle der gesellschaftlichen Arbeit dem englischen Produktionssystem überlegen war.” (S. 8) “Sie übernahm dabei die technologisch weitentwickeltste Maschinerie aus England, nicht aber deren Arbeitsorganisation, die der Kontrolle der Unternehmer über den Arbeitsprozeß Grenzen setzte”. (S.9) Zwar klingt dieses - laut Wildcat –‚neue’ System nicht viel anders als der jugendliche Industriekapitalismus Englands mit seiner brutalen Proletarisierung der Landbevölkerung und der irischen Einwanderer sowie seiner Verwissenschaftlichung der Produktion, welche Marx zu seinen Lebzeiten analysierte. So behauptet der Artikel: “Das amerikanische System der Massenindustrie beruhte darauf, eingewanderte und bäuerliche Arbeitskräfte in einen durchorganisierten und geplanten Produktionsprozess einbinden zu können.” (S.9)

Laut Wildcat ermöglichte also die Ablösung der britischen durch die amerikanische Vorherrschaft in der Folge des 2. Weltkriegs, durch die Einführung einer neuen Produktionsweise, die Überwindung der krisenhaften Erschütterungen der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Um dieser Behauptung Glaubwürdigkeit zu verleihen, bedient sich der Artikel eines im Kreise “operaistischer” Theoretiker beliebten Kunstgriffes, indem er mit marxistischen Begriffen argumentiert, diesen Begriffen aber einen völlig anderen Inhalt gibt.

“Produktionsweise bezeichnet eine Phase dieser Ausweitung, bei der es gelingt, einen bestimmten Typus von Maschinerie, Arbeitsorganisation und Arbeitskraft so zu kombinieren, dass sich Kapital verwerten und der Klassengegensatz kontrollieren läßt.” (S.9) Hier wird der Eindruck erweckt, als ob die Umwandlung der Produktionsweisen verschiedener Entwicklungsphasen dem Kapitalismus entsprechen würden. Marx hingegen erzählt uns: “In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und moderne bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden.” (Zur Kritik der politischen Ökonomie. Vorwort. Marx-Engels-Werke Bd. 13, S.9) Demzufolge gibt es keine Möglichkeit der Entwicklung neuer Produktionsweisen innerhalb des Kapitalismus, um dessen Krise zu überwinden. Statt dessen unterscheidet Marx zwischen aufsteigenden und niedergehenden Phasen einer Produktionsweise. “Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein.” (Marx, ibid). Daraus folgt, dass die Niedergangskrise einer Produktionsweise keineswegs die Form einer allgemeinen Lähmung des Produktionsapparates einnimmt, sondern einen immer krisenhafteren “Widerspruch” der Produktivkräfte mit den vorhandenen Produktions- und Eigentumsverhältnissen mit sich bringt. Die “dreißigjährige Schreckensphase” des Kapitalismus nach 1914 – zwei Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise ab 1929, vor allem aber der erste Anlauf zur sozialistischen Weltrevolution – läutet für den Kapitalismus dieser Phase die Kollision der Produktivkräfte mit den Fesseln der bürgerlichen Gesellschaft ein. Die sehr vorübergehende, relative, auf einige Weltteile beschränkte Stabilisierung des Kapitalismus nach 1945 machte diese Phase der “Kriege und Revolutionen”, welche die Kommunistische Internationale bereits 1919 feststellte, keineswegs rückgängig, im Gegenteil. Wenn der Kapitalismus aus sich heraus neue Produktionsweisen hervorbringen könnte, wie die Operaisten behaupten, könnte die jetzige Krise nicht ebenfalls durch eine neue bürgerliche “Produktionsweise” innerhalb des Kapitalismus gelöst werden? Der Wildcat Artikel stellt empirisch fest, dass dies bisher nicht eingetreten ist, ohne es theoretisch auszuschließen. “In den 90er Jahren wurde gleich zweimal mit lautem Getöse der Beginn einer neuen Produktionsweise verkündet: in der Krise Anfang der 90er Jahre das Modell der “schlanken Produktion”, der “Gruppenarbeit” und der flexiblen Zulieferketten. Nach diesem Hype des “Toyotismus” kam in der zweiten Hälfte der 90er Jahre der Hype des Internets und der “New Economy”. Aber beide Modelle führten zu keiner Verbesserung der Profitraten im nicht-finanziellen Unternehmenssektor.” (S.13)

Kapitalistische Dekadenz und das Wesen des Imperialismus

In der Wildcat-Darstellung erscheint die Zuspitzung der militärischen Auseinandersetzungen ebenfalls als das Ergebnis der Krise der amerikanischen Vormachtstellung bzw. der “amerikanischen Produktionsweise”. So werden die imperialistischen Kämpfe um die Weltherrschaft vor 1989, d.h. in der Zeit des Kalten Krieges, ausgeblendet bzw. völlig unterschätzt. “Anders gesagt: nicht weil sie als der besondere Staat USA auftraten, wurden sie hegemonial, sondern weil sie für die weltweite Kapitalistenklasse zur Verkörperung des neuen erfolgreichen Booms der kapitalistischen Produktionsweise in den 50er und 60er Jahren wurden. Es war die erneute materielle Ausweitung der kapitalistischen Produktionsweise und ihres Klassenverhältnisses, auf denen die politische Vormachtstellung der USA beruhte – und von der sie daher auch abhängig war.” (S. 10) Kein Wort darüber, dass die Bourgeoisien Westeuropas oder Japans vor allem deshalb die Vormachtstellung der USA freiwillig hinnahmen, weil sie den Schutz Washingtons gegenüber einer anderen mächtigen imperialistischen Bedrohung, nämlich die der Sowjetunion, benötigten. Die Genossen sehen nicht, dass der Imperialismus unzertrennbar mit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Niedergangsphase verbunden ist und dass in dieser Phase keine Abnahme militärischer Spannungen möglich ist. Wenn sie, wie im Wildcat-Artikel, die Existenz des Ost-West-Gegensatzes überhaupt zur Kenntnis nehmen, dann nicht als Erklärung, sondern lediglich als Legitimation der US-Führung. “Die NATO diente den USA als Sicherung ihrer hegemonialen Stellung gegenüber Westeuropa, galt aber vertraglich als Verteidigung gegenüber dem Osten”. (S. 11)

Erst mit dem nun offensichtlich gewordenen Ende der US-Vorherrschaft scheint der Kapitalismus lt. Wildcat ein “Auslaufmodell” geworden zu sein. “Die heutige Umbruchsituation besteht nicht darin, daß in einem intakten Staatensystem einzelne Randstaaten ‚versagen’ oder eine hegemoniale Macht von einer anderen abgelöst wird – sondern daß sich die Form der Staatlichkeit, die gewaltsame Klammer um eine vom Klassengegensatz zerrissene Gesellschaft in der Krise befindet. Die Krise der USA als hegemonialer Macht im Staatensystem ist zugleich die Krise dieses Staatensystems und von Staatlichkeit überhaupt.” (S. 12) Was hier als eine völlig neue Erkenntnis zum Besten gegeben wird, hat bereits Lenin 1915 (also vor bald 90 Jahren) in seiner Schrift “Der Zusammenbruch der II. Internationale” festgestellt, indem er den Imperialismus als “Kampf der untergehenden, altersschwachen und verfaulten Bourgeoisie um die Aufteilung der Welt” (Lenin-Werke Bd. 21, S.204) und den 1. Weltkrieg als “ein(en) Krieg in der Epoche des letzten Entwicklungsstadiums des Kapitalismus” bezeichnete, “in der sich die bürgerlichen Staaten im nationalen Rahmen überlebt haben”. (“An die Redaktion des “Nasche Slowo”, Bd. 21, S.114)

Die Unfähigkeit des Operaismus, die geschichtlichen Entwicklung zu begreifen

“Better late than never”, sagen die pragmatischen Engländer. Und es sei erlaubt zu fragen, ob die Verspätung der Erkenntnisse Wildcats nicht zweitrangig ist, da die Genossen wenigstens den Ernst der heutigen Lage begriffen haben. Haben sie das aber wirklich? Kann man welthistorische Ereignisse wie den Irakkrieg überhaupt begreifen, ohne sie in einen korrekten, geschichtlichen Rahmen einzubetten? Wildcat entstammt nämlich einer politischen Denkrichtung – die des italienischen “Operaismus” – welche stets grundsätzlich die Bedeutung der Wirtschaftskrise und der imperialistischen Rivalitäten unterschätzt, bisweilen sogar verneint hat. Im vorliegenden Artikel führt Wildcat seine traditionelle Weigerung fort, Wirtschaftskrise und Imperialismus als objektive, eigenständige Faktoren der neueren Geschichte anzuerkennen. Vielmehr wird die jetzige Zuspitzung als Krise einer bestimmten Strategie des Kapitals gegenüber der Arbeiterklasse bewertet, die sie wie viele bürgerliche Soziologen den “Fordismus” nennen. Weit davon entfernt, das tatsächliche Niveau imperialistischer Spannungen heute zu begreifen, schreiben die Genossen: “Die Gegnerschaft von Machtblöcken und die Rivalität zwischen Nationalstaaten hatte in der ganzen Geschichte des Kapitalismus immer wieder verdeckt, daß der Inhalt der staatlichen Konkurrenz die gemeinsame Beherrschung des globalen Klassenkonfliktes durch die herrschende Klasse war.” (S.11) Dagegen hat der Marxismus stets behauptet, dass die gemeinsame Beherrschung des globalen Klassenkonfliktes der Inhalt der staatlichen Zusammenarbeit ist, während der Inhalt der staatlichen Konkurrenz der Kampf um die Aufteilung und Neuaufteilung der Welt ist. Doch nicht nur die alte These der Operaisten, dass der imperialistische Krieg in Wahrheit ein Krieg “gegen die Arbeiterklasse” sei, taucht in diesen Artikel wieder auf, sondern ebenfalls ihre alte – ebenso unmarxistische - Vorstellung von den Arbeiterkämpfen als Ursache der Wirtschaftskrise. “Das historisch Neue an der Krise in den 70er Jahren bestand in der aktiven Rolle, die das weltweite Proletariat in ihr gespielt hatte. Im Kampfzyklus 1968-73 hatten die weltweiten Jugendrevolten, die Kämpfe der FabrikarbeiterInnen im Norden und die Aufstände des Proletariats im Süden die kapitalistische Verwertung blockiert.” (S.12) Doch seit über 30 Jahren sind uns die Theoretiker des Operaismus eine Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie Streiks und Arbeiterdemonstrationen die “kapitalistische Verwertung blockieren” können....

Es wundert uns somit nicht, dass Wildcat selbst zugeben muss, von den jüngsten Ereignissen um den Irak, insbesondere aber von der Zuspitzung der Gegensätze zwischen den ehemaligen Verbündeten des “Westens” überrascht und überrollt worden zu sein.

Im Editorial ihrer Sonderausgabe zum Irak-Krieg lesen wir. “Als wir uns vorgenommen haben, eine Sondernummer gegen den Krieg zu machen, stellten wir uns das recht einfach vor. (...) Dann wurde es aber immer ‚verrückter’, warum will Bush unbedingt diesen Krieg durchsetzen? Warum sammeln sich um Schröders ‚Wahlkampfthema’ beeindruckende Koalitionen (Frankreich, Russland, ggf. China...). Wir haben gemerkt, daß da etwas Neues passiert und haben uns selber erstmal viel erarbeiten und klarmachen müssen”. Und weiter: “Angesichts der aktuellen Eskalationen waren wir aber doch überrascht, wie weitgehend diese Krise bereits das normale Funktionieren von Bündnissen, ‚Außenpolitik’ usw. ins Stocken bringt”.

Im Hauptartikel dieser Sonderausgabe (“Krise des Krieges und Grenzen des Kapitalismus”) heißt es weiter: “Als die Ablehnung des Kriegs durch die deutsche Regierung radikaler wurde, als sie ursprünglich gemeint war, als die Achse Paris-Berlin-Moskau vor die Scheinwerfer trat (...), da dämmerte es, dass wir einen epochalen Bruch erleben – das Ende einer Weltordnung, wie wir sie kennen.” Dabei war diese Weltordnung bereits 14 Jahre vorher, 1989, zusammengebrochen. Und seitdem hat es eine Reihe von Kriegen – zwei Golfkriege, die Balkankriege, der Afghanistankrieg, die Konflikte im Nahen Osten, in Afrika usw. gegeben, die nicht zuletzt bereits Stellvertreterkonflikte zwischen den ehemaligen westlichen Bündnispartnern darstellten! Doch nicht Unaufmerksamkeit oder ein etwaiges Unvermögen, politisch zu analysieren, hat Wildcat mit Blindheit geschlagen gegenüber dieser Entwicklung, sondern die alte operaistische “Überwindung” des Marxismus in Form der Theorien des “Fordismus” und von der Krise und des Krieges als angebliche “Strategien” gegen das Proletariat.

Die Prinzipienlosigkeit des Operaismus gegenüber der Bourgeoisie

Doch das Schlimmste an dieser theoretischen Verwirrung des Operaismus sind deren politische Folgen. Die Sichtweise, derzufolge der Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie der ausschließliche Motor der modernen geschichtlichen Entwicklung darstellt, führt dazu, jede Auseinandersetzung innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft als einen Kampf zwischen Lohnarbeit und Kapital umzudeuten. Wenn das “Kommunistische Manifest” davon spricht, dass der Klassenkampf den Motor der geschichtlichen Entwicklung darstellt, wird damit weder verneint, dass diese Kämpfe mit objektiven wirtschaftlichen Entwicklungen einhergehen, noch, dass auch Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Klasse selbst zu den Klassenkämpfen zählen, welche den Lauf der Geschichte mitbestimmen. Wenn man dies nicht theoretisch in Betracht zieht, bleibt man völlig ungeschützt gegenüber der Gefahr, reaktionäre Kämpfe innerhalb der Bourgeoisie zu unterstützen. Der Wildcat-Artikel schließt mit einigen erschreckenden Beispielen für diese Tendenz. So werden die nationalistischen Aufstände der Kurden und Schiiten im Irak am Ende des ersten Golfkrieges 1991, welche von den Amerikanern zuerst angezettelt und dann ihrem Schicksal überlassen wurden, völlig unkritisch als “soziale Aufstände” bezeichnet (S. 14). Außerdem werden die pazifistischen Demonstrationen vor dem jüngsten Irakkrieg mit ihrem großbürgerlichen Antiamerikanismus und kleinbürgerlichen Pazifismus, und sogar die angebliche Antikriegshaltung der meisten bürgerlichen Staaten als zumindest indirekten Ausdruck des proletarischen Klassenkampfes eingestuft! “Auf die ‚öffentliche Meinung’ sollten wir nicht allzuviel geben, aber in dem breiten Umschwenken der Regierungen auf der ganzen Welt gegen diesen Krieg kommt ein sozialer Gegensatz gegen Krieg und Herrschaft zum Ausdruck.” (S.12)

Wir meinen: Dieser Wildcat-Artikel bringt nicht die Tiefe der Krise des Kapitalismus, wohl aber die Krise des Operaismus, seine Untauglichkeit als theoretische Waffe im Dienste des Proletariats, klar zum Ausdruck.

Wildcat: Sisina Postfach 301206, 50782 Köln

 

Internationalistische Stimmen gegen den Krieg

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Neben den alten, gewachsenen und bekannten Gruppen des proletarischen politischen Milieus wie Battaglia Comunista, Communist Workers‘ Organisation, Le Prolétaire, Il Comunista, die eindeutig internationalistisch gegen den Krieg Stellung bezogen haben, hat eine Reihe von weiteren Gruppierungen und Zirkel den Irak-Krieg von einem internationalistischen Standpunkt aus angeprangert.

Wir möchten in diesem Artikel näher auf vier Flugblätter eingehen:

- “Gegen Krieg und kapitalistischen Frieden”, “Eine Initiative von der Syndikalistischen Initiative (SI), Gruppe Internationaler SozialistInnen (GIS), Aufbrechen Berlin, Aufbrechen Bielefeld und Einzelpersonen” (im Folgenden ‚gemeinsames Flugblatt‘ genannt),

- “Kein Krieg gegen den Irak, kein Frieden mit dem kapitalistischen System!” Herausgegeben von der (GIS)

- “Gegen kapitalistischen Krieg und Frieden” – verfasst von Genossen aus Bielefeld

- “Kein Krieg im Irak, kein Frieden mit dem kapitalistischen System” – verfasst von Proletarischer Zirkel, Frankfurt/Main

Der IKS liegen weitere internationalistische Stimmen auf deutsch gegen den Krieg vor, auf die wir aber in diesem Artikel nicht näher eingehen können (1) [1].

Auch wenn diese ‚Stimmen‘ gegenüber vielen Fragen keinen oder keinen ausgereiften, weil in der Entwicklung befindlichen Standpunkt haben, kann man sehen, dass sie bei dieser Prinzipienfrage einen unzweideutigen internationalistischen Standpunkt bezogen haben. Dies hebt sie ab sowohl von den linksbürgerlichen Gruppen wie Linksruck, SoZ, Spartacists, die zur ‚kritischen Unterstützung‘ des Iraks aufgerufen haben als auch von den ‚Anti-Deutschen‘ wie z.B. Bahamas, die zur Unterstützung der amerikanisch-britisch-israelischen Seite in den Nahostkonflikten aufrufen. Damit treten diese internationalistischen Stimmen nicht nur in einen Gegensatz zur bürgerlichen Linken der SPD und Rot-Grün, sondern stellen sich damit auch gegen all die Trotzkisten, Maoisten und Autonomen, von denen einige herstammen.

Da heute so viele Stimmen einen internationalistischen Standpunkt einnehmen, kann man eine Reifung zur Zeit des Vietnam-Krieges vor 30 Jahren feststellen, als eine ganze Heerschar von linken Gruppen zur Unterstützung der stalinistischen Guerrilla aufriefen und gegen die Internationalisten hetzte.

Auch gegenüber den Balkan-Kriegen in den 90er Jahren, als nur ganz wenige Gruppierungen einen internationalistischen Standpunkt gegen den Krieg äußerten, hat heute eine Reifung stattgefunden, die nicht nur in Deutschland zu beobachten ist.

Dies ist auf einen Reifungsprozess einer kleinen Minderheit zurückzuführen, die sich nicht durch die Propagandakampagne der herrschenden Klasse nach dem Zusammenbruch des Stalinismus 1989 hat irreführen lassen, sondern erkannt hat, dass in Russland nicht der Kommunismus zusammengebrochen ist und der Kapitalismus keineswegs “die Lösung für die Menschheit” anbietet.

Zudem hat die Entfaltung einer Vielzahl von Kriegen seit 1989 viele Politisierte, die zuvor bei der bürgerlichen Linken aktiv waren, dazu gezwungen, ihre Position zu überdenken. So fingen während der 90er Jahre schon viele dieser Leute an zu spüren, dass ihre bis dahin als Tabu geltende Unterstützung des Antifaschismus “problematisch” wurde und nicht zuletzt durch die Politik von “Rot-Grün” infragegestellt werden musste. Die Kriege der 90er Jahre, vor allem die Unterstützung der Bombardierungen Belgrads durch die NATO-Verbände – die von Rot-Grün als eine Verteidigung der Menschlichkeit gerechtfertigt wurde- , veranlasste sie, den Antifaschismus infragezustellen und sich damit de facto gegen die linksextremen Gruppen wenden, die ständig für solche Kriege mobilisieren.

Erklärung der Kriegsursachen

Auch bei der Erklärung der Kriegsziele der USA heben sich fast alle Stimmen ab von den üblichen Parolen und simplistischen ‚Erklärungen‘ der linkskapitalistischen Gruppen wie “Kein Blut für Öl”.

So lesen wir in dem gemeinsam verfassten Flugblatt “Gegen Krieg und kapitalistischen Frieden”: “Aber die Ölquellen im umkämpften Gebiet reichen wohl nicht aus, um der Komplexität internationaler Beziehungen gerecht zu werden... Nicht nur der Ostblock ist verschwunden, auch der Zusammenhang im Westen hat sich zugunsten der Konkurrenz aller gegen alle endgültig aufgelöst. Es konkurrieren nicht nur die einzelnen Wirtschaftsunternehmen miteinander, sondern eben auch die Staaten der Welt um möglichst gute Anlage- und Produktionsbedingungen weltweit. Nur bestehen nach wie vor enorme Unterschiede zwischen den Konkurrenten, sowohl was ihre Wirtschaftskraft als auch ihr Militärpotential angeht. In beiden Fällen hat die USA die Vorherrschaft, diese wird aber fortlaufend herausgefordert und in Frage gestellt, z.B. durch die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes. Die USA müssen und wollen auf diese Herausforderungen reagieren, dies geschieht mit ökonomischen Mitteln (Bsp. Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll) und eben auch mit der Ausspielung ihrer Militärmacht. Ziel ist die Verhinderung des Heranwachsens einer Macht, die den USA wirtschaftlich und militärisch ebenbürtig wird und damit die Konkurrenzsituation zu Ungunsten des amerikanischen Kapitals und Standortes verändert... Die “Achse des Friedens” zwischen Paris, Berlin und Moskau entsteht also nicht aus gemeinsamen pazifistischen Überzeugungen, sondern aus gemeinsamen, gegen die USA gerichteten Interessen. Die Koalitionen, die wir momentan erkennen können, sind aber nicht auf Dauer festgeschrieben, sie können durchaus wechseln...

Der Irak ist Teil des “Schachbrett(s), auf dem der Kampf um die globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird” (Brzezinski)... “Die derzeitige Konstellation wird bei den nächsten Kriegen nicht unbedingt von Bestand sein, so wie es beim Krieg in Afghanistan und den Kriegen im damaligen Jugoslawien eine andere Zusammensetzung von “Falken” und “Tauben” gab.” Oder: “Die vielfältigen diplomatischen Verstimmungen, Störmanöver und Ränkespiele haben die Interessensgegensätze der Großmächte in bisher ungeahntem Ausmaß zu Tage gefördert und die Geschäftsgrundlage von UNO, NATO und EU nachhaltig in Frage gestellt.” (Flugblatt GIS).

Nachdem die Interessensgegensätze zwischen den imperialistischen Rivalen so offen zutage treten, betonen alle, dass man für keine der kriegführenden Parteien Stellung beziehen darf. “ Kein Grund ist dies jedoch, sich im Kleinkrieg der verfeindeten kapitalistischen Brüder auf die Seite eines dieser imperialistischen Blöcke zu stellen. Kein Grund übrigens auch, das dabei unter die Räder gekommene irakische Regime zu verteidigen, das genauso wenig eine emanzipatorische Note aufweist wie irgend eine andere staatliche Entwicklungs- und Modernisierungsdiktatur. Daher ist auch jenen Kräften eine Absage zu erteilen, die in einer Volksfront mit arabischen Nationalisten eine irgendwie geartete fortschrittliche Komponente sehen. (Frankfurter Flugblatt)

Deutschland – Friedensengel? In allen Flugblättern wird vehement und ausführlich die deutsche imperialistische Politik an den Pranger gestellt.

“Nach 1989 standen für das vor Selbstbewußtsein strotzende Deutschland weitreichende Ziele zum Ausbau der eigenen Stellung im internationalen Konkurrenzkampf an. Außenpolitisch sollte sich die geballte Wirtschaftsmacht nun auch endlich in der Position Deutschlands innerhalb der EU und der UNO widerspiegeln. Dazu war eine entschlossene Demonstration der Macht und des Willens zur Machtausübung nötig. Höhepunkte waren die Vorreiterrolle der deutschen Außenpolitik bei der Vorbereitung des Krieges gegen Jugoslawien sowie die Beteiligung deutscher Truppen an diesem Krieg und dem in Afghanistan. Der Aufbau einer EU- Armee und schneller Eingreiftruppen auch mit dem Bundeswehradler machen deutlich, daß die Kette der Kriege nicht abreißen wird.”(gemeinsames Flugblatt)

Und die Genossen aus Frankfurt schreiben: “Mit dem Wiedererstarken Deutschlands und dem Eintritt ins offizielle Kriegsgeschehen seit dem Angriffskrieg auf Jugoslawien werden auch die unterschiedlichen Interessen zwischen den einzelnen Machtblöcken Deutschland/EU, USA/NAFTA, Japan/ASIAN - und zukünftig evtl. Russland/China/Indien mehr Präsenz bekommen, zumindest auf politischer Ebene, militärisch werden diese Auseinandersetzungen zumindest in den nächsten Jahren höchstens über Stellvertreterkriege ausgeführt werden. Im Moment mangelt es der deutschen Bundeswehr noch an genügend hochgerüsteten und einsatzbereiten Krisenreaktionskräften(2) [1]

Die Anti-Kriegshaltung der deutschen wie auch der französischen Regierung ist also Bestandteil eines Formierungsprozesses, dessen strategisches Ziel die Etablierung eines europäischen Rivalen zum US-Imperialismus ist. (Frankfurter Flugblatt).

Pazifismus – eine Waffe gegen die Arbeiterklasse

Und während bei den Anti-Kriegsprotesten weltweit Millionen auf die Straße gingen und bei vielen die Illusion entstand, hier würde ein großer Druck auf die Regierungen ausgeübt, unterstreichen die Flugblätter, dass pazifistische Proteste nichts gegen den Krieg ausrichten können. “Dominierend bei den breiten Protesten gegen den Bush-Krieg sind inzwischen ausgerechnet jene rot-grünen Kriegstreiber, die noch vor drei Jahren mit den absurdesten Begründungen bis hin zu infamen Auschwitz-Vergleichen die Bombardierung Jugoslawiens legitimiert und KritikerInnen ihres Kriegskurses als Spinner, Extremisten und Milosevic-Fans verleumdet haben. Und es sind die selben, von Schröder und Fischer bis Thierse und Vollmer, die vor etwas mehr als einem Jahr keine Bedenken hatten, im "Anti-Terror-Krieg" gegen Afghanistan kräftig mitzumischen... (Frankfurter Flugblatt). “Das heißt aber auch, daß der Appell an die deutsche Regierung, die französische Regierung oder an irgendeinen Staat in dieser Welt, für den Frieden einzutreten, den prinzipiellen Fehler beinhaltet, davon auszugehen, daß es “böse”/ aggressive Staaten und “gute”/friedliebende Staaten gibt. Oder aber der Appell entspringt der Illusion, die Konkurrenz zu zähmen ohne die Ursache, nämlich die kapitalistische Produktionsweise selbst abzuschaffen. Die Aufforderung des “Weiter so - Joschka”, “Halte durch - Gerd” zeugt mindestens von dieser Illusion”. (gemeinsames Flugblatt)

Die Verfasser des Flugblattes weisen dabei völlig zurecht auf die Tatsache hin, dass die Friedensbewegung den Zusammenhang zwischen der Aufrüstung Deutschlands und der Sparpolitik von Rot-Grün verschweigt. ”Ein Hinnehmen der sozialen Kürzungen ist also durchaus ein Beitrag zur Stärkung der deutschen Stellung im Konkurrenzkampf, was eben nicht zu mehr internationaler “Zivilität”, sondern zur aggressiven Interessenvertretung Deutschlands führen wird. Eine Friedensbewegung, die den Schulterschluß mit ihrer eigenen Regierung sucht, den sozialen Kahlschlag ignoriert und deren Aggressivität negiert, produziert bereits heute die moralischen Begründungen für die nächsten Kriege, da sie dem deutschen Staat einen grundsätzlich integren und friedliebenden Standpunkt zuschreibt”. (Gemeinsames Flugblatt).

Schließlich zeichnen sich die Flugblätter dadurch aus, dass sie den heuchlerischen Charakter der bürgerlichen Demokratie entblößen. “Die Demokratie hat sich als die effektivste Form der Verwaltung des Kapitalismus bewiesen” (gemeinsames Flugblatt)

Die Rolle der Arbeiterklasse

Während die Linksbürgerlichen lauthals “Stoppt den Krieg” rufen, betonen die Flugblätter, dass es keine unmittelbare Lösung gibt. Gegenüber der typisch kleinbürgerlichen Ohnmacht und Ungeduld etwa der Kasernenblockierer, weisen sie völlig zurecht auf die ausschlaggebende Rolle des Klassenkampfes hin.

“Deshalb kann die einzige Position [nur sein] ... der internationale Kampf der Proletarisierten gegen jede Art von Unterdrückung und Ausbeutung. Die Ursachen des Krieges liegen im kapitalistischen System, und die Beseitigung dieses Systems sowie seiner Nationen und Staatsmaschinerien ist folglich das einzige probate Mittel dagegen.” (Frankfurter Flugblatt)

In einem Umfeld, wo so viele Zweifel an der Arbeiterklasse geäußert werden, ist es um so wichtiger, dass die Betonung auf den Klassenkampf gelegt wird. “Dies alles allein verhindert noch keinen Krieg, aber bewußt oder unbewußt stehen diese Menschen im Widerstand zum Krieg und auch zum kapitalistischen Frieden mit seinem barbarischen Alltag. Die gemeinsame Realität der Stellung in der Produktion, der Zwang, zur Existenzsicherung seine Arbeitskraft zu verkaufen, ist die Gemeinsamkeit, aus der heraus wirksam gegen Krieg und kapitalistischen Frieden vorgegangen werden kann. (Gemeinsames Flugblatt)

“Die Klassenkämpfe waren schon immer das beste Friedensinstrument. Kämpft für Eure Interessen. Zerreißt die Lügen von Demokratie und Menschenrechten...” (Flugblatt Bielefeld).

Die Notwendigkeit einer Debatte

Während die Flugblätter bei den oben genannten Punkten alle mehr oder weniger an einem Strang ziehen, die IKS diese Stoßrichtung sehr begrüßt und unterstützt, gibt es bei der eigentlichen Kriegserklärung und der Einschätzung der Rolle des Krieges im Kapitalismus unterschiedliche Ansätze unter den internationalistischen Stimmen. So schreiben die Verfasser des Frankfurter Flugblattes:

“Imperialistische Kriege sind nicht einfach ein Systemfehler, ein zufällig auftretendes Ereignis, das sich aus widerstreitenden Interessen von Staaten und Konzernen und der Gier nach Öl entwickelt. Sie sind Ausdruck der Krise des kapitalistischen Weltsystems Ein erfolgversprechender Ausweg aus dieser ökonomischen Krise, wie sie momentan alle Industriestaaten erleben, liegt im Krieg. Dies ist der Weg, den momentan die USA wählen. Die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus macht die gewaltsame Zerstörung von Waren und Kapital, die Neuaufteilung von Märkten, Ressourcen und Einflusssphären - also Krieg zu einer zyklischen Notwendigkeit.” Wir sind schon ausführlicher auf diesen Argumentationsansatz in Weltrevolution Nr. 116 (Der imperialistische Krieg – eine Lösung für die Krise?) eingegangen und können hier aus Platzgründen unsere Argumente nicht wiederholen. Heute müssen sogar die kriegführenden Mächte USA und GB sogar zugeben, dass die erhofften Renditen aus dem Verkauf des irakischen Öls in den nächsten 10 Jahre kaum reichen werden, um das Land wieder aufzubauen, geschweige denn die astronomischen Kosten des Krieges selbst zu decken. Kurzum, bei diesem Ansatz, wo die militärischen Aspekte den ökonomischen unterworfen zu sein scheinen, erscheint der Krieg als ‚rationale Lösung‘ für etwas, was in Wirklichkeit eine unüberwindbare Sackgasse darstellt! Ist der Krieg eine Lösung oder eine Explosion der Widersprüche? Die anderen Flugblätter äußern sich nicht näher zum Verhältnis zwischen Wirtschaft und Krieg.

In dem Flugblatt aus Bielefeld wird der ‚Wahnsinn‘ des kapitalistischen Systems angeprangert und es wird betont, dass unsere Herrscher “pathologische Fälle [sind, die] in eine Therapie gehören und [sie] sollten uns nicht auch noch regieren und befehlen können...” “Das ganze kapitalistische System läuft völlig aus dem Ruder. Die Spirale von Krieg, Zerstörung, Hunger und Elend dreht sich immer enger und schneller.... Jeder Reformversuch, der sich in der Logik von Konkurrenz und Markt bewegt, ist zum Scheitern verurteilt, egal ob er im links- rechtsradikalen oder bürgerlich demokratischen Gewand daherkommt. Dieses System muss zerschlagen werden: Jeder weitere Tag seiner Existenz drückt uns ein wenig mehr die Luft ab.....

Eigentum an Produktionsmitteln, Markt, Handel, Konkurrenz, abstrakte Arbeit und Geld: Einst waren sie Motor der technologischen Entwicklung in Mangelgesellschaften. Sie haben ihre Entwicklungsfunktion schon seit langem verloren und bilden nur noch Hemmnisse der Menschheitsentwicklung.... (Bielefelder Flugblatt).

Die IKS geht voll mit dem Kern dieser Aussage konform – aber ist es nicht trotzdem unabdingbar zu unterscheiden zwischen der Entwicklung der kapitalistischen Widersprüche in seiner aufsteigenden Phase und der Explosion dieser Widersprüche, seitdem das System in seine Niedergangsphase eingetreten ist? Läuft man nicht Gefahr, es bei einer bloßen “Anklage” gegen das System zu belassen, die etwas zeitlos erscheinen mag, während man die qualitativ neue Entwicklung aufzeigen muss, in die der Kapitalismus seit dem 1. Weltkrieg eingetreten ist? Oder was ist genau damit gemeint, dass “etwas aus dem Ruder läuft”? Wenn man davon spricht, dass Markt, Handel, Eigentum an Produktionsmittel usw. einst Motoren der technologischen Entwicklung waren und nun zu Hemmnissen geworden sind, dann wäre es für die Klärung der Standpunkte wichtig, den Umschlag von einem Motor zu einem Hemmnis zu erläutern.

Auch in dem Flugblatt der GIS wird der Leser hier im Unklaren gehalten: “Kriege sind keine Betriebsunfälle oder eine Abkehr von der Norm des kapitalistischen Alltagsgeschäfts. Sie sind Ausdruck wachsender imperialistischer Konkurrenz in einem immer wahnwitzigeren Gesellschaftssystem.” Die Frage bleibt hier ungeklärt, ob der Kapitalismus ein dekadentes System geworden ist, wie es die Kommunistische Internationale bereits 1919 feststellte.

Im “gemeinsamen Flugblatt” wird nicht näher auf die tiefer liegenden Kriegsgründe eingegangen. Wenn man richtigerweise aussagt, “die Ölquellen im umkämpften Gebiet reichen wohl nicht aus, um der Komplexität internationaler Beziehungen gerecht zu werden”, wäre es auch hier nützlich, über die unmittelbare Situation hinausgehend einige Erklärungsansätze für die Funktion des Krieges zu bieten.

Diese mehr oder weniger ‚offenen‘ oder kontroversen Fragen sollten aus unserer Sicht weiter aufgegriffen und debattiert werden.

Deshalb unterstützen wir den Geist der Verfasser des Frankfurter Flugblattes, die zum Schluss ihres Flugblattes dazu aufrufen: “Stellungnahmen, Kritiken etc. können gerne an die Absenderadresse gerichtet werden, wir sehen unsere Position nicht als Doktrin und sind für sachliche und inhaltliche Debatten offen."

Weltrevolution

(1) [1] So haben z.B. die Unabhängigen Rätekomunisten- Revolution Times (Webseite) und die Initiative Linkskommunismus (Webseite) Flugschriften herausgebracht. In Weltrevolution Nr. 117 haben wir einen Teil des Textes der Initiative Linkskommunismus abgedruckt.

Das ‚gemeinsame Flugblatt‘ und das Flugblatt aus Bielefeld wurden mit keiner Adresse versehen.

(2) [1] Wir wollen aus Platzgründen nicht näher auf die Debatte eingehen, ob die Konfrontationslinie zwischen Handelsblöcken verläuft, so wie das in dieser Aussage angedeutet wird. Hier verwechseln die Genossen aus unserer Sicht Militär- und Handelsblöcke. In der Internationalen Revue Nr. 31 haben wir einen Artikel zur Europäischen Union und zur Rolle des Euros veröffentlicht, der sich eingehender mit dieser Frage befasst. Die IKS ist der Auffassung, dass die EU kein militärischer Block, sondern ein Handeslblock ist, der zudem auf imperialistischer Ebene gespalten ist, wie wir in andern Artikeln in dieser Zeitung dargestellt haben. Darüber hinaus hebt man in diesem Flugblatt nicht deutlich genug hervor, dass die USA aufgrund ihres Dilemmas immer mehr zur Gewaltanwendung gezwungen sind.

Nach dem Irakkrieg: US-Sieg schaft neue Probleme

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Die amerikanisch-britischen Truppenverbände brauchten weniger als einen Monat Kampfhandlungen im Irak, um die Lage militärisch unter Kontrolle zu bringen. Erneut haben die USA ihre erdrückende militärische Überlegenheit und vor allem ihre Fähigkeit zur Schau gestellt, diesen Militärapparat zur Umsetzung ihrer politischen Ziele einzusetzen. Die US-Besatzungstruppen im Irak haben die zweitgrößten Erdölreserven der Welt unter ihre Kontrolle gebracht, von denen Japan und bestimmte Industriestaaten Westeuropas wesentlich abhängen, so dass sie jetzt hinsichtlich der Lieferung eines Teils ihrer Energiequellen von der Gnade Washingtons abhängig sind. Der militärische Erfolg der USA im Irak hat Angst und Respekt eingejagt; mehr denn je zuvor haben die USA im Mittleren Osten eine dominierende Stellung eingenommen. Und trotzdem fangen jetzt erst die richtigen Schwierigkeiten der USA an.

Die militärische Überlegenheit der USA

Die ungleichen Kräfte konnten nur zu einem militärischen Sieg der USA führen. Es standen sich gegenüber: Eine gut ausgebildete und gut ernährte Berufsarmee, ausgerüstet mit der modernsten militärischen High-Tech; auf der anderen Seite eine auf der Flucht befindliche Armee, ohne Flugzeuge, mit veralteten Waffen, die kaum funktionierten, und Soldaten, die wenig Neigung zeigten, ihr Leben für die Verteidigung eines verhassten Regimes zu opfern. Vor dem Konflikt sagten die US-Medien einen Blitzkrieg dank der Erhebung der irakischen Bevölkerung voraus, die nur auf den Einzug der ‚Befreier‘ warten würden. Dazu kam es nicht, aber die Frage steht im Raum, ob dies keine absichtliche ‚Fehlprognose‘ im Dienste der Propaganda war, um dadurch Zögerungen gegenüber einem Kriegseintritt zu überwinden. Als Bush nach einer Woche Krieg warnte, dass der Konflikt lang und schwierig werden würde, konnte dies auch ein Täuschungsmanöver gewesen sein, um ein Gefühl der Erleichterung herbeizuführen, als ein amerikanischer Sieg schneller und weniger blutig als erwartet eintrat. Und das Gespenst einer Stadtguerrilla, das die eroberten Städte, insbesondere Bagdad für die Invasoren zu einer Hölle werden lassen sollte, ist auch nicht aufgetaucht. Tausende von Irakern wurden getötet oder schrecklich verletzt, die Lebensbedingungen der Bevölkerung haben sich unglaublich verschlechtert, viel Wut hat sich gegen die Besatzungstruppen entladen, dennoch sind die amerikanischen Truppen nicht mit einem ernsthaften bewaffneten Widerstand konfrontiert worden. Die massive Fluchtbewegung, auf die sich die Nachbarländer mit Zeltlagern vorbereiteten, entfaltete sich auch nicht.

Das Treffen des “Friedenslagers” in Moskau am 11. April, das nach dem Fall Bagdads stattfand, rechnete mit dem Auftauchen weiterer Schwierigkeiten der USA bei der Umsetzung ihrer Ziele im Mittleren Osten. So sprach Putin von den Besatzermächten im Irak: “Ich glaube, sie unternehmen alles, um eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden, aber die Probleme sind so groß, dass sie nicht dazu in der Lage sind.” Dann bezeichnete er die Ziele der USA als “Kolonialismus” (Le Monde, 13-14. April). Seitdem haben die USA ihre Position im Irak verstärken können, und die Kritiken haben eine ‚konstruktivere‘ Form angenommen.

Eine nicht zu bewältigende Lage

Unter diesen Umständen überrascht es nicht, dass die USA kategorisch die Forderungen der Europäer verworfen haben, mittels der UNO eine Rolle zu spielen, als sie behaupteten, ‚Europa‘ habe kein gemeinsames Projekt zu bieten, zudem seine tiefgreifenden Spaltungen in der Zeit vor dem Krieg deutlich wurden.

Aber die Errichtung einer Übergangsregierung im Irak bereitet den USA viel Kopfzerbrechen, da viele, im Gegensatz zueinander stehende Faktoren zu berücksichtigen sind, deren Wurzeln im Land selbst liegen.

Saddam Husseins Regime stand vor gewissen inneren Widersprüchen, angefangen mit den drei größten ethnisch-religiösen Gruppen im Land – Kurden, Schiiten, Sunniten, - die mit ihren jeweiligen Führern an der Spitze wenig Neigung zur Übereinstimmung zeigen. Um damit fertig zu werden, hielt Saddam Hussein die Kurden und Schiiten von allen Ebenen der Macht fern. Weil sein Regime in der gesamten Bevölkerung verhasst war, konnte Saddam Hussein sich nur durch Gewalt und Terror an der Macht halten. Unter diesen Umständen war es unvermeidlich, dass sobald dieser Riegel aufgebrochen war, die zentrifugalen Kräfte, die auf ein Versinken des Landes im Chaos hin wirkten, die Oberhand gewannen, genauso wie man es 1991 in Jugoslawien beobachten konnte. Mit dieser Situation müssen die USA fertig werden, ohne unmittelbare Aussicht dazu in der Lage zu sein, dass der Irak in ein ähnliches Korsett gesteckt wird, wie es Saddam Hussein mit dem Land tun konnte, da die USA mit dem Anspruch aufgetreten sind, jetzt ‚Demokratie zu bringen‘. Auch wenn die USA unvermeidlich die dominierende Rolle bei der Verwaltung des Landes eine Zeitlang übernehmen werden müssen, müssen sie diese Phase als eine Übergangszeit nutzen, um eine Verwaltung vorzubereiten, die gegenüber Uncle Sam selbständiger handeln kann. Dies ist der härteste Brocken, wenn man von den ersten Treffen der früheren Oppositionsgruppen in Nasariya ausgeht. Das Treffen am 15. April wurde von den vielen irakischen Fraktionen boykottiert. Auch Ahmed Chalabri, der Führer des Irakischen Nationalkongresses, der bislang als der heißeste Kandidat der USA für die Übernahme einer Führungsrolle galt, blieb dem Treffen fern. Diese Episode belegt, dass die US-Diplomatie nicht allen zusagt, aber sie zeigt auch, dass sie nicht umhin kann, sich auf Teile des alten Machtapparates von Saddam Hussein zu stützen, insbesondere der Teil des Apparates, der von den Stammesführern gestellt wurde. Deshalb wurden die Führer der Baath-Partei zu dem Treffen eingeladen, genauso wie die frühere Baath-Polizei wieder eingesetzt wurde, um die Ordnung in den Straßen aufrechtzuhalten.

Die Wucht der amerikafeindlichen Gefühle, die sich jetzt schon Bahn brechen, wurde ebenso anhand der massiven schiitischen Demonstrationen im Rahmen einer religiösen Pilgerfahrt nach Kerbala deutlich, die zeitgleich mit dem Treffen in Nasariya stattfand. Der Hauptslogan der Demonstranten war “Nein zu Saddam, nein zu Amerika, ja zum Islam!”, womit das Gespenst eines mit dem Iran verbundenen islamischen Staates aufkam, einer der Gründe, weshalb die USA es Saddam Hussein 1991 gestatteten, die Schiiten niederzuschlagen. Schiitische Geistliche haben schon angefangen, die Leere auszufüllen, die durch den Zusammenbruch des alten Regimes entstanden war. Sie haben ein Netzwerk von Milizen oder bewaffneten Gruppen errichtet, die sicherlich sehr zögern werden, ihre Waffen einer vielleicht entstehenden weltlichen Behörde auszuliefern.

Und die antiamerikanischen Ressentiments sind nicht auf die Schiiten begrenzt. An den wütenden Demonstrationen in Mosul, die von amerikanischen Truppen gewalttätig niedergeschlagen wurden, beteiligten sich hauptsächlich sunnitische Schiiten.

Dann gibt es das Kurdenproblem. Ihnen zuviel Einfluss im Norden des Iraks einzuräumen, insbesondere in der ölreichen Region um Kirkuk, birgt die Gefahr in sich, dass dadurch die Grundlagen für einen separaten kurdischen Staat geschaffen würden. Dies wäre für die Türkei nicht hinnehmbar, da dadurch nur die separatistischen Bestrebungen der kurdischen Nationalisten in der Türkei Auftrieb erhalten würden. Bislang haben die USA alles unternommen, um eine Provokation der Türkei zu vermeiden, insbesondere da die Türkei immer enge Beziehungen zu Deutschland unterhalten hat. Als kurdische Peshmergas (Guerrilla-Kräfte) in Kirkuk einmarschierten, verlangten die USA sehr schnell deren Abzug, um sie durch ihre eigenen Truppen zu ersetzen.

Auf der anderen Seite, wenn die kurdischen Nationalisten im Norden keinen größeren Spielraum bekommen, könnten sie noch mehr Forderungen stellen und das Machtvakuum ausnutzen und ihre eigenen Machtstrukturen vor Ort aufbauen. Dies wiederum könnte die Spannungen zwischen der kurdischen und arabischen Bevölkerung verschärfen, die schon bei der Eroberung Kirkuks durch die Peshmergas spürbar wurden.

Aber eine weitere Schwierigkeit entsteht mit dem Wiederaufbau des Iraks. Die USA müssen hier gewisse Erfolge aufweisen können, wenn sie ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit behalten wollen, obwohl sie schon ein großes Misstrauen auf sich gezogen haben, nachdem sie die lukrativsten Verträge US-Firmen zugeschoben haben (von denen die meisten zudem direkt mit führenden Leuten der herrschenden Clique in Washington verbunden sind). Zur Finanzierung des Wiederaufbaus werden die USA auf die Ölquellen des Iraks zurückgreifen müssen. Um die Ölförderung aber auf das Niveau von vor 1991 hochzufahren, sind mindestens zwei Jahre nötig, während derer mit keinen Profiten zu rechnen ist. Und wer soll das alles bezahlen? Und welche Garantie gibt es, dass nach Erreichen dieses Ziels der Erhöhung der Ölförderung auf das Niveau von vor 1991 die anderen Ölförderländer nicht darunter zu leiden haben werden, wenn dadurch die Ölpreise fallen sollten?

Die Gefahr der Isolierung des US-Imperialismus

Jahrelange, nahezu bedingungslose Unterstützung Israels durch die USA, auch seitdem Israel mit eiserner Hand in den besetzten Gebieten gegen die palästinensische Bevölkerung vorgeht, haben den Antiamerikanismus und eine Israel-feindliche Haltung in der arabischen Welt verstärkt. Dies birgt jetzt die Gefahr in sich, dass die US-amerikanische Besetzung des Iraks bewirkt, dass die Ablehnung gegenüber den USA in eine offene Feindschaft umschlagen könnte. Um solche Gefahren einzudämmen, die die Rivalen der USA auszuschlachten versuchen würden, hatte Washington keine andere Wahl, als seinen treuesten und mächtigsten Verbündeten in der Region dazu zu zwingen, auf seine Besiedlungen zu verzichten und der Bildung eines palästinensischen Staates zuzustimmen. Ob die USA dabei Erfolg haben werden, ist eine andere Frage.

Die Gefahr der Isolierung der USA beschränkt sich aber nicht auf den Mittleren Osten. Die Länder, die sich vor dem Krieg der “Antikriegsfront” anschlossen, mussten sich während des Krieges ‚ducken‘, aber seit dem Kriegsende spielen sie wieder mit den alten Tricks. So trafen sich Frankreich, Belgien, Luxemburg und Deutschland, um eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik zu diskutieren, Blair erhielt von Putin in Moskau eine Abfuhr, in der UNO wird der Streit um die Rolle der UNO beim Wiederaufbau des Iraks und der Besetzung der irakischen Verwaltung fortgeführt. Selbst Großbritannien musste sich von den USA nach dem Krieg distanzieren und schloss sich der Forderung an, dass die UNO im Irak eine entscheidende Rolle zu spielen habe. Auch hat Großbritannien schon klargestellt, dass es nicht bereit wäre, nach dem Irak-Abenteuer einen sofortigen Schlag gegen Syrien mitzutragen. Die Erfahrung zeigt, dass die Rivalen der USA nicht viel Zeit brauchen, um sich von der ‚Schock- und Terrorwelle‘ des US-Militärs zu erholen. Nur wenige Monate nach dem ersten Golfkrieg erhob Deutschland, das damals dazu gezwungen wurde, einen Großteil der Kriegsrechnung zu begleichen, seinen Anspruch als wiedererstarkende Großmacht, als es den Balkankrieg anzettelte. Und heute sind die imperialistischen Rivalitäten zwischen den Großmächten viel deutlicher und schärfer zutagegetreten.

Ungeachtet der vorübergehenden Vorteile, die der US-Imperialismus aus seinem militärischen Sieg im Irak erzielen konnte, können die USA nicht umhin, neue Probleme und neue Konflikte anzufachen. Aber ihre Rivalen sind ebenso gezwungen, Öl auf das Feuer dieser Konflikte zu gießen. Der Kapitalismus hat insgesamt nur eine einzige Zukunft anzubieten: eine wahnsinnige Spirale des Militarismus und Kriege, die die Menschheit ins Verderben stürzen. LW (Anfang Mai 2003)

15 Mrd. Haushaltslücke bei 2004, keine Tabus....


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[1] https://de.internationalism.org/content/994/internationalistische-stimmen-gegen-den-krieg